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SPD-Chef und seine Idee zum Mindestlohn: Was Klingbeil verschweigt - taz.de | SPD-Chef und seine Idee zum Mindestlohn: Was Klingbeil verschweigt
Die Bundesrepublik muss die EU-Mindestlohnrichtlinie spätestens 2024 umsetzen. Das Versagen der Ampel ist, dass sie es nicht bereits getan hat.
Lars Klingbeil hat sich nicht ganz klar ausgedrückt. Was er verspricht, muss ohnehin passieren Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa
Es sind bemerkenswerte Bekenntnisse, die der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in einer großen Boulevardzeitung abgelegt hat: Gebraucht werde „eine gute Politik, die die Alltagsprobleme der Menschen anpackt“, verkündete er da. Und dass Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen „auf die politische Tagesordnung“ gehörten. Recht hat er. Nur was folgt daraus? Nichts. Das ist das Problem der SPD.
In den Umfragen dümpelt die Kanzlerpartei zwischen 18 und 19 Prozent vor sich hin, gleichauf mit oder sogar hinter der AfD. Daran ändert sich auch nichts, wenn Obersozi Klingbeil mit klassenkämpferischen Sprüchen die Menschen für dumm verkaufen will. Denn alle wissen, dass die Ampel auch weiterhin keine befriedigenden Antworten auf die drängenden Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen in diesem Land geben wird.
Beispiel Mindestlohn: Mit einem verbalen Bedauern, ansonsten jedoch anstandslos hat SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gerade die Mehrheitsentscheidung der zuständigen Kommission durchgewunken, den Mindestlohn im nächsten und übernächsten Jahr nur um jeweils 41 Cent steigen zu lassen.
Nun beklagt sich Klingbeil über die Minierhöhung, die die Arbeitgeber mithilfe der ihr gewogenen Kommissionsvorsitzenden gegen die Gewerkschaften durchgesetzt haben. Die SPD werde darauf „drängen“, dass Deutschland die EU-Mindestlohnrichtlinie im nächsten Jahr umsetzt, dann könne „auch der Mindestlohn noch einmal ansteigen“.
Was Klingbeil verschweigt: Die Bundesrepublik muss die 2022 in Kraft getretene EU-Mindestlohnrichtlinie spätestens im nächsten Jahr in nationales Recht umsetzen. So sehen es die Regeln der EU vor. Das Versagen der Ampel ist, dass sie es nicht bereits getan hat. Denn dann hätte sich die Mindestlohnkommission daran verbindlich orientieren müssen.
Legte man den dort benannten Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns der Berechnung zugrunde, würde er bereits heute 13,53 Euro betragen. Was angesichts dramatisch gestiegener Lebenshaltungskosten auch noch wenig wäre. | Pascal Beucker | Die Bundesrepublik muss die EU-Mindestlohnrichtlinie spätestens 2024 umsetzen. Das Versagen der Ampel ist, dass sie es nicht bereits getan hat. | [
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Fußball-Bundesliga Sonntagsspiel: Bayern im Torrausch - taz.de | Fußball-Bundesliga Sonntagsspiel: Bayern im Torrausch
In einem munteren Spiel gewinnt der FC Bayern mit 6:1 gegen den VfB Stuttgart. Die Gäste überboten sich dabei an defensiver Naivität.
Kaum zu halten: Luiz Gustavo zeigte gegen Stuttgart eine starke Leistung. Bild: dapd
MÜNCHEN dpa | Die Bayern sind wieder in Torlaune - und ihren 40-Millionen-Euro-Import Javier Martínez benötigten sie beim 6:1 (3:1)-Schützenfest gegen den VfB Stuttgart gerade einmal als Kurzarbeiter. Als der teuerste Spieler in der Geschichte der Fußball-Bundesliga an seinem 24. Geburtstag sein Debüt im Münchner Trikot feiern durfte, hatten seine Kollegen längst erfolgreich die Vorarbeit geleistet.
Martínez betrat am Sonntag in der 77. Spielminute für Bastian Schweinsteiger unter großem Beifall der 71.000 Zuschauer in der ausverkauften Münchner Arena den Rasen. Zu diesem Zeitpunkt hatten Thomas Müller (32./49.), Toni Kroos (33.), Luiz Gustavo (43.), Mario Mandzukic (47.) und der wieder als Chef präsente Schweinsteiger (51.) den deutschen Rekordmeister bereits erneut an die Tabellenspitze geschossen.
Die mit zwei Niederlagen fehlgestarteten Stuttgarter waren durch Martin Harnik (25.) in Führung gegangen - danach hatten sie dem Spielrausch der Münchner nichts entgegenzusetzen. Für den negativen Höhepunkt sorgte nach einem rustikalen Zweikampf mit Jérôme Boateng VfB-Torjäger Vedad Ibisevic, der sich zu einem Kopfstoß hinreißen ließ und Rot (74.) sah. „Deutscher Meister wird nur der FCB“, skandierten die Bayern-Anhänger begeistert.
FCB-Coach Jupp Heynckes änderte seine Startelf im Vergleich zum 3:0 bei Greuther Fürth auf zwei Positionen: Franck Ribéry ersetzte Xherdan Shaqiri, für den wegen einer Erkältung aus dem Kader gestrichenen Arjen Robben rückte Schweinsteiger erstmals in dieser Saison in die Anfangsformation.
Eigentlich hatte es für Stuttgart gut angefangen
Stuttgarts Coach Bruno Labbadia brachte nach dem 0:1 gegen den VfL Wolfsburg ebenfalls zwei Neue: Gotoku Sakai und Shinji Okazaki verdrängten Tim Hoogland und Ibrahima Traoré aus der Startelf.
Der VfB begann erstaunlich selbstbewusst. Die schlechte Abstimmung in der Bayern-Deckung nutzte fast Harnik nach vier Minuten: Seinen Schuss aus 13 Metern nach einem Solo lenkte Münchens Keeper Manuel Neuer gerade noch mit den Fingerspitzen an die Latte.
Weckruf für den FC Bayern! Der Rekordmeister übernahm das Kommando, und der alte Schweinsteiger blitzte wieder auf. Er machte in den Zweikämpfen einen starken Eindruck und sorgte für einige schöne Spieleröffnungen. Die erste Bayern-Gelegenheit vergab sein agiler Sechser-Partner Luiz Gustavo (24.) aus 18 Metern. Sowohl der Brasilianer als auch Schweinsteiger betrieben Eigenwerbung.
Offensiv blieben die Münchner zunächst zu unpräzise. Stuttgarts auffälligster Akteur war zur schmeichelhaften Führung zur Stelle: Während einer Behandlung von Boateng am Spielfeldrand stand Harnik alleine am zweiten Pfosten und knallte in Münchner Unterzahl einen Freistoß von Arthur Boka volley in die Maschen.
Luiz Gustavo drehte das Spiel
Ribéry & Co. reagierten in der munteren Partie vehement: VfB-Keeper Sven Ulreich konnte nach einer Flanke von Mandzukic den Schuss von Müller nur abprallen lassen - die Nummer 25 verwandelte selbst. Nur eine Minute später eroberte Luiz Gustavo den Ball in der Stuttgarter Hälfte, Kroos traf zur Führung.
Stuttgart versteckte sich nicht - vergebens. Nach einem Rempler von Boka gegen Mandzukic blieb den Gastgebern der fällige Elfmeter verwehrt, zwei Minuten vor der Pause drehte Luiz Gustavo mit dem 3:1 vor den Augen seines Konkurrenten Martínez vollends das Spiel. Es war sein zweites Bundesligator nach dem Siegtreffer zum 1:0 gegen den VfL Wolfsburg am 13. August des vergangenen Jahres.
Der unerbittliche Bayern-Express legte in der zweiten Hälfte gegen den bemitleidenswerten Ulreich nach. Nach einem katastrophalen Fehlpass von Sakai erhöhte Mandzukic, dann traf Müller nach Vorlage des Kroaten, ehe sich Schweinsteiger in die Riege der Torschützen einreihte - alles innerhalb von nur vier Minuten. Die Gäste aus Schwaben überboten sich in defensiver Naivität. | taz. die tageszeitung | In einem munteren Spiel gewinnt der FC Bayern mit 6:1 gegen den VfB Stuttgart. Die Gäste überboten sich dabei an defensiver Naivität. | [
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EEG-Umlage steigt leicht an: Strom wird wieder teurer - taz.de | EEG-Umlage steigt leicht an: Strom wird wieder teurer
Die Ökostrom-Umlage steigt im nächsten Jahr an, auch die Netzentgelte nehmen wohl zu. Langfristig sollen die Preise aber sinken.
Dreht er sich wie immer, wird es nächstes Jahr teurer: der Stromzähler Foto: Julian Stratenschulte/dpa
BERLIN taz | Die sogenannte EEG-Umlage steigt 2020 leicht an, bleibt aber niedriger als 2017 und 2018. Statt bisher 6,41 Cent müssen Verbraucher*innen von Januar an 6,76 Cent pro Kilowattstunde für die Umlage bezahlen. Mit dem daraus erlösten Geld finanzieren die meisten Verbraucher gemäß Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) den Ausbau des Ökostroms in Deutschland. Für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden erhöht sich die monatliche Stromrechnung durch den Anstieg um gut 1 Euro im Monat.
Der Anstieg der EEG-Umlage hatte vor einigen Jahren für heftige Debatten über die Kosten der Energiewende geführt – obwohl er nicht nur am zunehmenden Ausbau von Wind-, Biomasse- und Solarkraftwerken lag, sondern zu einem großen Teil an immer größeren Ausnahmen für große Unternehmen, die zu steigenden Kosten für die übrigen Verbraucher*innen führten. Seit 2014 pendelt sie nun im Bereich zwischen 6 und 7 Cent. „Die Reformen, die wir in den letzten Jahren umgesetzt haben, machen den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich günstiger“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).
Dass die Umlage im nächsten Jahr leicht steigt, obwohl die Förderkosten für neue Wind- und Solaranlagen stark gesunken sind, liegt vor allem daran, dass in diesem Jahr mehrere Windparks im Meer in Betrieb gegangen sind, für deren Strom noch ein vergleichsweise hoher Aufschlag gezahlt wird. Auch sind die Rücklagen auf dem EEG-Konto durch eine höhere Produktion von Solarstrom zurückgegangen.
Anstieg der Netzentgelte
Teurer wird der Strom im nächsten Jahr aber nicht nur durch die leicht steigende EEG-Umlage. Vielerorts wird auch mit einem Anstieg der Netzentgelte gerechnet, mit denen Ausbau und Instandhaltung der Stromnetze finanziert werden, berichtete der Ökostrom-Anbieter Lichtblick. Und auch der Preis für den Strom selbst wird voraussichtlich steigen, vor allem aufgrund der höheren Kosten für CO2-Zertifikate. Der Thinktank Agora-Energiewende schätzt den Gesamt-Anstieg auf 1 Cent pro Kilowattstunde, was für einen Durchschnittshaushalt etwa 3 Euro im Monat bedeutet.
Nach dem Jahr 2021 sollen die Strompreise dann aber wieder sinken. Zum einen fallen dann die ersten, verhältnismäßig teuren Anlagen nach 20 Jahren aus der Förderung, während neue Wind- und Solaranlagen kaum noch Mehrkosten verursachen. Zum anderen plant die Bundesregierung im Gegenzug für die Einführung eines Emissionshandels für Wärme und Verkehr die EEG-Umlage in drei Schritten abzusenken.
An diesem Plan gibt es aber auch Kritik. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft etwa schlägt vor, stattdessen die Stromsteuer zu senken, weil staatliche Zuschüsse zur EEG-Umlage Probleme mit dem EU-Beihilferecht bringen könnten.
Ähnlich sieht das auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden. „Statt sich an der EEG-Umlage mit völlig untauglichen Vorschlägen abzuarbeiten, muss die Regierungskoalition endlich die Abgaben und Umlagen im Stromsektor neu ordnen“, erklärte sie.
Für die Linke fordert der Energiepolitiker Lorenz Gösta Beutin, zur Entlastung der Verbraucher*innen die Industrierabatte bei der EEG-Umlage abzuschaffen und zusätzlich die Stromsteuer zu senken. Der Stromanbieter Greenpeace Energy erklärte unter Berufung auf eine neue Studie, der Ausbau der erneuerbaren Energien erspare der Gesellschaft durch die vermiedenen Umwelt- und Klimaschäden hohe Kosten. | Malte Kreutzfeldt | Die Ökostrom-Umlage steigt im nächsten Jahr an, auch die Netzentgelte nehmen wohl zu. Langfristig sollen die Preise aber sinken. | [
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Historische Medaille im Turnen: Solo für das Team - taz.de | Historische Medaille im Turnen: Solo für das Team
In der deutschen Riege werden die Turnerinnen an allen Entscheidungen beteiligt. Der Lohn für diese Praxis der Mitbestimmung ist Bronze bei der EM.
Maximale Konzentration: Elisabeth Seitz punktet für das deutsche Team am Stufenbarren Foto: reuters
MÜNCHEN taz | Es gibt im Sport manchmal solche Momente: Momente, in denen man unweigerlich den Eindruck gewinnt, der Ablauf eines Wettbewerbs folge einem Drehbuch. Das Teamfinale der Turnerinnen bei der EM in München, das mit der ersten Medaille für ein deutsches Team in der Historie dieses Wettbewerbs endete, war ein solcher Moment. Eine EM vor heimischem Publikum, der letzte Auftritt von Kim Bui, ein idealer Einstand für Bundestrainer Gerben Wiersma. „Es ist großartig“, sagte der Niederländer: „Ich freue mich unglaublich für die Turnerinnen und auch für die anderen Trainer, es ist ein wunderbares Team.“
Das Team – um dieses Wort herum war das Drehbuch für den Samstagnachmittag konzipiert. Dabei ist Turnen ja gerade keine Mannschaftssportart, eine ohne Pässe, ohne Spielzüge. Es wird auch kein Staffelstab übergeben, der in anderen Disziplinen aus Solisten zumindest für den Moment ein voneinander abhängiges Ensemble formt. Die Turnerin betritt allein das Podium und präsentiert ihr Können. Ein Teamwettbewerb wird das Ganze nur dadurch, dass am Ende die Summe der einzeln abgelieferten Leistungen addiert wird. So ist es zumindest auf dem Papier.
Dass die Realität komplexer ist, das erklärten die deutschen Turnerinnen im Anschluss: „Wir haben uns gegenseitig durch den Wettkampf getragen“, formulierte es eine überglückliche Kim Bui. Dass es ausgerechnet für sie – die immer Teamplayerin und so gut wie nie erfolgreiche Solistin war – bei ihrem letzten Wettbewerb die erste Teammedaille gibt – fast eine zu perfekte Pointe in einem Drehbuch. „Jeder wusste, dass sein Rücken durch das Team gestärkt wird, das war heute ausschlaggebend“, urteilte Pauline Schäfer, die mit einer weltmeisterlichen Balkenübung beeindruckte.
Elisabeth Seitz erklärte es so: „Klar, sobald man aufs Podium geht, steht man da alleine. Aber wenn man weiß, dass das ganze Team hinter einem steht, dann ist das so ein wahnsinnig gutes und beruhigendes Gefühl, dass die Übung einfach noch besser läuft.“ Sarah Voss, der am Ende des Wettkampfs ihr Sprung gelungen war, sagte: „Ich hatte vom ersten Schritt bis zur Landung das Gefühl, dass mein Team mich da durchschreit und mich schweben lässt.“
Spannung bis zum Sprung
Am letzten Gerät hatte es auch nicht an filmreifer Spannung gefehlt: An Italiens Überlegenheit bestand kein Zweifel, aber die Entscheidung um die Plätze dahinter fiel mit den letzten drei Übungen. In solchen Momenten ist, auch das mag kurios anmuten, die richtige Strategie gefragt. Was können die anderen zeigen? Was muss man riskieren, um im Spiel zu bleiben?
Im konkreten Fall: Soll die durch eine Wadenverletzung gehandicapte Sarah Voss ihren Jurtschenko-Sprung mit einer oder zwei Längsachsendrehungen anmelden. Eine Drehung, die acht Zehntelpunkte im Schwierigkeitswert bedeutet. „Unsere Strategie ist voll aufgegangen.“ Gerben Wiersma wirkte ein wenig erleichtert. Er wusste um die deutlich schwierigeren Sprünge der Französinn. „Wir haben entschieden, es zu versuchen, das war wirklich aufregend.“
Gerben Wiersma verfolgt ein Konzept, in dem dieses „Wir“ im Teamwettbewerb eine entscheidende Rolle spielt. „Ich mache die Vorschläge, und dann besprechen wir das gemeinsam, insbesondere was die Reihenfolge am Gerät betrifft, denn ich will, dass die Turnerinnen sich in ihrer Rolle wohlfühlen.“ So war es dazu gekommen, dass Emma Malewski an zwei Geräten als erste Turnerin startete.
Die mit 18 Jahren Jüngste hatte diese schwierige Aufgabe nach ein wenig Bedenkzeit angenommen und bravourös gemeistert. „Ich bin gern am Anfang dran, dann ist es vorbei“, hatte sie erklärte. Am Samstag blickte Emma immer wieder ungläubig auf diese Medaille. Auf Nachfrage bekräftigte Wiersma: „Ja, die Turnerinnen werden in alle wichtigen Entscheidungen einbezogen.“ Eine klare Haltung, nicht zuletzt angesichts der jüngsten Debatten über grenzüberschreitendes Trainerverhalten im Frauenturnen. Eine Haltung, die in Zukunft in keinem Drehbuch fehlen sollte. | Sandra Schmidt | In der deutschen Riege werden die Turnerinnen an allen Entscheidungen beteiligt. Der Lohn für diese Praxis der Mitbestimmung ist Bronze bei der EM. | [
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Signal aus der Sahara - taz.de | Signal aus der Sahara
Auswärtiges Amt erhofft sichere Heimkehr der Verschleppten: Lösegeldforderung blockiert nicht mehr
BERLIN afp ■ Nach Signalen für Bewegung im Drama um die Sahara-Geiseln hofft die Bundesregierung auf eine sichere Heimkehr der 14 verschleppten Touristen. „Wir haben auch jetzt die Hoffnung, dass die Betroffenen sicher und unversehrt nach Hause kommen“, sagte die Vizesprecherin des Auswärtigen Amtes, Antje Leendertse, am Freitag. Zuvor hieß es, dass die Lösegeldforderung die Verhandlungen um eine Freilassung nicht mehr blockiert. Für den Fall einer Freilassung der Geiseln steht ein medizinisch ausgerüstetes Flugzeug im Norden Malis bereit.
Über einen konkreten Zeithorizont für eine Rückkehr der Geiseln wollte Leendertse nicht spekulieren. Staatssekretär Jürgen Chrobog sei erst am Donnerstag aus Algerien und Mali zurückgekehrt. Zu Einzelheiten seiner Gespräche könne das Auswärtige Amt keine Auskunft geben.
Das Team um Vermittler Iyad Ag Ghali hatte von Bewegung bei den Verhandlungen über die Freilassung berichtet. „Man kann davon ausgehen, dass der Streit um die Lösegeldforderung behoben ist und keinen Blockadefaktor mehr bei den Verhandlungen darstellt“, hieß es. Dies bedeute weder, dass die Lösegeldforderungen erfüllt wurden, noch dass die Entführer ihre Forderung zurückgezogen hätten. | taz. die tageszeitung | Auswärtiges Amt erhofft sichere Heimkehr der Verschleppten: Lösegeldforderung blockiert nicht mehr | [
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Occupy-Demonstrationen in Deutschland: Protest, Part zwei - taz.de | Occupy-Demonstrationen in Deutschland: Protest, Part zwei
In Deutschland gab es am Nachmittag erneut Proteste gegen die Macht der Banken. In Berlin, Frankfurt und zahlreichen anderen Städten demonstrierten Tausende.
Versonnen in Berlin: Protestierender vor dem Reichstagsgebäude. Bild: reuters
BERLIN taz | Nachdem am vergangenen Wochenende weltweit hunderttausende und in Deutschland einige zehntausend Menschen gegen die Macht der Banken und für mehr Demokratie protestiert hatten, kam es am Samstagnachmittag in zahlreichen Städten zu neuen Demonstrationen. Dabei blieb der Zulauf zunächst etwas geringer als am Wochenende zuvor.
In Berlin versammelten sich am Nachmittag einige hundert Menschen in einer "Assembleia", einer basisdemokratischen Vollversammlung, auf der Reichstagswiese vor dem Parlament. Die Polizei, die mit zahlreichen Kräften im Einsatz war, hatte zuvor versucht, die Demonstranten vom Betreten der Wiese abzuhalten.
Am frühen Nachmittag hatten sich zunächst rund 150 Menschen am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor versammelt. Mehrere hundert Menschen demonstrierten außerdem auf der Allee Unter den Linden. Gemeinsam zogen die Demonstierenden dann vom Brandenburger Tor zum benachbarten Bundestagsgelände.
Demos in DeutschlandNeue Welle: Nach den Protesten vom vergangenen Wochenende werden in zahlreichen deutschen Städten für den heutigen Samstag neue Demonstrationen erwartet. In mindestens 19 Städten soll bundesweit demonstriert werden.Die Termine: Berlin 13 Uhr, Bonn 12 Uhr, Bremen 15 Uhr, Düsseldorf 13 Uhr, Frankfurt am Main 12 Uhr, Flensburg 16 Uhr, Freiburg 15 Uhr, Hamburg 18 Uhr, Hannover 17 Uhr, Heidelberg 10 Uhr, Kiel 11 Uhr, Köln 12 Uhr, Lübeck 15 Uhr, Lüneburg 18 Uhr, München 12 Uhr, Rostock 15 Uhr, Schwerin 15 Uhr, Stuttgart 15 Uhr, Ulm 15 Uhr.Mehr Details zu den einzelnen Veranstaltungsterminen unter: bewegung.taz.de
Die Polizei versuchte wiederholt mit Menschenketten und Absperrungen die Menschen am Zugang zum Gelände zu hindern. Diese umflossen aber friedlich die Ketten und richteten sich auf der Reichstagswiese ein. Die Beamten duldeten dies zunächst, kündigten aber an, das Aufstellen von Zelten zu unterbinden.
Auch in mindestens 19 weiteren Städten waren für den Nachmittag Proteste geplant. In Frankfurt am Main ging es bereits am Morgen los. Dort kam es zu einer zwar friedlichen, doch besonderen Auseinandersetzung: Ein rechtskonservatives Aktionsbündnis unter dem Namen "Direkte Demokratie" hatte dort für 11 Uhr zu dem Protestcamp vor der Europäischen Zentralbank (EZB) gerufen, an dem sich seit Samstag Demonstranten in Zelten niedergelassen haben und seitdem bei teils frostigen Temperaturen dort ausharren.
Der Zusammenschluss euroskeptischer Gruppen, zudem unter anderem die sogenannte "Partei der Vernunft" zählt, mobilisierte rund 250 Demonstranten – und sorgte für zahlreiche Reaktionen seitens der PlatzbesetzerInnen der Occupy-Bewegung. Mit Trillerpfeifen und Trommeln versuchten diese, die rechten Demonstranten an ihren Redebeiträgen zu hindern.
Um die Demonstration des Bündnisses zu ermöglichen, die direkt am Zeltcamp begann, mussten zuvor acht Zelte von Platzbesetzern abgebaut werden. Es kam wiederholt zu Anfeindungen und lauteren Wortwechseln.
Die zentrale Großdemonstration der Globalisierungskritiker, zu der die Occupy-Bewegung gemeinsam mit Attac aufgerufen hatte, setzte sich dann um 12 Uhr vom Frankfurter Rathenauplatz zum Protestcamp an der EZB in Bewegung. Daran beteiligten sich mehrere tausend Menschen. Am Zielort angekommen, löste sich die Demonstration in feierlicher Stimmung auf.
Seitens der rechtsextremen Partei NPD, die zuvor dazu aufgerufen hatte, sich an der Demonstration zu beteiligen, war keine Beteiligung erkennbar. Auch in anderen Städten wie Düsseldorf, Rostock, Hannover und Kiel waren für den Nachmittag Proteste angekündigt. (Mitarbeit: Felix Dachsel, Jannis Hagmann) | Martin Kaul | In Deutschland gab es am Nachmittag erneut Proteste gegen die Macht der Banken. In Berlin, Frankfurt und zahlreichen anderen Städten demonstrierten Tausende. | [
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Bildung in der Coronakrise: Schule schon wieder rum - taz.de | Bildung in der Coronakrise: Schule schon wieder rum
Im Berchtesgadener Land sind Schulschließungen bereits Realität. Die Kultusministerien wollen das großflächig jedoch verhindern. Klappt das?
Lüften hilft! Unterricht in der Freiherr-vom-Stein-Schule in Bonn Foto: Wolfgang Rattay/reuters
BERLIN taz | In einem bayerischen Landkreis ist es schon wieder soweit. Die Schulen im Berchtesgadener Land sind geschlossen, die Schüler:innen werden digital zu Hause unterrichtet, denn das Coronavirus grassiert im Landkreis derzeit so stark wie fast nirgendwo sonst in Deutschland. Eltern protestieren hier seit Tagen mit Mund-Nase-Bedeckung und Abstand gegen diese Entscheidung. Zudem haben sie eine Petition gegen die Maßnahmen gestartet: 3579 Unterstützer:innen haben bereits unterschrieben. Bundesweit fragen sich Eltern seitdem: Ist Homeschooling bald wieder im ganzen Land Alltag?
Die Antwort der zuständigen Kultusministerien in den Ländern ist klar: Schulschließungen sollen umgangen werden und zwar so lange wie möglich. Das betont die Kultusministerkonferenz (KMK) vehement. Es wird darauf hingewiesen, dass Schulen vergleichsweise selten zu den Infektionsherden gehörten. Deshalb erarbeitete die KMK einen länderǘbergreifenden Beschluss, welche Präventionsmaßnahmen wann sinnvoll sind. Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden, entscheiden dann vor allem die lokalen Gesundheitsämter mit Blick auf das Infektionsgeschehen.
So richtig sicher, dass es gelingen wird, die Schulen flächendeckend offenzuhalten, scheinen die Kultusministerien auf Nachfrage nicht: „Wir tun alles, um die Schließungen zu vermeiden – aber zum jetzigen Zeitpunkt kann das nicht ganz ausgeschlossen werden“, sagt etwa Martin Klesmann, Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.
Stattdessen soll versucht werden, den Stufenplan – Maßnahmen, die sich an den veränderten Infektionswerten orientieren – solange wie möglich einzuhalten. Statt sofort Schulen zu schließen sollen zuerst weniger drastische Schritte eingeleitet werden und die Regeln bei Bedarf Schritt für Schritt verschärft werden.
Von der ersten Welle gelernt?
Die aktuellen Zahlen seien ein Warnschuss, sagt Birgit Hilmer. Sie ist Teil von „Familien in der Krise“, einem bundesweiten Zusammenschluss von Eltern. „Seit Monaten ist klar, dass Herbst und Winter in Coronazeiten für Kinder und Jugendliche schwierig werden. Die Kultusministerkonferenz hat sich zu wenig damit auseinandergesetzt, sinnvolle Maßnahmen für Schulen zu entwickeln“, sagt sie. Probleme sieht Hilmer etwa beim digitalen Lernen: „Die Schüler:innen müssen in den Schulen den Umgang mit Tablets lernen, sonst ist der Betreuungsaufwand zu Hause zu hoch“.
Klesmann von der Berliner Senatsverwaltung weist solche Kritik zurück. Er betont, dass die Schulen deutlich besser vorbereitet seien, Unterricht zu Hause zu gestalten. „Wir haben viel aus den ersten Schulschließungen gelernt“, sagt er. In Berlin seien 9500 Tablets für Schüler:innen aus bedürftigen Familien gekauft worden, damit der Unterricht im Falle einer Schulschließung weiterlaufen könne. Zudem seien zusätzliche IT-Kräfte angestellt worden, die sich um die reibungslose Betreuung der digitalen Schule kümmern sollen. „Insgesamt sehen wir die Krise als Chance, denn alle haben ihr möglichstes gegeben, um daraus zu lernen“, ist sich Klesmann sicher.
Neben den Maßnahmen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während der gesamten Unterrichtszeit oder dem permanenten Lüften hebt Günther Schuster, Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums, besonders die Stärken des Wechselunterrichts mit halbierten Klassenstärken hervor. Dabei handelt es sich um eine Maßnahme, mit der Gesundheitsämter und Schulen auf steigende Infektionszahlen reagieren können, ohne gleich alle Schüler:innen nach Hause schicken zu müssen. Stattdessen ist meist im wöchentlichen Wechsel die Hälfte einer Klasse in der Schule präsent, während die anderen Schüler:innen parallel digital zu Hause unterrichtet werden.
Das Konzept des Wechselunterrichts in seiner derzeitigen Form findet Hilmer von „Familien in der Krise“ dagegen verbesserungswürdig: „Eltern werden alle zwei Wochen vor ein Betreuungsproblem gestellt, wenn die Kinder dann zu Hause unterrichtet werden.“ Eine Alternative dazu? „Man könnte zum Beispiel die eine Hälfte der Klasse vormittags und die andere nachmittags beschulen.“ Hilmer räumt aber ein: „Dann müssten allerdings die Lehrkräfte noch deutlicher entlastet werden.“ Sie kritisiert, dass über Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft politisch mehr verhandelt werde, als über Möglichkeiten, wie Schüler:innen für den Unterricht angemessen ausgestattet werden können. | Christina Gutsmiedl | Im Berchtesgadener Land sind Schulschließungen bereits Realität. Die Kultusministerien wollen das großflächig jedoch verhindern. Klappt das? | [
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Fels in der kapitalistischen Brandung - taz.de | Fels in der kapitalistischen Brandung
Der Karl-Liebknecht-Gedenkstein, Berlins einziges „Antikriegsdenkmal“, steht dem Bürohaus von Asea Brown Boveri im Weg / Denkmalschützer Elfert fordert den Erhalt des Steins ■ Von Rolf Lautenschläger
Ins Abseits geratene Gedenkorte teilen ihr Schicksal mit dem alter Fotos. Sie verbleichen und werden vergessen. Zur Schleifung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Berlins einzigem Antikriegsdenkmal, dem Karl-Liebknecht-Grundstein am Potsdamer Platz, droht ein solch klagloser Abriß. Der mächtige dunkle Steinquader am U-Bahnhof Potsdamer Platz war 1951 von DDR-Ministerpräsident Grotewohl enthüllt worden, damit er anläßlich des 80. Geburtstages des Arbeiterführers an dessen Aufruf gegen den Krieg 1916 erinnere. Seit 1989 verwittert der windschiefe Stein hinter einem Bauzaun und steht nun dem Bürohaus von Asea Brown Boveri (ABB) im Wege.
Für den in der Öffentlichkeit fast unbekannten Gedenkstein könnte es „eng“ werden. ABB will noch in dieser Woche mit „bauvorbereitenden Bohrungen“ beginnen. Das Unternehmen könnte die Abräumung des 1,70 Meter hohen Quaders veranlassen, fehlt doch dem Grundstein der Denkmalschutz. Die von ABB mit der Bauausführung beauftragte Roland Ernst Städtebau GmbH läßt keinen Zweifel daran, das „häßliche Ding, wenn es im Wege ist“, abzureißen, so Projektleiter Sommer.
Der Grundstein und die Bedeutung des Ortes, so der Kunsthistoriker Eberhard Elfert, sollten durch die geplanten Baumaßnahmen nicht der Vergessenheit anheimfallen. Es sei zwar klar, daß der Stein dem Neubau weichen müsse. Um den Grundstein aber vor der Zerstörung zu bewahren, fordert Elfert von der Baudenkmalpflege, noch in dieser Woche zu prüfen, „ob es sich bei dem Quader um ein Denkmal handelt“. Sollte keine Unterschutzstellung erfolgen, dürfe der Stein jedoch auch nicht abgerissen werden, „da ihm eine historische Bedeutung zukommt“. Elferts Vorschlag: Der Senat als Eigentümer des Steins könne den Block zerlegen und diesen nach dem Ende der ABB-Baumaßnahmen im nahen Park wieder aufstellen. Möglich sei auch die Einlagerung des Quaders in das Denkmaldepot.
Für Elfert und andere Denkmalschützer ist der Liebknecht- Grundstein so interessant, weil er „als einziges Antikriegsdenkmal in Berlin“ zugleich den spezifischen Charakter der politischen Denkmäler der DDR der fünfziger Jahre verkörpert. Am 1. Mai 1916 hatte Karl Liebknecht am Potsdamer Platz zur Beendigung des Ersten Weltkriegs aufgerufen und die Reichsregierung als kapitalistische Kriegsgewinnler beschimpft. Liebknecht wurde verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Um dem Politiker am authentischen Ort ein Denkmal zu setzen, ließ der Ostberliner Magistrat 1951 den Sandsteinblock mit Inschrift aufstellen: „Grundstein eines Denkmals für Karl-Liebknecht 1871-1919. Von dieser Stelle aus rief Liebknecht am 1. Mai 1916 zum Kampf gegen den imperialistischen Krieg und für den Frieden auf.“ Eine Skulptur war für den „Sockel“ nicht vorgesehen. Am Potsdamer Platz, der Schnittstelle zwischen Ost- und Westberlin, diente der dicke Brocken vielmehr als steinernes Zeugnis politischer Propaganda. Elfert: „Ein Fels in der kapitalstischen Brandung.“ Nach dem Mauerbau geriet der Block zum absurden Zeichen. Zwischen der inneren und äußeren Mauer gelegen, führte er ab 1961 auf dem freigeharkten Todesstreifen sein einsames Dasein. Erst 1989 war der Ort wieder frei zugänglich.
Ob es gelingt, den Quader zu bewahren, ist fraglich. Wenig Chancen für eine Unterschutzstellung sehen Horst Giese, Mitglied der Denkmalkommission Berlin- Mitte, und die PDS-Landtagsabgeordnete Sigrun Steinborn. Während Giese dem „komischen Sockel“ keinen großen Wert zubilligt, aber für eine „Ehrung Liebknechts an dieser Stelle“ plädiert, hofft Steinborn darauf, den vergessenen Liebknecht mittels einer Gedenktafel in der Erinnerung erhalten zu können. Auf Anfrage ließ Sommer offen, ob nach der Fertigstellung des ABB-Hauses eine Gedenktafel an die Antikriegsrede erinnern könnte. Für Elfert ist eine Gedenktafel freilich zu wenig. Der Grundstein müsse „wo auch immer“ aufbewahrt werden, weil er ein Zeugnis der unterschiedlichen „Ost- und Westberliner Denkmaltopographie“ sei. | Rolf Lautenschläger | Der Karl-Liebknecht-Gedenkstein, Berlins einziges „Antikriegsdenkmal“, steht dem Bürohaus von Asea Brown Boveri im Weg / Denkmalschützer Elfert fordert den Erhalt des Steins ■ Von Rolf Lautenschläger | [
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Landwirtschaft versus Wasserwerke: Wasserstrategie da, Folgen fraglich - taz.de | Landwirtschaft versus Wasserwerke: Wasserstrategie da, Folgen fraglich
Das Bundeskabinett beschließt eine Wasserstrategie. Sie lässt weitgehend offen, wer besser versorgt werden soll: Wasserwerke oder Landwirtschaft.
Eine klare Priorisierung in der Trinkwasserversorgung bleibt weiterhin offen Foto: Janine Schmitz/imago
BERLIN taz | Angesichts der Klimakrise mit Dürre- und Hitzeperioden hat die Bundesregierung eine Nationale Wasserstrategie beschlossen, die unmittelbar aber keine praktischen Folgen hat. Das Kabinett der Ampelkoalition billigte Umweltministerin Steffi Lemkes (Grüne) Vorlage am Mittwoch, nachdem mehr als 300 Teilnehmende aus etwa Wasserbranche, Landwirtschaft und Forschung zwei Jahre lang darüber diskutiert hatten.
Dennoch lässt die Strategie zum Beispiel weitgehend offen, wer mehr Wasser bekommen soll: Wasserwerke für die Trinkwasserversorgung oder die Landwirtschaft für die Bewässerung von Feldern. Zudem ist fraglich, ob die 78 vorgeschlagenen Maßnahmen der Strategie überhaupt umgesetzt werden.
Dabei sagte Lemke: „Die Folgen der Klimakrise für Mensch und Natur zwingen uns zum Handeln. Die vergangenen Dürrejahre haben deutliche Spuren in unseren Wäldern, Seen und Flüssen und in der Landwirtschaft hinterlassen.“ Extremwetterereignisse träten immer häufiger auf, immer noch werde Wasser verschmutzt. Klar ist auch: Der Verteilungskampf um das knapper werdende Gut wird schärfer.
Trotz dieser Dringlichkeit heißt es in der Strategie zum Thema Nutzungskonflikte nur, dass gemeinsam mit den Ländern ein „Orientierungsrahmen für lokale oder regionale Priorisierungsentscheidungen geschaffen“ werden solle. Zwar ist von einem „Vorrang der Trinkwasserversorgung“ die Rede, aber nur in Klammern.
Trinkwasserversorgung hat Vorrang
Im selben Satz wird auch der Versorgung mit Lebensmitteln – das könnte so allgemein formuliert auch Fleisch sein – eine „besondere Bedeutung“ bei der Wasserverteilung zugebilligt. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) forderte deshalb auch, der Vorrang der Trinkwasserversorgung „sollte in der Nationalen Wasserstrategie noch deutlicher und klarer herausgearbeitet werden“. Trinkwasser müsse „immer an erster Stelle stehen“.
Immerhin setzt die Strategie das Ziel, gemeinsam mit den Ländern mittelfristig ein „Grundwasser-Echtzeitentnahmemonitoring“ aufzubauen. Auch ein „Wasserregister zur Registrierung aller genehmigten, beantragten und tatsächlichen Grundwasserentnahmen“ soll mehr Transparenz schaffen. Das zielt neben anderen Bereichen auf die Landwirtschaft, die laut Behörden nur 2 Prozent des in Deutschland verwendeten Wassers verbraucht.
Diese Zahl wird aber bezweifelt, weil sie auf Selbstauskünften der Landwirte beruht und auffällig niedrig ist im internationalen Vergleich. Teilweise benötigen Bauern noch nicht einmal eine Genehmigung, um Grundwasser zu fördern. Diese Ausnahmen von der Erlaubnispflicht sollen nun zumindest überprüft werden – aber auch, ob bisher nicht bestehende „Bagatellgrenzen für die Erlaubnispflicht“ nötig sind.
Kritik von Campact
Ebenfalls nur geprüft werden soll, ob überregionale Fernwasserleitungen gebaut und einheitliche Entgelte zur Wasserentnahme erhoben werden müssen. Gemeinsam mit den Kommunen und den Fachverbänden sollen Umwelt- und Bauministerium sowie die Länder ein Konzept für eine „Schwammstadt“ entwickeln, die Regen aufnimmt und speichert.
Die Kampagnenorganisation Campact kritisierte, dass eine klare Priorisierung der Trinkwasserversorgung aus früheren Entwürfen gestrichen worden sei. Der Naturschutzbund lobte die Strategie, aber forderte, bei der „großen Bandbreite an Zielen“ in dem Papier den Fokus richtig zu setzen. „Der Schutz und die Renaturierung von Gewässerökosystemen und Auen in großem Maßstab muss die vordringlichste Aufgabe sein, um hier endlich einen Vorsprung gegenüber drohenden Klimaextremen wie Hochwasser und Dürren zu erarbeiten“, so Deutschlands größte Umweltorganisation. | Jost Maurin | Das Bundeskabinett beschließt eine Wasserstrategie. Sie lässt weitgehend offen, wer besser versorgt werden soll: Wasserwerke oder Landwirtschaft. | [
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Lufthansa hat „Natur auf dem Teller“ - taz.de | Lufthansa hat „Natur auf dem Teller“
■ Kost aus ökologischem Anbau - allerdings nur in den Kantinen
Die 6800 Beschäftigten der Hamburger Lufthansawerft können sich freuen: In ihre beiden Kantinen kommt nämlich, im Gegensatz zu den Dosenwaren und Billigprodukten, die sonst häufig in Massenverköstigungsanstalten vorzufinden sind, jetzt mehrmals in der Woche „Natur auf den Teller“ - Gerichte aus Erzeugnissen des ökologischen Landbaus. Das Projekt, das die Deutsche Lufthansa zusammen mit der deutschen Umwelthilfe realisiert hat, ist nach Angaben der Ernährungswissenschaftlerin Sibylle Frey das größte seiner Art in deutschen Kantinen.
Die Zutaten für die mehr als 8100 warmen und kalten Mahlzeiten, die die Kantinen täglich austeilen, wachsen auf dem Gut Wulksfelde in Tangstedt bei Hamburg – ein privates Gut, das den Biolandbau unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betreibt, „und nicht unter ideologischen“, wie Franzjosef Darius, Pressesprecher der Lufthansa, gleich klarstellt. „Die sind keine Körnermahler, jedenfalls nicht nur.“
Das Resultat ist jedenfalls das gleiche: Schlachttiere werden artgerecht in Gruppen gehalten und bis zum Tod ebenso artgerecht gefüttert. Der Boden bleibt beim Anbau von Obst und Gemüse durch eine „ausgeklügelte Fruchtfolge“ und natürliche Düngung fruchtbar, es werden keine chemischen oder sonstwie synthetischen Hilfsmittel angewendet. Kartoffelkäfer beispielsweise werden durch eine Art Riesen-Staubsauger von den Pflanzen gesaugt.
Bei der Verarbeitung dieser Rohstoffe stehen den 214 Tonnen Fleisch, Fisch und Geflügel, die jährlich auf den 10.000 Quadratmetern Küchenfläche der Lufthansa in Hamburg verbraucht werden, allerdings nur 179 Tonnen Gemüse gegenüber. Vegetarische Gerichte gibt es nur ab und an, Fleischverächter können sich aber mit dem Salatbuffet mit 19 Sorten Grünkost über die Runden helfen.
Die Öko-Gerichte, die bis zu zehn Prozent teurer als andere sind, erfreuen sich jedenfalls schon großer Beliebtheit: Auf die Natürlichkeit gekommen schwärmen Sibylle Frey und Franzjosef Darius von deren aromatischem Geschmack – beispielsweise von der Kartoffelsuppe, die wirklich nach Kartoffeln schmeckt. Florian Sievers | Florian Sievers | ■ Kost aus ökologischem Anbau - allerdings nur in den Kantinen | [
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die dritte meinung: Ohne Familiennachzug riskiert Deutschland Parallelgesellschaften, sagt Mortaza Rahimi - taz.de | die dritte meinung: Ohne Familiennachzug riskiert Deutschland Parallelgesellschaften, sagt Mortaza Rahimi
Mortaza Rahimi
ist selbst anerkannter Flüchtling und engagiert sich im „Berliner Bündnis gegen Abschiebung nach Afghanistan“.
Während die Union bei den Jamaika-Verhandlungen versucht, den Familiennachzug für Flüchtlinge auch nach März 2018 auszusetzen, wartet Faris. Er ist ein Flüchtling aus Syrien und hofft verzweifelt darauf, seine Familie nachholen zu können. Er ist ein Beispiel von Tausenden anerkannten Flüchtlingen, denen ihre Rechte verweigert werden.
Derzeit ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit dem sogenannten subsidiären Schutz noch bis Ende März ausgesetzt. Die Willkommenspolitik der Bundesregierung war einer der Hauptgründe für Menschen in Not, in Deutschland Asyl zu suchen statt anderswo. Aus diesem Grund ist Deutschland die neue Heimat der von Krieg und Verfolgung geflüchteten Menschen geworden. Sie kommen meistens aus zerstörten Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan und sind allein gekommen, weil sie glauben, später die Familie nach Deutschland holen zu können. Weil sie sich nicht getraut haben, sich mit ihren Frauen und Kindern auf einen sehr gefährlichen Weg zu machen.
Ja, das war eine sehr gewaltige Zahl von Neuankömmlingen, und sie wird noch größer, wenn alle ihre engen Familienmitglieder nach Deutschland holen dürfen. Aber eines darf man nicht vergessen: Fas Recht auf Familienleben ist in der Kinderrechtskonvention der UNO und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert und muss beachtet werden.
Außerdem ist der Nachzug auch für Deutschland selbst wichtig – für die Integration der Neuangekommenen. Der Staat muss sich auf die Integration der Flüchtlinge konzentrieren, statt sie mit der Aussetzung der Familienzusammenführung zu behindern. Jemand, der vom Krieg geflohen ist, ist traumatisiert. Wenn er sich um die Familie sorgt, macht das den Integrationsprozess sehr schwierig. Statt sich auf den Aufbau des Leben in neuem Land zu konzentrieren, muss er ständig an die Familie denken.
Je mehr Hindernisse für die Integration geschaffen werden, desto größer ist die Gefahr der Bildung von Parallelgesellschaften. | Mortaza Rahimi | [
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EZB stellt Anleihekäufe ein: Eurokrise geht langsam zu Ende - taz.de | EZB stellt Anleihekäufe ein: Eurokrise geht langsam zu Ende
Die Europäische Zentralbank stellt ihre expansive Geldpolitik ein, hält aber an ihrer rigiden Nullzinspolitik fest. Ökonomen begrüßen das.
Gute Botschaft: EZB-Präsident Mario Draghi verkündet in Riga das Ende der Anleiheaufkäufe Foto: dpa
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das Ende ihrer expansiven Geldpolitik angekündigt und signalisiert damit das Ende der Eurokrise. An der strikten Zinspolitik hält die EZB aber weiter fest.
Nach einer Sitzung in Riga erklärte die Bank, abhängig von den Wirtschaftsdaten ihre Anleihenkäufe zum Jahresende einzustellen. Die Zinsen bleiben aber zunächst niedrig. Die Bank hält an der rigiden Nullzinspolitik und Strafzinsen für Einlagen fest.
Bislang waren Aufkäufe von Staats- und Unternehmensanleihen bis mindestens Ende September 2018 vorgesehen. Derzeit kaufen die Währungshüter für 30 Milliarden Euro pro Monat. Ab Oktober will die EZB nur noch 15 Milliarden Euro ausgeben.
Insgesamt sind die Käufe damit bis Ende 2018 auf knapp 2,6 Billionen Euro angelegt. Die EZB hatte zu diesen Maßnahmen gegriffen, um das Deflationsrisiko in der Eurozone zu bannen und die Wirtschaft zu stärken.
Befreiungsschlag
„Die Entscheidung der EZB ist ein Befreiungsschlag“, sagte der Ökonom Rudolf Hickel der taz. Hickel hat die Politik der EZB stets gegen Kritiker vor allem aus Deutschland verteidigt, die eine Staatsfinanzierung durch die Hintertür sahen. „Die Politik der EZB war sehr erfolgreich“, sagte er. Sie habe dafür gesorgt, dass es im Euroraum nicht zu Zusammenbrüchen gekommen sei. Jetzt gebe es Signale, die einen Richtungswechsel zuließen. „Wichtig ist, dass die EZB an ihrer strikten Nullzinsregime festhält“, sagte er.
„Die Entscheidung ist positiv zu bewerten“, sagte auch Silke Tober, geldpolitische Expertin des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Das Risiko der Deflation gebe es nicht mehr, auch die Gefahr einer Inflation bestehe nicht. Deshalb sei es angemessen, die Ankäufe auslaufen zu lassen.
Der Aufschwung in Deutschland und die Erholung im übrigen Europa habe sich gefestigt. „Die Entscheidung ist ein interessanter Kompromiss“, sagte die IMK-Expertin. Denn die Zinsen bleiben weiter auf einem günstigen Niveau, was für die Länder im Süden gut ist. „Es ist wichtig für den Euroraum, dass die Erholung anhält.“
Für Sparer ist das allerdings keine gute Nachricht, denn für sie wird sich zunächst nichts an den niedrigen Verzinsungen ihrer Guthaben ändern. Tober begrüßte, dass sich die EZB weiterhin die Option offen hält, einzugreifen. „Der Euroraum ist noch nicht so gefestigt, dass die Krise nicht mehr aufflammen kann“, sagte sie. | Anja Krüger | Die Europäische Zentralbank stellt ihre expansive Geldpolitik ein, hält aber an ihrer rigiden Nullzinspolitik fest. Ökonomen begrüßen das. | [
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Forscher zu Mobilfunkstrahlung: „Ich war durchaus überrascht“ - taz.de | Forscher zu Mobilfunkstrahlung: „Ich war durchaus überrascht“
Eine Studie von Alexander Lerchl zeigt, dass Strahlung Tumore bei Mäusen schneller wachsen lässt. Dass Mobilfunkfelder Krebs verursachen können, glaubt er trotzdem nicht.
Mobilfunkstrahlung ließ die Tumore von Mäusen in einer Bremer Untersuchung wachsen. Bild: dpa
taz: Herr Lerchl, telefonieren Sie viel mit dem Handy?
Alexander Lerchl: Nicht besonders. Aber ich reguliere das auch nicht bewusst, ich telefoniere generell nicht besonders viel.
Schalten Sie das Handy nachts ab?
Nein, da ist es im Stand-by-Modus. Mobiltelefone senden ohnehin nur alle paar Stunden ein Signal. Das heißt, wenn es nicht genutzt wird, geht auch keine weitere Strahlung davon aus.
Hätten Sie denn Probleme damit, in die Nähe eines Handymasten zu ziehen?
Dazu habe ich mir noch nie weiter Gedanken gemacht, aber ich sehe das auch jetzt aufgrund meiner Studie nicht weiter kritisch.
In Ihrer Studie hat Strahlung bei Mäusen dazu geführt, dass Tumore schneller wachsen. Lassen sich solche Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragen?
Das kann niemand beantworten. In welcher Weise das beim Menschen trägt und zur Erklärung welcher Befunde beitragen kann, lässt sich nicht sagen. Da kommen wir an eine generelle Einschränkung von Tierversuchen, nämlich an die Frage, inwieweit die Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragbar sind. Theoretisch ist es vorstellbar, den Beweis kann ich aber nicht erbringen.
im Interview:Alexander Lerchl55, studierte Biologie in Marburg und Göttingen und forscht an der Jacobs University Bremen zu den Themen Chronobiologie, Physiologie und der Wirkung elektromagnetischer Felder.
Waren Sie überrascht von dem Ergebnis Ihrer Studie?
Durchaus. Es gab bereits eine andere Studie aus Hannover dazu. Unsere lief als Wiederholungsstudie. Ich hätte aber nicht gedacht, dass wir die Ergebnisse reproduzieren können.
Bisher waren Sie nicht überzeugt davon, dass von elektromagnetischer Strahlung eine Gefahr ausgeht. Sehen sie das jetzt anders?
Das kommt darauf an. Die These, dass Mobilfunkfelder Krebs verursachen können, teile ich nach wie vor nicht. Dagegen sprechen zahlreiche Befunde. Erst kürzlich hat die Europäische Kommission dies bestätigt. Das ist derzeit Stand der Dinge. Dass Tumore unter Strahlung, zumindest bei Mäusen, schneller wachsen, ist eine neue Erkenntnis. Allerdings sehe ich bis jetzt nicht, dass dies eine Gefahr für den Menschen zeigt. Was man sich in diesem Zusammenhang immer wieder vor Augen halten sollte, ist, dass die Krebshäufigkeit nicht zugenommen hat. Wenn Mobilfunkstrahlen Krebs verursachen würden, dann müsste man das daran sehen können.
Elektrosmog wird seit jeher für die unterschiedlichsten Leiden von Kopfschmerzen bis hin zu psychischen Störungen verantwortlich gemacht. Ist das also alles bloß Esoterik?
Naja, die Beschwerden gibt es. Nur haben sie eben mit den Strahlen nichts zu tun. Viele Menschen führen ihr Leiden auf Strahlen zurück. Bei genauerer Untersuchung stellt man jedoch immer wieder fest, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Bestes Beispiel hierfür sind die sogenannten Elektrosensiblen, die von sich behaupten, sie könnten solche Strahlen spüren. Unter Laborbedingungen konnte bis heute keine Studie etwas derartiges nachweisen. Viele Leute fühlen sich damit dann vor den Kopf gestoßen, aber naturwissenschaftlich lässt sich dieser Zusammenhang nun mal ausschließen. | Fabian Lichter | Eine Studie von Alexander Lerchl zeigt, dass Strahlung Tumore bei Mäusen schneller wachsen lässt. Dass Mobilfunkfelder Krebs verursachen können, glaubt er trotzdem nicht. | [
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Blockupy-Treffen in Berlin: Nach Frankfurt geht's weiter - taz.de | Blockupy-Treffen in Berlin: Nach Frankfurt geht's weiter
Mehr als 100 Aktivisten des Bündnisses haben sich in Berlin getroffen, um dessen Zukunft zu beraten. Eines der Ziele: neue Proteste im Juni.
Blockupy-Protest in Frankfurt im März 2015. Bild: imago/Christian Mang
BERLIN taz | Der Rauch über Frankfurts Straßen hat sich verzogen. Blockupy will bleiben. Als „breites, ungehorsames und transnationales Bündnis“ wolle man auch zukünftig die europäische Krisenpolitik bekämpfen und zwar mit dem gewohnten „Dreiklang aus inhaltlichen Debatten, Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams“. Darauf einigten sich die mehr als 100 Aktivisten des Bündnisses bei ihrem Treffen am Sonntag in den Berliner Mehringhöfen.
Knapp zwei Monate nach den Protesten gegen die Eröffnung des neuen Hauptsitzes der Europäischen Zentralbank (EZB), die öffentlich vor allem Bilder von brennenden Polizeiautos produzierten, stand für die Anwesenden zunächst die Aufarbeitung der Geschehnisse im Vordergrund. Einig waren sich die Teilnehmer über den Erfolg der Mobilisierung. Mehr als 20.000 Menschen aus ganz Europa hatten mitten in der Woche den Weg nach Frankfurt gefunden.
Schwieriger wurde es bei der Frage nach dem Umgang mit militanten Aktionen. An dieser entscheidet sich, wie breit das Bündnis in Zukunft aufgestellt sein will und ob es seinem Anspruch gerecht werden kann, die Basis für Aktionen des massenhaften Ungehorsams auszuweiten. Vor allem die Blockupy-Befürworter bei Linkspartei und Attac müssen sich gegen Kritiker aus den eigenen Reihen wehren, die sich vor einer Gleichsetzung mit den Randalierern sorgen. Attac-Urgestein Werner Rätz befürchtete in der Debatte das Ende von Blockupy, sollten sich die Bilder von Frankfurt noch einmal wiederholen.
Seit den Ereignissen vom 18. März sieht sich vor allem Linken-Politiker Ulrich Wilken massiv öffentlichem Druck ausgesetzt. Er ist Vizepräsident des Hessischen Landtags und Mitorganisator von Blockupy. Ihm wird vorgeworfen, er sei für die Gewalt mitverantwortlich. Sein Rücktritt wurde bereits mehrmals gefordert. Die Teilnahme an dem Treffen in Berlin ließ er sich dennoch nicht nehmen. Angriffe auf seine Person bezeichnete er als „Versuch, uns zu spalten“.
Brennende Autos vs. bunte Blockaden
Tatsächlich habe sich das Bündnis strikt an den selbstgesteckten Aktionskonsens gehalten und nicht zur Eskalation beigetragen, so das Kredo beim Treffen am Sonntag. Diese sei vielmehr ein Nebeneffekt des Größerwerdens von Blockupy gewesen. Viele Redner forderten für die Zukunft, den Aktionskonsens strikter durchzusetzen, zumindest dort, wo Blockupy selbst agiert. Bilder brennender Autos sollen nicht jene von farbenfrohen Blockaden oder einem massenhaften Überklettern von Zäunen überlagern.
Zurück auf der Straße wollen die Aktivisten am 20. Juni 2015. Zum Weltflüchtlingstag und Auftakt einer europäischen Aktionswoche der Griechenland-Solidarität wird sich das Bündnis an einer Demonstration in Berlin beteiligen. Eigene Aktionen sind für den Herbst geplant. Man müsse „mit dem Rhythmus der europäischen Krise mithalten“, forderte Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken.
Auch die etwa 50 Teilnehmer des internationalen Blockupy-Treffens am Vortag hatten sich dafür ausgesprochen, nicht bis zum nächsten Jahr mit neuen Aktionen zu warten. Ob es dann ein Festival, große Protestaktionen oder eine Konferenz geben wird, muss noch entschieden werden, ebenso, ob man nach Rom, Berlin, Brüssel oder Athen gehen wird. | Erik Peter | Mehr als 100 Aktivisten des Bündnisses haben sich in Berlin getroffen, um dessen Zukunft zu beraten. Eines der Ziele: neue Proteste im Juni. | [
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Albanische Videokunst: United Colors of Migration - taz.de | Albanische Videokunst: United Colors of Migration
Postkommunistischer Alltag, Migration und Identität, das sind die Themen des Italo-Albiners Adrian Paci. Der Kunstverein Hannover zeigt eine Überblicksschau des Künstlers.
Es geht ein Flug nach nirgendwo. Bild: dpa
Vom Tod des Autors ist viel geredet worden, und jetzt ist auch noch der Künstler tot. Adrian Paci nämlich. Geboren 1969 im albanischen Shkodra, gestorben 2001 ebendort. Zwischendrin geheiratet. Lässt sich alles dem Totenschein entnehmen.
Komisch, dass der Künstler gerade persönlich eine Ausstellung im Kunstverein Hannover eröffnet hat. Adrian Paci ist quicklebendig. Sein Totenschein, der in der Ausstellung hängt, eine Fälschung. Angefertigt hat sie ein albanischer Kunstmaler, der im postkommunistischen Alltag für Geld Nummernschilder, Klotürbeschriftungen oder gefälschte Dokumente hinpinselt. Pacis Videoarbeit "Piktori" zeigt den Mann in konspirativer Rückenansicht bei der Arbeit am Totenschein und dem Lamento über die Aufweichung des Kunstbegriffs. "Er hat den Glauben an die Kunst verloren, weil er nur die Wünsche anderer Leute erfüllt", erklärt Paci. Eine klapperige Bretterhütte voller Gemälde in der Hannoveraner Ausstellung zeigt, dass sich der 39-Jährige einst selbst mit Auftragsarbeiten durchschlug. Das Datum auf seinem Totenschein fällt ungefähr mit der Phase zusammen, in der seine Karriere ins Rollen kam: Eine Wiedergeburt als freier, international gefragter Künstler?
Vielleicht nicht ganz frei: Künstler aus Osteuropa werden oft diskursiv vereinnahmt. Es störe ihn, wenn Betrachter aus seiner Kunst ein kohärentes Albanienbild herauszudestillieren suchen, sagt Paci. Wie sehr sich jedoch das von westlichen Augen kaum erforschte Land als Projektionsfläche eignet, zeigt sein Werk "Turn On": 18 arbeitslose Albaner sitzen auf einer nächtlich-schummerigen Treppe und halten recht sinnfrei leuchtende Glühlampen in die Luft. Kritik an der maroden Stromversorgung? Eine Neuauflage des Sisyphosmythos? Einfach ein wunderbar poetischer Anblick?
Der Künstler hält sich die Antwort glücklicherweise offen. Paci, das beweist die sehenswerte Hannoveraner Überblicksschau, hat das Talent, sozial engagierte Kunst aufregend zu inszenieren - und zwar so, dass die Ästhetisierung den Inhalt nicht erdrückt. Das dürfte auch an einer Strategie der Bescheidenheit liegen, die in vielen Werken des Künstlers zum Vorschein kommt: Sei es, dass Paci Stills aus Pasolini-Filmen abmalt und so den "einfachen Menschen" in Szene setzt. Oder dass er sich selbst schlicht das Dach eines Modellhauses auf den Rücken schnallt, für Fotos. "Home to go" heißt der Bilderzyklus, in dem nicht viel passiert, der aber trotzdem vielfältige Assoziationen weckt. "Mich interessiert die Komplexität in den simplen Dingen", sagt Paci. Das Einfache ist näher dran an der Realität.
Vieles in Pacis Kunst dreht sich um die Themen Migration, Heimat, Identität. Im Jahr 1997 floh der Künstler mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Albanien nach Italien. Paci hatte dort bereits in den frühen 90er-Jahren als Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung gelebt. Heute besitzt er die doppelte Staatsbürgerschaft. In seinem Video "After the wall there are some walls" schipperte Paci 2001 noch einmal in einem Boot über die Straße von Otranto, jene Meerenge, über die albanische Migranten nach Italien kommen. Der Künstler füllte Meerwasser in Plastikkanister und musste sich dabei die rassistischen Anwürfe vom italienischen Bootsbesitzer und von Wasserschutzpolizisten gefallen lassen.
Das Video wird nun in Hannover auf die 80 gefüllten Plastikkanister projiziert. Wegen der Lichtbrechung erscheint der Film auf der Rückseite der Kanister als abstraktes Wechselspiel bunter Flecken. Das Bild hat sich aufgelöst - so wie nach einer Weile die Erinnerung an die Meerespassage verwischt. Oft findet man in Pacis Arbeiten diese bestimmten Spannungsmomente, in denen die Erzählung abrupt bricht und in eine andere Geschichte hinübergleitet. Bei "After the wall …" ist es der Moment beim Umschreiten der Kanisterwand. In seinem neuen Werk "Centro di permanenza temporanea" ist es die Veränderung der Kameraperspektive: Eine Menschengruppe marschiert über das Rollfeld eines Flughafens und steigt die Treppe einer Gangway hinauf. In sympathisierender Nahaufnahme zeigt die Kamera die Gesichter: ein Asiate, ein Afrikaner, eine Lateinamerikanerin. United Colors of Migration. Die Kamera wechselt in die Totale und der Betrachter erkennt, dass die Gangway ins Leere führt. Während um sie herum ständig Maschinen starten und landen, verharren Pacis Protagonisten hilflos auf ihrer Plattform. Die mehrfache Wiederholung der Schlusstotale unterstreicht das Skurrile an der Situation: Für einen Moment scheinen sie auf ihrem Podest zur Skulptur erhoben, diese Menschen, die sich nicht bewegen können. Die keiner mehr abholt. | Tim Ackermann | Postkommunistischer Alltag, Migration und Identität, das sind die Themen des Italo-Albiners Adrian Paci. Der Kunstverein Hannover zeigt eine Überblicksschau des Künstlers. | [
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Zukunft des Verbrennungsmotors: Leiser Abschied vom 2030-Ziel - taz.de | Zukunft des Verbrennungsmotors: Leiser Abschied vom 2030-Ziel
Eigentlich wollen die Grünen ab 2030 nur noch abgasfreie Neuwagen zulassen. Doch die Spitzenkandidaten machen das lieber nicht zur Koalitionsbedingung.
Wenigstens bei diesem Verkehrsmittel sind sich alle Grünen einig: Fahrräder sind toll Foto: dpa
BERLIN taz | Die Grünen machen ihr Ziel, ab 2030 nur noch emissionsfreie Neuwagen zuzulassen, nicht zu einer harten Koalitionsbedingung. Spitzenkandidat Cem Özdemir vermied am Montag nach einer Parteivorstandsklausur trotz mehrfacher Nachfragen von Journalisten eine Festlegung auf diese Jahreszahl. Er sagte lediglich: „Die nächste Bundesregierung muss den Einstieg in den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor beschließen.“ Dieses Ziel sei für Grüne nicht verhandelbar.
Einstieg in den Ausstieg – das ist eine verhältnismäßig weiche Formulierung. Am Wochenende hatte die Debatte über die Zukunft des Verbrennungsmotors im Wahlkampf Fahrt aufgenommen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte der Funke Mediengruppe gesagt, ein Verbot des Verbrennungsmotors lege „die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands“. Der Motor sei in Koalitionsgesprächen für die CSU nicht verhandelbar. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete den Verbrenner als Brückentechnologie, die es noch Jahrzehnte brauche.
Die Grünen-Spitze baut dazu nun eine rhetorisch scharfe Gegenposition auf. Gleichzeitig vermeidet sie es aber, rote Linien für eine mögliche Koalition zu definieren. So will sie flexibel für Verhandlungen zu bleiben. Nach aktuellen Umfragen ist ein Bündnis mit der Union die einzige Machtoption der Grünen.
Die Aufstellung sei nun klar, betonte Özdemir. Die Grünen seien die einzige Partei, die Städte und Luft sauber bekommen, die Klimaschutzziele einhalten und die Arbeitsplätze in der Autoindustrie erhalten wolle. „Die Voraussetzung, dass 2030 möglich ist, die müssen in der nächsten Legislaturperiode eingeleitet werden.“
Kampf mit Vorgeschichte
Der Kampf um das 2030-Ziel hat bei den Grünen eine längere Vorgeschichte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält es für einen „Schwachsinnstermin“, weil das Ende des Verbrenners nicht punktgenau vorhersagbar sei. Grüne Klimaschutzexperten sind der Ansicht, dass die Autoindustrie nur mit harten politischen Ansagen in Bewegung gesetzt werden könne. Das 2030-Ziel steht im offiziellen Wahlprogramm der Grünen.
Dennoch hätten Özdemir und Katrin Göring-Eckardt in der heißen Wahlkampfphase am liebsten auf die umstrittene Zahl verzichtet. Ein 10-Punkte-Plan, der maßgeblich aus ihrer Feder stammte, erwähnte das 2030-Ziel im Mai nicht. Auf dem Grünen-Parteitag im Juni erlitten sie eine Schlappe. Die Delegierten stimmten das Ziel in den 10-Punkte-Plan hinein, gegen Özdemirs und Göring-Eckards Willen.
Im Umfeld der Spitzenkandidaten hieß es am Montag, Özdemirs Ansage sei sehr wohl hart. Schließlich fordere Seehofer, den Verbrennungsmotor nicht anzutasten – dies hätten die Grünen aber vor. Außerdem wurde auf eine Formulierung in dem 10-Punkte-Plan verwiesen. Darin heißt es: Wer mit den Grünen koalieren wolle, der müsse bei diesen Vorhaben „entschieden“ mit ihnen vorangehen. Diese Wörter öffnen in der Tat Spielräume. Was „entschieden“ ist und was nicht, ist schließlich Interpretationssache. | Ulrich Schulte | Eigentlich wollen die Grünen ab 2030 nur noch abgasfreie Neuwagen zulassen. Doch die Spitzenkandidaten machen das lieber nicht zur Koalitionsbedingung. | [
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Gekaperter Lkw in Limburg: Am Ende bleiben Fragezeichen - taz.de | Gekaperter Lkw in Limburg: Am Ende bleiben Fragezeichen
Im hessischen Limburg fährt ein Syrer mit einem gekaperten Lkw in mehrere Autos und verletzt acht Personen. Das Motiv bleibt unklar.
Ein Lastwagen ist in Limburg auf mehrere stehende Fahrzeuge aufgefahren Foto: dpa
BERLIN/FRANKFURT taz | Auch einen Tag nach dem Vorfall, als der Tatort schon wieder bereinigt ist, bleiben die Fragezeichen. Von einem „Schock in der Bevölkerung“, berichtet Limburgs SPD-Bürgermeister Marius Hahn der taz. „Auch Wut.“ Und Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU, warnt vor vorschnellen Urteilen, spricht von einem „unklaren Motiv“. Er wünsche den Verletzten eine rasche Genesung.
Am frühen Montagabend, gegen 17.18 Uhr, war ein 32-Jähriger im hessischen Limburg mit einem gekaperten Lkw vor dem örtlichen Amtsgericht in mehrere Autos gefahren, hatte dabei acht Personen und sich selbst verletzt. Noch am Tatort wurde er festgenommen.
Und sofort waren die Spekulationen da. War es ein Terroranschlag, wie damals bei Anis Amri in Berlin? Oder war es die Tat eines psychisch Kranken?
Die ganze Nacht hindurch und auch noch am Dienstag blieb die Lage unklar. Erst am Mittag bestätigte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Syrer handelt. Er soll den ursprünglichen Fahrer des Lkw „gewaltsam“, aber ohne Waffe aus der Fahrerkabine gezogen haben. Daraufhin sei er mit dem Fahrzeug wenige Meter gefahren und habe im Bereich einer Kreuzung „ungebremst“ sieben Pkws und einen Kleintransporter gerammt. Festgenommen worden sei der Verdächtige von Bundespolizisten, die zufällig in der Nähe waren. Die acht Verletzten konnten laut Polizei noch in der Nacht das Krankenhaus verlassen.
Motiv bleibt offen
Das Motiv aber ließ auch die Staatsanwaltschaft offen. Die Ermittlungen zu den Hintergründen dauerten an, teilte Sprecher Alexander Badle mit. „Es wird in alle Richtungen ermittelt.“
Die Frankfurter Neue Presse zitierte derweil den ursprünglichen Lastwagenfahrer. An einer Ampel habe der Tatverdächtige plötzlich seine Tür geöffnet. „Was willst du von mir?“, habe er ihn gefragt, berichtete der Lkw-Fahrer. Aber der Mann habe ihn nur wortlos hinausgezogen. Dann sei er mit dem Lkw in die Autos gefahren. Die Zeitung zitiert auch Augenzeugen, wonach der 32-Jährige nach dem Vorfall ausgestiegen und sich an einen Baum gesetzt habe. Er soll den Begriff „Allah“ verwendet und benommen gewirkt haben.
Medien berichteten zudem, der Mann lebe seit 2015 in Deutschland, er habe als syrischer Geflüchteter einen subsidiären Schutzstatus besessen, der aber Anfang Oktober ausgelaufen sei. Zudem sei er polizeibekannt: wegen einer Schlägerei mit Verwandten, Drogenbesitzes und Ladendiebstahl – nicht aber wegen politischer Delikte.
Oberstaatsanwalt Badle wollte all das nicht bestätigen. Er halte sich an gesicherte Fakten, sagte er der taz. Nur so viel: Erkenntnisse zu politischen Aktivitäten des Verdächtigen lägen bisher nicht vor. Das bestätigte auch Innenminister Beuth: Verbindungen des Syrers in die gewaltbereite islamistische Szene seien den Behörden bisher nicht bekannt.
Zwei Wohnungen durchsucht
Tatsächlich zog auch die Bundesanwaltschaft, zuständig für besonders schwere Staatsschutzdelikte, den Fall bisher nicht an sich. Man sehe vorerst keine Zuständigkeit, behalte die Ermittlungen aber im Blick, hieß es dort.
Noch in der Nacht wurden indes zwei Wohnungen durchsucht. Eine in Langen bei Frankfurt am Main, die der Tatverdächtige bewohnt haben soll. Und eine im Landkreis Limburg-Weilburg, von einem Cousin, der sich mit dem Syrer am Montag getroffen hatte und auch kurz nach der Vorfall am Tatort aufgetaucht sein soll. Indizien mit islamistischen Bezug seien dabei nicht gefunden worden, hieß es. Sichergestellt wurden aber Handys und USB-Sticks, deren Auswertung noch lief.
Politische Vorkenntnisse des Verdächtigen seien nicht bekannt, so die Ermittler
In den sozialen Medien und bei der AfD hatte man sich da, trotz der unklaren Lage, bereits festgelegt. „Durch offene Grenzen kommen Terroristen in unser Land“, twitterte der AfD-Innenpolitiker Martin Hess. Fraktionschefin Alice Weidel fragte: „Wie viele solcher Zeitbomben gibt es noch in Deutschland?“
Oberstaatsanwalt Badle stieß das bitter auf. Die Ermittlungsarbeit sei komplex und dauere an. Nun Emotionen zu schüren, helfe niemanden. Auch die Polizei twitterte: „Trolle und Spekulationen braucht niemand.“
Erinnerungen an Breitscheidplatz
Der Vorfall weckte indes Erinnerungen an den Anschlag des Islamisten Anis Amri im Dezember 2016 in Berlin. Der Tunesier war mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz gefahren und hatte elf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt. Er hatte sich in einem Video als Anhänger des IS bekannt und wurde später auf der Flucht von Polizisten erschossen.
Der Fall in Limburg scheint nicht so eindeutig zu sein – so wie andere Fälle in jüngerer Zeit. So zündete im Oktober 2018 ein 55-jähriger Syrer im Kölner Hauptbahnhof einen Brandsatz und nahm eine Frau als Geisel. Dabei bekannte er sich zum IS. Die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall zunächst – gab diesen aber später wieder ab. Ein „radikal-islamistisches Motiv“ habe sich nicht bestätigt, hieß es damals. Dem Mann wurde vielmehr eine psychische Erkrankung attestiert.
Im April 2018 hatte wiederum ein Mann in Münster mit einem Pkw vier Menschen getötet, mehr als 20 teilweise lebensgefährlich verletzt und sich dann selbst erschossen. Ein Terrormotiv gab es auch hier nicht: Der Mann galt als psychisch labil, die Tat letztlich als erweiterter Suizid.
Auch im Fall Limburg bleiben vorerst die Fragezeichen. „Es fällt mir noch schwer, die Dinge einzuordnen“, erklärte Bürgermeister Hahn. „Unheimlich wichtig“ aber sei es, dass die zufällig vor Ort befindlichen Polizisten, offenbar Auszubildende der Polizeiakademie aus dem nahen Diez, den Tatverdächtigen festgehalten hätten.
Auch das Logistikunternehmen des überfallenen Lkw-Fahrers äußerte sich betroffen. „Unserem Lkw-Fahrer geht es den Umständen entsprechend“, sagte eine Sprecherin. „Unsere Gedanken gelten ihm sowie den Geschädigten.“
Die AfD schlachtet die Tat sofort aus: Wie viele „Zeitbomben“ gebe es noch, ätzt sie
Hessens Innenminister Beuth blieb ebenso vorsichtig: „Auch wenn der Tathergang an die schrecklichen Anschläge von Nizza oder Berlin erinnert, ist das Motiv des festgenommenen Mannes nach wie vor unklar.“ Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte ebenfalls nur: „Nach allem, was wir derzeit wissen, müssen wir wohl davon ausgehen, dass der Tatverdächtige dies vorsätzlich getan hat.“
Der Syrer soll bei der Aufklärung bisher keine Hilfe sein: Er soll zu dem Vorfall schweigen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vorerst ein versuchtes Tötungsdelikt vor, schwere Körperverletzung und einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Noch am Dienstag sollte er dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. | Konrad Litschko | Im hessischen Limburg fährt ein Syrer mit einem gekaperten Lkw in mehrere Autos und verletzt acht Personen. Das Motiv bleibt unklar. | [
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Erinnerungs-Wege - taz.de | Erinnerungs-Wege
■ Neue Straßen in Burgwedel erinnern an den Kindermord vom Bullenhuser Damm Von Claudia Hönck
Kleine Wohnstraßen sind es, und zentral liegen sie auch nicht gerade, aber immerhin: Morgen vormittag wird in einer Feierstunde in Burgwedel offiziell der zweite Teil der „Straßen für die Kinder vom Bullenhuser Damm“ eingeweiht zum Gedenken an jene 20 fünf- bis zwölfjährigen Jungen und Mädchen, die am 20. April 1945 in einem Keller in Rothenburgsort von Nazis umgebracht wurden.
Bereits vor zwei Jahren waren in einem Festakt die ersten Straßenschilder mit den Namen der jüdischen Kinder in dem Schnelsener Neubaugebiet angebracht worden. Die Initiative dazu war vom Hamburger Schriftsteller Günther Schwarberg, der das Schicksal der Kinder in einem Buch aufgearbeitet hatte, und dem Verein „Kinder vom Bullenhuser Damm“ ausgegangen, das Ortsamt Lokstedt hatte sich – im Unterschied zu anderen Hamburger Stadtteilverwaltungen – aufgeschlossen gezeigt. Der Roman-Zeller-Platz oder der Jaqueline-Morgenstern-Weg zum Beispiel erinnern nun an ein besonders erschütterndes Kapitel des Faschismus in Hamburg. In Anwesenheit von Angehörigen der Kinder sowie des israelischen Botschafters Avi Primor wird morgen unter anderem die druckfrische Broschüre „Die Kinderstraßen“ von Günther Schwarberg vorgestellt und anschließend an alle Einwohner der betreffenden Straßen verteilt. Andere Interessierte können das Heft im Einwohnermeldeamt bekommen.
Die 20 Kinder waren von Ende November 1944 bis zu ihrem Tod im KZ Neuengamme Opfer medizinischer Experimente. In einer abgeschirmten Extra-Baracke wurden ihnen vom Nazi-Arzt Kurt Heißmeyer Tuberkelkulturen in die eingeritzte Haut gerieben, einigen spritzte er Tuberkel-Lösung direkt in die Lungen. Heißmeyer wollte so eine Methode zur Heilung von Tuberkulose erproben – obwohl seine entsprechenden Theorien schon damals als falsch galten, wurden ihm die Menschenversuche genehmigt. Mitte Januar 1945 begann für die mittlerweile schwer erkrankten Jungen und Mädchen aus Polen, Frankreich, Jugoslawien, Italien und den Niederlanden die zweite Tortur: Ihnen wurden die Lymph-drüsen unter den Armen herausoperiert, um diese besser untersuchen zu können. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Kindern und Versuchstieren habe er nicht gesehen, sagte Heißmeyer später vor Gericht.
Als am 20. April 1945 die Engländer nur noch wenige Kilometer von Hamburg entfernt waren, fiel das Todesurteil. Die Spuren der medizinischen Experimente sollten verwischt werden. Zusammen mit vier Pflegern und Ärzten sowie 24 sowjetischen Häftlingen wurden die Kinder im Heizungskeller der Schule am Bullenhuser Damm in Rothenburgsort – die wenige Tage zuvor noch ein Häftlingslager war und von Arnold Strippel verwaltet wurde – von SS-Leuten aufgehängt.
Kurt Heißmeyer konnte noch 20 Jahre unbehelligt als Arzt in Magdeburg praktizieren, bis ihn 1966 ein DDR-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilte. Arnold Strippel mußte sich erst sehr viel später vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Das Verfahren wurde 1987 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten eingestellt.
Die Schule am Bullenhuser Damm 92 heißt mittlerweile nach dem Kinderarzt und Pädagogen Janusz Korczak, der 1942 in Polen mit seinen jüdischen Schützlingen freiwillig in den Tod ging. In ihr erinnern eine Gedenkstätte sowie ein Rosengarten an die Kinder. Hier findet morgen um 18 Uhr die zentrale Gedenkveranstaltung für die jungen Faschismus-Opfer statt.
Freitag abend um 20 Uhr führen im Theater in der Kunsthalle sieben Frauen des Alten-Theaters im Rahmen des Thalia-Treffpunkts das Schauspiel „Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ auf. Mit dem Film „Hiobsbotschaft“ von Ottokar Kunze (Sonntag, 23. April, 12 Uhr) trägt das Ottenser Zeise-Kino zu den Gedenkveranstaltungen bei. Am kommenden Montag schließlich widmet sich Michael Grill in einem Dia-Vortrag dem Thema „Kinder und Jugendliche in Hamburger Konzentrationslagern“ (19.30 Uhr, Janusz-Korczak-Schule). Geführte Besichtigungen der Gedenkstätte in der Schule werden zudem am Sonntag, den 7. Mai, sowie am Sonntag, den 4. Juni jeweils um 14 Uhr angeboten. | Claudia Hönck | ■ Neue Straßen in Burgwedel erinnern an den Kindermord vom Bullenhuser Damm Von Claudia Hönck | [
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Krieg in Syrien: „Das Gesundheitssystem kollabiert“ - taz.de | Krieg in Syrien: „Das Gesundheitssystem kollabiert“
„Ärzte ohne Grenzen“ berichtet von der katastrophalen Lage rund um Aleppo. Medizinische Einrichtungen würden gezielt angegriffen.
Flüchtlinge aus Aleppo erreichen die syrisch-türkische Grenze. Foto: ap
KAIRO taz | Während in München über Syrien verhandelt wird und das Assad-Regime mit russischer Luftunterstützung versucht, die Nachschubwege der Rebellen nach Aleppo zu unterbrechen, wird dort die humanitäre Lage immer katastrophaler. „Wir unterstützten medizinische Einrichtungen in Aleppo und es ist schwieriger geworden, für Nachschub zu sorgen, weil wichtige Straßen unterbrochen sind. Aber wir haben bereits vorab viel Material dorthin geschafft“, sagt Sam Taylor, ein Sprecher der Organisation Ärzte ohne Grenzen zur Lage in Aleppo. „Wir hören Horrorberichte aus der Stadt mit fortschreitenden Bombardements, einem Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser und Treibstoff.“
Besonders schwierig sei die Lage der Menschen, die in den letzten Tage vor der neuesten Offensive geflüchtet und an der türkischen Grenze noch innerhalb Syriens gestrandet sind. „Die letzte neue Fluchtwelle betrifft 30.000 Menschen. Viele haben keine Bleibe. Wir haben Zelte für 800 Familien gestellt, aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Taylor.
Jeder versuche irgendwo unterzukommen. „Vor der letzten Offensive gab es bereits vier bis fünf Lager innerhalb Syriens nahe der türkischen Grenze. Viele weitere Menschen sind jetzt dorthin geflüchtet, aber die Lager sind schon voll. Einige haben sich vor den Lagern eingerichtet. Andere sind in Dörfern in der Umgebung untergekommen. Aber es gibt auch schon Menschen, die draußen im Freien übernachten.“
Ein Problem sei die Gesundheitsversorgung. „Es gibt genug Nahrungsmittel, die noch von Hilfsorganisationen in die Region Asas geliefert werden. Aber das dortige Gesundheitssystem bricht gerade komplett zusammen. Gehen die Kämpfe weiter, wird die Lage furchtbar werden“, warnt der Sprecher von Ärzte ohne Grenzen. Er hilft auf der türkischen Seite, die noch von der Organisation unterstützten medizinischen Projekte zu koordinieren. Nicht nur rund um Aleppo seien mindestens 40 verschiedene medizinische Einrichtungen zerstört worden. Im ganzen Land würden sie immer wieder zur Zielscheibe.
Medizinisches Personal zur Flucht gezwungen
„Es gab verschieden Angriffe auf von uns unterstützte Einrichtungen mit unterschiedlichem Schaden. Bei einem der letzten Angriffe auf eine der Einrichtungen im Süden Syriens kamen drei Menschen ums Leben, Krankenwagen wurden zerstört. Wir haben den Eindruck, dass konsequent immer wieder medizinische Einrichtungen angegriffen werden“, glaubt Taylor. Das habe zur Folge, dass auch medizinisches Personal zur Flucht gezwungen werde und damit medizinische Einrichtungen geschlossen werden müssten.
Ärzte ohne Grenzen fordert daher „von allen Kriegsparteien, dafür zu sorgen, dass es nicht zu neuen massiven Vertreibungen und einer weiteren Verschlimmerung der humanitären Lage kommt. Angriffe auf medizinische Einrichtungen müssen gestoppt werden. Kämpfe und Luftangriffe in dicht bewohnten Gebieten müssen aufhören“. Doch findet dieser Appell wenig Gehör.
„Es gibt bereits Menschen, die draußen im Freien übernachten müssen“
Unterdessen hat das Syrian Centre for Policy Research (SCPR) jetzt in einem Bericht weit höhere Schätzungen von Opfern des syrischen Krieges veröffentlicht, als die bisher von der UNO zitierten Zahlen. Dabei sollen bisher durch direkte und indirekte Kriegsfolgen 470.000 Menschen gestorben sein. Die UNO operiert immer noch mit der Zahl von 250.000 Todesopfern, gibt aber zu, seit 18 Monaten keine Statistik mehr darüber zu führen.
Laut SCPR sollen 400.000 Syrer durch direkte Kriegsfolgen umgekommen sein. Weitere 70.000 seien Opfer eines zusammengebrochenen Gesundheitssystems, eines Mangels an Medikamenten (vor allem für chronische Krankheiten), an Nahrungsmitteln, an sauberem Wasser wie einer unangemessenen Wohnsituation. Das gelte vor allem für die intern im Land Vertriebenen, die laut dem Bericht inzwischen 45 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Laut SCPR wurden bisher 11,5 Prozent der syrischen Bevölkerung in diesem Konflikt getötet oder verletzt. Der Bericht zählt 1,9 Millionen Verletzte. | Karim El-Gawhary | „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet von der katastrophalen Lage rund um Aleppo. Medizinische Einrichtungen würden gezielt angegriffen. | [
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Kein Spielraum für Visionen - taz.de | Kein Spielraum für Visionen
Auf Einladung des AStAs Bremen diskutierten ParteienvertreterInnen ihre Positionen zur Hochschulpolitik
Um Wissenschaftspolitik hätten sich die Wissenschaftspolitiker der Parteien am Mittwoch auf dem Podium des Hochschul-AStA streiten können – stattdessen redeten sie über Geld. Der Koalitionszank fiel auch aus, da Iris Spieß (CDU) entschuldigt fehlte.
„Als alternativlos“ verteidigte die SPD-Frau Birgit Busch die Einsparungen von 92 Millionen Euro, die der Hochschulgesamtplan HGP V im Vergleich zum Vorgänger HGP IV vorsieht. „Niemand muss mir erzählen, dass es sinnvoll ist, in Bildung zu investieren, aber man muss auch sagen, woher das Geld kommen soll“, so Busch.
Der grüne Bürgerschaftskandidat Hermann Kuhn sah darin kein Problem. Er versprach zusätzliche zehn Millionen Euro für die Hochschulen. Möglich sei dies durch Einsparung im Bau- und Wirtschaftsressort. Studiengebühren schloss Kuhn aus, regte aber an, das Studium durch ehrenamtliche Arbeit wie Nachhilfekurse abarbeiten zu lassen.
Der Kandidat der Linkspartei, Felix Pithan, forderte zur Finanzierung der Hochschulen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie die Anhebung der Einkommenssteuer für Reichere.
Als einziger in der Runde sprach sich der FDP-Spitzenkandidat Magnus Buhlert für das Bezahlstudium aus. Die Grundfinanzierung der Hochschulen bliebe aber eine staatliche Aufgabe. Zusätzliches Geld hierfür solle durch eine Reform des Länderfinanzausgleichs frei werden. Bisher würde in diesem zu wenig berücksichtigt, was Bremen für die Region leiste, so Buhlert, eine Position, zu der seine Kontrahenten zustimmend nickten.
Weniger über Haushaltslöcher und mehr über hochschulpolitische Visionen hätten einige der 40 ZuschauerInnen gerne gehört. „Bildung ist eine zentrale Aufgabe von Politik, und ich höre hier immer nur, ich weiß auch nicht so recht“, kritisierte eine Studentin. patt | patt | Auf Einladung des AStAs Bremen diskutierten ParteienvertreterInnen ihre Positionen zur Hochschulpolitik | [
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Die Wahrheit: Schäm dich, Brehm! - taz.de | Die Wahrheit: Schäm dich, Brehm!
Der größte Beuteltierfeind aller Zeiten stammt aus dem 19. Jahrhundert. Nun gibt es Proteste gegen die Schmähungen des Tierlebenbeschreibers.
Wo er sonst kein gutes Haar an Beuteltieren lässt, zollt Vater Brehm nur dem Beutelteufel Respekt Foto: taz-Archiv
Tiervater Alfred Brehm war der Bernhard Grzimek des 19. Jahrhunderts. Seinen hohen Ruf verdankte Brehm seiner Tier-Enzyklopädie „Brehms Tierleben“, die damals die Bücherwand jedes bildungsbürgerlichen Tierfreunds schmückte.
Doch jetzt fällt ein dunkler Schatten auf den berühmten Tierforscher: Die „Tasmanischen Teufel“, eine engagierte Tierschutzgruppe aus Australien, wirft Brehm notorisches Beuteltierschmähen vor. Was ist dran an diesen Vorwürfen?
Schlagen wir einmal das Kapitel „Beuteltiere“ in „Brehms Tierleben“ auf. Dort ist zu lesen: „Vergleicht man ein Beuteltier mit einem Raub- oder Nagetiere, so macht sich sofort auch dem blödesten Auge bemerklich, dass der Beutler unter allen Umständen minder entwickelt und vollendet ist.“ Das Beuteltier „erregt höchstens unsere Verwunderung“, „vielleicht unsere Lachlust“, oder es „stößt uns geradezu ab“, krittelt Brehm weiter.
„Irgend etwas fehlt unserem durch andere Tiergestalten verwöhnten Auge stets“, mäkelt er in einer Tour und steigert sich schließlich zu einem vernichtenden Urteil: „Es erscheint die Anschauung, dass wir es mit unvollkommenen, nicht genügend entwickelten Wesen zu tun haben“! Um noch einen draufzusetzen: „Die Unvollkommenheit, Roheit und Plumpheit der Beuteltiere offenbart sich namentlich, wenn man die geistigen Fähigkeiten in Betracht zieht.“
Vernichtendes Urteil
Teilnahmslosigkeit, Mangel an Zuneigung und Mutterliebe wirft Brehm den Beuteltieren auch noch vor. Insgesamt ist das ein vernichtendes Urteil über die possierliche Beuteltierschar. Woher rührt Brehms fundamentale Beuteltierablehnung, die für die „Tasmanischen Teufel“ die Grenze zum Beuteltierhass deutlich überschreitet?
Der passionierte Reisende Brehm hat Norwegen, Lappland, Afrika, das Riesengebirge, Österreich und Spanien besucht, bis nach Australien, der Heimat der Beuteltiere, kam er aber nie. Brehm konnte die von ihm so gebeutelten Tiere nur im Zoo erlebt haben. Als Zoodirektor in Hamburg und Berlin hat er die inkriminierten Beuteltier natürlich als Gefangene erlebt. Besonders mit einer Gruppe der Beuteltiere hatte er es zu tun, mit den Kängurus nämlich. Was schrieb Brehm über sie? „An ihnen ist eigentlich alles merkwürdig. Ihr Gang ist ein schwerfälliges, unbehilfliches Forthumpeln. Schon gefangene (Känguruhs) springen, wenn man sie hin- und herjagt, bis 8 m weit.“ Wenn man sie hin- und herjagt? Was hast du getan, Tiervater?
Teilnahmslosigkeit und Mangel an Mutterliebe wird den Beuteltieren vorgeworfen
Brehm beschimpft die Springbeutler als „im hohen Grade geistlose Geschöpfe, ihnen ist selbst das Schaf geistig überlegen“. Eines aber räumt er wenigstens ein, nämlich: „Dieses friedliche Tier weiß sich zu verteidigen. Seine Stärke liegt in den kräftigen Hinterläufen.“ Sollte die empfindliche Tiervaternase mit diesen kräftigen Hinterbeinen Bekanntschaft gemacht haben beim Hin- und Herjagen?
In seiner Beuteltierablehnung ist Brehm seit diesem mutmaßlichen Vorfall jedenfalls kategorisch. Den kleinen Beutelbär (Koala) schmäht er in bekannter Manier: „Stumpfsinnig, wie er ist, läßt er sich ohne große Mühe fangen und fügt sich gelassen in das Unvermeidliche.“ Diese Gelassenheit des Beutelbärs geht Brehm leider ab, so heißen die freundlichen Wombats bei ihm nur „Plumpbeutler“. Mit „ungeschlacht der Kopf, hochgradig plump der Körper, stummelschwänzig, mit kurzen, krummen Gliedmaßen“, beschreibt Brehm unbarmherzig das Aussehen der Wombats. Und wie springt Brehm mit dem Tasmanischen Wombat um? Dieser „sieht noch unbehilflicher aus, als er ist. Ein … stumpfsinniger und gleichgültiger Gesell“, nennt ihn der schmähende Brehm.
Wütendes Geschöpf
Nur einem Beutler zollt Brehm widerwillig Respekt, dem Beutelteufel! Brehm schreibt: „Diesen bedeutungsvollen Namen erhielt das Tier wegen seiner unglaublichen Wildheit und Unbezähmbarkeit. Man kann sich kaum ein ungemütlicheres, tolleres, unsinnigeres und wütenderes Geschöpf denken, als diesen Beutelteufel, dessen schlechte Laune und Ärger niemals endet, und dessen Zorn bei der geringsten Gelegenheit in hellen Flammen auflodert. Nicht einmal in der Gefangenschaft und bei sorgfältigster Pflege verliert er seine Eigenschaften.“
Sollte der bösartige Beutelteufel dem Altvater Brehm bei der sorgfältigen Pflege an die Gummistiefel gegangen sein? Das vermuten nicht nur die Tierschützer von den „Tasmanischen Teufeln“, bei denen der lange geschürte Zorn auf Brehm auflodert. Und man kann den heutigen Tierfreund verstehen, der dazu nüchtern feststellt: „Wenn ich mich für einen schäm, dann für Beuteltierfeind Brehm!“
Die Wahrheit auf taz.de | Kriki | Der größte Beuteltierfeind aller Zeiten stammt aus dem 19. Jahrhundert. Nun gibt es Proteste gegen die Schmähungen des Tierlebenbeschreibers. | [
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Atempause im hektischen Bangkok - taz.de | Atempause im hektischen Bangkok
In Thailands aufgeregter Metropole Ruhe tanken, beispielsweise im Hotel Atlanta
Die lange Sukhumvit-Straße gehört zu den bekanntesten Anlaufpunkten für Bangkok-Reisende und ist beliebteste Wohngegend von Ausländern, die in der thailändischen Hauptstadt arbeiten.
Es ist ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten: An der großen Straße und in den vielen „Sois“, wie die Nebengassen genannt werden, liegen Fünf-Sterne-Hotels neben mittleren Pensionen. Hier drängen sich bescheidene Imbissstände an der Seite erstklassiger internationaler Restaurants, Luxuseinkaufspaläste, kleine Seiden- und Schmuckläden, Reisebüros oder Möbelgeschäfte, die zum Beispiel Rattanbetten und -sofas nach den Wünschen der Kunden bauen und ins Ausland verschicken.
Selten aber liegen wohl Paradies und Hölle so nahe beieinander: Denn die Sukhumvit ist eine ewige Baustelle. Die neue, „Skytrain“ genannte Hochbahn hat den permanenten Verkehrsstau noch schlimmer gemacht, seitdem ihre dicken Betonpfeiler die Fahrbahnen zerteilen. Zur Sommerhitze kommen benebelnder Abgasdunst und ohrenbetäubender Krach von Dreiradtaxis („Tuktuks“), Bussen und Mopeds.
Wer da einen Fluchtpunkt sucht, kann ihn jetzt an einem ungewöhnlichen Ort finden: Im Café des alten „Hotel Atlanta“, ganz am Ende der „Soi 2“, auf der rechten Seite.
Der erste Schritt ins Foyer ist zugleich der erste Schritt auf einer Reise zurück in die Fünfzigerjahre, als dieses Hotel entstand. Globetrotter, Diplomaten und Journalisten waren die Gäste in der ersten Herberge Bangkoks, die einen Swimmingpool hatte. Seitdem blieb die Einrichtung mit ihren Kunstlederstühlen und den 50er-Jahre-Lampen unverändert erhalten, auch in dem alten Reisebüro gleich links, wo der weißhaarige Besitzer heute noch täglich zu finden ist. Sachter Jazz weht durch die Halle, jeden Mittag erklingen vom Band die Kompositionen des thailändischen Königs Bhumiphol, eines leidenschaftlichen Jazz-Saxofonisten. In Vitrinen an den Wänden sind Bücher ausgestellt, deren Autoren einst im Atlanta gewohnt haben, wie stolz ein Schild erklärt.
Im gedämpften Licht des Cafés träumt die Bedienung hinter ihrer alten Kasse. Zeitungen und gebrauchte Bücher in allen möglichen Sprachen liegen bereit, der Milchshake ist gut, die Speisekarte voller Tipps über Sitten und Gebräuche und die thailändische Küche. Wer sich nicht aufraffen kann, wieder in die hektische Welt draußen zurückzukehren – zum Beispiel in die Bars und Biergärten der Soi 4 („Soi Nana“) eine Straße weiter –, bleibt noch zum Videofilm. Jeden Abend um 21 Uhr wird im Café ein anderer Klassiker vorgeführt. Immer wieder kommen die „Die Brücke am Kwai“ , die „Gräfin von Hongkong“ oder auch Hitchcocks „Vertigo“. Danach sind dann auch die letzten Lebensgeister wieder zurückgekehrt.
Jutta Lietsch | Jutta Lietsch | In Thailands aufgeregter Metropole Ruhe tanken, beispielsweise im Hotel Atlanta | [
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Anschlag auf Israelis bei Olympia 1972: Einigung mit Angehörigen nahe - taz.de | Anschlag auf Israelis bei Olympia 1972: Einigung mit Angehörigen nahe
Eine Lösung im Streit um Entschädigungen scheint in Sicht zu sein: Deutschland hat den Hinterbliebenen des Münchener Attentats 28 Millionen Euro angeboten.
Katastrophaler Rettungsversuch: Polizist 1972 während der Geiselnahme Foto: Horst Ossinger/dpa
BERLIN/TEL AVIV dpa/afp | Im Streit um die Entschädigung für die Hinterbliebenen der israelischen Opfer des Münchner Olympia-Attentats von 1972 ist Medienberichten zufolge eine Lösung in Sicht. Deutschland sei bereit, den Hinterbliebenen der elf Getöteten insgesamt 28 Millionen Euro zu zahlen, berichtete der Stern am Dienstag. Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete über eine Annäherung beider Seiten. Laut Stern sollen mehr als 20 Millionen Euro der Summe aus Bundesmitteln kommen und der Rest von Bayern und der Stadt München.
Die Witwe des bei dem Attentat getöteten israelischen Fechttrainers André Spitzer, Ankie Spitzer, hatte der dpa zuvor gesagt, die Verhandlungen seien noch im Gange. Man hoffe aber grundsätzlich auf einen positiven Ausgang. Spitzer sagte, im Fall einer Einigung sei eine Teilnahme der Hinterbliebenen an der Gedenkfeier in München am 5. September noch möglich.
Am 5. September 1972 hatten palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München die israelische Mannschaft überfallen. Elf Mitglieder des Teams und ein Polizist wurden getötet. Die Sicherheitsvorkehrungen galten als mangelhaft, ein Befreiungsversuch der deutschen Einsatzkräfte endete katastrophal. Seit Jahrzehnten wird um eine angemessene Entschädigung für die Hinterbliebenen des Attentats vor 50 Jahren gerungen. Sie fordern auch eine Entschuldigung.
1972 und 2002 hatte Deutschland rund 4,6 Millionen Euro als humanitäre Geste für die Betroffenen gezahlt. Hinzu kamen rund eine halbe Million Euro des Nationalen Olympischen Komitees und Spenden des Deutschen Roten Kreuzes. 1994 forderten Opferfamilien vor Gericht 40 Millionen Mark (rund 20,45 Millionen Euro) Schadenersatz und begründeten dies mit massiven Fehlern während des Polizeieinsatzes. Die Klage scheiterte wegen Verjährung. | taz. die tageszeitung | Eine Lösung im Streit um Entschädigungen scheint in Sicht zu sein: Deutschland hat den Hinterbliebenen des Münchener Attentats 28 Millionen Euro angeboten. | [
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Rutschgefahr auf Berliner Radwegen: Salz gegen Glätte – und Blätter - taz.de | Rutschgefahr auf Berliner Radwegen: Salz gegen Glätte – und Blätter
Der Senat will Winterdienst mit Salz auf Radwegen testen – BaumschützerInnen sind besorgt.
Fahrradfahrer*innen wird es freuen: Die Stadt testet Streusalz auf Radwegen Foto: dpa/Wolfgang Kumm
BERLIN taz | Der Senat will Radwege im Rahmen eines Pilotprojekts mit Salz von Glätte befreien. Diesen Beschluss betrachtet der Baumexperte des BUND Berlin, Christian Hönig, mit gemischten Gefühlen. Salz sei „Gift für die Bäume“, sagte er der taz. Er sei aber froh, dass es einen wissenschaftlich ausgewerteten Versuch gebe.
Der Senat hatte auf seiner Sitzung am Dienstag eine Vorlage von Klima-, Umwelt- und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) zur Änderung des Straßenreinigungsgesetzes beschlossen. Ziel ist laut Senatskanzlei, Winterglätte auf Radwegen künftig zu verhindern. Das Pflanzenschutzamt werde den Pilotversuch auf ausgewählten Hochbordradwegen begleiten.
Dabei handelt es sich um „klassische“ Radwege, die im Gegensatz zu Radspuren auf der Fahrbahn oberhalb des Bordsteins neben dem Gehweg verlaufen. In Berlin weisen viele noch altes Verbundpflaster auf, die meisten entsprechen auch nicht den Anforderungen des Mobilitätsgesetzes. Andere Hochbordwege sind bereits breiter und asphaltiert.
Salz kann den Straßenbäumen schaden
Eine begriffliche Verwirrung ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen „Streusalz“ und „Sole“, wie sie auch die Verkehrsverwaltung vornimmt. Dabei ist die abtauende Substanz in beiden Fällen Kochsalz (Natriumchlorid), in der Sole ist es lediglich bereits gelöst. Die Ausbringung von Sole auf Fahrbahnen gilt als umweltverträglicher, weil dabei meist weniger Salz zur Anwendung kommt. Hochbordradwege, von denen ein Teil des Niederschlagswassers direkt in die Baumscheiben läuft, werden bislang jedoch überhaupt nicht mit Salz behandelt.
„Wir warnen seit Jahren vor diesem Vorschlag, und ich freue mich zumindest, dass das Zeug jetzt nicht gleich über ganz Berlin ausgekippt wird“, sagt Christian Hönig. Chloridionen, wie Streusalz sie abgibt, seien für Straßenbäume bis zur Trockenheit der vergangenen Jahre „Killer Nummer eins“ gewesen. Beide Faktoren zusammen seien „eine absolute Katastrophe“. Je weniger es regne, desto mehr Salz werde im Boden gespeichert. Während der Wachstumsphase im Frühjahr „ziehen die Bäume dann hoch, was sie bekommen“.
Auch dass die Winter mit dem Klimawandel tendenziell wärmer werden, ändere nichts an der Problematik, sagt der Experte: Die Straßen seien dann sogar häufiger feucht und könnten nachts oder am frühen Morgen überfrieren, weshalb ein Winterdienst notwendig werde.
Es gibt Maßnahmen zum Schutz der Bäume
Laut Hönig gibt es aber auch Optionen, die drohende Salzbelastung zu reduzieren. Wenig hält er vom Einsatz alternativer chemischer Substanzen – „damit würden wir nur wieder Stoffe in die Umwelt einbringen, die dort nichts zu suchen haben“. Kochsalz lande zumindest am Ende der Kette im Meer, wo es ohnehin in Fülle vorhanden sei.
Nachzudenken sei über eine bauliche Trennung, also eine Art Schutzwall um die Baumscheiben. Das sehe allerdings schlecht aus und könne auch Unfallrisiken bergen. Chancen sieht Hönig in der Vergrößerung von Abständen: „Ab 1,50 Meter, idealerweise 2 Meter und mehr, nimmt die Einwirkung durch Streusalz in den Boden signifikant ab.“
Der BUND fordert seit Langem einen „Frühjahrsdienst“ für Straßenbäume. Üppige Wässerung und Düngung verringere das Risiko einer zu hohen Salzaufnahme deutlich. | Claudius Prößer | Der Senat will Winterdienst mit Salz auf Radwegen testen – BaumschützerInnen sind besorgt. | [
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US-Antiterrorkrieg: IS-Geiseln bei Drohnenangriff getötet - taz.de | US-Antiterrorkrieg: IS-Geiseln bei Drohnenangriff getötet
Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wurden amerikanische und italienische Geiseln getötet. Obama übernimmt die „volle Verantwortung“.
Protest gegen Obama-Besuch in Berlin 2013: „I have a drone“. Bild: imago/IPON
WASHINGTON ap | Bei zwei US-Drohnenangriffen auf al-Qaida-Ziele im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sind zwei Geiseln und zwei amerikanische Kämpfer des Terrornetzwerks getötet worden. Wie das Weiße Haus am Donnerstag mitteilte, waren unter den Opfern der seit 2011 von al-Qaida gefangen gehaltene Amerikaner Warren Weinstein und der 2012 verschleppte Italiener Giovanni Lo Porto.
US-Präsident Barack Obama sprach den Familien der Geiseln sein Beileid aus. Er übernehme die „volle Verantwortung“ für die Einsätze, erklärte Obama. Er betonte, dass beide Drohnenangriffe in voller Übereinstimmung mit den Richtlinien für Antiterroreinsätze in der Region erfolgt seien. Es sei nicht bekannt gewesen, dass sich die Geiseln in dem als Ziel ausgewählten Anwesen befunden hätten.
„Auf Grundlage des uns damals vorliegenden Geheimdienstmaterials, darunter Hunderte von Stunden an Überwachung, glaubten wird, dass dies ein al-Qaida-Gelände war, dass keine Zivilisten anwesend waren und dass die Gefangennahme dieser Terroristen nicht möglich war“, sagte Obama. „Und wir glauben, dass die Operation gefährliche Mitglieder von al-Qaida eliminiert hat.“
Obama sagte, der Einsatz habe im Januar stattgefunden. Dabei sei vermutlich auch ein US-Bürger getötet worden, der sich al-Qaida angeschlossen hatte, hieß es weiter. Der Name des Mannes wurde mit Ahmed Farouq angegeben, der ein al-Qaida-Führer gewesen sei. Der Drohnenangriff habe einem von al-Qaida genutzten Gelände gegolten. Vorab habe es keinen Hinweise gegeben, dass die Geiseln dort festgehalten worden seien. Auch Farouq sei nicht das erklärtes Ziel des Angriffs gewesen.
Dies gelte auch für ein beim zweiten Drohnenangriff getöteten mutmaßlich amerikanischen al-Qaida-Mitglied, Adam Gadhan. Auch dieser Angriff habe im Januar stattgefunden.
Die USA greifen immer wieder mit ihren unbemannten Flugzeugen mutmaßliche Extremisten in dem Grenzgebiet an. Es gilt als Rückzugsgebiet radikaler Islamisten nicht nur der al-Qaida, sondern auch der Taliban. Die Drohnenangriffe sorgen regelmäßig für Spannungen mit Pakistan, weil auch immer wieder ZivilistInnen ums Leben kommen. | taz. die tageszeitung | Im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wurden amerikanische und italienische Geiseln getötet. Obama übernimmt die „volle Verantwortung“. | [
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Ratten hin, Ratten her - taz.de | Ratten hin, Ratten her
Russische Seele mit ordentlich Schmackes: Julia Belomlinskaja mag gern viel Fleisch. Mit einer Performance stellt die nach New York emigrierte „Großstadtirre“ heute im Münzsalon ihr Romandebüt „Apfel, Huhn und Puschkin“ vor
„Festzustellen ist ein unzureichender Fleischgehalt.“ Diesen Satz hat Julia Belomlinskaja mal auf dem Protokoll der Überprüfung einer russischen Betriebskantine gelesen. Seither ist er für sie Inbegriff für all die unsinnliche Halbherzigkeit, die sie an ihren Mitmenschen so ungeheuer langweilt. Deshalb versteht es sich von selbst, dass ihr Romandebüt „Apfel, Huhn und Puschkin“ nur so strotzt vor Sinnlichkeit.
Die aus St. Petersburg stammende Autorin, die auch als Sängerin und Regisseurin arbeitet, erzählt in ihrem autobiografischen Roman über ihr Leben als Emigrantin in der New Yorker Künstlerszene. Im russischen Original heißt ihr Buch „Das Arme Mädchen“. Die Geschichte vom Armen Mädchen, das sich umbringt, als ihr Liebhaber sie für eine reichere Frau verlässt, ist in Russland eine allgemein bekannte Erzählung. Belomlinskajas Buch ist eine Hommage an dieses Mädchen, dessen Nachfolgerin im Hansdampf-Modus sie ist. Mit umwerfender Selbstironie und in kolossalem Tempo erzählt sie vor allem von den Tücken, mit denen man als nicht mehr ganz so junge Frau zu kämpfen hat. Zum Beispiel wenn man seinen schnarchlangweiligen Mann in der amerikanischen Provinz zurückgelassen hat und nun in New Yorker Boheme-Kreisen auf der Suche nach einem Liebhaber ist. Die aber sind erstens rar und haben zweitens auch so ihre Schwierigkeiten mit einer Frau, die in Bekanntenkreisen gern als „die Großstadtirre“ gehandelt wird.
Denn genauso knackig und emotionsgeladen, wie sie erzählt, scheint Belomlinskaja auch zu sein. Und ein bisschen ungeschickt dazu. Deshalb endet so manche Verabredung im Desaster. Etwa wenn sie – kurz bevor es ernst wird – noch schnell ihre Füße wäscht und dabei nicht nur das Waschbecken ihres Beinahe-Beischläfers, sondern gleich auch noch die ganze Stimmung zerstört. Als Folge ihrer deprimierenden Männerquote heuert sie in einem SM-Studio an, verfällt zwischenzeitlich dem Alkohol, um dann – wie es sich für ein Armes Mädchen gehört – ihren Selbstmord anzukündigen. Sie verwirft ihn dann aber doch wieder.
Dass die Exzentrik, die ihr Leben wie auch das Buch bestimmt, nicht draufgeschafft wirkt, liegt an Belomlinskajas Liebenswürdigkeit. So erklärt sie kurzerhand ihre New Yorker Stammkneipe zu einem Treffpunkt für die Reichen und Armen der Stadt und entwickelt eine Theorie darüber, wie man bedürftigen Menschen etwas abgeben kann, ohne dass es herablassend wirkt. Überhaupt soll ihr Buch, schreibt sie im Vorwort an den Leser, angewandte Philosophie sein. Tatsächlich hat sie für fast alles und jeden einen Kommentar. Hitler lässt die russische Jüdin nachträglich ausrichten: „Fick dich, von wegen judenfrei!“ Genauso kurz und bündig ist ihre Einschätzung des Autorinnendaseins: Einen Roman zu schreiben sei ungefähr so, als müsse man als Aufnahmeprüfung bei den Freimaurern eine Ratte fressen. Folglich sei das nichts für junge Mädchen.
Belomlinskaja ist kein junges Mädchen mehr. Und deshalb schreibt sie – Ratte hin, Ratte her – einen Roman. Nicht zuletzt deswegen übrigens, weil sie gehört hat, dass man auf diese Weise nicht nur die Herzen der Leser, sondern auch die der Männer erobern kann. Dass allerdings einige Vertreter der Spezies Mann bei dieser Überdosis Fleischhaltigkeit zurückzucken, kann man sich nur zu gut vorstellen. Aber die sollen einfach beim weich gekochten Kantinengemüse bleiben. WIEBKE POROMBKA
Julia Belomlinskaja: „Apfel, Huhn und Puschkin“. Matthes & Seitz, Berlin 2007, 288 Seiten Heute um 20 Uhr: Buchpremierenshow mit Film und Musik, Münzsalon, Münzstraße 23; weitere Lesungen: 21. 3., Nimmersatt Buchhandlung; 27. 3., Sergej Mawrizki Stiftung | WIEBKE POROMBKA | Russische Seele mit ordentlich Schmackes: Julia Belomlinskaja mag gern viel Fleisch. Mit einer Performance stellt die nach New York emigrierte „Großstadtirre“ heute im Münzsalon ihr Romandebüt „Apfel, Huhn und Puschkin“ vor | [
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Der Hausbesuch: Aus der Erde herauswachsen - taz.de | Der Hausbesuch: Aus der Erde herauswachsen
Was tun, wenn der Krebs unheilbar ist? Wilm Weppelmann macht weiter Kunstprojekte in seinem Kleingarten. Und er will ans Meer.
Wim Weppelmann in seiner Gartenlaube Foto: Jakob Schnetz
Mit dem Sterben hat sich Wilm Weppelmann schon früher auseinandergesetzt. Seit der Krebs nicht mehr aufzuhalten ist, ist es konkret – und das Sterben Teil seiner Kunst.
Drinnen: Das Treffen findet coronabedingt in einer erdig duftenden Gartenlaube statt; nur wenige Quadratmeter ist sie groß und voller Gartenutensilien, Bücher, Kochgeräte. Dazu Schreibtisch und Lesesessel.
Draußen: Ein üppiger Kleingarten mitten in Münster mit hohem Süßkirschbaum, Gewächshaus und Stangenbohnen, Johannisbeeren, Kartoffeln, Auberginen, Gurken und dazwischen geradezu aufdringlich purpurne Lichtnelken, gelbe Calendula, roter Mohn.
Die Kolonie: Die Nachbargärten sind einer schöner als der andere, einer prangt voller Rosen, während daneben wilde Nachtkerzen, Malven, Borretsch und beim übernächsten Mangold, Kürbis und Mais wachsen. Einer geriert sich als Bienenweide, und dann gibt’s da auch noch einen voller Plastikspielzeug für Kinder. Wilm Weppelmann, schmal, groß und mitteilsam, ist der Vereinsvorsitzende der Kolonie. „Ein ganz Lieber“, sagt die Gärtnerin mit der Rosenpracht. Seit er Krebs habe, spende ihm der Garten Trost.
taz am wochenendeSeit über zwei Jahren werden Frauen, die sich offen gegen rechts positionieren, mit dem Tod bedroht. Absender: „NSU 2.0“. Steckt ein Polizist dahinter? Eine Spurensuche in der taz am wochenende vom 05./06. September. Außerdem: Die Theaterhäuser öffnen wieder – mit strengem Hygienekonzept. Was macht Corona mit der Kunst? Und: Eine Kräuterwanderung im Schwarzwald. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Krebs: Vor drei Jahren bekam er die Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Der gilt als nahezu unheilbar. Die Ärzte trauten sich dennoch zu operieren. Er war auf dem Weg der Besserung, als es hieß: Der Krebs ist zurück. Es hat gedauert, bevor die Ärzte sich entschlossen, es noch einmal mit einer OP zu versuchen. Die sei mit allem Drum und Dran die Hölle gewesen. „Erst jetzt wurde mir klar, dass ich mein Leben würde umstellen müssen.“ Seine Freunde legten zusammen und kauften ihm ein E-Bike. Damit er weiter in seinen Garten radeln kann. „Darüber habe ich mich riesig gefreut.“
Rückschlag: Erst ging es aufwärts, aber bald schon war der Krebs wieder da. „Da waren meine Liebste und ich am Boden zerstört. Damit waren all unsere Pläne zerstoben.“ Jetzt kam die Chemotherapie dran. Zudem meldete er sich beim ambulanten Hospizdienst, dem Palliativnetz Münster an. Die helfen, beraten, rufen an, um zu fragen, wie es geht. „Jetzt geht es um die Devise: Genieße den Tag! Aber natürlich plane ich auch, bis 2022.“ Es geht darum, zu haushalten: „Was ist mir wichtig? Was schaffe ich noch?“
Das Leben aufräumen: Nachsorge müsse er auch treffen, sagt er, „meinen Hausrat und meine Verhältnisse ordnen. Dazu ist man seiner Liebsten, seinen Nächsten verpflichtet.“ Zwar sei er als Künstler eine Art Lokalmatador, aber „pekuniär habe ich keinen Marktwert, es gibt nichts zu vererben.“ Trotzdem muss er mit Rücksicht auf die anderen klären: Was hinterlasse ich an immateriellem Erbe? Was soll mit den Büchern passieren? Und vieles mehr.
Freunde: Dabei müsse man sich aber Hilfe suchen und alles mit guten Freunden besprechen, die einen Blick auf die Dinge werfen, sagt er. Auch wichtig zu klären sei: „Wie komme ich finanziell hin?“
Zu Hause: Natürlich gebe es welche, überlegt Weppelmann, die geben in so einer Situation alles auf, kündigen die Wohnung, verkaufen den Hausrat und wandern aus, etwa nach Gomera. Aber er fühle sich wohl in seiner Häuslichkeit, zusammen mit der Liebsten. Und zwischen seinen Büchern. Denn bereits als er noch im Verlagswesen arbeitete, sammelte er Gartenbücher. Bei den Messen wussten alle Kollegen: Bei ihm konnten sie Kinderbücher gegen Gartenbücher eintauschen.
Herkunft: Wilm Weppelmann stammt vom Dorf. Sein Vater war Malermeister. Die Lehrlinge wohnten mit im Haus, außerdem des Vaters Mutter und Schwestern. Wilms Mutter stammte von einem Kötterhof fünf Kilometer weiter. Sie machte die Buchführung und verkaufte Farben und Pinsel. Und zusammen mit ihrer Schwiegermutter baute sie im Garten Gemüse an. Das empfand Weppelmann, als er noch Kind war, als gemütlich. Der Garten stand für Familienzusammenhalt. Zum Winter hin schlachteten die Männer eins der beiden Schweine und nahmen es aus. Die Frauen machten die Würste. Es gab einen Krämerladen, und kaum jemand kam je aus dem Dorf raus.
Ausbildung: Wilm aber wollte weg, machte in Münster Abi. Und studierte dort Germanistik. Er arbeitete erst an einem Theater und wurde dann Verlagsleiter in einem Kinderbuchverlag, danach Vertriebsleiter in einem anderen großen Verlag. Als er aufgrund von Stress zusammenklappte und ins Krankenhaus kam, wäre er infolge eines Arztfehlers fast gestorben.
Kunst: Weppelmann nutzte die Zeit seiner Genesung, um seine künstlerische Arbeit zu entwickeln; er kombinierte Text mit Fotografie. Sogar einen Ausstellungsraum fand er. „Ich war damals wohl auch sehr frech.“ Seine Ausstellung zum Thema „Sehen“ kam gut an. Die daran anschließende Ausstellung zum Thema „Zukunft“ ebenfalls. Bald danach wurde er mit der Leitung einer Ausstellung zum Thema „Sterben“ betraut, „am Museum für Sepulkralkultur in Kassel, das sich ausschließlich dem Umgang mit dem Tod widmet“.
Wim Weppelmanns Refugium von außen Foto: Jakob Schnetz
Nachtschreck: In der Ausstellung ging es ums Sterben, nicht um den Tod. Wie umgehen mit dem Dahinscheiden, wie gehen die anderen damit um? Überhaupt hat ihn das Thema Sterben vielleicht immer schon begleitet. Als Kleinkind hatte er den Pavor nocturnus – „Nachtschreck“. Der kleine Wilm schrie unvermittelt gellend laut auf, als sei da Todesangst, und schlief anschließend – im Gegensatz zu seinen erschrockenen Eltern – ruhig weiter.
Eine Fügung: Zum Garten kam er vor 20 Jahren auf merkwürdige Weise. Ein halbes Jahr radelte er an einem Aushang mit einer einprägsamen Telefonnummer vorbei „2717 … Garten abzugeben“. Eigentlich war er damals mit 45 Jahren an so etwas Piefigem wie einem Kleingarten nicht interessiert. Aber dann rief er doch dort an und war schon nach 14 Tagen Pächter eines vom Gestrüpp völlig überwucherten Kleingartens. Wilm legte sofort los. „Ich rackerte im ersten Jahr sicher 1.000 Stunden.“
Kopfstand: Und dann merkte er, was in so einem Garten alles steckt: Er machte einen Kopfstand, um die Welt von unten zu betrachten, und kam zu philosophischen, sozialkritischen und künstlerischen Themen. Schon im zweiten Jahr als Kleingärtner öffnete Wilm seinen Garten für die Gäste zu seiner allsommerlichen „Freien Gartenakademie“. Es kommen meistens so viele Leute, wie eben in den Garten passen. Wenn es dann bei den Konzerten doch mal mehr waren, sah sein winziger Rasenfleck ganz schön demoliert aus, erzählt er. Auch andere Projekte sind aus diesem Münsteraner Kleingarten hervorgegangen; etwa seine 30-tägige Performance „Was ich zum Leben brauche“ auf einem schwimmenden Gartenfloß oder seine Installation „The Hunger Garden“, wo nur Steckrüben und Mais wachsen.
Förderung: Die Stadt Münster, der Landesverband der Kleingärtner und Sponsoren helfen Weppelmann dabei, ReferentInnen zu finanzieren. Den Preis der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“ für 2017 erhielt er auch – von der Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf einer Bühne über dem Gartenteich überreicht.
Corona: Trotz Corona kommen die Leute zur Gartenakademie. Das Programm stand bereits fest, als Distanzregeln es nötig machten, alles neu „auszuhecken“: Die Besucher sitzen jetzt auf dem Weg vor dem Garten, und Weppelmann und sein jeweiliger Gast sehen nur die Köpfe oberhalb der Hecke. Ein bisschen wie ehedem die Kasperlepuppen in den Händen der kleinsten Spieler mit den noch zu kurzen Ärmchen.
Gartenkunst: Die künstlerische Arbeit mit dem Thema Garten will Weppelmann keinesfalls aufgeben. Trotz Krebs. Sowieso hat er ein neues Projekt in einem weiteren, verwilderten Garten, wo er und seine Liebste Mitmachmöglichkeiten für Schulkinder anbieten.
Ferien: Zunächst aber fahren die beiden eine Woche auf eine Insel. Sie wird ins Wasser springen und er sich einer neuen Fotoarbeit widmen. Sie haben eine Ferienwohnung und nehmen sich einen Strandkorb. Da kann man alles drinlassen, sogar bei Wind und Regen. Es gibt das Meer, den Strand und keine Autos. | Elisabeth Meyer-Renschhausen | Was tun, wenn der Krebs unheilbar ist? Wilm Weppelmann macht weiter Kunstprojekte in seinem Kleingarten. Und er will ans Meer. | [
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Kampf um die Vielfalt der Medien - taz.de | Kampf um die Vielfalt der Medien
Weser-Kurier wird nun staatlich subventioniert
Von Benno Schirrmeister
Kaum ist der ARD-interne Länderfinanzausgleich so geregelt, dass Radio Bremen eine Zukunft hat, gibt man sich dort großzügig und verteilt Geschenke. Zum Beispiel an den Bremer Weser-Kurier (WK): Während Subventionsempfänger sonst eher diskret damit umgehen, hängte WK-Chefredakteur Moritz Döbler vergangenen Montag an die große Glocke, dass sein Haus ab sofort Sachmittelbeihilfen der Anstalt des öffentlichen Rechts erhält – und zwar in Gestalt von Videos, um die eigene Homepage aufzupimpen.
Das war in der Tat dringend notwendig. Bislang hatte der WK den Digitial Space mithilfe von unprofessionellen Clips eher verschmutzt als ihn zu bereichern. Dem Anspruch, eine eigene Sicht auf das kleinste Bundesland und seine zwei Städte zu haben, hatte man damit immerhin gerecht werden können. Statt diesen Anspruch aber durch Investition in die Qualität der Beiträge zu untermauern, macht sich der Print-Platzhirsch jetzt vom Hauptanbieter informativer Bremen-Filme abhängig, eine Billiglösung, bei der auch die Autor*innen selbstredend leer ausgehen: Zusätzliche Honorare für die Weiterverwertung gibt es keine.
„Das ist kein Exklusivangebot“, zerstreut Radio-Bremen-Sprecher Jens Böttger alle wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Man beschicke ja auch Youtube mit Radio-Bremen-Filmchen. „Es steht allen anderen Medienhäusern frei, so eine Übernahmevereinbarung mit uns abzuschließen.“ Danach bekomme es dann Zugriff auf einen passwortgeschützten Bereich einer hausinternen Dropbox. Einzige Bedingung: „Wir haben uns das Recht vorbehalten, zu entscheiden, welche Beiträge wir freigeben und welche nicht.“ Praktiziert werde dasselbe Modell bereits vom Bayerischen Rundfunk, dem SWR sowie vom WDR. Der Vorteil für Radio Bremen: „Wir branden unsere Marke weiter als über die eigene Plattform“, sagt Böttger.
Das Nachsehen haben dabei natürlich private Anbieter, die konkurrierend zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk Regionalvideos produzieren. Denn die Lizenzen für lau vergeben, das kann man nur, wenn schon alles bezahlt ist. | Benno Schirrmeister | Weser-Kurier wird nun staatlich subventioniert | [
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■ AOK-Beiträge: Ein großer Batzen - taz.de | ■ AOK-Beiträge: Ein großer Batzen
Bonn (AFP) – Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) schließen höhere Beiträge im kommenden Jahr ohne weitere Einsparungen bei den Kosten für Krankenhausbehandlungen nicht aus. Der Krankenhausbereich sei mit 80 Milliarden Mark „der größte Batzen“ bei den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, sagte der Sprecher des AOK-Bundesverbands, Barske. Obwohl derzeit keine Beitragssteigerungen geplant seien, werde der Fortgang der Krankenhausreform über die Beiträge entscheiden. | taz. die tageszeitung | [
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Urlaub auf dem Wasser - taz.de | Urlaub auf dem Wasser
Rund ein Viertel der Landesfläche Mecklenburg-Vorpommerns steht unter Naturschutz. Die Mecklenburger Seenplatte bietet das größte zusammenhängende Wasserrevier Mitteleuropas
WASSERWANDERNHausboot- und Yacht-Verleih: Kuhnle-Tours, Hafendorf Müritz, 17248 Rechlin, Tel. (03 98 23) 2 66 11, www.kuhnle-tours.de Yachtcharter auf der Müritz und anderswo: Yachtcharter Schulz, An der Reeck 17, 17192 Waren/Müritz, Tel. (0 39 91) 12 15 77, www.bootsurlaub.de Bootverleih und Kurse auf der Müritz: tokon sports, Warener Str. 20, 17209 Sietow, Tel. (03 99 31) 5 26 96, www.tokon.de Geführte Angeltouren: Fischerei Müritz-Plau GmbH, Eldenholz 42, 17192 Waren, Tel. (0 39 91) 15 34-14, www.mueritzfischer.de Kajaktouren: Bibertours, Diemitzer Schleuse 5, 17255 Mirow, Tel. (03 98 27) 3 00 11, www.bibertours.de Floßfahrten: Green Lake Tours, Rudolf-Breitscheid-Str. 33, 17525 Mirwo, Tel. (01 72) 8 71 66 07, www.greenlaketours.de
VON RAINER HEUBECK
Wer mit dem ICE von Berlin nach Hamburg fährt, braucht dafür auf der Schnellstrecke nur noch neunzig Minuten. Wer sich mit dem Boot über die Havel und die Elbe sowie über Seen und Verbindungskanäle wie die Müritz-Havel- und die Müritz-Elbe-Wasserstraße auf den Weg macht, sollte mindestens drei bis vier Wochen einplanen – denn schließlich gibt es unterwegs nicht nur Natur pur zu genießen, sondern auch das eine oder andere Städtchen zu besichtigen. Doch die meisten Kajakfahrer, die auf den Kanälen und Seen Mecklenburgs als Wassernomaden unterwegs sind, unternehmen keine Langstreckentouren, sondern erkunden die Seenlandschaft und die Wasserstraßen des Landes ein Wochenende oder eine Woche lang – als Familie oder in kleinen Gruppen, teils mit Kajaklehrer, teils auf sich allein gestellt.
Ein beliebter Ausgangspunkt für Bootstouren ist der Labussee bei Diemitz. Im Camping- und Freizeitpark von Rüdiger Delmar können Kajaks und Kanadier sowie Paddel und Schwimmwesten geliehen werden. Zu Beginn der Touren, in der Diemitzer Schleuse, müssen sich die Paddler das Gewässer noch mit gecharterten Yachten und Hausbooten teilen, doch sobald die Kajakfahrer mit gleichmäßigen Paddelschlägen den Rätzsee erreicht haben, ist das Tuckern der Bootsmotoren verschwunden. Nun ist nur noch das Eintauchen der Paddel ins Wasser zu hören, das Rauschen der Wälder am Ufer und das Zwitschern der Vögel. Willkommen im Reich der Reiher und Seeadler, der Schilfrohre und der Wasserorchideen.
Rund ein Viertel der Landesfläche Mecklenburg-Vorpommerns, des am dünnsten besiedelten deutschen Bundeslandes, steht unter Naturschutz. Aus diesem Grund bietet die Mecklenburger Seenplatte, das größte zusammenhängende Wasserrevier Mitteleuropas, die idealen Voraussetzungen für einen naturnahen Urlaub. Egal ob Segler oder Angler, Hausbooturlauber oder Kajakfahrer, hier findet jeder sein Idyll am Wasser.
Einen deutlichen Zuwachs konnte in den vergangenen Jahren bei den Hausboot-Reisen vermeldet werden. Und das nicht nur, weil das Angebot an zu charternden Schiffen von Jahr zu Jahr wächst, sondern auch, weil Hobbykapitäne in Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile genauso unbürokratisch das Steuerrad übernehmen können wie Hausboot-Urlauber in Holland und Frankreich. Der Hintergrund: Auf vielen Abschnitten des Wasserlabyrinths kann ein bis zu 15 Meter langes und bis zu 12 km/h schnelles Boot inzwischen auch ohne Sportbootführerschein ausgeliehen und gesteuert werden. Eine ausführliche Einweisung genügt – und schon heißt es für eine Woche lang „Schiff ahoi“.
Die Hausbootkapitäne in Mecklenburg-Vorpommern kommen mittlerweile nicht nur aus anderen Regionen Deutschlands, sondern auch aus Österreich und der Schweiz. Doch auch für Mecklenburger bleibt das Wasserlabyrinth faszinierend. Nino Jörend beispielsweise. Der Mecklenburger hat etliche Zeit als Raumausstatter und Maler in Berlin gearbeitet. Nun hat er sein Leben zum Großteil aufs Wasser verlagert. Mit einem selbst gebauten Floß, das 13 Meter lang ist und auf dem acht Gäste wind- und wettergeschützte Schlafplätze finden, bietet er nicht nur Mehrtagestouren und Angelausflüge für Gruppen an, sondern auch ein außergewöhnliches Ambiente, um einen Geburtstag oder ein Jubiläum zu feiern. Dass die Welse, Zander und Hechte, die dabei vom Grill kommen, frisch sind, versteht sich von selbst. Der begeisterte Flößer, der sich ein Leben in der Stadt nicht mehr vorstellen kann, holt sie schließlich selbst mit der Angel aus dem Wasser.
Das Reich der tausend Seen, so wird die Mecklenburger Seenplatte häufig genannt. Der unumstrittene Platzhirsch unter den tausend Seen der Region ist dabei die Müritz. Mit einer Gesamtfläche von 117 Quadratkilometern ist sie fast eineinhalbmal so groß wie der Chiemsee. Der größte Binnensee Deutschlands ist ein ideales Revier für Segel- und Yachttouren sowie für Motorboot- und Katamaranausflüge. Das passende Boot dazu haben Bootsverleiher wie Steffen Schulz und Thomas Konnermann im Angebot, wobei Konnermann auch Vorbereitungskurse für die Segelschein- und für den Motorbootführerscheinprüfung anbietet.
Wer sich auf die Jagd nach einem Hecht oder Barsch machen möchte, ist bei den Müritzfischern an der richtigen Adresse. Jeder Besucher, der sich einen 28 Tage lang geltenden Touristenfischereischein besorgt hat, erhält bei ihnen nicht nur Angelkarten, sondern auch wertvolle Tipps. Daneben vermietet die Fischereikooperative Ferienwohnungen und Fischerboote.
Für Angel-Anfänger empfiehlt sich ein Ausflug in der Gruppe: Von Anfang Mai bis Ende November starten die Müritzfischer zweimal täglich zu geführten Angeltouren auf dem Fischkutter „Professor Wunsch“. Dieser bringt die Angelfreunde zu den besten Fischgründen auf der Müritz oder auf dem Kölpinsee. So können die Besucher sicher sein, dass „Petri heil!“ kein frommer Wunsch bleibt.
Tourismusverband Mecklenburg Vorpommern, Platz der Freundschaft 1, 18059 Rostock, Tel. (01 80) 5 00 02 23, www.auf-nach-mv.de | RAINER HEUBECK | Rund ein Viertel der Landesfläche Mecklenburg-Vorpommerns steht unter Naturschutz. Die Mecklenburger Seenplatte bietet das größte zusammenhängende Wasserrevier Mitteleuropas | [
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FDP rüttelt am Betreuungsgeld: „Das wird so nicht durchgehen“ - taz.de | FDP rüttelt am Betreuungsgeld: „Das wird so nicht durchgehen“
Wenn es ums Betreuungsgeld geht, soll CSU-Chef Seehofer rhetorisch abrüsten, finden FDP-Politiker. Sie wollen nochmal grundsätzlich an den Gesetzesentwurf ran.
Ist nicht ganz Schnulli: Wird das Geld an Eltern ausgezahlt oder für Kitaplätze ausgegeben? Bild: dpa
BERLIN dpa | Die FDP rüttelt erneut am Betreuungsgeld. Der FDP-Haushaltspolitiker Jürgen Koppelin bekräftige Forderungen aus seiner Partei, die Entscheidung zur Verwendung des Betreuungsgeldes den Ländern zu überlassen.
Im ARD-„Morgenmagazin“ sagte er: „Mein Vorschlag ist, dass wir sagen: Wir beschließen das Betreuungsgeld, aber die Länder sollen dann entscheiden, ob sie das Betreuungsgeld wollen, oder dieses Geld für den Ausbau der Kita-Plätze nehmen.“
Bei einer stärkeren Einbeziehung der Länder wäre das Gesetz allerdings auf jeden Fall im Bundesrat zustimmungspflichtig. Damit wäre das Betreuungsgeld angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer gescheitert.
Auf die Frage, warum die FDP das Betreuungsgeld nicht entschieden ablehne, sagte Koppelin: „Nun ist man in einer Koalition, und Herr Seehofer (CSU) soll ja auch gerne sein Gesicht wahren.“ Seehofer habe allerdings auch früher schon viele politische Fehler gemacht, unter anderem bei der Einführung der Praxisgebühr. Die Drohungen Seehofers mit Koalitionsbruch sollte man nicht zu ernst nehmen. Koppelin: „Das ist ein Fingerhakeln, was Herr Seehofer da macht.“
Der FDP-Bildungspolitiker Patrick Meinhardt sagte der Rheinischen Post: „Ich lasse mir als gewählter FDP-Bundestagsabgeordneter nicht vom bayerischen Ministerpräsidenten vorschreiben, wie ich beim Betreuungsgeld abzustimmen habe.“ Seehofer sollte „rhetorisch abrüsten und seine Drohgebärden ablegen“. In der jetzigen Form werde der Gesetzentwurf nicht durchgehen. | taz. die tageszeitung | Wenn es ums Betreuungsgeld geht, soll CSU-Chef Seehofer rhetorisch abrüsten, finden FDP-Politiker. Sie wollen nochmal grundsätzlich an den Gesetzesentwurf ran. | [
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Italiens Städte schmücken sich mit der Regenbogenfahne - taz.de | Italiens Städte schmücken sich mit der Regenbogenfahne
Von rund 2,5 Millionen Balkonen hängt in Italien die „Pace“-Fahne herunter. Auch in Deutschland ist die Friedensfahne schon ein Verkaufsschlager
ROM/BERLIN taz ■ Zu Beginn war es nur eine Fahne, die von einem der gut 100 Balkons des achtstöckigen Wohnblocks herunterhing, die mit ihren Regenbogenfarben und der Aufschrift „Pace“ Frieden im Irak reklamierte. Ein Fremdkörper, schien es, wie die Studenten, die sie aufgezogen hatten in dem eher rechts gestimmten Bürgerviertel Roms. Doch ein paar Tage später, Mitte Februar, wagt sich auch die Rentnerin im dritten Stock hervor, dann die Angestelltenfamilie im Erdgeschoss, das junge Ehepaar oben im achten Stock.
Durchaus repräsentativ für Italien. Auf circa 2,5 Millionen schätzt die Initiative „Frieden von allen Balkonen“ die Zahl der Fahnen, die mittlerweile quer durchs Land aufgezogen wurden. So breit mittlerweile das Spektrum der Organisationen ist, die sich der Kampagne angeschlossen haben, so repräsentativ ist der Querschnitt bei den Beteiligten. Ob linke Städte wie Bologna oder Florenz, ob katholisch geprägte Orte wie Trient – Italien trägt den Regenbogen.
Bei der Initiative selbst gibt es dank der regen Nachfrage immer wieder Lieferengpässe. In Spitzenzeiten näht die Firma aus der Nähe von Florenz 20.000 Fahnen pro Tag, und um die Nachfrage zu befriedigen, wurden Subunternehmer eingespannt. Doch mittlerweile vertreiben auch fliegende Händler an Straßenecken das bunte Tuch, legt es die linke Tageszeitung L’Unità ihrer Ausgabe bei.
Auch außerhalb Italiens ist die Nachfrage riesig. In Deutschland werden händeringend freiwillige Helfer zur Erledigung der Bestellungen gesucht. Zumindest bei der Attac-Gruppe im baden-württembergischen Blaustein, die die Flaggen unter www.friedensfahnen.de vertreibt.
„Die Bestellungen stapeln sich schon bis unter die Decke“, stöhnt Elke Grözinger von der lokalen Attac-Gruppe. Bisher wurden etwa 20.000 Flaggen zum Stückpreis von 10 Euro übers Internet verkauft, und mehr als 80 Verkaufsstellen haben sich der Aktion bereits angeschlossen. Pro Tag laufen in Blaustein etwa 500 Bestellungen ein.
Auch bei professionellen Flaggenhändlern läuft das Geschäft mit Friedensfahnen gut. Jens Hennlein vom Berliner Flaggenhaus am Alexanderplatz hat in den letzten Tagen die italienische Pace-Fahne „im fünfstelligen Bereich“ verkauft. Hauptsächlich an Wiederverkäufer. Neben der Friedensfahne ist auch die Nachfrage nach Irak- und USA-Fahnen enorm gestiegen „Wenn bei einer Demo 30 Schüler im Geschäft sind, kauft jeder Zweite aus Jux und Dollerei eine Irak- oder USA-Fahne.“ Das Geschäft mit den Friedensfahnen nennt Hennlein „eine schöne Sache“. Doch letzten Endes sei es nur „ein Ausgleich zur schlechten Konjunktur“.
Markus Brandt hingegen, der von Dortmund aus unter www.flaggen.org Fahnen vertreibt, hat Regenbogenfarben mit englischsprachigem Friedensaufdruck in Fernost in Auftrag gegeben. Weil die Lieferzeiten relativ lang sind, bekommt er die Ungeduld vieler Besteller zu spüren. „Die, die die Friedensflagge bestellen, gehören nicht unbedingt zur friedlichsten Kundschaft.“ MICHAEL BRAUNB. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA | MICHAEL BRAUN / B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA | Von rund 2,5 Millionen Balkonen hängt in Italien die „Pace“-Fahne herunter. Auch in Deutschland ist die Friedensfahne schon ein Verkaufsschlager | [
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Pensionskasse kauft deutsche Wohnungen: Das Geschäft mit den höheren Mieten - taz.de | Pensionskasse kauft deutsche Wohnungen: Das Geschäft mit den höheren Mieten
Die dänische Pensionskasse PFA kauft für eine Milliarde Euro 3.700 Wohnungen in Deutschland. Das soll sich durch teure Neuvermietungen rentieren.
Miethäuser in Hamburg. Auch hier haben die Dänen Wohnungen gekauft Foto: dpa
BERLIN taz | Die dänische Pensionskasse PFA kauft sich im großen Stil im deutschen Immobilienmarkt ein. Laut einem Bericht des Handelsblatts übernimmt PFA ein Portfolio von 3.700 Wohnungen an 15 Standorten in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Mieteinnahmen wird in München und Berlin erzielt. Weitere Bestände befinden sich in Düsseldorf sowie in Hamburg, Stuttgart und im Rheinland. Die Pensionskasse zahlt dafür insgesamt über 1 Milliarde Euro. Das ist bisher das größte Wohnimmobilieninvestment in Deutschland in diesem Jahr.
Verkäufer ist die Industria Wohnen. Die PFA setzt nun vor allem auf Mietsteigerungen durch Neuvermietungen, wenn Altmieter ausziehen: Bei Neumietverträgen liegt in München der Preis bei inzwischen 18 Euro pro Quadratmeter, bei Altverträgen bei 10.
Der Kauf beweist die ungebremste Attraktivität des Immobilienstandortes Deutschland auch für internationale Anleger – und ist ein Beleg für fehlenden Mieterschutz. Die bisherige Mietpreisbremse, die eine Steigerung der bisher gezahlten Miete um höchstes 10 Prozent erlaubt, hat sich als weitgehend wirkungslos erwiesen. Eine verbesserte Version ist im Koalitionsvertrag von Union und Sozialdemokraten vereinbart. Ein erster Entwurf aus dem SPD-geführten Justizministerium scheitert aber bislang am Widerstand der Union.
Zugleich dementiert der Verkauf an PFA das Frühjahrsgutachten 2018 des Immobilienlobbyverbands ZIA. Darin hieß es, der „seit acht Jahren andauernde Kauf- und Mietpreisanstieg“ in Berlin, München sowie in Stuttgart „dürfte bald zu Ende sein“.
Während die Mieterschutzregeln kaum vorankommen, kümmert sich die Große Koalition nun um bessere Regelungen für Eigenheim- und Wohnungskäufer, die gar nicht im Koalitionsvertrag vereinbart worden waren: Katarina Barleys Justizministerium prüft derzeit, ob die Käufer von Wohnungen und Häusern zukünftig von Maklergebühren befreit werden können. Die Kosten sollen auf die Verkäufer der Wohnungen verlagert werden.
Bernhard Daldrup, SPD„Grunderwerbsteuer, makler-, Notar- und Grundbuchkosten machen mittlerweile 15 Prozent des eigentlichen Kaufpreises aus“
Auch der wohnungspolitische Sprecher der SPD, Bernhard Daldrup, unterstützt diesen Plan: „Grunderwerbsteuer, makler-, Notar- und Grundbuchkosten machen mittlerweile 15 Prozent des eigentlichen Kaufpreises aus“, sagte er. „Damit gehören die Baunebenkosten zu den entscheidenden Preistreibern fürs Wohnen.“
Die Grünen hatten schon im Juli einen Antrag eingereicht, das sogenannte Bestellerprinzip, das jetzt schon beim Mieten gilt, auch auf den Erwerb von Wohneigentum auszudehnen. Auch die Linkspartei unterstützt diese Idee, Union und FDP zeigten sich zunächst skeptisch. Sie fordern Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer. Bereits vor der Sommerpause hatte die Koalition das Baukindergeld verabschiedet – auch dies eine Maßnahme zur Wohneigentumsbildung. Der Staat bezuschusst damit Familien bei dem Erwerb von Häusern und Wohneigentum. | Martin Reeh | Die dänische Pensionskasse PFA kauft für eine Milliarde Euro 3.700 Wohnungen in Deutschland. Das soll sich durch teure Neuvermietungen rentieren. | [
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Spannungen in Jerusalem: Einpeitschen am Heiligtum - taz.de | Spannungen in Jerusalem: Einpeitschen am Heiligtum
Itamar Ben-Gvir ist Israels Minister für Nationale Sicherheit. Nun war der rechte Politiker am Tempelberg – offenbar eine bewusste Provokation.
An einer Eskalation interessiert? Israels Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir Foto: Ariel Schalit/ap
TEL AVIV taz | Es war eine seiner ersten Amtshandlungen: Der neue israelische Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, besuchte am Dienstagmorgen den Tempelberg in Jerusalem. Der Chef der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke hat damit in der ersten Woche seines Amtes klargemacht, dass er auch in seiner Funktion als Minister seine Agenda durchziehen und den dort herrschen Status quo verändern will.
Der Tempelberg, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, ist einer der am meisten umkämpften Orte im palästinensisch-israelischen Konflikt.
Für Jüdinnen und Juden ist der Berg heilig, weil dort bis zu seiner Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. der Zweite Tempel stand. Mit der Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum Sehnsuchtsort vieler Jüdinnen und Juden wurde.
Im Islam stellt er die drittheiligste Stätte dar. Das Gelände ist außerdem zu einem Symbol eines erhofften palästinensischen Staates geworden und verbindet die Palästinenser*innen im Gazastreifen, im Westjordanland, in Israel und weltweit symbolisch miteinander.
Ben-Gvir: Zeiten haben sich geändert
Verwaltet wird der Tempelberg von der jordanischen Waqf-Stiftung. Derzeit gilt laut ungeschriebenem Status quo, dass nur Muslime auf dem Tempelberg beten dürfen. Nichtmuslime dürfen den Tempelberg zu bestimmten Zeiten besuchen, jedoch nicht dort beten.
Besuche von jüdisch-israelischen Politiker*innen auf dem Plateau werden von palästinensischer Seite als besondere Provokation und als Bedrohung des Status quo verstanden. Gleichwohl räumen seit einigen Jahren verschiedene extrem rechte jüdische Knessetabgeordnete dem Tempelberg Priorität ein und besuchen den Ort regelmäßig – sie müssen diese jedoch zuvor genehmigen lassen. Zuletzt besuchte Ben-Gvir den Tempelberg im vergangenen März.
Die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert und sich den Schutz von al-Aksa auf die Fahnen geschrieben hat, warnte, dass ein Besuch des Ministers für Nationale Sicherheit auf dem Tempelberg „die Situation in die Luft jagen“ werde.
Ben-Gvir twitterte kurz nach seinem Besuch: „Die israelische Regierung, der ich angehöre, wird sich einer abscheulichen Mordorganisation nicht ergeben. […] Wenn die Hamas denkt, dass sie mich abschrecken wird, wenn sie mich bedroht, dann lasst sie verstehen, dass sich die Zeiten geändert haben.“
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zu dem Tempelberg-Besuch seines Ministers zunächst nicht, aber er wird nicht wie geplant nächste Woche nach Abu Dhabi (Vereinigten Arabischen Emirate) fliegen. Es wäre der erste öffentliche Besuch des neuen Regierungschefs in dem Golfstaat gewesen. Diese Ankündigung kam Stunden nach dem Tempelberg-Besuch, der international, auch in den Emiraten, auf breite Ablehnung stieß.
Sorgen vor dem Frühjahr: Ramadan und Pessach gleichzeitig
Auch die palästinensische Autonomiebehörde kritisierte den Besuch als „beispiellose Provokation“. Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid und verschiedene israelische Nichtregierungsorganisationen verurteilten den Besuch ebenfalls scharf.
„Ben-Gvir ist an einer Eskalation interessiert“, erklärt Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem konzentriert: „Ben-Gvir hat in der Vergangenheit erklärt, dass die Moscheen auf dem Tempelberg vorübergehend seien. Sein politisches Lager glaubt, dass Eskalation der Weg ist, um ihre Ziele zur jüdischen Vorherrschaft auch auf dem Tempelberg durchzusetzen – jüdische Vorherrschaft, so wie sie in der Koalitionsvereinbarung dieser neuen extrem rechten Regierung festgehalten ist.“
Mit Sorge blicken viele Israelis und Palästinenser*innen außerdem auf das kommende Frühjahr. Wie schon im vergangenen Jahr überschneiden sich auch in diesem Ramadan und Pessach im April. Ramadan ist für gewöhnlich ohnehin eine Zeit erhöhter Spannung in Jerusalem, zumal wenn es mit dem höchsten jüdischen Fest zusammenfällt. | Judith Poppe | Itamar Ben-Gvir ist Israels Minister für Nationale Sicherheit. Nun war der rechte Politiker am Tempelberg – offenbar eine bewusste Provokation. | [
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Parlament stimmt gegen Berlusconi: Der Cavaliere fliegt aus dem Senat - taz.de | Parlament stimmt gegen Berlusconi: Der Cavaliere fliegt aus dem Senat
„Ein Tag der Trauer für die Demokratie“, sagt Silvio Berlusconi. Der verurteilte ehemalige Regierungschef verliert sein Senatorenmandat.
Der Gesichtsausdruck zum Ausschluss: Silvio Berlusconi. Bild: ap
ROM dpa | Silvio Berlusconi appellierte, drohte, forderte und schimpfte – doch dieses Mal nützten alle Tricks und Kniffe nichts. Trotz der Rettungsversuche und Verzögerungstaktiken hat ihm der italienische Senat am Mittwoch sein Mandat entzogen. Das Votum könnte das Ende der politischen Karriere des dreimaligen Regierungschefs besiegeln. Er verliert sein wichtigstes öffentliches Amt und darf zumindest für sechs weitere Jahre für kein neues Amt kandidierten. Es ist der Tiefpunkt eines desaströsen Jahres für Silvio Berlusconi.
Für Berlusconi selbst ist es nach wie vor ein Skandal, dass er überhaupt wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde, Sozialdienst leisten soll und nun auch noch sein wichtigstes öffentliches Amt verliert. „Heute ist ein bitterer Tag und ein Tag der Trauer für die Demokratie“, sagte er noch vor der Entscheidung. Bei der Abstimmung selbst war Berlusconi nicht anwesend – wohl um einer weiteren Demütigung zu entgehen. Sein Rauswurf aus dem Parlament ist für den 77-Jährigen das vorläufige Ende einer politischen Ära in Italien.
Es ist der bisherige Tiefpunkt eines schlimmen Jahres für den Mitte-Rechts-Politiker. Konnte der Medienmogul in seinen unzähligen Prozessen zuvor seinen Kopf immer irgendwie aus der Schlinge ziehen, gibt es dieses Mal kein Hintertürchen mehr, das Votum ist endgültig. Zuvor musste er im Laufe des Jahres gleich mehrere Tiefschläge einstecken. Neben der ersten rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs zählt dazu auch die Verurteilung im „Ruby“-Prozess um Sex mit minderjährigen Prostituierten zu sieben Jahren Haft.
Und das Ende des Unheils ist damit noch lange nicht erreicht: Der oberste italienische Gerichtshof muss zusätzlich über ein Ämterverbot für ihn entscheiden, dazu geht der „Ruby“-Prozess in die nächste Instanz. Im Februar beginnt zudem ein neuer Prozess gegen Berlusconi wegen angeblicher Bestechung eines Senators. Hinzu kommt: Mit dem Senatsausschluss hat Berlusconi auch keine Immunität mehr.
Nicht mehr auf Berlusconi angewiesen
Auch politisch hat der frühere Regierungschef an Einfluss verloren: Seine Trumpfkarte – die Drohung, bei seinem politischen Fall die Regierung mit in den Abgrund zu reißen – zieht nicht mehr, nachdem seine Partei Volk der Freiheit (PdL) zerbrochen ist. Eine Gruppe um Innenminister Angelino Alfano wollte Berlusconis Kurs nicht mittragen und ließ ihn mit dem Versuch scheitern, Regierungschef Enrico Letta bei einer Vertrauensabstimmung zu stürzen.
Die neu gegründete Partei Alfanos sichert Letta die Mehrheit im Parlament, der Regierungschef ist nicht mehr auf Berlusconi und seine Gefolgsleute angewiesen. Nachdem seine Regierung am Dienstagabend trotz des vorherigen Ausstiegs von Berlusconis Partei aus der Koalition eine Abstimmung zum Etat gewonnen hatte, kündigte Letta an, das Ergebnis gebe dem Bündnis „Stärke, Einigkeit und Perspektiven“.
Doch Berlusconi ist zäh und hartnäckig, ans Aufgeben denkt er noch lange nicht. „Auch außerhalb des Parlaments kann man immer noch kämpfen, für die Freiheit einstehen“, sagte er. Beobachter trauen ihm zu, auch ohne Parlamentariermandat weiter eine wichtige Rolle in seiner Partei zu spielen und die Gefolgsleute nach seinem Willen zu leiten. | taz. die tageszeitung | „Ein Tag der Trauer für die Demokratie“, sagt Silvio Berlusconi. Der verurteilte ehemalige Regierungschef verliert sein Senatorenmandat. | [
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Journalistische Angebote für junge Leute: Keine Zeit für Experimente - taz.de | Journalistische Angebote für junge Leute: Keine Zeit für Experimente
Vor knapp fünf Jahren gingen Formate wie „Bento“ und „Ze.tt“ an den Start. Jetzt naht bei vielen das Ende. Ist allein Corona daran schuld?
Jahrelang arbeitete die „Bento“-Redaktion im Erdgeschoss des „Spiegel“-Hauses in Hamburg Foto: imago
HAMBURG taz | „Zeit für etwas Frisches“ – mit diesen Worten gab der damalige Spiegel-Online-Chefredakteur Florian Harms 2015 den Startschuss für „das neue Angebot für junge Leute“ aus seinem Haus: Bento war geboren. Die Neuen bezogen einen eigenen Newsroom, maximal getrennt von ihren älteren Kolleginnen und Kollegen.Die einen pflasterten vom Dachgeschoss aus das Internet zu, die anderen begannen, sich im Erdgeschoss auszutoben.
Es war die Zeit, in der Verlage viel probierten, um weiteres Publikum für sich und vor allem auch für die eigenen Werbekunden zu gewinnen. Bei dem Aufbruch ging es nicht zuletzt darum, die nächste Generation an etablierte Häuser zu binden.
Wenige Monate vor Bento hatte bereits Zeit Online einen Ableger gestartet. „Es ist ein Ze.tt“, bloggte Jochen Wegner, der Chefredakteur von Zeit Online. Das neue Team, sagte er damals im Interview, solle „ein bisschen rumspielen, uns auch ärgern“. Der Verlag spendierte Ze.tt sogar eigene Räume mehrere U-Bahn-Stationen entfernt, um möglichst unabhängig wirken zu können.
Der Start dieser Portale war auch eine Reaktion auf einen Eindringling im hiesigen Medienmarkt. Schon 2014 legte die deutsche Version von Buzzfeed los, das konsequent – wie kein Portal hierzulande – auch für Spaß sorgte. Die eigene Homepage war von Beginn an ein beiläufiges Produkt. Kern der Sache sollte vielmehr sein, Menschen über soziale Netzwerke zu erreichen. Damals war dieser Schwerpunkt originell.
Das Coronavirus, das auch eine Wirtschaftskrise ausgelöst hat, bringt nun die Projekte ins Wanken. Die Redaktion von Buzzfeed ist größtenteils in Kurzarbeit, arbeitet nur einen Tag pro Woche. Die Zentrale in den USA versucht, die deutsche Redaktion zu verkaufen. Ze.tt schlüpft bei Zeit Online als Ressort unter. Bento verschwindet ganz.
Die Anzeigen-Krise
Den kleinen und großen Nachrichtenmarken, Zeitungshäuser wie Onlineportale, sind die Werbeeinnahmen weggebrochen. Bei Tageszeitungen haben auch Stammkunden ihre Abos gekündigt. Vor allem Unternehmen versuchen, das Geld zusammenzuhalten. Das alles trifft viele Häuser schwer, die nicht das Privileg der Beitragsfinanzierung haben oder wie die taz von einer Genossenschaft getragen werden, die wie ein Schutzschirm wirkt.
Andererseits melden erste Medienhäuser auch Zuversicht. Der Zeit-Verlag berichtet etwa von „ordentlichen Zuwächsen“ bei Abos, in der Auflage und auch der Reichweite im ersten halben Jahr. Im Anzeigengeschäft habe es zwar „coronabedingt deutliche Einbußen“ gegeben. Für die nächsten Monate sei man aber wieder „vorsichtig optimistisch“.
Während der Verlag nicht nur im Vertrieb, in der Anzeigenakquise und in der Organisation von Konferenzen, die vor Corona in vielen Häusern als vermeintlicher Zukunftsmarkt ausgebaut wurden, auch in der Printredaktion „in geringem Maße“ Kurzarbeit eingeführt habe, sei zumindest die Printredaktion wieder bei „100 Prozent“. Trotzdem fallen beim Zeit-Magazin fast alle Regionalausgaben weg. Andere Ableger verschieben sich: das Magazin speziell für Männer, die internationale Ausgabe und der noch neue Ableger, der sich an Menschen im Ausland richtet, die mit dem Gedanken spielen, in Deutschland zu studieren.
Das eigene Geschäft beschnitten hatte mit dem Aufkommen der Coronakrise auch die FAZ. Ende Juni erschien das letzte Mal die Frankfurter Allgemeine Woche, nach insgesamt vier Jahren. „Das Magazin hat viele Leser gefunden und eine jüngere Zielgruppe an die FAZ herangeführt“, heißt es am Main. Die Abo-Zahlen seien aber zu schlecht gewesen. Letztlich habe dann noch „die Coronakrise die Lage am Anzeigenmarkt und im Verlagsgeschäft weiter verschärft“. Corona, zeigt sich hier, ist mancherorts auch ein Anlass zum Aufräumen. Immerhin: Eine Sprecherin bestätigt, dass tatsächlich alle Mitarbeitenden der Woche Anfang Juli anderweitig im Haus untergekommen sind. Auch sei bislang keine Kurzarbeit nötig gewesen. „Der Verlauf der nächsten Wochen ist jedoch nicht absehbar.“
Eine ungewisse Lage
Wie alle größeren Portale spürt die FAZ seit Corona deutlich stärkere Zugriffe auf das eigene Portal im Netz und verkauft dafür auch zunehmend Digitalabos. Das hat, wie so oft, auch mit einer Aktion zu tun: Die Zeitung senkte den Preis für ihr Bezahlangebot F+ auf monatlich einen symbolischen Euro. Das brachte ihr gut 22.000 neue Abonnentinnen und Abonnenten. Ob dieser Aufschwung nachhaltig ist, ist aber unklar: Der Niedrigpreis gilt für vier Monate. Frühestens im August wird die Zeitung wissen, ob viele auch zum regulären Preis bleiben.
Interviews ermöglichte für diesen Text keine Geschäftsführung. Die Lage scheint noch viel zu ungewiss, Entscheidungen bisweilen auch unangenehm. Bekannt vom Spiegel ist, dass er ein weiteres Sparprogramm aufgelegt hat. Auch wenn es beim Spiegel noch lange nicht an die Substanz geht, sollen in den nächsten Jahren 10 Millionen Euro eingespart werden. Mit dem Aus von Bento werden nicht alle Mitarbeitenden im Haus bleiben, ebenso wie auch der Zeit-Verlag nicht allen Ze.tt-Mitarbeitenden Angebote für eine gemeinsame Zukunft macht.
Bento soll sich einige Jahre selbst getragen haben. Der Versuch, das Angebot in eine nächste Phase zu entwickeln und dafür zu entschleunigen – mehr Eigenrecherchen zu bieten, statt bloß eines von mehreren jungen News-Portale zu sein – sei aber schiefgegangen. Die Marke habe sich nicht „drehen“ lassen, heißt es. Dann sei eben auch noch der Werbe-Killer Corona eingeschlagen. Und für ein junges Portal statt Werbung Abos zu verkaufen, sei aussichtslos.
Der Spiegel arbeitet nun an einem neuen Angebot für die junge Zielgruppe, wenn Bento im Herbst wegfällt. Spiegel Start soll jungen Leuten Lebenshilfe bieten, etwa zur Karriere und Orientierung bei Verbraucherthemen. Gerade das zuletzt aufgebaute Digitalressort Leben steht dem Vernehmen nach vor der Aufgabe, künftig stärker auch die „U30“ anzusprechen.
Die Zeit und der Spiegel hatten ihre jungen Ableger auch gegründet, um – wie Buzzfeed – mit neuen Werbeformen zu experimentieren: dem „Native Advertising“, bei dem die Grenzen von Werbung und Journalismus verschwimmen, Werbetreibende Geschichten „sponsern“. Bento setzte dafür sogar einen Experten mit an den Newsdesk und hatte „mehr Freiraum sowohl für inhaltliche Experimente als auch neue Wege in der Vermarktung“, als das unter der Marke Spiegel möglich wäre, hieß es noch vor einigen Jahren offiziell, während es im gedruckten Spiegel unter der Überschrift „Seelen-Verkäufer“ über andere Medienhäuser hieß: „Werbung, die aussieht wie ein Text der Redaktion, wird es nicht geben.“
Nun hat diese Werbeform in Deutschland allerdings auch nie so gezündet wie etwa in den USA. Außerdem sind auch einige etablierte Portale flexibler geworden, wenn es darum geht, Werbung nicht allzu platt als solche auf die Seiten zu stellen. Die Zeit der Experimente ist heute ein Stück weit vorbei. Ob das alles mit oder wegen Corona passiert? Auch da scheinen die Grenzen fließend. Erkennbar ist allerdings: Ob Spiegel, Zeit oder auch Tageszeitungen wie die FAZ: Verlage konzentrieren sich in der Krise wieder stärker auf ihre Kernprodukte. | Daniel Bouhs | Vor knapp fünf Jahren gingen Formate wie „Bento“ und „Ze.tt“ an den Start. Jetzt naht bei vielen das Ende. Ist allein Corona daran schuld? | [
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Dämpfer für STEAG-Kraftwerk - taz.de | Dämpfer für STEAG-Kraftwerk
DUISBURG taz ■ Die Hoffnungen der Essener STEAG AG auf ein problemloses Durchwinken ihrer Kraftwerkspläne in Duisburg-Walsum haben einen Dämpfer erhalten. Der Duisburger Umweltausschuss verabschiedete am Dienstag einen Fragenkatalog, in dem zahlreiche Nachuntersuchungen in Bezug auf dem Lärm und die austretenden Schadstoffe gefordert werden, die durch den neuen Kraftwerksblock ab 2009 entstehen. Würden diese Fragen nicht geklärt, soll die Behörde nach dem Votum des Ausschusses eine Genehmigung des Vorhabens versagen. Ohnehin will die Bürgerinitiative „BI gegen Umweltgifte Duisburg-Nord“ wegen der unmittelbaren Nähe des geplanten Kraftwerkblocks zum Naturschutzgebiet Walsumer Rheinaue Beschwerde bei der EU einlegen, so Michael Lefknecht, Umweltmediziner der BI. FLO | FLO | [
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Krimiserie aus Großbritannien: Immerhin zweite Liga - taz.de | Krimiserie aus Großbritannien: Immerhin zweite Liga
Detektiv Brodie ist ein Verlierer. Zunächst sucht er nach verschwundenen Katzen. ZDFneo zeigt mit „Case Histories“ noch eine britische Krimiserie.
Jackson Brodie (Jason Isaacs) zusammen mit seiner Tochter Marlee Brodie (Millie Innes). Bild: ZDF / Steffan Hill
„Nominiert für den Guter-Staatsbürger-Preis“, lautet die Schlagzeile. Auf der Stirn des Porträtierten ein mit Kugelschreiber hingeschmiertes Gemächt. Er hat einen Kollegen als Vergewaltiger entlarvt, jetzt ist er seinen Polizistenjob los. Die Frau hat ihn verlassen, jetzt will sie mit der kleinen Tochter auch noch nach Neuseeland. In seinem neuen Brotjob als Detektiv sucht er nach verschwundenen Katzen. Es lief zuletzt nicht besonders gut für Jackson Brodie.
So gesehen bedeuten ein vor 30 Jahren verschwundenes Mädchen und eine ermordete Anwaltstochter einen Hoffnungsschimmer. Den Auftrag, das Schicksal des Mädchens zu ergründen, bekommt Brodie eher zufällig. Edinburgh hat eine halbe Million Einwohner, wirkt aber in der sechsteiligen ersten Staffel der Serie „Case Histories“ ziemlich kleinstädtisch.
„Ich habe eine Theorie über dich, Jackson“, sagt eine frühere Kollegin, „du versuchst verzweifelt, irgendwo dazuzugehören. Aber irgendwas in dir lässt es nicht zu.“ Wie es sich für einen anständigen Ermittler alter Schule gehört, zumindest außerhalb des „Tatort“-Universums, ist Brodie also ein Einsamer. Nicht unsensibel, etwas phlegmatisch vielleicht.
Schwedische wie britische Krimis sind ja etwas, wofür man im Angesicht des deutschen Regionalkrimiunwesens grundsätzlich dankbar zu sein hat. Es werden auch grundsätzlich alle Krimibücher aus besagten Ländern verfilmt, mitunter mehrfach, siehe Kommissar Wallander.
Die „Case Histories“ basieren auf Romanen von Kate Atkinson. Jason Isaacs, bisher vor allem als Unsympathen-Nebendarsteller in „Harry Potter“ und diversen Hollywoodfilmen zu sehen, macht als Jackson Brodie keine schlechte Figur. Man kann sich das gut angucken – in der ersten Liga mit „Cracker“ und „Sherlock“ und „Luther“ spielt die neue BBC-Serie aber nicht. | Jens Müller | Detektiv Brodie ist ein Verlierer. Zunächst sucht er nach verschwundenen Katzen. ZDFneo zeigt mit „Case Histories“ noch eine britische Krimiserie. | [
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NSU-Prozess in München: Anwälte beantragen Einstellung - taz.de | NSU-Prozess in München: Anwälte beantragen Einstellung
Die Verteidiger von Beate Zschäpe beklagen, dass wegen der unklaren Rolle der V-Leute und geschreddeter Akten ein faires Verfahren unmöglich sei.
Beate Zschäpe wird wohl trotz der Anträge ihrer Anwältin noch öfter ins OLG München kommen müssen. Bild: dpa
MÜNCHEN taz | Die Verteidigung der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe hat am Dienstagvormittag beantragt, den NSU-Prozess komplett einzustellen. Wegen der unklaren Rolle der V-Leute, vernichteter Akten und einer angeblichen Vorverurteilung der Angeklagten lägen „unheilbare Verfahrenshindernisse“ vor, begründete Zschäpes Anwältin Anja Sturm den Antrag.
Ausführlich zitierte Sturm Politiker und Vertreter der Strafverfolgungsbehörden, die in den vergangenen Monaten von einem „Terror-Trio“ oder einer aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestehenden „Mörderbande" gesprochen hätten. Dabei müsse gerade dies erst noch vor Gericht bewiesen werden. Die Verteidigerin sprach von einer „gezielten und von den Strafverfolgungsbehörden gesteuerten Vorverurteilung“ sowie voreingenommenen Befragungen von Zeugen.
Als einen weiteren Grund, der ein faires Verfahren unmöglich mache, führte die Zschäpe-Verteidigung die Vielzahl von V-Leuten von Verfassungsschutz und Polizei auf, die im Umfeld des Neonazitrios eingesetzt worden seien. Elf in den Medien erwähnte Spitzel staatlicher Stellen nannte Anwältin Sturm. Über deren Agieren könne sich die Verteidigung kaum ein Bild machen, da die Vorgänge geheim gehalten würden.
„Bloße Mutmaßungen“
Zudem seien beim Bundesamt für Verfassungsschutz und beim Berliner Verfassungsschutz möglicherweise prozessrelevante Akten von V-Leuten vernichtet worden. „Das Verfahren ist deshalb wie beantragt einzustellen“, sagte Zschäpe-Verteidigerin Sturm.
Alle bisherigen Anträge der Verteidiger auf Unterbrechung, Aussetzung oder Einstellung des NSU-Prozesses hat der Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts bisher jedoch abgelehnt.
Die Anwältin des Neonazis Ralf Wohlleben, der wegen Beihilfe zum Mord angeklagt ist, hatte in der letzten Prozesswoche vor Pfingsten ebenfalls mit Verweis auf einen angebliche Vorverurteilung und „geheimdienstliche Verwicklungen“ in das Treiben des NSU beantragt, das Verfahren einzustellen.
Diesen Antrag wischte der Vorsitzende Richter Götzl bereits an diesem Dienstag mit knappen Worten beiseite und sprach von „bloßen Mutmaßungen“. Es gebe „keine Anzeichen, dass die Durchführung eines fairen Verfahrens nicht möglich ist“, sagte Götzl. Über den Antrag der Zschäpe-Verteidiger wird später entschieden. | Wolf Schmidt | Die Verteidiger von Beate Zschäpe beklagen, dass wegen der unklaren Rolle der V-Leute und geschreddeter Akten ein faires Verfahren unmöglich sei. | [
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Studie zu Vorurteilen bei Polizei: Cops im Visier der Polizei - taz.de | Studie zu Vorurteilen bei Polizei: Cops im Visier der Polizei
Die Hamburger Akademie der Polizei will eine Studie zur Arbeitsbelastung starten, in der es auch um die Entstehung von Vorurteilen gehen soll.
Könnte für die Studie interessant sein: Umgang mit Demonstrierenden im Juni 2020 in Hamburg Foto: dpa
HAMBURG taz | Man könnte die Ankündigung der Hamburger Akademie der Polizei, sich mit den Einstellungen ihrer BeamtInnen in einer Studie zu beschäftigen, als Widerstand gegen die Haltung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deuten. Der hat eine Untersuchung, die sich gezielt mit rassistischen Einstellungen bei der Polizei befasst, abgelehnt. Doch die Hamburger Akademie hat unter ihrem Leiter Thomas Model eine solche Studie schon seit 2019 vorbereitet. Fragt man allerdings in der Pressestelle der Hamburger Polizei nach, in welchem Verhältnis das eigene Projekt zum Seehofer’schen Nein steht, so schweigt sie sich zu diesem Punkt aus.
Tatsächlich spricht die Initiative für sich. Es gehe darum, „Erkenntnisse zum Ausmaß von werte- und demokratiebezogenen Einstellungen sowie zu diesbezüglichen Schutz- und Risikofaktoren“ bei den MitarbeiterInnen zu erhalten, so fasst Polizeisprecher Holger Vehren die Ziele zusammen. Noch konkreter hatte es Thomas Model im Hamburger Abendblatt formuliert, als er von „Risikofaktoren“ für die „Entstehung von Vorurteilen und radikalen Einstellungen“ bei der Polizei sprach.
Partner für das Projekt sind bislang das Institut für Soziologie und Sozialwissenschaften der Uni Hamburg, das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld sowie das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Noch sei das Projekt in einem „frühen Stadium“, so Vehren, deshalb lasse sich etwa die Frage, ob das Thema Racial Profiling eine Rolle spielen werde, nicht beantworten. Eben dies ist eine Forderung des Hamburger Linken-Abgeordneten Deniz Celik, der eine wissenschaftliche Studie dazu beantragt hat.
Nun begrüßt Celik zwar, dass sich die Polizei mit den Einstellungen ihrer MitarbeiterInnen befasst, fürchtet aber, „dass die Studie nicht auf diskriminierende Praktiken zielt“. Zudem sieht er die Gefahr, dass durch die freiwillige Teilnahme vor allem jene repräsentiert werden, deren Haltung nicht diskriminierend ist.
Die Innenbehörde unterstützt die Studie, weil sie sich „nicht allein auf Rassismus oder Racial Profiling in der Polizei verengt“
Dem widerspricht Anja Mensching, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Organisationspädagogik an der Uni Kiel und Mitorganisatorin des Arbeitskreises Empirische Polizeiforschung. Dass die Teilnahme an solchen Studien auf freiwilliger Basis erfolge, sei „ethisches Grundprinzip der Forschung“.
Für sie ist die Idee einer Forschungskooperation zwischen der Hamburger Akademie der Polizei und der Universität Bielefeld sowie dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen „auf jeden Fall eine sehr gute Idee“. Denn bislang gebe es vor allem Studien, die sich aus psychologischer Sicht mit der individuellen Arbeitsbelastung von PolizistInnen befassten, aber kaum solche, die die Polizei als Organisation betrachteten. Damit hätte eine aktuelle Studie die Chance, etwa in den Blick zu nehmen, wie dort Vergemeinschaftung ablaufe oder wie mit widerstreitenden Positionen umgegangen werde. Von einer solchen Untersuchung könne die Polizei „unglaublich viel gewinnen“.
Den Widerstand gegen eine solche Selbsterforschung – bis hin zum Reizthema Racial Profiling – verortet Mensching weniger im Polizeiapparat selbst. Nach ihrer Erfahrung mit Führungskräften in der niedersächsischen Polizei anlässlich einer Studie zur Arbeitsbelastung gebe es dort „eine hohe Sensibilität für Ungleichbehandlung in den verschiedensten Formen“. Die Vorbehalte sieht Mensching vor allem auf der politischen Seite. Sie plädiert dafür, den Fokus für Diskriminierung aller Art zu öffnen – und tatsächlich mit einer offenen Fragestellung zu arbeiten.
Eben das klingt in den Stellungnahmen der Hamburger Innenbehörde und der Polizeigewerkschaft mit. Die Innenbehörde betonte, man unterstütze die Studie, weil sie sich „ja eben gerade nicht allein auf Rassismus oder Racial Profiling in der Polizei verengt“.
Ähnlich klingt es in einer Stellungsnahme der Hamburger Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Die GdP unterstützt eine Belastungsstudie und lehnt eine Rassismus-Studie ab.“ Denn: „Wir wollen als Kolleginnen und Kollegen und als Gewerkschaft wissen, wie sich Denken und Handeln verändern, wenn Polizeibeschäftigte Tag und Nacht wiederkehrende Erfahrungen mit bestimmten Bevölkerungsgruppen, Kriminalitätsfeldern und auch mit Justizabläufen machen.“
Für einen solchen Zugang, der Rassismus in der Polizei nicht zur Ausgangsfrage macht, findet sich eine breitere Basis. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte an, eine von der GdP vorgeschlagene Studie zum Polizeialltag in der Innenministerkonferenz vorzutragen. Die Studie soll laut GdP Belastungen der Polizei untersuchen, aber auch herausfinden, warum sich „Vorurteile gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen“ bei einzelnen Beamten verfestigten und was man dagegen tun könne. | Friederike Gräff | Die Hamburger Akademie der Polizei will eine Studie zur Arbeitsbelastung starten, in der es auch um die Entstehung von Vorurteilen gehen soll. | [
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Betrugsvorwüfe gegen Beatrix von Storch: Absolut reines Gewissen - taz.de | Betrugsvorwüfe gegen Beatrix von Storch: Absolut reines Gewissen
Der AfD-Politikerin von Storch wird Wahlmanipulation vorgeworfen. Dann eskaliert es im Berliner Landesverband.
Hat angeblich ein absolut reines Gewissen: AfD-Vize-Bundessprecherin Beatrix von Storch Foto: imago
BERLIN taz | Es knallt in der AfD Berlin: Eine Erklärung des Landesschiedsgerichts ist eine offene Abrechnung mit der Vizebundessprecherin und Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch: Beide Kammern des AfD-internen Schiedsgerichts haben in einer Erklärung von Storch Verbreitung von Unwahrheiten vorgeworfen, ihr üble Nachrede unterstellt sowie dem Landesvorstand ein Parteiordnungsverfahren empfohlen. Die interne Erklärung liegt der taz vor. Ihre Authentizität wurde aus Kreisen des Landesschiedsgerichts bestätigt.
Hintergrund des Konflikts ist ein mutmaßlicher Wahlbetrug im Juni bei der Wahl der Delegierten für den anstehenden Bundesparteitag im Dezember. Per einstweiliger Anordnung hatte das Landesschiedsgericht Anfang November aufgrund von Ungereimtheiten beschlossen, dass die AfD Berlin ihre 25 gewählten Delegierten nicht zum Bundesparteitag in Wiesbaden schicken darf, weil ansonsten die Parteitagsbeschlüsse anfechtbar seien.
Im Zentrum der Vorwürfe steht von Storch, Berlins prominentestes AfD-Mitglied und gut vernetzte Antifeministin. Sie soll hinter den Kulissen der Delegiertenwahl „im Back-Office“ auf Zuruf Namen auf die Liste der Delegierten setzen haben lassen. Belastet wurde von Storch offenbar durch eine eidesstattliche Versicherung eines Zeugen.
Pikant: Von Storch hatte bereits 2016 bei ihrer zwischenzeitlichen Wahl zur Berliner AfD-Chefin mit Betrugsvorwürfen zu kämpfen. Nach den jüngsten Vorwürfen griff von Storch das Landesschiedsgericht vergangene Woche öffentlich an. Sie unterstellte einem Richter einen persönlichen Rachefeldzug – weil dieser selbst nicht gewählt worden sei. Die Wahl sei rechtmäßig abgelaufen, behauptet von Storch.
Der Landesvorstand um die Vorsitzende Kristin Brinker legte unterdessen Rechtsmittel gegen den Beschluss ein. Nun muss das Bundesschiedsgericht prüfen – mit einer Entscheidung vor dem Parteitag ist aber eher nicht zu rechnen. So lange gilt die einstweilige Anordnung. Der Sprecher der AfD Berlin, Ronald Gläser, erklärte der taz, dass der Landesverband nun die 2019 gewählten Delegierten entsenden will. | Gareth Joswig | Der AfD-Politikerin von Storch wird Wahlmanipulation vorgeworfen. Dann eskaliert es im Berliner Landesverband. | [
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Kommentar Glyphosat-Zulassungsskandal: Die Zweifel sind immens - taz.de | Kommentar Glyphosat-Zulassungsskandal: Die Zweifel sind immens
Das Bundesinstitut für Risikobewertung kopiert Urteile aus dem Zulassungsantrag von Monsanto in ihr Gutachten. Wo ist die gebotene Distanz?
Die aktuelle Glyphosat-Zulassung in der EU läuft Ende des Jahres aus, wenn sie nicht wie von der EU-Kommission gewünscht um zehn Jahre verlängert wird Foto: dpa
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gibt sich gern als Hort der unabhängigen Wissenschaft. Doch wenn es um Pestizide geht, ist es mit Wissenschaftlichkeit und Neutralität zuweilen nicht weit her in dieser Behörde, die maßgeblich an der Zulassung der Chemikalien beteiligt ist.
Das zeigt die Affäre um die BfR-Bewertung des unter Krebsverdacht stehenden Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat: Die Beamten haben einfach seitenweise Urteile über kritische Studien aus dem Zulassungsantrag von Monsanto und anderen Herstellern in ihr Gutachten kopiert. Ohne die Quelle zu nennen – was einem Plagiat entspricht. Und ohne diese Urteile mit eigenen Kommentaren zu versehen. Auch auf dieser Grundlage kommen die BfR-Beamten zu dem Schluss, Glyphosat sei nicht krebserregend.
Die Umstände dieser Bewertung im Sinne der Hersteller nähren erhebliche Zweifel daran, dass das BfR wirklich mit der gebotenen Distanz analysiert.
Das ist nicht das erste Indiz dafür, dass die Pestizidprüfung der Behörde zu wirtschaftsnah ist. Schon länger ist bekannt, dass BfR-Beamte gemeinsam mit Mitarbeitern von Agrochemie-Konzernen zum Beispiel eine Studie geschrieben haben. Das Bundesinstitut lässt sich auch nach eigenen Angaben bis heute in seiner „Kommission für Pflanzenschutzmittel“ unter anderem von Industrievertretern beraten.
All das sind keine Beweise dafür, dass der Persilschein des BfR für Glyphosat tatsächlich falsch ist. Theoretisch könnte es ja sein, dass die Beamten nach bestem Wissen und Gewissen zu demselben Schluss gekommen sind wie die Monsanto-Wissenschaftler. Dass sie sich deshalb die Worte der Industrie zu eigen gemacht haben.
Aber die Zweifel sind immens. Und das BfR konnte sie mit seiner Stellungnahme nicht ausräumen. Denn die bezieht sich gar nicht auf die kritisierten Passagen des Gutachtens, sondern auf andere, in denen die Industriequellen klar genannt werden. | Jost Maurin | Das Bundesinstitut für Risikobewertung kopiert Urteile aus dem Zulassungsantrag von Monsanto in ihr Gutachten. Wo ist die gebotene Distanz? | [
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Moksels verzwicktes Konto „Sylvia“ - taz.de | Moksels verzwicktes Konto „Sylvia“
Berliner Staatsanwaltschaft bezichtigt den bayerischen Fleischmogul Moksel der Steuerhinterziehung / Geldwäsche über Schalcks KoKo-Kanäle / Rüffel für weiß-blaue Finanzbürokratie ■ Von Thomas Scheuer
Berlin (taz) – Nach dem jüngst aufgeflogenen Skandal um fragwürdige Steuernachlässe für den niederbayerischen „Bäderkönig“ Eduard Zwick steht den Verantwortlichen des Freistaates eine zweite millionenschwere Steueraffäre ins Haus. Im Zentrum steht der Buchloer Fleischwarengrossist Alexander Moksel. Berliner Staatsanwälte, die seit der Wiedervereinigung die verschlungenen Geschäftswege zwischen Moksel und dem Firmenimperium des Ex- DDR-Devisenjongleurs Alexander Schalck-Golodkowski durchleuchten, kamen jetzt zu dem Schluß, daß der bayerische Großindustrielle durch Finanztransaktionen über die DDR und die Schweiz zu DDR-Zeiten an die 100 Millionen D-Mark an den Steuerbehörden vorbeigeschummelt hat.
Im Zentrum der Ermittlungen steht ein nach der Wende entdecktes Konto Nr. 651 „Sylvia“ bei der Deutschen Handelsbank in Ostberlin. Kontoinhaber: Alexander Moksel, der eine Tochter hat, die zufällig auf den gleichen Namen hört. Über das Konto „Sylvia“ waren Millionenbeträge auf das Konto Nr. 714078 beim Schweizerischen Bankverein in Küsnacht bei Zürich verschoben worden. Moksels Steuerberater machten im Rahmen einer vorsorglichen Selbstanzeige am 7. Januar 1991 gegenüber dem zuständigen Finanzamt Kaufbeuren geltend, ihr Mandant habe die über „Sylvia“ in die Schweiz geschleusten Millionen nur treuhänderisch für Geschäftspartner in der DDR gehalten, also quasi nur als deren „Strohmann“ fungiert.
Das Finanzamt gab sich mit dieser Erklärung großzügig zufrieden, zumal Moksel für 1990 freiwillig 3,92 Millionen Mark Umsatzsteuern nachbezahlte. Damit schien Moksel seine Steuerprobleme los zu sein.
Doch die Fahnder der AG Regierungs- und Vereinigungskriminalität beim Kammergericht Berlin gaben sich nicht zufrieden. Sie, die auch veruntreuten DDR-Geldern nachzuspüren haben, wollten wissen, für welche DDR-Bonzen „Strohmann“ Moksel denn die Knete beiseite geschafft hatte, wähnten sich zeitweise gar auf der Spur eines heimlichen Rentenkontos von Schalck-Golodkowski. Jetzt kommen die Ermittler zu dem Schluß: Die angeblichen Hintermänner, über deren Identität der Buchloer Fleischmogul sich beharrlich ausgeschwiegen hatte, existieren gar nicht.
Ende September, so erfuhr die taz, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft den bayerischen Finanzbehörden mit, bei einem Großteil der strittigen Millionen handle es sich eindeutig um private Gelder des Herrn Moksel; dieser habe die entsprechenden Konten keineswegs, wie behauptet, treuhänderisch für die DDR gehalten. Vielmehr habe der Fleischmogul zwischen 1977 und 1990 Gelder aus privaten Spekulationsgeschäften, Firmengewinnen und Zinsen über den KoKo-Kanal in die Schweiz und damit um den deutschen Fiskus herum bugsiert. Teilweise wurden auch Rückflüsse aus Zahlungen Moksels an den ostdeutschen Außenhandelsbetrieb AHB Nahrung, die zuvor als Betriebsausgaben geltend gemacht worden waren, auf das Schweizer Konto umgeleitet. In anderen Fällen überwies der AHB Nahrung Zahlungen von der Firma Moksel in Höhe von mehreren hunderttausend US- Dollar an die schweizerische Firma Allmeat weiter.
Der Briefkasten der Firma Allmeat findet sich nach Recherchen der taz an einem schlichten Einfamilienhäuschen in dem Kaff Speichern im Kanton Appenzell. Ein Blick ins Handelsregister offenbart die Besitzer der Briefkastenfirma: Moksel-Männer aus Buchloe. Insgesamt wurden über den volkseigenen Geldwaschsalon KoKo immerhin um die 100 Millionen in die Schweiz geflößt. Es läppert sich eben zusammen.
Für Moksel strafrechtlich brisant ist die Auffassung der Staatsanwälte, daß seine Selbstanzeige vom Januar 1991 unwirksam sei, also keine strafaussetzende Wirkung habe. Peinlich ist das Fazit der Fahnder aber auch für die bayerische Finanzbürokratie. Denn auch deren leichtfertige „Verständigung“ mit dem mutmaßlichen Steuersünder Moksel lassen die Berliner Ermittler nicht durchgehen. Vielmehr fordern die Staatsanwälte in einem Schreiben an die Oberfinanzdirektion München vom 22. September 1993, das der taz vorliegt, umgehend die Erstellung eines Steuerstrafberichtes im Fall Moksel an – ein deutlicher Rüffel für die weiß-blaue Finanzadministration und ihr bisheriges Handling der Causa Moksel. Knallhart verlangen die Berliner auch Auskunft darüber, wie die Bayern Schmiergeldzahlungen des Moksel-Konzerns steuerlich behandelt haben.
Unklar ist die Rolle des bayerischen Finanzministeriums in der Moksel-Affäre. Nach Angaben des Ministeriums hat es zu der „Verständigung“ zwischen Moksel und dem Finanzamt Kaufbeuren kein Einverständnis erteilt; andererseits erhob es dagegen aber auch keinen Einspruch.
Die Praxis der bayerischen Finanzbehörden im Umgang mit sogenannten „Großkopfeten“ war vor wenigen Wochen ins Zwielicht geraten, als das Fernsehmagazin „Report Baden-Baden“ enthüllte, daß in der Amtszeit Gerold Tandlers als Finanzminister dem „Bäderkönig“ und früheren Strauß- Spezi Eduard Zwick eine Steuerschuld von rund 70 Millionen D-Mark erlassen wurde.
In der kommenden Woche entscheidet der Bayerische Landtag über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Affäre Zwick. Im gleichen Aufwasch soll das Mandat des Schalck-Untersuchungsausschusses auf die Steuertricksereien Moksels ausgeweitet werden. | thomas scheuer | Berliner Staatsanwaltschaft bezichtigt den bayerischen Fleischmogul Moksel der Steuerhinterziehung / Geldwäsche über Schalcks KoKo-Kanäle / Rüffel für weiß-blaue Finanzbürokratie ■ Von Thomas Scheuer | [
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Die „selbstverschuldete Unmündigkeit“ - taz.de | Die „selbstverschuldete Unmündigkeit“
VII. Philosophiekongreß der DDR in Ost-Berlin beendet / Philosophen wollen am Aufbruch teilnehmen Unabhängige Meinungsforschung und autonome Philosophenorganisationen gefordert ■ Aus Ost-Berlin Wolfgang Dore
Mit der Einübung in Demokratie („War das jetzt auch wirklich basisdemokratisch“) und mit einer Flut von Betroffenheitserklärungen und Forderungen endete gestern der VII. Philosophiekongreß der DDR. Er sollte erst wegen der „Ereignisse“ verschoben werden, aber am Schluß waren alle Teilnehmer dankbar, daß das nicht geschah. In den Berichten der elf Arbeitsgruppen wurde immer wieder betont, man habe auf vorbereitete Beiträge verzichtet, die Diskussion sei kontrovers, lebendig, offen gewesen. Ein Arbeitsgruppenbericht wurde kurzerhand abgelehnt: der „ungebrochene Mut zur Allgemeinheit“ sei ein „Skandal“. Konkret wollte man sein: „Der Dialog darf kein Instrument sein„; weg mit dem „Vervollkommnungsbegriff“ („Die Zukunft muß wieder die Negation der Gegenwart sein“). Führungsanspruch vielleicht für die Arbeiterklasse, nicht aber für die Partei; Verzicht auf die heroische Vergangenheit („Jede Generation schafft sich ihre eigene Identität“). Nicht-marxistische Entwicklungen in der Philosophie gelte es aufzuarbeiten („keine bloße Abgrenzungen mehr“); gegen die „bloße Beschwörung der Einheit von Ökonomie und Ökologie“ sei man; Die Umweltpolitik gehöre in den Rang von Sozialpolitik (statt dem „schwarzen Kanal“ jetzt ein „grüner“ Kanal - großer Beifall); „Querdenken ist die wichtigste Produktivkraft„; Demonstrationsgesetz; unabhängige Publikationsmöglichkeiten; Kritik, Kritik und Selbstkritik - eine kurze Summe der Arbeitskreisberichte.
Tiefe Betroffenheit darüber, wieweit die „Gängelei“ gegangen sei; die „selbstverschuldete Unmündigkeit“. Die Stalinismusdiskussion muß erst noch geführt werden. Die letzten Wochen bedeuten „eine Niederlage unserer sozialistischen Bewegung“. Das fordernde „Was tun“ im Raum scheuchte die Köpfe auf. Prof. Gerlach verwies darauf, daß das „Erkenntnispotential der bürgerlichen Wissenschaften“ unterschätzt würde, vor allem die Philosophen der Post -Moderne dürften nicht mehr bloß als irrational abgefertigt werden. Gerlach war es auch, der endlich die „Aufarbeitung des Erbes von Walter Benjamin verlangte“. Wie dessen Berliner Nachlaß behandelt worden ist, sei eine „Kulturschande“.
In der Arbeitsgruppe „Technisch-wissenschaftliche Entwicklung und Fortschritt“ war es ausgerechnet ein „Militärphilosoph“ - der Uniform nach ein Oberst - der sich am radikalsten äußerte. Mit beinahe existentiellen Furor wandte er sich gegen die Ablehnung des Begriffs der Kollektivschuld angesichts der „gegenwärtigen Krise“: „Wenn wir über den Gegner reden, dann haben wir keine Schwierigkeit, über die Schuld eines kollektiven Subjekts zu reden. Beim Verrat der Bourgeoisie an den humanistischen Idealen lassen wir die Berufung auf den Befehl nicht zu.“ Aber bei uns ist das „seltsam anders“. Die „großen Wendepolitiker“ rechtfertigen alles mit dem Zwang von vorher. Aber: „Ich habe mich auch zwingen lassen“! Jetzt gibt es die „Flucht ins anonyme Wir; Harry Tisch sagt, die Gewerkschaft is nicht an allem schuld, die Lehrer sagen, der Verband ist nicht an allem schuld.“ Damit wären schon zehn Millionen Menschen aus dem Spiel.
Viele dieser radikalisierten Fragestellungen gab es, aber es wurde nicht gefragt. Bei beiden Gesprächsthemen Eigentum und Individuum stand die Frage der Demokratie im Vordergrund. Aber der Begriff der Demokratie schwankte ungeprüft zwischen einem geschmeidigeren Mittel zur Produktionssteigerung bis hin zur Demokratie der Andersdenkenden hin und her. Das „sozialistische Eigentum“ wurde als unausgeschöpfte Potenz definiert; andere interessierte mehr, „daß in diesen Tagen Menschen massenhaft von ihrem Eigentum weglaufen“.
Hilflose Einigkeit herrschte bei der Feststellung des Soziologen Dohnke, daß „wir uns mit dem Begriff des Individuums schwer tun“. Wenigstens wurde ein anderer Begriff von öffentlicher Meinung gefordert. Prof. Schubert erklärte, die Parteilinie könne nun nicht mehr die öffentliche Meinung sein (sie hat sich leider als rückständig erwiesen). Aber auch die veröffentlichte Meinung - trotz der jetzigen Kritischen Haltung der Medien - sei nicht öffentliche Meinung. „Die Straße“ zähle auch. Konkrete Forderung hier wie in anderen Arbeitskreisen: ein unabhängiges Meinungsforschungsinstitut, dessen Ergebnisse auch öffentlich zugänglich sein müssen. Die Unzufriedenheit mit der Diskussion blieb. Genosse Unger („Ich bin kein Philosoph, sondern nur Parteisekretär in Leipzig“) fragte: Wo bleibt die philosophische Kategorie des „Andersdenkenden“? „Wie kann es einen Dialog geben, wenn andere nicht anders denken?“
Immerhin gab es bedenkenswerte neue Daten aus einer Umfrage in einem Kombinat in der letzten Septemberwoche. Lilo Steitz (Abt. Gesellschaftswissenschaft der Akademie) berichtete. Frage war, wieweit sich Arbeiter an Entscheidungsprozessen beteiligt fühlen - „kaum“ beteiligt fühlen sich auf der Arbeitskollektivebene 38,8 Prozent; auf der Betriebsebene schon 82, im Territorium 84,5 und in der Gesellschaft 90,1 Prozent. (Diese erschreckenden Daten wurden bislang nicht veröffentlicht.) Die Interpretation war kontrovers. Die einen werteten es als „Ausdruck von Resignation„; die anderen als Mangel an Demokratie. Kurzum: Demokratie wurde gefordert für die LPGs, für die Produktion, für die „Stimulation“ und auch für die Freiheit des Andersdenkenden.
Das Bewußtsein, daß Philosophen „nicht gerade an der Spitze des Aufbruchs stehen“, überschnitt sich mit der Angst vor dem Rückfall, der Sorge, daß es an Institutionen fehlt, die den „revolutionären“ Prozeß unumkehrbar machen. Dohnke, er war Parteisekretär an der Humboldt-Universität, meinte, ähnliche Diskussionen habe er hier schon 1953, nach dem 20. Parteitag in Moskau, und 1961 nach dem Mauerbau („Jetzt kann man ja Mauerbau sagen“) erlebt. 1961 habe es auch „Erlebnisberichte“ von Polizeiübergriffen genau in diesem Festsaal gegeben. „Warum sind die Ansätze zur Demokratie immer wieder untergegangen?“ Die Frage blieb im Raum. Aber jener Philosophieoberst trieb sie noch weiter: Es reiche nicht, bei 1953 anzufangen. Dieses Unterdrücken der Demokratisierung gehe durch die gesamte Parteigeschichte, beginne nach Rosa Luxemburg, mit den zwanziger Jahren.
Das kennzeichnete den Philosophiekongreß überhaupt: Einerseits wurde Notwendigkeit betont, weitausholend die Geschichte des Marxismus und des Dogmatismus aufzuarbeiten; andererseits die Hast, damit die Philosophen nun endlich auch am „Aufbruch partizipieren können“. Ziemlich hilflos schwankte man zwischen Selbstüberschätzung und betroffener Selbstkritik. Immerhin: Änderungen wird es geben - eine unabhängige Philosophische Gesellschaft, die Organisation der „jungen Philosophen“, die Anfang Dezember ihre erste Tagung machen werden und ein großer Unwille gegen die alten Gesichter. Eine der letzten Fragen: „Wo sind eigentlich die enormen Teilnahmegebühren geblieben.“ | wolfgang dore | VII. Philosophiekongreß der DDR in Ost-Berlin beendet / Philosophen wollen am Aufbruch teilnehmen Unabhängige Meinungsforschung und autonome Philosophenorganisationen gefordert ■ Aus Ost-Berlin Wolfgang Dore | [
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Razzien gegen Neonazis: Leiche im „Weißen Haus“ gefunden - taz.de | Razzien gegen Neonazis: Leiche im „Weißen Haus“ gefunden
In drei Bundesländern geht die Polizei gegen Neonazis vor. Auf die Spur kam sie per Zufall: In einer Pension war ein toter Neonazi neben Waffen und Munition gefunden worden.
Verdächtige Rechtsextreme: Ermittlungen wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe. Bild: dpa
HAMBURG taz | Die Razzia dauerte bis in den Nachmittag. Am Samstagmorgen hatten Polizeibeamte begonnen, bei fünf Neonazis in Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen Wohnungen und Versandhandelsräume zu durchsuchen. Hintergrund war der Verdacht der Staatsanwaltschaft Neuruppin: Bildung einer bewaffneten Gruppe.
Für einen der Neonazis war es nicht die erste Durchsuchung. Seit vier Jahrzehnten ist Meinolf Schönborn in der Szene aktiv, hat auch schon Strafverfahren und Haftstrafe erlebt. „Ja, die waren bei mir und bei allen, die mit mir bekannt sind“, sagte Schönborn der taz – „die haben überall die Hütten auf den Kopf gestellt.“ Dazu, ob er oder seine Bekannten Waffen besitzen, äußerte sich der 57-Jährige nicht.
Schönborn trat schon 1972 der NPD bei. 1985 baute er die Nationalistische Front (NF) mit auf. 1992 verbot das Bundesinnenministerium die NF. Heute betreibt Schönborn in Herzebrock-Clarholz nahe Gütersloh in Nordrhein-Westfalen den rechtslastigen „Z-Versand“.
Am 24. September 2011 soll er bei der NPD in Rheinland-Pfalz über „die Möglichkeiten des politischen Widerstandes in Deutschland trotz staatlicher Repression“ referiert haben. Auf die Gruppe um Schönborn sind die Sicherheitsbehörden, so berichtet der Spiegel, durch Zufall gestoßen – wie bei dem Nationalsozialistischen Untergrund.
Am Abend des 22. März 2012 wurde die Polizei in Herzberg nahe Berlin in die Pension „Weißes Haus“ gerufen. Ein bekannter Neonazi hatte sie gerufen – er hatte den ebenso einschlägig bekannten Jörg Lange tot in einem Zimmer gefunden.
Lange wollte die Pension zu einem Schulungszentrum ausbauen. Hinweise auf einen gewalttätigen Tod entdeckte die Polizei nicht. Bei Lange, der als Freiwilliger im Jugoslawienkrieg für die kroatische Seite gekämpft hatte, fanden die Beamten aber einen Militärrucksack mit Waffen und Munition. Und Lange arbeitete mit Schönborn zusammen.
Die Polizei stellte bei der Razzia am Samstag ein Luftdruckgewehr und Schreckschusspistolen sicher. Computer wurden ebenso sichergestellt. | Andreas Speit | In drei Bundesländern geht die Polizei gegen Neonazis vor. Auf die Spur kam sie per Zufall: In einer Pension war ein toter Neonazi neben Waffen und Munition gefunden worden. | [
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Zusatzrente in der Kritik: Von der Leyen im Gegenwind - taz.de | Zusatzrente in der Kritik: Von der Leyen im Gegenwind
Private Altersvorsorge soll auch für Geringverdiener attraktiver werden. Junge Abgeordnete von CDU und FDP stellen sich gegen Arbeitsministerin von der Leyen.
Hört nicht jeder gerne: Frau von der Leyen stößt ins Horn. Bild: dapd
MÜNCHEN afp | Eine Gruppe junger Abgeordneter aus Union und FDP hat einem Zeitungsbericht zufolge ein Gegenkonzept zur Zuschussrente von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegt. Ziel der Initiative sei es, die betriebliche und private Altersvorsorge auch für Geringverdiener attraktiver zu machen, berichtete die Süddeutsche Zeitung.
In ihrem Positionspapier schlagen die 14 Abgeordneten demnach vor, dass Rentner, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, aus ihrer privaten und betrieblichen Altersvorsorge künftig mindestens 100 Euro anrechnungsfrei erhalten können.
Bisher wird jeder Zusatzanspruch etwa aus der Riester-Rente mit der Grundsicherung im Alter verrechnet. Wer trotz eines sehr kleinen Einkommens privat vorsorgt, hat mitunter davon im Alter keinen Vorteil. Die Höhe der Grundsicherung liegt im Schnitt bei 688 Euro.
Von der Leyen will eine Zusatzrente einführen, die aus Beitragsgeldern finanziert wird. Die Pläne der Ministerin stießen jedoch auf heftigen Widerstand der FDP und bei Politikern aus den eigenen Reihen. Wortführer waren die Unionspolitiker um Jens Spahn und Philipp Mißfelder (beide CDU), die nun zusammen mit Abgeordneten der FDP das Gegenkonzept erarbeitet haben.
Ihr Ziel sei es zudem, den Renteneintritt flexibler zu gestalten. Weil viele Menschen gegen Ende ihres Erwerbslebens nicht mehr so viel arbeiten könnten, sollen die Hinzuverdienst-Möglichkeiten bei Rentenbezug angehoben werden: Das hieße, dass man früher in Rente gehen und trotzdem beispielsweise in Teilzeit weiter arbeiten könne. | taz. die tageszeitung | Private Altersvorsorge soll auch für Geringverdiener attraktiver werden. Junge Abgeordnete von CDU und FDP stellen sich gegen Arbeitsministerin von der Leyen. | [
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Drucken statt ducken? - taz.de | Drucken statt ducken?
Schwarzgeschwängertes Papier: In der Bürgerschaft sind Bremens Presse-Jahrhunderte nachzulesen
Henning Scherf hat derzeit viele Gründe, seinen berühmten Amtsvorgänger Johann Smidt zu beneiden. Beispielsweise, weil Smidt (nach den napoleonischen Kriegen) als Wahrer der Bremer Unabhängigkeit in die Geschichte einging. Auch das Verhältnis zur lokalen Presse war für Smidt wesentlich angenehmer: Der selige Bürgermeister suchte sich den Redakteur der „Bremer Zeitung“ persönlich aus und verschaffte ihm durch Verbot der „Neuen Bremer Zeitung“ ein Berichts-Monopol. Derlei Highlights der Bremer Pressegeschichte sind jetzt in der Bürgerschaft zu studieren.
Wobei „studieren“ durchaus der richtige Begriff ist. Glasrahmen reiht sich an Vitrine, es geht nicht zuletzt ums Kleingedruckte. Da lagern die gebundenen Jahrgänge ehrenwerter Erzeugnisse à la „Staats-und Gelehrten-Zeitung des Hamburgisch unpartheyischen Correspondenten“, auch antike Ausgaben der seit 1743 gedruckten „Bremer Nachrichten“ – immerhin deutschlandweit die drittälteste, immer noch erscheinende Zeitung. Man lernt: Damals fluchten die Abonnenten nicht über Altpapierstapel, sondern trugen ihre gesammelten Zeitungen Jahr für Jahr zum Buchbinder. Wobei nicht nur die Bindung, sondern auch die oft mehrseitigen, bildlosen Artikeln eher an Romane denken lassen.
Die Bremer Zeitungsgeschichte beginnt 1632 mit einem namenlosen Produkt, dass im Zuge der „Schweden-Welle“ gegründet wurde: Deren Eingreifen in den 30-jährigen Krieg verursachte in Norddeutschland ein sprunghaft steigendes Interesse an Informationen von den Schlachtfeldern. 27 Jahre zuvor begann mit der Lizensierung der „Straßburger Relation“ die Pressegeschichte an und für sich. Deren 400. Geburtstag war für Lehrende und Studierende am „Institut für Deutsche Presseforschung“ der Bremer Uni Anlass für die Erarbeitung der Ausstellung.
Einer eher undurchsichtigen Chronologie folgend liest man sich langsam ein: „Im 6. Jahr: Ungebrochene Schlagkraft“ (Bremer Zeitung/Bremer Nachrichten von 1944), daneben seitenweise Gefallenen-Anzeigen. Dann die Blätter-Blüte nach Kriegsende, dokumentiert durch eindrucksvolle Warteschlangen vor dem Bahnhofskiosk und Erscheinungen wie „Der freie Hanseat“. Gegenüber: „Der freie Soldat“, „Organ der Garnison Bremen“ von 1918. Dazu mit „Blitzschlag im Dom“ und „Toter Wal in der Lesum“ noch manch mediales Highlight des 17. Jahrhundert. Am Ende ein Lesetisch mit einer Auswahl der 34 derzeit registrierten Bremer Printmedien, auf dem auch die schlichten Blätter der „Bremer Rundschau – Zeitung der Kommunistischen Partei Bremens“ nicht fehlen.
Was bleibt dem Betrachter? Die Lust an Trouvaillen – ob bremisch oder nicht –, etwa in Gestalt einer `54-er „Brigitte“ im Din A 5-Format. Wobei man auch wieder auf Scherf stoßen kann. Vor 28 Jahren schrieb er in der Parteizeitung: „Wir Sozialdemokraten haben viel zu oft nur über Presse geredet und uns beim Selbermachen blamiert.“ Smidt lächelt selig. Henning Bleyl
Bis 23. Juni, Mo - Fr von 10 bis 17 Uhr. 7.6.: Podiumsdiskussion zur „Zukunft der Zeitung“ in der Bürgerschaft | Henning Bleyl | Schwarzgeschwängertes Papier: In der Bürgerschaft sind Bremens Presse-Jahrhunderte nachzulesen | [
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Opfer des U-Bahn-Treters sagt aus - taz.de | Opfer des U-Bahn-Treters sagt aus
Justiz Die 26-Jährige benötigte nach der Tat in Berlin-Neukölln eine therapeutische Behandlung
Der Angeklagte Svetoslav S. mit einer Mappe vor dem Gesicht im Gerichtssaal Foto: Paul Zinken/dpa
BERLIN taz | Am zweiten Prozesstag der Verhandlung gegen den als U-Bahn-Treter bekannt gewordenen Svetoslav S. hat das Opfer des Angriffs ausgesagt. Die 26-Jährige erklärte im Moabiter Strafgericht in Berlin, sie sei am Abend des 26. Oktober auf dem Heimweg gewesen. Mit Musik in den Ohren und aufgezogener Kapuze habe sie wenig von ihrer Umwelt mitbekommen. Plötzlich sei sie dann die Treppe heruntergefallen. Den Sturz habe sie sich nicht erklären können und sie sei erst durch herbeieilende Helfer*innen über die Situation aufgeklärt worden.
Die Frage, ob ihr der Angeklagte im Voraus am U-Bahnhof aufgefallen sei oder es eine Interaktion mit dem Angreifer gegeben habe, verneinte sie. Erst später habe sie über das Überwachungsvideo des U-Bahnhofs nachvollziehen können, was genau passiert war.
Die Tat habe körperliche und psychische Schaden hinterlassen, berichtete sie. Bei dem Sturz erlitt die junge Frau eine Platzwunde an der Stirn und brach sich einen Arm. Nach dem Angriff habe sie sich in therapeutische Behandlung begeben und ihren Alltag vorerst nicht wieder aufgenommen. Nach der Veröffentlichung des Videomaterials habe sie sich erst recht zurückziehen wollen.
Das Video zeigt, wie der Täter dem Opfer in den Rücken tritt und dieses die Treppe hinunterstürzt. Es wurde Ende letzten Jahres publik und fand über verschiedene Medienkanäle große Verbreitung. Auch die Polizei fahndete öffentlich mit dem Überwachungsvideo aus der U-Bahn-Station nach dem Angeklagten, der wenige Tage später festgenommen werden konnte. Die junge Studentin tritt im Prozess als Nebenklägerin auf, hatte sich bei den bisherigen Verhandlungen jedoch durch ihre Anwält*innen vertreten lassen.
Nach der Aussage des Opfers erhob sich der Angeklagte Svetoslav S., der wenige Meter entfernt in einem Glaskasten saß, und sprach dem Opfer mehrmals sein Bedauern und eine Entschuldigung aus. Die 26-Jährige ließ über ihre Anwältin erklären, dass sie die Entschuldigung annehme wolle, aber so lange nicht könne, bis er Verantwortung für die Tat übernehme.
Den Sturz habe sie sich zunächst nicht erklären können
Der Angeklagte hatte in einer Stellungnahme angegeben, am Abend des Angriffs stark unter Drogen gestanden zu haben und sich an nichts erinnern zu können. Er selbst will erst über das Video von seiner Tat erfahren haben. Mutter und Schwester hätten ihn auf dem Video wiedererkannt und es an ihn weitergeleitet. Der Angeklagte soll sich zu dem Zeitpunkt in Marseille aufgehalten haben. Einige Tage später habe er sich auf den Weg nach Berlin gemacht, um sich zu stellen, sei aber bereits bei seiner Ankunft in Berlin festgenommen worden.
Auf den Überwachungsbildern sind neben Svetoslav S. weitere Personen zu sehen, unter anderem der jüngere Bruder des Angeklagten. Vor Gericht hatte dieser erklärt, erst mit der Verhaftung seines Bruders von der Tat erfahren zu haben. Auch er habe stark unter Drogen gestanden und können sich nicht an die Tat erinnern. Am vorangegangenen Prozesstag hatte außerdem die Frau des Angeklagten ausgesagt. Beide Angehörige berichteten von regelmäßigem Konsum von Crystal Meth und anderer Drogen durch den Angeklagten. Bruder und Frau berichteten zudem, der Angeklagte habe sich seit einem Unfall im Jahr 2008 stark gewandelt. Er sei seither häufig aggressiv. Über die Schuldfähigkeit des Angeklagten soll ein Sachverständiger entscheiden. Am kommenden Prozesstag am Dienstag soll er ein psychologisches Gutachten vorstellen. Anne Pollmann | Anne Pollmann | Justiz Die 26-Jährige benötigte nach der Tat in Berlin-Neukölln eine therapeutische Behandlung | [
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Fremantle Highway in der Nordsee: Schiff vor Ameland brennt weiter - taz.de | Fremantle Highway in der Nordsee: Schiff vor Ameland brennt weiter
Das Autofrachtschiff mit mehr als 3.700 Fahrzeugen an Bord brennt seit Mittwochnacht. Doch es unentwegt zu löschen, kann zu einer Katastrophe führen.
Der brennende Autotransporters Fremantle Highway mit dem Schlepper Nordic vor Ameland am 26. Juli Foto: Kustwacht Nederland/ap
AMSTERDAM taz | Auch anderthalb Tage nachdem auf dem Frachtschiff Fremantle Highway Feuer ausgebrochen war, treibt dieses brennend im niederländischen Teil der Nordsee. Am Donnerstagmorgen befand sich das Schiff laut Auskunft der Küstenwache 16 Kilometer nördlich der Insel Ameland. Mithilfe einer Notfall-Schleppverbindung halte man den Frachter außerhalb der Fahrrouten, um andere Schiffe nicht zu gefährden. „Der Brand wütet noch immer an Bord, und Rauch kommt aus dem Schiff. Das sorgt dafür, dass es noch nicht sicher ist, an Bord zu gehen“, berichtet die Küstenwache.
Ausgebrochen war das Feuer in der Nacht auf Mittwoch. Die 23-köpfige Besatzung des Frachters, der unter der Flagge Panamas fährt und aus Bremerhaven unterwegs in das ägyptische Port Said war, konnte mit Hubschraubern von Bord gerettet werden. Sieben sprangen von Bord des etwa 30 Meter hohen Schiffes und wurden aus dem Meer geborgen. Ein Besatzungsmitglied starb, mehrere wurden mit Atemproblemen, Brandwunden und Knochenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert. Die gesamte Crew stammt aus Indien.
Am Donnerstag wurde bekannt, dass der Autofrachter 3.738 Fahrzeuge an Bord hat. Zunächst wurde von knapp 1.000 Autos weniger ausgegangen. Nach Auskunft der Küstenwache soll das Feuer in den 25 elektrischen Autos ausgebrochen sein, die Teil der Fracht waren und schwer zu löschen sind.
Die Königliche Vereinigung Niederländischer Reeder (KVNR) fordert deshalb strengere Regeln für den Seetransport von Elektroautos. Die International Maritime Organisation arbeite an einer solchen Verschärfung, sagte der KVNR-Vorsitzende Jan Valkier. Diese sollten schnell beschlossen werden, „um solche Unglücke in Zukunft zu verhindern“.
Nach aktuellem Stand sind die Löschversuche ausgesetzt, um zu verhindern, dass zu viel Löschwasser an Bord die Stabilität des Schiffes gefährdet. Aktuell liegt die Fremantle Highway nach Angaben der Küstenwache stabil. Sollte sie kentern, droht im nahe gelegenen Wattenmeer eine Umweltkatastrophe. Der Autofrachter war auf der gleichen Route unterwegs wie das Containerschiff MSC Zoe, das 2019 bei einem Unglück hunderte Container verlor. Laut dem Bürgermeister von Ameland, Leo Pieter Stoel, zeigt der Brand erneut, „wie verletzbar das Gebiet“ ist. | Tobias Müller | Das Autofrachtschiff mit mehr als 3.700 Fahrzeugen an Bord brennt seit Mittwochnacht. Doch es unentwegt zu löschen, kann zu einer Katastrophe führen. | [
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Kommentar zu Zwangsräumungen: Wichtiger Widerstand - taz.de | Kommentar zu Zwangsräumungen: Wichtiger Widerstand
Die Verdrängung der alteingesessenen Mieter aus den Innenstädten ist ein allgemeines Problem. Es braucht politische Lösungen – und Widerstand.
Klare Ansage. Bild: dpa
Wenn jemand einen Preis für Zivilcourage verdient hat, dann ist es Karl-Heinz „Kalle“ Gerigk. Mit welcher Ausdauer und Konsequenz er seiner Entmietung zu trotzen versucht, verdient Bewunderung. Im Kölner Agnesviertel kämpft kein verschrobener Don Quijote gegen Windmühlen. Der Mitarbeiter des städtischen Wohnungsamtes ist ein reflektierter Mensch, der genau weiß, was er tut.
Gerigk hat seinen Fall öffentlich gemacht, um einen allgemeinen Missstand anzuprangern: die Verdrängung alteingesessener Mieter aus den begehrten Innenstadtlagen vieler deutscher Großstädte. Sein Fall veranschaulicht, dass es sich hier nicht um ein „Randgruppenproblem“ handelt. Opfer von Gentrifizierung kann jeder werden, der nicht reich ist.
Üblicherweise ist Gentrifizierung ein Häuserkampf auf leisen Sohlen. Die Verdrängung ist ein schleichender Prozess, weswegen es auch so schwierig ist, Protest dagegen zu organisieren. Ein konkretes Beispiel: Ein Mehrfamilienhaus wird an einen „Projektentwickler“ verkauft. Der Investor kündigt an, es kernsanieren zu lassen. Den Mietern bietet er drei Alternativen an: Der erste Vorschlag lautet, sie können ihre bisherige Mietwohnung nach der Sanierung für einen unerschwinglichen Preis kaufen. Die zweite Möglichkeit ist: ein Jahr auf einer Baustelle zu wohnen, um dann von einem neuen Wohnungsinhaber wegen Eigenbedarfs gekündigt zu werden. Für den Fall jedoch, dass man zeitnah freiwillig auszieht, wird eine Abfindung angeboten. Für welche Variante hätten Sie sich entschieden? Das Beispiel ist nicht erfunden, sondern erlebte Realität.
Ob in Köln, München, Hamburg oder Berlin: In den attraktiven Revieren explodieren die Mieten. Es ist höchste Zeit, dass die Politik reagiert. Wer lebendige Stadtteile erhalten will, muss die Kräfte der sie zerstörenden freien Marktwirtschaft fesseln. Es bedarf einer wirksamen Mietpreisbremse und Milieuschutzsatzungen, die verhindern, dass die Spekulanten Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln.
Es wäre ein Wunder, wenn es noch einmal gelänge, Kalle Gerigks Zwangsräumung zu verhindern. Trotzdem war und ist sein Widerstand dagegen richtig. Denn das ist es, was man selbst machen kann: mit zivilem Ungehorsam ein Maximum an Öffentlichkeit herstellen, um den Preis für Immobilienhaie möglichst hochzutreiben. | Pascal Beucker | Die Verdrängung der alteingesessenen Mieter aus den Innenstädten ist ein allgemeines Problem. Es braucht politische Lösungen – und Widerstand. | [
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Wohnungsmarkt in Hamburg: Förderung für Gutverdienende - taz.de | Wohnungsmarkt in Hamburg: Förderung für Gutverdienende
Der Senat erlaubt Vermieter*innen, Sozialwohnungen auch an Nicht-Berechtigte zu vergeben. Die Regel gehöre auf den Müll, kritisieren Mietervereine.
Wer darf hier wohnen? Auch Besserverdienende haben es auf geförderte Wohnungen abgesehen Foto: Kay Nietfeld/dpa
HAMBURG taz | Bei vielen Stadtbewohner*innen dürfte allein der Gedanke, ihm ausgeliefert zu sein, Beklemmungen auslösen: dem Hamburger Wohnungsmarkt. Zu kleine Wohnungen für viel zu viel Geld und eine Konkurrenzsituation wie unter hungrigen Wölfen – der Horror für alle, die nicht sehr gut verdienen. Auch ein Berechtigungsschein für eine Sozialwohnung bringt wenig, wenn 40 Prozent der Hamburger*innen einen solchen besitzen und der Neubau nicht mit bezahlbaren Angeboten hinterherkommt.
Aber statt alles daran zu setzen, die Situation für die Mieter*innen zu entschärfen, ermöglicht der Senat Vermieter*innen seit Jahrzehnten über eine Ausnahmeregelung, geförderte Sozialwohnungen an Besserverdienende zu vergeben. Diese „Freistellungen“ gelten derzeit für knapp 7.000 Wohnungen in Mümmelmannsberg, Wilhelmsburg, Steilshoop und Neu-Allermöhe – allerdings nur temporär. Aber seit 1977 werden die „Freistellungen“ immer wieder verlängert.
Am 30. Juni endet die Ausnahmeregelung erneut. Die Volksinitiative „Keine Profite für Wohnen und Miete“ und das „Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik“ fordern die Stadtentwicklungsbehörde auf, die „Freistellungen“ ein für alle Mal zu begraben.
„Der Bestand an günstigen geförderten Wohnungen ist ohnehin schon vollkommen unzureichend“, kritisiert Marc Meyer von „Mieter helfen Mietern“. Es sei nicht hinnehmbar, dass fast zehn Prozent dieser Wohnungen nicht denjenigen zur Verfügung stünden, für die sie gebaut – und finanziert – wurden.
13.00 Haushalte in akuter Wohnungsnot
Das „Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik“, in dem sich Caritas, Diakonie, „Mieter helfen Mietern“ und Stattbau engagieren, weist zudem auf die besonders schlechte Situation von Menschen in akuter Wohnungsnot hin. Wer etwa aus einer öffentlichen Unterkunft hinauswill, den Knast oder das Frauenhaus verlässt oder zwangsgeräumt wurde, gilt als vordringlich wohnungssuchend.
Für diese derzeit 13.000 Haushalte sind rund zehn Prozent der Sozialwohnungen reserviert. Würde die Behörde sich von den Freistellungen verabschieden, kämen, ohne dass dafür gebaut werden müsste, rund 2.140 Wohnungen für diese Gruppe dazu. Nicht auf einen Schlag, schließlich würde man keine Bestandsmieter*innen rausschmeißen. Aber der Senat räumt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion ein, dass ausgehend von einer normalen Fluktuation rund 300 Sozialwohnungen pro Jahr wieder gemäß ihrer eigentlichen Bestimmung belegt werden könnten.
Aber wie kam es überhaupt zu der vermieterfreundlichen Ausnahmeregelung? Dahinter steht die Idee einer sozial-finanziellen Durchmischung der Quartiere. „Die soziale Durchmischung zur Förderung stabiler Nachbarschaften ist maßgeblich für die Freistellungsgebiete“, sagt die Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde, Susanne Enz.
Geförderte WohnungenZum Bezug einer Wohnung des 1. Förderwegs berechtigt sind rund 40 Prozent der Hamburger*innen.Die Einkommensgrenze dafür liegt bei 17.400 Euro netto pro Person.Einen Dringlichkeitsschein als vordringlich Wohnungssuchende erhalten Menschen, die unverschuldet in einer außergewöhnlichen Wohnsituation sind.
Zu der Frage, ob die Regel weiter aufrechterhalten werden soll, könne sie noch keine Prognose abgeben. In den betroffenen Gebieten sei damals ein sehr hoher Anteil Sozialwohnungen errichtet worden, unter denen wiederum ein hoher Anteil für vordringlich Wohnungssuchende bestimmt gewesen sei. „Eine solche Verteilung würde man mit Blick auf die Quartiersstabilität heute nicht mehr planen, um eine Häufung sozialer Problemlagen zu vermeiden“, sagt Enz. Bei der Frage nach der Verlängerung der „Freistellungen“ werde daher die Sozialstruktur der Gebiete betrachtet – „mitsamt den Folgen, die eine Rückkehr zur bindungskonformen Belegung haben könnte“.
Stigmatisierung von Menschen in Wohnungsnot
„Das ist ein sehr schwaches Argument“, sagt die Geschäftsführerin von Stattbau, Katrin Brandt. Erstens könnten die Wohnungsbauunternehmen eine Belegung auch tauschen, falls sie Angst hätten, dass ein Quartier plötzlich zum Brennpunkt mutiere. Zweitens sei es eine unhinterfragte Stigmatisierung, vordringlich Wohnungssuchende und Bewohner*innen von Sozialwohnungen automatisch zu „schwieriger Klientel“ zu erklären.
Hinzu komme, ergänzt Marc Meyer, dass ja auch andere Maßnahmen denkbar seien, um die soziale Durchmischung der Quartiere zu fördern. „Gute Schulen und Kitas, sowie eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wären schon mal ein Anfang“, sagt Meyer. | Katharina Schipkowski | Der Senat erlaubt Vermieter*innen, Sozialwohnungen auch an Nicht-Berechtigte zu vergeben. Die Regel gehöre auf den Müll, kritisieren Mietervereine. | [
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Neuer CDU-Vorsitzender: Laschet in Briefwahl bestätigt - taz.de | Neuer CDU-Vorsitzender: Laschet in Briefwahl bestätigt
Der neue CDU-Vorsitzende heißt Armin Laschet. Per Briefwahl bestätigten die Delegierten das Ergebnis des Online-Parteitags vom Samstag.
Bestätigt: Armin Laschet (neuer Bundesvorsitzender der CDU) stößt mit Paul Ziemiack an Foto: Michael Kappeler/dpa
BERLIN dpa | Armin Laschet ist endgültig neuer CDU-Vorsitzender. Nach seiner Wahl bei einem Online-Parteitag am vergangenen Samstag bestätigten ihn die Delegierten auch in der anschließenden Briefwahl. Laschet erhielt nach Angaben der CDU vom Freitag 796 von 980 abgegebenen gültigen Stimmen. Die CDU errechnete daraus eine Zustimmung von 83,35 Prozent. Stimmberechtigt waren wie beim Parteitag selbst 1.001 Delegierte.
Die beiden unterlegenen Kandidaten vom Parteitag – Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der Außenpolitiker Norbert Röttgen – standen in der Briefwahl nicht mehr zur Abstimmung.
Laschet sagte nach der Bekanntgabe des Ergebnisses, dieses zeige, dass auch viele derjenigen, die bei der Online-Abstimmung für Merz und Röttgen gestimmt haben, „jetzt hinter dem neuen Vorsitzenden stehen“. Die Beteiligung an der Briefwahl und ihr Ergebnis „sind ein Signal der Einheit der Union“, so der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens.
In der Stichwahl gegen Merz auf dem Online-Parteitag hatte Laschet am Samstag mit 521 zu 466 Stimmen gewonnen. Er kam damit auf 52,6 Prozent der abgegebenen Stimmen inklusive der Enthaltungen. Merz erzielte 47,0 Prozent.
83,35 Prozent der Deligierten für Laschet
Um die „digitale Vorauswahl“ rechtssicher zu machen, schloss sich die Briefwahl an. Laschet, Merz und Röttgen hatten aber schon vorab versichert, dass sie das Ergebnis der Online-Abstimmung akzeptieren wollten.
In der CDU war erwartet worden, dass Laschets Ergebnis in der Briefwahl besser ausfallen würde als beim Parteitag. Voraussichtlich werde es etlichen Delegierten wichtig sein, den neuen Vorsitzenden mit einem guten Wahlergebnis ins Superwahljahr zu schicken, lautete die Begründung.
Merz hatte die CDU-Mitglieder am vergangenen Montag dazu aufgerufen, den neuen Vorsitzenden zu unterstützen. „Ich bitte alle Delegierten, an der schriftlichen Schlussabstimmung teilzunehmen und unseren neuen Vorsitzenden Armin Laschet mit einem starken Votum auszustatten. Und dann gehen wir gemeinsam an die Arbeit“, schrieb er in einem Brief. | taz. die tageszeitung | Der neue CDU-Vorsitzende heißt Armin Laschet. Per Briefwahl bestätigten die Delegierten das Ergebnis des Online-Parteitags vom Samstag. | [
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Linke stellt Landeslisten auf: Mit Kipping in den Bundestag - taz.de | Linke stellt Landeslisten auf: Mit Kipping in den Bundestag
Die Linkspartei wählte am Wochenende mehrere Landeslisten zur Bundestagswahl. Diether Dehm unterlag in Niedersachsen dem 29-jährigen Mizgin Ciftci.
Will wieder in den Bundestag: Ex-Parteichefin Katja Kipping auf dem Parteitag im Februar Foto: Tobias Schwarz/Pool via Reuters
BERLIN taz | Die Linkspartei stellte am Wochenende mehrere Landeslisten zur Bundestagswahl auf. Die sächsischen Linken ziehen mit der ehemaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Die Delegierten wählten sie am Samstag mit 75 Prozent ohne Gegenkandidatur auf Platz 1. Auf weiteren aussichtsreichen Plätzen konnten sich einige junge Kandidat:innen durchsetzen, die sozialen Bewegungen nahestehen, wie Clara Anna Bünger, die bei der Seebrücke aktiv ist.
In Brandenburg setzte sich der ehemalige Finanzminister Christian Görke in einer Stichwahl knapp durch. Er und die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg ziehen als Spitzenkandidat:innen in den Wahlkampf. Landesvorsitzende Anja Mayer schaffte es nur auf Platz 3.
In Niedersachsen galt die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, als gesetzt. Rund 76 Prozent der Vertreter:innen wählten sie auf Platz 1.
Im Kampf um den aussichtsreichen Listenplatz 4 unterlag der langjährige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm gegen den 29-jährigen Mizgin Ciftci, der auf Anhieb mit der erforderlichen absoluten Mehrheit gewählt wurde. Dehm, für den sich Sahra Wagenknecht in einer Videobotschaft ausgesprochen hatte, konnte in einer Stichwahl noch Platz 6 für sich reklamieren. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren gelangten jedoch nur fünf Genoss:innen aus Niedersachsen über die Liste in den Bundestag.
Das „System Dehm“ ist am Ende
Auf Twitter begrüßten mehrere Genoss:innen, dass Dehm dem nächsten Bundestag wahrscheinlich nicht mehr angehören wird: „Eine Epoche der Linken Niedersachsen geht zu Ende. Soeben hat Mizgin gehen Diether und einen weiteren Bewerber im ERSTEN WAHLGANG gewonnen. Das ‚System Dehm‘ geht damit zu Ende. Ich feiere das. Chauvinismus soll in unserer Partei keinen Platz haben“, so eine Genoss:in. | Anna Lehmann | Die Linkspartei wählte am Wochenende mehrere Landeslisten zur Bundestagswahl. Diether Dehm unterlag in Niedersachsen dem 29-jährigen Mizgin Ciftci. | [
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Kinder fragen, die taz antwortet: Wer hat Silvester erfunden? - taz.de | Kinder fragen, die taz antwortet: Wer hat Silvester erfunden?
Wir fragen Kinder, was sie beschäftigt und suchen nach Antworten. Max, 10, will wissen, warum wir den Jahreswechsel feiern.
Feuerwerk entspringt der Tradition mit Lärm böse Geister zu vertreiben Foto: Ingo Schulz/imageBROKER/imago
Der 31. Dezember 2021: Wir zählen runter, es schlägt zwölf, das neue Jahr beginnt. Wir stoßen an und viele von uns hätten, wenn es noch erlaubt wäre, vermutlich bunte Raketen in die Luft geschossen. Doch: Wer hat sich den Feiertag eigentlich ausgedacht? Warum an diesem Datum? Und woher kommt der Name „Silvester“?
Denn selbstverständlich wurde nicht schon immer Silvester gefeiert, und es ist auch nicht überall der letzte Tag im Jahr. In China zum Beispiel beginnt das neue Jahr etwas später. Dort ist es mit dem Neumond zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar soweit.
Doch der europäische Kalender richtet sich nicht nach dem Mond, sondern nach der Sonne und ein Jahr (365 Tage und ein Viertel-Tag) ist exakt die Zeit, in der die Erde einmal um die Sonne kreist. Dass so ein Jahr aber ausgerechnet am 31. Dezember für beendet erklärt wird und wir es so feiern, wie wir es heute tun, hat sich über Tausende von Jahren so entwickelt. Dabei spielten die Germanen, die Römer und einige Päpste eine wichtige Rolle.
Um die bösen Geister auszutreiben und das neue Jahr einzuläuten, haben schon die Germanen immer zur Wintersonnenwende am 21. Dezember viel Lärm gemacht und auch das Böllern in China geht auf diesen Brauch zurück. Im Jahr 46 v. Chr. legte Julius Cäsar dann fest, dass das neue Jahr am 1. Januar beginnt. Im Mittelalter ging es dann ein bisschen drunter und drüber: Mal fing das neue Jahr am 6. Januar an, mal zu Ostern. Mal endete es schon am 24. Dezember und ging dann erst am 6. Januar wieder los. Daher kommt wahrscheinlich auch der Ausdruck „Zwischen den Jahren“.
taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Im Jahr 1691 legte Papst Innozenz XII. fest, dass der 31. Dezember der letzte Tag des Kalenders sein soll und gab ihm seinen heutigen Namen: Silvester. Denn an diesem Tag gedachte die katholische Kirche sowieso schon jemandem, und zwar Papst Silvester I., der im Jahr 335 gestorben und später zum Heiligen erklärt wurde.
Seitdem haben sich viele Bräuche rund um Silvester entwickelt: Bleigießen, Raclette, Fondue oder Trauben essen, Sekt trinken, „Dinner for One“ gucken, sich kleine Marzipanschweine schenken, und vieles mehr. Der Spruch „Guten Rutsch“ hat übrigens nichts mit Ausrutschen zu tun. Vermutlich kommt er vom hebräischen Wort „Rosch“, auf Deutsch „Anfang“. Das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana war aber schon im September. Rutsch’ auch du gut rein, lieber Max!
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Dann schreib sie uns an [email protected] | Ruth Lang Fuentes | Wir fragen Kinder, was sie beschäftigt und suchen nach Antworten. Max, 10, will wissen, warum wir den Jahreswechsel feiern. | [
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Finaleinzug in Melbourne: Kerber im Finale der Australien Open - taz.de | Finaleinzug in Melbourne: Kerber im Finale der Australien Open
Angelique Kerber hat es geschafft. Die beste deutsche Tennisspielerin steht bei den Australian Open im Endspiel. Dort wartet nun die Weltranglisten-Erste.
Sie könnte die erste deutsche Siegerin in Australien seit Steffi Graf 1994 werden. Foto: dpa
MELBOURNE dpa | Angelique Kerber hat bei den Australian Open das Endspiel erreicht. Die Tennisspielerin aus Kiel setzte sich am Donnerstag in Melbourne im Halbfinale gegen die Engländerin Johanna Konta mit 7:5, 6:2 durch. Damit steht die deutsche Nummer eins erstmals bei einem der vier Grand-Slam-Turniere im Finale.
Gegen Konta verwandelte die 28-Jährige nach nur 82 Minuten ihren ersten Matchball. Kerber trifft nun am Samstag auf die Weltranglisten-Erste Serena Williams. Die Amerikanerin hatte im ersten Halbfinale klar mit 6:0, 6:4 gegen Agnieszka Radwanska aus Polen gewonnen.
„Das ist wirklich ein ganz spezieller Moment für mich“, sagte Kerber nach dem bislang größten Erfolg ihrer Karriere. „Das ist toll für das ganze deutsche Tennis.“ Vor dem Finale gegen die übermächtige Williams habe sie keine Angst, sagte Kerber im Interview auf dem Centre Court. „Ich freue mich wirklich auf diese Herausforderung. Ich weiß, dass ich gegen sie mein bestes Tennis spielen muss, aber ich habe nichts zu verlieren. Ich will es einfach genießen.“
Als letzte deutsche Spielerin hatte Sabine Lisicki 2013 in Wimbledon im Endspiel eines Grand-Slam-Turniers gestanden. Die letzte Deutsche, die in Melbourne das Finale erreichte, war Anke Huber 1996. Sie verlor vor 20 Jahren dann aber gegen Monica Seles. Letzte deutsche Siegerin Down Under war Steffi Graf 1994.
Kerber erwischte in ihrem insgesamt dritten Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier einen guten Start und nahm Konta gleich zweimal den Aufschlag ab. Danach verlor sie aber ein wenig den Faden und musste selbst zweimal ihren Aufschlag abgeben. Gegen Ende des ersten Durchgangs steigerte sich die Schleswig-Holsteinerin aber und sicherte sich nach 49 Minuten den ersten Satz.
Im zweiten Abschnitt gelangen Kerber erneut zwei schnelle Breaks. In einer insgesamt durchwachsenen Begegnung ließ sich die Norddeutsche den Finaleinzug danach nicht mehr nehmen. Zwar agierte Kerber bei weitem nicht so stark wie am Tag zuvor im Viertelfinale gegen die Weißrussin Victoria Asarenka. Doch gegen die nervöse Konta, die erstmals bei einem der vier großen Turniere im Halbfinale stand, reichte ihr eine solide Leistung zum Erfolg.
„Ich war so so sehr nervös“, räumte Kerber im TV-Sender Eurosport ein. „Aber nach den ersten paar Spielen habe ich gemerkt, sie ist auch nervös. Ich habe versucht, ruhig zu bleiben. Für mich war es wichtig, das Spiel heute in meine Hand zu nehmen.“
„Wenn es eine verdient hat, dann Angie“
Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner hofft im Endspiel der Australian Open auf einen weiteren Coup von Angelique Kerber. „Sie hat nichts zu verlieren. Jetzt kommt die Kür gegen die beste Spielerin der Welt“, sagte die deutsche Fed-Cup-Chefin der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf das Finale gegen die Weltranglisten-Erste Serena Williams aus den USA.
„Ich hoffe, dass Angie einen guten Start erwischt und Serena mental unruhig wird. Vielleicht steht sie ja mit dem falschen Bein auf, sie ist auch nur ein Mensch“, sagte Rittner, räumte aber auch ein: „Wenn Serena einen guten Tag erwischt, ist sie eigentlich unschlagbar.“
Kerbers 7:5, 6:2-Sieg gegen die Engländerin Johanna Konta verfolgte Rittner am frühen Donnerstagmorgen in Deutschland am Fernseher. „Das war mental eines der schwierigsten Matches ihrer Karriere. Sie hat keinen Schönheitspreis gewonnen, aber heute war es egal, wie sie gewinnt“, sagte sie. Nach dem Viertelfinal-Sieg gegen die Weißrussin Victoria Asarenka war Kerber als Favoritin in die Partie gegen Konta gegangen und agierte anfangs sehr nervös in der Rod-Laver-Arena.
„Wenn es eine verdient hat, dann Angie. Sie hat sich nach der letzten Saison gnadenlos selbst reflektiert und bekommt jetzt endlich die Bühne und das Ansehen, die sie längst verdient hat“, sagte Rittner über ihre Nummer eins und betonte: „Sie kann sehr stolz auf sich sein, und ich bin stolz, dass ich das von außen beobachten kann.“ | taz. die tageszeitung | Angelique Kerber hat es geschafft. Die beste deutsche Tennisspielerin steht bei den Australian Open im Endspiel. Dort wartet nun die Weltranglisten-Erste. | [
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Unterbesetzte Ausländerbehörde: Bares für Flüchtlinge - taz.de | Unterbesetzte Ausländerbehörde: Bares für Flüchtlinge
Lebensmittelgutscheine sollen die Ausnahme bleiben. Alles gut ist damit dennoch nicht: Viele bekommen kein Geld, weil das Ausländeramt sie warten lässt.
Mit steilen Treppen und anderen Hürden begrüßt Bremens Ausländeramt seine Kunden. Bild: jpb
Lebensmittelgutscheine für Flüchtlinge sollen in Bremen die absolute Ausnahme bleiben. Dies stellte jetzt die Sozialbehörde klar. Zuvor hatte ein Rechtsanwalt öffentlich gemacht, dass eine Mandantin von ihm das ihr zustehende Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Form von Gutscheinen ausgezahlt bekommen soll. „Der Fall ist noch nicht abschließend geklärt“, sagte gestern der Sprecher der Sozialbehörde Bernd Schneider. Grundsätzlich komme es aber nur sehr selten vor, dass Gutscheine gerechtfertigt seien, „etwa wenn jemand wiederholt das Geld verloren hat“. Die Sozialzentren seien daran erinnert worden, so Schneider. „Das soll nicht zur Regel werden.“
Flüchtlingsorganisationen nahmen die Nachricht erleichtert auf. Bremen würde aus gutem Grund auf diese in anderen Ländern gängige Praxis verzichten, sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen. „Das ist schlicht menschenverachtend“, findet sie. Die „Kostenübernahmescheine“ könnten nicht überall eingelöst werden, man könne mit ihnen weder Briefmarken, Zeitungen oder Medikament kaufen, sondern nur das nötigste für den Lebensunterhalt. „Das heißt, dass diese Menschen noch nicht einmal als Konsumenten mit anderen gleich gestellt sind.“
Zudem bekämen die Betroffenen mit Gutscheinen weniger Geld, weil die Geschäfte nicht mehr als zehn Prozent des Wechselgeldes auszahlen müssten. Dabei ist die staatliche Hilfe für Flüchtlinge ohnehin schon niedrig. Sie liegt ein Drittel unter dem, was Arbeitslose erhalten. Marc Millies vom Flüchtlingsrat Bremen teilt Oerters Kritik an den Gutscheinen und ist froh darüber, dass Bremen diese nicht ausgibt. Mit einer Ausnahme: Wer in eine eigene Wohnung zieht, bekommt die Anschaffung von Möbeln bezahlt – in Form von Gutscheinen, die bei Gebrauchthändlern eingelöst werden können. „Das erschwert oft das Einrichten einer Wohnung, weil man darauf angewiesen ist, dass in einem Möbellager alles da ist, was man braucht.“
Jan Sürig, Anwalt der aus dem Irak stammenden und gerade aus Syrien geflohenen Frau, hat jetzt Widerspruch eingelegt gegen den Gutschein-Bescheid der Sozialbehörde. 554,97 Euro stehen der 1978 geborenen Frau für sich und ihre drei Kinder im Monat Juni zu. Und selbst das hatte ihr der Sachbearbeiter erst bewilligt, nachdem Sürig das in ihrem Auftrag verlangt hatte. „Sie sollte erst gar nichts bekommen, weil sie ihre Duldung noch nicht schriftlich vorweisen konnte.“
Dieses Problem betrifft nach Einschätzung der Flüchtlingsorganisationen viele Menschen. Der Grund ist die seit Jahren unterbesetzte Ausländerbehörde, bei der Flüchtlinge derzeit bis zu drei Monaten auf einen Termin warten müssen, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu erhalten oder auch nur zu verlängern. „Zu uns kommen immer wieder Leute, die deswegen einen Job verlieren“, sagt Oerter von der Flüchtlingsinitiative. Andere bekämen keine Versichertenkarte, mit der sie zum Arzt gehen können oder haben keine Möglichkeit, sich eine Geburtsurkunde für ihr Baby ausstellen zu lassen, wie Holger Dieckmann berichtet, der in einem Gesundheitsprojekt der Inneren Mission arbeitet.
Den MitarbeiterInnen in den Sozialzentren sei das Problem bekannt, sagt Bernd Schneider von der Sozialbehörde. „Die haben die klare Weisung, für das Problem nicht die Flüchtlinge verantwortlich zu machen. Die sollen ihr Geld bekommen.“ Bis es soweit sei, sagt Millies vom Flüchtlingsrat, „müssen wir ziemlich viel telefonieren. Und wir wissen nicht, wie viele sich keine Hilfe suchen.“ | Eiken Bruhn | Lebensmittelgutscheine sollen die Ausnahme bleiben. Alles gut ist damit dennoch nicht: Viele bekommen kein Geld, weil das Ausländeramt sie warten lässt. | [
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Jazzfestival Kopenhagen: Wo selbst der Wind Musik macht - taz.de | Jazzfestival Kopenhagen: Wo selbst der Wind Musik macht
Die Sonne lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt. Das 39. Jazzfestival in Kopenhagen schlägt einen weiten Bogen von der Geschichte in die Zukunft.
Jeppe Zeeberg und Matana Roberts im Literaturhaus Kopenhagen Foto: Juel Poulsen
Gibt es etwas Kontemplativeres, als an einem hochsommerlichen Donnerstagnachmittag im Kirchgarten der „Kulturkirken“ im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro zu sitzen und dem Aram Shelton Sound Trio zuzuhören? Wohl kaum! Junge wie Alte, Sneakers- wie SandalenträgerInnen lauschen konzentriert, wie der kalifornische Altsaxofonist und seine beiden skandinavischen Sidemen, der Schwede Johannes Vaht am Bass und der norwegische Drummer Ole Mofjell, Kryptisches auf Geläufiges prallen lassen und beim Energy-Playing draufgängerisch und harmonisch präzise zugleich wirken.
Die Melodien des Trios beginnen mitten im Lärm, und dann lodern sie, bis nur noch die Asche der Songform übrig bleibt. Das tut der Stimmung keinerlei Abbruch, Free Jazz ist in Kopenhagen keine Nischenveranstaltung, im Gegenteil, er trägt zur feierlichen Stimmung bei und wird hier um eine Komponente erweitert: Über den Köpfen der Zuschauer ist ein ausrangiertes Segel gespannt. Wind und Vogelgezwitscher aus den umliegenden Bäumen und das flatternde Segel ergänzen die Soundpalette der drei Musiker.
Mofjell klebt ein Becken zusammen mit einem Glöckchengebinde an den Zaun hinter den Drums. Die beiden Instrumente geraten durch den Wind in Bewegung, bimmeln und gongen, während er selbst Paradiddles auf dem Kesselreifen, dem Rand seiner Snaredrum spielt, bis einem schwindlig wird. Bassist Vaht schaut sein Instrument flehend an, der Bass fleht zurück. Sheltons Saxofon klingt derweil nach Nebelhorn, über Sekunden hält er einen Ton, der so kräftig tutet, dass man ihn noch im Hafen hört; die Sonne lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt.
Wenn das Wetter mitspielt, nimmt das Kopenhagen Jazzfestival die Leichtigkeit des Sommers ins Programm auf. Seine Konzerte sind immer auch fröhliches Get-together. Essensstände, Klappstühle, Picknickdecken gehören beim Open Air mit dazu, aber deshalb rückt das Musikprogramm nicht in den Hintergrund. In zehn Tagen steigen circa 120 Konzerte, verteilt auf Parks, Plätze und Clubs in der ganzen Stadt; Stars und Eigengewächse sind hier zu erleben, Solisten und Kollektive, US-Traditionen treffen auf europäische Interpretationen und solche aus der ganzen Welt, und alle spielen miteinander Pingpong.
Hancock im Maschinenpark
Zur Primetime am Donnerstagabend steht mit Herbie Hancock eine US-Jazz-Ikone auf der Bühne des mit rund 1.500 Zuschauern seit Monaten ausverkauften DR Konserthuset. Hancock, inzwischen 77-jährig, gehört zu den Early Adaptors des Synthesizers im Jazz. „Afro-Futurismus“ ist ein gern benutztes Schlagwort, um eine bessere, weil egalitärere Zukunft zu antizipieren, in der Rassismus keine Rolle mehr spielt. Damit wird auch das musikalische Feld zwischen freiem Jazz, amtlichem R&B und elektronischen Dancefloor-Experimenten abgesteckt. Hancock hat diese Gefilde bereits in seiner „Headhunters“-Phase (ab Ende der Sechziger) bereist.
Meriten verdiente er sich zuvor als Pianist von Miles Davis. Damals setzte Hancock das Fender-Rhodes-Piano ein, etwas später dann Synthesizer wie den Moog. In Kopenhagen sitzt er meist am Klavier, dazu hat er einen Maschinenpark wie ein Fort um sich gruppiert: Aus einem Korg „Kronos“ entlockt er gelegentlich cremige Wabertöne, die klingen, als hätte er sie in einer Raumfähre unterwegs im interstellaren Outback programmiert.
Ansonsten hält er sich vornehm zurück und lässt seinem Quartett den Vorzug, aus dem vor allem zwei Solisten hervorzuheben wären: der aus Benin stammende Gitarrist Lionel Loueke, der das Gitarrenspiel mithilfe eines leiernden Kassettenrekorders erlernt hat. Je schwächer die Batterieleistung, desto leiernder die Aufnahme. Dieses mesmerisierende Leiern überführt Loueke bis heute in irre Klangsignaturen. Allerdings bringt er sie nur kurz zur Geltung, denn sein Gegenpart auf der Bühne, der ambitionierte junge Sänger, Saxofonist und Keyboarder Terrace Martin (als Produzent von Kamasi Washington und Flying Lotus bekannt), gibt den Ton an. Man merkt das auch daran, wie ausführlich ihn Hancock vorstellt und dass eine Martin-Komposition, das spacige „Temper Butterfly“, im Set ist. Martin singt dazu mit Vocoderstimme. Leider ruiniert Drummer Vinnie Colaiuta manche Songs, weil er auf seine Schießbude eindrischt, als müsse er für die Fremdenlegion Schnitzel klopfen. „Er hat das Handtuch noch nicht geworfen“, meint Hancock süffisant, als dieser sich abtrocknet.
Stars und Eigengewächse sind hier zu erleben, Solisten und Kollektive, US-Traditionen treffen auf europäische Interpretationen und solche aus der ganzen Welt, und alle spielen miteinander Pingpong
Es geht auch sanfter, impressionistischer, Blues-haltiger. Das stellt einige Stunden später die US-Saxofonistin Matana Roberts im Duo mit dem jungen Kopenhagener Pianisten Jeppe Zeeberg unter Beweis. Im „Literaturhus“ liefern die beiden ein konzentriertes Duo-Set, ein Highlight dieses Festivals.
Roberts hat auf Einladung der Kopenhagener Musikhochschule gerade eine Gastdozentur inne und leitet Workshops, beim Konzert holt sie aus ihrem Altsaxofon einen warmen, tiefen Klang, der allerdings Zeit zur Entfaltung braucht. Zeeberg funkt ein ums andere Mal dazwischen, seine wieselflinken Läufe und perlenden Miniaturen wirken wie Nadelstiche, sie reizen Roberts zu noch ruhigeren, noch schwermütigeren Antworten in diesem Call-&-Response-Schema, sie zieht meditativ ihre Bahnen. Auch im Stillen ist hier Intensität am Werk. Man hätte sich noch mehr solche Dialoge gewünscht, leider packt Zeeberg nach 35 Minuten ein, er hatte an diesem Abend noch ein Engagement, was Matana Roberts pikiert zur Kenntnis nimmt.
2017 ist ein Jahr der Jubiläen, vor hundert Jahren wurde schließlich die erste Jazzplatte veröffentlicht, von der Original Dixieland Jazz Band in New Orleans. Das Kopenhagen Jazzfestival weist schon im Grußwort des Programms darauf hin, was zählt, ist die Zukunft: Pünktlich um 11 Uhr morgens steigt jeweils „Jazz for Kids“, musikalische Früherziehung.
Jazz for Kids in Kopenhagen Foto: Asbjorn Rosenlund
Am Freitag führt der dänische Produzent Rumpistol im Lindenparken rund 200 Kindergartenkinder in die Welt der elektronischen Musik ein. Spielerisch legt er kurze Ausschnitte wie ein DJ auf, moderiert, animiert. Bald sammeln sich die Kinder um das Mischpult, tanzen, skandieren und kommentieren auch mal kurz die angespielten Stücke, dass das „Knight Rider“-Thema am meisten goutiert wird, verwundert nicht.
Nicht ganz von dieser Welt
Abends heißt es warten auf Erykah Badu. Statt um 22 Uhr steht die texanischen Sängerin erst 45 Minuten später auf die Bühne, bis zuletzt blieb offen, ob sie überhaupt nach Kopenhagen kommt. Dann taucht sie urplötzlich im Scheinwerferlicht der Riesenbühne im Vergnügungspark Tivoli auf, 3.000 Zuschauer jubeln: Ganz in Schwarz, mit Daunenmantel und Daunenhaarmaske, die ihren Dreadlock-Zopf im Zaum hält, die Erscheinung einer Pharaonin.
Auch ihre Stimme ist nicht ganz von dieser Welt, mal zart, mal kraftvoll, in der Phrasierung punktgenau, und doch wirkt sie seltsam abwesend. Ihr Konzert ist ein Best-of, abgefedert von ihrer fünfköpfigen Band und drei BackgroundsängerInnen, führt Badu durchs Programm, schweigt zwischen den Songs. Das Publikum gerät in Bewegung, sobald die Hits purzeln: „But You Caint Use My Phone“ aus ihrem gleichnamigen Handy-Konzeptalbum, aber auch Frühwerke, wie „On and On“ von 1997 und „Bag Lady“ von „Mama’s Gun“. Zu Beginn jedes Songs dudelt Badu auf einem Drumpad herum, aus den Skizzen schält sich dann der Beat, den ihr Drummer übernimmt, and the Beat goes on.
Kommerzielles und Randständiges haben beim Kopenhagen Jazzfestival gleichrangige Bedeutung. Vom Riesenevent zum kleinen Loft ist es nicht weit. So ein Veranstaltungsort ist 5 E, der Maschinenraum des Free-Jazz Labels Ilk im Schlachthofviertel, wo einige japanische Künstler eingeladen sind. Vor 150 Jahren wurden diplomatische Beziehungen zwischen Dänemark und Japan aufgenommen, und nun sitzt der japanische Gitarrist Yoshitake Expe inmitten des dänischen Freejazz-Kollektivs Orbit Stern und spielt sich in eine Triprock-Trance, die die etwa 50 Anwesenden begeistert. Musik ist immer noch die freieste Form von Verständigung, es gibt nichts Kontemplativeres. | Julian Weber | Die Sonne lacht, weil ihr die Darbietung so gut gefällt. Das 39. Jazzfestival in Kopenhagen schlägt einen weiten Bogen von der Geschichte in die Zukunft. | [
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Neuer Roman von Hannes Stein: Zwischen Heine und Relotius - taz.de | Neuer Roman von Hannes Stein: Zwischen Heine und Relotius
Der neue Roman des Journalisten Hannes Stein steckt voller Lügengeschichten. Vieles in „Der Weltreporter“ ist unglaublich, vor allem das Frauenbild.
War Bodo überhaupt wirklich an all den Orten, über die er schreibt? Foto: Ute Grabowsky/photothek
Der Weltreporter ist einer, der zu Hause bleibt. Denn so fantastisch, wie die Reportagen im gleichnamigen Roman von Hannes Stein erscheinen, können sie unmöglich wahr sein. Bodo von Unruh, Journalist beim angesehenen Holzmann’s Weltspiegel, ist den bizarrsten Geschichten auf der Spur.
So stößt er mitten im brasilianischen Dschungel auf ein nachgebautes München. Die Bayern haben hier ihre Münchener „Rätemonarchie“ verwirklicht, samt Freigeld und einem Nachfahren König Ludwigs. Später reist Bodo nach Afghanistan und wird von Agenten der sogenannten Eidgenossenschaft gekidnappt. Mitten im Hindukusch hat ein Verbrecherregime die Schweiz nachgebaut – mit Kantonen und Gewaltenteilung, aber ohne Banken.
Nicht nur die Reisen sind wunderlich, auch die Zeit, in der „Der Weltreporter“ spielt, ist eine andere. Im Jahr 2070 etwa grassiert eine tödliche Krankheit in Deutschland. Die Seuche ist hochansteckend, sodass die Studierenden im Hörsaal Masken tragen und immer wieder Schnelltests fällig werden. Stellen wie „Dresden stand jetzt schon seit Wochen unter Quarantäne“ überliest man heute so schnell, dass man sich kaum vorstellen kann, dass Stein seinen Roman bereits vor 2020 abgeschlossen haben will.
Das Reisen ist auch im pandemischen 2070 mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Frei Grenzen passieren kann nur, wer wie Bodo über einen orangefarbenen Immunitätsausweis verfügt. Mit Julia, einer etliche Jahre jüngeren Philosophiestudentin, findet Bodo in seiner neuen Freundin eine ebenfalls Immune.
Bodo, der Ewiggestrige
Diese Liebesgeschichte ist beinahe das Unglaublichste in Steins Roman. Julia lässt sich in Sekundenschnelle blenden von diesem weitgereisten Starreporter, der mit seinem „Walrossschnäuzer“ und maßgeschneiderter Lederjacke nicht nur seinem Erscheinungsbild nach ein Ewiggestriger ist. „Als Gentleman ließ Bodo seine Hand einen Moment zu lang an ihrer Hüfte, sie nahm es lächelnd hin“ – und auch Belehrungen lässt Julia über sich ergehen.
Frauen sind in Hannes Steins Roman sowieso hauptsächlich schön oder gestaltloser Algorithmus
Bodo, das wird schnell klar, ist ein unangenehmer, großspuriger Typ. Doch die Sprache Bodos ist die Sprache des Romans, und so durchzieht das Buch eine altväterliche Grundstimmung, die mitunter schwer zu ertragen ist. Wenn Bodo die gemeinsame Hotelnacht mit einer Kreditkarte bezahlt, „die so schwarz war wie die Sünde“, ist das genauso peinlich wie die Aktbeschreibung selbst.
Frauen sind in Steins Roman sowieso hauptsächlich schön oder gestaltloser Algorithmus. Hübsche vietnamesische Sekretärinnen oder dunkle Schönheiten findet Bodo überall, zu Hause vergnügt er sich im Club Aphrodite. „Was für ein Frauenbild haben Sie überhaupt?“, wird er einmal in einem Verhör gefragt.
Doch wo hört Bodo auf und fängt der Erzähler an? Bodo, dem die Tränen kommen, als er im russischen Exil die „Ode an die Freude“ hört, beginnt an anderer Stelle einen Vortrag mit „Wären wir Deutschen so was wie Muslime“, woraufhin Julia (beschämt?) die Augen niederschlägt.
Untergang des Abendlandes
Doch auch sie weiß: Die Frau taugt in der muslimischen Kultur lediglich zur Ehefrau, Schwester, Mutter oder Hure. Ahmed, mit dem sie eine Affäre hat, stellt sie sich mit seiner zukünftigen verschleierten Frau vor – einer „Aische oder Fatima oder Suheila“. Aus der Geschichte begründet sich diese Muslimfeindlichkeit übrigens nicht. Der Untergang des Abendlandes ist selbstverschuldet und kommt nicht als Houellebecq’sche Überfremdung daher.
Während die Liebesgeschichte zwischen Bodo und Julia in Gang kommt, werden die Reportagen immer schlechter. Spätestens als Bodo auf dem Mount Everest einen Yeti trifft und eine rechtsextreme Vampirfamilie besucht, hat man verstanden: Die Welt geht vor die Hunde – und Deutschland, rechtsnational regiert und auf dem Weg zur Atommacht, erst recht.
Trauriger Höhepunkt von „Der Weltreporter“ ist die Episode um den längst verstorbenen 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wie dieser bei Stein seine blonde Tochter begrapscht und schließlich verblödet an der Syphilis stirbt, ist nur noch unappetitlich.
Das BuchHannes Stein: „Der Weltreporter“. Galiani, Berlin 2021. 352 Seiten, 22 Euro
Dabei sind die ersten Reisen wirklich spannend und „Der Weltreporter“ hätte ohne die unangenehme Liebesgeschichte gut als märchenhafter Essayband funktionieren können. Stein ist bekennender Fan von literarischen Reportagen und – selbst Journalist – versteht sein Handwerk.
Referentiell angesiedelt irgendwo zwischen Märchen aus Fern- wie Nahost, der Fantastik Jules Vernes und romantischen Heine-Reportagen, wollte Stein womöglich schlicht zu viele Einflüsse zu seinem Erzählteppich verweben, auf dem die Geschichte nun eher schlingernd entschwebt. Fantasy oder Reportage, Roman oder Essay – manchmal lohnt es sich, die Genregrenzen anzuerkennen und die Münchhausens wie Relotius dieser Welt aus der Literatur herauszuhalten. | Julia Hubernagel | Der neue Roman des Journalisten Hannes Stein steckt voller Lügengeschichten. Vieles in „Der Weltreporter“ ist unglaublich, vor allem das Frauenbild. | [
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Regierungskrise in Tunesien: Die Technokraten sollen regieren - taz.de | Regierungskrise in Tunesien: Die Technokraten sollen regieren
Tunesiens islamistische Regierung steht nach dem Mord an einem Oppositionellem unter Druck. Ministerpräsident Jebali will sie deswegen umbauen.
Steht stark unter Druck: Hamadi Jebali. Bild: reuters
MADRID taz | Tunesien kam auch am Tag nach dem Mord an Oppositionspolitiker Chokri Belaïd nicht zur Ruhe. Vielerorts gingen erneut Demonstranten auf die Straße. Der 48-jährige Generalsekretär der marxistisch-panarabischen Vereinigten Partei der Demokratischen Patrioten (PPDU), zugleich wichtiger Führer des Linksbündnisses Volksfront, war am Mittwoch in Tunis erschossen worden.
Bis Donnerstagmittag blieben die Proteste, die überall im Land aufflackerten, friedlich. Vor dem Elternhaus Belaïds im Süden der Hauptstadt Tunis bildete sich eine lange Schlange von Trauernden, die von dem beliebten Linkspolitiker Abschied nehmen wollten. Am Nachmittag wurden dann aus Tunis und anderen Städten schwere Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gemeldet. Vielerorts wurden erneut Büros der islamistischen Regierungspartei Ennahda angegriffen.
Für die Regierungspartei und ihre beiden säkularen Koalitionspartner haben sich die Proteste zu einer schweren Krise entwickelt. „In den Moscheen rufen Vertreter zugelassener Parteien, die im Präsidentenpalast empfangen und von Ennahda unterstützt werden, zu Gewalt und Mord auf“, erklärte ein politischer Weggefährte des ermordeten Politikers, Hamma Hammami. Dies sei der Grund, warum vier Oppositionsparteien anlässlich der für Freitagnachmittag vorgesehen Beerdigung zum Generalstreik aufriefen.
Tunesiens Opposition macht das Umfeld der Ennahda für den Mord am 48-jährigen Anwalt und Vorsitzenden der PPDU verantwortlich. Sie vermutet, dass die Milizen der sogenannten Liga zum Schutz der Revolution hinter den tödlichen Schüssen stecken. Diese Gruppierungen stehen der Regierungspartei nahe. In den vergangenen Monaten hatten sie immer wieder Einrichtungen der Gewerkschaften und Opposition angegriffen.
Die Gewerkschaft solidarisiert sich
Der Vorstand der größten Gewerkschaft des Landes, der UGTT, tagte den ganzen Donnerstagmorgen, um sich schließlich dem Streikaufruf anzuschließen. Zusammen mit der Opposition fordert die UGTT den Rücktritt der Regierung und eine Exekutive der „Nationalen Einheit“. Diese soll das Land lenken, bis die Verfassung ausgearbeitet ist und die Tunesier zum zweiten Mal nach der Revolution an die Urnen gehen, um ihre endgültigen Institutionen zu wählen.
Ministerpräsident Hamadi Jebali wollte den Druck schon im Vorfeld von seiner sogenannten Troika nehmen. „Ich habe beschlossen, eine Regierung der nationalen Kompetenz ohne politische Zugehörigkeit zu bilden“, sagte Jebali im Mittwochabend in einer Ansprache im Staatsfernsehen. Die Technokratenregierung solle ein „beschränktes Mandat zur Führung der Geschäfte des Landes bis zur Abhaltung von Wahlen binnen kürzester Frist“ haben.
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind für Ende Juni vorgesehen. Diese Frist dürfte kaum einzuhalten sein: Die im Oktober 2011 gewählte Verfassunggebende Versammlung ist noch weit davon entfernt, das neue Grundgesetz vorzulegen.
Kritik aus den eigenen Reihen
Während einige Oppositionelle positiv auf den Vorschlag Jebalis reagierten, erntete er Kritik in den eigenen Reihen. „Der Ministerpräsident hat die Partei nicht nach ihrer Meinung gefragt“, beschwert sich der Vizepräsident der islamistischen Formation, Abdelhamid Jelassi. „Wir von der Ennahda glauben, dass Tunesien jetzt eine politische Regierung braucht.“ Man werde Gespräche mit anderen Parteien über eine Regierungsbildung aufnehmen. Ein Großteil der Opposition dürfte dies zurückweisen, zu tief ist die Kluft zwischen dem weltlichen und dem religiösen Lager.
Einer der namhaftesten Juristen Tunesiens und früherer Dekan der Rechtsfakultät an der Universität Tunis, Sadok Belaïd, bezweifelt gar, dass Jebali die Regierung einfach so umbauen kann. Nach der Geschäftsordnung der Verfassunggebenden Versammlung, der sogenannten Miniverfassung, könne er einzelne Minister austauschen, aber nicht die ganze Regierung. „Um eine neue Regierung zu bilden, muss Jebali selbst zurücktreten. Er könnte damit endgültig seinen Posten verlieren.“ Viele der Tunesier, die am Donnerstag auf die Straße gingen, würden dem Islamisten sicher nicht nachtrauern. | Reiner Wandler | Tunesiens islamistische Regierung steht nach dem Mord an einem Oppositionellem unter Druck. Ministerpräsident Jebali will sie deswegen umbauen. | [
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Nogida-Demonstrationen im Norden: Schwarz-rot-goldener Besuch - taz.de | Nogida-Demonstrationen im Norden: Schwarz-rot-goldener Besuch
In Northeim haben sich die Gegner angeblicher „Islamisierung“ ausgerechnet bei einer antifaschistischen Aktion angekündigt – mitsamt ihren Deutschlandfahnen.
In Heidelberg war die Initiative "NOGIDA" schon auf der Straße: Jetzt folgt Northeim Bild: dpa
HAMBURG taz | „Keupstraße ist überall“: Unter diesem Motto sind für Dienstag in verschiedenen norddeutschen Städten Solidaritätsaktionen für die Opfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU angekündigt – in Anspielung auf den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2000, zu dem jetzt im Münchner NSU-Prozess Zeugen ausgesagt haben. Eine Kundgebung des „Bündnisses gegen Rechtsextremismus“ im südniedersächsischen Northeim wollen nun ausgerechnet auch die örtlichen Gegner einer angeblichen „Islamisierung“ besuchen.
Auf ihrer Facebook-Seite erklärt die Gruppe Nogida: „Selbstverständlich“ werde man „diese Kundgebung unterstützen“. „Wir sind gegen Extremismus aller Art! Liebe Nogida Unterstützer kommt zahlreich am Montag.“ Doch sollen die Abendlandsverteidiger nicht bloß anwesend sein, sondern auch ihre Deutschlandfahnen mitbringen und die Gesichter entsprechend schwarz-rot-gold schminken.
Ungeheuerliche Störung des Gedenkens
Eine „Provokation“, sagt eine Sprecherin von der „Antifaschistischen Linken International“: Eine derartige Störung des Gedenkens sei ungeheuerlich. „Da will sich wer wichtig machen“, findet Erika Goebel vom DGB-Ortsverband, die die Aktion angemeldet hat. Sie ist skeptisch, „ob da wirklich wer von denen kommt“. Als Reaktion auf die Kritik erklärte Nogida, die bei Facebook 279 Fans hat, man habe „Dialog“ gewollt, jedoch seien andere Meinungen „anscheinend nicht erwünscht“.
Für die örtliche rechte Szene wäre eine Störaktion nicht die erste ihrer Art. In den vergangenen Jahren haben Rechtsextreme wiederholt Infoveranstaltungen mit Knallkörpern und Farbbeuteln angegriffen oder – weniger militant – Kundgebungen etwa gegen Lesungen abgehalten. Die Stadt Northeim hat sich derweil an die Staatsanwaltschaft Göttingen gewandt, nachdem Nogida im Internet das Stadtwappen verwendet hatte.
Man werde darauf achten, dass niemand den Anschein erwecken könne, hinter den „Gegnern der Islamisierung des Abendlandes“ stehe die Stadt, sagt Northeims Bürgermeister Hans-Erich Tannhäuser (parteilos). Er stehe „für eine pluralistische Gesellschaft“. | Andreas Speit | In Northeim haben sich die Gegner angeblicher „Islamisierung“ ausgerechnet bei einer antifaschistischen Aktion angekündigt – mitsamt ihren Deutschlandfahnen. | [
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Folter von politischen Gegnern: Willkür gegen Kritik in Palästina - taz.de | Folter von politischen Gegnern: Willkür gegen Kritik in Palästina
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch prangert Misshandlungen an: Sowohl Hamas als auch die Autonomiebehörde foltert Gegner.
Sowohl Hamas als auch die Autonomiebehörde soll Gegner foltern Foto: ap
Ein Facebook-Post reichte aus, um festgenommen zu werden. „Wir werden uns gegen die Palästinensische Autonomiebehörde genauso wehren wie gegen Israel“, schrieb Hamza Zbeidat, der im Westjordanland für eine NGO arbeitet. Die palästinensischen Sicherheitskräfte luden ihn vor, verhörten ihn und schlugen ihm ins Gesicht.
Zbeidats Fall ist einer von rund zwei Dutzend Fällen, die Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht zusammengetragen hat. HRW wirft der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland sowie der mit ihr zerstrittenen Hamas, die im Gazastreifen herrscht, systematische Menschenrechtsverletzungen vor.
Kabel und Seile würden eingesetzt, um die Arme der Befragten zu fixieren. Sie würden gezwungen, in schmerzhaften Positionen zu verweilen. „Die von der Fatah geführte PA im Westjordanland und die Hamas-Führung in Gaza verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Oppositionelle“, heißt es in dem Bericht. Die „systematische Anwendung von Folter“ könne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.
Für den Bericht sprachen die Menschenrechtler mit knapp 150 Zeugen und Verantwortlichen. Israel habe ihnen allerdings den Zugang nach Gaza verweigert. HRW liegt mit Israel schon länger im Streit. Im Mai hatten die Behörden Omar Shakir, den HRW-Repräsentanten in Israel und Palästina, des Landes verwiesen. Die Regierung warf ihm vor, einen Boykott gegen Israel zu unterstützen.
HRW erwiderte, die Vorwürfe bezögen sich auf eine Zeit, in der Shakir nicht für HRW gearbeitet habe. „Hier geht eher darum, Human Rights Watch einen Maulkorb zu verpassen und Kritik an der Menschenrechtslage in Israel zu unterbinden“, sagte Iain Levine, Vizechef der Organisation damals. Ein Gericht stoppte die Ausweisung Shakirs später. | Jannis Hagmann | Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch prangert Misshandlungen an: Sowohl Hamas als auch die Autonomiebehörde foltert Gegner. | [
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■ Das Portrait: Uschi Obermeier - taz.de | ■ Das Portrait: Uschi Obermeier
Plötzlich lächelt sie wieder in den Magazinen, wie einst als Pin-up-Girl in den braungestrichenen WG-Buden der 70er, das Maskottchen der 68er und Symbol eines heißen Revolutions-Sex-Appeals. Fotomodell war sie, Exmitglied der Kommune 1, Gefährtin von Kommunarde Rainer Langhans. Uschi Obermeier, dieser Name gehört zu 68 wie Fritz Teufel und Rudi Dutschke oder Twiggy. Anfang der 70er kämpfte sie in der Waagerechten in den Reihen der Münchner Sexrevolutionäre. Uschi Obermeier ist durch vieles bekannt geworden, aber nur ein einziges Mal hat sie eine Hauptrolle in einem Spielfilm ergattern können, in Rudolf Thomes „Rote Sonne“. Der Film, der jetzt in den Kinos den Triumphzug antritt, der ihm 1970 verwehrt blieb, zeigt sie als Protagonistin in einer Schwabinger Frauen-WG, in der alle Männer, die von den Damen beschlafen wurden, nach spätestens fünf Tagen abgemurkst werden.
Feminismus, revolutionäre Gewalt und Liebe: der Film wurde als Sinnbild einer historischen Epoche zum deutschen Kinomythos. Obwohl sich die schöne Uschi in der Flower-power-Zeit vollknallt mit allem, was turnt, von Acid bis Heroin, überlebte sie diese Zeit ohne jeden Kratzer. Als die Altlinken Anfang der 70er als ausgelutscht galten, entdeckte die Presse sie als neue Attraktion. Uschi wurde zum Star. Sie stürzte sich ins Schönes Dummerchen?Foto: Archiv
schicke Leben und Lieben in der Jet-set-Szene und ließ an der Seite von Mick Jagger und Jimmy Hendrix ihr ohnehin mäßiges politisches Interesse völlig versiegen.
Später heiratete sie einen Draufgänger aus St. Pauli, Dieter Bockhorn. Abenteuerliche Reisen an seiner Seite führten sie nach Kaschmir, Afghanistan und quer durch den amerikanischen Kontinent. Aber das gemeinsame wilde Leben endete nach Drogeneskapaden 1983: Dieter Bockhorn verunglückte in Mexiko tödlich bei einem Motorradunfall. Uschi ließ sich für deutsche Magazine schwarz gewandet in einem Wohnbus in Kalifornien ablichten und malte Portraits, das Stück für 3.000 Dollar. In deutschen Talk-Shows erzählte sie publikumswirksam von damals.
Mittlerweile hat es die heute 48jährige bis zur Schmuck-Designerin in Los Angeles gebracht. Bald wird sie vielleicht wieder in deutschen Talk-Shows zu bewundern sein. Aber dort, sagte sie mal, halte man sie ja doch nur für das „allweil schöne Uschi- Dummerchen mit dem schönen Uschi-Schmollmund“. Anja Kaatz | anja kaatz | [
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Lichtschutzfaktor in Creme: Sonnenmilch tötet Babykorallen - taz.de | Lichtschutzfaktor in Creme: Sonnenmilch tötet Babykorallen
Eine in vielen Lotionen gebräuchliche Chemikalie schadet den Riffen in unseren Ozeanen. Oxybenzon gefährdet ihre Fortpflanzung.
Die Korallenpolypen stoßen die farbigen Algen ab, die Korallen mit Energie versorgen. Foto: reuters
BERLIN taz | Sonnencreme schützt zwar die Haut, für die Korallenriffe in den Ozeanen kann sie aber Gift sein. Ein Bestandteil einiger Sonnenlotionen schadet Babykorallen, heißt es in einer Studie, die im Magazin Archives of Environmental Contamination and Toxicology jetzt eröffentlicht wurde. Weltweit findet sich die Substanz nach Angaben der internationalen Forschergruppe in mehr als 3500 Cremes.
Der Stoff Oxybenzon wirkt unter anderem als Lichtschutz in Sonnenmilch. Auch in Deutschland werde die Substanz eingesetzt, bestätigt der Berliner Hautarzt Martin Miehe. Firmen verwendeten ihn auch in anderen Kosmetika, etwa um die Farbechtheit zu erhalten.
Wenn sich Wassersportler oder Badetouristen mit diesen Produkten vor einem Sonnenbrand schützen, verbreiten sie die Lotion im Meer. Oxybenzon zerstört nach Angaben der Forscher die DNA der Koralle – das gefährdet die Fortpflanzungsfähigkeit.
Außerdem wirkt die Chemikalie auf die Hormonaktivität. Bei den Babykorallen sorgt das laut Studie dafür, dass diese sich in ihrem eigenen Skelett einkapseln und sterben.
Substanz verstärkt Korallenbleiche
Darüber hinaus verstärke die Substanz die Korallenbleiche: Dabei stoßen die Korallenpolypen die farbigen Algen ab, die Korallen mit Energie versorgen. Das passiert vor allem bei höheren Temperaturen, die es wegen des Klimawandels häufiger gibt. Oxybenzon bewirke, dass die Korallen schon bei niedrigeren Temperaturen anfällig seien, heißt es in der Untersuchung. Dabei können den Babykorallen sogar kleinste Konzentrationen der Substanz schaden, fanden die Forscher heraus: Das Äquivalent zu einem Tropfen Wasser in sechseinhalb Schwimmbädern von 50 mal 25 Metern Größe habe bereits einen schädlichen Effekt.
Die Forscher hätten die Oxybenzon-Konzentration auch an Riffen bei Hawaii und den Amerikanischen Jungferninseln gemessen, sagt der Wissenschaftler Omri Bronstein. „Auch Europäer reisen zu Korallenriffen und benutzen dort Sonnenlotion“, sagt Bronstein. Deshalb spreche er sich für strengere Regeln für die Oxybenzon-Verwendung in Kosmetika auch in Europa aus. | Eva Oer | Eine in vielen Lotionen gebräuchliche Chemikalie schadet den Riffen in unseren Ozeanen. Oxybenzon gefährdet ihre Fortpflanzung. | [
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Haftpause für Kuby - taz.de | Haftpause für Kuby
■ RAF-Gefangene vor Operation
Berlin (taz) – Die in Lübeck einsitzende RAF-Gefangene Christine Kuby steht vor der Unterbrechung ihrer Haft. Das sagte gestern auf Anfrage der Sprecher der Bundesanwaltschaft Rolf Hannich der taz. Ein Bandscheibenleiden der seit dem 22. Januar 1978 inhaftierten ehemaligen RAF-Aktivisten hatte sich in jüngster Zeit erheblich verschlimmert. Eine klinische Behandlung ist nun offenbar auch nach Überzeugung der Anstaltsärzte unumgänglich geworden.
Der genaue Zeitpunkt der Haftunterbrechung wird davon abhängen, wann die Behandlung in einer geeigneten Klinik vorgenommen werden kann. Die Bundesanwaltschaft ist als zuständige Strafvollstreckungsbehörde für die Haftunterbrechung zuständig.
Ob Kuby nach dem Klinikaufenthalt zurück in den Knast muß, hängt vom Ausgang des derzeit beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg anhängigen Verfahrens zur „vorzeitigen Entlassung“ der zu lebenslanger Haft Verurteilten ab. Die seit 17 Jahren einsitzende Christine Kuby und ein Polizist waren während eines Schußwechsels bei ihrer Festnahme verletzt worden. gero | gero | ■ RAF-Gefangene vor Operation | [
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Junge Sineologen: Alles über Geishas - taz.de | Junge Sineologen: Alles über Geishas
■ Chinesisch als 3. Fremdsprache in Sek I
Bald ist es so weit: Am Schulzentrum Hamburger Straße steht demnächst Japanisch oder Chinesisch schon in der neunten Klasse auf dem Stundenplan. Bisher konnten das nur Oberstufenschüler als dritte Fremdsprache wählen. Durch den großen Andrang in der Sekundarstufe II sollen nun NeuntklässlerInnen von der asiatischen Kultur, Schrift und Sprache profitieren – als erste Schule in Bremen: „Schließlich macht es Sinn, eine neue Fremdsprache möglichst früh zu lernen,“ bestätigt Wilfried Stille, Direktor am SZ Hamburger Straße.
Zwar sind es wohl eher die Eltern, die ihre Kinder beraten und motivieren, doch auch Neugier spielt eine große Rolle. Außerdem könnten für spätere Berufsziele diese Sprachen von Bedeutung sein, die „nicht mehr als exotisch, sondern als moderne Fremdsprachen gelten“, erklärte Stille am Montag auf einer Info-Veranstaltung. Und sein Chinesisch-Lehrer, Dieter Heilbronn, scherzt: „Pokémon und Co liegen doch auch gerade im Trend.“
Auf die Frage, ob die Zeichentrickfiguren auch im Unterricht behandelt werden, meint der Japanisch-Lehrer Isao Orikasa: „Klar, wenn es um japanisches Leben und Kultur geht. Doch dann wird auch über die Nachteile gesprochen, wie zum Beispiel Spielsucht bei vielen Kindern.“ Denn das sei in Japan inzwischen richtig heftig. Und das könnten die SchülerInnen auf Klassenfahrten womöglich demnächst selbst erleben.
Welche der Sprachen nun gewählt wird, kann kind Ende der achten Klasse entscheiden und später auch noch umwählen. Sicher ist nur, dass eine der beiden Sprachen oder „Naturwissenschaften in der Gesellschaft“ – ebenfalls eine Neuheit – mit jeweils vier Stunden belegt werden muss.
Auch der Kombi aus Natur- und Gesellschaftswissenschaften verspricht interessant zu werden: ein Fach, das auf Projekte und Zusammenhänge ausgerichtet ist. Endlich soll nicht mehr nur Theorie gepaukt werden, sondern ein Thema auch auf politische und wirtschaftliche Hintergründe untersucht werden. Ein Beispiel: BSE mag für Chemiker sicherlich interessant sein, doch ohne auf Industrialisierung und Wirtschaft einzugehen, fehlt was. Einige Möglichkeiten also, Alternativen zum „normalen“ Fächerangebot zu wählen.
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Landgericht schützt Gewerbemieter - taz.de | Landgericht schützt Gewerbemieter
Berlin. Ein interessantes Urteil zum Schutz von Wohnungsmietern in Fabriketagen fällte das Landgericht Berlin: Nur weil ein Formular für Gewerbemietverträge verwendet wurde, handelt es sich nicht um ein Gewerbemietverhältnis, insbesondere, wenn dieser Zweck nur vorgetäuscht ist. Damit wies das Landgericht die Kündigung eines Hauseigentümers gegen die Bewohner einer Fabriketage zurück. Das Urteil stammt vom Juni 1992 und wurde in der letzten Ausgabe des MieterMagazins veröffentlicht. Die beiden Parteien — Mieter und Vermieter — hatten am 4. Juni 1982 einen Vertrag über Gewerberaum geschlossen, den der Vermieter nun kündigen wollte, was nach Gewerbemietrecht leicht möglich ist. Aber das Amtsgericht und auch das Landgericht betrachteten die Fabriketage als Wohnraum. Denn darauf, daß in diesem Mietvertrag von Gewerbe die Rede sei, komme es nicht an, wenn beide Vertragsparteien übereinstimmend davon ausgehen, daß tatsächlich eine andere Nutzung erfolgen werde, so das Landgericht. Im fraglichen Mietvertrag hatten die Kläger — der Vermieter — ausdrücklich ihr Einverständnis gegeben, daß die Mieter in der Etage wohnen. Daß die Mieter dies mit Kenntnis der Vermieter auch taten, ist unstrittig. Insofern liege, so das Landgericht, ein eindeutiges »Mischmietverhältnis« vor. Ob nun bei diesem Mischmietverhältnis diese Wohnnutzung oder eine andere überwiege, komme auf den Einzelfall an. Maßgebend sei jedoch immer die wahre Nutzung, nicht das, was im Vertrag stehe. Die Kläger konnten vor Gericht nicht nachweisen, daß die Beklagten die Fabriketage hauptsächlich zu gewerblichen Zwecken nutzen. Zwar treffe grundsätzlich der Verfügungsberechtigte — also der Vermieter — die Entscheidung darüber, zu welchem Zweck die Räume benutzt werden dürfen, so das Landgericht weiter. Nachdem aber in diesem Fall der Vermieter nachweislich mit einer Wohnnutzung einverstanden war, kann er das besondere Kündigungsrecht bei Gewerbe nicht in Anspruch nehmen. In dem vorliegenden Fall hatte sich der Vermieter hilfsweise darauf berufen, daß nach einer mündlichen Vereinbarung vom 29. Juni 1989 das Mietverhältnis zum 31. August 1990 beendet werden sollte. Da diese Frist länger als ein Jahr sei, bedürfe so eine Vereinbarung der Schriftform, ansonsten sei sie ungültig, so das Landgericht. esch | esch | [
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Strieders Paket - taz.de | Strieders Paket
Christine Bergmann und Annette Fugmann-Heesing treten nur mit Parteichef Strieder für Vizevorsitz an
„Wir sind ein Team.“ Das war der Kern der Botschaft, die SPD-Parteichef Peter Strieder gestern rüberbringen wollte. Strieder, der beim Landesparteitag am 15. Juli um sein Amt kämpfen muss, holte gestern Familienministerin Christine Bergmann und die frühere Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing an seine Seite. Die beiden starken Frauen der Berliner Sozialdemokratie, die Strieder als stellvertretende Landesvorsitzende vorgeschlagen hat, erklärten denn auch, dass sie nur im Falle der Wahl Strieders als Vize zur Verfügung stehen.
Auch der 30-jährige Sven Vollrath, den Strieder für einen der vier Vizeposten auserkoren hat, zeigte sich loyal: „Ich nehme den Teamgedanken von Peter Strieder ernst. Ein anderes Team ist nicht vorgestellt worden.“ Allein der Parteilinke Thomas Gaudszun, der als Landeskassierer nominiert ist, wollte seine Entscheidung „vom Verlauf des Parteitags“ abhängig machen.
Der fünfte Mann im Strieder-Team fehlte gestern jedoch: Der Gewerkschafter Hermann Borghorst, der vor zwei Wochen überraschend seine Kandidatur gegen Strieder angemeldet hatte. Borghorst setzt jetzt alles auf eine Karte und will auf eine Kandidatur als Stellvertreter verzichten. Doch Strieder wollte gestern seine oft bezweifelte Integrationsfähigkeit unter Beweis stellen. Er betonte, dass Borghorst noch immer seinem Team angehöre. „Ich werde ihn bitten, seine Entscheidung zu überdenken.“
Strieder will auch die einbinden, die bei der Wahl zur Parteiführung unterliegen: „Mir ist daran gelegen, dass auch die mitarbeiten, die nicht in den Landesvorstand gewählt werden.“ Sein neues Motto: „Geschlossenheit durch Konsens.“
Strieder rief die SPD zu einer neuen politischen Kultur auf, die Erfolge betont. Auf die Frage, ob er als Senator zurücktreten wolle, wenn er nicht als Parteichef wiedergewählt werde, antwortete Strieder geschickt: „Wir wollen die SPD führen und ihr nicht drohen.“ WIN | WIN | Christine Bergmann und Annette Fugmann-Heesing treten nur mit Parteichef Strieder für Vizevorsitz an | [
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Nazi-Morde: Jetzt geht die Angst um - taz.de | Nazi-Morde: Jetzt geht die Angst um
Türkeistämmige BerlinerInnen sind entsetzt über die Enthüllungen über die rechtsextremen Hintergründe des Serienmords an Einwanderern. Das Misstrauen gegenüber den Behörden wächst.
Auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Mordserie am Sonntag Abend. Bild: reuters, Thomas Peter
Sie bekomme Gänsehaut, wenn sie "diesen schrecklichen Begriff ,Dönermorde' nur höre", sagt die aus der Türkei stammende Chefin eines Kreuzberger Handyshops. "Es sind doch Menschen gewesen, die getötet wurden! Es hätte auch uns treffen können." Ihr Mann ergänzt: "Unsere Kinder sind hier geboren." Drei Generationen seiner Familie lebten in Berlin, "und man tut sein Bestes, um sich hier zu integrieren. Aber es hilft alles nichts. Das hört nie auf." Mit "das" meint der türkeistämmige Unternehmer rassistische Gewalt gegen in Deutschland lebende EinwanderInnen. Seit die wahren - rechtsextremen - Hintergründe einer Serie von Morden an griechischen und türkischen Migranten an die Öffentlichkeit kommen, geht unter türkeistämmigen Ladenbesitzern in Berlin Angst um. Alle neun Opfer der zwischen 2001 und 2006 verübten Morde waren Geschäftsinhaber nichtdeutscher Herkunft oder Angestellte solcher Firmen.
Er schaue sich "jetzt immer gut um, wer in der Nähe so herumsteht", wenn er abends alleine seinen Laden abschließe, sagt der Lebensmittelhändler Yusuf Ö. Bislang glaubte er an die von Ermittlungsbehörden verbreitete Theorie, dass die Mordopfer möglicherweise selbst in kriminelle Strukturen verwickelt waren. Doch nun zeige sich, dass sie allein aufgrund ihrer Herkunft zu Opfern wurden, so Ö. Seit er das wisse, habe er Angst.
Deshalb will auch niemand seinen Namen oder die Adresse seines Ladens in der Zeitung lesen: Sie habe schon immer "Angst vor Nazis" gehabt, sagt eine türkeistämmige Verkäuferin von Hochzeitskleidern. "Aber jetzt ist es noch viel schlimmer." Ihren Namen will auch sie nicht sagen, aber: "Danke, dass Sie über das Thema berichten."
Remzi Kaplan, Vorsitzender des Türkisch-Deutschen Unternehmerverbandes in Berlin (TDU) und selbst Dönerhersteller, weiß um diese Ängste. Noch am Montagabend wollten die TDU-Mitglieder zusammenkommen, um zu besprechen, wie sie auf die neuen Erkenntnisse reagieren werden: "Vermutlich werden wir zu einer Demonstration aufrufen, zu der wir auch die Politiker einladen", so Kaplan. Denn auch wenn keiner der Morde in Berlin begangen wurde: "Alle Opfer der Serienmorde waren Unternehmer, teils aus der Dönerbranche, deshalb müssen wir reagieren", so Kaplan. Und auch er sagt: "Das hätte auch hier passieren können."
Er sei "eigentlich ein besonnener Mensch", sagt Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland mit Sitz in Berlin. Aber seit Freitag, als die neuen Fakten öffentlich wurden, könne er nicht mehr ruhig schlafen. "In meinen Träumen erlebe ich die Anschläge von Solingen und Mölln noch einmal." Bei diesen ebenfalls von Rechtsextremen verübten Brandanschlägen auf von Türkeistämmigen bewohnte Häuser waren 1992 und 1993 acht Menschen getötet und weitere schwer verletzt worden. "Schockiert" sei er über die neuen Erkenntnisse, die auf ein rechtsextremes Terrornetzwerk hinter den Morden hinweisen, aber auch "enttäuscht", so Kolat: "Ich dachte, wir wären bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus in dieser Gesellschaft auf einem guten Weg." Dass es solche Nazi-Strukturen gebe, sei unfassbar. Die Bundesregierung, die gerade wieder Gelder für Antidiskriminierungsprojekte gekürzt habe, müsse ihre "Ignoranz gegenüber der Problematik" aufgeben, fordert er. "Ich werde der Bundeskanzlerin vorschlagen, mit mir gemeinsam die Familien der Mordopfer zu besuchen."
Ahmet Külahci, Leiter des Berliner Büros der türkischen Tageszeitung Hürriyet, sagt, auch die türkischsprachigen Medien hätten sich von "der falschen Fährte, die die Behörden gelegt haben, in die Irre führen lassen". Deutsche und türkische Medien müssten diesbezüglich "Selbstkritik üben". "Wir haben nicht die richtigen Fragen gestellt." Den Grund dafür sieht Külahci darin, dass keiner rechtsextremen Terror in diesem Ausmaß für möglich gehalten habe: "Ich habe nicht daran glauben wollen, dass so etwas möglich ist."
Die Hoffnung, dass nun vollständig aufgeklärt werde, wieso die Täter so lange unentdeckt bleiben konnten, will der türkische Journalist nicht aufgeben - auch nicht den Glauben daran, dass dies nichts mit der Herkunft der Opfer zu tun haben könne: "In einem demokratischen Rechtsstaat verhält man sich so nicht." Doch es bestehe bei vielen Menschen Bedenken: "Wenn Geheimdienste und Rechtsextreme tatsächlich zusammengearbeitet haben sollten, wird nicht alles ans Licht kommen", befürchtet auch Külahci.
Händler Ö. dagegen hat sein Vertrauen in die Behörden verloren: Die hätten die Ermittlungsarbeit in den "Ausländermorden" nicht ernst genug genommen, vermutet er. Aber dass die Täter möglicherweise von Behördenmitarbeitern gedeckt worden seien, mag er lieber nicht für möglich halten: "Schon der Gedanke macht Angst." | Alke Wierth | Türkeistämmige BerlinerInnen sind entsetzt über die Enthüllungen über die rechtsextremen Hintergründe des Serienmords an Einwanderern. Das Misstrauen gegenüber den Behörden wächst. | [
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Sozialunternehmerin in Nepal: Nasreen Sheikhs Plan geht auf - taz.de | Sozialunternehmerin in Nepal: Nasreen Sheikhs Plan geht auf
Eine Frau widersetzt sich der arrangierten Ehe und gründet eine Firma, die anderen Frauen in einer Zwangslage hilft – mit enormem Erfolg.
Nasreen Sheikh, 24, in ihrer Schneiderwerkstatt in Goldhunga, einem Vorwort von Kathmandu Foto: Frank Schultze / Zeitenspiegel
KATHMANDU taz | Nasreen Sheikh sitzt auf dem staubigen Boden in ihrer Wohnung. Draußen knattern Mopeds über die Paknajol-Straße, Rikschafahrer strampeln gegen Schlaglöcher, Hitze und den Ballast auf der Rückbank. Drinnen schlingt Nasreen Sheikh die schmalen Arme um die Beine, als wolle sie sich selbst festhalten.
„Wie kannst du mir das antun? Warum heiratest du nicht wie alle?“, klagt die Mutter. Das grüne Tuch ist ihr vom Kopf gerutscht und zeigt strähnige Haare über den buschigen Brauen. Nasreen Sheikh schweigt. „Wenn ich dich mit diesen Fremden sehe, denke ich, ich hätte dich als Baby wegwerfen sollen.“
Später steht Nasreen Sheikh mit einer dieser Fremden in dem kleinen Ladenraum unterhalb der Wohnung. Er ist vollgestopft mit bunten Schals, Taschen und Kleidern, die Schaufenster sind blind vor Staub. Nasreen Sheikhs traditioneller Salwar Kurta, eine Tunika über weiten Pluderhosen, umhüllt ihren schmalen Körper. Sie wirkt mädchenhaft mit ihren 40 Kilo und der Stupsnase, albert mit einer Touristin aus den USA herum, die fast ein Dutzend Schals auf den Ladentisch türmt. „97 Dollar“, sagt Saheen Sheikh, Nasreens 19-jährige Schwester. Die Touristin schluckt.
„Die Produkte sind handgenäht. Von Frauen, die zwangsverheiratet wurden oder kaum Geld und Chancen haben“, erklärt Nasreen Sheikh. Mehr muss sie meist nicht sagen, um Kunden von ihrem Projekt „Local Women’s Handicrafts“ zu überzeugen. Sie legt ihnen die Hand auf die Schulter, erzählt von ihrem Projekt, ohne sich aufzudrängen. Die Fremden haben schon nach wenigen Sekunden das Gefühl, Sheikh gut zu kennen. Die Touristin zückt den Geldbeutel und zahlt.
Die Zwangsehe: eigentlich verboten
Nasreen Sheikhs Geschichte ist die eines ungewöhnlichen Aufstiegs in einem der ärmsten Länder der Welt. Sie beginnt in einem konservativen Dorf an der indisch-nepalesischen Grenze und endet in der Hauptstadt Kathmandu, wo Nasreen Sheikh ein Sozialunternehmen führt. Vielleicht ist das auch erst ihr Anfang. Denn die junge Frau hat Größeres vor.
„Es ist schwierig, meine Geschichte zu erzählen“, sagt sie. „Sie klingt so unwirklich.“
Erst als der Dorfvorsteher verbreitete, Nasreen sei geisteskrank, wurde die Hochzeit abgesagt
Nasreen Sheikh wuchs in dem Grenzdorf Rajura auf. Der Vater psychisch krank, die Mutter tiefgläubig und verwurzelt in den Kastenregeln, da lernte Sheikh früh: Schule ist Jungensache. Sie sah, wie ihre Schwester Yasmin mit 11 Jahren verlobt wurde, mit 16 vermählt. Bei der Hochzeit weinte die Schwester.
In Nepal sind Ehen zwischen Minderjährigen verboten. Doch viele entziehen sich den Gesetzen durch traditionelle Zeremonien. So wie Nasreen Sheikhs Mutter Haleema. Sie will die Töchter an gute Männer vermitteln, das heißt: sunnitisch und mit einem guten Einkommen.
Eine spontane Geste
Als Nasreen Sheikh 13 war, zog die Familie nach Kathmandu. Ihr Glück, denn in Städten heiratet man später. Statt windschiefer Bauernhütten gab es Handyshops, statt verhüllten Hausfrauen Touristinnen in Shorts. Manchmal saß Sheikh am Straßenrand und beobachtete das Treiben. Sie lebte erst drei Monate in der Stadt, als ein weißer Mann vorbeikam, Mitte 50, Schnauzer. „Kannst du mir Englisch beibringen?“, fragte sie und zupfte ihn am T-Shirt. Der Fremde blickte hinab. „Klar“, antwortete er auf Nepalesisch.
„Unglaublich“, sagt Nasreen Sheikh heute, „ich hatte noch nie jemanden um Hilfe gebeten.“ Leslie St. John, der Fremde, sagt: „Es gibt so viele bettelnde Kinder in Nepal. Ich hatte noch nie einem geholfen.“
St. John erzählt von dieser ersten Begegnung am Telefon einer Pflegeeinrichtung in Los Angeles. Die Parkinson-Krankheit hat den 67-Jährigen zurück in seine Heimat geführt, nach vierzig Jahren in Asien. Er unterrichtete in Klöstern Englisch und Religion, traf den Dalai Lama.
„Nasreen war so aufgeweckt“, sagt St. John. Er kaufte ihr Bücher, unterrichtete sie zu Hause. Dann ging sie zur Schule, in Bluse und Faltenrock, übersprang zwei Klassen. St. John übernahm alle Kosten. Erst nannte sie ihn Lehrer. Dann Papa. Für die Eltern blieb er der Fremde. Nur ihr Bruder Maghar unterstützte das Mädchen.
Die drei Geschwister
Maghar, heute 33, sitzt auf einer abgewetzten Matratze in Nasreen Sheikhs Wohnung. „Der Doktor war eine riesige Chance für sie“, sagt er. An seinem linken Handgelenk prangt eine Narbe. Elf Jahre war er alt. Eine Glühbirnenfabrik in Delhi, immer wieder platzte das Glas. Dann nähte er den ganzen Tag Bordüren an Saris, stolz, weil er die Familie ernährte. „Wenn ich schon nicht zur Schule gehen konnte, sollte wenigstens Nasreen das tun.“ Auch Maghars Ehe war arrangiert. Für Nasreen Sheikh wollte er etwas Besseres, brachte ihr neben der Schule das Nähen bei.
Tag und Nacht ratterte die Maschine in dem kleinen Zimmer in Kathmandu. Die Geschwister belieferten für einen Hungerlohn eine Textilfabrik. Die erste Frau, die zu ihnen stieß, sprach Nasreen Sheikh auf der Straße an, eine schwangere Bettlerin. Sie zeigte ihr, wie aus Stoffbahnen Röcke und Schals werden. Das sprach sich herum; als sie zu sechst waren, eröffneten sie den Laden. So begann 2006 Nasreen Sheikhs kleine Firma. Im Kern die drei Geschwister, Maghar, Nasreen, Saheen, nur der Bruder volljährig. Sie boten drei Produkte an, zu lächerlich niedrigen Preisen. „Und die Leute kauften die Sachen“, sagt Nasreen Sheikh, noch immer ungläubig.
Nebenher beendete sie die Schule und studierte mit St. Johns Hilfe Elektronik und Informationstechnologie. Als sie 20 wurde, intervenierte die Mutter: „Zeit zu heiraten.“ Die Eltern hatten einen Jungen aus dem Heimatdorf gewählt, das Datum stand fest. Nasreen Sheikh durfte ihn nicht kennenlernen, so will es der Brauch.
Den Dorfvorsteher bestochen
Sie weigerte sich. Als Erste aus ihrem Dorf. Die Eltern zerrten sie aus dem Laden, der Vater schlug zu, die Mutter wollte sich umbringen. Sie tauchte bei Freunden unter. Erst als Maghar den Dorfvorsteher bestach, damit er verbreitete, Sheikh sei geisteskrank, wurde die Hochzeit abgesagt. Ihre Eltern wurden zum Gespött des Dorfes.
Nasreen Sheikhs Augen glänzen feucht, wie jedes Mal, wenn sie von der Zwangsheirat erzählt. Sie hat nie vergessen, wo ihr Weg begonnen hat. Immer wieder betont Nasreen Sheikh, wie dankbar sie Leslie St. John ist. Sie empfindet es als ihre Pflicht, diese Hilfe an andere Frauen weiterzugeben. Dafür stellt sie sich selbst zurück. Erst nach Tagen erzählt sie, dass sie eigentlich gerne Astronomie studieren möchte.
Sie geht hinunter in den Laden, das Telefon klingelt. Sofort fasst sie sich. „Namaste?“ Der Lieferant. Sie spricht Nepalesisch, ihr Ton ist geschäftsmäßig. Nasreen Sheikh, die Unternehmerin. Sie hat gelernt, Rückschläge wegzustecken.
Die Erde bebt
Es ist der 25. April 2015, das größte Erdbeben in Nepal seit 80 Jahren rüttelt Risse in Nasreen Sheikhs Wohnung und begräbt die Nachbarsfamilie unter ihrem Haus. Drei Nächte verbringen Nasreen, Maghar und Saheen in einem Armeezelt, mit Hunderten Menschen. Immer wieder vibriert die Erde. Dann fahren sie mit dem Taxi durch die Trümmerstadt, bis in den Vorort Goldhunga. Eisenstangen ragen aus einem einstöckigen Rohbau. „Unsere Zukunft“, sagt Nasreen Sheikh. Vor einem Jahr hatten sie begonnen, die kleine Nähfabrik zu bauen.
Eine Wand ist eingestürzt, Nähmaschinen liegen verteilt – mehrere tausend Euro Schaden. „Immerhin steht das Haus“, sagt Nasreen Sheikh mit fester Stimme. Ein Jahr später hat die Fabrik zwei Stockwerke. Zwanzig Näherinnen sitzen hinter Maschinen, schneiden Stoffe, bügeln. Da ist Babita Aryal, mit 16 zwangsverheiratet, nie eine Schule besucht. Und Kamla Dahal, mit 14 zwangsverheiratet, mit 17 das erste Kind. Oder Sunita Tamang, mit 15 zwangsverheiratet, das Haus vom Erdbeben zerstört.
Rund 100 Näherinnen haben Nasreen Sheikh und ihre Geschwister ausgebildet. Manche haben sich selbstständig gemacht, andere warten noch mit dem Kinderkriegen. Nasreen Sheikh ist stolz darauf, doch ungefragt spricht sie selten von sich. Die Haare trägt sie meist irgendwie, schminkt sich selten. Doch sie scheint es zu genießen, wenn sie in die staunenden Gesichter der Touristen in ihrem Laden schaut. Sie wiegt dann den Oberkörper hin und her und spielt geschäftig mit den Enden ihres Schals. Nicht nur der Wille zu helfen treibt sie an, auch der Wille erfolgreich zu sein. Zu zeigen: Auch eine nepalesische Frau kann es schaffen.
Durchstarten mit Crowdfunding
Zurück im Laden kramt sie einen Stapel Papier hervor. „Local Women, www.locwom.com, Nonprofit-Organisation“ steht darauf. „Mein neues Projekt“, erklärt sie. Eine bezahlte Nähausbildung für benachteiligte Frauen, wie bisher, mit Bildungszentrum und Gesundheitsklinik. „Ich will den Frauen auf allen Ebenen helfen. Sie lernen nähen, ihre Kinder gehen nebenan zur Schule, und die Klinik versorgt sie medizinisch.“ Konzentriert erläutert Nasreen Sheikh Struktur, Organigramm, Finanzierung. „Damit kann ich viel mehr Frauen helfen, weltweit.“ Sie war gerade in den USA, wo sie die Organisation angemeldet hat, Sponsoren gesucht, das Crowdfunding gestartet. Nasreen Sheikhs Traum: 100 Zentren in 20 Jahren. „Aber wenn es weniger sind, ist das auch okay.“
Sie bürdet sich viel auf mit dem Unternehmen, doch der Erfolg, das Neue, das Ausland locken. Dabei geht sie immer mehr davon aus, dass ihre Ziele auch die anderer sind. Maghar und Saheen übernehmen wie selbstverständlich immer größere Aufgaben im Unternehmen; Maghar managt die Fabrik, obwohl er gerne ins Ausland gehen würde, Saheen übernimmt den Laden, obwohl sie Krankenschwester werden möchte. Nasreen Sheikh weiß, wie sie andere überzeugt. Sie hat einen Plan, um den Frauen zu helfen. Für den gibt sie viel. Fordert aber auch viel von ihren Geschwistern.
Die zwanzig Seiten auf ihrem Schoß wiegen schwer. Auf den ersten Blick klingt das neue Projekt zu groß für die junge Frau. Doch hätte der Laden, den sie jetzt führt, damals im Grenzdorf, nicht auch größenwahnsinnig geklungen?
„Ich habe ein gutes Gefühl“, sagt Leslie St. John, mit dem sie noch immer Kontakt hält, am Telefon. „Nasreen kann das.“ | Veronika Wulf | Eine Frau widersetzt sich der arrangierten Ehe und gründet eine Firma, die anderen Frauen in einer Zwangslage hilft – mit enormem Erfolg. | [
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Trinkwasserversorgung im Libanon: Grüne wollen Dammbau stoppen - taz.de | Trinkwasserversorgung im Libanon: Grüne wollen Dammbau stoppen
Durch einen Staudamm sollen 1,6 Millionen Menschen im Libanon mit Trinkwasser versorgt werden. Die Grünen wollen das aber verhindern.
Hier soll der Damm hin: das Bisri-Tal Foto: Joseph Eid/afp
BEIRUT taz | Wer im Libanon sauberes Wasser trinken möchte, muss sich für umgerechnet etwa einen Euro Gefiltertes nach Hause liefern lassen. Die 5-Liter-Plastikgallone wird in einen Spenderautomat gesteckt und gibt dann Trinkwasser ab. Doch 2024 soll sich das, zumindest für die Hauptstadt Beirut, ändern. Durch ein Dammprojekt soll Wasser aus dem Fluss Bisri angestaut und in den Großraum der libanesischen Hauptstadt geleitet werden. Das soll vor allem den 1,6 Millionen armen Menschen dienen, die sich sauberes Trinkwasser kaum leisten können.
Doch ausgerechnet die Grünen üben nun Druck auf die Bundesregierung aus, die deutschen Fördergelder, die über die Weltbank in das Projekt fließen, zu stoppen. In einem Brief an Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) schrieben die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und der Sprecher für Entwicklungspolitik, Uwe Kekeritz: „Das Projekt umfasst einen 600-Millionen-US-Dollar-Kredit der Weltbank mit Neuverschuldung auf libanesischer Seite – trotz hohen Korruptionspotenzials und massiver Umweltzerstörung.“
Auch Aktivist:innen im Libanon mobilisieren gegen das Projekt. Einer von ihnen ist der 27-jährige Roland Nassour, der 2017 eine Kampagne zur Rettung des Bisritals gestartet hat. „Das Projekt zerstört rund 600 Hektar an Landfläche, knapp 150.000 Bäume, darunter Eichen und Pinien“, sagte er der taz. „Außerdem werden 50 historische Stätten zerstört, darunter ein romanischer Tempel, Brücken und Gräber aus der Bronzezeit. Das Projekt frisst 150 Hektar an Agrarland und zerstört damit die Lebensgrundlagen der Menschen, die dieses Land kultivieren.“
Gerade seine Landwirtschaft braucht der Libanon. Das Land steckt in der schwersten Finanzkrise seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 30 Jahren. Die lokale Währung verliert an Wert, Nahrungsmittel werden teurer, weil sie importiert werden müssen. Produzierendes Gewerbe gibt es kaum, das Wirtschaftssystem basiert auf Banken und Investitionen.
„Bisridamm Ausdruck von Ignoranz“
„Die Politik der Regierenden in Beirut bediente über Jahre hinweg vor allem Eigeninteressen. Während Korruption und Vetternwirtschaft an der Tagesordnung waren, konnte nicht einmal die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet werden. Auch der Bisridamm ist Ausdruck dieser Ignoranz“, sagt Uwe Kekeritz. Die Grünen sagen, dieselbe Firma, die den Auftrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung bekam, habe auch den Auftrag zur Bauüberwachung erhalten.
Gegen das Missmanagement gingen die Libanes:innen vier Monate lang auf die Straße. Ende Oktober trat Regierungschef Saad Hariri zurück, sein Nachfolger wurde Hassan Diab, ein ehemaliger Bildungsminister. Er muss die Wirtschaftskrise in den Angriff nehmen, die durch die Verbreitung des neuen Coronavirus verschlimmert wird.
Ministerium hat Bau unter Auflagen genehmigt
Auf eine Anfrage der Grünen hin, ob man angesichts der Finanzkrise die Unterstützung an Entwicklungsprojekten im Libanon überdenke, hieß es seitens der Bundesregierung: „Angesichts der enormen Entwicklungsherausforderungen im Libanon, unter anderem beim Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Bildung und zu sozialer Sicherung in der Wirtschaftskrise, sowie der Bedarfe von syrischen Flüchtlingen und deren libanesischen Aufnahmegemeinden hält die Bundesregierung die Fortführung der laufenden Vorhaben und die Umsetzung der geplanten Vorhaben entwicklungspolitisch für dringend geboten.“
Das libanesische Umweltministerium hatte dem Dammbau zugestimmt, falls Alternativen zur Zerstörung der Flora und Fauna gefunden werden. Ein Plan liegt nun vor und muss geprüft werden. Wird er abgelehnt, wäre das aber nicht das Ende des Baus: Das entscheidet das Ministerium für Wasser und Energie, dessen Priorität bei der Wasserversorgung liegt.
Nassour und Kekeritz plädieren als Alternative dafür, die chronisch undichten Wasserleitungen zu reparieren. Derzeit gehe die Hälfte des Trinkwassers durch Lecks schlicht verloren. | Julia Neumann | Durch einen Staudamm sollen 1,6 Millionen Menschen im Libanon mit Trinkwasser versorgt werden. Die Grünen wollen das aber verhindern. | [
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Regierungskrise in Slowenien: Eine Frau soll es jetzt richten - taz.de | Regierungskrise in Slowenien: Eine Frau soll es jetzt richten
Premier Jansa stürzt über eine Korruptionsaffäre. Seine Nachfolgerin Alenka Bratusek hat zwei Wochen Zeit, um eine Regierung zu bilden.
Vor großen Herausforderungen: Die designierte slowenische Regierungsschefin Alenka Bratusek. Bild: dpa
SARAJEVO taz | Nach der Abwahl des slowenischen Premierministers Janez Jansa soll jetzt eine Frau die politische und wirtschaftliche Krise meistern. Die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte 42-jährige Alenka Bratusek von der größten Oppositionspartei Positives Slowenien (PS) soll neue Regierungschefin werden. Sie muss nun die Scherben zusammenklauben, die ihr ihr Vorgänger Janez Jansa hinterlassen hat. Sie muss innerhalb von zwei Wochen eine neue Regierung schmieden und beginnen, auch internationales Vertrauen in die Politik des Landes zurückzugewinnen.
Zuletzt stand Jansa ziemlich allein da. Nur noch 33 der 90 Abgeordneten sprachen dem Konservativen am Mittwochabend bei einer Abstimmung im Parlament das Vertrauen aus.
Jansa, der seit 25 Jahren die politische Szenerie Sloweniens beherrscht und bereits von 2004 bis 2008 das Amt des Premiers innehatte, war erst vor 13 Monaten nach dem Scheitern einer linken Regierung wieder ins Amt gewählt worden. Seine aus mehreren Parteien bestehende Koalitionsregierung begann in den vergangenen Wochen nach dem Bekanntwerden von Korruptionsvorwürfen zu bröckeln. Zuletzt blieben ihm fast nur die Stimmen seiner Slowenischen Demokratischen Partei.
Er scheiterte nicht nur an seinem Unwillen, die Summe von 210.000 Euro auf seinem Konto zu erklären. Die wirtschaftliche Krise des Landes wollte er durch Einsparungen im Staatshaushalt bekämpfen. Die EU spricht von einem aktuellen Defizit von 5 Prozent und einem Minuswachstum von 2 Prozent. Jansa scheiterte bei der Sanierung der fast bankrotten Banken. Weiterhin wollte er das Defizit durch den Verkauf von Staatseigentum reduzieren. Beides misslang. Seine Politik rief die Gewerkschaften auf den Plan: Massendemonstrationen und Streiks begleiteten seine Reformversuche.
Expertin in Sachen Haushaltspolitik
Alenka Bratusek stammt zwar aus der Linken. Ob sie aber über genug Autorität verfügt, notwenige und von Brüssel geforderte Sparmaßnahmen politisch durchzusetzen, ist zweifelhaft. Zwar hat sie sich gegen ihren Exparteichef, den Ljubljaner Bürgermeister und Parteigründer von Positives Slowenien, Zoran Jankovic, durchgesetzt.
Jankovic hatte nach Korruptionsvorwürfen den Parteivorsitz ruhen lassen, den Bratusek im Januar 2013 kommissarisch übernahm. Kurz darauf kündigte sie an, dass sich Jankovic dauerhaft von der Parteispitze fernhalten müsse, sobald sie als Regierungschefin gewählt sei. Aber ob Bratusek in der eigenen Partei über genug Rückendeckung verfügt und in der Lage ist, neben den anderen linken Parteien auch die für die Regierungsbildung unerlässliche neoliberale Bürgerliste zu integrieren, bleibt abzuwarten.
Immerhin versteht sie etwas von Haushaltspolitik. Die Management-Expertin arbeitete seit 1999 im Finanzministerium, wo sie zuletzt die Haushaltsabteilung leitete. Am Mittwoch erklärte sie im Parlament, sie werde, anstatt zu sparen, mehr auf die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums setzen. Sollte eine Regierungsbildung scheitern, müssten Neuwahlen angesetzt werden. | Erich Rathfelder | Premier Jansa stürzt über eine Korruptionsaffäre. Seine Nachfolgerin Alenka Bratusek hat zwei Wochen Zeit, um eine Regierung zu bilden. | [
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DEUTSCHLANDS ENERGIEHUNGER SCHADET DEM REGENWALD IN BRASILIEN: Wirtschaftsabkommen ohne Feigenblatt - taz.de | DEUTSCHLANDS ENERGIEHUNGER SCHADET DEM REGENWALD IN BRASILIEN: Wirtschaftsabkommen ohne Feigenblatt
Das Timing war perfekt. Pünktlich zur Landung der deutschen Kanzlerin Merkel in der Hauptstadt Brasília steht Präsident Lula plötzlich ohne sein grünes Feigenblatt dar. All jene, die wie der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel die Wirtschaftspolitik Lulas gerne als „vernünftig“ preisen, konnten sich bislang auf seine Umweltministerin Marina Silva als Kronzeugin berufen.
Doch von ökosozialer „Nachhaltigkeit“ ist die Produktion von Agrotreibstoffen in Brasilien weit entfernt. Der forcierte Anbau hat die Zerstörung des Regenwalds und die Landvertreibungen befördert sowie zu einem drastischem Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Auf den Zuckerrohrfeldern herrscht eine moderne Form der Sklaverei. Die Monokulturen Zuckerrohr und Soja drängen tausende Kleinbauern in die Elendsviertel der Städte ab. Zusammen mit den Viehherden, die sie vor sich her treiben, dezimieren sie die Artenvielfalt Brasiliens, auch im Regenwald.
In Deutschland wollte man den Bekenntnissen aus Brasilien, der Biomasse-Anbau sei ohne soziale und ökologische Kosten zu haben, nur allzu gern glauben. Doch nicht nur in dieser Hinsicht stellt das Energieabkommen, das Lula und Angela Merkel gestern unterzeichnet haben, einen Etikettenschwindel dar. Denn nicht nur Agrosprit, auch der Bau von Wasserkraftwerken wird darin mit den Vokabeln „erneuerbar“ und „nachhaltig“ verkauft. Gab es unter Rot-Grün noch das ernsthafte Bemühen, das Atomabkommen aus dem Jahr 1975 durch einen Vertrag über erneuerbare Energien zu ersetzen, soll jetzt mit deutscher Hilfe der Atommeiler Angra 3 fertig gebaut werden. Wachstum um jeden Preis: Darin sind sich Lula und Merkel einig.
Der deutsche Hunger nach Energie und Rohstoffen ist gewaltig – vor allem Aluminium, Eisenerz, Holz, Rindfleisch und Soja werden in Unmengen aus Amazonien importiert, und auch deutsche Konzerne profitieren von Infrastrukturprojekten, die dem Regenwald den Garaus machen. Da fällt es schwer, sich gegenüber Brasilien als ökologischer Lehrmeister aufzuspielen. Echte Umweltdiplomatie aber sähe anders aus. GERHARD DILGER | GERHARD DILGER | [
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Über den musealen Rahmen hinaus - taz.de | Über den musealen Rahmen hinaus
■ Kunsthalle wird heute 125 Jahre alt / Eine kleine Galerie ihrer Direktoren und ein Rückblick
Heute vor 125 Jahren öffnete auf der ehemaligen Bastion „Vincent“ der Wallanlagen an der Alster der frei in der Parklandschaft stehende prunkvolle Klinkerbau der Hamburger Kunsthalle seine Pforten. In der Neo-Renaissance-Architektur schritt das sehr geschätzte Publikum aufwärts im großen Treppenhaus in die „der edlen Kunst geweihten Hallen“.
Das Gebäude, der heutige Altbau, sollte als Denkmal der Kunst dienen. An der Fassade zitieren Terracotta-Statuen und Porträts der berühmtesten Künstler die ganze Kunstgeschichte herbei. Ohne Privatinitiative, Spenden und vermögende Sammler ging es nicht. Die Kunsthalle ist ein Kind des 1817 gegründeten Kunstvereins zu Hamburg. Die Sammlung und zwei Drittel der Baukosten waren Spenden des Hamburgischen Patriziats. Von dessen gründerzeitlichen Wohlwollen war die Kunsthalle lange abhängiger als von der Staatskasse.
Die Reihe ihrer Direktoren ist eine viel zu wenig im Hamburger Bewußtsein verankerte Ansammlung überregional bedeutender Kunstwissenschaftler. Die Berufung Alfred Lichtwarks zum Direktor 1886 war ein richtungsweisender Glücksgriff. Bis zu seinem Tode 1914 leitete er das Haus und setzte bis heute fortwirkende Schwerpunkte: Malerei in Hamburg mit der Entdeckung der mittelalterlichen Altäre von Meister Bertam und Meister Francke, Neubewertung des romantischen Realisten Philipp Otto Runge und gezielte Aufträge an impressionistische Maler, Hamburg darzustellen. Erstmals präsentierte Lichtwark 1893 Fotografie in einem Kunsttempel und setzte die damalige Moderne gegenüber der Salonkunst durch.
Auf Lichtwark folgte Gustav Pauli. 1919 weihte er den noch von seinem Vorgänger zusammen mit Baudirektor Albert Erbe unter Korrekturen von Fritz Schumacher entworfenen Neubau ein. Paulis Einsatz für die moderne Kunst und eine klar gegliederte Hängung in ateliermäßig hellen Räumen fand 1933 ein jähes Ende. 1937 fielen den „Modernisierungen“ der Nationalsozialisten 74 Gemälde und 1.200 Grafiken zum Opfer. Ab 1945 baute Carl Georg Heise, einstiger Vertrauter des legendären Hamburger Kulturwissenschaftlers Aby Warburg und Kämpfer für den Expressionismus, die moderne Sammlung wieder neu auf. Von 1955 bis 1969 leitete Alfred Hentzen das Haus, ihm folgte Werner Hofmann, der die Kunsthalle bis 1990 leitete. Diese Direktorenriege bewirkte, daß die Kunsthalle immer wieder weit über den Rahmen üblicher Museumsarbeit hinausgehende Impulse gab. In den 20er Jahren war im Sockelgeschoß das Kunstgeschichtliche Seminar beheimatet, das mit Professor Erwin Panofsky und dem Kreis um Aby Warburg als Hamburger Schule der Kunstgeschichte weltberühmt wurde. Mit Werner Hofmann wirkte in Hamburg einer der großen Vorreiter der kunstgeschichtlichen Themenausstellung. Sein Ausstellungs-Zyklus „Kunst um 1800“ wurde international zum Meilenstein. Die jährlichen Besucherzahlen stiegen in die Zigtausende.
Auch die Sammlung der Kunsthalle hat ihre eigene Geschichte von wahrgenommenen und verpassten Chancen. 1886 schenkte der Londoner Kaufmann Gustav Christian Schwabe der Stadt 128 meist englische Gemälde. Das brachte ihm zwar – nach Fürst Bismarck und Graf Moltke – die Ehrenbürgerwürde ein, drängte aber die Kunsthalle zur Salonkunst. Die Bilder trafen den Zeitgeschmack und verschwanden nach und nach als drittrangig im Depot.
Ähnlich erging es der Stiftung des Freiherrn Johann Heinrich von Schröder von 1910. Als das Material 1984 für eine zeitdokumentarische Wiederausstellung gesichtet wurde, entdeckte man, daß sich unter den zuvor kaum beachteten Marmorköpfen die erstrangige Kardinalsbüste des römischen Genies Gianlorenzo Bernini von 1622 befand, die nunmehr als Glanzstück den Barocksaal ziert. Noch immer sind die Archive und düsteren Depots Fundgruben für jede neue Generation von Kunstgeschichtlern.
Schenkungs- und Ankaufspolitik ist seit je ein strittiges Thema in der Museumsszene. 1912 ließ sich die Kunsthalle die berühmte, damals größte deutsche Privatsammlung von Consul Eduard F. Weber entgehen. Weber bot die 354 Bilder der Stadt für drei Millionen Goldmark an: darunter 20 italienische Renaissance-Gemälde, sieben Tiepolos, vier Canalettos, drei Goyas, vier Rembrandts und drei Rubens. Da Lichtwark nur einzelne Bilder wollte, wurde alles in Berlin für fast fünf Millionen Goldmark versteigert, auch ein Madonnenbild des Frührenaissance-Meisters Andrea Mantegna allein für 590.000 Goldmark, heute hängt es in der National Gallery in Washington. Die Kunsthalle ersteigerte damals einen Rembrandt und einige niederländische Bilder, denn Lichtwark war der nordeuropäische und regionale Kontext wichtiger als ein Universalmuseum. So blieb bis heute die große italienische Malerei in der Kunsthalle eine eher zufällige Beigabe.
Gewünscht sei dem jetzigen Direktor Uwe M. Schneede weiterhin eine gute Hand bei der Umgestaltung des Hauses, beim Kunst-Ankauf und bei der Neueinrichtung eines zeitgemäß internationalen Museums, ohne daß der typisch regionale Charakter ganz verloren geht. Hoffen muß man auf Jubiläumsgaben heutiger Großverdiener. Und da weder ein Kunstwerk noch eine Sammlung je fertig oder abgeschlossen ist, brauchen beide Platz und Pflege und vor allem kritische Benutzer: Denen seien viele weitere Jahrzehnte Kunsterfahrung gewünscht. Hajo Schiff
Aktuelle Sonderausstellungen: „Meisterwerke aus dem Guggenheim-Museum“; Joseph Beuys „Arena“ bis 25. September
Neue Bücher: Helmut R. Leppin, Uwe M.Schneede (Hrsg.), „Meisterwerke“, Edition Braus, 128 Mark; „Hamburger Kunsthalle“, Museumsführer, Prestel, 19,80 Mark; Ulrich Luckhard „...diese der edlen Kunst gewidmeten Hallen...“, Zur Geschichte der Hamburger Kunsthalle, Hatje, 16 Mark | Hajo Schiff | ■ Kunsthalle wird heute 125 Jahre alt / Eine kleine Galerie ihrer Direktoren und ein Rückblick | [
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Krise der Piratenpartei: Piraten flüchten aus der ersten Reihe - taz.de | Krise der Piratenpartei: Piraten flüchten aus der ersten Reihe
Der Piraten-Landeschef von Baden-Württemberg verlässt seinen Posten und die Partei. Seiner Familie sei Gewalt angedroht worden.
Lars Pallasch, Ex-Pirat. Bild: dpa
BERLIN taz | Zwei Landeschefs der Piraten haben ihre Ämter niedergelegt. Lars Pallasch, Vorsitzender in Baden-Württemberg, gab in einem Blogpost bekannt, ihm und seiner Familie sei körperliche Gewalt angedroht worden. Er sei auch aus der Partei ausgetreten und habe die Justiz eingeschaltet. Kurz darauf warf auch der Landeschef von Brandenburg, Michael Hensel, hin. Offizielle Begründung: Der Posten habe ihm zuletzt keinen Spaß mehr gemacht.
Baden-Württembergs Ex-Vorsitzender Pallasch vermutet, dass die anonymen Drohungen von Piraten stammten. Darauf deute das Insiderwissen in den Schreiben hin. Er habe die Briefe und E-Mails den Ermittlungsbehörden weitergereicht. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft in Baden-Baden war am Donnerstag zunächst eine entsprechende Strafanzeige bekannt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der taz auf Anfrage mitteilte.
Parteichef Bernd Schlömer zeigte sich bei der Bundesvorstandssitzung am Mittwochabend bestürzt über die Umgangsformen unter Piraten. „Mir reicht es jetzt“, sagte er. „Irgendwann ist eine Toleranzschwelle überschritten.“ Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, dass Piraten einem Landesvorsitzenden und dessen Familie Gewalt angedroht hätten, werde er sofort handeln. "Ich werde gegen jedes Mitglied, das so etwas getan hat, ein Parteiausschlussverfahren beantragen", versicherte Schlömer.
Auch Parteivize Sebastian Nerz warnte, Drohungen gegen die Familie eines Landesvorsitzenden seien „so jenseitig, dass wir sie nicht tolerieren dürfen, ohne alles aufzugeben, für was wir einstehen“.
Der Bundesvorstand beschloss daraufhin, einen Antidiskriminierungsbeauftragten zu benennen. Er soll Ansprechpartner für Opfer von Mobbing und Diskriminierung aus der Partei sein, aber selbst kein Piraten-Parteibuch haben. | Astrid Geisler | Der Piraten-Landeschef von Baden-Württemberg verlässt seinen Posten und die Partei. Seiner Familie sei Gewalt angedroht worden. | [
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Pressefreiheit im Irak: Blogger in Bagdad verschleppt - taz.de | Pressefreiheit im Irak: Blogger in Bagdad verschleppt
Maskierte Männer in Uniform drangen in die Wohnung von Schodscha al-Khafadschi ein. Mittlerweile ist der Blogger mit Millionenpublikum wieder frei.
Die Regierung äußert sich nicht zu dem Verdacht, dass der Blogger durch ihre Leute entführt wurde Foto: dpa
Am Donnerstag haben bewaffnete und maskierte Männer in Uniformen frühmorgens den Blogger Schodscha al-Khafadschi aus seinem Haus in Bagdad verschleppt. Die Männer drangen in die Wohnung des 29-Jährigen ein und nahmen auch Handys, Computer und Kameras mit. Sie hätten sich weder identifiziert noch einen Haftbefehl präsentiert, wie ein Verwandter al-Khafadschis der Nachrichtenagentur AFP am Freitag mitteilte.
Im Laufe des Freitags kam der Blogger dann laut der Newsseite BaghdadToday wieder frei. Al-Khafadschi wurde laut Reporter ohne Grenzen zuletzt zusammen mit weiteren irakischen Journalisten in den sozialen Medien bedroht.
Al-Khafadschi ist im Irak ein einflussreicher aktivistischer Blogger. 2013 gründet er die Facebookseite „Al-khuwa al-nadhifa“ (etwa „Saubere Brüderlichkeit“). Was als geschlossene Gruppe begann, die lustige Videos und Fotos teilte, versorgt mittlerweile 2,5 Millionen User mit politischen Informationen und Kommentaren. Als die Zahl der Leser stieg, habe er entschieden, die Seite öffentlich zu machen und sein Land ein Stück zum Guten zu verändern, sagte Al-Khafadschi im November 2017 der Zeitung Al Bayan aus Dubai.
Die Gruppe richtet sich laut ihrem Pressesprecher Noor Aldin Hussein Ali gegen Sektierertum, Korruption, Stromausfälle und die hohe Arbeitslosigkeit und tritt für Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit ein. In dem Interview mit Al Bayan spricht al-Khafadschi auch von „Ressourcen in der Regierung und in verschiedenen Ministerien“. Durch diese Kontakte gelingt es der Gruppe offenbar, exklusive Nachrichten zu erhalten.
Sicherheit für Journalisten versprochen
Heute wird „Al-khuwa al-nadhifa“ von zwanzig Ehrenamtlichen betrieben. Die neuesten Beiträge enthalten Bilder über Aktivisten, die im Irak auf ungeklärte Weise verschwunden sind. Andere berichten über einen Demonstranten, der von Sicherheitskräften geschlagen wurde. Kürzlich meldete die Seite, dass umgerechnet fast 3.000 Euro gesammelt wurden, um die Operationskosten für einen Mann zu bezahlen, der mit Nierenfunktionsstörung in ein Krankenhaus eingewiesen worden war.
Nach den jüngsten Massenprotesten gegen seine Regierung hat der irakische Ministerpräsident Adel Abd al-Mahdi eigentlich mehr Sicherheit für Journalisten und Aktivisten versprochen. Die Behörden äußern sich bisher nicht zu dem Vorfall oder zu dem Verdacht, den viele im Nachgang äußerten: dass die uniformierten Männer im Auftrag des Staates bei al-Khafadschi eingedrungen sind. | Heba Alkadri | Maskierte Männer in Uniform drangen in die Wohnung von Schodscha al-Khafadschi ein. Mittlerweile ist der Blogger mit Millionenpublikum wieder frei. | [
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Das große Winke-Winke-Spiel - taz.de | Das große Winke-Winke-Spiel
TV Ist das Winken in die Kameras Geste des guten Gustos oder einfach nur dämlich?
EIN PRO VON DORIS AKRAPDie schönsten Fans sind die, die winken. Die, die das nicht tun, wirken unwillkürlich arrogant. Freilich gibt es Stars und hässliche Entlein unter den Winke-Winkes: wunderschön geschwungene, wild paddelnde, kleinkreisend verlegene, jahrelang einstudierte oder mit spontaner Überwältigung wedelnde, von offenen Mündern und gekonntem Augenzwinkern flankiert. Allen gemeinsam ist, dass sie keinen fußballerischen Anlass haben. Sie sind Gesten des Zurücksehens.
Kein steiles Tor, kein Wunderpass ist nötig, um zu winken. Kein gerade laufendes Elfmeterschießen hält die Fans davon ab, es wieder und wieder zu tun, wenn sie gesehen werden. Beziehungsweise, wenn sie sehen, dass sie gesehen werden. Und daran ist nichts schlimm. Ob man nun von einer Person oder von Millionen Zuschauern gesehen wird, es ist nur freundlich und toll, dem Sehenden diese kleine Geste des Zurücksehens zu schenken. Ein Mal im Leben der ganzen Welt aus purer Freude zuzuwinken und mit der offenen Handfläche zeigen, dass man in friedlicher Absicht ohne Waffen in den Händen gekommen ist. Das Winken ist eine Geste, die aus dem Alltag fast verflogen ist. Nur noch Königskinder, Päpste, Politiker und auf roten Teppichen Stehende winken. Ein royales Winken. Dabei ist diese kleinste und zugleich schönste Geste der Menschheit die grazilste, vielfältigste, einfachste, bezauberndste, charakteristischste, größte Geste der Welt. Es ist dieser kurze Moment, in dem der Körper spricht, ohne dass er laut werden muss. Dass sich diese dem Anderen öffnende Geste verflüchtigt hat, ist sicher auch Ergebnis der absoluten Körperkontrolle. Und das ist schade. Man sollte viel mehr winken. Zeig mir, wie du winkst, und ich sag dir, wer du bist. DORIS AKRAP
EIN CONTRA VON JULIA LEYWer dieses Jahr WM schaut, hat manchmal das Gefühl, er stehe im Asia-Laden: überall idiotisch grinsende, selbstverliebt dreinschauende Winkekatzen. Im Gegensatz zur Nabelschau der Stadionbesucher erfüllt die monoton hin und her schwingende Pfote der Plastikkatze aber immerhin einen Sinn: Sie soll Kunden ins Geschäft locken, das Glück herbeiwinken. Das mag man für Aberglaube halten, doch wenigstens steckt dahinter eine erkennbare Motivation. Anders bei den Stadiozuschauern: Kein Mensch weiß, was es bedeuten soll, dass all diese Leute hysterisch mit der Hand wedeln, sobald sie sich selbst auch nur für einen kurzen Moment auf der Leinwand erblicken. Wem winken all die WM-Kätzchen in Fußball-BHs? Was wollen diese grölenden Machos mit Brasilien-Behutung von mir? Ist es möglich, dass sie tatsächlich glauben, irgendein Zuhauseschauer würde sich über ihren Anblick freuen? Denken die, dass es Spaß macht, daheim im piefigen Schland braungebrannten Brasilienreisenden beim Im-Stadion-Schauen zuschauen zu müssen? Oder schlimmer: Richtet sich das Winken gar nicht an mich, sondern meinen all die idiotisch Hüpfenden tatsächlich schlicht sich selbst? Kann man so verblendet sein, eine ganze Weltöffentlichkeit dazu zu zwingen, ihnen beim Sich-selbst-Zuwinken zuschauen zu müssen? Nein, liebe WM-Regie, es mag ja gut gemeint sein, mich an der Stadionatmosphäre teilhaben lassen zu wollen, aber so wird das nichts. Wenn ihr mich unterhalten wollt – okay: Zeigt mir Fußballmädchen, die beim Blick auf die Leinwand merken, dass sie beim In-der-Nase-Bohren gefilmt wurden. Oder spieltrunkene Jungs, die sich vor Millionen Fernsehzuschauern ihr alkoholfreies Bier über die Hose schütten. Wenn das zu schwer ist, geht’s auch leichter: Zeigt doch bitte einfach Fußball! JULIA LEY | DORIS AKRAP / JULIA LEY | TV Ist das Winken in die Kameras Geste des guten Gustos oder einfach nur dämlich? | [
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Bundespolizei will Tattoos erlauben: Zugehackte OrdnungshüterInnen - taz.de | Bundespolizei will Tattoos erlauben: Zugehackte OrdnungshüterInnen
Die Bundespolizei erwägt, künftig auch BewerberInnen mit sichtbaren Tätowierungen einzustellen. Damit ist es offiziell: Tattoos sind Mainstream.
Dürfen die neuen Kollegen bald schon sichtbare Tattoos haben? Foto: dpa
Wer dringend Nachwuchs braucht, kann bei Details nicht wählerisch sein: Die Bundespolizei überlegt laut Medienberichten, ihre Bestimmungen über Tätowierungen zu lockern. Das meldet der Spiegel und bezieht sich dabei auf interne Informationen.
Bislang durften BewerberInnen keine Tattoos an Stellen tragen, die frei liegen könnten – wie Hals oder Unterarm. Da die Bundespolizei jedoch demnächst 3.000 neue Stellen zu besetzen hat, wird sie da wohl künftig ein Auge zudrücken.
Den Tattoofans beweist das, was sie schon lange befürchten: Farbe unter der Haut ist nicht mehr, was es mal war. Wenn sich bisher jemand ein Motiv an einer Stelle stechen ließ, die schwer zu bedecken ist, prophezeite die entsetzte Verwandtschaft, keine Bank, kein schickes Hotel würde einen damit je einstellen – und schon gar nicht die Polizei. Tat man es dennoch, dann war es ein berauschendes Gefühl: ein Abwenden vom Spießertum, ein für alle Mal. Das Tattoo war ein Vertrag, mit Tinte auf Haut verfasst: stay rebel, stay rude. Das war mal.
Tattoos sind Standard, sogar der faustgroße Schädel am Hals haut kaum noch jemanden aus den Latschen. Womit man dagegen durchaus noch schocken kann: mit der Entscheidung, zur Polizei zu gehen. | Peter Weissenburger | Die Bundespolizei erwägt, künftig auch BewerberInnen mit sichtbaren Tätowierungen einzustellen. Damit ist es offiziell: Tattoos sind Mainstream. | [
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„Es gibt wichtigere Sachen“ - taz.de | „Es gibt wichtigere Sachen“
Wieder was gelernt: Auch wenn es ihm nicht passt, gehört Markus Kavka zu den prominentesten Moderatoren bei MTV. Ein Gespräch über kreative Videos, leere Berliner Wohnungen und die Musik, die er am Wochenende im Watergate auflegen wird
Interview ULF LIPPITZ
taz: Ihre Abmoderation bei den „MTV News“ lautet: Haben wir wieder was gelernt. Was können Zuschauer bei Ihnen lernen?
Markus Kavka: Alles nicht so ernst zu nehmen. Wir wollen den Eindruck vermitteln, dass man dem ganzen Geschäft mit Ironie begegnen kann und nicht jeden Pups von Britney Spears oder Justin Timberlake für bare Münze nehmen muss.
Aber er wird berichtet.
Ja, aber teilweise so überzogen, dass die Zuschauer denken: Stimmt eigentlich, ich muss mir nicht das hundertste Poster ins Wohnzimmer hängen, hysterisch werden und Stofftiere auf die Bühne schmeißen – es gibt wichtigere Sachen.
Was hat Markus Kavka bei MTV gelernt?
Dasselbe. Außerdem kann ich inzwischen besser zwischen Privat- und Berufsleben unterscheiden.
Gibt es da Konflikte?
Ich bemerke, dass ich zunehmend mein Privatleben verliere. Prominent zu werden, habe ich nie angepeilt. Ich habe versucht, Inhalte zu füllen. Heute kann ich nicht mehr unerkannt durch Fußgängerzonen gehen. Darauf hatte ich noch nie Bock.
Sehen Sie sich selbst manchmal in Fernsehen?
Nein. Es gibt aber Situationen, wenn ich zu meinen Eltern komme, dass sie, warum auch immer, sofort MTV anschalten. Da sehe ich mich dann zwangsläufig. Das ist mir unangenehm.
Übte Musikfernsehen je eine Faszination auf Sie aus?
Auf jeden Fall – vor allem, weil ich es nicht sehen konnte. Wir hatten zu Hause kein Kabel. Das erste Mal konnte ich MTV verfolgen, als ich schon in München wohnte, also 1994.
Das war Ihr erstes Mal MTV?
Ich hatte mir bereits von Freunden aus London das eine oder andere Tape aufnehmen lassen. Aber lange Zeit existierte Musikfernsehen für mich nur über „Formel Eins“.
Die MTV News präsentierte früher Steve Blame. Haben Sie ihn mal getroffen?
Ja. Er ist einer der Großen im Geschäft. Als wir 20 Jahre MTV feierten, moderierten wir zusammen die News.
Konnte er Ihnen Erfahrung weitergeben?
Er hatte auf alle Fälle große Geschichten auf Lager. Von seiner ersten Love Parade in Berlin, als er vollkommen verpeilt im Hotel-Bademantel durch die Stadt fuhr, um Ko-Moderatorin Simone Angel wiederzufinden, die verschollen war – und dann auch im Bademantel hinter irgendeiner Hecke gefunden wurde. Und wir konnten uns über Madonna austauschen: Wie war sie bei dir, wie war sie bei mir.
Wie war sie bei Ihnen?
Eine skurrile Geschichte. Sie hatte einen ganzen Stab Stylisten dabei, die angeblich vor dem Interview zu ihr gingen und sagten: Der Typ, den du jetzt gleich triffst, sieht aus wie Brad Pitt. Und sie meinte am Ende zu mir: It’s true what they said. Ich kann das bis heute nicht verstehen.
Das Interview mit Kylie schien eine Herzensangelegenheit von Ihnen zu sein. Warum?
In den Achtzigern war sie meine Hass-Figur, als ich Gothic-, New-Wave-Fan war. Die ging natürlich gar nicht. Aber ich wollte herausfinden, warum einer meiner Helden, Nick Cave, einen Song mit ihr gemacht hat – was mich damals entsetzte. Ich musste feststellen, dass sie eine bezaubernde Person ist.
Wie hat sich Musikfernsehen im Laufe Ihrer Arbeit verändert?
Die klassische Form Video-Anmoderation-Video verschwindet. Es gibt wahrnehmbare Bestrebungen bei MTV und Viva, das Ganze in ein Jugend-Vollprogramm zu überführen. Trotzdem werden die Sender erkennbar Musikfernsehen bleiben.
Glauben Sie, der Videoclip verliert dadurch an Bedeutung?
Als Promotion-Werkzeug nicht.
Und künstlerisch?
Dem stimme ich teilweise zu. Die wirklich kreativen Sachen passieren nur noch, wenn jemand eine Million Dollar Budget hat oder überhaupt kein Geld und deswegen besonders kreativ sein muss.
Welches Video fanden Sie kreativ?
Michel Gondrys Clip für The White Stripes, „Fell In Love With A Girl“, fand ich revolutionär. Oder Coldplays „The Scientist“. Das sind echte Hingucker.
Hat Ihnen der Auftritt der White Stripes bei den MTV Europe Music Awards zugesagt?
Ja, das war der beste Auftritt der gesamten Show, die zwar grundsolide, aber ohne große Überraschungen war. Beeindruckend fand ich noch Kraftwerk: Da hätte ich mir gewünscht, dass die Show drei Stunden so weitergeht. Aber als ich mich umsah, bemerkte ich, wie verstört die hauptsächlich 18-jährigen Zuschauer reagierten.
Sind Sie froh, wenn im Frühjahr mit dem MTV-Umzug das Pendeln zwischen München und Berlin vorbei ist?
Schon. Ich habe seit eineinhalb Jahren eine Wohnung in Friedrichshain, die ist aber de facto nicht mehr als eine teuer bezahlte Abstellkammer. Von Montag bis Freitag ist Dienst in München, und am Wochenende steht meist auch etwas an. Ich bin froh, wenn ich mal zu Fuß zur Arbeit gehen kann. Das Nomadendasein geht sehr an die Substanz.
Morgen kommen Sie im Watergate an. Werden Sie da Rock auflegen?
Nein. Ich weiß, wenn man meine Laufbahn verfolgt hat, muss dieser Eindruck entstehen – aber Bands wie Judas Priest habe ich nie gehört. Die ersten Sachen, die mir etwas bedeutet haben, waren Stücke von Visage oder Softcell. Seit drei Jahren lege ich konsequent elektronische Musik auf.
Samstag, 23 Uhr, Watergate, Falckensteinstr. 49, Kreuzberg | ULF LIPPITZ | Wieder was gelernt: Auch wenn es ihm nicht passt, gehört Markus Kavka zu den prominentesten Moderatoren bei MTV. Ein Gespräch über kreative Videos, leere Berliner Wohnungen und die Musik, die er am Wochenende im Watergate auflegen wird | [
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Studie über Pegida-Teilnehmer: Ein „gewisses Verständnis für Gewalt“ - taz.de | Studie über Pegida-Teilnehmer: Ein „gewisses Verständnis für Gewalt“
Eine Pegida-Studie zeigt: 90 Prozent sind unzufrieden „mit der Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert“. 80 Prozent würden die AfD wählen.
Wollen eine „deutsche Leitkultur“: Pegida-Anhänger demonstriert am 18.01.2016 vor der Frauenkirche in Dresden Foto: dpa
GÖTTINGEN/DRESDEN epd/dpa | Mehr als 40 Prozent der Pegida-Anhänger sprechen einer Erhebung zufolge grundsätzlich allen Menschen ein Recht auf Asyl in Deutschland ab. 94 Prozent plädierten angesichts der Flüchtlingsdebatte für „autoritäre Krisenlösungen“, teilte das Göttinger Institut für Demokratieforschung mit. Allerdings sei die Studie nicht im strengen Sinne repräsentativ, erklärten die Wissenschaftler. Sie verteilten im vergangenen November rund 1.800 Fragebögen an Teilnehmer einer Pegida-Demonstration in Dresden. 610 Bögen erhielten die Forscher zurück. „Unsere Ergebnisse sagen nur etwas über die tatsächlich Befragten aus.“
Die islamfeindliche Pegida-Bewegung veranstaltet seit Herbst 2014 in Dresden und anderen Städten Demonstrationen. Das an der Göttinger Universität angesiedelte Institut habe erstmalig vor einem Jahr Kundgebungsteilnehmer befragt und dann im vergangenen November noch einmal, hieß es. Dabei sprachen sich 82 Prozent für eine „Befestigung und Verteidigung“ der deutschen Nationalgrenzen aus.
Den Umfrageergebnisse zufolge sinkt das Vertrauen der Pegida-Anhänger in Personen, Organisationen und Institutionen. Eine Mehrheit von 58 Prozent vertraue lediglich noch der Polizei. Am wenigsten Vertrauen genießen den Angaben zufolge Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Joachim Gauck, die öffentlich-rechtlichen Medien und die Europäische Union. „Diesen Institutionen wird gegenwärtig jeweils zu über 90 Prozent misstraut,“ hieß es.
Dieses Misstrauen spiegelt sich den Angaben zufolge auch in den Demokratie-Vorstellungen wider. Mehr als 90 Prozent der Umfrageteilnehmer seien unzufrieden „mit der Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert“. Rund 20 Prozent lehnten die Demokratie „als Idee“ inzwischen sogar prinzipiell ab. Aus Sicht der Göttinger Forscher ist dies „ein deutlicher Hinweis auf Radikalisierungstendenzen im Sinne antidemokratischer Einstellungsmuster“. Überdies hätten rund 60 Prozent der Befragten ein „gewisses Verständnis für Gewalt in ihrem Umfeld“ geäußert.
Recht und Ordnung, eine politische Selbstbestimmung Deutschlands sowie eine „deutsche Leitkultur“ - das sei außerdem besonders wichtig. 80 Prozent der Teilnehmer würden zudem die AfD wählen und 20 Prozent erst gar nicht zur Wahl gehen. | taz. die tageszeitung | Eine Pegida-Studie zeigt: 90 Prozent sind unzufrieden „mit der Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert“. 80 Prozent würden die AfD wählen. | [
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Eine ganz normale Prozedur - taz.de | Eine ganz normale Prozedur
Von einem, der auf die Freigabe seines Eigentums nicht bis zum EU-Beitritt Polens warten wollte und die Staatsanwaltschaft „nachdrücklich“ unterstützte
aus Warschau HENK RAIJER
Dienstag, 3. Oktober, 14.02 Uhr, Zollamt Warschau auf dem östlichen Weichselufer, im Bürozimmer des Sachbearbeiters Tomasz Piątek: „Die Sache RKS-284/2000/ST?“ Der Beamte, grüner Dienstanorak, polnischer Adler in Silber auf der Krawatte, schaut müde aus dem Fenster. „Aha, der Berliner Mazda“, bringt er schließlich hervor. „Ihre Freundin ruft ständig an. Was wollen Sie?“ – „Meinen Wagen.“ Tomasz Piątek lehnt sich würdevoll nach vorne. Der 50-Jährige atmet tief durch: „Aber ich bitte Sie, mein Herr, das ist eine Strafsache. Sie müssen warten.“ – „Haben Sie meine Akte?“ – „Ihre Akte? Ja, warten Sie . . . Nein, Ihre Akte ist am 12. 9. an die Staatsanwaltschaft Wola gegangen, eine ganz normale Prozedur.“ – „Und wie ist so eine ganz normale Prozedur?“ Tomasz Piątek schaut den ungebetenen Gast überlegen an, seine blutleeren Finger manövrieren dabei Formblätter von links nach rechts: „Sie warten.“ – „Wie lange?“ – „Na ja, Sie müssen verstehen, die Staatsanwaltschaft prüft die Schwere des Vergehens.“ – „Wessen Vergehen?“ – „Na, Ihres.“ – „Ich war zur Tatzeit gar nicht in Warschau.“ – „Das hat die Staatsanwaltschaft in Wola zu klären, eine ganz normale Prozedur.“
Mittwoch, 4. Oktober, 9.50 Uhr, auf dem fensterlosen Flur der „Prokuratura“, Bezirk Wola: „Ihr Aktenzeichen nützt mir nichts“, wimmelt der ältere Herr am „Empfang“ den Besucher ab. „Zu wem wollen Sie?“ – „Zu demjenigen, der meinen Fall bearbeitet.“ Der Herr über alle Türen erhebt sich, überlegt sich auf Drängen des polnisch stammelnden Besuchers sein vorheriges „So geht das nicht“ und schleppt sich ins Sekretariat mit einem „Warten Sie hier“.
10.34 Uhr, Zimmer 33, Sekretariat der Staatsanwaltschaft. „Wann soll die Akte eingegangen sein?“ – „Ein oder zwei Tage nach dem 12. September.“ Die übergewichtige junge Frau blättert in dem großen Buch, in dem tausende handgeschriebene Vorgänge eingetragen sind. „Gibt’s hier nicht.“ – „Kann nur hier sein, behauptet das Zollamt.“ – „Gehen Sie zur Polizei im ersten Stock. Wenn Ihr Wagen in diesem Stadtbezirk angehalten wurde, haben die einen Vermerk.“
11.15 Uhr, auf dem Polizeirevier Wola: Das Radio lärmt. „Mazda 626, Berliner Kennzeichen, sagten Sie?“ Der Uniformierte zündet sich, der Bedeutung seiner Aufgabe gemäß, eine Zigarette an und wälzt sein großes Buch mit handgeschriebenen Eintragungen. „Hier, Mazda 626, gestoppt am 8. September 2000, Jana Pawla, Ecke Jerozolimski“, zeigt er mit gelbem Zeigefinger auf einen Vermerk. „Wer ist gefahren?“ – „Meine polnische Freundin.“ – „Das ist doch ungesetzlich“, brüllt der Mann, in dessen Büro die Musik jeden Versuch einer deutsch-polnischen Annäherung obsolet macht. „Deswegen bin ich ja hier, ich suche meine Akte.“ – „Die ist beim Zoll.“
12.45 Uhr, zurück im Sekretariat: „Dürfte ich Ihr Telefon benutzen, um beim Zoll anzurufen?“ – „Telefonieren dürfen nur Mitarbeiter“, sagt die Sekretärin zögernd. „Aber Sie könnten das doch für mich machen, oder?“ Unsicher schaut sie ihre Kollegin an, die am Fenster Heftchen liest. Dann: „Hören Sie, ich habe vielleicht etwas gefunden. Ihre Strafsache hat bei uns ein neues Aktenzeichen bekommen: KO 1016/00.“ – „Die Akte ist also hier?“ Betretener Blick zum Fenster. „Das kann ich so nicht sagen. Meine Chefin, Frau Jaruzelski, hat sie bearbeitet. Aber die ist erst morgen wieder da.“
Donnerstag, 5. Oktober, 9.17 Uhr, in Zimmer 19, dem Büro von Frau Staatsanwalt Małgorzata Jaruzelski: „KO 1016/00? Worum soll’s da gehen?“ – „Um die Beschlagnahmung meines Wagens.“ – „Mir nicht bekannt. Bitte, gehen Sie, ich habe zu arbeiten.“ Staatsanwältin Jaruzelski ist heute nicht gut aufgelegt. Die Ankündigung, ohne konkreten Hinweis auf ein Verbleib der Akte das Zimmer nicht verlassen zu wollen und ein demonstratives Handy-Telefonat mit der Rechtsabteilung der deutschen Botschaft versauen der jungen Frau schon am frühen Morgen den Tag. „Verlassen Sie sofort mein Zimmer.“ Nervös wirft die Staatsanwältin ihre blondierten Locken in den Nacken, ihre Stimme überschlägt sich, sie reißt die Tür auf, ruft Hilfe herbei. Der Empfangschef bittet auf den Flur, die Damen von Zimmer 33 sollen weitersuchen, Frau Jaruzelski verbarrikadiert sich in ihrem Zimmer.
10.20 Uhr, auf dem Flur zwischen den Zimmern 19 und 33.
12.00 Uhr, auf dem Flur zwischen den Zimmern 19 und 33. „Mahlzeit.“ Der erneute Griff zum Handy verdirbt der fülligen Sekretärin glatt den Appetit. „Ihre Akte ist möglicherweise an die Staatsanwaltschaft von Żoliborz gegangen. Ich werde dort für Sie anrufen. Dauert aber eine Stunde, bis die was finden.“
12.54 Uhr: Hektische Flecken im Gesicht der Sekretärin lassen nur einen Schluss zu: Die Akte ist nie in Żoliborz angekommen. „Żoliborz ist nicht zuständig“, erklärt sie. „Wer ist zuständig?“ – „Wahrscheinlich Ochota. Die Straße, in der ihr Auto gestoppt wurde, gehört zum Bezirk Ochota.“ KO 1016/00 ist den dortigen Behörden anscheinend auch kein Begriff, denn in den nächsten anderthalb Stunden hasten ein Dutzend Mitarbeiter kopflos über den Flur. Im Zimmer 19 reden Kollegen auf Frau Jaruzelski ein. Die wird immer kleinlauter. Der Empfangschef rollt mit den Augen, als ihm eine Staatsanwältin den neuesten Stand der Forschung mitteilt. Der Amts-Gau lässt sich nicht mehr verschleiern: Die Akte ist verschwunden. Auf dem Dienstweg. Eine ganz normale Prozedur?
14.15 Uhr: Die Drohung, die Aktensuche am nächsten Tag in Begleitung eines Reporters der Gazeta Wyborcza fortzusetzen, hat den dritten Stock in Agonie versetzt. „Kann ich Ihnen etwas zu essen bringen, wollen Sie von meinem Büro aus telefonieren?“ Anna Nowakowska, einer Amtskollegin von Frau Jaruzelski, ist die Sache peinlich. „Jeder Staatsanwalt hat über 100 Fälle auf dem Tisch, und in diesem Haus gibt’s keinen Computer“, bemüht sich die junge Frau, die einige Zeit in Wien gelebt hat, um Schadensbegrenzung. Der Empfangschef beugt sich vor, flüstert konspirativ: „Polen ist nicht reif für die Europäische Union, sondern für die Sowjetunion.“
15.04 Uhr: „Wir haben sie.“ Die Grimmigkeit ist wie weggeblasen, freudestrahlend versammeln sich zwölf Mitarbeiter um den Stuhl des Störenfrieds. Der Empfangschef steckt den Daumen in die Höh’, sagt: „Hat sich Ihre Beharrlichkeit ja doch gelohnt.“ Könnte denn bitte entschieden werden, damit die Akte zum Zoll zurückgelangt? „Leider nein, wir sind nicht zuständig“, sagt die Sekretärin von Frau Jaruzelski. Die hat sich seit Stunden nicht mehr blicken lassen. „Ich rede mal mit dem Chef“, verspricht Anna Nowakowska.
16.00 Uhr: Ungläubiges Staunen beim Fußvolk: „Die Jaruzelski unterschreibt“, wabert es über den Flur. Staatsanwältin Nowakowska tritt aus dem Zimmer der Kollegin Jaruzelski. „Unser Bote bringt Ihre Akte zurück zum Zollamt, gegen elf Uhr morgen früh ist sie beim zuständigen Sachbearbeiter. Nur er kann das Auto freigeben“, erläutert sie. Und fügt verlegen lächelnd hinzu: „Das ist die ganz normale Prozedur.“
Freitag, 6. Oktober, 12.05 Uhr, Zollamt Warschau auf dem östlichen Weichselufer: „KO 1016/00?“ fragt die Chefin der Poststelle. „Aus Wola? Haben wir nicht. Aus Wola war heute nichts dabei. Bis Dienstschluss passiert auch nichts mehr. Kommen Sie am Montag wieder.“
Montag, 9. Oktober, 10.04 Uhr, im Zimmer von Tomasz Piątek: Der Zollbeamte fingert an der Mappe, die vor ihm auf dem Tisch liegt. „Der Vorgang ist bei mir eingetroffen. Ich sehe mich allerdings außer Stande, die Akte zu schließen und das Beweisstück freizugeben . . .“ – „Aber Sie haben doch am letzten Dienstag . . .“ Tomasz Piątek blickt müde aus dem Fenster, „. . . weil die Aussage Ihrer Freundin dagegen spricht. Laut Protokoll haben Sie Ihrer Freundin schriftlich die Erlaubnis gegeben, mit dem deutschen Auto zu fahren. Und das ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft.“
11.20 Uhr, im Zimmer von Piąteks Chef, Jerzy Olszewski: „Ich verstehe, dass Sie für Ihre Arbeit als Journalist das Auto brauchen. Und ich sehe, dass Sie genau beobachten, was Sie hier erleben“, müht sich Zolldirektor Olszewski ab. „Für Sie und mich ist das Ganze eine Bagatelle, aber für den Kollegen Piątek geht es um die Wahrheit.“ Ob er nicht auf Grund seiner Autorität . . .? „Nein, ich darf Piątek nicht beeinflussen. Allerdings . . .“ – Direktor Olszewski steht auf, glättet mit der Rechten seine Uniformjacke und schließt die Tür zum Vorzimmer – „könnte Ihre Freundin ihre Erklärung zurückziehen und aussagen, es habe sich um einen Notfall gehandelt, etwa ihr Kind sei in der Schule erkrankt. Sie als Verdächtiger sollten auch eine Erklärung abgeben, die mit der ihrigen korrespondiert. Allerdings brauchen wir dafür einen Übersetzer. Wenn das vorliegt, regeln wir die Sache mit Piątek.“
Dienstag, 10. Oktober, 13.03 Uhr, im Büro von Tomasz Piątek: Vernehmung des Verdächtigen. Nach den in Polen obligatorischen Fragen nach Mädchenname und Geburtsdatum der Mutter, die die Übersetzerin gewissenhaft ins Deutsche überträgt, will Tomasz Piątek wissen, ob man gedient habe. Dann, überaus gerichtsrelevant: „Sind Sie Reservist?“ – „Herr Piątek, ist man in Polen Reservist mit 46?“ Weiter geht’s mit den Vermögensverhältnissen und der Frage, ob der Verdächtige in letzter Zeit beim Psychiater gewesen sei. Nach zwei Stunden ist die Vernehmung abgeschlossen, die Aussage kompatibel gemacht. Direktor Olszewski kann entscheiden.
15.15 Uhr: Jerzy Olszewski hat seine Dienstuniform bereits ausgezogen und ist auf dem Weg zum Parkplatz. „Wir dürfen keine Überstunden machen. Geld ist keins da, und abbummeln ist nicht drin“, sagt er. „Kommen Sie morgen, da hab ich Ihre Akte gelesen.“
Mittwoch, 11. Oktober, 10.05 Uhr, im Zimmer von Jerzy Olszewski: „Herr Direktor, wo kann ich das Auto abholen?“ Jerzy Olszewski blättert ziellos in der grünen Mappe, die ihm Sachbearbeiter Piątek hereingereicht hat. „Es ist nicht so einfach“, beginnt er. „Wissen Sie, Piątek hat Zweifel am Wahrheitsgehalt Ihrer beider Aussagen. Die Akte muss noch mal nach Wola. Und die Chancen auf Einstellung des Verfahrens stehen damit 50 zu 50.“ – „Aber die Version mit dem Notfall haben Sie uns doch selbst vorgeschlagen . . .“ Das ist Direktor Olszewski nun aber unangenehm. „Na ja, warten Sie, ich habe nur gesagt, Ihre Freundin, die ja gefahren ist, solle sich überlegen . . .“ – „Wer entscheidet denn nun, wann ich das Auto bekomme?“ – „Piątek.“ Olszewski lächelt wissend. „Ich weiß, unkonventionelle, schnelle Lösungen sind seine Sache nicht.“ – „Schätze, auf der Prokuratur entscheidet meine Lieblingsstaatsanwältin, nicht wahr?“ – „Ja. Das ist die ganz normale Prozedur.“ | HENK RAIJER | Von einem, der auf die Freigabe seines Eigentums nicht bis zum EU-Beitritt Polens warten wollte und die Staatsanwaltschaft „nachdrücklich“ unterstützte | [
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SPD-Abgeordnete zu Wahlkampf 2021: „Der neutrale Staat ist zentral“ - taz.de | SPD-Abgeordnete zu Wahlkampf 2021: „Der neutrale Staat ist zentral“
Was will die Berliner SPD bildungspolitisch im Wahlkampf? SPD-Abgeordnete Maja Lasić über neoliberale Ideen und Identitätspolitik in der Kopftuchfrage.
Eine Hypothek für die nächste Legislatur: Wie umgehen mit dem Kopftuch an Schulen? Foto: Michael Trippel/laif
taz: Frau Lasić, bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Seit 25 Jahren verantwortet die SPD das Bildungsressort in Berlin – und das sieht man daran, dass …
Maja Lasić: … dass bestimmte Veränderungen im Bildungssystem sich Bahn gebrochen haben, die sonst nicht so schnell gekommen wären.
Was heißt das genau?
Nehmen Sie den kontinuierlichen Ausbau der Ganztagsschule, da ist Berlin Vorreiter, und das liegt an der Kontinuität einer Regierung, die sich einig ist in der Zielsetzung. Oder die Einstufung der Grundschullehrkräfte in die gleiche Gehaltsgruppe wie die Lehrkräfte an weiterführenden Schulen, auch da ist Berlin Vorreiter.
im Interview:Maja Lasić
Maja Lasić
41, geb. in Mostar/Bosnien und Herzegowina, promovierte Biologin, sitzt seit 2016 für die SPD im Abgeordnetenhaus. Sie ist bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Das ist jetzt schon recht kleinteilig, ich dachte da eher an so eine große sozialdemokratische Linie, die Sie jetzt vielleicht skizzieren wollen.
Es geht bei beiden Themen um Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit. Und dann kann man an dieser Stelle als Drittes auch noch die Schulstrukturreform 2010 nennen, als der damalige Bildungssenator Jürgen Zöllner die Hauptschule in Berlin abgeschafft hat: Wir haben jetzt das Gymnasium und die Sekundarschule beziehungsweise die Gemeinschaftsschule als zwei gleichwertige Schulsäulen in Berlin.
Tatsächlich bezeichnet die SPD „Chancengerechtigkeit“ als das bildungspolitisch „zentrale Ziel“ in dem Entwurf des Wahlprogramms für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst. Wie wollen Sie verhindern, dass das nicht weitere fünf Jahre eine Phrase bleibt?
Indem wir klarer der Segregation in unseren Schulen den Kampf ansagen. Wir führen da noch zu oft ausschließlich die Strukturdebatte. Da landen wir dann bei der Frage, warum die Gemeinschaftsschule die richtige Schulform ist. Die Aussage ist richtig, ist aber zu kurz gegriffen. Wir haben innerhalb der Säule der Integrierten Sekundarschule und Gemeinschaftsschule auch eine starke Segregation mit Schulen mit 10 bis 20 Prozent und Schulen mit 80 bis 90 Prozent benachteiligte Schüler und Schülerinnen. Die Segregation ist unser zentrales Problem, das wir angehen müssen, die Debatte muss sich vor allem um diese Frage drehen. Daher geht es natürlich auch um Ressourcen, um die Frage, wie wir Schulen in schwieriger Lage besser ausstatten
Aber das versucht die amtierende Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) doch auch schon seit Jahren.
Ja, das stimmt. Wenn etwas dazukommt – sei es mehr Sozialarbeit, mehr Gelder für das Bonusprogramm oder eine bessere Personalausstattung – fangen wir bei diesen Schulen an.
Die Erfolge sind dennoch nicht messbar. Die Schulabbrecherquote stagniert, die Leistungen in Vergleichstests werden nicht besser, die Herkunft bestimmt den Bildungserfolg.
Genau das ist der Punkt. Und über diese Tatsache machen wir uns als SPD seit Jahren Gedanken: Wir haben die richtige Struktur, wir geben die Ressourcen rein, und trotzdem macht das offenbar noch keine gute Schule.
SPD sucht Programm#Herzenssache ist der 100-seitige Entwurf für das Wahlprogramm der SPD zu den Abgeordnetenhauswahlen überschrieben. Beschlossen hatte es Ende Januar der Landesvorstand mit den Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh. Nach einer Diskussion in den Ortsvereinen soll das Programm im April verabschiedet werden. Berlin wählt am 26. September zeitgleich mit der Bundestagswahl.Die Schulen bleiben in der Hauptstadt noch bis zum 22. Februar geschlossen. Zunächst dürfen die Klassen 1 bis 3 wieder im Wechselunterricht mit Abstand und Maske zurückkehren. Die Kitas dürfen dann wieder etwas mehr Kinder im Notbetrieb aufnehmen: 60 statt 50 Prozent der normalen Auslastung. (taz)
Also, was wollen Sie tun?
Das Neue ist: Wir wollen die Ressourcenzuweisung künftig an messbare Daten zur Schulentwicklung koppeln. Wir wollen gerade in schwieriger Lage gute Schulen mit scharfen Profilen, die für alle Familien attraktiv sind und damit der Segregation entgegenwirken.
Leistung wird belohnt?
Wir haben ja bereits seit einiger Zeit ein Indikatorenmodell an den Schulen …
… das von Scheeres 2019 eingeführte Ampelsystem für Faktoren wie Schulabbrecherquote, Gewaltmeldungen und Schülerleistungen?
Genau. Zum Beispiel kann eine Grundschule jetzt sehen: Aha, bei den Vergleichsarbeiten in der dritten Klasse stehen wir auf „Rot“, also muss ich in den nächsten drei bis fünf Jahren massiv in die Sprachförderung investieren. Jede zusätzliche Ressource, die ich bekomme, werde ich in dieser Richtung einsetzen, und das muss in Schulverträgen festgehalten werden. Dieses Controlling, klingt zunächst sehr neoliberal.
In der Tat!
Das ermöglicht erst den nötigen Handlungsspielraum der Schulen. Wir können die Schulen nicht in die Eigenständigkeit entlassen, und wir wollen ja in Berlin die eigenverantwortliche Schule, ohne zu fragen: Was tun die Schulen mit ihrer Selbstständigkeit? Und das finde ich auch legitim: Berlin setzt nach Hamburg die meisten Mittel pro Schülerin und Schüler ein, ohne dass wir uns nennenswert von der Stelle bewegen. Das muss besser werden.
Und dann klappt es mit den „besten Schulen in schwieriger Lage“?
Natürlich sind wir auf die PädagogInnen vor Ort angewiesen, und die müssen mitziehen wollen. Deswegen bekennen wir uns auch zur Verbeamtung und zu Entlastungsstunden für mehr Teamarbeit. Das sind Maßnahmen, mit denen wir die PädagogInnen überzeugen wollen, dass sie die Kraft haben, Schulen wirklich besser machen zu können. Im Übrigen verweigere ich mich der Analyse, mehr Ressourcen seien der einzige Weg zu einer besseren Schule – da sind wir wieder bei der Steuerung, dem Controlling. Eine bessere Schule geht auch mit den vorhandenen Ressourcen, mit mehr Ressourcen geht es nur noch besser.
Die Lockdowns zeigen: Corona vergrößert die Chancenungerechtigkeit. War die Entscheidung, ab 22. Februar zunächst lediglich die Klassen 1–3 im Wechselbetrieb zurückzuholen, die richtige?
Die schwierige Abwägung besteht darin, wen man bei der schrittweisen Rückkehr priorisiert. Die Abwägung erfolgt dabei zwischen dem bildungspolitisch Sinnvollen, gesundheitspolitisch Angebrachten und gesellschaftlich Akzeptierbaren.
Und daraus folgt konkret was?
Es wäre gesellschaftlich nicht vermittelbar, wenn wir die Rückkehr zur Präsenz allein anhand des sozialen Hintergrunds entscheiden würden. Daher bleibt uns nur die Rückkehr nach Alterskohorten, und es gibt gute Gründe, mit den ersten Klassen zu beginnen. Ich stehe jedoch dazu, dass ich mir die Rückkehr zu teilweisem Präsenzunterricht für alle Klassen wünsche. Hoffentlich werden uns die Inzidenzzahlen dies ermöglichen.
Wie lange kann man im fortgesetzten Homeschooling noch am Abitur, überhaupt an Noten festhalten?
Wir zeigen in Berlin deutlich, dass uns der Zugang zu pädagogischen Bezugspersonen wichtiger ist als die Prüfungen. Daher weichen wir dort, wo wir allein entscheiden können, vom üblichen Vorgehen ab: Wir verzichten auf schriftliche MSA-Prüfungen, auf Vergleichsarbeiten, führen Erleichterungen beim Abitur ein. Überall dort jedoch, wo KMK-Konsens notwendig ist, beißen wir auf Granit. Wir können unseren SchülerInnen keine Schlechterstellung gegenüber anderen Ländern zumuten. Das ist bitter, zeigt aber auch deutlich die Unterschiede innerhalb des Föderalismus auf. Ich bin froh eine Berliner Politikerin zu sein.
Noch ein Thema, wo Berlin einen Sonderweg geht, ist das Kopftuchverbot im Schuldienst. Scheeres hat vergangene Woche gesagt, sie werde das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts – Berlin muss sein Neutralitätsgesetz überarbeiten – vor dem Bundesverfassungsgericht anfechten. Eine einsame Entscheidung der Senatorin oder Konsens in der Partei?
Den Weg zum Verfassungsgericht geht die Bildungsverwaltung. Ein Bekenntnis zum Neutralitätsgesetz ist jedoch für die SPD zentral, und da sind wir uns bemerkenswert einig. Aber für mich ist ganz klar: Das Gesetz muss auf gesunde Füße gestellt werden, das wird die Aufgabe der nächsten Legislatur.
Wie könnte man es für den Alltagsgebrauch konkretisieren?
Das wäre Gegenstand einer juristischen und politischen Auseinandersetzung. Es ist für mich übrigens eine der spannendsten Fragen für eine linke Person in Berlin: Wie geht man in der Identitätspolitik mit dieser Spannung aus individuellem Recht und den Interessen des Allgemeinwohls um? Da hebt sich die SPD von Linken und Grünen ab. Wir opfern nicht jeden Funken Gemeinwohl für die Stärkung der individuellen Rechte. Auch wenn es nicht attraktiv ist, wird die SPD immer das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellen.
Das heißt aber doch, Sie stellen das Gemeinwohl und das Kopftuch in Schulen gegeneinander – warum sollte das Kopftuch im Schuldienst dem Allgemeinwohl abträglich sein?
Die Verengung auf das Kopftuch machen gerade Sie, nicht ich. Und diese allgegenwärtige Verengung versperrt den Blick auf die Essenz des Neutralitätsgesetzes. In einer pluralen Gesellschaft wie Berlin hat man die Wahl, sich entweder auf das bloße Nebeneinander verschiedener Lebensentwürfe zu beschränken, oder man sucht die Klammer, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Und wenn man diese gemeinsame Klammer und unsere gemeinsamen Werte sucht, spielt ein neutraler Staat, der über allem schwebt und in seinem Agieren die gemeinsamen Werte verkörpert, eine zentrale Rolle. Dies mag für jemanden, der das hohe Gut der deutschen Freiheit immer schon genossen hat und nichts anderes kennt, abstrakt klingen. Für jemanden wie mich, die in meinem Herkunftsland die schrittweise voranschreitende Dominanz der Religiosität im staatlichen Wesen beobachten musste, inklusive der damit einhergehenden Zersplitterung der Gesellschaft, ist die Gefahr echt und allgegenwärtig und die Neutralität daher essenziell.
Wie Berlin mit dem Neutralitätsgesetz künftig umgeht, wird Scheeres nicht mitentscheiden, sie tritt nicht mehr an. Besonders hervorgetan hat sich in der SPD niemand für ihre Nachfolge. Will man das Ressort aktiv loswerden?
Ich glaube, dass man nach 25 Jahren nicht unbedingt danach schreit, weitermachen zu dürfen, ist klar.
Ist das so klar?
Zumindest ist es kein Automatismus. Natürlich werden wir als SPD weiterhin Bildungspolitik machen, und wir wollen auch weiterregieren. Und unabhängig von Themen, die gerade aktuell sind – momentan ist es Corona, davor waren es der Schulbau und der Fachkräftemangel, davor das Flüchtlingsthema –, müssen wir die großen Linien wieder in den Vordergrund spielen. Das ist für die SPD die Chancengerechtigkeit.
Das könnte man auch in Ressortverantwortung tun.
Das könnte man.
Sie haben sich am ehesten profiliert als Bildungspolitikerin.
Wer welche Posten bekleidet, ist eine Diskussion für den Herbst. | Anna Klöpper | Was will die Berliner SPD bildungspolitisch im Wahlkampf? SPD-Abgeordnete Maja Lasić über neoliberale Ideen und Identitätspolitik in der Kopftuchfrage. | [
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EMtaz: Fanausschreitungen in Lille: Deutschland mal wieder ganz vorne - taz.de | EMtaz: Fanausschreitungen in Lille: Deutschland mal wieder ganz vorne
40 Deutsche haben in Lille ukrainische Fans mit Dosen beworfen und zwei davon verletzt. Hooligans sollen Reichskriegsflaggen und den Hitlergruß gezeigt haben.
Deutsche Windbeutel feiern patriotisch – und manchmal wehen Reichskriegsflaggen im Hintergrund Foto: dpa
LILLE dpa | Bei Angriffen von etwa 40 Deutschen auf Anhänger der ukrainischen Mannschaft sind vor dem ersten EM-Spiel der DFB-Elf in Lille zwei Menschen leicht verletzt worden. Die Deutschen hätten am Nachmittag in der Innenstadt eine Gruppe von Ukrainern mit Dosen beworfen, berichtete ein Sprecher der Polizei in der nordfranzösischen Stadt. Dabei wurden zwei Ukrainer verletzt, die sich später in einem Krankenhaus behandeln ließen. Unklar ist, ob es sich bei den Angreifern um Hooligans handelte. Im Internet kursierten Bilder aus Lille von einer Reichskriegsflagge und Männern, die den Hitlergruß zeigten.
Der Sprecher der deutschen Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen hatte von rund 50 deutschen Angreifern gesprochen. Er berief sich dabei auf erste Angaben, die die zur Europameisterschaft nach Frankreich entsandten deutschen Polizisten von französischen Kollegen erhalten hätten.
Die UEFA nahm die Auseinandersetzungen zwischen Fans aus Deutschland und der Ukraine am Sonntagabend in Lille zur Kenntnis. Über eventuelle disziplinarische Maßnahmen konnten vorerst keine Angaben gemacht werden.
Die deutsche Mannschaft traf nach knapp drei Wochen Vorbereitung in Lille auf die Ukraine. Vor der Partie zeigte sich DFB-Präsident Reinhard Grindel erfreut, dass der Franzose Daniel Nivel der Einladung des Deutschen Fußball-Bundes gefolgt war.
Der frühere Polizist Nivel war 1998 bei der WM in Frankreich Opfer deutscher Hooligan-Gewalt geworden und leidet noch heute an den Folgen. „Sein Schicksal sollte uns angesichts der aktuellen Ereignisse Mahnung sein“, sagte Grindel unter Verweis auf Ausschreitungen vor dem Spiel England gegen Russland in Marseille.
Am Freitag und Samstag war es in der Mittelmeermetropole zu schwerer Fan-Gewalt gekommen. Die UEFA verwarnte die Verbände Russlands und Englands wegen der Randale ihrer Fans rund um das EM-Spiel in Marseille. Die UEFA drohte im Wiederholungsfall mit Sanktionen bis hin zum Ausschluss vom Turnier in Frankreich. Bei den Krawallen in der Innenstadt und im Stadion von Marseille waren mindestens 44 Menschen verletzt worden. | taz. die tageszeitung | 40 Deutsche haben in Lille ukrainische Fans mit Dosen beworfen und zwei davon verletzt. Hooligans sollen Reichskriegsflaggen und den Hitlergruß gezeigt haben. | [
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Vorläufige Bremer Ergebnisse 19:50 Uhr - taz.de | Vorläufige Bremer Ergebnisse 19:50 Uhr
Die vorgezogene Bundestagswahl hat in Bremen nach einem ersten Trend am Nachmittag vermutlich weniger Wahlberechtigte an die Urne gezogen, als bei der Bundestagswahl 2002. Damals lag die Wahlbeteiligung bei 78,8 Prozent. Die Stimmenauszählung in Bremen war bei Redaktionsschluss noch im Gang. Von 508 Wahlkreisen waren gegen 19.30 Uhr 30 ausgezählt. Anders als im Bund, wo die FDP mit 10,2 Prozent drittstärkste Kraft wurde, machte sie nach diesen vorläufigen Ergebnissen in Bremen 8,5 Prozent und verbesserte damit ihr Ergebnis von 2002 um 1,8 Prozent. Die CDU verlor in Bremen leicht von 24,6 Prozent auf heute nur noch 23,1 Prozent. Das ist ein Minus von 1,5 Prozentpunkten. Die SPD verlor in Bremen um deutliche 7,7 Prozent. Sie rutschte von 48,6 Prozent in 2002 auf 40,7 Prozent. damit lag sie jedoch noch deutlich besser als der Bundesschnitt, wo sie gestern Abend bei 34,1 Prozent der Stimmen landete. Ganz positiv gegen den Bundestrend behaupteten sich auch die Grünen in Bremen. Mit 15,6 Prozent gelang ihnen sogar ein leichtes Plus um einen halben Prozentpunkt. Im Bund lagen die Grünen gestern bei 8,1 Prozent. In Bremen war die Linkspartei der absolute Wahlgewinner des Abends: Sie verbesserte sich um 6,4 Prozent auf 8,6 Prozent. Die NPD lag nach dem ersten Teilergebnis um 1,4 Prozent in Bremen. ede | ede | [
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Utøya-Attentäter vor Gericht: Nichts als ein Kübel Hass - taz.de | Utøya-Attentäter vor Gericht: Nichts als ein Kübel Hass
In Norwegen hat eine Verhandlung über einen Bewährungsantrag des verurteilen Massenmörders begonnen. Der Rechtsextreme nutzt das als Bühne.
Die beiden RichterInnen müssen Anders Behring Breivik zuhören Foto: Ole Berg-Rusten/dpa
STOCKHOLM taz | Nazigrüße, Plakate mit politischer Propaganda und eine stundenlange wirre Erklärung seiner Taten und Ziele: Dazu gebrauchte der rechtsextreme norwegische Terrorist und Massenmörder Anders Behring Breivik die Bühne einer am Dienstag begonnenen Gerichtsverhandlung, in der über den von ihm gestellten Antrag auf vorzeitige Haftentlassung entschieden werden soll.
Der Attentäter hatte am 22. Juli 2011 einen Bombenanschlag auf das Osloer Regierungsviertel verübt, bei dem acht Menschen starben. Anschließend richtete er auf einem Sommerlager der Jungsozialisten auf Insel Utøya 67 Jugendliche regelrecht einzeln hin.
„Ein politisches Theater“, urteilte der norwegische Extremismusexperte Lars Erik Nese Berntzen über die Gerichtsverhandlung, mit der sich der Terrorist primär „an das Publikum von auf der ganzen Welt verstreuten potentiellen Unterstützern“ gewendet habe. Die Möglichkeit hatte ihm eine TV-Direktübertragung der Verhandlung gegeben. Der Termin fand in einem zum provisorischem Gerichtssaal umgebauten Gymnastiksaal der Hochsicherheits-Haftanstalt Skien statt, in dem der 42-Jährige derzeit die 21-jährige Haftstrafe absitzt, zu der er 2012 verurteilt worden war.
Die möchte er nach Ablauf der gesetzlich auf zehn Jahre festgeschriebenen Mindestdauer gerne in eine Bewährungsstrafe umgewandelt sehen. Eine Möglichkeit, die das norwegische Strafrecht grundsätzlich kennt, die aber in seinem Fall als völlig unwahrscheinlich gilt. Sollte der Antrag abgelehnt werden, könnte der Attentäter in einem Jahr erneut ein Gesuch stellen, erläuterte Staatsanwältin Hulda Karlsdottir.
Schwere Zeit für Angehörige der Opfer und Überlebende
Solche Gerichtsverfahren würden wohl nun alljährlich zur Szene der ideologischen Vorträge des Rechtsextremen werden, kommentiert die linke „Klassekampen“. Als „ein Hohn, aber eben auch ein Recht“ stuft sie die konservative „Aftenposten“ ein und erwartet von den drei Tagen, die für das Verfahren terminiert sind, eine „unbegreiflich schwere Zeit“ für die Opfer der Terrortaten und die Angehörigen der Opfer.
„Man soll den Gesetzen und Regeln folgen“, sagte Lisbeth Røyneland, die Vorsitzende der nationalen Selbsthilfegruppe für die Opfer und Angehörige, vor einigen Tagen in einem Gespräch mit dem Public Service-TV-Sender NRK: „Eine Sonderregelung wäre auch falsch gewesen.“ Das hätte letztlich „nur seinen Gleichgesinnten in die Hände gespielt“. Der Tag des Verfahrensbeginns in Skien war für Røyneland ein spezieller Tag: Ihre von dem Terroristen ermordete Tochter Synne wäre am 18. Januar 2022 29 Jahre alt geworden.
Ihre Hoffnung, dass die Medien sich diesmal „würdig“ verhalten würde, scheint sich zu erfüllen. Teilweise war die Berichterstattung von den bisherigen öffentlichen Auftritte des Terroristen stark kritisiert worden, weil sie dem Täter teilweise eine unnötige Propagandabühne geboten hatten. Mit dem „Dagbladet“ entschied sich nur ein einzige Zeitung zu einer – wenn auch zeitversetzt und teilweise ohne Ton gesendeten – Übertragung aus dem Gerichtssaal. Andere betonten, es werde bei ihnen weder Bilder noch Zitate des Massenmörders geben, man werde sich auf bloße Analysen und Kommentare beschränken. | Reinhard Wolff | In Norwegen hat eine Verhandlung über einen Bewährungsantrag des verurteilen Massenmörders begonnen. Der Rechtsextreme nutzt das als Bühne. | [
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Freiräume für Natur-Träume - taz.de | Freiräume für Natur-Träume
Die westdeutsche Einschätzung vom „ökologischen Kollaps“ in den ostdeutschen Gebieten schuf Handlungsdruck. Auf der letzten Sitzung der DDR-Ministerrats gab es grünes Licht: Der Wende-Coup für ein Nationalparkprogramm war gelungen
VON HEIKO GARRETTS
Nach dem Mauerfall gelang es Akteuren des Naturschutzes in der DDR im Zuge des so genannten Nationalparkprogramms insgesamt 9,6 Prozent der Landesfläche zu Großschutzgebieten verbindlich im Einigungsvertrag festzusetzen. In Ausmaß und Tempo übertreffen diese – aus heutiger Sicht spektakulären – Schutzgebietsausweisungen sämtliche staatliche Naturschutzaktivitäten in den zurückliegenden 100 Jahren. Ziel war es, das „Tafelsilber der Einheit“ vor Vermarktung und Zersiedelung zu bewahren. Die Umbruchsituation erwies sich als Laboratorium für neue Politiken, deren Folgen auch in Gesamtdeutschland bis heute bemerkbar sind.
Naturschutz hatte es in der DDR immer gegeben, doch war eine kritische, öffentlichwirksame Arbeit vor 1989 nicht zugelassen. Nationalparks wurden in der offiziellen DDR als Erfindung des „amerikanischen Klassenfeindes“ abgelehnt – obwohl es diese Art Gebiete auch in sozialistischen Nachbarländern gab. Das Sammeln naturkundlicher Daten hingegen galt in Ostdeutschland als harmlos und wurde engagiert betrieben, teilweise auch in denjenigen schützenswerten Landschaften, die zuvor als Grenzsperrgebiete, Truppenübungsplätze oder Staatsjagdgebiete von intensiver Landnutzung ausgeklammert gewesen waren. Sie stellten damit letzte unberührte und unzerschnittene Naturlandschaften in Mitteleuropa dar. Diese drohten im Zuge des Einheitsbooms „unter den Hammer“ des Tourismus und der wirtschaftlichen Nutzung zu fallen. Vor allem durch die jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit lagen wichtige Daten zur Gebietsauswahl und -zonierung 1989/1990 sofort vor. Vier der fünf Nationalparks und vier der sechs Biosphärenreservate, die 1990 verwirklicht wurden, waren bereits 1976 bekannt, die Konzepte warteten förmlich in der Schublade auf ihre Realisierung.
Die politischen Rahmenbedingungen in der Wendezeit erwiesen sich als günstig: In der entscheidenden Phase blieb größerer Widerstand aus. Die staatliche, hierarchisch organisierte Forstverwaltung war gelähmt. Die Wasserwirtschaft war nicht an der Aufarbeitung eigener Vergangenheit interessiert und hielt still. Systembedingt fehlte privaten Investoren noch der Zugriff auf die Naturflächen im Volkseigentum.
Die verzerrte Wahrnehmung der Umweltprobleme der DDR tat ein Übriges. Mit der Maueröffnung interessierten sich insbesondere die westlichen Massenmedien weniger für die positiven umweltpolitischen Aspekte der DDR wie das geringere Abfallaufkommen. Vielmehr war vom „ökologischen Kollaps“ die Rede, von den Problemen mit den Umweltgütern Wasser und Luft in stark urbanisierten Regionen. Diese Darstellung und eine entsprechende Resonanz in der Bevölkerung schuf einen starken Handlungsdruck – ein wichtiger Grund für die schließliche Zustimmung zum Nationalparkprogramm in der letzten Ministerratssitzung am 16. März 1990. Zuvor war schnell die Naturschutz- aus der Forstverwaltung herausgelöst worden.
Nur im Naturschutz wurden nach Mauerfall (rund 1.000!) neue staatliche Stellen geschaffen. Netzwerke ehrenamtlicher Naturschützer in den Regionen wurden mobilisiert und ermöglichten unbürokratisches Handeln – man kannte sich. Gleichzeitig konnte der noch bestehende zentralistische Ost-Berliner Machtapparat genutzt werden. Nicht zu vergessen ist der juristische Beistand aus dem Bonner Umweltministerium. Der mit dem Transformationsprozess verbundene Funktionsverlust großer Flächen wurde zur Chance zur Neugestaltung und zu nachhaltigem Wirtschaften. Das ostdeutsche Modell der Großschutzgebiete ist heute auch für westdeutsche Regionen von Relevanz. In der Naturschutzpolitik wurde Ost-Deutschland trotz Inkorporation keine Kopie der Bundesrepublik. Seltene Freiräume wurden für eigene Entwicklungsalternativen genutzt.
HEIKO GARRETTS (39) arbeitet bei der Forschungsstelle Naturschutzpolitik der Uni Göttingen | HEIKO GARRETTS | Die westdeutsche Einschätzung vom „ökologischen Kollaps“ in den ostdeutschen Gebieten schuf Handlungsdruck. Auf der letzten Sitzung der DDR-Ministerrats gab es grünes Licht: Der Wende-Coup für ein Nationalparkprogramm war gelungen | [
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cms-article1255321 - taz.de | Die Parade der Geschmacksverirrungen ■ Von Ralf Sotscheck
Wenn das neue Millennium genauso ein Flop wird wie der mit soviel Trara angekündigte gleichnamige Virus, dann passiert in den nächsten tausend Jahren nicht viel.
Im Musikbereich zeichnet sich die Langeweile schon bei der ersten Hitparade des Jahres ab: In Irland und Großbritannien steht „I Have A Dream“ von Westlife an der Spitze. Die harmlose irische Boyband, die sich vor lauter Freude mit roten Plüschrentiergeweihen auf den Köpfen fotografieren ließ, hat sich auf Neuinterpretationen von Hits aus den siebziger Jahren spezialisiert. Lahmer geht’s nimmer.
Oder doch? Der Song, den die fünf Knaben kurz vor Weihnachten vom ersten Platz geschubst haben, hieß „Millennium Prayer“ von Cliff Richard. Der Altmeister hat auch abgekupfert – allerdings nicht bei den Siebzigern, sondern bei der Bibel: Sein Lied ist das Vaterunser, und zwar grauenhaft vertont. Es ist so widerlich, dass es sogar von den britischen Radiosendern boykottiert wird, die sonst nicht zimperlich sind, wenn sie die Hörer quälen können. George Michael, eigentlich kein Experte für guten Geschmack, bezeichnete Richards Lied als „ausbeuterisch und gemein“. Es gibt eine Menge anderer Adjektive, die auf die Betbosheit zutreffen.
Aber zumindest ist sie trendy. Seit zwei Jahrzehnten kommen pünktlich zum Fest garstige Songs mit weihnachtlichen Botschaften heraus, deren Interpreten darauf setzen, dass der Verlegenheitsgeschenkmarkt es schon richten und das Lied auf Nummer eins hieven wird. Dass Cliff Richard auf den fahrenden Zug aufgesprungen sei, kann man ihm allerdings nicht nachsagen, er melkt diesen Markt seit langem. 1988 konnte man wochenlang keinen Supermarkt betreten, ohne dass einen „Mistletoe And Wine“ sogleich in die Flucht schlug, zwei Jahre später schaffte er es mit „Saviour’s Day“ erneut. Mit dem „Millennium Prayer“ hat er die Schamgrenze knapp überschritten – nur der zweite Platz zum Fest.
Die Briten sind geradezu versessen auf die Weihnachtscharts. Wochen vorher spekulieren sie, wer diesmal die Parade der Geschmacksverirrungen anführen wird, und Wetten kann man natürlich auch darauf abschließen. Die Liste der Weihnachtskotztütenfüller ist lang, sie enthält den Sankt Winifreds Schulchor und die Spice Girls, den Band-Aid-Song für die hungernden schwarzen Babys und Bennie Hill, einen der unkomischsten Komiker, mit seinem Lied über Ernie, den schnellsten Milchmann des Westens. Tiefpunkt der Christmas Hits war Mister Blobby, die rosa Latexpuppe – genauso Kulturikone von bleibendem Wert und genauso künstlich wie der geliftete Cliff Richard.
Im Gegensatz zu Richard und dem anderen musikalischen Seichtgewicht, Andrew Lloyd Webber, ist Mister Blobby von der Queen noch nicht zum „Sir“ ernannt worden. Lloyd Webber hat im neuen Jahr Furchtbares vor: Er will ein Musical über den Nordirland-Konflikt komponieren. Kann die IRA, bevor sie ihre Waffen ausmustert, noch ein einziges Mal den Waffenstillstand aufheben und Sir Andrew ausmustern? Und seinen adligen Kollegen Sir Cliff gleich dazu? Es wäre im Sinne des Friedensprozesses, weil es die Geschmackssicheren unter den Protestanten und Katholiken einander näher bringen würde. | Ralf Sotscheck | Die Parade der Geschmacksverirrungen ■ Von Ralf Sotscheck | [
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Stahlkocher bangen um ihre Jobs - taz.de | Stahlkocher bangen um ihre Jobs
Überkapazitäten Thyssenkrupp berät über Sparmaßnahmen, vor den Werkstoren demonstrieren 7.000
DUISBURG dpa | Widerstand gegen drohende Werksschließungen beim größten deutschen Stahlkonzern Thyssenkrupp: Rund 7.000 Stahlkocher demonstrierten am Mittwoch in Duisburg für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und für Informationen über mögliche Sparpläne. „Wir fordern Fakten, kein dummes Geschwätz“, sagte der Bezirksleiter der IG Metall in NRW, Knut Giesler.
Hintergrund der Aktion war eine für den gleichen Tag angesetzte Sitzung des Aufsichtsrats der Stahlsparte, bei der das Gremium über Sparmaßnahmen beraten sollte. Für zusätzliche Verunsicherung sorgten daneben laufende Gespräche mit dem indischen Konkurrenten Tata über einen möglichen Zusammenschluss.
Ob es Beschlüsse bei der für den Nachmittag geplanten Sitzung geben wird, war zunächst unklar. Bedroht sein könnten nach Information des Betriebsrats Werke in Duisburg-Hüttenheim und Bochum. Die Arbeitnehmervertreter befürchten, dass von den rund 19.000 Beschäftigten der Stahlsparte zwischen 3.000 und 4.000 von Stellenstreichungen betroffen sein könnten. Mit der Vorlage konkreter Pläne wird aber erst im kommenden Jahr gerechnet.
Nach Einschätzung des Stahlexperten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Roland Döhrn, müssen derzeit vor allem kleinere Werke um ihre Zukunft fürchten.
Der Vorsitzende des Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsrats, Willi Segerath, zeichnet ein noch düsteres Szenario. In Deutschland könnten bis zu 25.000 Arbeitsplätze in Gefahr sein, darunter ein Großteil in Nordrhein-Westfalen, meint er. Weltstahlverbands-Chef Wolfgang Eder hatte in dieser Woche im Handelsblatt erneut auf massive Überkapazitäten in Europa hingewiesen.
Thyssenkrupp-Stahlchef Andreas Goss hatte bei einer Betriebsräte-Konferenz vor knapp zwei Wochen erneut auf die anhaltend schwierige Lage des Konzerns hingewiesen. „Wenn unser Stahlgeschäft eine Zukunft haben soll, können wir nicht die Augen davor verschließen, dass wir unterausgelastete Anlagen haben und es massive Überkapazitäten im Markt gibt“, sagte der Manager damals. | taz. die tageszeitung | Überkapazitäten Thyssenkrupp berät über Sparmaßnahmen, vor den Werkstoren demonstrieren 7.000 | [
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DAS ENTSCHEIDENDE DETAIL: Hallo Feinde! - taz.de | DAS ENTSCHEIDENDE DETAIL: Hallo Feinde!
MITGLIED Wie nennt ein Italiener die Menschen in seiner Partei, ohne etwas Falsches zu sagen?
Don Camillo und Peppone, der katholische Priester und der kommunistische Bürgermeister – das war sie, die klassische Konstellation im ländlichen Nachkriegsitalien: Peppone war der „compagno“, der Genosse, Don Camillo der „amico“, der Freund der Christdemokraten. Nun scheint das auch die neue Hoffnung der italienischen Linken, Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien, verstanden zu haben: „Addio Genossen, nennen wir uns Freunde!“ hat der Kopf der Partei SEL (Linke, Ökologie und Freiheit) seine, ja, „Freunde“ aufgefordert. Die Aufregung war groß.
Denn die zwei Begriffe stellen zwei unterschiedliche politische Welten dar: die Kommunistische Partei (PCI) und die Christdemokraten (DC), die beide aus dem antifaschistischen Kampf gegen Mussolini hervorgingen. „Genosse“ stand für eine Beziehung, die auf dem gemeinsamen Ideal gründet, „Freund“ legte ein eher an christlichen Werten orientiertes Verhältnis nahe. Mit den Jahren verloren sie aber beide an Ansehen. Aus dem „compagno“ wurde der sture Parteisoldat, aus dem „amico“ der korrupte Strippenzieher. Mit dem Ende der ersten Republik 1994 kamen neue politische Kräfte auf – und neue Namen. Berlusconi spricht zu seinem Wahlvolk nur als „Italiener“, die Lega Nord nennt ihre Aktivisten „Padani“ nach dem erträumten Teilstaat Padanien; die unverstandenen Genossen und Freunde, versuchten zusammenzufinden, um die neuen Formationen zu bekämpfen, schafften es aber nicht: Wie Don Camillo und Peppone eben, und da auch Lega und Berlusconi auf dem absteigenden Ast sind, klingen alle diese Namen veraltet und nostalgisch. Dass es nun eine Polemik um Vendola als Leader der Linken gibt, hat aber vor allem damit zu tun, dass es einen Machtkampf innerhalb der Opposition gibt. Und dafür fehlt den Italienern schon lange jedes Verständnis. RICCARDO VALSECCHI | RICCARDO VALSECCHI | MITGLIED Wie nennt ein Italiener die Menschen in seiner Partei, ohne etwas Falsches zu sagen? | [
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Mit Astronaut Alexander Gerst ins All: Schülerwünsche für 2068 fliegen mit - taz.de | Mit Astronaut Alexander Gerst ins All: Schülerwünsche für 2068 fliegen mit
Am Mittwoch startet der deutsche Astronaut Alexander Gerst zur Weltraumstation ISS. Mit an Bord: eine Kapsel voller Schülerwünsche für 2068.
Selfie mit Standbildkamera: Astronaut Alexander Gerst an der ISS Foto: dpa
Insgesamt 8.000 Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland waren dem Aufruf des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt gefolgt und hatten ihre Vorstellungen, Visionen und auch ihre Grußbotschaften eingesandt. Erst 50 Jahre nach dem Start, also im Jahr 2068, wird die Kapsel wieder geöffnet – eine lange Reise durch den Raum und auch durch die Zeit. Drei Beispiele:
1) Unsere Wünsche: Schon heute für morgen sorgen… Die Meere werden täglich durch die fortschreitende Industrialisierung schmutziger. Viele Tiere sterben, da sie kleinste Plastikteilchen fressen. Gegen dieses Problem müssen wir schleunigst vorgehen. 2067, das Jahr der Veränderungen, denn unsere „Cleany 2“ wird auf der Meeresoberfläche fahren und Müll einsaugen. Die Maschine wir durch Solarenergie betrieben. Diese Solarenergie wird am Tag auf eine Batterie geladen, um auch ich der Nacht fahren zu können. Die Funktionsweise der „Cleany 2“ ist sehr komplex. Man kann sie jedoch gut anhand des Kiemensystems der Fische erklären. Sie saugt alles in einem Umkreis von 50 Metern ein und spült dann das gesiebte Wasser durch die sogenannten Kiemen wieder heraus. Dieser Ablauf wird während des Fahrens ständig wiederholt. Einmal im Monat geht unsere „Cleany 2“ an Land um den Müll ab zuladen. An Land wird der Müll zu neuen Baustoff für Gebäude recycelt. Dies bedeutet das unsere „Cleany 2“ es möglich macht, dass unser Plastikmll unsere Umwelt nicht schä- digt, sondern auch etwas positives hat, denn wir können daraus neue günstige Baumaterialien herstellen… dies heißt aber nicht, das wir unseren Müll Konsum außer Acht lassen. Vielmehr sollten wir die Müllproduktion so weit wie möglich beschränken.
Team Der Schmutigerclub, Humboldtschule, Bad Homburg
2) Unsere Wünsche: Wir sind Kinder der Gerhart-Hauptmann-Schule in Stockesldorf. Wir kommen aus der 1. und der 4. Klasse. Wir sprechen arabisch und deutsch. Zwei sind Jungs und drei sind Mädchen. Unterschiedlicher könnten wir nicht sein. Und haben dann trotzdem irgendwie die gleichen Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft. Maryam (10) hofft, dass es in 50 Jahren eine Zeit- maschine geben wird, mit der man in die Vergangenheit reisen kann, um alle Kriege von früher und heute zu verhindern. Auch Luna (7) wünscht sich, dass es in der Zukunft allen gut geht. Und glaubt, dass es Roboter geben wird, die armen Menschen helfen. Lin ist 10 und möchte einmal Ärztin werden. Sie glaubt fest daran, dass wir in 50 Jahren in Frieden leben und alle gesund bleiben. Henrik (7) hat da ganz andere Sorgen. Einen Roboter müsste es geben, der ihm bei den Hausaufgaben hilft oder einen vollautomati- schen Schreibtisch, der ihm die meiste Arbeit abnimmt. Mouhamed ist 12 und wird einmal der bedeutenste Ingenieur aller Zeiten. Er wird die innovativsten Gebäude entwerfen und den Menschen dabei helfen gemeinsam eine moderne Welt zu schaffen. Alle sind sich einig: Fliegende Autos und Schulausflüge zum Mond. Das wäre doch super.
BildergalerieAlexanders Sternenfahrt9 Bilder
Team MaLuHenLiMo, Gerhart-Hauptmann Schule, Stockelsdorf
3) Unsere Wünsche: In 50 Jahren kann sich viel ändern – ins Negative, aber auch ins Positive. Uns ist wichtig, dass es weder Krieg noch Terror gibt, der Waffenexport eingestellt ist und Atomwaffen verboten sind. Es soll keinen Rassismus, keine Ungleichheit oder Diskriminierung jeglicher Art geben. Ein Treffen aller Landesvertreter könnte die internationalen Beziehungen stär- ken und weltweite Projekte finanzieren. Länder sollen diplomatisch und nicht in eigenem Interesse handeln. Armut soll abgeschaffen und Bildung allen Menschen gestattet werden. Wenn wir bis dahin in der Weltraumforschung fortgeschritten genug sind, könnten wir auch andere Planeten besiedeln, angetrieben von Neugier – nicht Geiz. Man soll Nachrichten schauen und sich darauf verlassen können, dass sie die Wahrheit berichten. Ein anderes Thema ist das aktuelle Schulsystem, welches die Schüler abstumpft anstatt sie zu fördern. Schulen sollen reformiert werden und neue Lernformen einbringen. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Natur eine essentielle Lebensgrundlage ist, weshalb sie erhalten bleiben muss und nicht nur als eine ferne Erinnerung. Um das zu erreichen brauchen wir einerseits innovative Technologien und eine Umstellung auf erneuerbare Energien, aber auch eine neue Denkweise.
Team t4 – The Temporal Time Travellers, Heinrich-Schliemann-Gymnasium, Berlin | taz. die tageszeitung | Am Mittwoch startet der deutsche Astronaut Alexander Gerst zur Weltraumstation ISS. Mit an Bord: eine Kapsel voller Schülerwünsche für 2068. | [
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Keine Abgrenzung nach rechts - taz.de | Keine Abgrenzung nach rechts
Christlicher Gewerkschaftsbund lässt „Republikaner“ weiter wichtige Rolle bei sich spielen. CSU-geführter Bundesvorstand verhindert Unvereinbarkeitsbeschluss
BERLIN taz ■ Als christliche Gewerkschaften bezeichnen sich hierzulande 16 kleine und kleinste konservative Arbeitnehmerorganisationen. Zu ihren Mitgliedern zählen auch 11 Bundestagsabgeordnete: 4 der CDU und 7 der CSU. An der Spitze ihres Dachverbandes, des „Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschlands“, steht mit dem 53-jährigen CGB-Vorsitzenden Matthäus Strebl ebenfalls ein CSU-Abgeordneter. Während allerdings die CSU in Bayern, vor allem in Gestalt ihres Innenministers Günther Beckstein, auf klare Distanz und Gegnerschaft zu Rechtsradikalen achtet, ist Strebls CGB zum rechten Rand offen.
So hat der Bundesvorstand mit einer annullierenden Weisung auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss reagiert, den der CGB-Landesvorstand von Berlin-Brandenburg zuvor gefasst hatte. In dem der taz vorliegenden Protokoll der Landesvorstandssitzung heißt es: „Der Landesverband Berlin-Brandenburg distanziert sich aus aktuellem Anlass von rechtsradikalen Parteien (u. a. NPD, DVU, Republikaner). Darüber hinaus werden Funktionäre der Einzelgewerkschaften des CGB aufgefordert, nicht diese Ideologien zu vertreten oder Mitglieder dieser Vereinigungen zu dulden.“ Der eindeutige Beschluss wurde im Juni per Post und E-Mail allen CGB-Einzelgewerkschaften geschickt. Strebls Bundesvorstand reagierte auf das demokratische Engagement des Landesverbandes jedoch keineswegs begeistert.
Stattdessen machte der CGB-Vorstand postwendend „von seinem Weisungsrecht gegenüber seinen Gliederungen nach Ziffer 1 Absatz 3 der Gliederungsordnung Gebrauch“, wie CGB-Generalsekretär Gunter Smits in einem Brief an den Landesverband schrieb. Der Bundesvorstand erkenne die Beschlüsse der fraglichen CGB-Landesvorstandssitzung nicht an. Es sei „nicht ordnungsgemäß zu einer Landesvorstandssitzung geladen worden“ und die Sitzung habe damit „nicht stattgefunden“, lautete die Begründung für die Annullierung aller Beschlüsse.
Der vom Landesvorstand erwähnte Anlass für den Unvereinbarkeitsbeschluss existiert derweil fort. In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wird die dort stärkste CGB-Mitgliedsorganisation, der „Deutsche Handels- und Industrieangestellten-Verband“ (DHV), seit einiger Zeit von einem „Republikaner“ repräsentiert. Bei internen Auseinandersetzungen in dem insgesamt rechtslastigen Verband wurde der Landesvorsitzende Klaus Gröbig, der einst zum nationalliberalen Flügel der Berliner FDP zählte, ausgeschlossen, seine Stellvertreter traten daraufhin selbst aus. Übrig als Repräsentant des für die drei Länder zuständigen DHV-Landesverbandes Nordost blieb schließlich der Schatzmeister, ein „Republikaner“ namens Axel Neufeld. Der sagte, er habe innerhalb seiner Christengewerkschaft „nie ein Hehl davon gemacht, dass ich Republikaner-Mitglied bin“. Er nutze seine Funktion im Landesvorstand aber nicht zur Agitation.
CGB-Chef Strebl ist die Angelegenheit zumindest peinlich. Natürlich könne ein Rechtsradikaler keinen Landeverband repräsentieren: „Wir wollen das nicht haben, einige wenige wollen die christliche Gewerkschaft unterwandern.“ Auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss will der CGB merkwürdigerweise dennoch verzichten. Es gebe „keine Notwendigkeit zu Unvereinbarkeitsbeschlüssen, weil sich aus unserer Satzung, dem Selbstverständnis und den Leitsätzen schon die Unvereinbarkeit ergibt“, sagte CGB-Generalsekretär Gunter Smits. Ü. O. | Ü. O. | Christlicher Gewerkschaftsbund lässt „Republikaner“ weiter wichtige Rolle bei sich spielen. CSU-geführter Bundesvorstand verhindert Unvereinbarkeitsbeschluss | [
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Grüne Koalitionsspielchen: Aufruhr wegen Schwarz-Grün - taz.de | Grüne Koalitionsspielchen: Aufruhr wegen Schwarz-Grün
Der Vorstoß von Bayerns Landeschef für mehr Offenheit in der Koalitionsfrage erntet bei den Grünen viele erboste Reaktionen.
Findet Schwarz-Grün eigentlich doof, schließt aber nicht alle Hintertürchen: grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Bild: dpa
BERLIN taz | Anruf bei einem Parteiratsmitglied: „Eine Harakiri-Aktion.“ Anruf bei einem Bundespolitiker: „Wahlkampfschädigend.“ Anruf bei einem Landesvorsitzenden: „Ein Affront gegen den Landesverband Niedersachsen.“
Wenn Grüne über den Vorstoß von Bayerns Landeschef Dieter Janecek reden, kann es schon mal heftiger werden. Und sehr bezeichnend ist, dass sich kein Grüner mit solchen Einschätzungen namentlich zitieren lassen will.
Zunächst einmal muss man feststellen, dass Janeceks Einlassungen die Ökopartei in Aufruhr versetzt haben. Er hatte in der taz dafür geworben, nach der Bundestagswahl auch mit anderen Parteien Gespräche zu führen, falls es für Rot-Grün nicht reicht.
Dies sei eine demokratische Selbstverständlichkeit. „Unsere Wähler würden nicht akzeptieren, dass wir uns automatisch in die Schmollecke der Opposition zurückziehen“, analysierte Janecek. Ob es dann tatsächlich zu Schwarz-Grün käme, „hinge für uns davon ab, ob wir starke grüne Inhalte durchsetzen könnten“.
Dieses Plädoyer für Offenheit beschäftigte gestern prompt die Parteigremien. „Wenig hilfreich“, das sei die einhellige Einschätzung im Parteirat gewesen, berichteten Teilnehmer. Mit seinen Sätzen brach Janecek ein grünes Tabu. Die Parteiführung und die beiden SpitzenkandidatInnen Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt haben die Grünen auf eine Zusammenarbeit mit der SPD eingeschworen. Jedes Antippen anderer Optionen vergrault Wähler, lautet die Analyse. Dass Janecek sich kurz vor der wichtigen Niedersachsenwahl aus der Deckung wagte, machte die Sache nicht besser.
Für Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt war dies nicht die angenehmste Voraussetzung für eine Premiere. Sie bestritt gestern zum ersten Mal die routinemäßige Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen, der Parteirat hatte extra ein Papier zu Landwirtschaft und Tierhaltung beschlossen, passend zum Agrarland Niedersachsen.
Hintertürchen zumachen
Und dann musste Göring-Eckardt vor allem Fragen zur Strategie der Grünen beantworten: Wie halten Sie’s mit Schwarz-Grün? Ihr gehe es im Gegensatz zu Janecek darum, Hintertürchen zuzumachen, sagte Göring-Eckardt. „Bei der Programmatik von Union und Grünen gibt es so wenig Übereinstimmungen, dass wir im Moment sagen, das können wir uns nicht vorstellen.“
Natürlich ließ sie sich mit solchen Sätzen dann doch wieder ein Hintertürchen offen: Weder Trittin noch sie selbst haben Schwarz-Grün bisher formal ausgeschlossen, und Göring-Eckardt tat es auch in dieser Pressekonferenz nicht. Die Vermutung, dass Trittin und sie ebenso wie Janecek im Fall des Falles mit anderen Parteien zumindest reden wollen, liegt also nahe. Sie sagen es nur nicht.
Strategisch noch nicht diskutiert
Je länger man mit Grünen über solche Dinge spricht, desto mehr entsteht der Eindruck, dass die Diskussion zwar krampfhaft unter der Decke gehalten wird, dort aber nicht mehr lange bleiben wird. „Was passiert, wenn Rot-Grün im September nicht klappt, ist in der Partei strategisch nicht diskutiert“, sagte ein hoher Funktionär.
„Auf Dauer wird sich das nicht unterdrücken lassen.“ Wenn Rot-Grün die Niedersachsenwahl verliere oder wenn die SPD im Bund wegen Peer Steinbrück weiter schwächele, werde man nicht mehr um die Strategiedebatte herumkommen. Vielleicht ist es also nur eine Frage der Zeit, dass anonyme Stimmen Klartext reden. | Ulrich Schulte | Der Vorstoß von Bayerns Landeschef für mehr Offenheit in der Koalitionsfrage erntet bei den Grünen viele erboste Reaktionen. | [
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Ausblick aufs Jahr 2020: Alle leben in Grandhotels - taz.de | Ausblick aufs Jahr 2020: Alle leben in Grandhotels
Alle können flexibler und billiger in großen Hotels wohnen – und ökologischer. Der Schweizer Schriftsteller P.M. blickt zurück auf heute.
Diese gemeinsam nutzbaren Räume sind ökologisch sehr effektiv, pro Person fallen nicht mehr als zwei Quadratmeter an. Bild: dpa
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie wir in den zehner Jahren lebten. Wir plagten uns zum Beispiel vierzig Stunden pro Woche ab, um all den Krempel kaufen zu können, den wir dann periodisch wieder fortschmissen. Wir pendelten per Auto zwischen sinnlosen Jobs und öden Wohnquartieren hin und her, obwohl es wissenschaftlich belegt war, dass Pendeln der größte Unglücksfaktor in einer westlichen Gesellschaft war, noch vor Zahnweh oder dem Tod selbst (sterben macht übrigens nicht unglücklich).
Wir hatten unsere private Wohnfläche von 30 Quadratmeter in den achtziger Jahren auf 50 erweitert, nur um uns dann auf dem Sofa zu langweilen. Klar, wir brauchten ein Rückzugsgebiet, eine private Wellnesszone, weil die öden Jobs uns so ausgelaugt hatten. Und wir brauchten die Jobs, um die Mieten bezahlen zu können.
Schließlich entdeckten wir, dass wir gar nicht mehr wohnen mussten. Der ganze Ärger um die Wohnungssuche, das Putzen, das Umziehen, das Möbelkaufen war gar nicht nötig. Heute wohnen wir überall und nirgends. Kein Mensch hat mehr Möbel. Warum Möbel herumschieben, wenn doch überall schon welche stehen? Die Stadt, die Schweiz, die Welt sind endlich bewohnbar.
Klar müssen wir irgendwo schlafen, aber das kann man ganz gut in einem Hotel. Im Jahr 2014 fanden wir es heraus: Der Mensch ist dazu gemacht, in einem Grandhotel zu leben. Grandhotels sind die modernen Nomadenzelte, Basislager oder Unterstände. Endlich sind wir angekommen. Wir sind alle Gäste auf diesem Planeten, die für durchschnittlich 80 Jahre pauschal gebucht haben.
Solide Möbel, vernünftiges Essen
Die Zimmer können von allen benutzt werden – und nur, wenn wirklich gebraucht. Es lohnt sich endlich, solide Möbel anzuschaffen. Gekocht wird in vernünftigen, größeren Mengen, also hocheffizient in der Hotelküche, die Lagerhaltung ist dank großer Mengen und professioneller Einrichtung abfallfrei. Selbst zu kochen ist ja hauptsächlich ein Umweltverbrechen: 30 Prozent des Energiebedarfs der Ernährung wurden in unseren Küchen und Lebensmittelsärgen – den Kühlschränken – verursacht.
In den Salons, Fumoirs, Bibliotheken, Billardzimmern, Ball- und Esssälen im Erdgeschoss wird getanzt, geraucht, gelesen, gespielt, getratscht und geschrieben, ohne dass jemand ein Möbel, ein Buch, einen Teller kaufen müsste. Es gibt sogar betreute Kinderspielräume – etwas abgelegen –, so dass auch Eltern bei all dem mitmachen können.
Diese gemeinsam nutzbaren Räume sind ökologisch sehr effektiv, pro Person fallen nicht mehr als zwei Quadratmeter an (das macht 1.000 Quadratmeter bei 500 Gästen). Dazu kommen noch 20 für das Zimmer, macht 22 Quadratmeter. Früher waren es gegen 50. Diese Räume mussten beheizt werden. Sie mussten gebaut und unterhalten werden. Das führte dazu, dass Wohnen ein Viertel unserer Umweltbelastung ausmachte. Ein Wahnsinn!
Dabei bringt Wohnen nur Kummer und Sorgen. Wohnungen fixieren uns an einem Ort, lähmen unsere Bewegungsfreiheit, generieren viel Arbeit. Umziehen ist ein Krampf. Zieht jemand um von einem Grandhotel in ein anderes, braucht er nur eine kleine Tasche zu packen. Sie braucht nicht einmal Kleider mitzunehmen, denn jedes Grandhotel hat eine Ausleihgarderobe, Bettwäsche ist schon da, Schirme gibt’s auch.
Jeder kann sich das leisten
Hotelzimmer sind teuer – wer kann sich das leisten? Jeder: unsere 50 Quadratmeter privater Wohnraum kosten ca. 10.000 Franken pro Jahr, 28 Franken pro Tag, wenn man Glück hat (für zwei Personen wäre es eine Monatsmiete von 1.700 Franken – etwa 1.400 Euro). Hotelzimmer bauen kostet auch nicht mehr – 20 Quadratmeter, also die Hälfte, also 14 Franken pro Tag.
Was früher Hotels teuer machte, war der Service. Dieser ließ sich aber unter die Gäste als Ersatz für die eingesparte Hausarbeit aufteilen. Früher leisteten wir etwa 11 Stunden Hausarbeit pro Woche, Männer 6, Frauen 16 Stunden (so das Soziologische Institut der Uni Zürich).
Wenn wir im Grandhotel 5 Stunden einsetzen, bei 350 arbeitsfähigen Gästen (ganz Alte, Kranke und Kinder ausgenommen), dann haben wir 1.750 Stunden pro Woche zur Verfügung, das sind 44 Vollzeitjobs, die wir für Kochen, Waschen und Servieren einsetzen können. (Reinigung und Unterhalt sind ja als Nebenkosten bei den Mietkosten schon inbegriffen.)
Nanny, Sekretär, Pianist, Lehrerin einstellen
Wenn wir dazu noch ein paar Profis (sagen wir sechs: Köchin, Sommelière, Nanny, Sekretär, Pianist, Lehrerin) einstellen, dann kostet das 360.000 Franken pro Jahr (bei einem Monatslohn von circa 5.000), 720 Franken pro Bewohner, also 60 Franken mehr pro Monat, erhöht die Kosten um 2 auf 16 Franken pro Tag.
Nehmen wir dazu noch die Nahrungsmittelkosten, 300 Franken pro Person und Monat, dann bekommen wir für 26 Franken am Tag, 780 im Monat oder auch 650 Euro, Vollpension mit Service. Für eine vierköpfige Familie sind das dann 3.120 Franken (Kinder voll gerechnet) auf 80 Quadratmetern, wahrscheinlich aber eher weniger.
Familien können ihre Zimmer mit Zwischentüren zu Suiten verbinden. Wenn die Kinder groß sind, werden die Türen geschlossen, und die Zimmer werden wieder frei. Nur 10 bis 14 Prozent der Zürcher Bevölkerung leben in Familien, „Familie“ ist also nur eine Phase, die etwa 15 Jahre dauert. Es ist völlig abwegig, für diese Phase Familienwohnungen zu bauen.
Natürlich kommen noch andere Ausgaben dazu: der Hotelbus, der einen zum Bahnhof oder zur nächsten ÖPNV-Haltestelle bringt, der Unterhalt von Bibliothek, Humidor, Weinkeller, der Ersatz von Wäsche und Geschirr, Reparaturen und so weiter. Dafür spart man aber das Auto, das sind 667 Franken im Monat (es hat dafür ein paar bekanntlich ewig haltbare Leih-Rolls-Royces und Motorräder).
Fünf Jahre dauert der Umbau
Da die 14.000 Grandhotels der Schweiz (niemand will mehr anders wohnen) eine einzige Kette bilden, wie früher McDonald’s oder Ibis, kann man jederzeit in einem anderen absteigen, wenn man sich mit allen Gästen zerstritten hat.
Der Umbau der Schweiz zu den Grandhotels dauerte nur fünf Jahre und erzeugte verschiedenste und bunteste Hotel-Formen: Blockrandhotels, Hochhaushotels, diffuse Dorfhotels, mit Zwischenbauten verbundene Agglohotels und so weiter. Einzig aus den Einfamilienhaussiedlungen ließ sich nichts Vernünftiges machen: sie wurden vom Zivilschutz abgerissen und wieder in stadtnahes Landwirtschaftsland zurückverwandelt.
Wir sind nicht nur Gäste, sondern haben irgendwo noch Jobs, zum Beispiel als Pianist in einem anderen Grandhotel. Doch viel Arbeit fällt nicht mehr an: gebaut wird nichts mehr, Autos gibt’s kaum mehr (früher hing jeder siebte Job am Auto), es müssen nur noch halb so viel Nahrungsmittel erzeugt werden, Möbel, Kleider, Haushaltskrempel wird kaum noch neu hergestellt; Ökodesign (haltbar, reparierbar und so weiter) lohnt sich.
Man kommt jetzt gut mit 50 Prozent der damaligen formellen Arbeit aus, also mit vier Stunden pro Tag, oder eher 150 Arbeitstagen pro Jahr. Neben dieser Profiarbeit (als Kampfpilotin, Gehirnchirurgin oder Richterin) fallen allerdings noch vier Stunden Arbeit im erweiterten Haushaltsbereich an. Man hat Küchendienst, Waschdienst, man ist im Service. Man darf einander die Betten machen.
Ein guter Kompromiss
Da jedes Grandhotel seine Nahrungsmittel auf einem Hof der Region (das braucht 80 Hektar, also 0,8 Quadratkilometer) selbst produziert und einen Teil der Landarbeit übernimmt, konnte ihr Preis leicht halbiert werden, und die Pensionskosten sanken weiter. Ein Teil der Gesundheitskosten entfällt, weil interne Pflege in den Hotels gut organisiert werden kann.
Als wir all das ausgerechnet hatten, kamen wir zum Schluss, dass man das ganze Paket gleich für alle BewohnerInnen ab Geburt als Generalabonnement gratis machen konnte. Wir hatten eine echte Lösung gefunden.
Die Grandhotels gelten als guter Kompromiss zwischen unseren nomadischen und sesshaften Instinkten. Die Standards sind – natürlich mit lokalen Anpassungen – überall auf der Welt etwa die gleichen. Nationale und andere Grenzen haben sich weitgehend aufgelöst, wir sind einfach Gäste einer einzigen, globalen Hotelkette. | P. M. | Alle können flexibler und billiger in großen Hotels wohnen – und ökologischer. Der Schweizer Schriftsteller P.M. blickt zurück auf heute. | [
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Unzählige Leichen im Mittelmeer - taz.de | Unzählige Leichen im Mittelmeer
ÄGYPTEN Auf einem gekenterten Schiff sollen bis zu 600 Flüchtlinge unterwegs gewesen sein
Überlebende zurück auf ägyptischem Boden Foto: reuters
AUS KAIRO Karim El-Gawhary
Noch weiß niemand genau, wie viele Flüchtlinge und Migranten ertrunken sind, nachdem ihr Schiff östlich der Hafenstadt Alexandria unweit der ägyptischen Küste gekentert ist. In See gestochen ist es in dem Ort Borg El-Meghast. Noch kursierte am Donnerstagmittag die Zahl des ägyptischen Armeesprechers, laut dem 163 Menschen gerettet und 42 Leichen aus dem Meer geborgen wurden. Aber die Frage ist, wie viele Menschen tatsächlich an Bord des Schiffes waren, das für maximal 50 Menschen ausgelegt war. Die Berichte variieren zwischen 300 und 600.
Wenige Stunden nach dem Unglück kursierten in den sozialen Medien in Ägypten bereits die ersten Videos. Eines zeigt die Einfahrt eines Fischkutters überfüllt mit Überlebenden. Einer der Fischer sagt dazu: „All diese Menschen waren auf einem einigen Schiff. Auf einem Boot, das kleiner ist als dieser Fischerkutter, da waren 550 Menschen drauf, manche hier im Dorf sagen, es waren sogar 600.“
Der ägyptische Fischer ist sichtlich aufgebracht. „Weder die Regierung noch die Armee hat die Leute gerettet. Das waren unsere Fischer, die rausgefahren sind. Ich sage das nur, weil sie in den Medien erzählen werden, dass die Marine, die Armee und die Polizei das gemacht hat.“
„Weder Regierung noch Armee retteten die Leute. Das waren unsere Fischer“
In den ägyptischen Fernsehstationen kommen die Überlebenden zu Wort, die ins Krankenhaus in der Küstenstadt Rosetta gebracht wurden. Weil sie ein Verfahren wegen illegalen Grenzübertrittes erwarten können, sind sie mit Handschellen an die Betten gekettet. Ein junger Mann beschreibt seine Odyssee: „Es war ausgemacht, dass ich für die Überfahrt umgerechnet 1.500 Euro zahle, aber nur wenn ich angekommen bin“, sagt er. Er sei mit einem kleinen Schlauchboot losgefahren. Dann wurden sie auf ein Holzboot umgeladen, um die 150 Leute. „Anschließend fuhren wir eineinhalb Stunden zu einem größeren Boot raus. Da waren bis zu 500 Menschen drauf. Wir sind dann bis um sechs Uhr morgens weitergefahren, bevor es gesunken ist.“ Seine Rettung: eine Flasche, die im Wasser schwamm. „Ich habe sie unter meinen Bauch gelegt.“ Auch der 27-jährige Ahmad Darwish hat überlebt. „Der Moment, als das Boot kenterte, war totales Chaos. Alle sind im gleichen Moment aufgesprungen.“ Im Wasser begegnete er einem Mädchen, dessen Eltern ertrunken sind. „Ich bekam einen Rettungsring zu greifen und habe das Mädchen zu mir gezogen. Wir haben gebetet.“ Später wurden die beiden von Fischern aus dem Wasser gezogen.
Darwish erzählt auch von den jungen Schleppern. Einer, der auch ertrank, sei gerade sieben Jahre alt gewesen. Die Organisatoren der Überfahrten setzen auf den Schiffen gern Minderjährige ein. Denn wenn sie von Marinepatrouillen aufgebracht werden, kommen sie nicht als Schlepper in italienische Gefängnisse, sondern in die Schule. Und wenn sie den Weg zurückschaffen, können sie bis zu 500 Euro verdienen. | Karim El-Gawhary | ÄGYPTEN Auf einem gekenterten Schiff sollen bis zu 600 Flüchtlinge unterwegs gewesen sein | [
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Die dreifach verpackte Verpackungs-Verordnung - taz.de | Die dreifach verpackte Verpackungs-Verordnung
Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. Juni 1991:
1.Stufe: Seit dem 1.12.1991 müssen Hersteller Transportverpackungen wie Kartons, Fässer, Säcke und Paletten zurücknehmen.
2.Stufe: Seit dem 1.4.1992 muß der Handel Um-Verpackungen wie Folien oder den Karton um die Zahnpastatube zurücknehmen.
3.Stufe: Seit dem 1.1.1993 muß der Handel auch Verkaufsverpackungen wie Becher, Beutel, Dosen und Flaschen zurücknehmen. Von dieser Rücknahmeverpflichtung befreit wird der Handel, wenn ein System eingerichtet ist, das flächendeckend eine regelmäßige Abholung verbrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher gewährleistet. Die Einrichtung eines solchen Systems muß die für Abfallwirtschaft zuständige oberste Landesbehörde durch eine sogenannte Freistellungserklärung bestätigen. Die Hamburger Umweltbehörde hat die Befreiung von dieser Rücknahmeverpflichtung am 21.Dezember mit einer Freistellungserklärung erteilt. VM | vm | [
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Portugal und Brasilien 0:0: Zu viele Stars für ein Tor - taz.de | Portugal und Brasilien 0:0: Zu viele Stars für ein Tor
Brasilien und Portugal sind im Achtelfinale. Nach einer phasenweise hochklassigen Partie ohne viele Torchancen gehen die Brasilianer als Gruppensieger in die Endrunde.
Kein Durchkommen: Künstler Ronaldo (li) scheiterte oft am Brasilianer Lucio. Bild: ap
BERLIN taz | Brasilien gegen Portugal – das versprach der erste richtige Leckerbissen der WM zu werden. Die Spannung war ein bisschen raus, schließlich war Brasilien schon vorher sicher im Achtelfinale und Portugal durch das Torfestival gegen Nordkorea so gut wie. Doch immerhin ging es noch um den Gruppensieg. Ein Prestigeduell ist die Begegnung zwischen der ehemaligen Kolonie Brasilien und dem ehemaligen Kolonialherrscher Portugal ohnehin immer.
Bei Brasilien ersetzte Julio Baptista den Gelbrot-gesperrten Kaká. Außerdem liefen Dani Alves für Elano und Nilmar für Robinho auf. Heftig umgestellt hatte wieder einmal Portugals Trainer Carlos Queiroz. Ricardo Costa, Duda, Danny und Pepe standen für Miguel, Pedro Mendes, Simao und Hugo Almeida in der Startelf. Superstar Christiano Ronaldo sollte in der ungewohnten Position als einzige Spitze die bisher so starke brasilianische Abwehr erschrecken.
Das Spiel hielt zunächst den hohen Erwartungen stand. Von Anfang an lief der Ball bei beiden Teams in einem Tempo und einer Pass-Sicherheit, die alle anderen Begegnungen bei dieser fußballerisch bisher nicht umwerfenden Weltmeisterschaft um Längen übertrafen. Allerdings neutralisierten sich die vielen Stars auf beiden Seiten zunächst auf höchstem Niveau gegenseitig. Dabei ging es ordentlich zur Sache, schon in der ersten Halbzeit gab es sieben gelbe Karten. Wie schnell aber jede kleinste Unaufmerksamkeit bestraft werden würde, zeigte sich in der 31. Minute. Plötzlich tauchte Nilmar allein vorm portugiesischen Torwart Eduardo auf, der den Schuss gerade noch an den Pfosten lenken konnte. Acht Minuten später hatte er Glück als Luis Fabiano nach einer gefühlvollen Flanke Maicons knapp am Tor vorbei köpfte.
StatistikPortugal - Brasilien 0:0 Portugal: Eduardo - Ricardo Costa, Carvalho, Bruno Alves, Coentrão - Tiago, Pepe (64. Mendes), Raul Meireles (84. Veloso) - Danny, Cristiano Ronaldo, Duda (54. Simão)Brasilien: Julio César - Maicon, Lúcio, Juan, Michel Bastos - Dani Alves, Gilberto Silva, Felipe Melo (44. Josué) - Julio Baptista (82. Ramires) - Nilmar, Luís Fabiano (85. Grafite)Schiedsrichter: Archundia (Mexiko)Zuschauer: 62.712Gelbe Karten: Coentrão, Duda, Pepe, Tiago / Felipe Melo, Juan, Luís Fabiano
Die Portugiesen hatten es schwerer auf dem Weg nach vorn, Ronaldo rannte oft vergeblich um den Ball. Es war kein Durchkommen durch das brasilianische Abwehr-Bollwerk, in dem Lucio einmal mehr überragte. Ob sie vor allem das Remis halten wollten? Schließlich war die Elfenbeinküste im Parallelspiel gegen Nordkorea schon zur Halbzeit mit 2:0 in Führung gegangen, für die Portugiesen hätte es bei einer Niederlage durchaus noch einmal brenzlig werden können.
Womöglich hatte Queiroz genau das seinen Spielern in der Pause klar gemacht, denn Portugal hatte danach wesentlich mehr vom Spiel. Bewegung, Passpiel und Zug nach vorn – alles lief besser. Folgerichtig hatten sie auch die erste Großchance. In der 60. Minute konnte sich Ronaldo endlich einmal durchsetzen, Lucio war zwar wieder zur Stelle, doch legte er mit seiner Grätsche dem heranstürmenden Meireles den Ball genau vor die Füße. Dessen Schuss parierte Julio Cesar im brasilianischen Tor aber glänzend.
Danach verflachte die Partie zusehends, wohl auch weil die Elfenbeinküste im anderen Spiel nicht entscheidend nachlegen konnte. „Kräfte sparen“ lautete jetzt die Devise bei Brasilien und Portugal und so lief die Partie ohne größere Höhepunkte langsam aus. Vor allem die Brasilianer - und zeitweise die Portugiesen - haben aber gezeigt, dass sie weiterhin zu den großen Favoriten dieser WM zählen. | Constantin Wissmann | Brasilien und Portugal sind im Achtelfinale. Nach einer phasenweise hochklassigen Partie ohne viele Torchancen gehen die Brasilianer als Gruppensieger in die Endrunde. | [
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Arbeitsbedingungen in Bremen: Ausbeutung statt Nächstenliebe - taz.de | Arbeitsbedingungen in Bremen: Ausbeutung statt Nächstenliebe
Das Berufsförderungswerk Friedehorst beschäftigte offenbar über Jahre scheinselbstständige DozentInnen. Das geht aus einem Urteil des Sozialgerichts hervor.
Nur witzig, wenn DozentInnen nicht scheinselbständig sind: EDV-Kurs Foto: dpa
BREMEN taz | Ausbeutung statt christlicher Nächstenliebe scheint lange Zeit das Motto des diakonischen Berufsförderungswerks Friedehorst (BFW) in Bremen-Lesum gewesen zu sein. Die Bildungseinrichtung zur Rehabilitation, Weiterbildung und Integration hat offenbar über einen längeren Zeitraum abhängig Beschäftigte als Honorarkräfte ausgegeben. Das Sozialgericht Bremen hat am Montag in einem Fall geurteilt, dass es sich bei der vermeintlich freien Lehrtätigkeit der EDV-Dozentin Petra E. um eine Scheinselbstständigkeit gehandelt habe.
Das BFW hatte vor dem Sozialgericht gegen einen Bescheid der Rentenversicherung geklagt, die den Bildungsträger dazu aufgefordert hatte, die Sozialversicherungsbeiträge für E. nachzuzahlen. Die ehemalige Dozentin sagte, es hätte in den fünf Jahren ihrer Beschäftigung „stets zwischen 20 und 60 weitere Honorarkräfte bei dem BFW gegeben, die unter ähnlichen Bedingungen“ wie sie gearbeitet hatten.
Die gemeinnützige GmbH ist Tochter der Stiftung Friedehorst. Im norddeutschen Raum hat das BFW neben dem Hauptsitz in Bremen-Lesum weitere 14 Außenstellen. Zur weiteren Beschäftigung von Honorarkräften wollte sich der Träger außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht äußern.
E. hatte von 2008 bis 2013 in Bremen-Lesum als „Honorarkraft“ für Friedehorst gearbeitet, ihre Aufgabe war es, UmschülerInnen und RehabilitantInnen in EDV zu unterrichten. Die Arbeitszeit wurde ihr vorgegeben, ebenso der zu vermittelnde Stoff, selbst an Zeugniskonferenzen sollte sie teilnehmen – alles Merkmale einer abhängigen Beschäftigung. Trotzdem zahlte ihr Arbeitgeber keine Versicherungsbeiträge.
Ein klassischer Fall
E. sagt über die Beschäftigung bei dem evangelischen Träger: „Es lief nach dem Motto: ‚Friss oder stirb!‘“ Freiheiten habe sie keine gehabt, ebenso wenig andere Lehraufträge. „Ich bin nicht in der Kirche, verhalte mich aber christlicher – christlich steht drauf, Ausbeutung steckt drin.“ Als das BFW 2013 auch noch einseitig ihr Honorar kürzte, habe sie nach Abzug der Versicherungsbeiträge kaum noch von dem Geld leben können. Bei einer Rechtsberatung weist ein Anwalt sie darauf hin, dass es sich bei ihrer Arbeit um einen „klassischen Fall von Scheinselbstständigkeit“ handele.
Daraufhin stellte E. einen Antrag auf Prüfung ihres Status bei der Rentenversicherung, die Ende 2013 entschied, dass es sich tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe. Demnach sollte das BFW sämtliche Versicherungsbeiträge für E. nachzahlen. Doch dagegen klagte die Einrichtung vor dem Sozialgericht, wo der Fall drei Jahre lang lag.
Petra E., Ex-EDV-Dozentin Bei Friedehorst„Die Arbeit lief nach dem Motto:‚Friss oder stirb!‘“
Bei der mündlichen Verhandlung argumentierte das BFW, die von E. vermittelten EDV-Inhalte seien weder „prüfungsrelevant“ gewesen noch habe es „einseitige Weisungen“ gegeben. Hagen Samel, Geschäftsführer des BFW, argumentierte: „Wir verdienen 70 Prozent mit Reha und nicht mit Ausbildung. Wir sind kein Bildungsträger. Die Aufgabe von Frau E. war es, die Rehabilitation zu flankieren.“ Demnach sei E. nicht relevant für die Ausbildung gewesen, habe eher Dinge wie Kräuterwanderungen mit RehabilitantInnen gemacht.
Samel sei zudem davon ausgegangen, dass E. nicht allein von der Arbeit bei Friedehorst lebe. Und bei den Zeugniskonferenzen hätten die Honorarkräfte ohnehin nur vier Stunden lang „bräsig herumgesessen“ und seien dafür noch bezahlt worden. Mittlerweile säßen „Honnis“ nicht mehr in den Konferenzen. Viele der ehemaligen Honorarkräfte seien zudem eingestellt.
Was dann der Gegenstand des Unterrichts war, wollte die vorsitzende Richterin Klinger wissen. „Die sollten irgendwas machen“, sagte Samel, „Excel, Word, Power Point.“ Die Stoffpläne habe er aus einem „VHS-Buch rauskopiert“. Die Vorgaben habe sie nicht so genau erfüllen müssen, so der Tenor seiner länglichen Ausführung.
Bildungswerk ohne Bildung
Blöd nur, dass er sich daraufhin auf richterliche Nachfrage direkt widersprach: Musste E. sich nun an die Stoffpläne halten oder nicht? „Ja, sie sollte sich dran halten“, räumte Samel ein, aber der sei als Orientierungsrahmen zu verstehen – „so funktioniert jeder Bildungsträger“, sagte Samel und widersprach damit seiner vorherigen Aussage, dass das Bildungswerk Friedehorst ja keine richtige Bildungseinrichtung sei, sondern nur für Rehabilitation.
E. sagte nach dem Urteil: „Ich bin erst mal total erleichtert. Die Argumentation von Friedehorst war hanebüchen und widersprüchlich.“ Das BFW muss nun Sozialversicherungsbeiträge für fünf Jahre nachzahlen. E. ist immer noch verwundert, dass ihre damaligen KollegInnen nicht auch ihre Status überprüfen ließen: „Ich verstehe nicht, dass so viele Menschen das einfach hinnehmen.“
Scheinselbstständigkeit verjährt nach vier Jahren. Sollte etwa ein Unternehmen nach einem solchen Bescheid wie dem von E. weiterhin, also nachweislich wider besseres Wissen, Beschäftigte mit Scheinselbstständigkeit ausbeuten, kann sich diese Verjährung auch auf 30 Jahre erhöhen.
Heiko Schröder, von der Rentenversicherung Nord, zuständig für Arbeitgeberprüfungen, sagte der taz: „Wenn uns ein solcher Fall bekannt wird, gucken wir bei der nächsten Prüfung genauer nach. Bei erneutem Verstoß ist es bösgläubig.“
Ein selbst formuliertes Ziel der gemeinnützigen christlichen Einrichtung Friedehorst ist laut ihrer Website, „christliche Nächstenliebe mit fachlicher Kompetenz zu verbinden und in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen“. Dem darf das Bildungsförderungswerk Friedehorst nun nachkommen, indem es endlich die Sozialversicherungsbeiträge für Petra E. bezahlt. | Gareth Joswig | Das Berufsförderungswerk Friedehorst beschäftigte offenbar über Jahre scheinselbstständige DozentInnen. Das geht aus einem Urteil des Sozialgerichts hervor. | [
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Trümmerfeld vor dem Waffenstillstand - taz.de | Trümmerfeld vor dem Waffenstillstand
■ Die libanesische Hisbollah bietet ein Abkommen mit Israel an / Die israelischen Angriffe gingen gestern aber noch weiter / Die Regierung in Beirut versucht, den Flüchtlingsstrom zu vermindern
Beirut (AFP) – Mitten in die Meldungen über andauernde israelische Angriffe und Flüchtlingsströme im Libanon platzte gestern nachmittag ein Angebot der Hisbollah-Miliz zum Waffenstillstand. In einer in Beirut veröffentlichten Erklärung des Generalsekretärs der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, heißt es, die Hisbollah wolle die Raketenangriffe auf Nordisrael einstellen, falls die israelische Armee die Luftangriffe auf Südlibanon endgültig beendet. Der ägyptische Botschafter in Washington, Ahmed Maher el Sayed, bestätigte kurz darauf, die US-Regierung habe ihn darüber informiert, daß ein Waffenstillstand „innerhalb der nächsten Stunden“ verkündet werde.
Niemand weiß, wieviel es denn nun genau sind, die vor den israelischen Angriffen aus dem Süden Libanons in Richtung Norden geflohen sind: 360.000? 400.000? Oder sogar bis zu 800.000, wie UN-Beobachter schätzen? Sichtbar ist nur, was zurückgeblieben ist: verlassene Dörfer und Trümmerfelder. Zum Beispiel Basurija, vier Kilometer westlich von Tyros.
„Keine Durchfahrt, die Straße liegt unter israelischem Artilleriefeuer“. Mit diesen Worten hält ein libanesischer Soldat an der Straßensperre den Krankenwagen des libanesischen Roten Kreuzesan. Sobald sie den Wagen erblicken, kommen zwei Mütter mit ihren sieben Kindern aus dem Treppenhaus des Gebäudes. „Mein Mann und mein Sohn wurden bei dem Beschuß verletzt und sind heute morgen nach Tyrus evakuiert worden. Jetzt sitzen wir hier mit drei anderen Familien fest“, klagt Leila Darwisch, eine der beiden Frauen. „Obwohl die Lage hier nicht so schlimm ist wie in den weiter südlich gelegenen Dörfern, sind fast alle Familien aus Basurija geflüchtet, sobald der Rundfunk der proisraelischen Miliz Südlibanesische Armee (SLA) den Namen der Ortschaft als eines der Ziele der israelischen Artillerie erwähnt hat“, berichtet Leila Darwisch. Drei Kilometer weiter gehen zehn israelische Geschosse pro Minute auf Dschuaja nieder. Das ganze Dorf verschwindet in einer Rauchwolke, der Lärm der Hubschrauber erfüllt die Luft.
75 Kilometer weiter nördlich. Die libanesische Regierung hat alle Schulen der Hauptstadt für die Flüchtlinge geöffnet. Andere Flüchtlinge, die kein Dach über dem Kopf mehr bekommen haben, müssen an zusammengefallenen Mauern oder auf Baustellen entlang der Schnellstraße nach Beirut Unterschlupf suchen.
Nahrungsmittel und andere Vorräte sind immer noch rar. Am Freitag kam das erste und einzige Flugzeug mit Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Gerät von Kuwait an. Die Regierung, die den Notstand ausgerufen hat, hat ein Komitee aus fünf Ministern gegründet, um die Verteilung der Hilfslieferungen zu organisieren.
Aber um die Bewohner des Südlibanon dazu zu bewegen, in ihren Häusern zu bleiben, hat die Regierung angekündigt, sie werde nur denjenigen helfen, die in ihrer Heimatregion bleiben.
Derweil haben auch gestern die Angriffe der israelischen Luftwaffe und Artillerie nicht nachgelassen. Am Morgen wurden erneut vier libanesische Zivilisten infolge des Bombardements getötet. Die diplomatischen Bemühungen konzentrierten sich am Freitag auf Damaskus, das gemeinsam mit Teheran die schiitische Hisbollah-Miliz unterstützt. Der iranische Außenminister Ali Akbar Welajati traf überraschend in Damaskus ein. Welajati sprach mit der syrischen Führung sowie mit Hisbollah-Chef Nasrallah.
Wie die libanesische Polizei am Freitag mitteilte, flog die israelische Luftwaffe am Morgen erneut 18 Angriffe gegen zwölf Ziele in Libanon. In der Nacht war Nordisrael mit etwa 50 Katjuscha-Raketen beschossen worden, wie ein Vertreter der proisraelischen Miliz Südlibanesische Armee am Freitag mitteilte. Zu den Raketenangriffen bekannte sich die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in einer in Sidon veröffentlichten Erklärung. Nach Angaben eines Vertreters der UN-Interimstruppe im Libanon verstärkte Israel in der Nacht zum Freitag seine Truppen im besetzten Teil des Südlibanons mit weiteren 400 Soldaten sowie Panzern und Truppentransportern. Tagesthema Seite 3 | taz. die tageszeitung | ■ Die libanesische Hisbollah bietet ein Abkommen mit Israel an / Die israelischen Angriffe gingen gestern aber noch weiter / Die Regierung in Beirut versucht, den Flüchtlingsstrom zu vermindern | [
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AfD will Theaterstück verhindern: Scharf auf Verbote - taz.de | AfD will Theaterstück verhindern: Scharf auf Verbote
Die AfD versucht erneut, ein Theaterstück zu verhindern. Mit „Illegale Helfer“ feiere das Potsdamer Hans Otto Theater „Gesetzesbrecher“.
Sollte laut AfD nicht aufgeführt werden: Szene aus „Illegale Helfer“ Foto: Promo/HL Böhme
BERLIN taz | In Berlin hat die AfD einen juristischen Streit mit der Schaubühne Anfang des Jahres verloren. Unter anderen wollte Beatrix von Storch erwirken, dass ihr Bild nicht in der Inszenierung „Fear“ von Falk Richter gezeigt werden kann. Das Stück, das sich mit der Sprache, der Rhetorik und dem Weltbild der AfD auseinandersetzt, benennt auch die Akteure der rechten Politik. Die Versuche, auf gerichtlichem Weg eine Zensur zu erlangen, sind gescheitert.
Jetzt wendet sich die AfD-Fraktion im Stadtrat der Stadt Potsdam gegen eine Inszenierung, die am 9. Juni in Potsdam Premiere haben wird: „Illegale Helfer“ von Maxi Obexer. In einer Pressemitteilung fordern sie unter der Überschrift „Hans Otto Theater feiert Gesetzesbrecher“ das Hans Otto Theater auf, „sein Programm noch einmal zu überdenken“.
Vor einem Jahr veröffentlichte die taz einen Ausschnitt aus dem Stück, das zehn Personen sprechen lässt, die beschlossen haben, Geflüchteten und Abgeschobenen zu helfen, ihnen Verstecke anzubieten und sie zu beraten, auch wenn sie selbst dadurch gegen Gesetze verstoßen. Die Autorin hat vier Jahre lang in der Schweiz, Österreich und Deutschland dafür recherchiert und damit literarisch eine Arbeit fortgesetzt, die sie schon über zehn Jahre lang beschäftigt.
Damals schrieb sie ein Stück über die Insel Lampedusa, „Das Geisterschiff“, das auch als Hörspiel vom WDR produziert wurde. Das Thema der Geflüchteten und die Hürden, die ihrer Ankunft in den Weg gelegt werden, hat die Autorin seitdem nicht mehr losgelassen, sie hat es in einem Roman, „Wenn gefährliche Hunde lachen“, in Recherchen und als Lehrende weiterverfolgt.
„Es geht um den Raum des persönlichen Gewissens“
Für ihr Stück „Illegale Helfer“ erhielt sie den Eurodrampreis 2016. Es wurde als WDR-Hörspielproduktion von vielen ARD-Stationen gesendet. Grade weil hier Personen zu Wort kommen, die sich in einer Zone bewegen, die oft auch nur durch das Schweigen funktioniert, öffnet der Text einen wichtigen Blick auf eine sonst verdeckte Wirklichkeit. Denn es provoziert Fragen danach, warum denn illegal ist, was diese Helfer tun, und stößt damit einen wichtigen Diskurs an.
Das Hans Otto Theater in Potsdam ist die erste Bühne, die das Stück in Deutschland zeigt. Der Intendant des Theaters, Tobias Wellemeyer, hält denn auch an der Inszenierung fest. „Maxi Obexer legt den Fokus auf die innere moralische Entscheidung jedes Einzelnen – wann ist der Punkt da, wo ich überzeugt bin, helfen zu müssen“, sagt er über „Illegale Helfer“. „Jenseits der Debatte über Gesetze, die die Politik führt und führen muss, geht es hier um den Raum des persönlichen Gewissens. Theater ist geradezu verpflichtet, diese dramatische und moralische Debatte zu führen. Sie ist quasi die Grundidee des öffentlichen Theaters – Drama und Demokratie sind historisch zur selben Zeit entstanden: Die Debatte der persönlichen Gewissensentscheidung im Drama, im Theater ist eine zentrale Errungenschaft der europäischen Kulturgeschichte.“
Dass sie auf Verbote und Zensur aus sind, lässt die AfD nun immer deutlicher sehen, zuletzt durch den gescheiterten Antrag, den Auftritt der Hamburger Punkband Slime beim Hafengeburtstag zu verhindern. | Katrin Bettina Müller | Die AfD versucht erneut, ein Theaterstück zu verhindern. Mit „Illegale Helfer“ feiere das Potsdamer Hans Otto Theater „Gesetzesbrecher“. | [
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Corona und Feiern in Berlin: Tanz über die lange Distanz - taz.de | Corona und Feiern in Berlin: Tanz über die lange Distanz
Corona bedroht das Berliner Nachtleben. Um ein Clubsterben zu verhindern, braucht es Engagement durch UnterstützerInnen.
Wodka-Desinfektion pur: Das Mysliwska in der Schlesischen Straße in Kreuzberg Foto: Johannes Gruber
Wie lange wird der Club-Shutdown dauern? Werden die Fördermittel reichen? Kann man mit Atemmasken tanzen? Oder auf Distanz?
Es sind eine Menge Fragen, die die Berliner Veranstaltungsszene derzeit beschäftigen, immer schwingt die Ungewissheit mit. „Ich schätze es so ein, dass ein Großteil der Clubs in seiner Existenz gefährdet ist“, sagt Ran Huber, der mit seiner Reihe amSTARt seit mehr als 20 Jahren Konzerte veranstaltet. „Die Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, aber auch auf Betriebe wie Bars, Cafés und kleine Läden dürften fatal sein. Wenn es schlecht läuft, könnte die Stadt nach der Coronakrise nicht wiederzuerkennen sein.“
Huber selbst hat für amSTARt eine Spendenkampagne initiiert. Noch bis Donnerstag will er 10.000 Euro von Unterstützern sammeln, 3.700 Euro fehlten am Dienstagmorgen noch. Für ihn wie für viele weitere geht es darum, Einbußen der kommenden Monate zu kompensieren (siehe weitere Spendenaktionen und Initiativen im Kasten).
Soforthilfe reicht nicht aus
Die Soforthilfe der Investitionsbank Berlin (IBB) reichen bei Weitem nicht aus, um den Erhalt der Reihe zu sichern. Bislang fielen acht Konzerte und das für Mai geplante Festival „Down by the River“ dem Virus zum Opfer, mindestens drei weitere Shows werden ausfallen. Großveranstaltungen sind in Berlin bis zum 31. August verboten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bis dahin auch keine Partys und kleinen Konzerte möglich sind.
Spenden Sie hierKonzertreihe amSTARt: startnext.com/amstart-berlinwww.amstart.tv/Crowdfunding Paloma Bar: https://www.startnext.com/palomaClub Mysliwska: gofundme.com/f/mysliwska-rettet-uns-wer-kannAcud: www.startnext.com/save-acud-macht-neuErnst Bar: www.gofundme.com/f/es-ist-ernst-furs-ernstLoophole: www.startnext.com/save-the-loophole-whaleZ-Bar: www.gofundme.com/f/zave-the-z8mm Bar: www.gofundme.com/f/save-8mmbarSchokoladen: schokoladen-mitte.deUnited We Stream: https://unitedwestream.berlin/About Blank: www.startnext.com/whatever-you-take10. Clubgeburtstag „United We Blank“, 25. April, 19.59 Uhr, Stream und Infos: https://www.facebook.com/
Die allergrößte Not lindern können staatliche Hilfen, also das Programm der IBB, die Coronahilfe vom Bund sowie das kürzlich durchgewunkene 30-Millionen-Hilfspaket des Senats (Soforthilfepaket IV). Und doch könnte es sein, dass auch das am Ende nicht reichen wird.
Schließlich ist es gut möglich, dass die rund 280 Clubs und Veranstalter, die es laut Clubkultur-Studie von 2019 in Berlin gibt, bis mindestens zum Herbst auf Veranstaltungen verzichten müssen. Der geschätzte Gesamtumsatz dieser Clubs lag 2017 bei 168 Millionen Euro. Ginge man von zwei Dritteln fehlendem Jahresumsatz aus, was nicht unwahrscheinlich ist, käme man auf rund 112 Millionen Euro Umsatzeinbußen.
Große Solidarität
Hoffnung machen andere Zahlen. Denn die Clubszene setzt auf Solidarität, und ist dabei sogar erfolgreich. Die Clubcommission überträgt unter dem Titel „United We Stream“ jeden Abend DJ-Sets und Konzerte und bittet um Spenden, bislang sind so etwa 400.000 Euro zusammengekommen.
Auch das About Blank, linke Feierhochburg nahe dem Ostkreuz, hat innerhalb kurzer Zeit mehr als 130.000 Euro Spenden erhalten. „Wir sind überwältigt von dem Zuspruch. Es gibt offenbar viele Leute, die diesen Laden erhalten wollen“, sagt Eli Steffen, die die Öffentlichkeitsarbeit macht. Allerdings relativiert sie in Bezug auf die Summe: „Das klingt erst mal nach viel Geld. Man muss aber auch sehen, dass wir drei bis sechs Veranstaltungen pro Woche machen – diese Einnahmen daraus fallen nun ersatzlos weg.“
Für die kommenden zwei, drei Monate könne man sich dank des Crowdfunding über Wasser halten, danach werde es wohl schwierig. Kredite würden die Misere nur aufschieben, erklärt Steffen: „Wir verschulden uns gerade sowieso. Wenn wir nun Darlehen aufnehmen, wie sollen wir die jemals zurückzahlen?“ Bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigt das About Blank in den Sommermonaten, bei einigen von ihnen sei immerhin Kurzarbeit möglich.
Sektempfang online
Das About-Blank-Kollektiv überlegt, ob und wie Corona-kompatible Veranstaltungen aussehen könnten. „Es ist realitätsfern zu glauben, dass bald wieder Clubnächte stattfinden wie wir sie bisher kennen. Alternative Nutzungskonzepte oder -formate sind zwar grundsätzlich vorstellbar. Um ökonomisch zu überleben werden wir in den nächsten Monaten staatliche Soforthilfen brauchen.“ Den anstehenden 10. Clubgeburtstag muss die Blank-Crew allerdings ins Netz verlegen – verspricht aber nicht nur einen DJ-Livestream, sondern dazu einen Sektempfang und ein „Dinner for blank“.
Auch Ran Huber hofft darauf, dass Konzepte für die Krise gefunden werden: „Ich habe absolutes Verständnis für die Sicherheitsmaßnahmen, die es derzeit gibt. Aber für Bars, Kneipen und Clubs müssen Zwischenlösungen gefunden werden, wie Veranstaltungen unter Auflagen stattfinden können.“ So sei es bei kleinen Open-Airs etwa denkbar, weniger Leute zuzulassen, das Tragen von Atemmasken vorzuschreiben und darüber hinaus an die Selbstverantwortung von Besuchern zu appellieren.
Huber fürchtet, dass Corona für den langfristigen Shutdown Berlins sorgen könnte. „Die Clubs standen bereits vorher unter einem enormen ökonomischen Druck, viele waren von Verdrängung gefährdet. Durch das Virus hat sich dieses Problem massiv verschärft“, sagt er. „Was gerade passiert, ist im Prinzip der feuchte Traum der Investoren: dass kleine Clubs in zentraler Lage zahlungsunfähig werden und schließen müssen.“ Um sie jäh aus diesen feuchten Träumen zu reißen, hilft den Clubs jeder Cent. | Jens Uthoff | Corona bedroht das Berliner Nachtleben. Um ein Clubsterben zu verhindern, braucht es Engagement durch UnterstützerInnen. | [
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Wiederaufbau in Beirut: Göttliche Planung - taz.de | Wiederaufbau in Beirut: Göttliche Planung
Im Süden der libanesischen Hauptstadt plant die schiitische Hisbollah den Wiederaufbau der im Krieg mit Israel zerstörten Quartiere. Debatten über Stadtplanung führt sie aber nicht.
Der Krieg hat Spuren hinterlassen, deren Beseitigung Zeit und besonders Geld brauchen. Bild: reuters
Taxis, Kleinbusse, Motorräder und Gemüsehändler mit ihren Karren, alle zwängen sich durch die enge Hauptstraße von Haret Hreik. Hier, im Süden Beiruts, war die Hisbollah vor dem Libanonkrieg im Jahr 2006 besonders stark. Das Stadtviertel wurde stark zerstört.
Fußgänger versuchen sich durch parkende Autos hindurchzuschlängeln. Bekleidungsgeschäfte, Imbissbuden, Internetcafés und kleine Supermärkte säumen die beiden Seiten der belebten Straße. An einigen Strommasten sind Bilder junger Männer in Militäruniform befestigt, die im Kampf gegen Israel gefallen sind. An dem Gebäude neben der Kommunalverwaltung hängt ein riesiges Plakat von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der schiitischen Hisbollah.
Hier in der Dahia, dem südlichen Stadtteil von Beirut, hat die "Partei Gottes" das Sagen. Nicht Verkehrspolizisten, die dem libanesischen Innenministerium unterstehen, versuchen etwas Ordnung in das Verkehrschaos zu bringen, sondern Männer in dunkelbeiges Uniform mit einer Armbinde, auf der "Indibat" (Ordnung) steht. Sie sind von der "Partei Gottes" eingesetzt.
Im Straßenbild gibt es auffällig viele Baustellen. Acht- bis zehnstöckige Hochhäuser im Rohbau ragen in die Höhe. Die Dahia war im Sommer 2006 stark von den Bombardements der israelischen Luftwaffe in ihrem Krieg gegen die Hisbollah betroffen. Nun, drei Jahre später, laufen die Bauarbeiten auf Hochtouren. Vor den Baustellen sind Schilder aufgestellt mit dem Namen der Verantwortlichen für die Bauarbeiten: "Waad", zu Deutsch: Versprechen, darunter das Motto des Wiederaufbaus: "Wir werden es schöner aufbauen, als es war".
Insgesamt 265 Gebäude sind in Haret Hreik teilweise oder ganz zerstört worden. Etwa 20.000 Menschen verloren ihre Wohnungen. Einer von ihnen ist Ahmad Qasim. Er arbeitet in einem Büro unweit der Hassanain-Moschee: "Das Gebäude, in dem ich eine Wohnung hatte", sagt er, "wurde vollständig zerstört." Alle Eigentümer hätten sich dafür ausgesprochen, Waad mit dem Wiederaufbau zu beauftragen: "Sie führen die Bauarbeiten durch und die nötigen Formalitäten. Wir vertrauen der Hisbollah und Waad."
Die Baufirma ist in einem mehrstöckigen Bürogebäude an der Hauptstraße untergebracht. Der Ingenieur Hassen Jeschi, Leiter von Waad, sitzt im 6. Stockwerk mit Blick auf die quirlige Straße. Jeschi zeigt auf die Karte von Haret Hreik und erklärt, wie man sich das Viertel in naher Zukunft vorstellen kann: "Wir planen, einige Straßen zu erweitern, die Schura-Straße etwa. Sie wird zur Hauptverbindung zwischen den beiden Nord-Süd-Achsen ausgebaut. Wir sind kein Dorf!"
Stolz fügt Jeschi hinzu, dass die meisten Neubauten erdbebensicher seien, unterirdische Garagen und doppelte Außenwände haben. An der Bebauungsdichte in den betroffenen Gebieten wird sich jedoch nichts ändern. Die Höhe der Gebäude wird Waad beibehalten, sodass die Bewohner wohl weiter mit Feuchtigkeit, wenig Licht und schlechter Belüftung rechnen dürfen. Von einer offenen stadtplanerischen Debatte hält Hassan Jeschi nicht viel: "Die Menschen möchten so schnell wie möglich in ihre Wohnungen zurück und warten nicht auf irgendwelche Diskussionen."
Rückkehr hat Priorität
Für die Hisbollah haben Wiederaufbau und rasche Rückkehr der Bewohner oberste Priorität. Die Glaubwürdigkeit der Partei steht auf dem Spiel. Die "wiederauferstande" Dahia wird auch als Botschaft an den Feind verstanden, als Zeichen der Widerstandsfähigkeit gegenüber Israel.
Stadtplaner von der Amerikanischen Universität in Beirut (AUB) möchten hingegen mit ihren Vorschlägen zum Wiederaufbau eine Diskussion anregen. Nicht breitere Straßen, sondern verkehrsberuhigte Areale, Sackgassen und mehr Grünflächen schlagen sie in ihren Konzepten vor. Nach ihrer Vorstellung soll die Schurastraße beispielhaft für die dicht bevölkerte Dahia zu einem verkehrsberuhigten und begrünten Bereich umgestaltet werden. Der letzte Abschnitt soll zur Einbahnstraße werden und schließlich in eine Sackgasse münden. Das jetzige Nadelöhr zur Hauptstraße wird ganz für die Fußgänger reserviert sein und mit Palmen bepflanzt werden. Durch Verhandlungen mit Eigentümern und Zahlungen von Kompensationen könnten freie Flächen für Spielplätze oder Gärten gewonnen werden.
Zuzug der Flüchtlinge
Die Architektin Mona Fawas hat bei diesen Plänen mitgearbeitet. Sie hat auch Hassan Jeschi zu einer öffentlichen Diskussion in die Universität eingeladen. Fawas möchte die Wohnsituation und Lebensqualität der Bewohner der Dahia verbessern sowie ein stärkeres Interesse für diese Stadtteile in der libanesischen Gesellschaft wecken. "Für mich ist der Wiederaufbau nicht nur das Errichten der Gebäude", sagt sie. "Es geht auch um die Beziehung dieser Viertel zu der übrigen Stadt."
In den Achtziger- und Neunzigerjahren formte sich allmählich die heutige Identität der Vororte: schiitisch, islamisch und kämpferisch. Die zentral gesteuerten Baumaßnahmen durch die Hisbollah sieht sie "als letztendliche Besiegelung dieser Identität". "Wir müssen uns einmischen und dürfen diese Stadtteile nicht aufgeben, sie sind Teil unserer Stadt", so die Architektin.
Die Dahia erlebte in den letzten 30 Jahren einen tiefgreifenden strukturellen und demografischen Wandel. In den 70er-Jahren noch von ein- bis zweistöckigen Häusern mit Garten und von einer konfessionell gemischten Bevölkerung geprägt, begann die Veränderung mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 und mit den Flüchtlingen, die in den folgenden Jahren aus dem Osten und dem Süden des Landes nach Beirut strömten und sich dort niederließen.
Nach und nach verließen viele Alteingesessene den Stadtteil. Dieser wurde langsam zu einem mehrheitlich von Schiiten bewohnten, islamisch konservativen und von der Hisbollah kontrollierten Ort. Die südlichen Vororte haben in den letzten Jahren ihr Gesicht etwas verändert. Cafés und schicke Bekleidungsgeschäfte haben eröffnet. Westliches Fastfood in Form der KFC-Kette und Donut-Läden haben Einzug gehalten. Einkaufszentren mit Beinamen "Plaza" oder "Laguna" entstanden. Aber für viele Bewohner Beiruts verläuft eine unsichtbare Grenze rund um die Dahia, die sie oftmals nicht zu überschreiten wagen.
Mona Fawas stellt einen interessanten Vergleich zwischen dem Solidere-Projekt und den Plänen von Waad an. Die Solidere-Gesellschaft hat in den Neunzigerjahren den Wiederaufbau des Beiruter Stadtzentrums unter Federführung des damaligen Ministerpräsidenten und Milliardärs Rafik al-Hariri übernommen. Ihm schwebte ein "Hongkong am Mittelmeer" vor.
Die beiden Projekte, so Mona Fawas Einschätzung, hätten allerdings nicht die gleichen Ziele: Solidere soll ihren Aktionären Gewinn bescheren, wohingegen Waad politisches Kapital schlagen möchte. Beide seien jedoch von einer Vision getragen, die autoritär diktiert würde: "Es gibt keinen Platz für plurale Stimmen", sagt Mona Fawas, "das Ergebnis sind Enklaven."
Das politische Klima im Zedernstaat ist denkbar ungünstig für eine konstruktive Debatte über Stadtplanung in den Vororten. Die Diskussion, die bis jetzt in der Amerikanischen Universität, in der Ingenieurskammer und in begrenztem Umfang in den Medien stattfand, konnte keinen wirklichen Diskurs anstoßen.
Oftmals sind die Positionen von einer Hisbollah-freundlichen oder Hisbollah-feindlichen Haltung geprägt. Eine wirkliche Auseinandersetzungen um Alternativkonzepte wie die von Mona Fawas und anderen Architekten von der AUB findet kaum statt. Staatliche Stellen sind fast verstummt. Der "Rat für den Wiederaufbau der Dahia", den der damalige Ministerpräsident Siniora unmittelbar nach Kriegsende eingesetzt hat, hat sich nach den Auseinandersetzungen mit der Hisbollah aus der Planung zurückgezogen. Er sagte den Geschädigten lediglich eine Entschädigung zu. Damit verpasste der Staat eine große Chance, stadtplanerisch in einem heiklen Gebiet mitzuwirken und sich verantwortlich für einen Teil seiner Bürger zu zeigen, auch wenn diese einem anderen politischen Lager angehören.
Unbekannte Spender
Die Mehrheit der Besitzer zerstörter Häuser hat es inzwischen Ahmad Qasim gleichgemacht. Sie hat Waad eine Vollmacht für den Wiederaufbau gegeben. Die Entschädigung, die bei Weitem nicht die Kosten decken, leiten sie an die Baufirma weiter. Die restlichen Kosten werden von Spenden gedeckt und von der Hisbollah eigenen Organisation Dschihad al-Bina. Woher diese ihre Gelder beziehen, wollte Hassan Jeschi nicht sagen. In den westlichen Medien wird häufig der Iran genannt.
Die Bewohner, oft nicht hinreichend informiert über die zur Debatte stehenden Vorschläge, befürchten, zwischen den politischen Kontrahenten zerrieben zu werden und leer auszugehen. Ahmad Qasim aber hat keinen Zweifel daran, dass die "Partei Gottes" ihm seine Wohnung wiederaufbaut. Auch wenn er nicht glaubt, dass "unser Viertel schöner wird als vorher, wie es auf den Plakaten steht". | Mona Naggar | Im Süden der libanesischen Hauptstadt plant die schiitische Hisbollah den Wiederaufbau der im Krieg mit Israel zerstörten Quartiere. Debatten über Stadtplanung führt sie aber nicht. | [
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