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---|---|---|---|---|---|---|---|---|
LG Frankenthal 6. Zivilkammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 25.07.2014 | 1 | Randnummer
1
Die Parteien streiten um urheberrechtliche Unterlassungsansprüche.
Randnummer
2
Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin der Urheberrechte an den u.a. durch die von ihr betriebenen Pay-TV-Kanäle "… Sport" und "… Bundesliga" ausgestrahlten, von ihr produzierten Sendungen und (Sport-)Berichterstattungen. In dieser Eigenschaft vergibt sie die Rechte, diese Sendungen öffentlich wahrnehmbar zu machen, wobei die öffentliche Wiedergabe nur nach Abschluss eines entsprechenden Lizenzierungsvertrages (sog. Abonnement-Vertrag) zulässig ist. Ein derartiger Vertrag existiert zwischen den Parteien nicht.
Randnummer
3
Im Auftrag der Verfügungsklägerin suchte der Kontrolleur W. am 20. Oktober 2013 gegen 14.32 Uhr die vom Beklagten betriebene Gaststätte "Pizzeria T." in W. auf. Dabei konnte er die Ausstrahlung der Begegnung der 2. Bundesliga zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem Karlsruher SC wahrnehmen und hat hiervon eine Videoaufzeichnung gefertigt. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, zu der der Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 30. Oktober 2013 neben einer ausgesprochenen Abmahnung und der Zahlung von pauschaliertem Schadensersatz in Höhe von mindestens 4.632,40 € sowie außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten von 1.044,40 € aufgefordert wurde, gab der Verfügungsbeklagte nicht ab.
Randnummer
4
Die Klägerin ist der Ansicht,
dass das urheberrechtlich geschützte Werk (Berichterstattung über die Partie der 2. Bundesliga zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem Karlsruher SC) durch den Beklagten zum fraglichen Zeitpunkt öffentlich wahrnehmbar gemacht wurde.
Randnummer
5
Mit Beschluss vom 22. November 2013 hat die Kammer ohne mündliche Verhandlung die begehrte Unterlassungsverfügung antragsgemäß erlassen, welche die Verfügungsklägerin dem Verfügungsbeklagten am 10. Dezember 2013 zugestellt hat.
Randnummer
6
Mit Schriftsatz vom 14. März 2014 hat der Verfügungsbeklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch eingelegt.
Randnummer
7
Die Verfügungsklägerin beantragt,
Randnummer
8
die einstweilige Verfügung der Kammer vom 22.11.2013 aufrecht zu erhalten.
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9
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
Randnummer
10
unter Aufhebung des Beschlusses vom 22.11.2013 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Randnummer
11
Der Verfügungsbeklagte ist der Auffassung,
dass keine öffentliche Wiedergabe stattgefunden habe. So sei die Gastwirtschaft zwischen 14.30 und 17.00 Uhr geschlossen und es hätten sich dort auch keine Gäste aufgehalten. Zudem sei erst auf ausdrückliche Bitte des ungefragt eingetretenen Kontrolleurs W. der entsprechende Sender eingeschaltet worden.
Randnummer
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlage Bezug genommen. | 1. Unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung gemäß Beschluss vom 22. November 2013 wird die Klage abgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Heizkosten streitig.
2
Der Kläger wohnt in einer mittels Elektroheizung (Nachtspeicheröfen) beheizten Mietwohnung. Mit Schreiben vom 10.06.2013 legte der Kläger die Jahresabrechnung Strom des Energieversorgers vom 29.04.2013 vor und beantragte die Übernahme der Nachforderung sowie die Anpassung des monatlichen Heizkostenanteils. Der Energieversorger forderte in der Jahresabrechnung unter Berücksichtigung eines Jahresverbrauchs von 10.137 kWh für den Zeitraum 09.04.2012 bis 08.04.2013 noch Stromkosten in Höhe von 267,18 EUR nach und setzte den monatlichen Stromabschlag ab 08.06.2013 auf 168,-- EUR fest. Die Jahresabrechnung Strom enthielt keine Aufteilung in Verbrauch von Haushaltsstrom und Heizstrom.
3
Mit Bescheid vom 26.06.2013 bewilligte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Februar 2013 bis November 2013 unter Berücksichtigung eines Nachzahlungsbetrages für die Heizkosten in Höhe von 45,71 EUR im Monat Mai 2013 sowie eines monatlichen Abschlags für Heizkosten ab 01.08.2013 in Höhe von 119,45 EUR. Nach der vorgelegten Abrechnung des Energieversorgers hätten die Stromkosten für die Elektroheizung im Abrechnungszeitraum 1.385,59 EUR betragen. Dies entspreche einem Anteil in Höhe von 71,1% an den Gesamtkosten. Folglich könne ein monatlicher Abschlag für die Heizkosten ab 01.08.2013 in Höhe von 119,45 EUR (71,1% von 168,-- EUR) berücksichtigt werden. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch (Schreiben vom 17.07.2013).
4
Mit Änderungsbescheid vom 06.11.2013 bewilligte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Mai 2013 bis November 2013. Nunmehr berücksichtigte der Beklagte einen übernahmefähigen Nachzahlungsbetrag für die Heizkosten in Höhe von 210,69 EUR. Aufgrund der vorgelegten Abrechnung des Energieversorgers ergäben sich nach nochmaliger Berechnung, Heizkosten in Höhe von 1.550.57 EUR. Dies entspräche einem Anteil von 80%. Folglich könne ein monatlicher Abschlag für die Heizkosten ab 01.06.2013 nur in Höhe von 134,40 EUR (80% von 168,-- EUR) berücksichtigt werden. Mit Schreiben vom 04.12.2012 erhob der Kläger auch gegen den Abhilfebescheid vom 06.11.2013 Widerspruch.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
6
Mit der am 20.02.2014 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Da er mit Strom heize, müsse insoweit eine Differenzierung zwischen Haushaltsstrom und Heizstrom erfolgen. Der Energieversorger habe dem Kläger in einem Schreiben vom 07.06.2013 mitgeteilt, der Heizkostenanteil für die Nachzahlung bzw. für den monatlichen Abschlag liege nach deren Berechnungen bei 86% NT und 14% HT (Haushaltsstrom). Der Beklagte dürfe keine eigene Berechnung anstellen und von den des Energieversorgers vorgegebenen Berechnungsanteilen eigenmächtig abweichen.
7
Der Kläger beantragt zuletzt,
8
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.06.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 06.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2014 zu verurteilen, ihm weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 86% der tatsächlich entstandenen Kosten für Heizung für den Zeitraum 01.05.2013 bis 30.04.2014 sowie eine weitere Nachzahlung für Heizkosten für den Zeitraum 09.04.2012 bis 08.04.2013 in Höhe von 19,08 EUR zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Der Beklagte begründet seinen Abweisungsantrag damit, die Jahresabrechnung des Energieversorgers könne für eine sachgerechte Entscheidung über die Höhe des Anspruchs auf Heizkosten nicht herangezogen werden. Der Energieversorger habe darin eine prozentuale Aufteilung des Gesamtstromverbrauchs (10.173 kW/h) rein nach den Anteilen für Haushaltsstrom (HT = 1.443 kW/h = 14% aus 1.137 kW/h) und Heizstrom (NT = 8.694 kW/h = 86% aus 10.137 kW/h) vorgenommen. Ausweislich der Jahresrechnung vom 29.04.2013 schwanke der Preis pro kW/h für Haushaltsstrom (HT) zwischen 0,1873 EUR und 0,2183 EUR und der Preis pro kW/h für Heizstrom (NT) „nur“ 0,1081 EUR bzw. 0,1305 EUR. Die Kosten für Heizstrom seien folglich bei weitem niedriger als die Kosten für Haushaltsstrom, weshalb eine prozentuale Aufteilung rein nach den Verbrauchsanteilen nicht zu einem sachgerechten Ergebnis führe.
12
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Befragung des Energieversorgungsträgers. Mit Schreiben vom 15.10.2014 teilte der Energieversorger mit, der Zähler in Hochtarif (Tagesstrom, HT) und Niedrigtarif (Nachtstrom, NT) messe nicht die Aufteilung in Haushalt und Heizungsstrom, da der gesamte benötigte Verbrauch nur über einen Zähler laufe.
13
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren. | I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.06.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 06.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2014 verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II in Höhe von 27,24 EUR für die Zeit vom 01.06.2013 bis zum 30.11.2013 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger 1/6 dessen außergerichtlicher Kosten zu erstatten. | 0 |
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VG Greifswald 3. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 1 | 0 | 19.04.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag.
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2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks G1 in einer Größe von 1.013 m². Das im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 65 „Grimmer Straße“ gelegene Grundstück ist als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen. Des Weiteren weist der Bebauungsplan auf dem Grundstück eine 150 m² große Fläche aus, die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu Gunsten der Anlieger und Ver- und Entsorgungsträger zu belasten ist. Es grenzt an die Grimmer Straße und ist mit einem dreigeschossigen Hauptgebäude sowie einem eingeschossigen Nebengebäude nebst zweigeschossigem Anbau bebaut. Das Hauptgebäude wird zu Wohnzwecken genutzt. Das Nebengebäude sowie das Obergeschoss des Anbaus werden gewerblich genutzt. Im Erdgeschoss des Anbaus befinden sich der Sanitärbereich des Gewerbebetriebes sowie zwei Garagen und ein Lagerraum.
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3
Mit Endbescheid 16.11.2009 zog der Beklagte den Kläger zu einem Straßenausbaubeitrag i.H.v. 6.485,45 EUR für die Straßenausbaumaßnahme Grimmer Straße in dem Abschnitt zwischen der Einmündung der Straße neben dem Gebäude Grimmer Straße 4-6 (Einkaufsmarkt) und der Einmündung der Straße Mühlenweg heran. Dabei zog er von der Grundstücksfläche die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu belastenden Fläche ab, multiplizierte die Restfläche von 863 m² mit dem Faktor für eine dreigeschossige Bebauung (1,5) und dem Faktor für den gewerblichen Artzuschlag (1,5). Gegen die Berücksichtigung des zuletzt genannten Faktors wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 16.12.2009, der vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 als unbegründet zurückgewiesen worden ist.
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4
Am 16.04.2010 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, die Berücksichtigung des gewerblichen Artzuschlages sei fehlerhaft. Das Grundstück weise eine Gesamtgeschossfläche von 684,51 m² auf. Davon werde eine Geschossfläche von 219,09 m² gewerblich genutzt. Der gewerblich genutzte Teil der Gesamtgeschossfläche erreiche die von der Rechtsprechung geforderte Grenze von einem Drittel nicht.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 16.11.2009 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 insoweit aufzuheben, als die Festsetzung den Betrag von 4.271,85 EUR übersteigt.
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7
Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,
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8
die Klage abzuweisen.
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9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Kammer haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen. | 1. Der Bescheid vom 16.11.2009 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 17.03.2010 wird insoweit aufgehoben, als die Festsetzung den Betrag von 4.271,85 Euro übersteigt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Finanzgericht Rheinland-Pfalz 5. Senat | Rheinland-Pfalz | 1 | 0 | 09.08.2018 | 0 | Randnummer
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Besitzunternehmen der Klägerin in den Streitjahren 2002 bis 2004 zu verzinsende Überentnahmen vorgelegen haben, die zu nicht abziehbaren Schuldzinsen und damit zu einem höheren Gewinn aus Gewerbetrieb geführt haben.
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2
Die Klägerin betrieb als Einzelunternehmerin einen Werbeverlag (im Folgenden: Besitzunternehmen), der seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Wirtschaftsjahr war das Kalenderjahr. Zwischen dem Besitzunternehmen und der Fa. D GmbH (im Folgenden: GmbH) bestand seit dem 01.01.1998 eine Betriebsaufspaltung. Das Besitzunternehmen verpachtete seither das gesamte bewegliche und unbewegliche Anlagevermögen an die GmbH.
Randnummer
3
Zunächst ergingen Bescheide für 2002 bis 2004 über den Gewerbesteuermessbetrag (Gewerbesteuermessbetragsbescheide) gemäß den von der Klägerin abgegebenen Gewerbesteuererklärungen 2002 bis 2004. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Randnummer
4
Nach der bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 erhöhte der Beklagte den Gewinn aus Gewerbebetrieb auf 361.147,- € (2002), auf 331.662,- € (2003) und auf 312.729, - € (2004) und setzte nicht abziehbare Schuldzinsen von 3.959,- € (2002), von 6.044,- € (2003) und von 19.197,- € (2004) an (Prüfungsbericht vom 13.07.2007).
Randnummer
5
Mit gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheiden 2002 bis 2004 vom 13.09.2007 setzte der Beklagte Gewerbesteuermessbeträge in Höhe von 19.150,- € (2002), von 17.490,- € (2003) und von 15.920,- € (2004) fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf.
Randnummer
6
Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 09.03.2016 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Auf die Einspruchsentscheidung wird verwiesen.
Randnummer
7
Hiergegen richtet sich die Klage der Klägerin. Wegen der Begründung wird auf die Klagebegründung in dem Verfahren
5 K 1375/16
verwiesen.
Randnummer
8
Die Klägerin beantragt,
1.
die geänderten Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2002, 2003 und 2004 vom 13.09.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2016 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb im Jahr 2002 um 3.959,- €, im Jahr 2003 um 6.044,- € und im Jahr 2004 um 19.197,- € gemindert wird,
2.
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Randnummer
9
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Randnummer
10
Hinsichtlich der Begründung des Beklagten wird auf das Verfahren
5 K 1375/16
verwiesen. | I. Die geänderten Bescheide über den Gewerbesteuer-messbetrag für 2002, 2003 und 2004 vom 13.09.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.03.2016 werden dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb im Jahr 2002 um 3.959,- €, im Jahr 2003 um 6.044,- € und im Jahr 2004 um 19.197,- € gemindert wird.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einer Hundesteuer mit einem erhöhten Steuersatz für Kampfhunde.
2
Die Beklagte erhebt aufgrund ihrer am 1.2.2002 in Kraft getretenen Satzung über die Erhebung der Hundesteuer in ... (Hundesteuersatzung - HStS) vom 15.3.2001 eine Hundesteuer. Der Steuer unterliegt das Halten von Hunden durch natürliche Personen im Gemeindegebiet, soweit es nicht ausschließlich der Erzielung von Einnahmen dient. Steuerschuldner und Steuerpflichtiger ist der Halter eines Hundes. Halter eines Hundes ist, wer einen Hund in seinem Haushalt oder seinem Wirtschaftsbetrieb für Zwecke der persönlichen Lebensführung aufgenommen hat. Die Steuer beträgt im Kalenderjahr für jeden Hund 30 EUR. Handelt es sich bei dem Hund um einen Kampfhund, beträgt die Steuer 480 EUR (§ 5 Abs. 1 S. 1 und 2 HStS). Hält ein Hundehalter im Gemeindegebiet mehrere Hunde, so erhöht sich der Steuersatz für den zweiten und jeden weiteren Hund auf 60 EUR, für den zweiten und jeden weiteren Kampfhund auf 960 EUR (§ 5 Abs. 2 S. 1 HStS). Kampfhunde sind nach § 5 Abs. 3 HStS solche Hunde, die auf Grund ihres Verhaltens die Annahme rechtfertigen, dass durch sie eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen und Tieren besteht (S. 1). Kampfhunde im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere Bullterrier, Pit Bull Terrier, American Staffordshire Terrier sowie deren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden sowie Bullmastiff, Mastino Napolitano, Fila Brasileiro, Bordeauxdogge, Mastin Espanol, Staffordshire Bullterrier, Dogo Argentino, Mastiff und Tosa (S. 2).
3
Die Klägerin ist Halterin einer Bordeauxdogge und eines Mastiff. Am 16.3.2007 meldete sie zum 1.4.2007 das Halten dieser Hunde bei der Beklagten an. Im Namen der Beklagten veranlagte daraufhin der Gemeindeverwaltungsverband ... die Klägerin mit Bescheid vom 24.10.2007 zu einer Hundesteuer von 1.080 EUR für die Zeit vom 1.4.2007 bis zum 31.12.2007. Der Gemeindeverwaltungsverband legte dabei einen Steuersatz von jährlich 480 EUR für den ersten und von jährlich 960 EUR für den zweiten Hund zu Grunde.
4
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 26.10.2007 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, die Festsetzung einer erhöhten Kampfhundesteuer sei jedenfalls für die Rassen Bordeauxdogge und Mastiff rechtlich nicht mehr haltbar. Beide Hunderassen könnten jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in eine Liste höher zu besteuernder Hunde aufgenommen werden, die über eine besondere Gefährlichkeit verfügten. Beide Rassen würden in den von anderen Bundesländern geführten Listen nicht oder nicht mehr zu den Kampfhunden gerechnet, weil sie nicht durch besondere Gefährlichkeit aufgefallen seien. Baden-Württemberg führe entgegen der gebotenen Beobachtungspflicht keine (Beiß-) Statistiken. Auch sonstige wissenschaftliche Untersuchungen über die Gefährlichkeit der in der Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000 genannten Hunderassen seien nicht in Auftrag gegeben worden. Daher sei jedenfalls gegenwärtig die Beklagte dafür nachweispflichtig, dass gerade die Bordeauxdogge und der Mastiff über eine besondere Gefährlichkeit verfügten.
5
Mit Bescheid vom 25.3.2008 wies das Landratsamt Ravensburg den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die festgesetzte Hundesteuer für das Jahr 2007 sei nach der Satzung rechnerisch richtig ermittelt und auch sonst nicht zu beanstanden. Die Einordnung der fraglichen Hunderassen bei den Kampfhunden entspreche dem Satzungsmuster des Gemeindetags und der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württem-berg. Die satzungsrechtlich angelegte, unwiderlegliche Zuordnung bestimmter Hunderassen zu den Kampfhunden sei auch durch den Gesichtspunkt der Typisierung und Pauschalierung gerechtfertigt.
6
Die Klägerin hat am 14.4.2008 beim Verwaltungsgerichts Sigmaringen Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 24.10.2007 sowie den Widerspruchsbescheid vom 28.3.2008 insoweit aufzuheben, als die für das Jahr 2007 festgesetzte Jahressteuer den Betrag von 67,50 EUR übersteigt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Heranziehung zu einer höheren Steuer sei rechtswidrig. Die Steuer stelle sich aufgrund ihrer Höhe, insbesondere für einen zweiten Kampfhund, als eine formenmissbräuchliche, erdrosselnde Abgabe dar, die von der Besteuerungskompetenz für eine Aufwandsteuer nicht mehr gedeckt sei. Der Halter eines sogenannten Kampfhunds werde im Ergebnis zu einer 16-fach höheren Steuer als der Halter eines anderen Hundes herangezogen. Die Besteuerung von Kampfhunden komme damit einen Hundehaltungsverbot für diese Rassen gleich. Die Beklagte orientiere sich an der völlig überholten und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht angepassten baden-württembergischen Polizeiverordnung über das Halten gefährlicher Hunde vom 3.8.2000 (PolVOgH). Wenn sie die dort vorgenommene Einstufung übernehme, trage sie dafür die Verantwortung. Die Beklagte habe aber bisher nicht vorgetragen, warum Hunde der Rassen Mastiff und Bordeauxdogge im Gegensatz zu anderen Hunderassen, die in den Beißstatistiken weit vorne lägen (Schäferhund, Rottweiler, Dobermann, Weimaraner etc.), besonders gefährlich sein sollten, obwohl die Rassen Mastiff und Bordeauxdogge in diesen Statistiken gar nicht auftauchten. Dies sei auch nicht verwunderlich, da es sich bei den Hunden dieser Rassen um ruhige und gutmütige Hunde handle. Wenn die von der Rechtsprechung geforderte, auf eine Überprüfung des Beißverhaltens gerichtete Beobachtungspflicht nicht eine leere Hülse ohne jede Bedeutung sein solle, müssten daraus nunmehr die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Denn wenn es dem Staat nicht gelinge, seine einstmals „experimentelle Regelung“ durch verifizierbare Tatsachen zu belegen, müsse er seine Vorschriften anpassen.
7
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und erwidert: Die erhöhten Steuersätze für Kampfhunde dienten dem allgemein anerkannten Nebenzweck, die Haltung solcher Hunde einzudämmen, um die Gefahren und Belästigungen für die Allgemeinheit zu verringern. Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit von Hunderassen stehe dem Satzungsgeber ein weiter Beurteilungs- und Typisierungsspielraum zu. Wenn Hunden bestimmter Rassen aufgrund ihrer genetischen Disposition ein gesteigertes Aggressionsverhalten zugeschrieben werde, sei dies deshalb weiterhin ein sachlich gerechtfertigter Grund für eine satzungsrechtlich angelegte unwiderlegliche Zuordnung bestimmter Hunderassen zu den Kampfhunden. Demnach sei es auch gerechtfertigt, steuerrechtlich bereits an die abstrakte Gefährlichkeit anzuknüpfen. Die Beklagte habe insoweit in nicht abschließender Aufzählung die Rassen als Kampfhunde aufgenommen, die in § 1 Abs. 2 und 3 PolVOgH aufgeführt seien. Dazu zählten auch der Mastiff und die Bordeauxdogge. Die der übernommenen Regelung zugrunde liegenden Erkenntnisse und Tatsachen brauche der Satzungsgeber nicht zu überprüfen, sofern es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass diese offensichtlich falsch seien.
8
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.6.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Regelungen in der Hundesteuersatzung der Beklagten über die Veranlagung von Kampfhunden und die Einbeziehung der Rassen Mastiff und Bordeauxdogge in den Kampfhundebegriff seien nicht zu beanstanden. Eine formenmissbräuchliche, erdrosselnde Abgabenregelung liege entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vor. Der monatliche Erhöhungsbetrag für den ersten Kampfhund betrage 37,50 EUR und für weitere Kampfhunde 75 EUR; er liege damit für die Gesamtheit der Kampfhundehalter noch in einem erschwinglichen Bereich und komme insgesamt keinem Verbot der Kampfhundehaltung gleich. Die Erhebung einer erhöhten Hundesteuer auch für Hunde der Rassen Mastiff und Bordeauxdogge verstoße nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil andere Hunderassen, die in § 5 Abs. 3 Satz 2 HStS nicht namentlich aufgeführt seien, wie etwa die von der Klägerin genannten Rassen American Bulldog, Alano, Kangal und Owtscharka, abstrakt das gleiche oder gar ein größeres Gefährdungspotenzial aufwiesen. Denn auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit seien typisierende und pauschalierende Regelungen unter den Gesichtspunkten der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität jedenfalls dann hinzunehmen und noch nicht gleichheitswidrig, solange die hierdurch entstehende Ungerechtigkeit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den steuerlichen Vorteilen der Typisierung stehe, wie dies hier der Fall sei. Zudem könnten auch Rassen, die in § 5 Abs. 3 Satz 2 HStS nicht aufgeführt seien, im Einzelfall bei konkreter Gefährlichkeit unter den allgemeinen Kampfhundebegriff nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Hundesteuersatzung fallen, was die durch die Typisierung und Pauschalierung verursachte steuerliche Ungleichbehandlung zusätzlich abmildere. Für die hier fraglichen Rassen Mastiff und Bordeauxdogge gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass deren Aufführung in der Auflistung der (vermuteten) Kampfhunde in § 5 Abs. 3 S. 2 HStS offensichtlich falsch oder überholt wäre. Dass es sich beim Mastiff und bei der Bordeauxdogge um Hunderassen mit einem erheblichen Gefährdungspotential im abstrakten Sinne handele, ergebe sich bereits aus den allgemein verfügbaren Beschreibungen. Beide würden zwar als ruhige Hunde mit hoher Reizschwelle beschrieben. Mit Widerristhöhen von 58 bis 68 cm (Bordeauxdogge) bzw. von etwa 80 cm (Mastiff) und einem Gewicht von 45 bis 60 kg (Bordeauxdogge) bzw. ca. 90 kg (Mastiff) handele es sich aber andererseits um sehr kräftige, mutige und wehrhafte Hunde mit einem stark ausgeprägten Schutztrieb. Mit diesen Anlagen seien erhebliche Risiken verbunden, insbesondere wenn ein solcher Hund gezielt fehlgeleitet oder nicht konsequent erzogen werde. Zwar sei es in der Vergangenheit nur sehr selten zu Beißvorfällen unter Beteiligung von Hunden dieser Rassen gekommen. Dadurch werde jedoch das abstrakte, aufgrund der Rassemerkmale bestehende Gefährdungspotential nicht infrage gestellt. Bereits dies rechtfertige es, mittels einer erhöhten Besteuerung auf die Begrenzung und Reduzierung des Bestands dieser Hunde einzuwirken. Entgegen der Auffassung der Klägerin begründe auch die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehende Verpflichtung des Satzungsgebers zur Kontrolle und Überprüfung der Listen gefährlicher Hunderassen keine durchgreifenden Bedenken gegen die erhöhte Besteuerung der hier fraglichen Rassen.
9
Gegen das ihr am 25.11.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1.12.2011 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Die Klägerin macht geltend, die Erhebung einer Hundesteuer sei bereits als solche verfassungswidrig, da die Wirkungen der Hundehaltung nicht auf das Gemeindegebiet begrenzt seien und es sich deshalb nicht um eine örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG handele. Für die Haltung von zwei Kampfhunden seien nach der Satzung der Beklagten 1.440 EUR pro Jahr zu bezahlen. Die von der Beklagte erhobene Steuer wirke damit entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erdrosselnd. Die Satzung der Beklagten verletze außerdem Art. 3 Abs. 1 GG in Gestalt des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass Hunde der Rassen Mastiff und Bordeauxdogge genauso gefährlich oder ungefährlicher seien wie Hunde der Rassen American Bulldog, Alano, Kangal und Owtscharka. Die Ungleichbehandlung dieser Hunderassen sei danach auch unter der Aspekte der Verwaltungsvereinfachung und Typisierung nicht gerechtfertigt. Es gebe im Übrigen entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Rassen Mastiff und Bordeauxdogge keine gefährlichen Hunde seien. Beide Rassen spielten in den Beißstatistiken anderer Länder keine Rolle. Zahlreiche Bundesländer hätten deshalb eine oder beide Rassen bei der Überarbeitung oder Neufassung ihrer Hundegesetze oder Hundeverordnungen aus den Listen der gefährlichen Hunde gestrichen. Es sei deshalb nicht zulässig, Hunde dieser beiden Rassen nur wegen ihrer Größe, ihres Gewichts und ihrer Kraft als mit einem besonderen Gefährdungspotential verbunden einzustufen. Andernfalls müssten auch Hunde der Rassen Rottweiler, Dogge, Bernhardiner, Alano, American Bulldog, Cane Corso, Dogo Canario etc. ebenfalls als gefährlich angesehen werden, da sie vergleichbar groß, schwer, stark seien und ebenfalls zu den Schutzhunden zählten. Das Verwaltungsgericht sei auch zu Unrecht der Ansicht, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellte Pflicht, die Einstufung der Hunderassen als abstrakt gefährlich nach Ablauf einer gewissen Übergangszeit durch ausreichendes Erfahrungsmaterial abzusichern, sei nicht verletzt.
10
Die Klägerin beantragt,
11
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30. Juni 2011 - 4 K 1377/10 zu ändern und den Hundesteuerbescheid der Beklagten vom 24.10.2007 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ravensburg vom 28.3.2008 insoweit aufzuheben, als die für das Jahr 2007 festgesetzte Jahressteuer den Betrag von 67,50 EUR übersteigt.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Berufung zurückzuweisen.
14
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 30. Juni 2011 - 4 K 1377/10 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
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Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung von Jugendhilfekosten, die er vom 08.11.2011 bis zum 07.08.2013 im Zusammenhang mit der teilstationären Unterbringung von ... aufgebracht hat.
2
Bei dem am 16.08.1995 geborenen ... wurde 2009 eine seelische Behinderung festgestellt (u.a. Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, F90.1). Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des Klägers wohnten zu diesem Zeitpunkt an verschiedenen Wohnorten im Zuständigkeitsbereich des Beklagten; ... hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter.
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Auf Antrag der Eltern bewilligte der Beklagte ... mit Bescheid vom 18.09.2009 ab dem 10.09.2009 Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII durch Unterbringung in der Wochen-Wohngruppe ... der Diakonischen Jugendhilfe ... und Beschulung in einer Schule für Erziehungshilfe. Die Wochenenden verbrachte ... bei seiner Mutter.
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Die Mutter von ... zog am 01.01.2010 nach ... um. Die Beklagte ging davon aus, dass gemäß § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII ihre bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt.
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Am 15.09.2011 kam es in der Wohngruppe ... zu einem Vorfall, bei dem ... einen 8-jährigen Jungen zu sexuell orientierten Handlungen aufforderte. Nach einem Bericht der Diakonischen Jugendhilfe ... vom 28.09.2011 wurde festgestellt, dass dies in der Vergangenheit bei zwei weiteren Jungen ebenfalls vorgekommen war. Die Einrichtung empfahl die stationäre Unterbringung in einer anderen Einrichtung.
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Am 23.09.2011 wurde das weitere Vorgehen vom Beklagten mit den Eltern von ... in einem Hilfeplangespräch besprochen. Der Inhalt wurde nicht schriftlich festgehalten. Nach Darstellung der Mutter von ... war vom Beklagten eine vollstationäre Unterbringung von ... ins Auge gefasst worden. Die Eltern von ... wandten sich mit Mail vom 25.09.2011 an den Beklagten und teilten zusammengefasst mit, sie seien von dem Hilfeplangespräch vom 23.09.2011 irritiert und betroffen. Dass ... nicht mehr in die Wochengruppe zurückkehren könne, sei nach dem Vorfall vom 15.09.2011 klar gewesen. Es könne jedoch nicht angehen, dass die ganze Verantwortung auf ... übertragen werde und ihm pädophile Neigungen angelastet würden, bevor eine kompetente fachliche Einschätzung eingeholt worden sei. Außerdem seien sich alle Anwesenden einig gewesen, dass ...s Entwicklung deutlich verzögert sei und er nicht wie ein 16jähriger zu behandeln sei. Sie bäten daher, die Jugendhilfe für ... zu beenden und ihnen die Unterlagen zu übergeben.
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Mit Bescheid vom 04.10.2011 stellte der Beklagte die gemäß § 35a SGB VIII bewilligte Eingliederungshilfe zum 23.09.2011 ein.
8
Bereits mit Antrag vom 29.09.2011 beantragten die Eltern von ... beim Kläger die Aufnahme ihres Sohnes in eine Wochengruppe. Nach einem Hausbesuch durch den Sozialen Dienst des Klägers sowie einem Hilfeplangespräch kam der Kläger ausweislich des Hilfeplanprotokolls vom 11.11.2011 zu dem Ergebnis, dass eine Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 32 SGB VIII angezeigt, nach derzeitiger diagnostischer Einschätzung aber auch ausreichend sei.
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Mit Bescheid vom 11.11.2011 bewilligte der Kläger den Eltern von ... ab dem 08.11.2011 Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 32 SGB VIII durch Unterbringung von ... in einer Tagesgruppe der Evangelischen Jugendhilfe .... Zwischenzeitlich wurde die Gewährung der Hilfe für ... vom Kläger mit Bescheid vom 12.08.2013 zum 07.08.2013 eingestellt.
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Mit Mail vom 30.11.2011 wandte sich der Kläger an den Beklagten und teilte mit, dass die Mutter von ... erneut einen Antrag auf Jugendhilfe gestellt habe. Dieser sei zunächst angenommen und bearbeitet worden. Zwischenzeitlich sei jedoch festgestellt worden, dass der Beklagte weiterhin örtlich und sachlich zuständig sei. Es werde daher die Übernahme des Jugendhilfefalles und die Erstattung der entstandenen Kosten beantragt.
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Mit Schreiben vom 16.12.2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er erkenne seine Zuständigkeit nicht an. Die Jugendhilfe sei zum 23.09.2011 beendet worden. An diesem Tag hätten beide sorgeberechtigten Eltern den Sozialen Dienst über den Wunsch auf Beendigung der Jugendhilfe mündlich einvernehmlich informiert. Aus der Mail vom 25.09.2011 gehe dies auch nochmals schriftlich hervor. Vom Sozialen Dienst sei den Eltern das breite Spektrum der Angebote der Jugendhilfe und Informationen über umfassende weiterführende Unterstützungsformen unterbreitet worden. Auf die Angebote seien die Eltern nicht eingegangen.
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Mit Schreiben vom 06.02.2012 bat der Kläger nochmals förmlich um Übernahme des Jugendhilfefalls zum 01.03.2012 sowie um Kostenerstattung gemäß § 89c SGB VIII ab dem 08.11.2011.
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Nachdem der Beklagte auch auf eine Erinnerung vom 09.03.2012 nicht reagierte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.09.2012, eingegangen am 10.10.2012 und dem Beklagten zugestellt am 15.10.2012, Klage erhoben.
14
Mit der Klage hat der Kläger ursprünglich (sachdienlich gefasst) beantragt, den Beklagten zu verpflichten, den Jugendhilfefall in eigener Zuständigkeit zu übernehmen und dem Kläger die in der Zeit vom 08.11.2011 bis 31.08.2012 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen für ... in Höhe von 20.051,34 EUR zuzüglich Prozesszinsen zu erstatten. Nachdem zwischenzeitlich die Gewährung der Hilfe für ... vom Kläger zum 07.08.2013 eingestellt worden war, hat dieser in der mündlichen Verhandlung seinen Klageantrag auf Übernahme des Jugendhilfefalles fallen gelassen und seine Klage auf Erstattung der vom 01.09.2012 bis 07.08.2013 weiter angefallenen Jugendhilfekosten für ... in Höhe 25.909,16 EUR zuzüglich Prozesszinsen erweitert.
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Zur Begründung trägt der Kläger Folgendes vor: Unstreitig habe der Beklagte vom 15.09.2009 bis 23.09.2011 aufgrund eigener Zuständigkeit Jugendhilfe gewährt; zunächst aufgrund der Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 1 SGB VIII und ab dem 01.01.2010, nachdem die sorgeberechtigte Kindesmutter nach … W.../Landkreis Emmendingen verzogen war, gemäß § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII. Bezüglich einer Unterbrechung oder eines Neubeginns einer Leistung seien die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.01.2004 (5 C 9.03) aufgestellten Grundsätze maßgeblich. Danach sei bei der Auslegung der Zuständigkeitsregelungen für den Begriff der Leistung eine Gesamtbetrachtung zugrunde zu legen. Darunter falle alles, was zur Deckung eines qualitativ unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlich sei. Dies gelte auch dann, wenn sich bei dem auf einen längeren Zeitraum angelegten Hilfeprozess Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfs verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Änderungen bzw. Ergänzungen – auch bis zu einem Wechsel der Hilfeart – erforderlich würden. Nach diesen Grundsätzen bestehe kein Zweifel, dass es sich trotz der Aussetzung der Leistung in der Zeit vom 24.09.2011 bis zum 07.11.2011 (Unterbrechung um weniger als drei Monate) um einen einheitlichen Hilfeprozess und einer sich hieraus ergebenden Zuständigkeit des Beklagten nach § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII handele. Dies ergebe sich auch aus dem Hilfeplan des Beklagten vom 06.06.2011. Eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten ergebe sich aus § 105 Abs. 1 SGB X, da das Jugendamt des Klägers als unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, ihm die in der Zeit vom 08.11.2011 bis 07.08.2013 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen für ... in Höhe von 45.960,50 EUR zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz aus 20.051,34 EUR ab dem 15.10.2012 sowie aus weiteren 25.909,16 EUR ab dem 25.02.2015 zu erstatten.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, die Hilfe für ... sei aufgrund des ausdrücklichen Wunsches beider Elternteile beendet worden. Der Soziale Dienst des Beklagten habe den Eltern im Hilfeplangespräch vom 23.09.2011 das ganze Angebot der Jugendhilfe unterbreitet, eine konkrete Hilfe sei nicht angedacht gewesen. Die Eltern hätten einvernehmlich und übereinstimmend darum gebeten, die Jugendhilfe zu beenden. Die Kindesmutter habe erklärt, dass sie ... bei sich betreuen und versorgen könne. Die Eltern hätten sich auch nicht mehr an den bisher zuständigen Träger der Jugendhilfe gewandt, sondern den Antrag beim Kläger gestellt. Weiter gehe der Beklagte davon aus, dass sich der Jugendhilfebedarf durch die Beendigung der Hilfe und den Umzug der Mutter geändert habe. Dies vor allem dadurch, dass die Eltern zum Zeitpunkt der Beendigung keinen Hilfebedarf mehr gesehen hätten, die Schulsituation ungeklärt gewesen sei und sich die Mutter-Kind-Situation als ausreichend geklärt dargestellt habe. Daher sei keine Fortführung der beendeten Hilfe gegeben, sondern es habe sich um eine neue Hilfe gehandelt. Dadurch ergebe sich die Zuständigkeit des Klägers gemäß § 86 Abs. 2 S. 2 SGB VIII.
21
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.01.2015 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten des Klägers und des Beklagten verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
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Hessisches Landessozialgericht 1. Senat | Hessen | 0 | 0 | 31.05.1979 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen an Schlechtwettergeld – SWG – und die Rückforderung eines Betrages von 22.720,70 DM für den Zeitraum vom Dezember 1973 bis Februar 1976.
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Die Klägerin betreibt ein Straßenbauunternehmen, das für die Ausführung von Straßenbauarbeiten eine größere Anzahl von Lastkraftwagen, etwa 8 bis 10, zum Transport von Erdmassen und Straßenbaugütern unterhält. Sie bezog u.a. in der zeit von Dezember 1973 bis Februar 1976 auf und forderte einen Betrag in Höhe von 26.844,00 DM unter Berufung auf den Vorbehalt der Rückforderung von SWG zurück. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1976 zurück, Streitbefangen ist danach nur noch ein Betrag von 22.720,70 DM. Die Rückforderung beruht auf dem SWG-Bezug von Kraftfahrern für Zeiten, in denen die LKWs polizeilich abgemeldet waren und daher nach Auffassung der Beklagten der Arbeitsausfall nicht ausschließlich witterungsbedingt war.
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3
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 17. Januar 1977 Klage. Sie trug vor, die Beklagte habe zu Unrecht den SWG-Anspruch jeweils für solche Kraftfahrer von LKWs der Klägerin aberkannt, deren Fahrzeuge für bestimmte Zeiten in der gesetzlichen SWG-Periode abgemeldet worden seien. Die Arbeitsausfälle der betroffenen LKW seien ausschließlich auf zwingende Witterungsgründe zurückzuführen. Die Beklagte haben auch für sämtliche Fälle, in denen SWG-Leistungen zurückgefordert werden, witterungsbedingte Arbeitsausfall dem Grunde nach anerkannt. Sie habe lediglich bestritten, dass die Witterungsgründe nicht ausschließlich gewesen, sondern Mitursache die Abmeldung der LKWs gewesen sei. Dabei lassen die Beklagten jedoch außer Betracht, dass die Klägerin in besonderem Maße durch witterungsbedingte Einflüsse betroffen sei und Beeinträchtigungen auch für längere Zeiträume eintreten. Die Beklagte sei insoweit auch undifferenziert vorgegangen, indem sie übersehen habe, dass beispielsweise auf einigen Baustellen mehrere LKWs eingeteilt gewesen seien, von denen z.B. einer abgemeldet und einer Transporte ausgeführt habe, wobei sie mit der Rückforderung auch LKW-Fahrer erfasst habe, deren LKWs allein in SWG überführt worden seien, sondern dass mit ihnen zusammen immer noch mehrere Arbeitsnehmer, mindestens jedoch noch ein weiterer, von witterungsbedingten Arbeitsausfall betroffen worden sei. Zu den betroffenen Arbeitsnehmern und den Rückforderungstatbestände machte die Klägerin im einzelnen Angaben. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Fahrzeuge, wie aus einer Bestätigung der Zulassungsstelle des Main-Kinzig-Kreises vom 31. Januar 1977 folge, jederzeitig kurzfristig, nämlich innerhalb von 1 bis 1 ½ Stunden, wieder hätten angemeldet werden können.
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Das Sozialgericht Fulda wies die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 1977 ab; es ließ die Berufung zu. Zur Begründung führte es an, Voraussetzung für die Gewährung von SWG sei gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AFG, dass der Arbeitsausfall ausschließlich durch zwingende Witterungsgründe verursacht sei. Diese Leistungsvoraussetzung sei nicht erfüllt. Einen sofortigen Arbeitseinsatz der als Fahrer beschäftigten Arbeitnehmer hätten vorliegend nicht nur Witterungsgründe, sondern auch die fehlende Betriebsbereitschaft der Fahrzeuge wegen polizeilicher Anmeldung entgegengestanden. Der Arbeitsausfall sei daher nicht ausschließlich witterungsbedingt. Das längerfristige Risiko der Vorhaltung von Betriebsmitteln könne nicht durch die jeweils nur kurzfristige anwendbare SWG-Regelung abgedeckt werden. Die Rückforderung sei deshalb rechtens; die Leistungen seien auch unter dem Vorbehalt der Rückforderung nach Überprüfung der Abrechnungsunterlagen gewährt worden, und die Klägerin habe sich in den allgemeinen Leistungsanträgen für einen solchen Fall ausdrücklich zur Rückzahlung verpflichtet.
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Gegen dies an die Klägerin durch Einschreibung am 12. Januar 1978 zur Post aufgelieferte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom 9. Februar 1978, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 10. Februar 1978 eingelegte Berufung.
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Sie trägt vor, das Sozialgericht habe außer Betracht gelassen, dass die Fahrzeuge witterungsbedingt auch ohne die vorgenommene Abmeldung nicht einsetzbar gewesen wären und somit der Arbeitsausfall ihrer Fahrer ausschließlich witterungsbedingt gewesen sei. Es sei nicht ausreichend gewürdigt, dass zwei Gründe für die eingetretenen Arbeitsausfälle zusammenfielen, nämlich die auf der Baustelle herrschende Witterung zum einen und die fehlenden Einsatzmöglichkeit der LKWs infolge polizeilicher Abmeldung zum anderen. Letzterer Grund beruhe jedoch ausschließlich gleichfalls auf witterungsbedingten Gründen, da diese zur Abmeldung des Anlass gaben. In Falle der Wetterbesserung hätte die Klägerin ihre einsetzbaren LKWs sofort wider angemeldet (Beweis: Zeuge S.). Die sofortige Betriebsbereitschaft der Fahrzeuge sei stets gegeben gewesen. In dem Moment, in dem das Wetter den Einsatz der LKWs benötigt, wird und würde ihnen bereits als Arbeitszeit angerechnet und dementsprechend entlohnt werden. Hierbei handele es sich ohne dies nur um Zeiträume bis zu 1 ½ Stunden, wie aus der Bescheinigung der Zulassungsstelle folge.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 6. Dezember 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1976 aufzuheben,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
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Sie ist der Auffassung, der Arbeitsausfalle habe, soweit SWG für die Fahrer von LKWs, die abgemeldet worden seien, gewährt worden sei, nicht ausschließlich Ursache des Arbeitsausfall, wenn auch ohne diese Gründe, also anderen als witterungsbedingten Gründe, nicht gearbeitet worden wären. Bei einer Besserung des Wetters hätten die Fahrer nicht sogleich die vorgesehenen Arbeiten verrichten können, da die LKWs erst hätten zugelassen werden müssen. Abzustellen wäre allein die Abmeldung der LKWs ursächlich gewesen. Das Vorliegen witterungsbedingter Einflüsse werde nicht bestritten.
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Wegen des weiteren Vorbringens des Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der WG/SWG-Akte der Beklagten, Stamm-Nr. ..., Arbeitsamt H., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen. | I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 6. Dezember 1977 sowie der Bescheid de Beklagten vom 13. Oktober 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1976 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
LG Hamburg 6. Zivilkammer | Hamburg | 0 | 1 | 01.06.2018 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
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Am 8. Januar 2017 gegen 20:30 Uhr kam es in der M.str., Höhe Hausnummer ..., H., zu einem Zusammenstoß eines Fahrzeugs vom Typ Audi A8, amtliches Kennzeichen ..., das dem Kläger gehört und zum Unfallzeitpunkt von ihm gefahren wurde, und einem Fahrzeug vom Typ VW, amtliches Kennzeichen ..., zum Unfallzeitpunkt gefahren vom Beklagten 1) und haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 2). Wegen der örtlichen Gegebenheiten wird auf die Anlagen 1. und 2. zum Terminsprotokoll vom 15.5.2018 verwiesen.
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3
An dem Fahrzeug des Klägers kam es infolge der Kollision zu einem Schaden im vorderen linken Bereich (vgl. Anlage K1). Die zum Unfallort gerufene Polizei nahm ausweislich der vom Gericht beigezogenen Bußgeldakte (polizeiliches Aktenzeichen ... zu den Schäden am Beklagtenfahrzeug auf „Delle und Kratzer in der Stoßstange vorne links“.
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4
Ausweislich eines vom Kläger bei der H. Ingenieurbüro GmbH eingeholten Schadensgutachtens betrug der (steuerneutrale) Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt 4.200,00 €, der Restwert 250,00 €, während die Reparaturkosten (netto) zur sach- und fachgerechten Reparatur des Schadens bei 11.025,37 € lagen. Für die Einholung des Schadensgutachtens entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von 697,82 € (brutto).
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Den daraus errechneten Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.950,00 € nebst der Kosten für das Schadensgutachten sowie eine Kostenpauschale in Höhe von 20,00 € macht der Kläger im hiesigen Verfahren geltend nebst Feststellungsantrag bezüglich möglicherweise noch erstattungspflichtigen Nutzungsausfalls und Umsatzsteuer.
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6
Der Kläger behauptet nach seiner persönlichen Anhörung im Termin, er sei mit seinem vorwärts eingeparkten Fahrzeug zunächst rückwärts aus einer der Parkbuchten gefahren, die sich in der M.str. unweit der späteren Unfallstelle schräg zur Fahrbahn befinden. Er sei dann, um zu wenden, mit seinem Fahrzeug die Straße in östlicher Fahrtrichtung bis zum Parkplatz bei der Hausnummer ... gefahren. Auf diesen sei er mit der Fahrzeugfront eingefahren, habe sodann rückwärts davon wieder herunter gesetzt, nunmehr in westlicher Fahrtrichtung befindlich, und sei sodann einige Meter gefahren, bis er das ihm schnell entgegenkommende Fahrzeug der Beklagtenseite gesehen und daraufhin sein eigenes Fahrzeug in der dort befindlichen Fahrbahnverschwenkung („Parkschikane“) zum Stillstand gebracht habe, weil es in der Straße dort sehr eng sei. Das Beklagtenfahrzeug habe ihn dann vorne an der Ecke frontal getroffen und ihn seitlich nach hinten geschoben. Zum Zeitpunkt der Kollision sei seine Fahrzeugfront „bestimmt schon komplett“ zu seiner beabsichtigten Fahrtrichtung nach rechts eingeordnet gewesen. Das Heck sei vielleicht noch ein bisschen auf der linken Seite der Fahrbahn gewesen. Die Schadenshöhe ergebe sich hinreichend aus dem eingeholten Schadensgutachten.
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Der Kläger beantragt,
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8
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 4.667,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 6. März 2017 zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 18. Januar 2017 gegen 20:30 Uhr auf der M.str. in ... H. mit einer Haftungsquote von 100 % zu ersetzen;
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3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen
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Klagabweisung.
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Der Kläger sei, als der Beklagte zu 1) seinerseits die M.str. in östlicher Fahrtrichtung befuhr, vom Parkplatzgrundstück der M.str. ... nach links auf diese eingebogen. Der Beklagte zu 1) habe noch gebremst, habe eine Kollision aber nicht mehr verhindern können. Der Einfahrvorgang des Klägers sei zum Zeitpunkt der Kollision noch nicht abgeschlossen gewesen. Der steuerneutrale Wiederbeschaffungswert des zum Unfallzeitpunkt 18 Jahre alten Klägerfahrzeugs mit einer Laufleistung von ca. 237.000 km betrage zudem allenfalls 3.500,00 €.
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Das Gericht hat den Kläger persönlich angehört sowie den Zeugen B. (Beifahrer im Beklagtenfahrzeug) vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll verwiesen. Ferner wurde die Bußgeldakte der Polizei H. zum Verfahren beigezogen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.209,42 € festgesetzt. | 0 |
VG Gera 5. Kammer | Thüringen | 0 | 1 | 10.03.2014 | 0 | Randnummer
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Die Gemeinde wendet sich gegen einen Widerspruchsbescheid des Landes, der einen Bescheid aufhebt, mit dem sie ein gesetzliches Vorkaufsrecht beansprucht und ausgeübt hat.
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2
Die Klägerin liegt etwa 12 km südwestlich von Jena. Sie hat etwa 800 Einwohner und gehört dem Saale-Holzland-Kreis an. Sie ist Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft „Südliches Saaletal“. Die Aufgaben der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung hat die Klägerin dem Zweckverband JenaWasser (Zweckverband) übertragen. Das Gemeindegebiet umfasst unter anderem die Gemarkung P..., die vor allem mit Wald bestanden ist. In ihrer Flur 2 liegt das gut 4.000 qm große Flurstück a (im Folgenden: „das Grundstück“). Von dort sind es zum Ortskern der Klägerin etwa 9 km Weg. Das Grundstück ist zum Teil bewaldet, zum Teil mit Gras und Gebüsch bewachsen. Zu seiner Mitte hin befindet sich - in einem kleinen, bunkerähnlichen Betongebäude gefasst -, eine Quelle.
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3
In den 1930er Jahren hatte die Mutter der Beigeladenen unter anderem das Grundstück erworben. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verließ ihre Familie Thüringen. Anfang der 1990er Jahre beantragte sie die Restitution des Grundstücks. Seinerzeit war die Ostthüringer Wasserversorgung und Abwasserbehandlung GmbH Eigentümerin der Liegenschaft. Ab Ende der 1990er Jahre stand es im Eigentum des Zweckverbandes. Seinem Eigentumserwerb lag der Kaufvertrag vom 25. Februar 1999 zu Grunde. Darin hatte sich die Beigeladene (sowie zwei weiteren Miterben) ein Wiederkaufrecht einräumen lassen. Bis 2009 nutzte der Zweckverband die Grundstücksquelle zur Wasserversorgung der Klägerin; seitdem erfolgt sie anderweitig. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. November 2011 verkaufte er der Beigeladenen (und zwei weitere Miterben) das Grundstück für 2.117,77 €.
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Am 19. Dezember 2011 zeigte der den Kaufvertrag beurkundende Notar der Klägerin den Verkauf an. Er bat um die Erteilung eines Bescheides über das Nichtbestehen oder die Nichtausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts. Hierauf beschloss der Gemeinderat der Klägerin am 7. Februar 2012 - gestützt auf §§ 24 ff. Baugesetzbuch, § 30 Thüringer Denkmalschutzgesetz, § 3 Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz und § 17 Thüringer Waldgesetz -, an dem Grundstück das Vorkaufsrecht auszuüben. Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 erklärte die Klägerin gegenüber dem Zweckverband und der Beigeladenen (sowie den weiteren Miterben) unter Bezugnahme auf den Kaufvertrag vom 29. November 2011:
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„… möchten wir Ihnen mitteilen, dass der Gemeinderat der Gemeinde Milda in seiner Sitzung vom 07.02.2012 beschlossen hat, das gesetzliche Vorkaufsrecht an dem Flurstück 350/2 der Gemarkung P... geltend zu machen bzw. wahrzunehmen. Die Gemeinde Milda wird in den Kaufvertrag einsteigen, um das Grundstück käuflich erwerben zu können.
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Begründung:
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Auf dem Grundstück befindet sich eine Keller-Quelle und diese soll als Notwasserversorgung der Gemeinde Milda zukünftig genutzt werden. Bis 2009 war diese Quelle die Wasserversorgung für das Gemeindegebiet.“
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Hiergegen erhob die Beigeladene am 23. Juli 2012 Widerspruch. Sie machte vor allem geltend, dass das Vorkaufsrecht nicht zum Zwecke der Sicherstellung der Notwasserversorgung ausgeübt werden dürfe, da die Klägerin die Aufgabe der Wasserversorgung auf den Zweckverband übertragen habe.
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9
Die Klägerin half dem Widerspruch nicht ab. Daraufhin erließ das Landratsamt Saale-Holzland-Kreis den der Klägerin am 20. Februar 2013 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2013. Hierdurch hob er den Bescheid vom 13. Februar 2012 über die Ausübung des Vorkaufsrechts auf. Die im Gemeinderatsbeschluss genannten Rechtsgrundlagen seien nicht einschlägig. Die im Bescheid angeführte Notwasserversorgung rechtfertige das Vorkaufsrecht ebenfalls nicht.
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Am 19. März 2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, dass
§ 52 Abs. 1 Nr. 1 des Thüringer Naturschutzgesetzes (ThürNatG)
die Ausübung des Vorkaufsrechts zulasse. Das Grundstück liege im FFH-Gebiet Reinstädter Berge-Langer Grund und sei damit Lebensraum geschützter Fledermaus- und Vogelarten sowie von Orchideen. Allein sie, die Klägerin, könne die Erhaltung dieses Lebensraums garantieren. Sie habe bei der oberen Naturschutzbehörde vorsorglich beantragt, dass das gesetzliche Vorkaufsrecht nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 des Bundes-Naturschutzgesetzes (BNatSchG) zu ihren Gunsten für den Kauf des Grundstücks ausgeübt werde.
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Die Klägerin beantragt,
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12
den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Saale-Holzland-Kreis vom 13. Februar 2013, zugestellt am 20. Februar 2013, Az. 622.33/MIL-HOLTZ-KABUS, aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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14
die Klage abzuweisen.
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15
Er weist darauf hin, dass die obere Naturschutzbehörde am 18. April 2013 den Antrag der Klägerin auf Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG) abgelehnt habe. Die Voraussetzungen zur Ausübung des Vorkaufsrechts nach
§ 52 Abs. 1 Satz 1 ThürNatG
lägen nicht vor. Das angeführte FFH-Gebiet gehöre nicht zu den in der Vorschrift genannten Schutzgebieten. Das Grundstück stelle weder ein geeignetes Schutzgebiet dar, noch sei seine Unterschutzstellung gerechtfertigt. Auch eine Privatperson könne Adressat naturschutzrechtlicher Auflagen sein. Es sei nicht zwingend erforderlich, dass das Grundstück im Eigentum der öffentlichen Hand stehe. Die obere Naturschutzbehörde habe keine naturschutzfachliche Rechtfertigung für die Ausübung des Vorkaufsrechts gesehen.
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16
Die Beigeladene beantragt,
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17
die Klage abzuweisen.
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Sie ist vor allem der Auffassung, dass keine der im Beschluss des Gemeinderats genannten gesetzlichen Vorkaufsermächtigungen erfüllt seien. Das gelte auch für die im Klageverfahren geltend gemachte Vorschrift des
§ 52 ThürNatG
. Auf dem Grundstück befänden sich weder Orchideenvorkommen noch geschützte Fledermaus- oder Vogelarten. Der Verkauf beeinträchtige Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege nicht. Das Grundstück liege im Wald an einer Straße. Sie, die Beigeladene, werde die Quelle samt Gebäude erhalten.
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Die Kammer hat durch Beschluss vom 30. Januar 2014 den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht eine Vertreterin der unteren Naturschutzbehörde des Saale-Holzland-Kreises zu der naturschutzfachlichen Rechtfertigung für die Inanspruchnahme des Grundstücks gehört. Zum Ergebnis wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Behördenvorgang genommen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger selbst Sicherheit in dieser Höhe leistet. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 7. Senat | Berlin | 1 | 1 | 17.01.2013 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Beklagten, den Umsatzsteuerbescheid 2008 betreffend den ehemaligen Rechtsanwalt A.. an den Kläger als Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei bekanntzugeben und ihn zur Umsatzsteuer heranzuziehen.
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Der Kläger wurde von der Rechtsanwaltskammer L... mit Bestellungsurkunde vom ..10.2008 mit Wirkung ab diesem Tage bis zum ...03.2009 gemäß § 55 Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO- als Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei A.. bestellt. Herr A.. hatte seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgegeben. Damit bestand für die Abwicklung seiner Kanzlei, insbesondere der laufenden Mandate, das Bedürfnis, einen Abwickler zu bestellen. Die Bestellung als Abwickler wurde auf Antrag des Klägers mit Schreiben vom ...03.2009 bis zum ...07.2009 verlängert und endete mit Ablauf dieses Tages.
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Der Beklagte setzte mit einem im Adressfeld an den Kläger gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das dritte Kalendervierteljahr 2008 vom 17.11.2008 eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung in Höhe von … € zuzüglich eines Verspätungszuschlages in Höhe von …€ „für Herrn A..“ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung -AO- fest.
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Daraufhin legte der Kläger mit bei dem Beklagten am 27.11.2008 eingegangenen Schreiben Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid ein. Zur Begründung berief er sich darauf, dass er als Abwickler der Kanzlei nicht für Umsatzsteuer-Voranmeldungen zuständig sei, deren Voranmeldungs-Zeiträume vor seiner Bestellung als Abwickler liegen würden. Er habe in der Funktion als Abwickler lediglich die für den Abwicklungszeitraum anfallenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu leisten. Da er erst seit dem 06.10.2008 als Abwickler bestellt sei, sei dies auch erst die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Kalendervierteljahr 2008. Für das dritte Kalendervierteljahr sei Herr A.. weiter verantwortlich, der auch zu Handlungen in der Lage sei. Er, der Kläger, sei zudem an der Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte Kalendervierteljahr 2008 schon deshalb gehindert, weil ihm die Buchhaltungsunterlagen für diesen Zeitraum nicht vorliegen würden. Er gehe nicht von einer wirksamen Zustellung des an ihn gerichteten Bescheides aus. Er werde auch keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2008 einreichen.
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Die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das vierte Kalendervierteljahr 2008 reichte der Kläger beim Beklagten ein und zahlte auch die sich ergebende Umsatzsteuerzahllast in Höhe von … €.
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Am 27.03.2009 erließ der Beklagte einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2008, mit dem er die Umsatzsteuer 2008 in Höhe von …. € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO festsetzte. Dabei schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen, weil ihm keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2008 vorlag. Auch diesen Bescheid richtete der Beklagte im Adressfeld an den Kläger und erwähnte, dass die Festsetzung „für Herrn A..“ erfolge. Der Bescheid wurde zum Gegenstand des laufenden Einspruchsverfahrens. Zudem legte der Kläger auch gegen diesen Bescheid Einspruch ein, den der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung, die dem Kläger am 01.07.2009 zugegangen ist, als unzulässig verwarf.
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Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 03.06.2009 wies der Beklagte den am 27.11.2008 eingegangenen Einspruch als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung richtete er an „Rechtsanwalt B... als Abwickler i.S. § 55 Bundesrechtsanwaltsordnung der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts A..“. Den Vorbehalt der Nachprüfung ließ er bestehen. Die Besteuerungsgrundlagen seien zu Recht geschätzt worden. Der Kläger habe seine Pflicht zur Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte Kalendervierteljahr 2008 und zur Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2008 für Herrn A.. verletzt. Daher sei er, der Beklagte, zur Schätzung berechtigt. Der Kläger sei als Abwickler der Kanzlei gemäß § 55 BRAO verpflichtet, die steuerlichen Pflichten des ehemaligen Rechtsanwalts A.. zu erfüllen, soweit seine Vermögensverwaltung reiche, mithin soweit die Rechtsanwaltskanzlei betroffen sei. Er sei Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 1 AO. Für den Teil des Unternehmens des ehemaligen Rechtanwalts, der von der Kanzleiabwicklung betroffen sei, trete der Kläger als Abwickler neben den Steuerschuldner, der auch weiterhin Unternehmer bleibe. Die die Kanzlei betreffenden Umsatzsteuerbescheide seien an den Abwickler zu richten. Die Verpflichtung, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, betreffe auch zurückliegende Zeiträume. Damit sei der Kläger sowohl für die Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte Kalendervierteljahr 2008 als auch für die Einreichung der Umsatzsteuererklärung 2008 zuständig, soweit Umsätze aus der Kanzlei zu erklären gewesen seien.
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Daraus folge auch, dass die hier streitigen Bescheide dem Kläger als Bekanntgabeadressat bekannt zu geben gewesen seien, da die Bekanntgaben in die Zeit der Bestellung des Klägers als Abwickler gefallen seien. Die Bescheide seien wirksam geworden. Als Inhaltsadressat sei - wie dies geschehen müsse - der Steuerschuldner mit Herrn A.. jeweils angegeben gewesen.
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Am 25.06.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er hält zur Begründung an seiner im Einspruchsverfahren geäußerten Rechtsansicht fest, dass ein Abwickler gemäß § 55 BRAO kein Vermögensverwalter im Sinne des § 34 AO sei. Ein Abwickler sei nur für die Steuererklärungen zur Abgabe verpflichtet, die im Zeitraum seiner Bestellung abzugeben seien. Er sei nur verpflichtet, die während der Zeit als Abwickler angefallenen Umsätze zu erklären, nicht aber Umsätze, die vor der Bestellung als Abwickler angefallen seien. Er habe sich allein um die Abwicklung bestehender Mandate zu kümmern. Auch sei es nicht möglich, Umsätze einzusehen und zu erklären, die in Zeiten vor der Bestellung als Abwickler angefallen seien, da kein Zugriff auf Unterlagen bestehe.
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Der Kläger hat zunächst beantragt,
den Bescheid über Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das dritte Kalendervierteljahr 2008 vom 17.11.2008 in Gestalt des Bescheides über Umsatzsteuer 2008 vom 27.03.2009 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 04.06.2009 aufzuheben.
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Er hat mit Schreiben vom 05.08.2009 nach Ende der Bestellung als Abwickler den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt,
die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er ist der Erledigungserklärung des Klägers entgegen getreten. Die Hauptsache habe sich nicht erledigt, weil die an den Kläger bekanntgegebenen Bescheide weiterhin wirksam seien, auch wenn die Bestellung des Klägers zum Abwickler geendet habe.
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Daraufhin hat der Kläger seine Hauptsacheerledigungserklärung widerrufen und hat erklärt, dass er seinen zunächst gestellten Antrag auf Aufhebung des streitigen Umsatzsteuerbescheides 2008 weiterhin stelle.
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Zur Begründung des Klageabweisungsantrags führt der Beklagte aus, dass er die streitigen Bescheide während der Abwicklungszeit zu Recht gegenüber dem Kläger bekannt gegeben habe. Diese seien wirksam. Zur Begründung verweise er auf die in der Einspruchsentscheidung niedergelegten Gründe und führt ergänzend aus, dass die Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung den Abwickler treffe, wenn die Erklärungspflicht in den Zeitraum der Bestellung als Abwickler falle. Ferner gehöre zu den Pflichten des Abwicklers auch die Pflicht zur Entgegennahme der Steuerbescheide.
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Dem Gericht hat bei der Entscheidung Band I der Umsatzsteuerakten, eine Mappe mit Unterlagen zu den Umsatzsteuer-Voranmeldungen und eine Heftung des Beklagten zum Einspruchsverfahren des Klägers zur Steuernummer …/…/….. vorgelegen, unter der Herr A.. beim Beklagten geführt wird. | Abweichend von dem Umsatzsteuerbescheid vom 27.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.06.2009 wird die Umsatzsteuer 2008 in Höhe von .. € festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
AG Frankfurt 11. Einzelrichter | Hessen | 0 | 1 | 29.09.2021 | 1 | Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten Schadens- und Aufwendungsersatzansprüche wegen Verletzung von Urheberrechten im Hinblick auf das im April 2014 erstveröffentlichte Computerspiel „…“ geltend.
Der im Jahr 1954 geborene Beklagte zu 2) hat mit Wissen und Billigung der im Jahr 1964 geborenen Beklagten zu 1), seiner Ehefrau, einen unter der gemeinsamen Wohnanschrift der Beklagten gelegenen Internetanschluss unter dem Namen „A“ angemeldet.
Mit der Ermittlung von IP-Adressen, über die unerlaubt das Computerspiel „…“ zum Download angeboten wird, beauftragte die Klägerin den Dienstleister B GmbH.
Die Klägerin erwirkte beim Landgericht Köln (Az.: 225 O 103/15 und 233 O 44/16) gegenüber dem Provider des unter dem Namen „A“ angemeldeten Internetanschlusses die Gestattung, Auskunft zu erteilen, über Namen und Anschrift der Nutzer, denen u.a. die IP-Adressen 79.255.23.134 am 05.12.2015 um 18:37:24 Uhr und 79.255.28.51 am 05.03.2016 um 23:59:36 Uhr und um 23:59:56 Uhr zugewiesen waren.
Zu diesen Zeitpunkten waren auch die Kinder der Beklagten unter der Anschrift der Beklagten wohnhaft und verfügten über folgende Endgeräte, wobei die vorhandenen Computer von allen Kindern mitbenutzt wurden:
… (geb. am …1990) – ein Smartphone,
… (geb. am …1992) – ein Smartphone,
… (geb. am …1993) – ein Laptop und ein Smartphone,
… (geb. am …1997) – ein Laptop und ein Smartphone,
… (geb. am … 1998) – ein Smartphone,
… (geb. am … 2001) – kein eigenes Endgerät
und … (geb. … 1994) – ein Laptop und ein Smartphone.
Mit Schreiben vom 23.06.2016 adressiert an „A“ forderte die Klägerin durch die Klägervertreter zur Unterlassung rechtsverletzender Handlungen auf. Die Klägerin macht hierfür vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 20.000,- EUR in einer Höhe von 984,60 EUR geltend. Die Beklagte zu 1) gab daraufhin eine Unterlassungserklärung ab. Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagten ferner auf einen Teilschadensersatz in Höhe von 1.000,- EUR in Anspruch.
Die Klägerin behauptet, sie sei u.a. für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland exklusiv berechtigt, das Computerspiel „…“ als Retail DVD-ROM herzustellen, zu bewerben, zu veröffentlichen und zu vertreiben und über das Internet begangene Rechtsverletzungen zu verfolgen.
Nachdem sie zunächst behauptet hat, Inhaber des unter dem Namen „Samina Riaz“ angemeldeten Internetanschlusses sei die Beklagte zu 1), behauptet die Klägerin zuletzt, beide Beklagte seien Inhaber dieses Internetanschlusses und trügen auch die hierfür entstehenden Kosten gemeinsam.
Die Klägerin behauptet ferner, das Computerspiel „…“ sei zu den oben genannten Zeitpunkten über die oben genannten IP-Adressen über ein Filesharingnetzwerk Dritten zum Download bereitgehalten worden. Diese IP-Adressen seien zu den genannten Zeitpunkten dem Internetanschluss der Beklagten zugeordnet gewesen. Die Kinder der Beklagten hätten zu den streitgegenständlichen Tatzeitpunkten den Anschluss der Beklagten tatsächlich nicht genutzt. Sie hätten zu keinem Zeitpunkt über den Anschluss der Beklagten Tauschbörsensoftware genutzt und die streitgegenständliche Datei nicht widerrechtlich Dritten zum Download angeboten. Sie interessierten sich nicht für Werke der streitgegenständlichen Art, hätten das streitgegenständliche Werk nicht konsumiert und dieses zum Tatzeitpunkt nicht gekannt. Die Beklagten hätten die Kinder zu den streitgegenständlichen Vorfällen bis heute nicht befragt und Nachforschungen nicht angestellt.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten hafteten aufgrund der gegen sie als Inhaber des Internetanschlusses streitenden Täterschaftsvermutung. Die Beklagten seien der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Ferner ist die Klägerin der Ansicht, die Beklagten hafteten gemeinschaftlich für die streitgegenständliche Rechtsverletzung.
Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, für die vorgerichtliche Abmahnung sei ein Gegenstandswert von 20.000,- EUR angemessen.
Nachdem die Klägerin zunächst nur die Beklagte zu 1) in Anspruch genommen hat, hat sie mit Schriftsatz vom 02.03.2021 die Klage auf den Beklagten zu 2) erweitert und beantragt zuletzt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag von 984,60 EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.07.2016 zu zahlen;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen weiteren Betrag über 1.000,- EUR nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.07.2016 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, Inhaber des von dem Beklagten zu 2) unter dem Namen „A“ angemeldeten Internetanschlusses sei allein der Beklagte zu 2), der auch für die Kosten aufgekommen sei.
Die Beklagten bestreiten, die streitgegenständliche Rechtsverletzung begangen zu haben. Sie behaupten, sie hätten keinerlei Interesse an oder Zugang zu Computerspielen und insbesondere schon gar nicht zu solchen wie dem hier streitgegenständlichen. Der streitgegenständliche Internetanschluss sei von keinem von ihnen, sondern nur von ihren Kindern genutzt worden. Der Internetzugang sei im Hinblick darauf eingerichtet worden, dass diese den schulischen Anforderungen entsprechend entsprechende Recherchen durchführen konnten. Ferner habe der Internetanschluss zeitlich begrenzt von den Kindern zur Unterhaltung genutzt werden dürfen. Im streitgegenständlichen Zeitraum hätten ihre damals in ihrem Haushalt wohnhaften Kinder …, …, …, …, …, … und … Zugriff auf den streitgegenständlichen Internetanschluss gehabt. Sie hätten alle ihre Kinder zu den streitgegenständlichen Vorfällen befragt. Keines der Kinder habe ihnen gegenüber auf die Nachfrage hin eingeräumt, die Rechtsverletzung begangen zu haben. Nach ihren technischen Kenntnissen seien sie nicht in der Lage gewesen, die Endgeräte nach der Abmahnung auf den entsprechenden Download hin zu untersuchen.
Nachdem das Gericht mit Beweisbeschluss vom 02.06.2021/26.07.2021 die Beweisaufnahme durch Vernehmung der Kinder der Beklagten angeordnet hat, hat die Klägerseite im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 08.09.2021 ihr Beweisangebot zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der vorgetragenen Rechtsansichten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungsrechtliche Status des Beigeladenen Ziff. 1 in seiner Tätigkeit als „Berater“ bzw. „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ im Zeitraum 01.03.2006 bis 31.12.2015 streitig.
2
Der Kläger ist seit 2002 selbstständiger Rechtsanwalt in F. Der 1965 geborene Beigeladene Ziff. 1 hat 1994 ein Studium der Kulturpädagogik in H mit dem Abschluss Diplomkulturpädagoge abgeschlossen. 1995 war er als Projektentwickler für Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte für Langzeitarbeitslose beim Deutschen Gewerkschaftsbund in H beschäftigt, 1996/1997 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität H. Von 1997 bis 2005 arbeitete er als freiberuflicher Betreuer in H. Ab dem 01.03.2006 bis zum 31.12.2015 war der Beigeladene Ziff. 1 in der Rechtsanwaltskanzlei „Sozialrecht in F“ tätig, daneben übte er seit 1999 Unterrichtstätigkeiten zu sozialrechtlichen Themen mit den Schwerpunkten Teilhabeleistungsrecht und Grundsicherungsrecht aus und veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu Themen des Betreuungs- und Grundsicherungsrechts. Seit September 2015 bis Juli 2020 war er als Referent für Sozialrecht beim Deutschen Caritasverband beschäftigt, von August 2020 bis März 2021 als Referent für das Projekt Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe bei der Diakonie Deutschland, seit April 2021 ist er Referent für Migrationsrecht bei der Diakonie Deutschland (Angaben entnommen aus der Vita auf der Internetseite des Beigeladenen Ziff. 1 www.sozialrecht-r*.de/vita.html, abgerufen am 10.01.2022). Über eine juristische Ausbildung verfügt der Beigeladene Ziff. 1 nicht.
3
Im Februar 2006 schlossen der Kläger und der Beigeladene Ziff. 1 einen Honorarvertrag, in dem der Kläger als „Auftraggeber“ und der Beigeladene Ziff. 1 als „Auftragnehmer“ bezeichnet wurden. Der Vertrag hat den folgenden Wortlaut:
4
„§ 1 Vertragsgegenstand
Der Auftragnehmer wird für den Auftraggeber als freier Mitarbeiter tätig. Er berät ihn im Bereich des Sozialrechts. Zu seiner Tätigkeit gehört die Betreuung von Mandanten, das Diktieren von Schriftsätzen, die Bearbeitung der Post in den vom Auftragnehmer betreuten Mandaten des Auftraggebers und die Datenerhebung bezüglich der Mandanten.
5
§ 2 Laufzeit
Der Vertrag wird wirksam zum 01.03.2006 und kann von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Die Kündigung aus wichtigem Grund ist jederzeit möglich. Die Kündigung bedarf der Schriftform.
6
Die Vertragsparteien vereinbaren eine Probezeit von sechs Monaten, während der der Vertrag von beiden Seiten mit einer Frist von sechs Wochen zum Monatsende kündbar ist.
7
§ 3 Ablehnungsrecht
Der Auftragnehmer hat das Recht, einzelne Aufträge des Auftraggebers ohne Angabe von Gründen abzulehnen.
8
§ 4 Verhältnis des Auftragnehmers zu Dritten
Der Auftragnehmer ist auch als Berufsbetreuer, Verfahrenspfleger, Mediator, Autor, Redakteur und Dozent tätig. Der Auftragnehmer sichert dem Auftraggeber zu, Betreuungen und Verfahrenspflegschaften im Zuständigkeitsbereich des AG F nur mit dem Einverständnis des Auftraggebers zu übernehmen.
9
Der vorliegende Vertrag beschränkt ihn nicht in seinem Recht, für andere Auftraggeber tätig zu sein. Einer vorherigen Zustimmung des Auftraggebers für Aufträge anderer Auftraggeber bedarf es nicht, es sei denn, dass der Auftragnehmer für einen Wettbewerber des Auftraggebers innerhalb der Stadt F tätig werden will.
10
§ 5 Tätigkeitsort
Der Auftragnehmer entscheidet selbst über den Ort seiner Tätigkeit. Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag stellt ihm der Auftraggeber Räumlichkeiten innerhalb seines Büros zur Verfügung. Die Möblierung seines Arbeitszimmers obliegt dem Auftragnehmer. Die Akten verbleiben im Büro des Auftraggebers.
11
§ 6 Honorar
Der Auftragnehmer erhält für seine nach § 1 dieses Vertrages erbrachte Tätigkeit ein Honorar, das wie folgt vereinbart wird:
Die Höhe des Honorars des Auftragnehmers bemisst sich nach den Erträgen, die der Auftraggeber aus den Akten erzielt, die der Auftragnehmer betreut. Der Auftragnehmer erhält aus sämtlichen Erträgen mit Ausnahme von Verzugszinsen ein Honorar in Höhe von 50% der Nettoerträge (Zahlungseingänge abzüglich Umsatzsteuer), die der Auftraggeber tatsächlich erzielt.
Die Mandate, innerhalb derer der Auftragnehmer tätig wird, werden vom Auftraggeber mit einer Kennung versehen, die eine eindeutige Zuordnung ermöglicht. Die Abrechnung erfolgt monatsweise. Jeweils bis zum 10. des Folgemonats der Tätigkeit erstellt der Auftraggeber eine Übersicht über sämtliche Zahlungseingänge in den Akten, die der Auftragnehmer bearbeitet hat. Die Rechnungen des Auftragnehmers weisen den jeweiligen Vorgang mit Aktenzeichen aus.
Solange der Auftragnehmer mehrwertsteuerpflichtig ist, schuldet der Auftraggeber auch diese.
12
Die Ansprüche des Auftragnehmers werden innerhalb von fünf Tagen nach Rechnungsstellung fällig.
13
§ 7 Einsichtsrecht
Der Auftraggeber verpflichtet sich, dem Auftragnehmer auf Verlangen alle erforderlichen Belege zur Überprüfung der tatsächlich erzielten Gebühren zur Einsichtnahme in seinen Büroräumen zur Verfügung zu stellen. Diese Verpflichtung endet nicht mit dem Vertragsverhältnis. Sie besteht fort, solange der Auftragnehmer berechtigte Forderungen aus seiner Tätigkeit geltend macht.
14
§ 8 Kosten und Aufwendungen
Der Auftragnehmer nutzt für die Tätigkeit für den Auftraggeber dessen Büro einschließlich der Bürotechnik und des Schreibservices.
15
§ 9 Verschwiegenheitsklausel
Der Auftragnehmer verpflichtet sich, über ihm bekannt gewordene Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Auftraggebers auch nach Ende des Vertrages Stillschweigen zu bewahren. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf die bloße Nennung des Namens von Mandanten. Sämtliche Unterlagen, die dem Auftragnehmer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit übergeben werden, sind nach Beendigung des Vertrages unverzüglich zurückzugeben. Dem Auftragnehmer steht kein Zurückbehaltungsrecht an Akten des Auftraggebers zu.
16
§ 10 Besondere Vereinbarung mit dem freien Auftragnehmer
Der Auftragnehmer versichert dem Auftraggeber, dass er auch in anderen Bereichen selbstständig tätig ist. Im Fall der Durchführung eines Prüfungsverfahrens durch den Träger der Kranken- und Rentenversicherung wird er die notwendigen Unterlagen und Belege zur Verfügung stellen.
Der Auftragnehmer versichert dem Auftraggeber, dass er eine ausreichende private Rentenversicherung zur Absicherung der Altersvorsorge und Invalidität sowie eine Krankenversicherung abgeschlossen hat. Der Auftraggeber hat das Recht, die Vorlage geeigneter Nachweise zu verlangen. Der Auftragnehmer willigt ein, dass der Auftraggeber einen Antrag nach § 7a SGB IV beim Rentenversicherungsträger stellt, um feststellen zu lassen, dass von dem Auftragnehmer keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt wird.
17
§ 11 Nebenabreden und salvatorische Klausel
Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen bedürfen der Schriftform. Dies gilt auch für einen Verzicht auf das Schriftformerfordernis selbst.
Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, dann wird dadurch die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmungen tritt eine rechtlich zulässige, die Sinn und Zweck der unwirksamen Bestimmung so nah als möglich kommt.“
18
Der Beigeladene Ziff. 1 war daraufhin vom 01.03.2006 bis 31.12.2015 in der Rechtsanwaltskanzlei Sozialrecht in F tätig. Tätigkeitsschwerpunkte waren Verfahren im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende und im Bereich der Sozialhilfe, dies auch in großem Umfang vor dem Sozialgericht F (SG) und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG). Die anwaltliche Vertretung in Terminen vor dem SG wurde in der Regel weder vom Kläger noch vom Beigeladenen Ziff. 1 wahrgenommen, sondern von dazu beauftragten Rechtsanwälten. Ab Oktober 2007 bzw. Juni 2009 waren Rechtsanwalt G bzw. Rechtsanwältin H1 als Rechtsanwälte im Angestelltenverhältnis in der Kanzlei tätig, ab Mai 2009 bzw. Juni 2010 die Rechtsanwälte K und W sowie ab Juli 2012 Rechtsanwältin R als freiberufliche Rechtsanwälte. Hinsichtlich der drei letztgenannten Rechtsanwälte hat die Beklagte mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 20.05.2016 festgestellt, dass deren Tätigkeit als „Rechtsanwalt/Rechtsanwältin bei Sozialrecht in F F1-R1 GbR“ nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.
19
Im Zeitraum bis November 2009 stellte der Beigeladene Ziff. 1 dem Kläger Rechnungen (i.d.R. monatlich) für seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter. Er wurde auf dem Briefkopf der Kanzlei jedenfalls seit 2008 unter „in Kooperation mit“ geführt. Ab Januar 2010 firmierten der Kläger und der Beigeladene Ziff. 1 gegenüber dem Finanzamt F als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) F1 und R1 Sozialrecht in F; der Anteil des Beigeladenen an dem Ertrag der Gesellschaft wurde ab diesem Zeitpunkt als Privatentnahme verbucht und steuerlich behandelt.
20
2008 zog die Kanzlei in neue Räume um, hierbei erfolgte die Aufnahme des Beigeladenen Ziff. 1 als Mitverantwortlicher/Bürge in den Mietvertrag; 2013 wurde ein neuer Mietvertrag über die Kanzleiräume mit dem Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 als Mitmieter geschlossen. Auch in weiteren Mietverträgen über einen weiteren Standort in O und ein Lager für abgelegte Akten in B ist der Beigeladene Ziff. 1 als Mitmieter aufgeführt. In Verträgen über ein Privatdarlehen (2013) sowie einen Betriebsmittelkredit der Sparkasse (2014) zur Finanzierung von Investitionen in die Kanzleiräumlichkeiten sind sowohl der Kläger als auch der Beigeladene Ziff. 1 Vertragspartner.
21
Die Beklagte führte 2008, 2012 und 2016 jeweils Betriebsprüfungen durch (Zeiträume bis 31.12.2007, ab 01.01.2008 bis 31.12.2011 und ab 01.01.2012 bis 31.12.2015), in denen jedoch keine Feststellungen zu der Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 getroffen wurden.
22
Mit Schreiben vom 03.12.2015 erklärte der Kläger gegenüber dem Beigeladenen Ziff. 1 die „Kündigung der BGB-Innengesellschaft F1/R1“ zum 31.12.2015.
23
Über die Art und Weise der Auseinandersetzung, die Beendigung der Mietverhältnisse, die Herausgabe von Akten und einen finanziellen Ausgleich des Beigeladenen für die schwebenden Geschäfte bzw. von ihm angefangenen Arbeiten bestand (und besteht) zwischen dem Beigeladenen Ziff. 1 und dem Kläger Streit. U.a. ist beim Landgericht (LG) Freiburg ein Rechtsstreit noch anhängig, in dem der Beigeladene Ziff. 1 gegenüber dem Kläger Honorar- bzw. gesellschaftsrechtlich begründete Forderungen bezüglich der Auseinandersetzung geltend macht (14 O 176/18); weitere Rechtstreitigkeiten wurden beim LG Freiburg u.a. unter den Az. 5 O 104/16 - Herausgabe von Akten -, 4 O 81/16 - Abgabe von Willenserklärungen zur Beendigung der Mietverträge - und vor dem AG Freiburg - 2 C 1012/16 - geführt.
24
Am 31.12.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die vorliegend streitgegenständliche Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen Ziff. 1. Die Gesellschaft befinde sich ab dem kommenden Jahr in Abwicklung. Aus diesem Grund werde das Anfrageverfahren zur Absicherung der Liquidationsgesellschaft in Bezug auf – seines Erachtens nicht gegebene – sozialversicherungsrechtliche Risiken gewählt. Unter der Rubrik „Bezeichnung der Tätigkeit für den Auftraggeber, für den ein Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden soll“, gab der Kläger an: Außendarstellung, Akquise, Geschäftsführung, Personalführung, Sachbearbeitung, Schulungen, Weiterbildungsangebote, Internetpräsentation. Ergänzend legte der Kläger ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von B, in A, vom 27.10.2015 vor; dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene in der GbR uneingeschränkt Gesellschafter und als solcher dort unternehmerisch tätig und nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. Darüber hinaus legte der Kläger einen Arbeitsvertrag, geschlossen zwischen „Sozialrecht in F1 und R1 GbR“ und einer Rechtsanwaltsfachangestellten, geschlossen im September 2014 und unterschrieben „für SRIF: RA F1“ vor.
25
An ihn gerichtete Fragen der Beklagten beantwortete der Beigeladene Ziff. 1 mit Schreiben vom 19.03.2016 dahingehend, dass zu Beginn seiner Tätigkeit mit dem Kläger ein Honorarvertrag geschlossen worden sei. Später habe es der Kläger abgelehnt, schriftliche Verträge, insbesondere einen schriftlichen Gesellschaftsvertrag zu schließen. Im Dezember 2009 hätten er und der Kläger mündlich vereinbart, ab dem 01.01.2010 beim Finanzamt als GbR zu firmieren, um zu bewirken, dass seine Honorare als Privatentnahmen verbucht werden könnten. Weitere Abreden in Bezug auf eine Gesellschaftsgründung habe es nicht gegeben. Auf dem Briefbogen der Kanzlei sei er lediglich als Kooperationspartner, nicht als Gesellschafter erschienen. Als freier Mitarbeiter (2006 bis 2009) habe er sein eigenes Büromobiliar und auch seinen eigenen Rechner in den Räumen der Kanzlei des Klägers verwendet. Diese Gegenstände, also die Ausstattung seines Arbeitsplatzes, habe er ab 2010 weiterverwendet und nach Kündigung durch den Kläger aus den Räumen der Kanzlei entfernt. Seine Tätigkeit habe fast ausschließlich darin bestanden, Mandantenakten des Klägers für diesen zu bearbeiten. In der Regel habe er Schriftsatzentwürfe diktiert, diese seien geschrieben und dem Kläger zur Prüfung vorgelegt worden, der sie entweder unterschrieben habe oder ihm mit weiteren Arbeitsaufträgen wieder vorgelegt habe. Daneben habe er Anrufe von Mandanten entgegengenommen. Neuen Mandanten sei zum Teil erst ein Gesprächstermin mit ihm zugewiesen worden. Er habe dann den Sachverhalt aufgenommen und dem Kläger oder in seinem Auftrag auch anderen Anwälten der Kanzlei zur Prüfung vorgelegt. Rechnungen, Kostennoten und Kostenfestsetzungsanträge habe nur der Kläger ausgestellt. Abgesehen von der Büroausstattung an seinem persönlichen Arbeitsplatz habe er die Betriebsmittel der Anwaltskanzlei (Büromobiliar, Computer, Drucker, Kopierer, technische Geräte wie Telefonanlage und Diktiersystem) verwendet. Der Kläger habe ihm fachliche Weisungen erteilt, das fachliche Letztentscheidungsrecht habe bei diesem gelegen. Bei Abwesenheit habe er den Kläger unterrichtet; im Fall seiner Verhinderung habe der Kläger seine Arbeit selbst übernommen. In den Jahren 2006 bis 2009 habe er Rechnungen gestellt, in den Jahren ab 2010 sei seine Vergütung in Form von Privatentnahmen erfolgt. Im Außenverhältnis sei er gar nicht aufgetreten, lediglich in Ausnahmefällen im Namen des Klägers. Da er nicht Rechtsanwalt sei, habe er grundsätzlich keine eigenen Mandate betreuen können, habe also nur Sachen bearbeitet, die der Kläger ihm zugewiesen habe. Die Einnahmen aus der Tätigkeit für den Kläger seien im Zeitraum 01.01.2007 bis 31.12.2015 fast sein gesamtes Einkommen gewesen. Er habe von dem Kläger im Jahr 2006 rund 7.000 EUR, 2007 rund 49.000 EUR, 2008 rund 71.000 EUR sowie ab 2009 bis 2015 zwischen 94.000 EUR bis 104.000 EUR (im Jahr 2013 nur rund 81.000 EUR) erhalten. Daneben habe er gelegentlich Honorare für Vorträge oder Autorenhonorare verdient, allerdings in sehr geringem Umfang. Seit dem 01.10.2015 sei er mit 50 Prozent beim Deutschen Caritasverband in F abhängig beschäftigt. Zwar habe der Kläger sie ab dem 01.01.2010 beim Finanzamt als GbR angemeldet, er habe ihm allerdings nicht die Mitspracherechte eines Gesellschafters eingeräumt. Insbesondere habe er es abgelehnt, ein gemeinschaftliches Girokonto zu führen und darauf bestanden, alle Einnahmen der Kanzlei bzw. der Gesellschaft auf sein Girokonto zu vereinnahmen. Für dieses Konto habe er ihm Vollmacht eingeräumt. Die Vergütung sei abhängig von der Ertragslage erfolgt; beide Gesellschafter hätten je nach wirtschaftlicher Lage der Gesellschaft Gewinne entnommen. Er sei (abgesehen von der Bankvollmacht) nicht bevollmächtigt gewesen, für die GbR nach außen zu handeln oder unter eigenem Namen Mandate zu bearbeiten. Auch alle anderen Geschäfte wie Arbeitsverträge mit Mitarbeitern habe der Kläger überwiegend alleine vorgenommen. Eine Ausnahme seien die drei Mietverträge der Kanzlei. Mieter seien jeweils der Kläger und er gemeinschaftlich. Eine weitere Ausnahme sei ein Darlehensvertrag bei der Sparkasse F über 60.000,00 EUR, den sie im Februar 2014 gemeinschaftlich geschlossen hätten. Er halte es für richtig, das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung festzustellen. Der Kläger bestreite im Übrigen die Gründung einer GbR. Das Gutachten von B1 sei ohne seine Mitwirkung zustande gekommen. Ergänzend legte der Beigeladene Ziff. 1 u.a. seine Honorarrechnungen seit dem 01.03.2006 bis zum 31.12.2009 vor.
26
Nachdem der Kläger weitere Fragen der Beklagten zunächst nicht beantwortet hatte, teilte die Beklagte dem Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 mit Bescheid vom 18.04.2016 mit, dass sie das Verfahren nicht weiter fortführen werde.
27
Hiergegen erhob der Beigeladene Ziff. 1 am 16.05.2016 Widerspruch und beantragte, das Statusfeststellungsverfahren durchzuführen und abzuschließen sowie festzustellen, dass er beim Kläger vom 01.03.2006 bis 31.12.2015 abhängig beschäftigt gewesen sei. Seine Tätigkeit für den Kläger und die mit ihm beruflich verbundenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte H1, K, W und R habe im Wesentlichen der Tätigkeit eines Bürovorstehers entsprochen. Er habe Tätigkeiten der Büroorganisation übernommen, hauptsächlich aber Schriftsätze diktiert und eingehende Post geprüft. Diese Tätigkeit sei aus Gründen des Standesrechts der Anwälte nur einem abhängigen Mitarbeiter des Rechtsanwalts bzw. der Rechtsanwälte möglich. Daher könne seine Tätigkeit schon aus berufsrechtlichen Gründen nur als abhängige Beschäftigung gewertet werden. Da der Kläger die Verbindlichkeit eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses habe vermeiden wollen, sei er zunächst als Honorarkraft für diesen tätig geworden. Der Kläger habe dann gefürchtet, dass im Rahmen einer rentenversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung aufkommen könne, dass diese Honorartätigkeit objektiv als abhängige Beschäftigung zu werten sei. Daher habe er mit ihm zum 01.01.2010 den Vertrag über eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts geschlossen, allerdings auch hier Verbindlichkeit vermieden, indem er es abgelehnt habe, das Geschäftskonto als gemeinsames Konto mit ihm zu führen und auch den Abschluss eines schriftlichen Vertrages abgelehnt habe. Die zwischen ihm und dem Kläger geschlossene Gesellschaft sei eine reine Innengesellschaft gewesen. Die Innengesellschaft könne schon deshalb nicht Arbeitgeber sein. Eine entsprechende Wertung habe auch das LG Freiburg vorgenommen; in dessen Urteil sei sein Antrag auf Erlass einstweiliger Verfügungen gegen die Kläger und die Rechtsanwälte K, W und R auf Herausgabe von Handakten an die GbR abgelehnt worden (Urteil des LG Freiburg vom 06.05.2016 - 5 O 104/16 -, Bl. 114 f. VA). Aus seiner Sicht sei die Gesellschaft wohl auch wegen Verstoßes gegen § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) unzulässig gewesen.
28
Mit Schreiben vom 22.06.2016 hörte die Beklagte den Kläger und den Beigeladenen Ziff. 1 hinsichtlich ihrer Absicht, einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung mit Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zu erlassen, an.
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Hierzu führte der Kläger mit Schriftsätzen vom 27.07. und 14.08.2016 aus, dass seiner Auffassung nach die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 in dem Büro „Sozialrecht in F“ kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und damit nicht sozialversicherungspflichtig sei. Dies folge schon daraus, dass weder aus dem Honorarvertrag aus dem Jahr 2006 noch zu einem späteren Zeitpunkt eine irgendwie geartete Verpflichtung des Beigeladenen Ziff. 1 zum Tätigwerden begründet worden sei. Diese Verpflichtung zum Tätigwerden mit einer damit korrespondierenden Vergütungsverpflichtung stelle aber ein wesentliches Kriterium für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses dar. Die Kooperation habe sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Der Beigeladene Ziff. 1 habe zunehmend Aktivitäten entfaltet, welche mit den Tätigkeiten eines selbstständigen Rechtsanwaltes deckungsgleich gewesen seien. Hierbei sei er weisungsfrei und auch nicht in die Arbeitsorganisation des Büros eingebunden gewesen. Er sei weder einer Kontrolle in Bezug auf die Art und Weise, wie er seine Tätigkeiten entfaltet habe, noch in Bezug auf die Frage, ob er eine Aufgabe übernehme oder nicht, unterlegen. Eine irgendwie geartete Verpflichtung zum Tätigwerden, zur Anwesenheit oder zur Berufsausübung habe nicht bestanden. Der Beigeladene Ziff. 1 habe keine Büroarbeiten für ihn erledigt, sondern ausschließlich im eigenen Interesse Tätigkeiten entfaltet. Lediglich die Vertretung des Mandanten vor Gericht sei durch eine angestellte Rechtsanwältin der Kanzlei erfolgt. Der Beigeladene Ziff. 1 habe neben der Betreuung seiner Mandanten Urteilsrezensionen geschrieben, Zeitschriftenbeiträge und Tagungsbeiträge verfasst. Für Beratungstätigkeiten, schriftstellerische Tätigkeiten, Dozententätigkeiten und Vorträge habe er Honorare vereinnahmt, die er auf ein eigenes Konto abgerechnet habe. Der Beigeladene Ziff. 1 habe mit seiner Billigung das Büro im Außenverhältnis gegenüber dem Steuerberater, der Bank, Arbeitnehmern und sonstigen Dienstleistern vertreten und habe mit ihm zusammen Gesamthandseigentum begründet, so insbesondere Mobiliar, Technik und Ausstattung des (neuen) Büros. Er sei damit faktisch Mitinhaber der (wegen Verstoßes gegen die BRAO nichtigen oder fehlerhaften) Gesellschaft gewesen. Der Beigeladene Ziff. 1 sei nicht in der Funktion eines Bürovorstehers tätig gewesen, sondern in jeder Hinsicht wie ein Rechtsanwalt. Er habe völlig eigenverantwortlich ein eigenes Referat mit eigener Aktenfarbe, eigener Erfassung der Umsätze, eigenem und eigenverantwortlichem Fristenmanagement und eigenem Mandantenstamm geführt. Einziger Unterschied sei, dass er nur in Ausnahmefällen bei Gericht aufgetreten sei und dass er oder einer der Kollegen den Großteil seiner Schriftsätze unterschrieben hätten, weil er nur den Mandanten gegenüber alleine oder i.A. habe unterschreiben können. Im Übrigen habe er eine Stellung als Gesellschafter und Betriebsinhaber gehabt, habe diese auch eingefordert und praktiziert. Das Wachstum der Kanzlei und die Zusammenarbeit mit den weiteren Rechtsanwälten sowie die Beschäftigung mehrerer Sekretärinnen allein für sein Referat seien allein auf seine Initiative und nicht auf Betreiben des Klägers erfolgt. Es sei der ausdrückliche Wunsch des Beigeladenen Ziff. 1 gewesen, selbstständig zu sein und zu bleiben. Beim Briefpapier sei es wegen § 59a BRAO bei der Darstellung einer Kooperation geblieben. Auch das sei dem Beigeladenen Ziff. 1 ausgesprochen wichtig gewesen, weil er andernfalls gar nicht auf dem Briefpapier hätte aufgeführt werden können. Stiller Beteiligter im Hintergrund habe er gerade nicht sein wollen. Er selber habe Briefpapier verwendet, in welchem der Kläger als Kooperationspartner dargestellt worden sei. Zum Beleg legte der Kläger weitere Unterlagen vor, aus denen seiner Auffassung nach hervorgeht, dass der Beigeladene Ziff. 1 im Außenverhältnis als Betriebsinhaber aufgetreten ist und auch von außen als Gesellschafter oder Betriebsinhaber wahrgenommen worden ist. Für ihn habe der Beigeladene Ziff. 1 keine Mandate bearbeitet und ihm in seinen Mandaten auch nicht zugearbeitet. Insgesamt liege keine Tätigkeit für einen fremden Betrieb vor. Es seien weder Weisungen erfolgt noch habe es eine Weisungsbefugnis gegeben. Es habe keine Ansprüche auf Erbringung von Arbeitsleistung und damit korrespondierend Entgeltverpflichtung gegeben, auch keine Gehaltszahlungen, sondern Gewinnentnahmen in wechselnder Höhe. In den Jahren 2010 bis 2012 hätten die Einnahmen des Beigeladenen Ziff. 1 diejenigen des Klägers überstiegen. Ab 2013 seien die Gewinnentnahmen in gleicher Höhe für beide Gesellschafter erfolgt. Beide Gesellschafter hätten das wirtschaftliche Risiko des Bürobetriebs getragen und seien nach außen für die Gesellschaft aufgetreten und als Geschäftsinhaber wahrgenommen worden. Eine selbstständige Tätigkeit werde durch die Fehlerhaftigkeit der Gesellschaft nicht zu abhängiger Beschäftigung.
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Mit an den Kläger und den Beigeladenen Ziff. 1 gerichtetem Bescheid vom 14.09.2016 entschied die Beklagte, dass die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 „als Bürovorsteher und Berater bei Rechtsanwalt C F1“ seit dem 01.03.2006 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. In diesem Beschäftigungsverhältnis habe Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden. In der Kranken- und sozialen Pflegeversicherung habe keine Versicherungspflicht bestanden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sie sich angesichts der vom Kläger und vom Beigeladenen gemachten widersprüchlichen Angaben ausschließlich auf den Honorarvertrag gestützt habe. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche, dass der Beigeladene Ziff. 1 die Mandanten des Klägers und nicht eigene Mandanten betreut habe. Er habe keinen Einfluss auf seine Einkünfte nehmen können, da die Vergütung in Abhängigkeit von den durch den Kläger erwirtschafteten Erträgen erfolgt sei. Dem Beigeladenen seien unentgeltlich Räumlichkeiten in der Kanzlei zur Verfügung gestellt worden, er habe unentgeltlich den Schreibservice und die Bürotechnik der Kanzlei nutzen können. Diese Merkmale überwögen im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Merkmale, die für eine Selbstständigkeit sprächen (eigenständige Möblierung der Arbeitsräume, keine Ausschließlichkeitsvereinbarung). Der Auftragnehmer sei in die Arbeitsorganisation des Klägers eingebunden gewesen; der Kläger habe ihm einseitig im Wege des Direktionsrechts eines Arbeitgebers Weisungen erteilt, die Zeit, Dauer, Ort der zu beurteilenden Tätigkeit sowie Art und Weise von deren Durchführung betroffen hätten. Es habe daher eine persönliche Abhängigkeit zum Kläger bestanden. Ein unternehmerisches Handeln sei seitens des Beigeladenen Ziff. 1 nicht möglich gewesen; er habe keinen Einfluss auf die Einkünfte der Kanzlei gehabt.
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Hiergegen erhob der Kläger am 13.10.2016 Widerspruch. Zwar beginne die Würdigung des zu beurteilenden Sachverhalts durch die Beklagte zutreffend mit dem Honorarvertrag vom Februar 2006. Bereits nach diesem Honorarvertrag überwögen die Merkmale für ein selbstständiges, weisungsfreies und unabhängiges Arbeiten des Auftragnehmers. Insbesondere habe der Beigeladene Ziff. 1 Einfluss auf die Höhe seiner Vergütung gehabt, da er nicht nach Zeiteinheiten entlohnt worden sei, sondern ausschließlich in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Tätigkeit. Er habe damit nicht das Arbeitsplatz-, sondern das Unternehmerrisiko getragen. Ein Weisungsrecht sei weder vertraglich vereinbart gewesen, noch habe es aus sonstigen Gründen bestanden. Es habe weder Anwesenheitsverpflichtungen, noch überhaupt eine Dienstleistungsverpflichtung gegeben. Darüber hinaus habe sich die Zusammenarbeit im Laufe der Zeit verändert. Die Tatsache, dass die Gewinne der gegründeten BGB-Gesellschaft zwischen den Gesellschaftern geteilt worden seien, sei nicht Indiz, sondern Beweis dafür, dass beide Gesellschafter unternehmerisches Risiko getragen hätten. Es sei zu würdigen gewesen, dass beide Gesellschafter Vertragspartner für die Räumlichkeiten, in welchen die Kanzlei in F sowie die Außenstelle in O betrieben worden seien, Gesamtschuldner eines Darlehens über 60.000,00 EUR für Umbau und Ausstattung der Räumlichkeiten des Kanzleisitzes seien, gemeinschaftlich Inhaber/Eigentümer des Kanzleiinventars seien, gemeinsam Arbeitgeber des Kanzleipersonals gewesen seien. Die Annahme abhängiger Beschäftigung scheide daher aus. Der Antrag des Beigeladenen Ziff. 1, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis festzustellen, erfolge aus taktischen Gründen. Tatsächlich sei auch der Beigeladene der Auffassung, er sei Gesellschafter einer Außen-GbR und mache die hieraus aus seiner Sicht ergebenden Ansprüche nachdrücklich geltend. Dies folge aus einer von dem Beigeladenen abgegebenen Versicherung an Eides statt in dem Verfahren vor dem LG Freiburg vom 12.04.2016 und einem Vertragsentwurf des Beigeladenen Ziff. 1 vom 23.12.2015 sowie weiterem Schriftverkehr im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung der GbR. Insoweit wird auf vom Kläger vorgelegte Anlagen Bezug genommen. Das Vorbringen des Beigeladenen sei nicht konsistent. Er könne nicht gleichzeitig abhängig Beschäftigter in einem fremden Betrieb sein, wenn er zugleich Abfindungsansprüche als Gesellschafter geltend mache. Es sei nicht glaubwürdig, wenn er einerseits vortrage, die Parteien hätten sich darauf verständigt, er habe als „Bürovorsteher“ ein Nettogehalt zu erhalten, das die Hälfte des Gewinns betrage, während der anwaltliche Gesellschafter die Arbeitgeberanteile für die Beschäftigung des Mitgesellschafters aus seinem hälftigen Gewinnanteil zu entrichten habe. Insgesamt sei die Anwaltstätigkeit, die allein dem Kläger erlaubt sei, von der Gesellschaftstätigkeit abzugrenzen. Der Gesellschaftszweck habe in der Begründung einer überregionalen Anwaltskanzlei unter Einbindung freier Mitarbeiter, angestellter Rechtsanwälte und weiterem Kanzleipersonal mit der Zielsetzung der umfassenden Akquirierung und Beratung/Vertretung in sozialrechtlichen Mandaten bei gleichzeitigem Angebot von Fortbildungsveranstaltungen und Seminaren bestanden. Die Aufgabenverteilung sei naturgemäß infolge der berufsrechtlichen Beschränkungen und nach Maßgabe der Tatsache, dass der Beigeladene Ziff. 1 kein Rechtsanwalt sei, im Rahmen des rechtlich Zulässigen erfolgt. Der Beigeladene Ziff. 1 habe weder beraten noch vertreten. Dessen ungeachtet sei er im Rahmen der praktizierten Zusammenarbeit gleichberechtigter Gesellschafter und als solcher nicht weisungsgebunden, sondern selbstständig mit Unternehmerrisiko im eigenen Betrieb tätig gewesen. Ergänzend legte der Kläger eine zwischen ihm und dem Beigeladenen Ziff. 1 im Dezember 2016 geschlossene Vereinbarung zur Beendigung der Mietverhältnisse über die beiden Büroflächen in O und F sowie das Lager in B vor.
32
Der Beigeladene Ziff. 1 hat im Widerspruchsverfahren vorgetragen, der Kläger bringe je nach Interessenlage unterschiedlichste Behauptungen in Bezug auf das Bestehen einer Gesellschaft vor (gar keine Gesellschaft, Innengesellschaft, Außengesellschaft). Der Kläger stelle die Verhältnisse nicht so dar, wie sie seien bzw. gewesen seien, sondern so, wie es ihm im jeweiligen Kontext gerade günstig erscheine. Er selbst dagegen habe konsistent vorgetragen, dass zwischen ihm und dem Kläger eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts bestanden habe und nach Maßgabe des § 730 BGB weiterbestehe, die der Wertung seiner Tätigkeit für den Kläger als abhängige Beschäftigung im Sinne von § 7 SGB IV nicht entgegenstehe. Das Nebeneinander von abhängiger Beschäftigung in einer Innengesellschaft zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem sei ohne weiteres möglich (LSG Stuttgart, 27.04.2016, L 5 R 1753/15). Neben der Innengesellschaft und unabhängig von dieser habe zwischen dem Kläger und den Rechtsanwälten K, W und R eine Außensozietät bestanden. Im Gegensatz zur Innengesellschaft habe diese Außensozietät am Rechtsverkehr teilgenommen. Die Tätigkeit des Unterzeichners sei nur als abhängige Beschäftigung für die Anwälte der Kanzlei zulässig gewesen. Die Anwälte hätten zwar einen Teil ihrer Tätigkeit delegieren dürfen, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie über diese Tätigkeit ein uneingeschränktes Weisungsrecht ausübten. Dies habe insbesondere der Kläger auch getan. Das Weisungsrecht sei in jedem einzelnen Fall durch die Unterzeichnung der Schriftsatzentwürfe, die der Beigeladene Ziff. 1 gefertigt habe, bekräftigt und dokumentiert worden. Er selbst sei nicht als Rechtsanwalt tätig geworden, da alle Schriftsätze vom Kläger bzw. anderen Anwälten der Kanzlei unterzeichnet worden seien. Er sei 2007 zweimal als Vertreter des Klägers vor dem SG Freiburg aufgetreten, bis dies bemängelt worden sei. Wenn der Kläger in seinem Schriftsatz vom 06.11.2016 vortrage, dass er jedes Schreiben des Beigeladenen Ziff. 1, welches er unterzeichnet habe, sachlich und rechtlich überprüft und sich zu eigen gemacht und insoweit hierfür die volle Verantwortung übernommen habe, widerspreche dies seinem Vortrag im Schriftsatz vom 14.08.2016, wonach der Beigeladene Ziff. 1 anwaltliche Mandate eigenständig angenommen und bearbeitet habe bzw. in keinem einzigen Fall seinem Referat zugearbeitet oder in seinen Akten gearbeitet habe. Unmittelbar nach der schriftlichen Kündigung der „Innengesellschaft“ habe der Kläger eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen, die er nicht hätte alleine treffen können, wenn der Beigeladene zur Geschäftsführung befugt gewesen wäre. Er habe die Zugänge des Beigeladenen zu den Servern der Kanzlei sperren lassen, allen Mitarbeiterinnen im Sekretariat gekündigt, die mit den freien Mitarbeitern K, W und R bestehenden Verträge beendet und den drei Anwälten mehr als 800 Akten der Kanzlei mit der etwa dreieinhalbfachen Zahl von anhängigen und nicht abgerechneten Verfahren übereignet und mit ihnen Vereinbarungen über den Wert der in diesen Akten enthaltenen angefangenen Arbeiten getroffen, ohne den Beigeladenen auch nur zu informieren. In Bezug auf die Beschaffung von Büromaterial und vergleichbare Geschäfte (wie z.B. den Abschluss eines Vertrages über die Nutzung eines Seminarraums) habe der Beigeladene im Rahmen seiner Tätigkeit als Bürovorsteher gehandelt und dabei ebenso wenig Gebrauch von einer vom Kläger behaupteten Geschäftsführungsbefugnis gemacht wie die Mitarbeiterinnen des Sekretariats, die regelmäßig eigenständig Büromaterial u.a. auf Rechnung der Kanzlei beschafft hätten. Die BGB-Gesellschaft, die zwischen dem Beigeladenen Ziff. 1 und dem Kläger seit dem 01.01.2010 bestanden habe, sei nicht nach außen aufgetreten und habe als Gesellschaft nicht am Rechtsverkehr teilgenommen. Damit habe sie Rechtsfähigkeit nicht erlangt. Das Vorliegen einer bloßen Innengesellschaft schließe jedoch die Geschäftsführungsbefugnis des Beigeladenen Ziff. 1 aus. Einige der Behauptungen des Klägers betreffend das Auftreten der Gesellschaft nach außen seien unzutreffend. So entfalte die Bezeichnung als GbR nur gegenüber dem Finanzamt und dem Steuerberater Wirkung und betreffe den Rechtsverkehr im Übrigen nicht. Die drei Mietverträge über Geschäftsräumlichkeiten seien gerade nicht von der Gesellschaft geschlossen worden, sondern vom Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 als Einzelpersonen. Er (der Beigeladene Ziff. 1) sei mit Versuchen gescheitert, Rechte aus der GbR durchzusetzen. Er legte hierzu ein von dem Kläger erstrittenes Urteil des LG Freiburg vom 22.12.2016 (4 U 81/16) vor, worin er (der Beigeladene Ziff. 1) verurteilt wurde, der Aufhebung des Mietverhältnisses über die Kanzleiräume in O zuzustimmen, da sie als gemeinsame Mieter als Innen-GbR verbunden gewesen seien. Entsprechendes gelte für den Betriebsmittelkredit: Der Kläger und der Beigeladene Ziff. 1 hätten im Februar 2014 gemeinsam einen Kredit bei der Sparkasse F über 60.000,00 EUR aufgenommen. Sie seien damit aber nicht nach außen aufgetreten. Insgesamt sei die alleinige Verfügungsmacht des Klägers über alle Belange des Unternehmens und insbesondere über die Tätigkeit des Beigeladenen in dem Unternehmen durch den Verlauf der Ereignisse nach der Kündigung umfassend bewiesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Widerspruchsbegründung enthalte im Wesentlichen keinen neuen, für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status relevanten Sachverhalt. Der Beigeladene Ziff. 1 habe zwar frei entscheiden können, ob er Aufträge annehmen oder ablehnen wolle, bei Annahme sei jedoch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers erfolgt. Der zeitliche Rahmen der Tätigkeit sei derart hinreichend eingegrenzt, dass er als bestimmter zeitlicher Rahmen im Sinne der Rechtsprechung zur persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers zu qualifizieren sei. Es sei nämlich kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit, wenn zwar die Annahme bestimmter Aufträge abgelehnt werden könne, bei Annahme jedoch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers erfolge. Mithin sei die Möglichkeit der Ablehnung eines Auftrags für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung irrelevant. Bei Annahme eines Angebotes bestehe hier eine abhängige Beschäftigung. Einer fehlenden Ausschließlichkeitsvereinbarung komme keine wesentliche Bedeutung zu. Der Beigeladene Ziff. 1 habe Anspruch auf eine nach dem Arbeitsaufwand bemessene Vergütung gehabt (50% der Nettobeträge, die der Kläger tatsächlich erzielt habe). Es sei unerheblich, dass der finanzielle Erfolg von dessen beruflicher Tüchtigkeit abhängig sei. Die Chance, länger oder mehr zu arbeiten, um so ein höheres Entgelt zu erzielen, sei nicht die spezielle Chance des Unternehmers, sie habe auch jeder Beschäftigte. Ein Beschäftigungsverhältnis sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beigeladene Ziff. 1 (als Arbeitnehmer) gleichzeitig als Gesellschafter an der GbR beteiligt gewesen sei, die als Arbeitgeber auftrete. Er sei nämlich als persönlich unbeschränkt haftender Gesellschafter und Mitunternehmer für Dritte nicht erkennbar in Erscheinung getreten. Insofern hätten lediglich – ein Beschäftigungsverhältnis nicht ausschließende – gesellschaftsrechtliche Beziehungen im Innenverhältnis bestanden (mit Verweis auf BSG, Urteil vom 26.05.1966 - 2 RU 178/64 -).
34
Am 12.06.2017 hat der Kläger Klage zum SG erhoben. Die Begründung des Widerspruchsbescheides sei unzutreffend, sofern 50 % der Nettoerträge des Klägers genannt seien, da bereits nach dem Honorarvertrag 50 % der Nettobeträge aus den Akten, die der Beigeladene Ziff. 1 begleitet habe, zu zahlen gewesen seien. Damit habe ein Unternehmerrisiko bestanden. Ab 2010 sei die Feststellung in dem Bescheid auch wegen Gründung der GbR unzutreffend, da dann mangels Absprachen 50 % Gewinnbeteiligung am Ergebnis der Gesellschaft bestanden habe, nicht nur an der Arbeitsleistung des Beigeladenen. Der Widerspruchsbescheid stelle nur dar, weshalb eine Beschäftigung nicht ausgeschlossen sei, enthalte aber keine Darlegung, weshalb eine Beschäftigung vorliege. Gesellschaftsrechtlich sei die Gewinnermittlung für die GbR zum 01.01.2010 beim Finanzamt eingereicht worden. Die Arbeitsverträge mit den Mitarbeiterinnen seien ab 2012 durch die GbR abgeschlossen worden. Der Mietvertrag über die Räume in der K-Straße sei 2013 von ihm und dem Beigeladenen neu abgeschlossen worden, ebenso 2015 der Mietvertrag über die Räume in O. 2013 seien Investitionen in Inventar, EDV und Gebäudesanierung erfolgt. Die Rechnungen seien an Sozialrecht in F, GbR oder Sozialrecht in F, Rechtsanwälte F1 und Kollegen gegangen. 2014 sei ein Darlehen bei der Sparkasse von der F1 und R1 GbR aufgenommen worden. Die Verbindung in der GbR verstoße gegen § 59a BRAO. Die Rechtsanwaltskammer sei mit dem Vorgang befasst. Auch wenn die Gesellschaft nichtig sein dürfte, sei der Beigeladene Ziff. 1 wegen der tatsächlichen Umstände der Zusammenarbeit (keine Weisungs-/Direktionsrechte, kein Anspruch auf Arbeitsleistung, geschäftsbezogene Zahlungsverpflichtungen des Klägers) selbstständig tätig gewesen.
35
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen.
36
Der Beigeladene Ziff. 1 ist der Klage ebenfalls entgegengetreten. Er sei nach Abschluss des Honorarvertrages wirtschaftlich auf die Aufträge des Klägers angewiesen gewesen. Die Beratung des Klägers habe dabei keine Rolle gespielt. Er habe nahezu ausschließlich in den Akten des Klägers gearbeitet, sodass er seinen Arbeitsort nicht habe frei wählen können. Er habe tatsächlich eine typische Bürovorstehertätigkeit ausgeübt. Die Vereinbarung einer Innen-GbR zum 01.01.2010 habe am Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nichts geändert. Im Übrigen komme es auf die Existenz der GbR nicht an. Sei sie inexistent gewesen, habe er in den betrieblichen Strukturen des Klägers gearbeitet. Sei sie existent gewesen, habe es sich nach dem Urteil des LG Freiburg vom 06.05.2016 um eine Innengesellschaft gehandelt, die nicht Eigentümerin der Kanzlei habe sein können. Im Übrigen habe der Kläger großen Wert darauf gelegt, dass die rechtlichen Verhältnisse zwischen ihm und dem Beigeladenen nicht einmal in der Kanzlei bekannt geworden seien. Den Anschein einer Gesellschaft habe er nur ihm und dem Finanzamt gegenüber erweckt. Die an ihn gezahlten Beträge hätten schon 2008 nicht mehr die Hälfte der Umsätze aus den Akten, in denen er für den Kläger tätig gewesen sei, betragen. Von 2008 bis 2010 habe der Kläger einen Grundbetrag von 120.000,00 EUR netto jährlich aus dem so erzielten Umsatz einbehalten. Von dem weiteren Umsatz habe der Kläger als Anteil des Beigeladenen Ziff. 1 an den Investitionen jeweils noch einen Beitrag einbehalten. Den dann noch verbleibenden Betrag habe er an ihn, den Beigeladenen Ziff. 1 ausbezahlt. 2011 sei der Sockelbetrag auf 96.000,00 EUR verringert worden. Erst 2012 sei ihm etwa die Hälfte des Gewinns ausbezahlt worden. Eine reguläre Gewinnteilung sei nie erfolgt. Ein Gesellschafterkonto sei nie geführt worden; der Kläger habe ihm aber Kontovollmachten erteilt.
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Das SG hat mit Beschluss vom 08.08.2017 den Auftragnehmer und die Agentur für Arbeit beigeladen.
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Mit Urteil vom 26.09.2018 hat das SG unter Abänderung des Bescheides vom 14.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2017 festgestellt, dass der Beigeladene Ziff. 1 in seiner Tätigkeit für den Kläger ab dem 01.01.2010 bis 31.12.2015 nicht als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag und die Klage im Übrigen abgewiesen. Aufgrund der vorzunehmenden Gesamtabwägung sei die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 bis zum 31.12.2009 als abhängige Beschäftigung bzw. ab dem 01.01.2010 als selbstständige Tätigkeit anzusehen.
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Zur Überzeugung des Gerichts habe die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 zumindest nach einiger Zeit darin bestanden, quasi selbstständig Verfahren zu führen, wobei der Kläger lediglich noch seine Unterschrift unter Schriftsätze an Behörden und Gerichte geleistet habe, jedoch keinen weiteren Aufwand mehr mit den Verfahren gehabt habe und so von der Tätigkeit des Beigeladenen ebenso profitiert habe. Die Tätigkeit des Beigeladenen sei dann – im Übrigen wohl seinem Selbstverständnis entsprechend – mit derjenigen eines Rechtsanwaltes zu vergleichen gewesen. Dass er nicht entsprechend aufgetreten sei, liege nur an der fehlenden formalen juristischen Qualifikation. Der Beigeladene Ziff. 1 sei gerichtsbekannt in einer Vielzahl von Klageverfahren vor dem SG Freiburg vor allem im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende tätig gewesen. Auch wenn die Schriftsätze in diesen Verfahren formal von dem Kläger bzw. anderen Rechtsanwälten unterzeichnet worden seien, habe im Ergebnis der Beigeladene Ziff. 1 die Verfahren inhaltlich geführt. Die Wahrnehmungen des Gerichts deckten sich mit den übereinstimmenden Angaben, wonach der Beigeladene Ziff. 1 von den Akten des Klägers (und später denjenigen der anderen Rechtsanwälte) getrennte eigene Akten mit eigenen Aktenzeichen und eigener Aktenfarbe gehabt habe. Der Beigeladene Ziff. 1 habe dies insbesondere im Zusammenhang mit der erstrebten Abfindung ausgeführt.
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Für die Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 beim Kläger ab dem 01.03.2006 bis zur Gründung der GbR zum 01.01.2010 sei von dem schriftlichen Honorarvertrag auszugehen. Ob der Beigeladene daneben anderweitig selbstständig tätig gewesen sei, sei für die Entscheidung über den Status nicht erheblich, da jede Tätigkeit gesondert zu bewerten sei. Dem Honorarvertrag sei keine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden in Betracht kommenden Typen zu entnehmen. Die Bezeichnung als „freie Mitarbeit“ deute darauf hin, dass der Kläger und der Beigeladene Ziff. 1 übereinstimmend davon ausgegangen seien, eine selbstständige Tätigkeit zu regeln. Die in den Vertrag aufgenommene Einwilligung des Beigeladenen Ziff. 1 in eine Antragstellung durch den Kläger nach § 7a SGB IV deute wiederum darauf hin, dass zwischen ihnen aber durchaus eine Unsicherheit in der (tatsächlich schwierigen) rechtlichen Einordnung des Vertragsverhältnisses bestanden habe. Ausgehend von dem Vertrag sei der Beigeladene Ziff. 1 nicht im Wesentlichen als Büroleiter oder Bürovorsteher für den Kläger tätig gewesen. Eine solche Tätigkeit lasse sich dem Vertrag bereits begrifflich („Berater“) nicht entnehmen. Dass der Beigeladene Ziff. 1 im Wesentlichen nicht derartig tätig gewesen sei, ergebe sich auch ganz offensichtlich aus der vereinbarten und geleisteten (bzw. von dem Beigeladenen Ziff. 1 nachträglich geforderten) Vergütung. Denn ein Rechtsanwalt würde einen Büroleiter für seine Tätigkeit nicht mit 50% der Nettoerträge aus den „von ihm betreuten Akten“ vergüten. Die Regelungen in dem Vertrag zeigten auch, dass die eingangs erwähnte „Beratung“ des als Rechtsanwalt rechtskundigen Klägers im Bereich des Sozialrechts durch den Beigeladenen Ziff. 1, der keinerlei juristische Ausbildung habe, tatsächlich in der Bearbeitung von Mandaten bzw. Akten bestanden habe. Dies habe auch der Beigeladene Ziff. 1 so bestätigt. Nach dem übereinstimmenden Vortrag des Klägers und des Beigeladenen Ziff. 1 habe dieser eigens gekennzeichnete Akten gehabt. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche die fehlende Vorgabe von Arbeitszeiten oder von Arbeitskontrollen. Auch die steuerliche Behandlung der Honorare spreche für eine selbstständige Tätigkeit. Die Wahrnehmung von Unternehmerfunktionen sei kein Unterscheidungsmerkmal, da diese auch leitenden Angestellten zukommen könne. Aus diesem Grunde komme es auch nicht auf die Frage an, ob der Beigeladene Ziff. 1 gegenüber dem Personal der Kanzlei als Vorgesetzter aufgetreten sei bzw. wie er generell in der Kanzlei aufgetreten sei. Das Gericht habe sich daher nicht gedrängt gesehen, den bereits im Vorverfahren vorgebrachten Beweisanregungen des Klägers nachzugehen. Für eine abhängige Beschäftigung spreche demgegenüber der gewichtige Umstand, dass der Beigeladene Ziff. 1 in der bisher vom Kläger allein geführten Anwaltskanzlei tätig gewesen sei, sodass er zumindest anfangs in der Arbeitsorganisation eines fremden Unternehmens – nämlich desjenigen des Klägers – eingegliedert tätig gewesen sei. Die an sich geregelte freie Wahl des Arbeitsortes (§ 5 des Vertrages) habe im Hinblick auf die u.a. geschuldete Bearbeitung von Akten und die dort zugleich enthaltene Vorgabe, diese im Büro des Auftraggebers zu behalten, nicht in maßgeblichem Umfang Wirkung entfaltet. Die in § 8 geregelte Nutzung des Büros des Auftraggebers einschließlich der Bürotechnik und des Schreibservices bestätige die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Für eine abhängige Beschäftigung spreche auch das Auftreten nur im Namen des Klägers (bis zur Gründung der GbR) und die fehlende Werbung bzw. das fehlende Auftreten am Markt hinsichtlich der vereinbarten Tätigkeit; hinzu komme das Verbot, für Wettbewerber im Bereich der Stadt F tätig zu werden. Indiz für eine abhängige Beschäftigung könne auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Auftraggeber sein. Für eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 vom Kläger spreche, dass der wirtschaftliche Erfolg – hier die Erträge aus den von dem Beigeladenen bearbeiteten Akten bzw. Mandaten – auch von der Mitwirkung des Klägers abhängig gewesen sei, da von dem Beigeladenen Ziff. 1 gefertigte Schriftsätze an Behörden und Gerichte nahezu ausschließlich vom Kläger unterzeichnet worden seien, da der Beigeladene Ziff. 1 hierzu – was ebenfalls unstreitig sei – nicht berechtigt gewesen sei. Ohne wirksame Schriftsätze habe wiederum kein Ertrag generiert werden können. Dies spreche im Übrigen nicht nur für eine wirtschaftliche, sondern auch für eine persönliche Abhängigkeit. Denn unabhängig von der Frage, ob dem Beigeladenen wirklich Weisungen zu seinen Arbeitsaufträgen erteilt worden oder ob die Schriftsätze im Bedarfsfall vom Kläger vielmehr nur korrigiert bzw. überarbeitet und sodann verwendet worden seien, habe für den Kläger nach dem Vertrag die Möglichkeit bestanden, die Arbeiten des Beigeladenen Ziff. 1 ohne Weiteres abzulehnen. Die gewinnbringende Verwertung der Tätigkeit des Beigeladenen sei damit zumindest im (denkbaren) Streitfall (auf den nach der Rechtsprechung des BSG entscheidend abzustellen sei, Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R -) wesentlich vom Willen des Klägers abhängig gewesen. Für eine abhängige Beschäftigung spreche auch, dass eine Heranziehung von Hilfskräften durch den Beigeladenen Ziff. 1 nach dem Inhalt der Vertragsbeziehung nicht zulässig gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Natur der „Beratertätigkeit“ bzw. der zu leistenden Vorarbeiten. Nach alledem sei der Beklagten und dem Beigeladenen Ziff. 1 darin zuzustimmen, dass die Merkmale, die die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 als abhängige Beschäftigung erscheinen ließen, zunächst überwogen hätten.
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Ab Januar 2010 sei jedoch die von dem Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 ohne schriftlichen Vertrag geschlossene GbR zumindest in ihrer tatsächlichen Bedeutung für die Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 beim Kläger zu berücksichtigen. Der jeweilige Vortrag des Klägers wie auch des Beigeladenen Ziff. 1 im Verwaltungsverfahren bzw. in den anderen Streitverfahren sei ersichtlich von dem jeweils verfolgten Ziel geprägt. Auf Seiten des Klägers stehe dabei neben der Vermeidung einer Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen Ziff. 1 auch die Verringerung bzw. Vermeidung einer Abfindung des Beigeladenen Ziff. 1 im Raum, ferner die berufsrechtliche Problematik des – wie oben dargestellt – durchaus gemeinsamen Tätigwerdens mit dem Beigeladenen Ziff. 1. Auf Seiten des Beigeladenen Ziff. 1 ergäben sich ebenso Widersprüche, weil er zuletzt die Existenz der GbR bzw. eines dahingehenden Vertragsschlusses bezweifelt habe, die GbR bzw. deren Liquidation aber andererseits gerade Grundlage von Ansprüchen gegen den Kläger bzw. die übrigen Rechtsanwälte sein solle und Honorare wegen freier Mitarbeit geltend gemacht würden, zugleich aber die Feststellung abhängiger Beschäftigung (hier in einem Arbeitsverhältnis) verteidigt werde. Auch unabhängig von der Einordnung als Außen- oder Innen-GbR stelle die Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen Ziff. 1 zumindest ab 01.01.2010 nach ihrem übereinstimmenden Vortrag anstelle des (hierdurch konkludent einvernehmlich ohne Kündigung aufgehobenen) Honorarvertrages die vertragliche Grundlage für das Tätigwerden des Beigeladenen Ziff. 1 bei dem Kläger dar. Die GbR sei dabei bereits von den handelnden Personen her nicht identisch mit einer (Außen-)Sozietät des Klägers mit den übrigen ab 2009 bei ihm bzw. der GbR tätigen Rechtsanwälten. Auch eine eventuelle Nichtigkeit der vertraglichen Abrede über die Gründung der GbR (wegen Verstoßes gegen § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO) vermöge nicht umgekehrt eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen Ziff. 1 bei dem Kläger zu begründen. Vielmehr lasse die tatsächliche Durchführung der Vereinbarung nur den Schluss zu, dass der Beigeladene Ziff. 1 entsprechend den Regelungen der §§ 705 ff. BGB gleichberechtigt mit dem Kläger die Geschicke ihrer gemeinsamen Gesellschaft habe leiten sollen und dürfen. Ein mitarbeitender Gesellschafter sei nach der Rechtsprechung des BSG selbst handelnder Unternehmer. Die sich aus der Stellung des Beigeladenen Ziff. 1 für ihn faktisch ergebenden Möglichkeiten würden eindrucksvoll belegt durch die Streitigkeiten, die seit 2015 zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen über die Abwicklung und Auseinandersetzung der GbR bestanden hätten und noch bestünden. Die Möglichkeit der Kündigung der (ohnehin nichtigen) GbR führe hier nicht zu einer überragenden Rechtsmacht des Klägers, da sie ebenso dem Beigeladenen Ziff. 1 zugestanden hätte. Die damals tatsächlich „gelebte“ Vereinbarung begründe neben einer fehlenden Weisungsunterworfenheit des Beigeladenen Ziff. 1 unter den Kläger zugleich auch seine nunmehr fehlende Eingliederung in eine (fremde) Arbeitsorganisation des Klägers und deute damit in entscheidenden Anhaltspunkten auf eine selbstständige Tätigkeit hin (mit Hinweis auf den Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 04.12.2017 im Verfahren L 13 R 4217/17 ER-B). Die anfänglich vereinbarte Aufteilung des Gewinns nach den jeweiligen Umsätzen entspreche hier im Hinblick auf die getätigten Aufwendungen des Beigeladenen Ziff. 1 für die Kanzlei und die laufenden Verpflichtungen aus den gemeinsam eingegangenen Verpflichtungen auch einem echten Unternehmerrisiko, das über den Einsatz nur der jeweiligen Arbeit hinausging. Erst recht gelte dies für die ab 2012 vereinbarte hälftige Teilung des Gewinns der GbR, die etwa auch dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2014 zu entnehmen sei. Ein weiteres Indiz für eine selbstständige Tätigkeit sei die steuerliche Behandlung der Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Form der Mitunternehmerschaft gemäß § 18 Abs. 4 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Der Wendung des BSG, wonach die tatsächlich praktizierte Rechtsbeziehung nur maßgebend sein solle, soweit sie rechtlich zulässig sei (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29.08.2012 - B 12 KR 25/10 R -), könne nicht entnommen werden, dass eine Tätigkeit, die zumindest bei selbstständiger Ausübung einen Verstoß gegen ordnungsrechtliche Vorschriften darstellen würde, aus diesem Grunde nur als eine abhängige Beschäftigung angesehen werden könne.
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Gegen das Urteil des SG hat der Kläger am 24.10.2018, der Beigeladene Ziff. 1 am 23.10.2018 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung haben sie ihren bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft.
43
Nach Auffassung des Klägers liege insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlichen Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Beigeladenen Ziff. 1 mangels einer irgendwie gearteten Rechtsmacht zu Weisungen bezüglich Zeit, Ort, Art und Weise der Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 und mangels Einbindung in eine fremde Betriebsstruktur auch im Zeitraum 2006 bis 2009 eine selbstständige Tätigkeit vor. Der Beigeladene Ziff. 1 sei in diesen Jahren zwar in fremdem Betrieb tätig gewesen, nicht aber in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Beginns der Zusammenarbeit Einzelanwalt mit einem Lehrling gewesen. Sein eigener Tätigkeitsschwerpunkt habe im Ausländer- sowie im Familienrecht gelegen, auf dem Gebiet des SGB II sei er vor Beginn der Zusammenarbeit mit dem Beigeladenen Ziff. 1 nicht tätig gewesen. Es hätten keine Betriebsstrukturen existiert, in welche der Beigeladene Ziff. 1 hätte eingegliedert werden können. Es hätten auch keine organisatorischen Vorgaben bestanden, welche sich nicht aus der Natur der Tätigkeit, sondern aus kanzleiseitigen und/oder organisatorischen Rahmenbedingungen hätten ergeben können. Der Beigeladene Ziff. 1 habe einen Raum im Büro des Klägers bezogen. Die Notwendigkeit einer Absprache, um Zugang zum Büro und zu Besprechungsräumen zu erhalten, habe nicht bestanden. Der Beigeladene Ziff. 1 habe sein Zimmer mit eigenen Möbeln und eigener Technik ausgestattet; er habe für die Mandatserfassung, elektronische Akten- und Vorgangserfassung, Mandatsbuchhaltung und Kundendatei eine von ihm bereits früher erworbene und programmierte Datenbank auf Grundlage der Software F2 verwendet. Der Kläger selbst habe sein Aktenregister zunächst noch in Papierform geführt. Von Kanzleiseite habe weder eigene Software noch PC-Intranet bestanden. Erst nach etwa zwei Jahren seien die Akten des Klägers in die EDV des Beigeladenen Ziff. 1 eingepflegt worden (nicht umgekehrt). Der Beigeladene Ziff. 1 habe mit der Akquise von Mandaten aus dem Rechtskreis des SGB II begonnen, indem er Kontakte zu Sozialarbeitern, Selbsthilfegruppen und Sozialdienstleistern aufgenommen habe. Er habe auch einen Flyer entworfen, in dem auf das neue Tätigkeitsfeld der Kanzlei hingewiesen worden sei (als Anlage beigefügt). Bereits im Jahr 2006 habe der Beigeladene Ziff. 1 689 Verfahren geführt. Dabei sei wie folgt verfahren worden: Die Schriftsätze seien vom Beigeladenen Ziff. 1 entworfen und vom Kläger unterzeichnet worden. Die Vollmachten hätten nur auf den Kläger gelautet, später auch auf die weiteren Berufsträger der Kanzlei. Begleitschreiben für Mandanten habe der Beigeladene Ziff. 1 selbst unterzeichnet, meist sinngemäß formuliert wie „in der Anlage überreiche ich Ihnen meine Klage an das Sozialgericht …“. Der Beigeladene Ziff. 1 habe auch Einfluss auf die Höhe seines Verdienstes nehmen können, indem er mit Mandanten Verhandlungen hierüber geführt habe. Er habe Kontovollmacht erhalten und die Zahlungseingänge auf Rechnungen in den von ihm begleiteten Akten einsehen und in seiner Datenbank verbuchen können; im Anschluss habe er dem Kläger nach Zahlungseingang Rechnungen in Höhe von 50 Prozent des jeweiligen Nettoertrags gestellt, wie es der Honorarvertrag vorgesehen habe. Hierfür habe er ein eigenes Geschäftskonto unterhalten, auf welches er auch die übrigen Erträge aus Betreuer-, Vortrags- und Fortbildungstätigkeit vereinnahmt habe. Die Akquise sei erfolgreich gewesen, im Jahr 2007 habe das Referat des Beigeladenen Ziff. 1 1.410 Verfahren verzeichnet. Es sei Rechtsanwalt G in Teilzeit angestellt worden, welcher die Gerichtstermine in den Akten wahrzunehmen gehabt habe, welche der Beigeladene Ziff. 1 akquiriert habe. Die Beteiligten hätten sich „Sozialrecht in F“ genannt und hätten ein Briefpapier verwendet, auf dem der Beigeladene Ziff. 1 als Kooperationspartner aufgeführt worden sei. Der Internetauftritt der Kanzlei sei vom Beigeladenen Ziff. 1 konzipiert worden, die entsprechende Domain auf seinen Namen gelaufen (Sozialrecht-R1). Ende 2007 hätten sie einvernehmlich den Umzug der Kanzlei in größere Räumlichkeiten beschlossen; der Beigeladene Ziff. 1 habe die Räume in der K-Straße gefunden. Im Mietvertrag über die neuen Räumlichkeiten habe der Beigeladene Ziff. 1 gegenüber dem Vermieter eine Bürgschaft für die Verbindlichkeiten aus dem Gewerbemietvertrag erklärt. Die erforderlichen Investitionen in Höhe von etwa 70.000 EUR hätten die Beteiligten je zur Hälfte getragen. Der Beigeladene Ziff. 1 habe seinen Anteil durch Verrechnung mit Honoraransprüchen getragen. Vom Beigeladenen Ziff. 1 sei eine offene Sprechstunde begonnen worden; die hierbei akquirierten Mandate habe dieser bearbeitet. Ab 2008/2009 seien neue Berufsträger angeworben worden; der Beigeladene Ziff. 1 sei an den Einstellungsgesprächen nicht nur beteiligt gewesen, sondern habe auch die Konditionen verhandelt, zu welchen die Rechtsanwälte tätig geworden seien und ihnen die Mandate zugewiesen, die er selbst aus Kapazitätsgründen nicht habe bearbeiten können. Ergänzend hat der Kläger weitere Anlagen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird (Kalenderblätter, Flyer, Adressliste Verteiler, Nachweise zu Dozententätigkeiten des Beigeladenen Ziff. 1, exemplarischer Schriftverkehr, eidesstattliche Versicherung des Beigeladenen aus einem der zivilgerichtlichen Verfahren).
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 14. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2017 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. September 2018 insoweit aufzuheben, als darin festgestellt wird, dass der Beigeladene Ziff. 1 in seiner Tätigkeit im Zeitraum 1. März 2006 bis 31. Dezember 2009 als abhängig Beschäftigter der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag;
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hilfsweise
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zum Beweis der Tatsache, dass der Beigeladene Ziff. 1 mit Mandanten Verhandlungen über sein Honorar führte und damit Einfluss auf die Höhe seines Verdienstes nehmen konnte und tatsächlich genommen hat, die Zeugen W1, R-S und S
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und zum Beweis der Tatsachen,
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- dass bei Aufnahme der Tätigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 keine Betriebsstrukturen existierten, in welche der Beigeladene hätte eingegliedert werden können,
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- insbesondere keine organisatorischen Vorgaben bestanden, welche sich nicht aus der Natur der Tätigkeit, sondern aus kanzleiseitigen und/oder organisatorischen Rahmenbedingungen hätten ergeben können,
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- des weiteren keine kanzleieigene Software existierte, kein PC-Intranet, und auch eine Notwendigkeit der Absprache, um Zugang zum Büro und zu Besprechungsräumen zu erhalten, nicht bestand,
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die Zeuginnen B2 und K1 zu vernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufungen zurückzuweisen.
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Der Kläger und der Beigeladene Ziff. 1 verfolgten widerstreitende Interessen. Das SG habe den Sachverhalt ermittelt und anders gewürdigt als die Beklagte. Die Beklagte habe das Urteil hingenommen, stelle dem erkennenden Senat aber anheim, ggf. weitere Ermittlungen anzustellen.
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Der Beigeladene Ziff. 1 beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. September 2018 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
58
Er sei vom 01.3.2006 bis 31.12.2015 für den Kläger in dessen Kanzlei weisungsabhängig tätig gewesen, indem er Gespräche mit Mandantinnen und Mandanten zur Aufnahme des Sachverhalts geführt, Gesprächsvermerke mit rechtlichen Hinweisen für die bearbeitenden Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen gefertigt, Schriftsätze diktiert, überprüft und korrigiert sowie juristische Recherchen für die Anwälte und Anwältinnen der Kanzlei durchgeführt habe. In einem Schreiben an die Rechtsanwaltskammer F habe der Kläger dies ausdrücklich bestätigt, indem er ausgeführt habe, dass Herr R „mit meinem Wissen in keinem Fall Mandanten juristisch beraten“ habe und „keine Schriftsätze ohne sein Mitwirken und keine Verfahren ohne anwaltliche Vertretung des Mandanten geführt“ habe. Neben den bereits genannten Tätigkeiten habe er umfangreiche Tätigkeiten zur Akquise von Mandanten entfaltet. Dazu hätten u.a. Gespräche mit Stellen, die Sozialberatung anbieten, Gespräche mit Krankenhäusern, mit Rechtsschutzversicherungen und kostenlose Fortbildungen gehört. Über die Frage, wer die so akquirierten Mandate bearbeitet habe, habe der Kläger entschieden. Von Beginn der Tätigkeit bis Ende 2009 habe er Rechnungen wie im Honorarvertrag vereinbart gestellt; allerdings nur für 2006 und 2007 in vereinbarter Höhe. Ab 2008 habe er, nachdem der Kläger von ihm die Beteiligung an den Investitionen in die neu angemieteten Büroräume erwartet habe, vorläufig zunächst geringere Beträge in Rechnung gestellt. Auch ab dem 01.01.2010 habe sich an seiner Mitarbeit und den faktischen Verhältnissen in der Kanzlei des Klägers nichts geändert. Es seien lediglich ab diesem Zeitpunkt die Zahlungen des Klägers als „Privatentnahmen“ bezeichnet und verbucht worden. Eine GbR sei jedoch anders als vom erstinstanzlichen Gericht angenommen, nicht gegründet worden. Er habe dies bis ins Jahr 2016 hinein geglaubt; erst die Entscheidung des LG Freiburg vom 06.05.2016 habe ihm klargemacht, dass dies ein Irrtum gewesen sei und er aus der vermeintlichen Position als Gesellschafter keine Rechte ableiten könne. Auf die Bürgschaft für den neuen Mietvertrag 2008, den Abschluss weiterer Mietverträge als Mitmieter 2014 und 2015 und den gemeinsamen Darlehensvertrag habe er sich (jeweils auf entsprechende Forderung des Klägers hin, da dieser die Risiken nicht habe alleine tragen wollen) im Vertrauen darauf eingelassen, dass der Kläger sein gegebenes Versprechen einhalten und eine schriftliche Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit schließen würde. Hierzu sei es aber nie gekommen. Stattdessen habe der Kläger zum 31.12.2015 die Kündigung der „Innengesellschaft“ erklärt. Seiner Auffassung nach habe seine Tätigkeit für den Kläger nahezu ausschließlich darin bestanden, in Mandatsverhältnissen, die zwischen dem Kläger und seinen Mandanten bestanden hätten, weisungsgebunden zu arbeiten. Der Kläger habe nicht nur über die unbeschränkte Rechtsmacht verfügt, in Bezug auf alle Aspekte der Tätigkeiten des Beigeladenen Ziff. 1 Weisungen zu erteilen, sondern sei darüber hinaus auch verpflichtet gewesen, diese Rechtsmacht bis zu einem gewissen Mindestmaß auszuüben, was sich aus § 43 BRAO, wonach der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben habe, ergebe. Darauf, dass der Kläger diese Rechtsmacht nach seinen Angaben tatsächlich nicht ausgeübt habe, komme es nicht an. Dem Beigeladenen Ziff. 1 selbst sei die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im eigenen Namen verboten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, auf die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten sowie die weiteren beigezogenen Gerichtsakten (SG Freiburg: S 5 KR 5132/16, S 16 R 3220/17 ER; LSG Baden-Württemberg: L 13 R 4217/17 ER-B) Bezug genommen. | Die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen Ziff. 1 gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. September 2018 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten. | 0 |
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Hessisches Landessozialgericht 8. Senat | Hessen | 0 | 0 | 21.03.2019 | 0 | Im Streit steht die Kostenerstattung für eine ambulante Psychotherapie bei dem nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten und Diplom-Psychologen C.
Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Aufgrund einer schweren depressiven Episode bewilligte die Beklagte der zu diesem Zeitpunkt noch in der Nähe von München lebenden Klägerin mit Bescheid vom 27. Februar 2014 eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie in Form einer Kurzzeittherapie bis zu 25 Sitzungen. Die Maßnahme wurde bei der Diplom – Psychologin D. in D-Stadt in der Zeit bis zum 16. September 2014 in einem Umfang von 16 Sitzungen durchgeführt. Vom 21. Mai 2014 bis 15. Juli 2014 wurde die Klägerin wegen „rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, Essstörung und Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ stationär behandelt. Im Anschluss an ihren Umzug zum jetzigen Wohnort befand sich die Klägerin ab dem 9. März 2015 in Behandlung bei dem Psychologischen Psychotherapeuten Diplom-Psychologe C., der keine Zulassung zur vertragspsychotherapeutischen Behandlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen besitzt. Am 6. Mai 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Psychotherapie bei Herrn C. Sie gab hierzu an, 16 namentlich von ihr benannte Psychotherapeuten hätten für sie keinen freien Therapieplatz gehabt. In einem beigefügten Kostenerstattungsantrag des Herrn C. führte dieser aus, bei der Klägerin sei wegen „rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig leichte Episode mit somatischem Syndrom“ eine ambulante Verhaltenstherapie als Langzeittherapie in Einzelbehandlung indiziert. Es sollten 45 (+ 5 probatorische) Sitzungen zu je 50 Minuten Dauer durchgeführt werden. Das Honorar richte sich nach dem jeweils geltenden Vertragssatz des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM Nr. 35221). Ebenfalls beigefügt war ein Konsiliarbericht des Neurologen und Psychiater Dr. E. vom 18. März 2015. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Mai 2015 mit der Begründung ab, die psychotherapeutische Behandlung werde durch Vertragsärzte und zugelassene beziehungsweise ermächtigte psychologische Psychotherapeuten sichergestellt. Eine Wartezeit von bis zu 12 Wochen sei durchaus angemessen. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 1. Juni 2015 Widerspruch ein. Dabei führte sie aus, bei Herrn C. bereits fünf therapeutische „Kennenlernsitzungen“ absolviert zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2015 als unbegründet zurück. Der Diplom-Psychologe C. habe keine Zulassung zur Ausführung und Abrechnung von psychotherapeutischen Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung und dürfe daher keine Psychotherapie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen. Nicht zugelassene, approbierte Leistungserbringer dürften nur in Notfällen in Anspruch genommen werden, in denen die Behandlung nicht ohne Gefahr für Leib und Leben des Patienten verzögert werden können (Fälle der sogenannten „Ersten Hilfe“), und ein zur vertraglichen Versorgung zugelassener Behandler nicht rechtzeitig zur Verfügung stehe. Im Fall der Klägerin liege ein solcher Notfall nicht vor. Eine auf Dauer angelegte Psychotherapie stelle keinen Notfall dar, der sofortiges ärztliches Handeln erfordere. Vielmehr könnten hier die Möglichkeiten ärztlicher und psychotherapeutischer Hilfe im Rahmen einer Krisenintervention genutzt werden. Auch sei eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung durch zugelassene Therapeuten sichergestellt. Eine Wartezeit von mehreren Monaten sei zumutbar. Die Beklagte habe der Klägerin zwei Vertragstherapeuten benannt, die freie Therapieplätze anbieten würden. Die Klägerin könne sich nicht auf ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Therapeuten berufen, da dieses durch die unzulässige Inanspruchnahme des Therapeuten begründet worden sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 14. August 2015 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2018 abgewiesen, da die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht erfüllt seien. Es bestehe weder eine dringenden Eilbehandlung gebietende Behandlungsbedürftigkeit noch habe die Beklagte eine medizinisch unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen können. Der Klägerin sei zumutbar gewesen, vor Beginn der ambulanten Behandlung bei dem Diplom-Psychologen C. am 9. März 2015 bei der Beklagten die Kostenübernahme zu beantragen und diese hierüber entscheiden zu lassen. Die Klägerin könne auch nicht die Übernahme der Kosten einer künftigen Behandlung bei dem Diplom-Psychologen C. im Wege der Sachleistung beanspruchen, da dieser nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zugelassen sei.
Gegen das ihr am 24. Februar 2018 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 13. März 2018.
Die Klägerin hat die Gesamtkosten der von ihr durchgeführten Therapie bei dem Diplom-Psychologen C. durch Vorlage von Rechnungen in Höhe von insgesamt 2.057,02 € nachgewiesen.
Der Berichterstatter hat der Beklagten mit Verfügung vom 11. Februar 2019 den rechtlichen Hinweis erteilt, dass sich ein Anspruch der Klägerin aus der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V ergeben könnte.
Im Rahmen des nachfolgend am 14. Februar 2019 mit den Beteiligten durchgeführten Erörterungstermin hat die Klägerin erklärt, sie habe sich bereits im Vorfeld, d.h. vor den Sitzungen bei Herrn C. mit der Beklagten in Verbindung gesetzt. Im Rahmen eines Telefonats mit einem Arzt, der für die Beklagte bei ihr angerufen habe, sei ihr von diesem mitgeteilt worden, sie solle zunächst die probatorischen Sitzungen bei Herrn C. beginnen. Ein Antrag würde dann nach Abschluss der probatorischen Sitzungen durch den Arzt gestellt werden. Bereits zuvor habe sie ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Beklagten geführt. Auch diese hat ihr gesagt, sie solle erst den Therapeuten zur Durchführung der probatorischen Sitzungen aufsuchen. Ein Antrag würde dann gestellt werden, wenn die probatorischen Sitzungen beendet seiend und die Chemie mit dem Therapeuten stimme.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Februar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der vom 23. Juli 2015 bis zum 24. Januar 2019 durchgeführten Psychotherapie bei dem Diplom-Psychologen C. in Höhe von insgesamt 2.057,02 € zu erstatten sowie die Kosten für die weitere, am 6. Mai 2015 beantragte Psychotherapie bei dem Diplom-Psychologen C. im Umfang von 21 Sitzungen zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Genehmigungsfiktion könne aufgrund des nicht eingehaltenen Beschaffungsweges vorliegend nicht zur Anwendung kommen. Mit den Therapiesitzungen bei dem Therapeuten C. sei bereits ab dem 9. März 2015 begonnen worden. Dies ergebe sich sowohl aus dessen Bescheinigungen sowie dem bisherigen Vorbringen der Klägerin.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. | Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Februar 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Kosten der vom 23. Juli 2015 bis zum 24. Januar 2019 durchgeführten Psychotherapie bei dem Diplom-Psychologen C. in Höhe von insgesamt 2.057,02 € zu erstatten sowie die Kosten für die weitere, am 6. Mai 2015 beantragte Psychotherapie bei dem Diplom-Psychologen C. im Umfang von 21 Sitzungen zu übernehmen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Berlin 3. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 30.11.2018 | 1 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über das zeitliche Hinausschieben der Wiederholung der Fachschulprüfung zur Erzieherin.
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Die 42-jährige Klägerin nahm zum Schuljahr 2009/2010 ein Fachschulstudium zur Erzieherin an der 1...(nachfolgend: Schule) auf. Nachdem sie den Studiengang zu Beginn des Monats November 2009 auf eigenen Wunsch verlassen hatte, wurde sie im September 2010 erneut im ersten Semester des laufenden Schuljahres 2010/2011 an der Schule aufgenommen. Im Schuljahr 2013/2014 wurde sie erstmals zur Fachschulprüfung zugelassen.
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Mit Bescheid vom 27. Mai 2014 stellte die Schule gegenüber der Klägerin fest, dass sie das Kolloquium und damit auch die Fachschulprüfung nicht bestanden habe. Die Klägerin beantragte daraufhin, das sechste Fachsemester zu wiederholen. Die Schule gestattete die Wiederholung und teilte der Klägerin unter dem 4. Juli 2014 mit, dass sie die Ausbildung im Februar 2015 wieder aufnehmen könne, außerdem solle sie sich im Oktober 2014 wegen des Facharbeitsthemas und der Zuordnung zu einer Semestergruppe mit der Schule in Verbindung setzen. Die Klägerin blieb dem Unterricht zunächst unter Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fern. Voraufgegangen waren Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und den verantwortlichen Lehrern darüber, ob im Rahmen der Wiederholungsprüfung eine neue Facharbeit zu schreiben sei. Mit Schreiben vom 23. Januar 2015 teilte die Schule der Klägerin mit, dass sie im Rahmen der Fachschulprüfung eine neue Facharbeit zu erstellen habe und setzte ihr eine Frist zur Genehmigung eines Themas. Diese ließ die Klägerin verstreichen. Mit Schreiben vom 2. März 2015 wies die Schule darauf hin, dass die Klägerin die Frist für die Abgabe des Facharbeitsthemas habe verstreichen lassen und das von ihr vorgelegte, am 16. Februar 2015 ausgestellte ärztliche Attest nicht anerkannt werde.
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Im Februar 2015 kündigte die Schule der Klägerin an, sie wegen ihres Fernbleibens vom Unterricht aus der Studierendenliste zu streichen. Die gegen die Streichung aus der Studierendenliste gerichtete Anfechtungsklage der Klägerin hatte Erfolg (VG Berlin, Urteil vom 16. Februar 2016 – VG 3 K 201.15 – ).
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Im Schuljahr 2015/2016 nannte die Schule mit ihrem Schreiben vom 11. Dezember 2015 der Klägerin ein Thema für die Facharbeit und bot ihr drei Beratungstermine an, die die Klägerin nicht wahrnahm. Sie reichte diverse Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume 4. bis 15. Januar 2016, 9. Februar bis 1. April 2016, 4. April bis 17. Juni 2016 und 8. bis 14. Juli 2016 bei der Schule ein.
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Mit Bescheid vom 18. März 2016 teilte ihr die Schule mit, dass sie die Facharbeit zum festgelegten Zeitpunkt, dem 11. März 2016, nicht abgegeben habe. Damit sei sie nicht zur Fachschulprüfung 2015/2016 zugelassen. Weiterhin hieß es darin, dass die Schule sie aufgrund ihrer durch Atteste belegte Erkrankung im Schuljahr 2014/2015 von der Fachschulprüfung gemäß
§ 38 der APVO-Sozialpädagogik
zurückgestellt habe. Sie könne nicht erneut von der Fachschulprüfung zurückgestellt werden.
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Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 18. April 2016 Widerspruch, den sie nicht weiter begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2017 wies die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (i.F. Senatsverwaltung) den Widerspruch der Klägerin zurück. Dagegen hat die Klägerin am 11. April 2017 die Klage VG 3 K 501.17 erhoben.
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Mit ihrem Schreiben vom 13. Oktober 2016 unter dem Betreff „Wiedereinstieg in das 6. Semester, Wiederholung der Fachschulprüfung, Facharbeit“ forderte die Schule die Klägerin auf, sich mit ihr bis zum 1. November 2016 wegen der Organisation der Facharbeit in Verbindung zu setzen. Mit einem weiteren Schreiben vom 13. Oktober 2016 unter dem Betreff „Wiedereinstig in das 6. Semester“ forderte die Schule die Klägerin dazu auf, das Facharbeitsthema bis zum 19. Dezember 2016 einzureichen. Die Klägerin übersandte daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum 3. bis 18. November 2016. Mit Schreiben vom 28. November 2016 teilte die Schule der Klägerin erneut mit, dass am 19. Dezember 2016 die verbindliche Abgabe eines Themas für die Facharbeit erfolge und die Frist zu deren Abgabe auf den 10. März 2017 festgelegt werde. Außerdem bot die Schule ihr drei Beratungstermine an. Den ersten Termin sagte die Klägerin am 5. Dezember 2016 schriftlich ab, da sie erkrankt sei.
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Am 7. Dezember 2016 beantragte die Klägerin bei der Schule die Unterbrechung ihrer Ausbildung. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 wies die Schule sie darauf hin, dass sie über eine erneute Zurückstellung erst nach Rücksprache mit der zuständigen Stelle der Senatsverwaltung entscheiden könne. Unter dem 15. Dezember 2016 nahm die Klägerin ihren Antrag schriftlich zurück. Daraufhin forderte die Schule sie mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 auf, das Thema der Facharbeit bis spätestens 4. Januar 2017 mitzuteilen, ansonsten gelte die Facharbeit als nicht absolviert. Die Klägerin wandte hierauf mit Schreiben vom 30. Dezember 2016 ein, dass sie ihr Kolloquium bestanden habe und von der bestandenen Facharbeit nicht abtreten werde.
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Am 18. Januar 2017 beantragte die Klägerin schriftlich bei der Senatsverwaltung, ihr die „Unterbrechung“ der Ausbildung zu gewähren. Sie sei derzeit mittellos und ihr drohe eine Räumungsklage. Unter den gegebenen Umständen könne sie weder die „Schlussprüfungen absolvieren noch ähnliches.“ Außerdem leide sie unter diversen Erkrankungen und sei schwerbehindert.
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Den Antrag lehnte die Senatsverwaltung mit Bescheid vom 23. Januar 2017 ab. Zur Begründung hieß es, dass allein eine Zurückstellung in Betracht komme, weil sich die Klägerin bereits im Prüfungssemester befinde. Diese könne aber nicht gewährt werden, weil eine Zurückstellung nur einmal möglich und die Klägerin bereits im Schuljahr 2014/2015 zurückgestellt worden sei.
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Dagegen hat die Klägerin am 29. Januar 2017 die hiesige Klage VG 3 K 121.17 erhoben. Sie trägt sinngemäß vor, dass sie von einer Zurückstellung im Schuljahr 2014/2015 nichts wisse. Weder habe sie dies beantragt noch sei ihr hierüber Mitteilung gemacht worden. Sie beantrage, die Zurückstellung 2014/2015 zurückzunehmen.
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Mit weiterem Bescheid vom 13. März 2017 teilte die Schule der Klägerin mit, dass sie zum Schuljahr 2016/2017 nicht zur Fachschulprüfung zugelassen werde, weil sie die Facharbeit nicht fristgemäß zum 10. März 2017 abgegeben habe. In Anbetracht der wiederholten Nichtzulassung zur Fachschulprüfung sei als Rechtsfolge das endgültige Nichtbestehen der Fachschulprüfung festzustellen. Die Klägerin habe den Bildungsgang zu verlassen.
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14
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. November 2018 hat die Vertreterin des Beklagten den Bescheid der Senatsverwaltung vom 23. Januar 2017 und den Bescheid der Schule vom 13. März 2017 aufgehoben und erklärt, dass die Klägerin auf ihren entsprechenden Antrag vom 18. Januar 2017 hin für das Schuljahr 2016/2017 gemäß
§ 38 APVO-Sozialpädagogik
von der Fachschulprüfung zurückgestellt werde. Außerdem hat die Vertreterin des Beklagten den Bescheid der Schule vom 18. März 2016 dahin gehend geändert, dass sie die Sätze 2 und 3 betreffend die Zurückstellung im Schuljahr 2014/2015 ersatzlos gestrichen hat.
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15
Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung weder erschienen noch war sie vertreten, so dass sie keinen Antrag gestellt hat.
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16
Der Beklagte beantragt,
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17
die Klage abzuweisen.
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18
Er ist der Ansicht, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen sei, da er die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vollständig klaglos gestellt habe.
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19
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. November 2018 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Einzelrichterin den Antrag der Klägerin auf Terminsverlegung, der am Vorabend des Termins um 21:49 bei Gericht per Telefax eingegangen war, abgelehnt.
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20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Streitakte, die Gerichtsakte VG 3 K 501.17 und auf die von dem Beklagten zum Verfahren gereichten Verwaltungsvorgänge (vier Halbhefter) Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind – soweit erheblich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
LG Magdeburg 10. Zivilkammer | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 09.11.2010 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger begehrt von der beklagten Stadt materiellen Ersatz wegen eines vermeintlichen Schadens an seiner Zaunanlage.
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2
Er ist Eigentümer eines Grundstücks im Ortsteil E der beklagten Stadt. Dieses Grundstück ist zur Straße hin von einer schmiedeeisernen und verzinkten Zaunanlage eingefasst, die der Kläger im August 2009 errichten ließ. Bei der Straße handelt es sich um eine Sackgasse, an der lediglich drei 2-Familien-Häuser liegen. Die Straße ist eng und hat ein Gefälle von höchstens 2 Prozent. Es gilt ein Tempolimit von 30 km/h.
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3
Nach der diesjährigen Schneeschmelze habe der Kläger am 17. März 2010 festgestellt, dass am Zaun und an den Torelementen erhebliche Schäden entstanden seien. An der Zaunanlage seien Aufblühungen der Verzinkung entstanden. Hierfür sei das von der Beklagten verwendete Streusalz verantwortlich. Dass die Beklagte mit Salz streue, sei dem Kläger nicht bekannt gewesen. Das Streusalz schädige sogar die Straßenoberfläche. Weil der Kläger nicht gewusst habe, dass mit Salz gestreut worden sei, hatte er –unstreitig – entlang seiner Grundstücksgrenze einen Gehweg freigeschaufelt, wodurch wiederum Salz an die Zaunelemente gelangt ist.
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4
Zwischen den Parteien ist auch unstreitig, dass sich ein Mitarbeiter der Beklagten den Zaun des Klägers angesehen hat. Der Kläger behauptet, der Mitarbeiter der Beklagten habe hierbei einen Schaden festgestellt.
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5
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es ausreichend und angemessen gewesen sei, wenn auf dieser Anliegerstraße lediglich der Schnee geräumt worden wäre. Aber selbst wenn Salz hätte gestreut werden müssen, hätte die Streuweitenregulierung am Streufahrzeug so eingestellt werden können und müssen, dass das Salz lediglich in der Straßenmitte auftreffe.
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6
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
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7
1.
an den Kläger 1.901,48 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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8
2.
den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 229,55 Euro freizustellen.
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9
Die Beklagte beantragt,
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10
die Klage abzuweisen.
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11
Weder die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs noch eines Anspruchs aus enteignungsgleichem Eingriff lägen vor, ebenso wenig die Voraussetzungen eines Anspruchs aus enteignendem Eingriff oder eines Entschädigungsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.
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12
Der Mitarbeiter der Beklagten, der sich den Zaun angesehen und – unstreitig – nicht näher definierte „Erscheinungen“ bemerkt hat, sei nicht in der Lage gewesen, die Ursache für jene Erscheinungen zu bewerten.
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13
Am 21. September 2010 hat Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Zum Inhalt wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen und verwiesen (Bl. 32 f. d.A.).
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Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen und verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 7. Senat | Berlin | 1 | 1 | 20.02.2013 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides als Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung.
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2
Der Kläger nimmt seit dem 1. Juli 1995 als Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 30. September 2004 war er mit Herrn K G, Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich, in einer Praxisgemeinschaft in B tätig. Seit Oktober 2004 sind beide Ärzte in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätig.
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3
Für das Quartal III/02 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers auf 75.959,02 € fest. Der Honorarfestsetzungsbescheid wurde dem Kläger am 4. April 2003 bekanntgegeben. Im Sommer 2004 führte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bei dem Kläger und Herrn G eine Plausibilitätsprüfung gemäß § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) durch. Mit Schreiben vom 8. Juli 2004 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass ein außergewöhnlich hoher Anteil an gemeinsamen Patienten zwischen der Praxis des Klägers und der Praxis des Herrn G vorliege. In seiner Stellungnahme vom 8. August 2004 führte der Kläger aus, er und Herr G seien bemüht, ihre Praxen wirtschaftlich zu führen. Es sei unter anderen zu berücksichtigen, dass er als hausärztlicher Internist mit dem Schwerpunktgebiet Diabetes arbeite. Mit Schreiben vom 22. September 2006 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass er im Quartal III/02 unzutreffende Abrechnungen vorgenommen habe. Diese Annahme beruhe auf der Tatsache, dass er und Herr G in diesem Quartal 601 gemeinsame Patienten behandelt hätten, wobei nur für 86 Patienten eine gemeinsame Behandlung plausibel sei. Die verbleibenden 515 gemeinsamen Patienten seien aber von ihnen wie in einer Gemeinschaftspraxis behandelt worden. Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten forderte den Kläger im Rahmen eines Vergleichsvorschlages zu einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 16.242,32 € gegen Beendigung der Plausibilitätsprüfung auf.
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4
Mit Schreiben vom 26. September 2006 bat der Kläger um Prüfung, ob es akzeptabel sei, dass ein höherer Anteil der gemeinsamen Patienten als die vorgeschlagenen 10 % von der Schadensberechnung ausgenommen würden. Er schlage vor, diesen Anteil auf beispielsweise 30 % festzulegen.
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5
Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bestätigte mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 den Eingang des Schreibens vom 26. September 2006. Er gehe davon aus, dass der Kläger das Vergleichsangebot nicht annehme. Mit weiterem Schreiben vom 6. Dezember 2006 erinnerte die Beklagte den Kläger an seine Stellungnahme hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung für das Quartal IV/2002.
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6
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 8. Dezember 2006 erneut an die Beklagte. Er zog sein Vergleichsangebot vom 26. September 2006 zurück und bat um Zusendung eines neuen Vergleichsangebotes auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung einer Abrechnung als Praxisgemeinschaft gegenüber einer Abrechnung als Gemeinschaftspraxis. Aus der Differenz ergebe sich die Schadenshöhe.
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7
Ab Mai 2007 gab es zwischen dem Kläger und der Beklagten weitere Schriftwechsel, die aber die Quartale I/03 bis I/05 betrafen. Am 17. Juli 2007 leitete die Beklagte eine interne Neuberechnung des Honorars des Klägers ab dem Quartal III/2002 ein. Eine Mitteilung hierüber an den Kläger erfolgte nicht.
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8
Mit Schreiben vom 22. April 2008 bot die Beklagte dem Kläger an, das Plausibilitätsverfahren gegen Zahlung einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 5.000,00 € einzustellen.
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9
Am 24. April 2008 teilte der Kläger mit, er werde das Vergleichsangebot annehmen, sofern keine Verjährung eingetreten sei. Nach seinem Informationsstand sei die Rückzahlungsforderung bezüglich des Quartals III/02 verjährt.
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10
Mit Schreiben vom 25. April 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Rückforderungsansprüche Ihrer Ansicht nach noch nicht verjährt seien. Zur Begründung führte sie aus, dass die vierjährige Ausschlussfrist aufgrund schwebender Vergleichsverhandlungen gehemmt gewesen und daher noch nicht verstrichen sei. Sie forderte den Kläger zur Überweisung des "vergleichsmäßigen Rückforderungsbetrages" i.H.v. 4.880,00 € auf.
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11
Am 5. Mai 2008 bat der Kläger die Beklagte um Mitteilung der Rechtsgrundlage der Verjährungshemmung durch ein einseitiges Vergleichsangebot. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 sei ihm bestätigt worden, dass er das Vergleichsangebot der Beklagten vom 22. September 2006 nicht angenommen habe.
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12
Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nach ihrer Auffassung die Vergleichsverhandlungen mit Schreiben vom 22. September 2006 begonnen und bis zum 22. April 2008 gedauert hätten. Mit Schreiben vom 26. September 2006 habe der Kläger seine Vergleichsbereitschaft unterstrichen, mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 habe die Beklagte einen neuen Vergleichsvorschlag angekündigt, der mit Schreiben vom April 2008 vorgelegt worden sei. Von einem "einseitigen Vergleichsangebot" könne keine Rede sein.
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Mit Schreiben vom 22. Mai 2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er weiterhin von Verjährung ausgehe. Eine Rückzahlung lehne er daher ab.
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Mit Schreiben vom 29. Mai 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Schreiben vom 22. Mai 2008 als endgültige Ablehnung des Vergleichs gewertet werde. Die Angelegenheit werde nun dem Plausibilitätsausschuss vorgelegt. Die Rückforderungsansprüche seien nicht verjährt.
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Mit Bescheid vom 13. August 2008 hob die Beklagte den Honorarbescheid III/02 auf und kürzte das Honorar um 5. 614,75 € (brutto). Zur Begründung verwies sie auf den in der Plausibilitätsprüfung festgestellten Verstoß gegen die vertragsärztlichen Abrechnungsvorgaben. Wegen Hemmung der Verjährung/Ausschlussfrist vom 22. September 2006 bis zum Eingang des Schreibens vom 22. Mai 2008 am 28. Mai 2008 sei Verjährung nicht eingetreten.
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16
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, allein die Tatsache, dass seit der Bitte des Klägers um ein neues Vergleichsangebot und dem Antwortschreiben der Beklagten mehr als ein Jahr und vier Monate vergangen seien, führe nicht dazu, die Verhandlungen als beendet anzusehen. Es sei Sache des Klägers gewesen, durch eine eindeutige Ablehnung weiterer Verhandlungen die Verjährungshemmung zu beenden. Eine solch eindeutige Erklärung könne erst im Schreiben vom 22. Mai 2008 gesehen werden. Es sei davon auszugehen, dass die Verjährung in der Zeit vom 4. April 2003 bis 22. September 2006 und dann wieder ab dem 23. Mai 2008 bis zum 13. August 2008, dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, gelaufen sei. Unter Berücksichtigung der Verjährungshemmung vom 23 September 2006 bis zum 22. Mai 2008 seien daher von der vierjährigen Verjährungsfrist erst drei Jahre und sechs Monate abgelaufen gewesen.
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17
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, das verjährungsrechtliche Hemmungsvorschriften – insbesondere §§ 203 ff. BGB – keine Anwendung. Selbst bei Anwendung dieser Vorschriften sei die Ausschlussfrist vor dem 13. August 2009 abgelaufen gewesen. Verhandlungen im Sinne des § 203 Abs. 1 BGB führten dann nicht mehr zu einer Hemmung, wenn der eine oder der andere Teil die Fortsetzung verweigere. Eine Verweigerung der Fortsetzung der Verhandlung könne nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 7. Januar 1986, Az. VI ZR 23/84) sowie der ihm folgenden Oberlandesgerichte auch dadurch eingetreten, dass ein Beteiligter die Verhandlungen“ einschlafen lasse“.
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18
Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Verjährungsvorschriften des BGB, insbesondere die Vorschriften über die Hemmung der Verjährung, seien entsprechend anwendbar. Die Hemmung sei nicht dadurch beendet worden, dass die Verhandlungen“ eingeschlafen“ sein. Soweit der Kläger sich auf eine Frist von ca. einem Monat zur Begründung eines „Einschlafenlassen“ beziehe, setze dies – auch nach der genannten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Koblenz und Zweibrücken – voraus, dass zuvor eine Frist gesetzt worden sei.
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19
Mit Urteil vom 22. September 2010 hat das Sozialgericht Berlin den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausführt, die vierjährige Ausschlussfrist sei vor Erlass des Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 13. August 2008 abgelaufen. Zwar fänden die verjährungsrechtlichen Hemmungsvorschriften- insbesondere §§ 203 ff. BGB – auf die Ausschlussfrist in diesem Fall entsprechende Anwendung, die Ausschlussfrist sei bei Erlass des Bescheides vom 13. August 2008 gleichwohl noch nicht abgelaufen gewesen. Die Hemmung sei dadurch beendet worden, dass die Vergleichsverhandlungen zwischen den Beteiligten“ eingeschlafen“ seien. Die Vergleichsverhandlungen seien zwar nicht bereits nach einem Monat“ eingeschlafen“, der Umstand, dass die Beklagte sich auf die Anregung des Klägers, ein Vergleichsangebot auf der Grundlage eines geänderten Berechnungsmodus zu unterbreiten, über ein Jahr und vier Monate mit einer Antwort Zeit gelassen habe, sei als zwischenzeitliches „Einschlafen“ der Vergleichsverhandlungen zu bewerten. Jedenfalls die Untätigkeit einer an den Vergleichsverhandlungen beteiligten Parteien über neun Monate hinweg führe zu einem „Einschlafen“ der Verhandlungen. Insgesamt sei damit die Grenze von vier Jahren überschritten.
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Gegen das ihr am 29. September 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Es sei nicht richtig, dass die Vergleichsverhandlungen erst am 22. September 2006 begonnen hätten, bereits mit Schreiben vom 8. Juli 2004 sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass seine Abrechnung einen ungewöhnlich hohen Anteil gemeinsamer Patienten aufweise. Die Stellungnahme des Klägers habe dann in dem Vergleichsvorschlag vom 22. September 2006 gemündet. Es treffe auch nicht zu, dass die Beklagte die Vergleichsverhandlungen habe „einschlafen“ lassen. Die von dem Kläger gewünschte Vergleichsverhandlung habe sich leider über ein Jahr hingezogen. Dies habe allerdings auch daran gelegen, dass in die Berechnung ebenfalls die nachfolgenden Quartale einbezogen worden seien, die wiederum auffällige Werte aufwiesen hätten. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen können, dass die Beklagte die Vergleichsverhandlungen nicht mehr betreiben würde. Es habe vielmehr weitere Korrespondenz zu den Folgequartalen gegeben. Das Schreiben des Klägers vom 24. April 2008 lese sich durchaus so, dass der Kläger ebenfalls von einem unterbrochenen Fortgang der Vergleichsverhandlungen ausgegangen sei.
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21
Die Beklagte beantragt,
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22
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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23
Der Kläger beantragt,
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24
die Berufung zurückzuweisen.
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25
Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass § 203 BGB vorliegend keine entsprechende Anwendung finden könne. Die zwischen den Beteiligten geführten Vergleichsverhandlungen könnten mangels Freiwilligkeit nicht einer Verhandlung im Sinne von § 203 BGB gleichgestellt werden. Es bestehe keine planwidrige Lücke. Selbst wenn dies anders beurteilt werden sollte, ändere die Berücksichtigung einer Ablaufhemmung durch die stattgefunden Vergleichsverhandlungen nichts an dem Ergebnis, dass die Befugnis der Beklagten zu einer Honorarrückforderung im Zeitpunkt der Entscheidung bereits erloschen sei. Verhandlungen hätten nicht schon mit Anhörung vom 8. Juli 2004 stattgefunden.
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26
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 1 | 18.07.1974 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin der Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO zusteht.
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2
Die 1941 geborene Klägerin ist Postobersekretärin. Ihrem Antrag auf Hinterbliebenenrente nach dem Ehemann N. C. wurde mit Bescheid vom 20. März 1969 entsprochen. Die Bundespost-Betriebskrankenkasse entschied mit Bescheid vom 16. Mai 1972, daß die Klägerin gemäß § 169 RVO von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner befreit sei und bezog sich dabei auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1971. Außerdem bescheinigte die Bundespost-Betriebskrankenkasse, daß die Klägerin ihr Mitglied seit dem 1. Dezember 1964 sei.
Randnummer
3
Die Klägerin beantragte am 26. Mai 1972, ihr den Beitragszuschuß gemäß § 381 Abs. 4 RVO zu gewähren. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. August 1972 diesen Antrag ab, da die Klägerin nicht nach § 173 a RVO von der Versicherungspflicht befreit sei.
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4
Dagegen erhob die Klägerin Klage und berief sich darauf, daß sie nach dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1971 von der Versicherungspflicht befreit sei und daher Anspruch auf den Beitragszuschuß habe. Mit Urteil vom 10. Dezember 1973 hob das Sozialgericht Darmstadt den Bescheid vom 30. August 1972 auf und verurteilte die Beklagte dem Grunde nach, der Klägerin für deren Krankenversicherung bei der Postbeamtenkrankenkasse den gesetzlichen Beitragszuschuß zu gewähren. Das Sozialgericht war der Auffassung, daß die Klägerin, da sie die Voraussetzungen für den Bezug einer Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung für Arbeiter erfülle, grundsätzlich zum Personenkreis des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO gehöre. Da sie aber im Hinblick auf § 169 Abs. 1 RVO kraft Gesetzes von der Krankenversicherungspflicht der Rentner befreit sei, wohl aber gegen Krankheit versichert, ohne daß ihr ein Anspruch auf Arbeitnehmerzuschuß zustehe, habe sie auch Anspruch auf den Beitragszuschuß seitens der Beklagten. Das Sozialgericht ging von der Versicherungsfreiheit der Klägerin in ihrer Eigenschaft als aktive Lebenszeitbeamtin aus. Dabei sei kein Grund ersichtlich, ihre Anspruchsberechtigung nach § 381 Abs. 4 RVO von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen, die in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich aufgeführt sind. Insbesondere komme es nicht darauf an, ob hier durch Verwaltungsentscheidung eine Befreiung von der Versicherungspflicht stattgefunden habe, was im Falle der Klägerin allein schon aus logischen Gründen nicht denkbar wäre. Der Klägerin stehe der Zuschuß daher zu.
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5
Gegen dieses der Beklagten am 18. Februar 1974 zugestellte Urteil richtet sich deren am 1. März 1974 schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Mit ihr bringt die Beklagte zum Ausdruck, daß das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1971 vom Bundessozialgericht nicht gebilligt worden sei. Die Beklagte wies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 4. Oktober 1973 (3 RK 91/72) hin.
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6
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Dezember 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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7
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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8
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der Versichertenrentenakte des Ehemannes der Klägerin, die Akte des Sozialgerichts Darmstadt Az.: S-7/Kr – 25/69 und die Personalakte der Klägerin bei der Deutschen Bundespost, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen. | I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Dezember 1973 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 0 | 0 | 1
Streitig ist die Höhe eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung ab dem 1.11.2016.
2
Die verheirateten Kläger Ziff. 1 und 2 lebten mit ihren sieben Kindern, den Klägern Ziff. 3 – 9 (geboren zwischen dem ...1998 und dem ...2011) in einer Mietwohnung in der B.-Straße in Rastatt.
3
Wegen geplanter Abrissarbeiten kündigte die Vermieterin mit Schreiben vom 22.2.2016 das Mietverhältnis zum 31.5.2016. Sofern sich der Abbruch verzögere, so die Vermieterin, könnten die Kläger die Wohnung über diesen Zeitpunkt hinaus mieten, allerdings immer nur für einen weiteren Monat.
4
Mit Schreiben vom 22.8.2016 forderte die Vermieterin die Kläger auf, die Wohnung nun spätestens zum 31.8.2016 zu räumen; die Abrissarbeiten stünden unmittelbar bevor.
5
Die Kläger bezogen und beziehen fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 27.9.2016 bewilligte der Beklagte ihnen erneut Leistungen, diesmal für die Zeit vom 1.11.2016 – 30.4.2017 in Höhe von insgesamt 2.034,88 EUR. Dabei berücksichtigte er einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1.119,96 EUR.
6
Am 18.10.2016 beantragte der Kläger Ziff. 1 für sich und die weiteren Kläger beim Beklagten die Zusicherung, dass er die Aufwendungen für eine in Aussicht genommene neue Unterkunft anerkennen werde. Sie beabsichtigten, zum 1.11.2016 in eine Mietwohnung in der S.-Straße in Rastatt umzuziehen. Seinem Antrag fügte der Kläger Ziff. 1 einen Entwurf des Mietvertrags bei. Danach sollten die Aufwendungen für die 6-Zimmer-Wohnung monatlich 1.620 EUR betragen (1.360 EUR Kaltmiete zzgl. 260 EUR Betriebskostenpauschale).
7
Mit Bescheid vom 21.10.2016 lehnte der Beklagte eine Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II ab. Zur Begründung gab er an, die Kosten für die in Aussicht genommene Unterkunft seien unangemessen hoch.
8
Trotz dieser Ablehnung zogen die Kläger am 1.11.2016 in die Mietwohnung in der S.-Straße. Neben Küche, Bad und Flur verfügt die Wohnung über sechs Zimmer; die Wohnfläche beträgt 170 m². Laut Mietvertrag sind an den Vermieter monatlich 1.620 EUR zu zahlen (1.360 EUR Kaltmiete zzgl. 260 EUR Betriebskostenpauschale).
9
Mit Bescheid vom 8.11.2016 reduzierte der Beklagte die monatlichen Leistungen ab dem 1.12.2016 auf insgesamt 914,94 EUR. Zur Begründung gab er an, die Kläger seien ohne seine Zustimmung umgezogen. Er berücksichtige daher vorerst keine Kosten für Unterkunft und Heizung.
10
Mit Bescheid vom 24.11.2016 erhöhte der Beklagte sodann die monatlichen Leistungen rückwirkend für die Zeit vom 1.11.2016 – 30.4.2017 auf insgesamt 2.197,89 EUR. Als Bedarf für Unterkunft und Heizung legte er nun 1.282,95 EUR zugrunde (1.023,03 EUR Kaltmiete; 129,96 EUR Nebenkosten; 129,96 EUR Heizkosten).
11
Gegen die Bescheide vom 8. und 24.11.2016 legten die Kläger am 9. und 15.12.2016 Widerspruch ein. Sie machten geltend, die Kosten für die neue Wohnung seien im konkreten Fall angemessen: Der Beklagte müsse anhand eines sog. schlüssigen Konzepts ermitteln, welche Aufwendungen abstrakt angemessen sind. Dies sei hier nicht geschehen. Während er im Zusammenhang mit der Zusicherung noch einen Betrag von 5,40 EUR pro Quadratmeter für angemessen gehalten habe, gehe er nun offenbar von 6,20 EUR pro Quadratmeter aus. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Beklagte auf diesen Betrag komme. Auch der Rückgriff auf die Werte nach dem Wohngeldgesetz ergebe kein plausibles Ergebnis. Zu berücksichtigen sei zudem, dass Wohnungen in der erforderlichen Größe zu dem vom Beklagten als angemessen erachteten Preis praktisch nicht angeboten würden. Dies belege die Auswertung von Immobilienanzeigen. Seit der Kündigung des Mietverhältnisses über ihre alte Wohnung im Februar 2016 hätten sie, die Kläger, ein halbes Jahr lang verzweifelt versucht, eine geeignete Unterkunft zu finden – im Ergebnis ohne Erfolg. Nachdem bei ihrem vormals bewohnten Haus die Abrissarbeiten begonnen hätten, habe die Sache keinen Aufschub mehr geduldet.
12
Wegen hier nicht streitiger Umstände änderte der Beklagte die Höhe der bewilligten Leistungen mit Bescheiden vom 26.11.2016, 3.1.2017 und 24.1.2017. Weiterhin berücksichtigte er einen Bedarf für Unterkunft und Heizung nur in Höhe von 1.282,95 EUR.
13
Mit Bescheid vom 9.2.2017 erhöhte der Beklagte sodann die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1.11.2016 – 30.4.2017 auf monatlich 2.267,11 EUR (November bis Dezember), 2.362,10 EUR (Januar) und 2.383,16 EUR (Februar bis April). Als Bedarf für Unterkunft und Heizung legte er nun 1.361,16 EUR zugrunde (1.225,44 EUR Grundmiete; 135,72 EUR Heizkosten).
14
Im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag den Widerspruch der Kläger zurück. Zur Begründung führte er aus, gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werde der Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, allerdings nur, soweit er angemessen ist. Die Kläger zahlten für ihre Wohnung in der S.-Straße insgesamt 1.620 EUR. Laut Auskunft der Vermieterin hätten im Jahr 2015 die Heizkosten 1.629,09 EUR betragen. Angesichts dessen seien sie mit monatlich 135,76 EUR zu veranschlagen. Dieser Betrag sei angemessen und werde von ihm, dem Beklagten, daher in vollem Umfang berücksichtigt. Die restlichen 1.484,24 EUR entfielen auf Kaltmiete und kalte Nebenkosten. Diese Summe sei zu hoch. Ausgehend von den Werten des § 12 WoGG zzgl. eines Sicherheitszuschlags von 10 % liege die Grenze der Angemessenheit bei 1.225,40 EUR. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe keine preiswertere Wohnung gegeben: Zwar sei eine Wohnung für neun Personen sicherlich nicht von heute auf morgen zu finden. Allerdings sei den Klägern bereits seit dem 22.2.2016 bekannt gewesen, dass sie eine neue Unterkunft benötigen. Bis zum Antrag auf die Zusicherung hätten sie daher über sieben Monate Zeit für die Wohnungssuche gehabt. Es sei nicht ersichtlich oder gar belegt, dass sich die Kläger in dieser Zeit intensiv um eine preiswertere Unterkunft bemüht haben. Sie hätten lediglich pauschal behauptet, es würden keine Wohnungen in dieser Größe und zu diesem Preis angeboten. Möglicherweise hätten sie es von vornherein vorgezogen, im Zentrum Rastatts zu bleiben, und daher nicht in den preisgünstigeren Randgebieten gesucht; dafür spreche die Lage der nun gemieteten Wohnung im Stadtkern. Unter Umständen hätten die Kläger auch zwei nebeneinanderliegende Wohnungen beziehen können.
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Mit Bescheiden vom 13. und 21.2.2017 änderte der Beklagte die bewilligten Leistungen für die Zeit vom 1.3. – 30.4.2017 wegen hier nicht streitiger Umstände erneut, zuletzt auf monatlich 1.874,93 EUR. Als Bedarf für Unterkunft und Heizung legte er nach wie vor 1.361,16 EUR zugrunde (1.225,44 EUR Grundmiete; 135,72 EUR Heizkosten).
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Mit der am 8.3.2017 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen nochmals vor, der Kläger Ziff. 1 habe mit sehr viel Aufwand den Wohnungsmarkt sondiert und versucht, eine adäquate Unterkunft für die neunköpfige Familie zu finden. Dies sei allerdings nicht gelungen. Außer der nun bezogenen Wohnung habe es keine passenden Angebote gegeben.
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Die Kläger beantragen,
18
den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 8.11.2016, 24.11.2016, 26.11.2016, 3.1.2017, 24.1.2017 und 9.2.2017, des Widerspruchsbescheids vom 9.2.2017 sowie der Bescheide vom 13.2.2017 und 21.2.2017 zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 1.11.2016 bis 30.4.2017 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 1.620 EUR zu bewilligen.
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Der Beklagte hat weder einen Antrag gestellt noch ergänzend zur Sache vorgetragen.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. | 1. Der Beklagte wird unter Änderung der Bescheide vom 8.11.2016, 24.11.2016, 26.11.2016, 3.1.2017, 24.1.2017 und 9.2.2017, des Widerspruchsbescheids vom 9.2.2017 sowie der Bescheide vom 13.2.2017 und 21.2.2017 verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 1.11.2016 bis 30.4.2017 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 1.620 EUR zu bewilligen.
2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten. | 0 |
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Landesarbeitsgericht Hamburg 8. Kammer | Hamburg | 0 | 1 | 27.04.2020 | 1 | Randnummer
1
Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden betrieblichen Berufsunfähigkeitsrente und zu beanspruchender Zuschüsse zu Versicherungsbeiträgen.
Randnummer
2
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird gemäß § 69 II ArbGG auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl.141 - 144 d.A.) Bezug genommen.
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3
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Kläger beanspruchten Zusatzleistungen setzten nach § 11 Nr. 6 der Gesamtbetriebsvereinbarung über die betriebliche Altersversorgung (i.F.: GBV) voraus, dass der Arbeitnehmer
wegen Berufsunfähigkeit
ausgeschieden sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall, da er aufgrund der am 23.12.2012 einvernehmlich vereinbarter Aufhebung seines Arbeitsvertrags mit Blick auf den im Rahmen konzernweiter Umstrukturierungen abgeschlossenen Konzernsozialplan ausgeschieden sei. Dass dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt ärztlicherseits zur Aufgabe seines Arbeitsverhältnisses geraten worden sei, sei allenfalls ein für den Arbeitgeber nicht nach außen getretenes Motiv des Klägers gewesen. Ob der Kläger im Zeitpunkt der Aufhebung objektiv berufsunfähig gewesen sei, sei ebenfalls unbeachtlich, da die Parteien die Beendigung aus betrieblichen Gründen unter Inanspruchnahme einer Abfindung vereinbart hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 144 - 146 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen das am 26.07.2018 verkündete und den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28.07.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.08.2018 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 29.10.2018 – am 26.10.2018 begründet.
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5
Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen.
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6
Das Arbeitsgericht sei der Frage, ob bereits vor dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis am 30.06.2013 eine 52 Wochen dauernde Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, die zu einer Berufungsunfähigkeit i.S. der GBV geführt habe, nicht nachgegangen. Diese Voraussetzung sei jedoch mit Wirkung ab dem 29.05.201 zu bejahen, so dass hierdurch der Leistungsfall aus § 8 Nr. 2 GBV ausgelöst worden sei und dem Kläger ein unquotierter Versorgungsbezug ab diesem Zeitpunkt zugestanden habe.
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7
Dass der Kläger Urlaub beantragt und erhalten habe, stehe der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen. Zur Stellung der Urlaubsanträge habe sich der Kläger durch Ziffer 3.1 des Aufhebungsvertrags veranlasst gesehen. Tatsächlich sei er auch während der als Urlaub gebuchten Zeiten arbeitsunfähig gewesen.
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8
Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers werde durch die Anlagen BK1, 2, 3 und 4 bestätigt. Dass die Atteste teilweise erst zu eine späteren Zeitpunkt ausgestellt worden seien, sei unschädlich, weil sich der Kläger durchgehend in der Behandlung des attestierenden Arztes befunden habe. Schließlich sei noch darauf hinzuweisen, dass der Kläger in dem 52wöchigen Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit keinen Bildungsurlaub genommen habe. Dies sei erst im Juni 2013 erfolgt.
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Der Kläger könne die Zusatzleistungen auch für die gesamte Dauer seiner Berufsunfähigkeit beanspruchen, da er wegen Berufsunfähigkeit aus den Diensten der Arbeitgeberin ausgeschieden sei. Das Arbeitsgericht habe die Formulierung „wegen Berufsunfähigkeit“ in § 11 Abs. 6 Nr. 1 GBV unrichtig ausgelegt. Die Formulierung bedeute nicht, dass die Parteien die Berufsunfähigkeit kennen und deshalb eine Aufhebung vereinbaren müssen. Vielmehr sei lediglich erforderlich, dass die Berufsunfähigkeit objektiv vorgelegen habe. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der objektiven Auslegung von Betriebsvereinbarungen. Dass der Kläger in Folge einvernehmlicher Aufhebung im Rahmen konzernweiter Umstrukturierung durch Aufhebungsvertrag aus seinem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, habe, anders als vom Arbeitsgericht angenommen, keinen Einfluss auf seine Berufsunfähigkeit. Für den Kläger sei der Rat seines Arztes, seine berufliche Tätigkeit aufzugeben, das tragende Motiv auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gewesen. Durch den Abschluss des Aufhebungsvertrags habe sich der Kläger maßgeblichen Einfluss auf die Formulierung seines Zeugnisses verschaffen können.
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Zu Unrecht sehe die Beklagte in der Beanspruchung von Zusatzleistungen nach der GBV und der gewährten Zahlung einer Abfindung einen Widerspruch. Der Aufhebungsvertrag sehe ausdrücklich vor, dass Ansprüche auf etwaige unverfallbare Anwartschaften unberührt blieben.
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Anders als von der Beklagten angenommen, könnten Ansprüche aus § 8 Ziffer 2 und aus § 11 Ziffer 6 GBV nebeneinander bestehen. Letztere schlössen § 8 Ziffer 2 GBV keineswegs aus.
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Die Beklagte wende zu Recht ein, dass der Kläger die Zusatzleistungen nur für die Dauer der Berufsunfähigkeit beanspruchen könne. Deshalb seien die Anträge 3 und 4 jeweils entsprechend eingeschränkt worden. Die Befristung der Hausversicherung auf den 07.12.2032 – dem Zeitpunkt, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollenden wird – sei mit der Rechtsprechung zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz nicht vereinbar. Die Begrenzung auf das 65. Lebensjahr sei vielmehr als dynamische Verweisung auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung auszulegen (vgl. BAG v. 15.05.2012 – 3 AZR 11/10 – Tz 50). Diese Wertung sei auch für die vorliegende versicherungsförmige betriebliche Altersversorgung zu übernehmen. Die Anträge zu 3b bzw. 4b würden hilfsweise für den Fall gestellt, dass die Kammer dieser Rechtsauffassung nicht folge.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 160 – 184 d.A.) sowie die ergänzenden Schriftsätze vom 06.03.2019 (Bl. 221 – 234 d.A.), 29.04.2019 (Bl. 239 – 253 d.A.), 24.06.2019 (Bl. 268 – 275 d.A.) und vom 19.03.2020 (Bl. 289 - 290 d.A.) Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.07.2018 (15 Ca 366/17) abzuändern und – klageerweiternd aufgrund der zwischenzeitlich angefallenen Beiträge – wie folgt zu entscheiden:
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1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 45.691,87 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf € 35.451,53 seit Rechtshängigkeit sowie auf je € 640,04 ab dem 01.07.2018 für jeden fortlaufenden Monat zu zahlen.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 01.11.2018 weitere € 640,04 monatlich bis zur Übernahme der vollen monatlichen Beiträge der für den Kläger abgeschlossenen Versicherungsverträge LV 482183366 (Monatsbeitrag € 204,80) und LV 4304554004 (Monatsbeitrag € 31,55), diese längstens bis zum Erreichen der Altersgrenze des Klägers für den ungekürzten Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.
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3. a) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, zugunsten des Klägers ab dem 01.11.2018 monatlich weitere € 196,38 als volle Beitragsübernahme für die Versicherungsverträge LV 482183366 (Monatsbeitrag € 204,80) und LV 4304554004 (Monatsbeitrag € 31,55) monatlich für die Dauer der Berufsunfähigkeit längstens bis zum Erreichen der Altersgrenze des Klägers für den ungekürzten Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.
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hilfsweise
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3 b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, zugunsten des Klägers ab dem 01.11.2018 monatlich weitere € 196,38 als volle Beitragsübernahme für die Versicherungsverträge LV 482183366 (Monatsbeitrag € 204,80) und LV 4304554004 (Monatsbeitrag € 31,55) monatlich für die Dauer der Berufsunfähigkeit längstens bis zum 07.12.2032 zu zahlen.
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4. a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 01.11.2018 monatlich weitere € 443,66 als unquotierte Berufsunfähigkeitsrente – vorbehaltlich von Änderungen im Rahmen der gesetzlichen Anpassungsverpflichtungen – für die Dauer der Berufsunfähigkeit längstens bis zum Erreichen der Altersgrenze des Klägers für den ungekürzten Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.
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hilfsweise
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4 b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 01.11.2018 monatlich weitere € 443,66 als unquotierte Berufsunfähigkeitsrente – vorbehaltlich von Änderungen im Rahmen der gesetzlichen Anpassungsverpflichtungen – für die Dauer der Berufsunfähigkeit längstens bis zum 07.12.2032 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass der Kläger bei Abschluss des Aufhebungsvertrags am 25.12.2012 noch keine 52 Wochen durchgängig arbeitsunfähig sondern erst 25 ½ Wochen, mithin nicht berufsunfähig i.S. der GBV gewesen sei. Die Ansprüche seien auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar dargelegt. Sollten die geltend gemachten Ansprüche bestehen, müsste der Kläger jedenfalls die Abfindung in Höhe von € 93.272,67, die er auf der Grundlage des Sozialplans erhalten habe, und das für die Zeit der behaupteten Arbeitsunfähigkeit erhaltene Arbeitsentgelt zurückzahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 209 – 220 d. A.) sowie den ergänzenden Schriftsatz vom 17.05.2019 (Bl. 262 – 267 d.A.) wird Bezug genommen.
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Die Parteien haben am 18. bzw. 19.03. 2020 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Der Termin, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde daraufhin auf den 17.04.2020 festgesetzt, Verkündungstermin auf den 27.04.2020. | 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.07.2018 (15 Ca 366/17) teilweise abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.022,70 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 07.07.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Klägerin (Klin) ist in der Rechtsform einer GmbH im Bereich der ......... tätig. Sie versteuerte ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Umsatzsteuergesetz (UStG) zum Regelsteuersatz.
2
Die Klin stellte am 10. Mai 2012 beim Amtsgericht -AG- X einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung (Bl. 1 der Insolvenzakte...). Mit Beschluss des AG X vom 16 . Mai 2012 wurde der Klin im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 270a Insolvenzordnung (InsO) ein vorläufiger Sachwalter bestellt und gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt (Bl. 338 und 341 der Insolvenzakte...). Vom vorläufigen Sachwalter wurde am 18. Mai 2012 ein Anderkonto eingerichtet, über welches nur dieser verfügungsberechtigt war. Die Schuldner der Klin wurden durch sie schriftlich darüber informiert, dass ausstehende Zahlungen auf das Anderkonto zu leisten sind und nur Zahlungen hierauf schuldbefreiende Wirkung haben. Diese Schreiben wurden sowohl vom Geschäftsführer der Klin als auch vom vorläufigen Sachwalter unterzeichnet. Das bisherige Girokonto der Klin bestand weiter und wurde von dieser zum ausgehenden Zahlungsverkehr genutzt. Der Sachwalter überwies vor anstehenden Zahlungen an Gläubiger nach Unterrichtung durch die Klin die entsprechenden Geldbeträge vom Anderkonto auf das Girokonto. Mit Beschluss vom 27. Juli 2012 wurde zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens angeordnet: „Die Schuldnerin wird ermächtigt, zur Aufrechterhaltung und Fortführung des Geschäftsbetriebs notwendige Verbindlichkeiten aus Warenlieferungen und Dienstleistungen mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters als Masseverbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse zu begründen (analog §§ 270a, 22 Abs. 2, 55 Abs. 2 InsO)“.
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Mit Beschluss vom 1. August 2012 eröffnete das AG X das Insolvenzverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung eines Sachwalters. Am 21. September 2012 fasste die Gläubigerversammlung den Beschluss, dass eingehende Gelder auf dem Treuhandkonto des Sachwalters bei der A-Bank (Kontonr. 22...) verwahrt werden. Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 wurde der Insolvenzplan bestätigt und das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 12. Februar 2013 aufgehoben.
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Die Klin gab ihre Umsatzsteuer(USt)-Voranmeldung für den Monat August 2012 am 31. Oktober 2012 ab. Am 18. Januar 2013 fand bei der Klin eine USt-Nachschau und Sonderprüfung hinsichtlich der USt August bis Oktober 2012 statt. Der Prüfer stellte die nachfolgend näher dargestellten Umsätze fest:
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Leistungszeitpunkt
Rechnungsdatum
Entgelt netto
USt
Entgelt brutto
zwischen 27.02.2012 und 9.03.2012
14. März 2012
510,65 EUR
97,02 EUR
607,67 EUR
zwischen 5.03.2012 und 13.04.2012
18. April 2012
6.608,75 EUR
1.255,66 EUR
7.864,41 EUR
zwischen Mai und Juni 2012
12. Juli 2012
14.900 EUR
2.831 EUR
17.731 EUR
zwischen Juni und 12. Juli 2012
12. Juli 2012
12.300 EUR
2.337 EUR
14.637 EUR
zwischen 1. Juli und 17. Juli 2012
17.Juli 2012
91.494,75 EUR
17.384 EUR
108.878,75 EUR
Gesamt
125.814,15 EUR
23.904,68 EUR
149.717,83 EUR
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Die Schuldner leisteten die Zahlungen am 16. bzw. 23. August 2012 auf das bei der A-Bank eingerichtete Anderkonto (Nr. 22... - Konto 23..).
7
Die Klin hatte diese Umsätze nicht in ihrer USt-Voranmeldung August 2012 angemeldet, da sie die daraus resultierende USt als Insolvenzforderung qualifizierte. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass bei Leistungen, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erbracht worden seien und bei denen das Entgelt zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht vereinnahmt worden sei, gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 UStG die USt zu berichtigen sei. Bei späterer Vereinnahmung des Entgelts durch den Insolvenzverwalter sei der USt-Betrag im Zeitpunkt der Vereinnahmung erneut zu berichtigen. Diese Steuer begründe eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Ebenso lägen bei Vereinnahmung von Entgelten aus Umsätzen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens bei einem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO vor. Diese Grundsätze seien auch bei der Anordnung von Eigenverwaltung und Bestellung eines Sachwalters anzuwenden. Der Prüfer bezog sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 9. Dezember 2010 (V R 22/10, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2011, 996).
8
Dieser Auffassung folgend erließ der Bekl am 24. April 2013 einen geänderten Bescheid zur USt für den Monat August 2012 unter der Masse-Steuernummer der Klin. Hiergegen legte die Klin am 30. April 2013 Einspruch ein, den der Bekl mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2014 als unbegründet zurückwies. Der Bekl erließ am 16. November 2015 unter der Masse-Steuernummer den USt-Bescheid 2012 und setzte unter Aufrechterhaltung seiner bisherigen Rechtsauffassung USt in Höhe von 70.257,55 EUR fest. Die Klin hatte demgegenüber in ihrer USt-Erklärung 2012 vom 14. Juli 2014 eine USt-Festsetzung von 46.352,91 EUR ermittelt.
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Mit ihrer gegen die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage wendet sich die Klin gegen die vom Bekl vorgenommene Behandlung der Umsätze. Sie trägt zur Begründung vor, dass die Vereinnahmung von Entgelten aus Umsätzen vor der Insolvenzeröffnung eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen könne, wenn die Verbindlichkeit (die Umsatzsteuer auf Forderungen) durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden sei. Da im Falle der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Empfangszuständigkeit für offene Forderungen, entgegen der Wirkung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gemäß §§ 80 ff. InsO, nicht auf den Sachwalter übergehe, sondern beim Insolvenzschuldner, also bei ihr, verbleiben würde, komme es nicht zur Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile und somit weder zu einer Begründung der Verbindlichkeit durch den Schuldner noch durch den Sachwalter. Die vom Bekl zitierte Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, BStBl II 2011, 996) sei nicht auf die Eigenverwaltung anwendbar. Die USt aus den streitigen Umsätzen sei als Insolvenzschuld zu behandeln. § 17 UStG sei für den Fall der Eigenverwaltung oder der Insolvenz nicht einschlägig. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung trete keine Änderung der Bemessungsgrundlage ein. Der Schuldner bleibe verpflichtet, das Entgelt für die Leistungen zu entrichten. Die Vorschrift des § 17 UStG richte den Blick vom Leistungserbringer zum Schuldner des Entgelts. Uneinbringlichkeit in diesem Sinne meine nur die Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers. Eine Anwendung des umsatzsteuerlichen Begriffs der Uneinbringlichkeit auf die Verwaltungsbefugnisse beim leistenden Unternehmen könne dem Gesetz nicht entnommen werden. Im Übrigen müsste als Folge dieser behaupteten Uneinbringlichkeit der Forderungen auf der Ebene des Unternehmers in Eigenverwaltung eine Vorsteuerkürzung beim Leistungsempfänger eingreifen. Dies sei aber nicht der Fall, weil der Leistungsempfänger - unabhängig von den Verwaltungsverhältnissen seines Lieferanten - vom Bestehen seiner Verpflichtung ausgehe, das Entgelt zahlen zu müssen. Das dem USt-Recht immanente Korrespondenzprinzip sei verletzt. Eine einmal entstandene USt-Schuld könne durch Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger übergehen. Sie erfahre aber keine Änderung z.B. durch Wechsel in der Geschäftsführung.
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Die Klin beantragt,
den Bescheid über USt 2012 vom 16. November 2015 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte USt um 23.904,68 EUR herabgesetzt wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Bekl beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
12
Zur Begründung trägt er unter Bezugnahme auf seine Einspruchsentscheidung vor, dass die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung - wonach bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unternehmers hinsichtlich der noch nicht entrichteten Leistungsentgelte für Umsätze vor Verfahrenseröffnung Uneinbringlichkeit eintrete - auch auf die Eigenverwaltung anzuwenden seien. Auch in diesem Fall sei die USt mit Verfahrenseröffnung zunächst wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen. Bei Vereinnahmung des Entgelts entstehe aufgrund der erneuten Berichtigung eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
13
Dies gelte auch für Steuerbeträge, die auf im eigenverwaltenden Insolvenzeröffnungsverfahren erbrachten Leistungen beruhen und bei denen das Entgelt nach Verfahrenseröffnung vereinnahmt werde.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze nebst deren Anlagen, die beigezogene Akte des AG X... und die vom Bekl vorgelegten Steuerakten Bezug genommen (§ 71 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
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Hessisches Landessozialgericht 2. Senat | Hessen | 0 | 1 | 25.06.1996 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Beitragszeiten neben einer Zurechnungszeit.
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Der am 11. Juni 1930 geborene Kläger ist seit Geburt blind. Er begann im April 1944 eine Lehre als Korbmacher auf der Blindenschule in Breslau. Nach seiner Vertreibung aus Breslau setzte er im Jahre 1948 seine Ausbildung zum Korbmacher in der Blindenschule Friedberg fort. Von 1951 an war er als Telefonist und Montagearbeiter beschäftigt.
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Am 26. Februar 1975 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 1975. Sie bewilligte dem Kläger ab Februar 1975 aufgrund eines Versicherungsfalles vom 15. November 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1985.
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Von April 1977 an war der Kläger in Heimarbeit für eine Blindenwerkstatt beschäftigt. Für diese Tätigkeit wurden Pflichtbeiträge entrichtet bis Dezember 1992.
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Am 23. Oktober 1992 beantragte der Kläger ab 1. Januar 1993 die Umwandlung der Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Altersrente für Erwerbsunfähige. Hierauf bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 8. April 1993 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab 1. Januar 1993. Bei der Rentenberechnung wurde die Zeit vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1985 als Pflichtbeitragszeit, beitragsgeminderte Zeit, berücksichtigt. Gegen den Rentenbescheid erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er eine Rentenerhöhung durch die Beitragszeiten, die während der Zurechnungszeit geleistet worden sind, begehrte.
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Am 29. September 1993 erhob der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt am Main Untätigkeitsklage. Er begehrte weiterhin die rentenerhöhende Berücksichtigung der Pflichtbeitragszeiten, die mit der anerkannten Zurechnungszeit zusammenfallen. Der Kläger legte Versicherungsnachweise für die Zeit von 1977 bis 1992 vor.
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Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 7. April 1994 zurück. Sie habe zu Recht die Zeit vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1985 als beitragsgeminderte Zeit bewertet. Dies habe zur Folge, daß gem. § 71 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) für diese beitragsgeminderten Zeiten die Summe der sich aus den Beiträgen ergebenden Entgeltpunkte um einen Zuschlag so erhöht werde, daß mindestens der Wert erreicht werde, den diese Zeiten nach der Vergleichsbewertung hätten. Weil die Beiträge in der Zeit von Dezember 1974 bis Juni 1985 insgesamt eine niedrigere Entgeltpunktzahl erbracht hätten als der sich aus der Vergleichsbewertung ergebende Wert, sei dementsprechend eine Erhöhung erfolgt. Wenn sich auch die gezahlten Pflichtbeiträge bei der Rentenberechnung im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung nicht positiv auf die Rentenhöhe auswirkten, weil der Wert aus der Vergleichsberechnung höher sei, seien die Entgeltpunkte aus den Pflichtbeitragszeiten doch insofern von Bedeutung, als sie die zuerst zu berücksichtigenden Entgeltpunkte darstellten, die lediglich um einen Zuschlag erhöht würden. Daß sie im Ergebnis keine höhere Bewertung erfahren würden als Zeiten, in denen keine Beiträge bezahlt worden seien, sei nach den getroffenen Regelungen vom Gesetzgeber beabsichtigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG) sei insoweit nicht ersichtlich.
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8
Das Sozialgericht holte Auskünfte ein von den P. W. vom 22. Dezember 1993, 11. April 1995 und 15. September 1995, außerdem von der …-Betriebskrankenkasse, vom 17. Dezember 1993 sowie vom Sozialamt der Stadt vom 16. Juni 1995 und 7. Juli 1995. Weiterhin zog das Sozialgericht die Gerichtsakte 2 Ca 135/92 vom Arbeitsgericht … zum Verfahren bei.
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Mit Urteil vom 4. Dezember 1995 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus, die Klage sei unbegründet. Der Widerspruchsbescheid entspreche voll und ganz den gesetzlichen Regelungen des SGB VI. Hiergegen sei vom Kläger nichts eingewendet worden. § 71 Abs. 2 SGB VI über die Behandlung der beitragsgeminderten Zeiten sei nicht verfassungswidrig. Es reiche aus, daß mindestens der Wert als beitragsfreie Zeit erreicht werde und dem Versicherten verbleibe. Für beitragsgeminderte oder beitragsfreie Zeiten sei es geradezu typisch, daß Zeiträume ohne eigene Beitragsleistung als versicherungsrelevant anerkannt seien. So sei die Zurechnungszeit ein Element des sozialen Ausgleichs, um auch bei Frühinvalidität eine angemessene Rente zu sichern; sie werde von der Eigentumsgarantie nicht erfaßt. In gleicher Weise sei aber auch die Sozialversicherungspflicht nach dem Gesetz vom 7. Mai 1975 zu sehen. Hier werde der gleiche Zweck, verfolgt. Es handele sich um eine ungeregelte Überschneidung der Normen. Aus dieser Zweckverdoppelung könne der Kläger keine weiteren Vorteile ziehen. Der Gesetzgeber habe vor den Alternativen gestanden, bei der Bewertung sog. beitragsgeminderter Zeiten entweder die Entgeltpunkte der Beitragszeiten oder die der anderen Zeiten oder eine Addition beider heranzuziehen. Wenn er sich dabei für die Vergleichsbewertung nach den §§ 73, 71 SGB VI entschieden habe, könne dies nicht als falsch bezeichnet werden. Für einen vom Kläger geltend gemachten Eigentumsschutz fehlte es bereits an der nicht unerheblichen Eigenleistung. Nach den Auskünften der P. mehr W. seien die Beiträge vom Kläger nicht erarbeitet, sondern vom überörtlichen Sozialhilfeträger erstattet worden. Das angestrebte Klageziel einer Addition beider Entgeltpunkte (aus Zurechnungszeit und aus Pflichtversicherung als Behinderter) lasse sich auch nicht mit den Erwägungen eines Versicherungsprinzips/Beitragskongruenzprinzips/Meistbegünstigungsprinzips rechtfertigen, da diese Prinzipien weder im SGB VI noch im Grundgesetz ausdrücklich verankert seien.
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Mit seiner am 1. Februar 1996 eingelegten Berufung wendet sich der Kläger gegen das ihm am 30. Januar 1996 zugestellte Urteil. Zur Begründung seiner Berufung trägt er vor, die Anwartschaft auf Rente unterliege dem Grundrechtsschutz des Art. 14 GG, und zwar auch insoweit, als es sich um Beitragszeiten nach dem Gesetz über die Sozialversicherung der Behinderten handele. Auch diese Rentenanwartschaften seien beitragsfinanziert und dienten der materiellen Lebensgrundlage. Ebenso eigentumsgeschützt seien die parallel laufenden Zurechnungszeiten, so daß die Entgeltpunkte aus beiden Zeiten addiert werden müßten. Es gehe um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da tausende von Schwerbehinderten in Werkstätten für Behinderte tätig seien und daneben Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehen würden. In all diesen Fällen würden bei zeitlicher Deckungsgleichheit während einer Zurechnungszeit die tatsächlich gezahlten Beiträge – bezogen auf die Rente – wertlos sein.
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11
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Dezember 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 8. April 1993 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1994 zu verurteilen, die in dem Zeitraum vom 1. Dezember 1974 bis 30. Juni 1985 entrichteten Pflichtbeiträge neben der Zurechnungszeit in vollem Umfang zu berücksichtigen und dementsprechend eine höhere Altersrente zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die vorgelegen haben, Bezug genommen. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
AG Tempelhof-Kreuzberg | Berlin | 0 | 1 | 18.08.2010 | 1 | Randnummer
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Die Klägerin verlangt aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht die Rückzahlung von Kaution aus zwei Mietverhältnissen.
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Mit Mietvertrag vom 30. November 2004 mietete die Klägerin von dem Beklagten die in der F- str.., gelegene Wohnung. Für diese Wohnung leistete sie in Absprache mit dem Beklagten entgegen der Vereinbarung im Mietvertrag eine Kaution in Höhe von 524,00 Euro. Mit Schreiben vom 12. November 2006 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristlos wegen Schimmelbefalls. Der Beklagte bestätigte die Kündigung mit Schreiben vom 16. November 2006 als ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 28. Februar 2007. Am 29. Januar 2007 erhielt der Beklagte den Wohnungsschlüssel für die klägerische Wohnung. Mit Schreiben vom 31. Januar und 1. Februar 2007 (vgl. Bl. 52 ff. d.A.) forderte der Beklagte die Klägerin zur Durchführung von Schönheitsreparaturen auf sowie zur Zahlung rückständiger Mieten für die Monate November und Dezember 2006 sowie Januar und Februar 2007.
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Der Beklagte erklärt die Aufrechnung mit folgenden Gegenforderungen in der Reihenfolge ihrer Aufführung:
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Mietrückstände Februar 2006 bis Oktober 2006 (9 x 8,00 €)
72,00 €
Mietrückstand November 2006
251,10 €
Mieten Dezember 2006 und Januar 2007 (2 x 437,00)
874,00 €
Miete Februar 2007
447,00 €
Heizkosten 2005/2006
267,67 €
Heizkosten 2006/2007
152,86 €
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Die Schwester der Klägerin mietete von dem Beklagten die Wohnung F str... Sie leistete eine Kaution in Höhe von 800,00 Euro. Mit Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding machte der Beklagte gegenüber der Schwester und der Mutter der Klägerin Mietrückstände aus diesem Mietverhältnis geltend. In der mündlichen Verhandlung über den Einspruch nahmen die Mutter der Klägerin und ihre Schwester die Einsprüche zurück. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens kam es in der Zeit vom 20. Februar 2009 bis 10. September 2009 zu verschiedenen schriftlichen und telefonischen Abreden zwischen dem Beklagtenvertreter und der Schwester der Klägerin. Auf die vorlegte Korrespondenz Bl. 102 ff. d.A. wird Bezug genommen. Unter anderem gibt es ein Schreiben vom 2. März 2009 (Bl. 58 d.A.), in dem die Schwester der Klägerin auf die Kautionsrückzahlung aus dem Mietverhältnis verzichtet.
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Vorgerichtlich hat der Beklagte die klägerischen Forderungen durch seinen Rechtsanwalt zurückweisen lassen. Dafür ist ihm ein Betrag von 229,55 € in Rechnung gestellt worden, den er am 30. März 2010 bezahlt hat. Auf die Rechnung, Bl. 68 d.A. und den Kontoauszug, Bl. 117 d.A., wird Bezug genommen.
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Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe den Schimmelbefall in der Wohnung trotz mehrfacher Aufforderungen nicht beseitigt. Sie habe die Schlüssel für die Wohnung bereits Mitte November 2006 in den Briefkasten des Hausmeisters eingeworfen, der für den Beklagten Wohnungsübergaben und -abnahmen erledige. Über die Kaution ihrer Schwester habe der Beklagte nicht abgerechnet. Die Vereinbarung vom 2. März 2010 habe ihre Schwester nicht unterzeichnet. Eine solche Vereinbarung sei ihr unbekannt, sie bezweifle die Echtheit der Urkunde.
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Nach Klagerücknahme eines Teilbetrages von 286,00 € nebst anteiliger Zinsen beantragt die Klägerin nunmehr,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.324,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunk-ten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 524,00 € seit dem 2. März 2007 und aus 800,00 € seit dem 31. Oktober 2010 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Widerklagend beantragt er,
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die Klägerin zu verurteilen, an ihn 229,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. April 2010 zu zahlen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Er trägt vor: Herr sei lediglich Mieter in der F str.. Er habe für den Beklagten keine Wohnungsabnahmen durchgeführt und sei weder beauftragt noch berechtigt gewesen, für den Beklagten Schlüssel entgegen zu nehmen. Bei der Wohnungsbesichtigung der klägerischen Wohnung nach Rückgabe sei kein Schimmelbefall zu verzeichnen gewesen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 229,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. April 2010 zu zahlen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
LG Hamburg 27. Zivilkammer | Hamburg | 1 | 0 | 12.03.2020 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen der Verletzung eines Gebrauchsmusterrechts geltend.
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Die Klägerin ist Inhaberin des Gebrauchsmusters DE... (Anlage K 1; nachfolgend Klagegebrauchsmuster), das am 16. September 2008 angemeldet und am 7. November 2017 eingetragen worden ist. Am 14. Dezember 2017 erfolgte die Bekanntmachung im Patentblatt, am 30. September 2018 erlosch das Klagegebrauchsmuster durch Zeitablauf. Gegenstand der Erfindung ist eine besonders lager- und temperaturstabile, UV-Filter enthaltende O/W-Emulsion.
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Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters beansprucht eine kosmetische O/W-Emulsion (Öl in Wasser), die folgende Stoffe enthält (Angaben in der INCI Nomenklatur):
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-
Octocrylene (nachfolgend: OCR),
-
Butylmethoxydibenzoylmethan (BMDBM),
-
Süßholzextrakt,
-
Aniso Triazine (Tinosorb S),
-
einen von acht alternativ aufgeführten O/W-Emulgatoren, darunter Glycerylstearat SE und PEG-100 Stearat, und
-
Xanthangum
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5
Die Beklagte hat in dem Zeitraum, auf den sich die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht beziehen, in Deutschland die Produkte B. P. SPOT (Anlage K 2) und B. P. M (Anlage K 3), bei denen es sich um O/W-Emulsionen handelt, vertrieben.
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6
Die Produkte P. SPOT und P. M enthalten neben anderen folgende Inhaltsstoffe:
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7
-
Octocrylene
-
Butylmethoxydibenzoylmethane
-
Bis-Ethylhexyloxyphenol Methoxyphenyl Triazine (= Aniso Triazin)
-
Glyceryl Stearate
-
PEG-100 Stearate
-
Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract
-
Xanthan Gum
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8
Die Konzernmutter der Beklagten, die N. SAS, hat im Jahr 2007 das Produkt P. Sensitive 50+ entwickelt. Am 18.04.2008 übersandte sie ein Schreiben mit der Liste der Inhaltsstoffe an die tunesische Zulassungsstelle für Kosmetikartikel (Anlage B 8) sowie am 28.08.2008 eine E-Mail in französischer Sprache an eine Zielgruppenmanagerin von DM in A., an die der Katalog des Jahres 2008 von B. für Frankreich angehängt war, in dem sich auch das Produkt P. Sensitive 50+ befand (für die Details des E-Mail-Verkehrs wird auf Anlage B 9 Bezug genommen).
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Die N. SAS hat von dem Produkt P. Spot V 5, welches der angegriffenen Ausführungsform entspricht, im Oktober 2008 die erste Charge produziert. Die erste der später nach Deutschland ausgelieferten Chargen wurde am 22.12.2008 produziert. Die ersten Auslieferungen nach Deutschland erfolgten am 03.02.2009, am 24.04.2009 und am 14.05.2009 an den Kunden D.. Eine Liste mit den Inhaltsstoffen des Produkts ist mit Schreiben vom 03.06.2008 an Laboratoire B. B. in S. (Anlage B 13) und mit Schreiben vom 19.06.2008 an S. M. in Frankreich (Anlage B 14) übersandt worden, um das Produkt in Bulgarien bzw. Russland registrieren zu lassen. Für Deutschland ist dies mangels eines entsprechenden Registrierungserfordernisses nicht geschehen.
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Im laufenden Einspruchsverfahren zu dem parallelen Patent EP... der Klägerin hat sich die Einspruchsabteilung des EPA in einer Zwischenentscheidung vom 26.01.2016 unter anderem mit den Versuchen der Klägerin zu den Auswirkungen der Auswahl der Emulgatoren auf die Thermostabilität (dort D 14) auseinandergesetzt und insofern auch die Formulierung des Produkts P. Spot V 4 der Beklagten (dort D 1) herangezogen, die zwei vom Hauptanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters abweichende Emulgatoren enthält (Anlage K 14).
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Die Klägerin ist der Ansicht, die von der Beklagten vertriebenen Produkte P. SPOT und P. M enthielten sämtliche von dem Klagegebrauchsmuster beanspruchten Inhaltsstoffe und machten daher von der Lehre des Klagegebrauchsmusters in wortsinngemäßer Weise Gebrauch. Dies gelte auch für den in den P. Produkten enthaltenen Inhaltsstoff Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract. Der in Hauptanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters aufgeführte Inhaltsstoff „Süßholzextrakt“ (Glycyrrhizza) erfasse nämlich alle Arten der Süßhölzer, also nicht nur das in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters an verschiedenen Stellen genannte Glycyrrhizza inflata, sondern auch das in den P. Produkten enthaltene Glycyrrhizza Glabra. In Hauptanspruch 1 sei nur allgemein die Rede von „Süßholzextrakt“ und in der Beschreibung werde Glycyrrhiza inflata lediglich als vorzugswürdige Ausführungsform („insbesondere“) aufgeführt. Dies ergebe sich noch deutlicher im Umkehrschluss aus den von der Beklagten vorgelegten Offenlegungsschriften (Anlage B 6), da die Klägerin in diesen Schriften in den jeweiligen Ansprüchen 1 stets einschränkend von einem Extrakt aus Glycyrrhiza inflata und bzw. oder dem darin enthaltenen Stoff Licochalcon A gesprochen habe. Dementsprechend enthielten auch beide Produkte, P. Spot und P. M, mit Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract einen Süßholzextrakt iSd. Klagegebrauchsmusters. Dadurch, dass das Produkt P. M Glabridin-Moleküle mit einem Reinheitsgrad von mindestens 98% enthalte, räume die Beklagte selbst ein, dass es keine Einzelsubstanz, sondern eine Stoffmischung, mithin ein Süßholzextrakt sei. Im Übrigen sei auch Glabridin eine gängige INCI-Bezeichnung, so dass es wenig überzeugend sei, die von der Beklagten gewählte INCI-Bezeichnung „Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract“ stehe für Glabridin.
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Des Weiteren ist die Klägerin der Ansicht, selbst wenn man den Tatsachenvortrag der Beklagten zu dem Produkt P. Sensitive 50+ als zutreffend unterstelle, begründe dieser kein Vorbenutzungsrecht. Denn die in dem Produkt P. Sensitive 50+ enthaltene Glycyrrhetinic Acid, also Glycyrrhetinsäure, eine Einzelsubstanz aus dem Süßholz, sei nicht identisch mit Süßholzextrakt, was eine Stoffmischung, extrahiert aus dem Süßholz, sei. Dies sehe auch die Beklagte selbst so, wie die als Anlage B 11 vorgelegte Liste der Inhaltsstoffe des Produkts P. Spot SPF 50+ ergebe, in der sowohl Glycyrrhizza Glabra (Licorice) Root Extract als auch Glycyrrhetinic Acid aufgeführt seien. Darüber hinaus fehle es an einer Benutzungshandlung im Inland. Insbesondere sei hinsichtlich des Produkts P. Sensitive 50+ unklar, auf welche Länder sich die E-Mail-Korrespondenz mit DM bezogen habe und ob die Inhaltsstoffe jenen entsprächen, die den tunesischen Behörden angezeigt worden seien. Zudem enthalte der übersandte Produktkatalog nicht die Inhaltsstoffe, sondern nur die Produktbezeichnungen. Hinsichtlich des Produkts P. Spot V 5 stehe fest, dass dieses vor dem Anmeldetag nicht in Deutschland angeboten worden sei und es seien die nach § 12 Abs. 1 S. 1 PatG erforderlichen Anstalten auch nicht auf den deutschen Markt ausgerichtet gewesen.
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Die Klägerin ist hinsichtlich der Rechtsbeständigkeit der Ansicht, die Ausführungen der Beklagten lägen neben der Sache. Erstens würden die gegen die Vorbenutzung vorgebrachten Argumente auch hinsichtlich der Neuheit gelten. Insbesondere läge in Schreiben an Behörden kein Zugänglichmachen gegenüber der Öffentlichkeit und hinsichtlich der Beautytools-Website sei dem als Anlage B 16 vorgelegten Ausdruck nicht zu entnehmen, welchen Inhalt diese Seite am 06.05.2008 gehabt habe. Auch fehle es in Internet-Veröffentlichungen aufgefundenen Informationen generell an der Richtigkeitsgewähr, weswegen diese nicht zum Stand der vorbekannten Technik gehörten. Im Hinblick auf den erfinderischen Schritt, so die Klägerin weiter, stelle die Beklagte die Weichen zu Beginn ihrer Argumentation insofern falsch, als sie eine Aufgabe, Photostabilität und damit einhergehend verbesserten UVA-Schutz, erfinde, die gar nicht die Aufgabe sei, die das Klagegebrauchsmuster angehe und löse, nämlich die thermische Stabilität von O/W-Emulsionen, die Süßholzextrakte enthielten. Aber auch ungeachtet dessen sei die Kombination der Dokumente in den Anlagen B 17, 18 und 20 nicht naheliegend, da diese für sich genommen ganz andere Aufgabenstellungen hätten, die ein Fachmann nicht kombinieren würde. Selbst wenn er das täte, käme er jedoch nicht zur Stoffzusammensetzung des Klagegebrauchsmusters. Dies gelte sowohl für Beispiel 2, Beispiel 3 als auch Beispiel 9 der Anlage B 17. In allen diesen Fällen habe der Zusatz der jeweils fehlenden Stoffe insbesondere unter der Prämisse der Erhöhung der thermischen Stabilität nicht nahe gelegen, teilweise nicht einmal zur Erhöhung der von der Beklagten als Aufgabe des Klagegebrauchsmusters behaupteten Photostabilität. Weiter ist die Klägerin der Ansicht, auch P. Spot V 4 stelle den erfinderischen Schritt nicht in Frage, da die nunmehr von der Beklagten durchgeführten Versuche zahlreiche Mängel aufwiesen und diese daher nicht tauglich seien, die von der Klägerin selbst durchgeführten Versuche zur Auswahl von Emulgatoren auf die Thermostabilität substantiiert und im Ergebnis durchgreifend in Frage zu stellen.
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Die Klägerin beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, der Begriff „Süßholz“ sei sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch bei wissenschaftlicher Verwendung mehrdeutig und daher auslegungsbedürftig. Aus der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters ergebe sich für den relevanten Fachmann, einem Team aus einem mit Hautkrankheiten und -irritationen vertrauten Hautarzt und einem Diplom-Biologen oder -chemiker, dass „Süßholzextrakt“ iSd. Merkmals c) des Hauptanspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters nur die Licochalcon A enthaltenden Unterarten Glycyrrhizza inflata oder allenfalls noch Glycyrrhizza eurycarpa seien. Sämtliche in [00010] genannten Offenlegungsschriften und auch die in [00031] bis [00035] beschriebenen Versuche bezögen sich auf Licochalcon A und Extrakte aus der Licochalcon A enthaltenden Unterart der Glycyrrhiza inflata. In [00031] bis [00035] werde mittels des Klammerzusatzes „Süßholzextrakt (Licochalcon A)“ sogar klargestellt, dass der vom Gebrauchsmuster verwendete Begriff „Süßholzextrakt“ mit Licochalcon gleichzusetzen sei. Zudem beziehe sich auch die Aufgabenstellung in [0005] bis [0008] der Beschreibung nur auf Glycyrrhiza inflata und das darin enthaltene Licochalcon A, dessen verbesserte Lagerstabilität in [0008] als Aufgabe des Klagegebrauchsmusters beschrieben werde. Nur dafür werde sie auch erreicht, was nachträgliche Versuche der Beklagten gezeigt hätten. Der in den P.-Produkten enthaltene Extrakt aus der Glycyrrhizza glabra falle daher nicht in den Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters. Zudem seien im Produkt P. M zu 98% hochgereinigte Glabridin-Moleküle, also ein reiner Wirkstoff enthalten und daher keine nennenswerten Anteile anderer Inhaltsstoffe der Glycyrrhiza Glabra, auch wenn dies um Aufwand zu sparen auf der Verpackung so angegeben sei, was allein daran liege, dass es von den Lieferanten aus Kosteneinsparungsgründen unter derselben INCI „Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract“ geführt werde (Anlage B7).
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Die Beklagte ist zudem der Ansicht, ihrer Konzernmutter, der N. SAS mit Sitz in Frankreich, stehe ein Vorbenutzungsrecht zu, wenn man die weite Auslegung des Begriffs „Süßholzextrakt“ der Klägerin zugrunde lege. Die N. SAS sei nämlich vor dem 16.09.2018 in Gestalt der Produkte P. Sensitive 50+ und P. Spot V 5 in Erfindungsbesitz gewesen und habe diesen auch in Deutschland ausgeübt. Dieses Vorbenutzungsrecht wirke auch zugunsten der Beklagten, da die N. SAS den Vertrieb mittels einer eigenen Konzerntochter, der Beklagten, durchführe.
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Das Produkt P. Sensitive 50+ enthalte sämtliche in Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters aufgeführten Inhaltsstoffe. Bei der in dem Produkt enthaltenen Glycyrrhetinic Acid, also Glycyrrhetinsäure, die in der Wurzel der Glycyrrhiza glabra vorkomme und aus dieser im Wege der Hydrolyse oder rein physikalischen Extraktion gewonnen werden könne, handele es sich nach der weiten klägerischen Auslegung des Begriffs „Süßholzextrakt“ im Klagegebrauchsmuster um einen solchen. Die unterschiedliche Bezeichnung (Glycyrrhetinic Acid und Glycyrrhiza Glabra (Licorice) Root Extract) bei ihren Produkten liege darin begründet, dass die INCI-Bezeichnungen sich teilweise überlappten, die jeweilige Kennzeichnung vom Zulieferer des Stoffes abhänge und die Inhaltsstoffe von verschiedenen Zulieferern bezogen worden seien. Ihren Erfindungsbesitz an der Zusammensetzung in dem Produkt P. Sensitive 50+, so die Beklagte weiter, habe die N. SAS dadurch ausgeübt, dass sie einen Katalog, in dem das Produkt enthalten war, am 28.08.2008 an DM in Deutschland gesendet habe, worin eine Angebotshandlung iSd. § 9 PatG liege. Aus der E-Mail-Korrespondenz ergebe sich, dass die in Deutschland ansässige Adressatin der französischen Sprache mächtig gewesen und daher auch den französischen Katalog verstanden und dementsprechend Produkte habe bestellen können.
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Die Zusammensetzung des Produkts P. Spot V 5, die der angegriffenen Ausführungsform entspreche und die damit nach der klägerischen Auslegung des Begriffs „Süßholzextrakt“ sämtliche in Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters aufgeführten Inhaltsstoffe aufweise, sei bereits vor April 2008 festgelegt und am 23.04.2008 eine Liste der Inhaltsstoffe erstellt worden, wodurch die N. SAS Erfindungsbesitz gehabt habe. Die Vorbereitungen zur Produktion der ersten Chargen seien vor dem Anmeldetag des Klagegebrauchsmusters abgeschlossen gewesen und die N. SAS habe sich auf einen fließenden Übergang der Lieferung der Vorgängerversion V 4 zur aktuellen Version V 5 auch in Deutschland vorbereitet. Dies ergebe sich auch aus dem Zeitpunkt der ersten Auslieferungen der Version 5 an den damaligen Vertriebspartner D. in Deutschland Anfang Februar 2009. Zudem sei bereits davor P. Spot V 3 nach Deutschland geliefert worden, das dieselben Emulgatoren wie in Hauptanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters enthalten habe, dafür allerdings weder Octocrylene noch Aniso Triazin. In der Zusammenschau der Zusammensetzungen der Versionen V 3, V 4 und V 5 des Produkts P. Spot (dazu S. 5 ff des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.11.2019) und aufgrund der kontinuierlichen Fortentwicklung sei daher von einem Erfindungsbesitz vor dem Prioritätsdatum des Klagegebrauchsmusters auszugehen. Schließlich sei das Produkt P. Spot V 5 unter dem Namen P. Laser, der im französischen Sprachraum verwendet worden sei, ebenso wie das Produkt P. Sensitive 50+ in dem B. Katalog für das Jahr 2008 in französischer Sprache enthalten gewesen, den die N. SAS am 28.08.2008 an DM übersandt habe.
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Die Beklagte ist weiter der Ansicht, das Klagegebrauchsmuster sei nicht rechtsbeständig.
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Zum einen meint die Beklagte, das Klagegebrauchsmuster sei durch die Produkte P. Senstive 50+ und P. Spot V 5 neuheitsschädlich getroffen, wozu sie im Wesentlichen auf ihre Argumentation zum Vorbenutzungsrecht verweist. Ergänzend führt sie aus, ein Mitarbeiter der N. SAS habe am 25.04.2008 eine Produktabbildung mit Beschreibung und einer Liste der Inhaltsstoffe des Produkts P. Sensitive 50+ auf der Website „www. b..com/fr“ hochgeladen, was durch einen Auszug aus dem Internetarchiv „www.web. a..org“ vom 09.05.2008 bestätigt werde. Dementsprechend sei auch etwa auf der Internetseite b1.com (Anlage B 16) ab dem 06.05.2008 das Produkt P. Sensitive 50+ mit einer Liste der Inhaltsstoffe zum Verkauf angeboten worden. Beide Veröffentlichungen im Internet seien neuheitsschädlich nicht nur gegenüber den unabhängigen Ansprüchen 1, 16 sowie 30, sondern auch gegenüber zahlreichen abhängigen Unteransprüchen. Das EPA selbst gebe die Way Back Machine von web. a..org als Recherchetool für den Veröffentlichungszeitpunkt von Webseiten an. Neuheitsschädlich seien auch die an die Zulassungsbehörden verschiedener Länder übersandten Schreiben mit den Listen der Inhaltsstoffe im April und Juni 2008.
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Zum anderen ist die Beklagte der Ansicht, es fehle auch an einem erfinderischen Schritt, da keine ausreichende Erfindungshöhe gegenüber dem Stand der Technik vorliege. Dies stützt sie im Wesentlichen auf die Druckschriften und sonstigen Dokumente in Anlagen B 17 - B 23. Sie ist diesbezüglich der Ansicht, die zu lösende technische Aufgabe bestimme sich nicht nach der von der Klägerin im Klagegebrauchsmuster subjektiv formulierten Aufgabenstellung, sondern die zu lösende technische Aufgabe sei objektiv zu bestimmen. Ausgehend von den Beispielen 2, 3 und 9 der Offenlegungsschrift in Anlage B 17 liege die objektive technische Aufgabe des Klagegebrauchsmusters in der „Bereitstellung einer kosmetischen O/W-Emulsion, umfassend Licochalcon A, mit verbessertem UV-Schutz.“ Unter dieser Prämisse seien in Anbetracht der Veröffentlichungen insbesondere in Anlagen B 20 und B 22 sowohl der Zusatz von BMDBM und Xanthangummi als auch der Zusatz von Tinosorb S und eines O/W-Emulgators aus der Liste des Klagegebrauchsmusters sowie von Octocrylene (OCR) naheliegend. Mangels Erfindungshöhe fehle es daher an einem erfinderischen Schritt. Gleiches gelte für die abhängigen Unteransprüche hinsichtlich der darin besonders hervorgehobenen und näher bestimmten Inhaltsstoffe. Zudem seien in der MINTEL-Datenbank bereits im März 2004 und im Juni 2007 zwei Kosmetika, Lancome Absolute Mains und Uriage Depiderm SPF50, mit Inhaltsstoffen veröffentlicht gewesen, die bis auf Tinosorb S sämtliche Inhaltsstoffe des Klagegebrauchsmusters enthielten. Der Zusatz von Tinosorb S sei jedoch auf der Grundlage von Anlage B 22 naheliegend.
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Selbst wenn man die in der Gebrauchsmusterschrift genannte Lagerstabilität und als Teil derer auch die thermische Stabilität von Süßholzextrakt enthaltenden Zubereitungen zugrunde lege, fehle es dem Hauptanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters an Erfindungshöhe, da sämtliche Inhaltsstoffe bis auf zwei Emulgatoren bereits in dem Produkt P. Spot V 4 enthalten gewesen seien, welches im Juli 2007 auf der MINTEL-Datenbank veröffentlicht worden sei (Anlage B 34). Die Emulgatoren seien jedoch, wie eigene Versuche der Beklagten gezeigt hätten, für die thermische Stabilität irrelevant, so dass sie keine Erfindungshöhe begründen könnten (Anlage B 35).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2019 verwiesen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO). | 1. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über den Umfang des zwischen dem 14.01.2018 und dem 16.09.2018 erfolgten Inverkehrbringens kosmetischer Produkte auf der Basis kosmetischer O/W-Emulsionen enthaltend
a) 2-Ethylhexyl-2-cyano-3,3-diphenylacrylat (INCI: Octocrylene),
b) 4-(tert.-Butyl)-4'-methoxydibenzoylmethan (INCI:Butylmethoxydibenzoylmethan),
c) Süßholzextrakt,
d) 2,4-Bis- {[4-(2-ethyl-hexyloxy)-2-hydroxy)-phenyl }-6-(4-methoxyphenyl)-1,3,5-triazin (INCI: Aniso Triazin),
wobei als O/W-Emulgator
- Glycerylstearatcitrat,
- Glycerylstearat SE,
- Stearinsäure,
- Polyglyceryl-3-methylglucosedistearat,
- PEG-40 Stearat,
- PEG-100 Stearat,
- Kaliumcetylphosphat
und/oder
- eine Mischung aus Cetearylalkohol + PEG-40 hydriertes Rizinusöl + Natriumcetearylsulfat + Glycerylstearat eingesetzt wird
und die Zubereitung Xanthangummi enthält,
und zwar unter Angabe
(1) der Herstellungsmengen und -zeiten,
(2) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen nebst Produktbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Abnehmer,
(3) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen nebst Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
(4) der Art und des Umfangs etwaiger betriebener Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe/Reichweite, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
(5) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie des erzielten Gewinns.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer 1 bezeichneten Handlungen zwischen dem 14. Januar 2018 und dem 16. September 2018 entstanden ist.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Ziffer 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 75.000,00 €, hinsichtlich der Ziffer 3 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 150.000,00 € festgesetzt. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld unter Verschiebung des Bemessungszeitraums wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung.
2
Die 1983 geborene, ledige Klägerin war auf Grund eines vom 19.02.2016 bis zum 18.02.2017 befristeten Arbeitsvertrages als Krankenpflegerin in Teilzeit (zuletzt 75 %) im S-Klinikum beschäftigt. In der Zeit vom 08.02.2017 bis zum 16.02.2017 wurde die Klägerin in der D Klinik B wegen eines Diabetes mellitus Typ I, bekannte Diabetesdauer 30 Jahre, einer diabetischen Nephropathie (Nierenerkrankung) mit Mikroalbuminurie (Ausscheidung erhöhter Mengen Albumin mit dem Urin), diabetische Retinopathie (durch Diabetes mellitus hervorgerufene Erkrankung der Netzhaut des Auges), Hypoglykämie (eine zu niedrige Glucosekonzentration im Blut) und chronische Abstoßung durch Transplantatversagen 2012 bei Zustand nach Pankreastransplantation 02.07.2008 zur Blutzuckerkorrektureinstellung stationär behandelt. Es erfolgten eine Insulinanpassung sowie umfangreiche Patientenschulungen.
3
Der Klägerin wurde für die Zeit vom 19.02.2017 bis zum 15.10.2017 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. In dieser Zeit bezog sie Krankengeld (38,54 EUR netto kalendertäglich). Vom 16.10.2017 bis 19.02.2018 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld (38,54 EUR netto kalendertäglich).
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Am 16.10.2017 wurde die Tochter der Klägerin M (M) geboren. Die Klägerin wohnt gemeinsam mit ihrem Lebenspartner (und Kindsvater) sowie M in einem Haushalt.
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Am 02.01.2018 beantragte die Klägerin anlässlich der Geburt von M die Bewilligung von Basiselterngeld für den 5. bis 14. Lebensmonat. Am 01.02.2018 legte die Klägerin den Bezugszeitraum für Basiselterngeld für den 1. bis 5. Lebensmonat sowie für Elterngeld plus vom 6. bis 19. Lebensmonat neu fest.
6
Mit Bescheid vom 12.03.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin zunächst für den 5. Lebensmonat Basiselterngeld iHv 257,15 EUR sowie für den 6. bis 19. Lebensmonat Elterngeld plus iHv monatlich 150,00 EUR. Am 12.03.2018 reichte die Klägerin die „Arbeitgeberbescheinigung vor der Geburt“ ein. Danach habe ein Anspruch auf Arbeitgeberzuschuss während der Schutzfrist nicht bestanden. Der letzte Arbeitstag sei der 17.02.2017 gewesen. Im Übrigen bescheinigte das S-Klinikum der Klägerin ihr Einkommen für die Zeit von Juli 2016 bis Februar 2017 (Bl 101 der Verwaltungsakten). Daraufhin nahm die Beklagte eine Neuberechnung des Elterngeldes vor und bewilligte der Klägerin mit Änderungsbescheid vom 23.03.2018 Basiselterngeld für den 5. Lebensmonat iHv 425,54 EUR sowie Elterngeld plus für den 6. bis 19. Lebensmonat iHv monatlich 248,23 EUR. Dabei legte die Beklagte im Bemessungszeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit iHv insgesamt 8.990,87 EUR abzüglich eines Arbeitnehmer-Pauschbetrages iHv 416,65 EUR zugrunde. Mutterschaftsleistungen (zB Mutterschaftsgeldleistungen), die das Einkommen ersetzten, seien auf das Elterngeld anzurechnen.
7
Mit Schreiben vom 23.04.2018 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.03.2018 und legte ein Attest der L vom 23.04.2018 vor. Darin teilte L mit, dass bei der Klägerin ein Typ I Diabetes vorliege, der auf Grund starker Blutzuckerschwankungen schwer einstellbar sei. Am 07.04.2017 habe sie im Ultraschall die Gravidität (Schwangerschaft) festgestellt und die Klägerin auf Grund des durch den Diabetes deutlich erhöhten Risikos für die Schwangerschaft und das Kind arbeitsunfähig geschrieben. Seit Beginn der Schwangerschaft sei ein erhöhter Blutdruck aufgetreten. Es habe sich eine Präeklampsi (hypertensive Erkrankung während der Schwangerschaft) entwickelt. Die Arbeitsunfähigkeit habe auf Grund der problemhaften Risikoschwangerschaft bis zum Beginn der Elternzeit fortgeführt werden müssen.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Gemäß § 2 Abs 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) werde Elterngeld in der Regel in Höhe von 67% des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es werde bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit habe (Basiselterngeld). Für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit iS des § 2c BEEG vor der Geburt seien die 12 Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes maßgeblich (§ 2b Abs 1 Satz 1 BEEG). Bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums nach § 2b Abs 1 Satz 1 BEEG blieben Kalendermonate unberücksichtigt, in denen die berechtigte Person eine Krankheit gehabt habe, die maßgeblich durch eine Schwangerschaft bedingt gewesen sei und dadurch ein geringeres Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt habe (§ 2b Abs 1 Satz 2 Nr 3 BEEG). Der Bemessungszeitraum verschiebe sich dadurch um die Zahl der übersprungenen Monate weiter in die Vergangenheit. Nach dem ärztlichen Attest vom 23.04.2017 sei am 07.04.2017 ein erhöhtes Risiko für die Schwangerschaft festgestellt worden. Das befristete Beschäftigungsverhältnis habe am 18.02.2017 geendet. Unmittelbar vor der schwangerschaftsbedingten Erkrankung habe die Klägerin kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Es sei ihr damit kein Einkommen durch eine Krankheit, die maßgeblich durch eine Schwangerschaft bedingt gewesen sei, weggefallen, sondern durch das Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Eine Verschiebung des Bemessungszeitraums um Monate der schwangerschaftsbedingten Erkrankung sei daher nicht möglich. Der Bemessungszeitraum für die Ermittlung des vor der Geburt des Kindes erzielten Einkommens sei daher der Zeitraum vom 01.10.2016 bis 30.09.2017.
9
Dagegen hat die Klägerin am 21.06.2018 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Sie habe ab 19.02.2017 Krankengeld bezogen, weil bei ihr auf Grund der Diabeteserkrankung der Blutzuckerspiegel entgleist und kaum noch kontrollierbar gewesen sei. Sie sei auch zwei Wochen in stationärer Behandlung gewesen. Es handele sich um ein einheitliches Krankheitsbild. Durchgängig sei die Hormonumstellung für den nicht kontrollierbaren Blutzuckerspiegel verantwortlich gewesen. Die Gravidität sei erst später hinzugekommen, jedoch hänge das Gesamtbild der Erkrankung mit der Kombination Diabetes und Schwangerschaft zusammen. Die Beklagte stütze sich darauf, dass die Klägerin nicht auf Grund der Krankheit ab 07.04.2017 ein geringeres Einkommen erzielt habe, sondern schon auf Grund der Krankheit ab 19.02.2017 und dies nicht auf der Schwangerschaft beruhe. Im vorliegenden Fall dürfe der Kausalzusammenhang nicht über Gebühr eingefordert werden. Es sei zu berücksichtigen, dass sie - die Klägerin - seit Jahren an einer Erkrankung leide, die in nicht jeder Hinsicht und ständig kontrollierbar sei. Um den Empfängniszeitraum herum habe sich der Blutzuckerspiegel völlig unkontrollierbar entwickelt und zu Arbeitsunfähigkeit geführt. Mit der Feststellung der Schwangerschaft am 07.04.2017 sei sofort Arbeitsunfähigkeit auf Grund des Diabetes ausgesprochen worden. Die vorherige Arbeitsunfähigkeit habe ebenfalls schon auf der Schwangerschaft beruht, nur sei diese zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgestellt gewesen. Bereits mit der ersten Zahlung von Krankengeld habe eine Krankheit bestanden, die maßgeblich durch die Schwangerschaft bedingt gewesen sei, ohne dass die Schwangerschaft zuvor schon festgestellt worden sei. Dies könne für die Bemessung des Elterngeldes keine Bedeutung haben.
10
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin habe in der Zeit ab 18.02.2017 kein Einkommen mehr erzielt. Das befristete Arbeitsverhältnis beim S-Klinikum habe mit Ablauf des 18.02.2017 durch Fristablauf geendet. Bei dem ab 19.02.2017 bezogenen Krankengeld handele es sich um nicht zu versteuerndes Einkommen iS von § 2 Abs 1 BEEG iVm § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4 Einkommensteuergesetz (EStG). Gleiches gelte für die Mutterschaftsleistungen. Diese Leistungen seien bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zu berücksichtigen und grundsätzlich auf das Elterngeld anzurechnen. Im Übrigen habe die Klägerin eingestanden, dass sie schon seit Jahren an Diabetes und daher an einer Krankheit leide, die nicht in jeder Hinsicht und ständig kontrollierbar gewesen sei. Ob die Schwankungen des Blutzuckerspiegels tatsächlich auf der erst am 07.04.2017 festgestellten Schwangerschaft beruhten, stehe nicht fest. Ebenso wenig sei erkennbar, ob die Arbeitsunfähigkeit ab 19.02.2017 ebenfalls schon auf der Schwangerschaft beruht habe. Hierauf komme es letztlich aber nicht an, da der Wegfall des Einkommens der Klägerin nicht auf ihre Diabeteserkrankung und der Schwangerschaft beruhe, sondern allein auf der Beendigung ihres befristeten Arbeitsverhältnisses zum 18.02.2017.
11
Erstmals mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 21.05.2019 hat die Klägerin behauptet, dass sie einen neuen Arbeitsvertrag erhalten und weitergearbeitet hätte, wenn nicht die auf der Schwangerschaft beruhende Krankheit dazwischengekommen wäre.
12
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16.01.2020 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung höheren Elterngeldes unter Ausklammerung des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit vom 19.02.2017 bis 16.10.2017. Die Berechnung des der Klägerin zustehenden Elterngeldes durch die Beklagte sei rechtlich nicht zu beanstanden. Für die Ermittlung des Einkommens aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt seien 12 Kalendermonate vor der Geburt des Kindes maßgeblich (§ 2b Abs 1 Satz 1 BEEG). Hierbei blieben Kalendermonate unberücksichtigt, in denen die berechtigte Person Elterngeld oder Mutterschaftsgeld bezogen habe oder eine Krankheit gehabt habe, die maßgeblich durch eine Schwangerschaft bedingt gewesen sei und dadurch ein geringeres Einkommen aus Erwerbstätigkeit gehabt habe. Ob eine durch die Schwangerschaft bedingte Krankheit vorgelegen habe und ob diese einen Einkommensausfall verursacht habe, sei nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu entscheiden. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung würden als kausal- und rechtserheblich solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hätten. Welche Ursache wesentlich sei und welche nicht, müsse aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw Gesundheitszustandes abgeleitet werden. Eine Ursache, die als rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen sei, dränge die sonstigen Umstände in den Hintergrund. Diese müssten in wertender Betrachtung als rechtlich nicht wesentliche Mitursachen für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben. Nach Überzeugung des Gerichts ergebe sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, dass die Arbeitsunfähigkeit vor der Geburt des Kindes einen Verlust von Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit nach der Theorie von der rechtlich wesentlichen Bedingung mitverursacht habe. Vielmehr sei für den Einkommensausfall das Ende der befristeten Beschäftigung ursächlich. Die Klägerin habe nicht geltend gemacht, dass die befristete Tätigkeit verlängert worden sei oder ohne die Schwangerschaft verlängert worden wäre. Somit sei das Ende der befristeten Beschäftigung für den Einkommensausfall von überragender Bedeutung.
13
Ausweislich eines Aktenvermerks der Kammervorsitzenden des SG vom 22.01.2020 habe die Klägerin telefonisch ua mitgeteilt, sie sei examinierte Krankenschwester und davon überzeugt, dass sie ohne die schwangerschaftsbedingte Erkrankung auch nach Ende der befristeten Beschäftigung beim S-Klinikum wieder eine Anstellung gefunden hätte. Sie könne insoweit Bewerbungen vorlegen.
14
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 29.01.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 02.03.2020 (Montag) beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie - die Klägerin - hätte ohne die unstreitig bestehende Erkrankung unproblematisch die Arbeitstätigkeit fortführen bzw wiederaufnehmen können, dies entweder beim S-Klinikum direkt oder beim verbundenen Kreisverband des D1. Auf Grund ihrer Ausbildung als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin sowie Rettungsassistentin hätte sie bei bestehender langjähriger Berufserfahrung ohne Weiteres tätig werden können. Einziger Grund, warum dies nicht geschehen sei, sei die schwangerschaftsbedingte Erkrankung, die L zum 07.04.2017 festgestellt habe. Die Schwangerschaft habe natürlich bereits zuvor bestanden. Die Geburt des Kindes sei am 16.10.2017 erfolgt.
15
Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),
16
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids 12.03.2018 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 23.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2018 zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Bemessungszeitraums vom 01.02.2016 bis 31.01.2017 höheres Elterngeld zu gewähren.
17
Die Beklagte beantragt,
18
die Berufung zurückzuweisen.
19
Bei der Klägerin habe keine Krankheit bestanden, die maßgeblich durch die Schwangerschaft bedingt gewesen sei und zu einem geringeren Einkommen aus Erwerbstätigkeit geführt habe. Die Schwangerschaft sei von der Hausärztin erst rund zwei Monate nach der Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses festgestellt worden. Die Arbeitsunfähigkeit ab 19.02.2017 habe auf den Diabetes-Typ I bedingten starken Blutzuckerschwankungen beruht. In dem ärztlichen Attest werde zudem ein erhöhtes Risiko für die Schwangerschaft auf Grund des Diabetes bescheinigt, dagegen nicht, dass der Diabetes durch die Schwangerschaft maßgeblich bedingt gewesen sei. Soweit die Klägerin vortrage, sie wäre ohne die Schwangerschaft und die damit verbundene Erkrankung arbeitsfähig gewesen und hätte ohne die bestehende Erkrankung unproblematisch die Arbeitstätigkeit fortführen bzw wiederaufnehmen können, so sei dies reine Fiktion, die der eindeutigen Tatsachenlage widerspreche. Bei der Beendigung des befristeten Arbeitsvertrages am 18.02.2017 sei die Schwangerschaft der Klägerin noch nicht einmal festgestellt. Auch habe die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen, die überhaupt auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach dem 18.02.2017 schließen ließen.
20
Der Klägervertreter hat eine schriftliche Stellungnahme der Klägerin vom 21.06.2020 vorgelegt. Darin hat sie ausgeführt, dass sie sich intern bei der Anästhesie-Abteilung beworben habe, als ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert worden sei. Sie habe ein Vorstellungsgespräch mit dem leitenden Anästhesiepfleger geführt und eine Zusage für den nächstmöglichen Zeitpunkt bekommen. Die mündliche Vereinbarung habe darin bestanden, ihren Diabetes nochmals gut einstellen zu lassen, wie es auch in der D-Klinik B im Februar 2017 geschehen sei, und anschließend in der Anästhesie anzufangen. Nach der Diabetesneueinstellung sei sie noch ca ein bis zwei Wochen krankgeschrieben worden, um die neuen „Techniken“ zu erproben. Dass danach die Blutzuckerwerte wieder stark geschwankt hätten, sie einen erhöhten Blutdruck gehabt habe sowie leichte Beinödeme, sei ihr dann klargeworden, als ihre Hausärztin die Schwangerschaft festgestellt habe.
21
Weiter hat die Klägerin vorgebracht, der Beginn der Schwangerschaft datiere exakt auf den 18.02.20217. Die Beklagte hat dazu erwidert, dass die Datierung des Zeugungstermins der Klägerseite auf den 18.02.2017 völlig unzutreffend sei. Für die Berechnung des Zeugungstermins stünden zwei Methoden zur Verfügung, nämlich „post menstruationem“ (PM) oder „post conceptionem“ (PC). Die Methode sei dabei vom Arzt hinter der Angabe der Schwangerschaftswoche (SSW) als Zusatz zu vermerken, bei der Berechnung des Zeugungstermins komme es gerade auf diesen Zusatz an. Sei kein Zusatz vorhanden, erfolge die Berechnung nach der Methode PM. Da sich im vorläufigen Entlassbrief vom 25.10.2017 hinter der Angabe der Schwangerschaftswoche kein solcher Zusatz befinde, ergebe sich daraus als Zeugungstermin nach der Methode PM somit der 04.03.2017. Die Schwangerschaft sei auch erst am 07.04.2017 festgestellt worden. Abschließend bleibe festzuhalten, dass der Arbeitgeber bereits vor Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses am 18.02.2017 der Klägerin mitgeteilt habe, sie nicht übernehmen zu wollen. Dieser habe mit der Klägerin somit keinen neuen Arbeitsvertrag abschließen bzw ihr keine Verlängerung des Arbeitsvertrages anbieten wollen. Die Klägerin habe sich eigeninitiativ bewerben müssen. Eine hypothetische Neueinstellung der Klägerin ab 19.02.2017 sei unterblieben. Eine solche sei davon abhängig gemacht worden, dass sie ihren Diabetes „nochmals“ gut einstellen lasse. Ob nach der Neueinstellung des Diabetes die Klägerin tatsächlich eingestellt worden wäre, stehe keineswegs fest. Ein entsprechender Arbeitsvertrag sei jedenfalls nicht bereits geschlossen worden. Solche rein hypothetischen Geschehensabläufe könnten von der Beklagten elterngeldrechtlich nicht berücksichtigt werden.
22
Auf Anfrage des Senats hat die Personalabteilung des S-Klinikums mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin von Beginn an befristet gewesen sei. Eine Verlängerung sei auf Grund des Stellenplans technisch nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe als Stationsassistentin gearbeitet. In der Personalakte der Klägerin lägen keine Informationen vor, ob sie sich bei der S-Klinik um eine Beschäftigung nach dem 18.02.2017 beworben habe. Bewerbungen würden in ihrem Portal nach 12 Monaten anonymisiert.
23
Auf gerichtliche Verfügungen vom 18.08.2021 und 22.09.2021, darzulegen, wann sich die Klägerin beim S-Klinikum um welche konkrete Stelle (Beginn, Tätigkeit, Dauer/Befristung, Wochenarbeitszeit) beworben habe, und entsprechende Bewerbungsunterlagen vorzulegen, hat die Klägerin nicht reagiert.
24
Mit Verfügung vom 19.10.2021 hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit als entscheidungsreif und die Einholung eines Sachverständigengutachtens - auch nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - als nicht erforderlich, weil nicht entscheidungserheblich, angesehen werde. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. | 0 |
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AG Halle (Saale) | Sachsen-Anhalt | 1 | 0 | 01.12.2011 | 0 | Randnummer
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(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.) | 1.) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 316,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. April 2010 zu bezahlen.
2.) Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. | 1 |
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 20.05.2014 | 1 | Randnummer
1
Als Eigentümer der Grundstücke Flur …, Parzellen … und …, in der Gemarkung N… wendet sich der Kläger gegen den Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2008 „über die einmaligen Beiträge für den Ausbau der F-Straße (Abschnitt außerhalb des Sanierungsgebietes)“. Mit diesem Bescheid forderte die Beklagte vom Kläger einen Erstattungsbetrag von 2.566,12 €. In dieser Höhe hatte die Beklagte den vom Kläger aufgrund der mittlerweile bestandskräftigen Heranziehungsbescheide vom 29. Dezember 1997 und vom 8. Juli 1998 beglichenen Ausbaubeitrag teilweise an diesen zurückgezahlt. Die Rückzahlung stand im Zusammenhang mit einem im Jahr 2000 zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleich, den das Verwaltungsgericht Koblenz in dem im Verfahren 4 L 757/08.KO ergangenen Beschluss und in dem angefochtenen Urteil als nichtig angesehen hat.
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2
Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 130 b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug, dessen tatsächliche Feststellungen er sich in vollem Umfang zu Eigen macht.
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3
Das Verwaltungsgericht hat die Klage sowohl gegen die Heranziehungsbescheide vom 29. Dezember 1997 und vom 8. Juli 1998 sowie den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid als auch gegen den Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2008 abgewiesen. Nur hinsichtlich dieses Abrechnungsbescheids hat der Senat die Berufung des Klägers zugelassen.
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Zu deren Begründung trägt er vor, der mit dem Abrechnungsbescheid von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch sei mit dem 31. Dezember 2005 verjährt. Die Zahlungsverjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2000 zu laufen begonnen, weil der Erstattungsanspruch aufgrund der rechtsgrundlosen Teilrückzahlung im Jahr 2000 entstanden sei. Anders als das Verwaltungsgericht angenommen habe, komme es nicht darauf an, ob den Beteiligten die Nichtigkeit des abgeschlossenen Vergleichs und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Teilrückzahlung bekannt gewesen sei. Gehe man des Weiteren davon aus, dass der Abrechnungsbescheid vom 1. Oktober 2008 eine Aufhebung der mit dem im Jahr 2000 abgeschlossenen Vergleich einhergehenden Teilaufhebung der Heranziehungsbescheide vom 29. Dezember 1997 und vom 8. Juli 1998 darstelle, sei insoweit Festsetzungsverjährung eingetreten.
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Der Kläger beantragt,
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6
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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8
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, die Zahlungsverjährung sei nicht eingetreten. Dem Vergleichsvertrag könne entnommen werden, dass die Teilrückzahlung seitens der Beklagten nur vorläufig erfolge und eine Schlussabrechnung zu Erstattungsforderungen führen könne. Die Teilrückzahlung stelle in der Sache eine Vollziehungsaussetzung und gleichzeitig einen Rückforderungsvorbehalt dar. Darin liege eine die Zahlungsverjährung unterbrechende Geltendmachung des Erstattungsanspruchs.
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Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätzen und den vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsvorgängen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 0 | 15.03.1979 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin die Wartezeit für die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt hat.
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2
Die 1902 geborene Klägerin hat nach den auf die Beklagte lautenden Versicherungskarten Nr. 1 bis 5 vom 1. April 1918 bis zum 1. April 1923 insgesamt 258 Wochenbeiträge entrichtet. Die vom 18. Juli 1966 bis zum 15. Juni 1967 weiter entrichteten Pflichtbeiträge wurden durch Bescheid der Beklagten vom 22. September 1969 gemäß § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) erstattet.
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3
Mit Schreiben vom 19. August 1975 bat die Klägerin die Beklagte um eine Bescheinigung über die von ihr zurückgelegten Versicherungszeiten. Hierauf übersandte die Beklagte der Klägerin Ablichtungen der Versicherungskarten Nr. 1 bis 5. Mit weiterem Schreiben vom 17. September 1975 teilte die Klägerin der Beklagten mit, die Aufrechnungszahlen seien zum Teil unleserlich. Sie bat deshalb um Mitteilung der Anzahl der Wochenbeiträge. Hierauf sandte die Beklagte die Originalversicherungskarten an das Versicherungsamt beim Landratsamt in G. Dieses teilte der Klägerin unter dem 3. Oktober 1975 mit, die Wartezeit für die Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sei nicht erfüllt. Eine Durchschrift dieses Schreibens wurde der Beklagten übersandt und ist dort am 9. Oktober 1975 eingegangen.
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4
Am 15. September 1975 beantragte die Klägerin die Gewährung der Versichertenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23. Januar 1976 ab mit der Begründung, die Klägerin habe die erforderliche Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt, da nach § 1249 RVO keine anrechnungsfähigen Versicherungsbeiträge entrichtet seien.
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Den hiergegen am 19. Februar 1976 erhobenen Widerspruch gab die Beklagte gemäß § 85 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Klage an das Sozialgericht Darmstadt ab.
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Mit Schreiben vom 26. November 1976 beantragte die Klägerin die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art. 2 § 51 a Abs. 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) und überwies an die Beklagte den Betrag von 3.240,– DM als Gegenwart für 180 Beiträge § 18,– DM. Diesen Antrag lehnte die Beklagte wegen Fristversäumnis ab.
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Im Klageverfahren machte die Klägerin geltend, aufgrund des Schriftwechsels und des Rentenantrages habe sie davon ausgehen können, daß die Wartezeit erfüllt sei und demzufolge ein Rentenanspruch bestehe. Sie habe deshalb keine Veranlassung gesehen, sich erneut an die Beklagte zu wenden.
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Die Beklagte verwies demgegenüber darauf, daß die nachgewiesenen Beiträge nach § 1249 RVO nicht anrechenbar seien. Die Nachentrichtung von Beiträgen hätte bis 31. Dezember 1975 beantragt werden müssen. Fehlerhafte Auskünfte eines Versicherungsamtes seien für die Beklagte nicht bindend.
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Durch Urteil vom 24. Februar 1978 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Wartezeit sei nicht erfüllt, weil kein nach § 1249 RVO anrechenbarer Beitrag nachgewiesen sei. Auch habe die Beklagte ihre Aufklärungspflicht gegenüber der Klägerin nicht verletzt. Die Beklagte sei weder um eine Auskunft über die Erfüllung der Wartezeit gebeten worden noch habe sie eine solche erteilt. Das Versicherungsamt sei kein Organ der Beklagten, so daß diese nicht für dessen falsche Auskünfte in Anspruch genommen werden könne. Der Antrag auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen sei verspätet gestellt.
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Gegen dieses am 15. März 1978 zwecks Zustellung an die Klägerin zur Post gegebene Urteil richtet sich ihre am 15. April 1978 beim Sozialgericht Darmstadt eingegangene Berufung, mit der sie ihren Rentenanspruch weiterverfolgt.
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11
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte habe ihre Anfrage vom 17. September 1975 nach den vorhandenen Versicherungsunterlagen an das Versicherungsamt weitergeleitet. Stattdessen hätte sie diese Anfrage selbst beantworten müssen. Die dem Versicherungsamt übersandten Unterlagen seien unvollständig gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet, im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zu gestatten.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Februar 1978 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 23. Januar 1976 zu verurteilen, ihr Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Anrechnung der in den Versicherungskarten Nr. 1 bis 5 enthaltenen Beiträge sowie von 180 Monatsbeiträgen à 18,– DM ab 1. Oktober 1975 zu gewähren.
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13
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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15
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. | I. Auf die Berufung der Klägerin werden des Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Februar 1978 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 1976 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung von 180 Monatsbeiträgen à 18,– DM ab dem dem Eingang der Zahlung von 3.240,– DM folgenden Monat zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung über die Berechtigung der Beklagten, die bereits gegenüber dem Versicherten die beabsichtigte Schlauchmagen-Operation bei Adipositas-Erkrankung nach Einholung von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) mangels Leistungsanspruchs abgelehnt hatte, gegenüber der Klägerin die Vergütung der gleichwohl erfolgten stationären Behandlung und Operation ohne Einholung eines MDK-Gutachtens zu verweigern.
2
Die Klägerin ist ein selbständiges Unternehmen der L. S. in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß § 102a Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Bis zum 31.12.2018 handelte es sich bei dem Klinikum der L. S. gKAöR um einen Eigenbetrieb der L. S.. Das Klinikum, in dem die ehemaligen städtischen Krankenhäuser K.-Hospital, O.-Hospital, B.-Hospital und das Krankenhaus B. C. zusammengefasst wurden, war auch im Jahr 2018 in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung.
3
Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte E. L. (geb 1962; Body-Maß-Index > 55 kg/m
2
) beantragte am 20.10.2017 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenverkleinerung. Die Beklagte holte das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 07.12.2017 ein. Der MDK führte aus, eine primäre Operationsindikation könne aus den vorliegenden Unterlagen nicht nachvollzogen werden. Es bestehe eine klare medizinische Notwendigkeit zur Gewichtsreduktion. Ein „Ultima Ratio“ für die gewünschte Operation könne nicht bestätigt werden, da eine multimodale konservative Therapie zur Behandlung der Adipositas in einem relevanten Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nicht dokumentierterweise konsequent durchgeführt worden sei. Mit Bescheid vom 12.12.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahren erstattete der MDK am 28.05.2018 ein weiteres Gutachten, das zu keinem anderen Ergebnis führte. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
4
In der Zeit vom 13.08.2018 bis zum 18.08.2018 wurde der Versicherte im Klinikum der Klägerin stationär behandelt und die Schlauchmagen-Operation durchgeführt. Für die stationäre Behandlung stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 22.08.2018 den Betrag von 7.203,85 EUR unter Zugrundelegung der Diagnosis Related Group K04Z (
Große Eingriffe bei Adipositas
) in Rechnung. Die Rechnung wurde von der Beklagten jedoch nicht beglichen. Eine förmliche Abrechnungsprüfung (Prüfverfahren) wurde von der Beklagten nicht eingeleitet.
5
Am 06.12.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Die in der S3- Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ (2018) als auch die in der S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (2014) genannten Kriterien seien bei dem Versicherten erfüllt gewesen. Da die Beklagte kein Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V in der vom 01.01.2016 bis 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) eingeleitet habe, unterliege die Patientenakte einem Beweisverwertungsverbot. Dies gelte ebenfalls für von der Beklagten einzuholende MDK-Stellungnahme. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berühre eine (bestandskräftige) Ablehnung, welche von einer Krankenkasse gegenüber einem Versicherten ausgesprochen worden sei, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses nicht. Eine Befassung des MDK im Verwaltungsverfahren zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse ersetze nicht die nachgelagerte Abrechnungsprüfung nach § 275 Abs 1c SGB V aF zwischen Krankenkasse und Krankenhaus.
6
Die Beklagte hat sich auf die im Rahmen des vom Versicherten geführten Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachten des MDK berufen, die eine Indikation nicht belegten. Eine sozialmedizinische Bewertung nach § 275 SGB V habe damit stattgefunden. Ein Beweisverwertungsverbot greife daher im vorliegenden Fall nicht ein. Es bestehe nach der aktuellen Rechtsprechung ein Anspruch auf eine bariatrische OP nur dann, wenn diese Maßnahme sich als Ultima Ratio darstelle, was vorliegend nicht der Fall sei.
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Mit Gerichtsbescheid vom 23.07.2019 hat das SG die Beklagte zur Zahlung von 7.203,85 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.09.2018 verurteilt. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richte sich allein nach den medizinischen Erfordernissen im Einzelfall. Der Prüfungsumfang sei im vorliegenden Fall allerdings stark eingeschränkt. Indem die Beklagte es unterlassen habe, eine MDK-Prüfung im Verhältnis zur Klägerin einzuleiten, sei eine Präklusionswirkung in Hinblick auf mögliche medizinische Einwendungen eingetreten. Die Regelung in § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V aF habe zur Folge, dass Krankenkasse und MDK bei einzelfallbezogenen Abrechnungsprüfungen nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 275 Abs lc Satz 2 SGB V aF auf die Daten beschränkt seien, die das Krankenhaus der Krankenkasse im Rahmen seiner Informationsobliegenheiten bei der Krankenhausaufnahme und zur Abrechnung - deren vollständige Erfüllung vorausgesetzt - jeweils zur Verfügung gestellt habe. Diese Begrenzung der Sachverhaltsermittlung wirke auch im Gerichtsverfahren fort. Es bestehe ein Beweisverwertungsverbot bzgl der Patientenakte. Ebenso sei es nicht ausreichend, dass die Beklagte gegenüber dem Versicherten im Verwaltungsverfahren aufgrund dessen Antrag bei der Beklagten den MDK beauftragt habe. Die Ablehnung gegenüber dem Versicherten berühre insofern nicht den Vergütungsanspruch des Krankenhausträgers. Insofern sei das Abrechnungsverhältnis zwischen Krankenkasse und Krankenhaus vom Behandlungsverhältnis zwischen Krankenhaus und Versichertem sowie vom Versicherungsverhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse, kraft dessen der Versicherte nach Maßgabe des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V die Krankenhausbehandlung als Naturalleistung (Sachleistung) verlangen könne, zu trennen. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entstehe im Abrechnungsverhältnis, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Diese Rechtsprechung weitergeführt, könne auch die Befassung des MDK im Verwaltungsverfahren zwischen Krankenkasse und Versichertem als vorgelagerte Prüfung des Bestehens eines Sachleistungsanspruchs nicht das MDK-Prüfverfahren im Verhältnis zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse iR der nachgelagerten Abrechnungsprüfung ersetzen. Andernfalls würde das Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V aF samt seinem Schutzzweck bzw das vom BSG entwickelte dreistufige Prüfverfahren samt der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten der beteiligten Krankenkasse und des beteiligten Krankenhauses leerlaufen. Die Prüfung beschränke sich daher auf den Sachverhalt, wie er sich aus den nach § 301 Abs 1 SGB V übermittelten Daten darstelle. Diesen lasse sich lediglich entnehmen, dass bei Adipositas-Erkrankung eine vollstationäre Behandlung durchgeführt worden und eine Aufnahme in der allgemeinen Chirurgie erfolgt sei. Anhaltspunkte, warum diese Behandlung nicht erforderlich gewesen sein sollte, ließen sich den Angaben nicht entnehmen. Von einer Erforderlichkeit der stationären Behandlung sei daher auszugehen.
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Gegen den ihr am 25.07.2019 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22.08.2019 erhobene Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe verkannt, dass die Beklagte ihrer als Behörde obliegenden Pflicht zur vorgerichtlichen Sachverhaltsermittlung nachgekommen sei und zwar im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die vom Versicherten beantragte Leistung vorlägen (§ 275 Abs 1 Nr 1 SGB V). In diesem Zusammenhang seien für dieselben Fragen, die auch die Begründetheit der Rechnung bestimmten, MDK-Gutachten eingeholt worden. Der maßgebliche Sachverhalt sei damit nicht erstmals bewertet worden. Auch wenn eine im Versicherungsverhältnis ergangene Leistungsablehnung mangels Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit für das Abrechnungsverhältnis ohne Bedeutung sein solle, betreffe die Ablehnung der Kostenübernahme und die streitgegenständliche Rechnung dieselbe stationäre Krankenhausbehandlung, ohne dass sich der zugrunde liegende Sachverhalt geändert habe. Eine erneute Prüfung wäre bloße Förmelei. Der Sachverhalt sei vergleichbar mit Fällen, in denen ein Strukturgutachten des MDK vorliege und daher auf die nochmalige Einholung eines Gutachtens verzichtet werde. Die Schlussfolgerung des SG, dass anderenfalls nicht mehr der MDK, sondern erstmals die Sozialgerichte den von den Krankenkassen aufgeworfenen medizinischen Zweifelsfragen nachgehen und im Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären haben, treffe auf den vorliegend zu entscheidenden Sachverhalt nicht zu. Es stelle sich in beiden Zusammenhängen dieselbe Frage, nämlich ob die Voraussetzungen der §§ 27 Abs 1 Satz 1 iVm 39 Abs 1 Satz 1 SGB V unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung in Bezug auf den Versicherten E. L. erfüllt seien oder nicht. Die streitgegenständliche Operation sei etwas einen Monat nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2018 am 13.08.2018 in Anspruch genommen worden. Neue Tatsachen in diesem Zeitraum, die eine andere Bewertung rechtfertigten und nicht berücksichtigt worden seien, seien nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass der Versicherte sein Begehren nach Erlass des Widerspruchsbescheides nicht mit einer Klage weiterverfolgt habe.
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Die Beklagte beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
13
Sie trägt vor, die Patientenakte unterliege einem Beweisverwertungsverbot. Die Beklagte habe es unterlassen, im Nachgang zu der streitgegenständlichen Behandlung vom 13.08.2018 bis 18.08.2018 fristgerecht eine MDK-Prüfung nach § 275 Abs 1c SGB V aF einzuleiten. Es sei eine Präklusionswirkung im Hinblick auf mögliche medizinischen Einwendungen der Beklagten eingetreten. Die von der Beklagten eingeholten MDK-Gutachten im Antrags- und Widerspruchsverfahren des Versicherten ersetzten nicht die Befassung des MDK im Rahmen einer Abrechnungsprüfung. Erstere habe die Frage zur Gegenstand, ob der Versicherte gegenüber der Beklagten einen Sachleistungsanspruch habe. Bei der Prüfung der Abrechnung gehe es um die Entgeltforderung. Es handele sich nicht um dieselben Fragen. Die von der Beklagten präoperativ eingeholten Gutachten bildeten schon wegen des Zeitablaufs bis zur tatsächlich durchgeführten Operation einen völlig anderen medizinischen Sachverhalt.
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Die Klägerin hat noch den Behandlungsvertrag mit dem Versicherten sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen für den Eigenbetrieb Klinikum S. der L. S. vom 14.12.2016, gültig ab 01.06.2017 (AVB) vorgelegt.
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Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 02.02.2021 bzw 04.02.2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mitgeteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten über das auf Antrag des Versicherten durchgeführten Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren in Bezug auf die Gewährung der Schlauchmangen-Operation verwiesen. | Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 7.203,85 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
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SG Kassel 6. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 22.09.2009 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten über die Höhe des festzustellen Grades der Behinderung (GdB) und hierbei konkret darüber, ob beim Kläger einen GdB von 50 ab Antragstellung festzustellen ist.
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Der 1946 geborene Kläger stellte am 12.09.2006 erstmalig einen Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht. Zu Begründung seines Antrags gab er folgende Behinderungen an:
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3
- Ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus,
- eine Polyneuropathie,
- eine diabetischen Retinopathie und
- ein Trümmerbruch des linken Armkugelgelenks.
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Zur Untermauerung seines Antrags überreichte der Kläger einen Befundbericht von dem behandelnden Arzt M. vom 15.09.2006, dem zu entnehmen ist, dass der Kläger seit Jahren an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II leide. Der Glykohämoglobinwert liege im Normbereich (zw. 6,0 und 7,0 %). Ferner liege ein diabetisches Fußsyndrom vor, wegen dem derzeit keine Therapie erforderlich sei. Wegen eines Zustands nach Humeruskopffraktur links sei seit der letzten Untersuchung keine Therapie mehr erforderlich (Bl. 3 Verwaltungsakte, Rückseite).
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Mit Bescheid vom 09.10.2006 stellte der Beklagte einen GdB von 30 fest. Er berücksichtigte hierbei als Behinderung einen Diabetes mellitus. In dem Bescheid heißt es weiterhin, dass die Gesundheitsstörung „Armfunktionsstörung“ keine Behinderung darstelle, weil sie nicht zu dauernden Funktionsbeeinträchtigungen führe, die einen GdB von 10 rechtfertigen könnten (Bl. 6 Verwaltungsakte).
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 16.10.2006 Widerspruch ein. Er begründete seinen Widerspruch damit, dass er unter einem schwer einstellbaren Diabetes mellitus leide, der mit einer Insulinintensivtherapie behandelt werde. Eine sich verschlimmernde diabetische Neuropathie der Füße setzte ihm schwer zu. Die Retinopathie der Augen sei fortschreitend.
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Zur Untermauerung seines Widerspruchs überreichte der Kläger einen Befundbericht von Dr. C. vom 23.10.2006 mit Hinweis auf einen schwer einstellbaren Diabetes mellitus, eine Polyneuropathie und eine Retinopathie. Angaben, wie sich die schwere Einstellbarkeit des Diabetes mellitus äußert, sind dem Befundbericht nicht zu entnehmen (Bl. 9 Verwaltungsakte).
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Weiterhin überreichte der Kläger einen Befundbericht des Augenarztes Dr. D. vom 26.10.2006. Der Befundbericht enthält als Diagnose eine diabetische Maculopathie. Dem Befundbericht ist weiterhin zu entnehmen, dass der Kläger wegen dieser Netzhautschädigungen in den Jahren 2004, 2005 und 2006 an der Netzhaut per Laser ambulant behandelt wurde. Dr. D. stellte einen Visus Rechts und links von 0,8 und einen Augeninnendruck beidseits im Normbereich fest. Hinweise auf Gesichtsfeldausfälle sind dem Befundbericht nicht zu entnehmen (Bl. 10 Verwaltungsakte).
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Den Befundberichten von Dr. D. und Dr. C. seien keine Hinweise auf Funktionsbeeinträchtigungen zu entnehmen, die einen höheren GdB als 30 rechtfertigten (Bl. 14 Verwaltungsakte).
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Am 30.11.2006 hat der Kläger gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim hiesigen Sozialgericht Kassel erhoben.
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Das Gericht hat zur Aufklärung der Sachverhalt zunächst Befundberichte eingeholt.
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Dem Befundbericht von Dr. C. ohne Datum (Bl. 24 ff. Gerichtsakte) ist zu entnehmen, dass ein schwer einstellbarer Diabetes mit Problemen durch Folgekrankheiten (Retinopathie, Polyneuropathie) vorliege. Das Vibrationsempfinden sei beeinträchtigt. Dem Befundbericht ist weiterhin unter anderem zu entnehmen, dass die Nieren des Klägers bei einer Untersuchung am 01.03.2007 ohne pathologischen Befund gewesen seien (Bl. 26 Gerichtsakte).
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Der Befundbericht des Augenarztes Dr. D. vom 09.03.2007 bestätigt die bereits zuvor erwähnten durch den Diabetes mellitus verursachten Netzhautschädigungen, welche per Laser ambulant versorgt wurden, und den beidseitigen Visus von 0,8 (Bl. 27 Gerichtsakte).
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Der Beklagte hat die Befundberichte durch seinen zentralärztlichen Dienst auswerten lassen und hat an seiner Auffassung festgehalten. Der aktenmäßigen internistischen Äußerung von Medizinaldirektor M. vom 30.03.2007 zu entnehmen, dass eine schwere Einstellbarkeit des Diabetes mellitus nicht ausreichend belegt sei. Gleiches gelte für das diabetische Fußsyndrom und die Augenhintergrundveränderungen. Dem Befundbericht von Dr. C. sei insbesondere nicht zu entnehmen, dass der Kläger unter Hypoglykämien leidet. Entsprechende Blutzuckertagesprotokolle lägen nicht vor. Dem Befundbericht sei auch nicht zu entnehmen, dass der Kläger hinsichtlich des Fußsyndroms unter Lähmungserscheinungen oder Muskelatrophien leide. Entsprechendes gelte auch die Angaben hinsichtlich der Augenhintergrundveränderungen. Diese Folgeschädigung orientiere sich an den Visus-Werten beziehungsweise Gesichtsfeldausfällen. Entsprechende Funktionsbeeinträchtigungen, die einen GdB von 10 begründen könnten, seien aber nicht angegeben worden.
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Sodann hat der Kläger einen weiteren Befundbericht von Dr. C. vom 03.07.2007 übersandt, dem zu entnehmen ist, dass der Kläger aufgrund der schweren Einstellbarkeit des Diabetes eine intensivierte Insulintherapie durchgeführt habe. Neben der diabetischen Neuropathie, einer diabetischen Retinopathie liege als Folgeerkrankung auch eine erektile Dysfunktion vor. Der Kläger müsse vier- bis sechsmal täglich Insulin spritzen und vier- bis sechsmal täglich Blutzuckerselbstkontrollen durchführen. Nach den Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft und auch nach den Anhaltspunkten sei ein GdB von 50 allein deshalb gerechtfertigt, da der Kläger mit einem schwer einstellbaren Diabetiker mit einem Diabetes mellitus Typ I vergleichbar sei (Bl. 45 Gerichtsakte).
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Die am 19.09.2007 durchgeführte mündliche Verhandlung ist vertagt worden, nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, wegen urologischer Beschwerden bei Dr. E. in Behandlung zu sein (Bl. 58 Gerichtsakte).
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Einem im Rahmen des Verhandlungstermins überreichten Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt, Urologie, vom 17.08.2007 ist zu entnehmen, dass der Kläger in der Zeit vom 16.08.2007 bis 18.08.2007 wegen einer stummen Niere links in stationärer Behandlung war und deshalb operiert wurde. Am Folgetag sei der Kläger beschwerdefrei gewesen (Bl. 59 Gerichtsakte).
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18
Einem Befundbericht vom Facharzt für Urologie E. vom 25.09.2007 ist zu entnehmen, dass sich der Kläger im Februar 2006 erstmalig bei ihm wegen einer erektilen Dysfunktion bei fehlendem Steifwerdens des Schwellkörpers vorgestellt habe. Ein Behandlungsversuch mit Viagra sei fehlgeschlagen. Wegen des Verdachts einer stummen Niere sei der Kläger an das Klinikum A-Stadt überwiesen worden (Bl. 66 f. Gerichtsakte). Dem Befundbericht war der bereits erwähnte Entlassungsbericht des Klinikums A-Stadt über die Behandlung wegen der Nierenerkrankung beigefügt.
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19
Einem Befundbericht des Klinikums A-Stadt, Urologie, vom 09.07.2007 ist zu entnehmen, dass der Kläger wegen der Nierenerkrankung bereits in der Zeit vom 03.07.2007 bis 09.07.2007 in stationärer Behandlung war (Bl. 70 Gerichtsakte).
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20
Der Beklagte hat die Befundberichte und Entlassungsberichte durch seinen zentralärztlichen Dienst auswerten lassen und hat am 15.11.2007 einen auf § 48 SGB X gestützten Bescheid erlassen, mit dem er einen GdB von 50 ab dem 01.06.2007 feststellte. Hierbei legte der Beklagte folgende Behinderungen zugrunde:
1. Diabetes mellitus
GdB 30
2. Stumme Niere links
GdB 25
3. erektile Dysfunktion
GdB 20
Randnummer
21
Der Stellungnahme von Medizinaldirektor M. vom 06.11.2007 ist die Auffassung zu entnehmen, dass eine schwere Einstellbarkeit des Diabetes mellitus nicht bewiesen sei. Die Verweise auf die Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf und auf die Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft seien nicht überzeugend, da diese in den Anhaltspunkten keinen Niederschlag gefunden hätten. Ein diabetisches Fußsyndrom mit einer exakten Befundbeschreibung und Beschreibung der Funktionsdefizite liege nicht vor. Gleiches gelte für die diabetische Retinopathie. Allerdings müssten die erektile Dysfunktion und die stummen Niere berücksichtigt werden, welche beide erst im Juni 2007 aktenkundig seien (Bl. 78 – 81 Gerichtsakte).
Randnummer
22
Auf den Hinweis der Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass die erektile Dysfunktion bereits im Februar 2006 aufgetreten sei, hat der Beklagte am 01.02.2008 einen weiteren Bescheid erlassen, mit dem er ab dem 12.09.2006 ein GdB von 40 und ab dem 01.06.2007 ein GdB von 50 festgestellt hat (Bl. 89 Gerichtsakte).
Randnummer
23
Der Kläger ist der Auffassung, dass ein GdB von 50 ab Antragstellung gerechtfertigt sei. Dies folge aus der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG), der zu entnehmen sei, dass bei der Bewertung des Diabetes mellitus nicht nur auf die erreichte Stoffwechsellage, sondern auch auf den erforderlichen Therapieaufwand abgestellt werden müsse. Der Stellungnahme von Dr. C. sei zu entnehmen, dass beim Kläger eine intensivere Insulintherapie durchgeführt worden sei. Der Kläger müsse vier- bis sechsmal täglich Insulin spritzen und mindestens vier- bis sechsmal täglich Blutzuckerselbstkontrollen durchführen. Bei diesem Therapieaufwand sei für den festgestellten Diabetes mellitus allein ein GdB von 50 gerechtfertigt, wobei die Folgeerkrankungen zusätzlich berücksichtigt werden müssten.
Randnummer
24
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 09.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2006 in Gestalt der Bescheide vom 15.11.2007 und vom 01.02.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von 50 ab dem 12.09.2006 festzustellen.
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25
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. | 0 |
VG Frankfurt 8. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 28.09.2004 | 0 | Randnummer
1
Der am 28.07.1938 geborene Kläger bezog seit 01.03.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, seit Vollendung des 65. Lebensjahres bezieht er Regelaltersrente. Ab 01.04.2002 betrug die Höhe der Rente 437,80 €. Der Kläger ist im Besitz eines Schwerbehindertenausweises (MED 80 %) mit dem Merkzeichen "G".
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2
Am 16.12.2002 beantragte er beim Sozialamt des Beklagten Leistungen gemäß §§ 2 ff. Grundsicherungsgesetz (GSiG).
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3
Er bewohnt eine 2-Zimmer-Wohnung in Königstein, für die er eine monatliche Miete von 562,32 € inklusive Nebenkosten mit Ausnahme der Heizkosten zu bezahlen hat.
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4
Mit Bescheid vom 19.05.2003 bewilligte das Sozialamt des Beklagten dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2003 als Grundsicherungsleistung einen monatlichen Betrag von € 136,34. Zugrundegelegt für die Berechnung wurde der Regelsatz für den Haushaltsvorstand von 294,00 € zzgl. 15 % ( = 44,10 €).
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5
Hinzu kam der Mehrbedarf wegen der Schwerbehinderung in Höhe von 58,80 €. Als angemessene Unterkunftskosten setzte das Sozialamt jedoch nur einen Betrag von 320,00 € (inkl. Nebenkosten) fest. Da in den Nebenkosten die Kosten für die Warmwasserversorgung, also ein Teil der Haushaltsenergie, enthalten ist, wurde der auf diese Position entfallende Betrag in Höhe von 10,14 € von den Heizkosten in Höhe von 56,34 €, die zusätzlich bewilligt wurden, in Abzug gebracht, so dass der Gesamtbetrag, der für Wohnung und Heizung bewilligt wurde, sich auf 366,20 € beläuft. Zur Begründung wurde auf die Richtlinien über die soziale Angemessenheit von Wohnraum, denen zufolge nur ein Mietzins von 320,00 € (warm) ohne Heizkosten für einen Ein-Personen-Haushalt in Königstein ab Wohnungsbaujahr 1991 anerkannt werde. Dem errechneten Gesamtbedarf wurde ein anrechenbares Einkommen des Klägers von 626,76 € gegenüber gestellt.
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Mit weiterem Bescheid vom 20.05.2003 bewilligte das Sozialamt dem Kläger über die Leistungen der Grundsicherung hinaus vom 01.06.2003 an bis auf weiteres Hilfe zum Lebensunterhalt (ergänzend) in Höhe von monatlich 193,58 € zzgl. eines besonderen Mietzuschusses nach §§ 31, 32 Wohngeldgesetz in Höhe von monatlich 171,00 €. Mit einem weiteren Bescheid vom 04.06. wurde die Bewilligung dahingehend modifiziert, dass dem Kläger vom 01.06.2003 bis auf weiteres nunmehr nur noch Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 171,00 € bewilligt wurde. Im übrigen wurde der Betrag in Höhe von 193,58 € ab Juni 2003 als Unterhaltsverpflichtung des Sohnes des Klägers, in Anrechnung gebracht.
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Mit Bescheid vom 10.06.2003 erging ein Einstellungsbescheid betreffend die mit Bewilligungsbescheid vom 19.05.2003 festgesetzten Leistungen nach dem GSiG. Zur Begründung wurde ausgeführt, wegen Unterhaltszahlungen des Sohnes bestünde kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem GSiG. Dieser Bescheid wurde mit einem weiteren Bescheid vom 17.06.2003 aufgehoben, da ein Unterhalt des Sohnes nicht mehr in Anrechnung gebracht wurde. Im Hinblick auf eine Rentenerhöhung ab dem 01.07.2003 wurde die Leistung nach dem GSiG ab diesem Termin auf monatlich 135,74 € festgesetzt. Mit Bescheid vom 25.06.2003 wurde die Höhe der Leistung ergänzender Sozialhilfe ab 01.07. auf 170,55 € festgesetzt.
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Gegen den Bescheid vom 19.05.2003 legte der Kläger am 18.06.2003 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Miete hätte in voller Höhe als Leistung nach dem GSiG Berücksichtigung finden müssen. Die Grundsicherung sei gegenüber Leistungen der Sozialhilfe vorrangig zu gewähren. Die Zugrundelegung regionaler Mietspiegel bei der Ermittlung des Unterkunftsbedarfs von Schwerbehinderten werde dem gesetzlichen Erfordernis, die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen auszugleichen, nicht gerecht. Gerade bei dieser Personengruppe sei eine konkrete Einzelfallentscheidung unerlässlich. Er persönlich sei aufgrund seiner Behinderungen dringend auf seine 58 qm große 2-Zimmer-Wohnung angewiesen, was auch aus den von ihm vorgelegten medizinischen Bescheinigungen hervorgehe. Das Sozialamt habe dies auch stets anerkannt. Die Mietkosten für seine Wohnung bewegten sich auch nicht im oberen Bereich vergleichbarer 2-Zimmer-Wohnungen in Königstein. Als Vergleichsmaßstab seien allenfalls die ortsüblichen Mieten für 2-Zimmer-Wohnungen heranzuziehen. Weiter erklärte der Kläger, ihm werde der 15 %ige Zuschlag auf den Regelsatz, was einen Betrag von 44,10 € ergebe, verwehrt.
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Im übrigen werde sein Sohn allein aufgrund der Tatsache, dass ergänzende Sozialhilfe gewährt werde, zu Unterhaltszahlungen herangezogen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2004, dem Kläger zugestellt am 06.04.2004, wies das Sozialamt des Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Angemessenheit von Unterkunftskosten bestimme sich auch nach dem GSiG nach den einschlägigen Mietobergrenzen, woraus sich für einen 1-Personen-Haushalt sowie nach Baujahr und Lage des Hauses für den Kläger ein Betrag von 320,00 € zzgl. Heizkosten ergebe. Über den angemessenen Mietanteil hinaus werde jedoch für die tatsächlich gezahlte Miete ergänzende Sozialhilfe gewährt, so dass dem Kläger kein Nachteil entstehe.
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Am 05.04.2004 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er sein Begehren, die volle Miete als Leistung nach dem GSiG bewilligt zu erhalten, weiter verfolgt. Er ist der Auffassung, der in seiner besonderen persönlichen Situation begründete Unterkunftsmehrbedarf sei im Wege einer beschränkt individuellen Bedarfsermittlung für die Grundsicherung zu berücksichtigen. Auf die ergänzende Sozialhilfe könne er wegen der damit verbundenen Inanspruchnahme seines Sohnes zur Unterhaltsleistung nicht verwiesen werden.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 insoweit, als dort nur Unterkunftskosten in Höhe von 320,00 € zugrundegelegt wurden, zu verpflichten, die Unterkunftskosten des Klägers in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte stellt schon das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage in Abrede, da der Kläger nicht beschwert sei. Er erhalte neben Leistungen der Grundsicherung ergänzend Sozialhilfeleistungen, welche seine tatsächlichen Unterkunftskosten deckten. Die seitens des Sozialamtes vorgenommene Bedarfstypisierung folge aus dem Gesetzeszweck der Verwaltungsvereinfachung und der Gesetzessystematik des GSiG, welche eine individuelle Sonderbedarfsdeckung nicht vorsehe. Als angemessene Kosten der Unterkunft seien im Einzelfall zwar auch die Kosten für Sonderbedürfnisse anzusehen, welche sich ihrerseits typisieren ließen.
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Vorliegend sei jedoch kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Asthmaleiden des Klägers, seiner Behinderung und der Notwendigkeit, eine 2-Zimmer-Wohnung zu bewohnen, erkennbar. Die Behinderung werde vielmehr im Wege der Gewährung des Mehrbedarfs nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GSiG berücksichtigt. Im übrigen verweist der Beklagte auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden.
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In weiteren Bescheiden, die in der Zwischenzeit ergangen sind, hat sich an der Zugrundelegung eines anzuerkennenden Unterkunftskostenbetrages von 320,00 € nichts geändert, lediglich sonstige Änderungen wurden berücksichtigt.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie den der beigezogenen Behördenvorgänge Bezug genommen.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend eine Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens, das gerichtskostenfrei ist, zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kostenschuld abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 3. Senat | Hamburg | 0 | 1 | 25.02.2014 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin, ein in Hamburg ansässiges Taxenunternehmen mit drei Taxen, begehrt die Verpflichtung der Beklagten, auf die den Flughafen Hamburg betreibende Beigeladene dahin einzuwirken, dass die Klägerin den Taxenstand (Abfahrtzone) und den sogenannten Taxenspeicher am Hamburg Airport anfahren bzw. benutzen darf, ohne das von der Beigeladenen dafür verlangte Entgelt entrichten zu müssen. Ansatz für diese Einwirkungsklage ist der Umstand, dass der Beklagten über eine Tochtergesellschaft 51 v. H. der GmbH-Anteile der Beigeladenen gehören und die Beigeladene daher nach Auffassung der Klägerin von der Beklagten beherrscht wird.
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1. Seit März 2006 dürfen Taxenunternehmen den Abfahrtbereich des Flughafens nur noch dann anfahren lassen, wenn sie mit der Beigeladenen eine schriftliche „Vereinbarung Taxenbereitstellung am Flughafen Hamburg“ schließen. Mit dem Abschluss dieses Vertrags erwirbt das Unternehmen („Nutzer“) das Recht, die Taxeninfrastruktureinrichtungen am Flughafen durch den jeweils beauftragten Fahrer zu nutzen. Diese Einrichtungen umfassen den sog. Taxenhauptspeicher neben der Kundenparkierungsanlage P1, den Nahbereichsspeicher vor dem Terminal 1 alt sowie die Taxeneinstiegszone vor den Terminals 1 und 2 auf der Vorfahrt Ankunft (§ 1 der Vereinbarung). Die unmittelbar vor dem Ankunftsbereich der Terminals 1 und 2 gelegene Fahrspur, auf welcher sich der behördlich zugelassene Taxenstand befindet, ist nur über die Zuwegung aus dem Taxenhauptspeicher und dem Nahbereichsspeicher zu erreichen. Der Taxenspeicher enthält Toiletten für die Taxenfahrer sowie Bildschirme, auf denen die Ankunftszeiten der Flüge zu sehen sind. Für die Zufahrt zur Taxeninfrastruktur gibt die Beigeladene dem Nutzer eine fahrzeuggebundene codierte Zufahrtskarte namens „Zufahrtsberechtigungen Taxi“. Für jede Einfahrt zum Taxenspeicher ist vom Nutzer ein Entgelt in Höhe von 0,50 Euro zu leisten, wobei allerdings seit dem 1. Januar 2007 der monatliche Maximalbetrag pro Karte und Fahrzeug (nach zuvor 20,- Euro) auf 28,00 Euro netto gedeckelt ist. Der Vertrag enthält zudem eine „Anlage 1“, in der „Qualitätsanforderungen“ und ein „Maßnahmenkatalog“ aufgeführt sind. Die Qualitätsanforderungen gliedern sich auf in ein „1. Erscheinungsbild und Ausstattung der Fahrzeuge“ sowie in Vorgaben zu „2. Personal/Fahrer – fachliche Eignung und Verhalten“. Unter „1.d.“ heißt es: „Eine bargeldlose Zahlung des Fahrpreises durch EC- und Kreditkarten ist möglich.“ Die auf die Fahrer bezogenen insgesamt 16 Qualitätsanforderungen sind im Wesentlichen auf ein gewissenhaftes, verantwortungs- und rücksichtsvolles Verhalten gegenüber den Fahrgästen gerichtet. Darunter befindet sich die Vorgabe Nr. 2 d., welche lautet: „Der Fahrer verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen, sowie über Grundkenntnisse der englischen Sprache, insbesondere über flughafenspezifische Anlagen, Straßen, Sehenswürdigkeiten, Hotels, etc.“ In Nr. 2. l. heißt es: “Der Fahrer wird den Fahrgästen die erforderliche Hilfe beim Ein- und Aussteigen sowie beim Ein- und Ausladen des Gepäcks leisten.“ Ursprünglich ging diese Vorgabe weiter, indem sie noch einen weiteren Satz enthielt: „Auf Wunsch der Fahrgäste wird der Fahrer auch beim Tragen der Gepäckstücke von der / bis an die Haustür behilflich sein.“ Diese Vorgabe wird von der Beigeladenen mittlerweile nach einer in einem Eilverfahren erfolgten Entscheidung des Berufungsgerichts (OVG Hamburg, Beschl. v. 5.7.2007, NJW 2007, 3367) nicht mehr gemacht.
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2. Die Beigeladene wird gesellschaftsrechtlich beherrscht von der xxx GmbH & Co. oHG (im Folgenden: xxx). Deren persönlich haftende Gesellschafter sind mit 51 v. H. der Anteile die xxx mbH (im Folgenden: xxx), vertreten durch die Finanzbehörde der Beklagten, und mit 49 v. H. der Anteile die xxx GmbH & Co. KG (im Folgenden: xxx). Gesellschafter der xxx waren bis etwa Mitte 2013 der Konzern xxx, dem 34,8 v. H. der 49 v. H. gehörten, und drei weitere Investoren, die sich die übrigen 14,2 v. H. teilen. Mittlerweile hat xxx seine Anteile an einen kanadischen Pensionsfond veräußert. Die Beklagte hat dazu mitgeteilt, diese Veränderungen innerhalb der xxx hätten keine Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der beiden xxx-Gesellschafter (xxx und xxx) untereinander; es gebe auch keine Pläne, diese Rechtsbeziehungen zu ändern.
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Die Beherrschung der Beigeladenen durch die xxx ergibt sich aus dem zwischen beiden Gesellschaften geschlossenen, zum 1. Juli 2003 wirksam gewordenen Beherrschungsvertrag vom 16. Juni 2003. Laut Abschnitt I.1. dieses Vertrags sind mit Wirkung zum 30. Juni 2003 insgesamt 94,9 v. H. der Geschäftsanteile an der Beigeladenen an die xxx veräußert worden. Nach § 1 des Beherrschungsvertrags unterstellt sich die Beigeladene der Leitung der xxx, die berechtigt ist, der Geschäftsführung der Beigeladenen hinsichtlich der Leitung der beigeladenen Weisungen zu erteilen, die wiederum von der Geschäftsführung der Beigeladenen zu befolgen sind.
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Die Verhältnisse innerhalb der xxx regeln deren Gesellschaftsvertrag vom 11. Juni 2003 und ein dort verschiedentlich in Bezug genommener „Konsortialvertrag“ vom 20. Juli 2000, der einen Konsortialausschuss vorsieht. Gesellschaftszweck ist gemäß § 2 des Gesellschaftsvertrags das Halten und Verwalten von Beteiligungen an der Beigeladenen sowie die Koordinierung der Meinungsbildung der Gesellschafter in Bezug auf die Beigeladene. Aus § 5 Abs. 5.1 ergeben sich die o. g. Beteiligungsverhältnisse zwischen xxx und xxx von 51 v. H. zu 49 v. H.. Nach § 10 Abs. 10.1 steht die Geschäftsführung und Vertretung der xxx den Gesellschaftern nur gemeinschaftlich zu; nach § 10 Abs. 10.2 Satz 4 sind die Geschäftsführer nur gesamtvertretungsberechtigt. Die Geschäftsführung besteht aus zwei Geschäftsführern, von denen beide Gesellschafter jeweils einen benennen (§ 10 Abs. 10.2 Satz 1). Nach § 10 Abs. 10.3 übt die Geschäftsführung der xxx die Stimmrechte aus den Anteilen an der Beigeladenen sowie die den Gesellschaftern in der Gesellschafterversammlung und im Konsortialausschuss zustehenden Stimmrechte stets einheitlich aus.
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Gemäß dem Konsortialvertrag sind „Konsorten“ die xxx und (als „Investor“) die xxx. Nach § 13 Abs. 13.1 des Vertrags bilden die Konsorten den Konsortialausschuss, wobei die xxx drei Mitglieder und die xxx zwei Mitglieder entsenden. Nach Abs. 13.2 dient der Konsortialausschuss der Zusammenarbeit der Vertragsparteien bei der Ausübung der ihnen als Gesellschafter der Beigeladenen zustehenden Rechte. In Abs. 13.3 werden die Zuständigkeiten des Konsortialausschusses geregelt, zu denen neben verschiedenen grundlegenden Bereichen unter „f)“ auch „alle sonstigen Sachfragen im Zusammenhang mit der Gesellschaft und ihrer Tochter- und Beteiligungsgesellschaften“ gehört, „soweit ein Konsorte deren Erörterung im Konsortialausschuss wünscht“. In Abs. 13.5 Satz 2 – 4 heißt es: „Beschlüsse des Konsortialausschusses bedürfen der Einstimmigkeit. Jeder Konsorte hat eine (1) Stimme. Lässt sich Einstimmigkeit nicht feststellen, so ist jeder Konsorte hinsichtlich der Ausübung der ihm aufgrund seiner Gesellschafterstellung zustehenden Rechte, insbesondere bei der Ausübung von Stimmrechten, frei, soweit nicht ausdrücklich anders geregelt in diesem Konsortialvertrag.“.
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3. Die Klägerin wandte sich wegen der o. g. neuen Zufahrts- und Benutzungsregelungen mit Schreiben vom 17. Februar 2006 an die Beigeladene und trug vor, ihres Erachtens folge aus dem Zusammenspiel der Beförderungspflicht der Fluggesellschaften, der Betriebspflicht des Flughafenbetreibers sowie aus der Betriebs- und Beförderungspflicht der Taxenunternehmer, dass die Taxenstände am Flughafen unentgeltlich nutzbar sein müssten. Aus der Bindung der Beigeladenen an das öffentliche Recht folge außerdem, dass diese gegenüber den Taxenunternehmen keine Vorgaben machen dürfe, die über die im öffentlichen Recht (PBefG, BOKraft und Taxenordnung) normierten Pflichten hinausgingen. Solche „Qualitätsanforderungen“ seien mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar; an dieses Grundrecht sei auch die von der Freien und Hansestadt Hamburg beherrschte Beigeladene gebunden. Das Schreiben endete mit dem Vorschlag, zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung einen kurzfristigen Besprechungstermin zu verabreden, an dem möglichst auch ein Vertreter der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt teilnehmen solle.
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Mit Schreiben vom 20. Februar 2006 wandte sich die Klägerin an die Beklagte (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt), dem sie das o. g. Schreiben an die Beigeladene beifügte. Sie bat die Beklagte in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde, „alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um den von uns herausgearbeiteten Bindungen der FHG an das öffentliche Recht zur Durchsetzung zu verhelfen“.
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Die Beigeladene antwortete der Klägerin mit Schreiben vom 2. März 2006. Die vorgesehenen Maßnahmen beruhten auf wiederholt festgestelltem Verbesserungsbedarf. Sie seien auch mit den Interessensvertretern des Hamburger Taxengewerbes abgestimmt und stießen dort ganz überwiegend auf Zustimmung. Im Rahmen der im Beirat turnusmäßig stattfindenden Gespräche sei die Beigeladene gern bereit, alle sachlichen Anregungen zur Qualitätsverbesserung aufzugreifen.
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Die Beklagte reagierte mit einem Schreiben an die Klägerin vom 15. März 2006. Nach eingehender Prüfung sehe sie keine Anhaltspunkte dafür, Einwände gegen das Konzept der Beigeladenen erheben zu müssen. Dieses Konzept beeinträchtige nicht die Interessen der Flugpassagiere bei der Inanspruchnahme von Taxen. Ein Anspruch der Taxenunternehmer auf unentgeltliche Nutzung des Taxenstands am Flughafen bestehe nicht. Die den Unternehmen durch die Nutzung des Taxenstands am Flughafen entstehenden durchschnittlichen Kosten würden bei der Bemessung der Tarife ebenso wie andere Kostenfaktoren für das Taxengewerbe zu berücksichtigen sein. Die Beklagte bedaure, dass sie das Anliegen der Klägerin gegenüber der Beigeladenen nicht unterstützen könne.
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4. Die Klägerin hat daraufhin am 17. März 2006 beim Verwaltungsgericht Hamburg beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, auf die Beigeladene dahin einzuwirken, dass die Klägerin vorläufig den Taxenstand am Flughafen Hamburg unentgeltlich anfahren dürfe. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 31. Mai 2006 abgelehnt. Die Klägerin hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Daraufhin hat das Berufungsgericht mit dem bereits erwähnten Beschluss (OVG Hamburg, Beschl. v. 5.7.2007, NJW 2007, 423) die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, auf die Beigeladene dahingehend einzuwirken, dass die Klägerin im Falle des Abschlusses eines Nutzungsvertrags mit der Beigeladenen vorläufig den Flughafen Hamburg anfahren dürfe, ohne der Verpflichtung der Taxenfahrer zum Koffertragen von und bis zur Haustür (Nummer 2 Buchstabe l der Anlage 1 zur „Vereinbarung Taxenbeteiligung am Flughafen Hamburg“ in der seinerzeit üblichen Fassung) nachkommen zu müssen; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der dortigen Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.
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5. Am 17. August 2006 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben mit dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten, auf die Beigeladene dahingehend einzuwirken, dass die Klägerin den Taxenstand am Flughafen weiterhin kostenfrei und ohne Einhaltung zusätzlicher Qualitätsanforderungen anfahren dürfe. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
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In der Vergangenheit habe sie etwa 20 v. H. ihres Umsatzes durch solche Fahrten erlöst, die ihren Anfang am Flughafen Hamburg genommen hätten. Seit Einführung der angegriffenen Entgeltregelung ab dem 15. März 2006 habe sie bis zum 31. Dezember 2006 einen Umsatzrückgang von 14 v. H. zu verzeichnen gehabt. Sie habe Anspruch darauf, den Taxenstand am Flughafen wie früher kostenlos und unbeschränkt anfahren zu können. Dieser Anspruch ergebe sich aus ihrer eigenen Betriebs- und Beförderungspflicht und aus der Betriebspflicht der Beigeladenen. Die Beklagte selbst sei daran gehindert, für die Benutzung von Taxenständen eine Gebühr zu verlangen. Sie dürfe nicht über den Umweg der Privatisierung eines Betriebs weiter gehendere Handlungsmöglichkeiten erlangen, als ihr nach öffentlichem Recht zustünden. Auch die Beigeladene sei aufgrund der beherrschenden Stellung der Beklagten an das öffentliche Recht gebunden. Die für die Bereitstellung von Taxen an Bahnhöfen geltenden Regelungen, die keine Entgeltpflicht vorsähen, müssten auch für die Bereitstellung von Taxen an Flughäfen gelten. Das Bereitstellen von Taxen diene unmittelbar der Beförderungspflicht der Linienfluggesellschaften und der Betriebspflicht des Flughafens zum ungehinderten Zu- und Abgang der Fluggäste. Durch die hier streitgegenständliche Vereinbarung, deren Abschluss die Beigeladene von den Taxenunternehmern verlange, werde der Abgang der Fluggäste am Flughafen Hamburg nicht ungehindert gewährleistet. Dieser Abgang sei aber zumindest abstrakt nicht mehr ungehindert, wenn zusätzliche Bedingungen für einen Teil des Abgangsverkehrs, nämlich der Taxen, gestellt würden. Somit ergebe sich der Anspruch der Klägerin schon aus der Betriebspflicht der Beigeladenen.
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Dieser Anspruch ergebe sich außerdem aus ihrer eigenen Betriebs- und Beförderungspflicht, zu der es auch gehöre, vom Taxenstand am Flughafen aus Beförderungsaufträge zu den in der Taxenordnung festgelegten Bedingungen zu übernehmen. Sie unterliege auch am Flughafen der Betriebspflicht. Würde auch für die Nutzung aller anderen größeren Taxenstände des Pflichtfahrbereichs eine Vereinbarung nebst Kostenpflicht wie für den Taxenbereich des Flughafens eingeführt, so würde das fein austarierte Gefüge zwischen der Beförderungspflicht und der Tarifbindung ausgehebelt. Den Eingriffen in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1GG durch das Personenbeförderungsgesetz, die BOKraft und die Taxenordnung sowie den ihm auferlegten Kosten korrespondierten angemessene Taxentarife. Angesichts dessen sei es rechtswidrig, dem Taxenunternehmer Sonderkosten durch privatrechtliche Entgelte aufzuerlegen, wenn er diese nicht, wie dies bei Benutzungsgebühr für den alten Elbtunnel der Fall sei, gesondert an den Fahrgast weiter reichen dürfe. Damit werde die Grenze einer verhältnismäßigen Regelung der Berufsausübungsfreiheit überschritten.
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Die Beigeladene dürfe aufgrund ihrer Beherrschung durch die Beklagte und der daraus folgenden Grundrechtsbindung keine weitergehenden Anforderungen stellen, als die Bestimmungen des öffentlichen Personenbeförderungsrechts dies erlaubten, und die Beklagte müsse entsprechend auf die Beigeladene einwirken. Andernfalls ergebe sich eine unzulässige Flucht ins Privatrecht. Demzufolge dürfe von den Taxenunternehmern nicht verlangt werden, bargeldlose Zahlungssysteme in den Fahrzeugen vorzuhalten;
§ 4 der Taxenordnung
sehe keine solche Verpflichtung vor. Auch für die bei den Taxenfahrern geforderten Englischkenntnisse und für eine Pflicht, Gepäck zur Haustür des Fahrgastes zu tragen, gebe es keine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage. Letztlich laufe die streitgegenständliche Vereinbarung neben dem behördlichen Konzessionsverfahren auf ein weiteres Zulassungsverfahren für diejenigen Taxenunternehmer hinaus, die auch am Flughafen tätig sein wollten. Ein weiteres Zulassungsverfahren durch eine von der Beklagten beherrschte GmbH sei aber nicht zulässig.
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Das Entgelt von 0,50 Euro pro Fahrt führe auch der Höhe nach zu unverhältnismäßigen Belastungen. Diese Belastungen seien umso weniger tragbar, als die Beklagte andererseits von den Taxenunternehmern den Nachweis bestimmter Mindestumsätze verlange, um nicht zu unterstellen, der Unternehmer betreibe Abgabenhinterziehung. Schließlich sei das Vorgehen der Beklagten auch insofern grundrechtswidrig, als speziell den Taxiunternehmern Gebühren aufgebürdet würden, denen sich andere Verkehrsträger des öffentlichen Nahverkehrs nicht ausgesetzt sähen. Die Busse der xxx AG und andere Träger des öffentlichen Personennahverkehrs, die ohnehin schon hoch subventioniert würden, müssten für die Möglichkeit der Bereitstellung am Flughafen keine Kosten entrichten. Es sei in erheblichem Maße bedenklich, nur einem Teil des öffentlichen Nahverkehrs Gebühren aufzubürden, anderen (auch noch hoch subventionierten) Teilen dagegen nicht.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, auf die Beigeladene dahingehend einzuwirken, dass sie – die Klägerin – den Taxenstand und Taxenspeicher am Flughafen Hamburg weiterhin kostenfrei und ohne Einhaltung zusätzlicher „Qualitätsanforderungen“, die über die in den Gesetzen genannten hinausgehen, anfahren darf.
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Die Beklagte und die Beigeladene haben jeweils beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat im Wesentlichen Bezug genommen auf ihre Ausführungen im o. g. Eilverfahren sowie auf die Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts in dessen o. g. Beschluss vom 5. Juli 2007 und ergänzend dazu mitgeteilt, die Beigeladene verwende die Bestimmung in der Vereinbarung über das Tragen von Gepäck zwischen Haustür und Taxenfahrzeug inzwischen nicht mehr. Weiter hat sie ausgeführt, die Rüge der Klägerin, der Taxenverkehr werde gegenüber dem öffentlichen Personennahverkehr der Linienbusse und S-Bahnen benachteiligt, liege schon deshalb neben der Sache, weil der herkömmliche Taxenverkehr kein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs sei. Taxenverkehr gehöre nämlich gemäß § 8 Abs. 2 PBefG nur dann zum öffentlichen Personennahverkehr, wenn er den Straßenbahn-, Obus- oder Kfz-Linienverkehr ersetze, ergänze oder verdichte.
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Die Beigeladene hat auf ihr Vorbringen im o. g. Eilverfahren Bezug genommen und bestätigt, dass die vom Oberverwaltungsgericht beanstandete Bestimmung über das Tragen von Gepäck von und zur Haustür für Neuverträge nicht mehr bestehe (Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 8.4.2008).
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Das Verwaltungsgericht hat auf seine mündliche Verhandlung vom 21. August 2009 die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen die Argumente des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtsgerichts in dem o. g. Beschluss vom 5. Juli 2007 herangezogen. Die früher vertraglich vorgesehene Verpflichtung der Taxenfahrer, auf Wunsch der Fahrgäste deren Gepäck von der bzw. bis zur Haustür zu tragen, sei inzwischen hinfällig, so dass die Klägerin nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung insoweit keinen Anspruch mehr gegen die Beklagte haben könne. Ergänzend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Umstand, dass die von der Beigeladenen verwendete Vereinbarung nur für Taxen und nicht auch für Busse und Bahnen gelte, verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG. Zwischen dem Taxenverkehr und den Linienverkehrsträgern bestünden gewichtige Unterschiede. Die hier maßgeblichen getätigten Investitionen beim Taxenspeicher kämen unmittelbar dem Taxenverkehr zugute, so dass kein Grund ersichtlich sei, diese Investitionen über das Nutzungsentgelt nicht auf die Nutznießer umzulegen. Auch in Bezug auf die zu erbringenden Dienstleistungen und die Kundenkreise seien Linienverkehrsträger und Taxenverkehr nicht vergleichbar. Die Fahrgäste im Taxenverkehr zahlten einen höheren Fahrpreis und erwarteten daher zu Recht eine höherwertige Leistung im Vergleich zum Linienverkehrsträger. Dies gelte zum einen für die individuelle Beförderung zum Ziel der Wahl, zum anderen mitunter aber auch im Hinblick auf eine echte Serviceleistung, die über die reine Beförderung hinausgehe.
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Nach Zustellung des Urteils am 8. September 2009 hat die Klägerin am 5. Oktober 2009 die Zulassung der Berufung beantragt und diesen Antrag am 6. November 2009 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 5. August 2010 die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
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Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 13. August 2010 hat die Klägerin die Berufung mit Schriftsatz vom 8. September 2010 (Eingang am selben Tag) begründet. Sie wiederholt ihre bereits in erster Instanz vorgetragenen Argumente und betont, der Umstand, dass die Beklagte eine an sich ihr selbst obliegende Pflicht auf die Beigeladene übertragen und den für die Anbindung eines Flughafens zwingend erforderlichen Taxenhalteplatz nicht auf öffentlichem, sondern auf privatem Grund installiert habe, könne nicht dazu führen, dass die dabei anfallenden Kosten von den Taxenunternehmern anstatt von der Beklagten zu tragen seien. Mache dieses Beispiel Schule, so würde dies darauf hinauslaufen, dass weitere Taxenstände nur gegen zusätzliches, von den Taxenunternehmern zu leistendes Entgelt angefahren werden könnten, wobei die Taxenunternehmer wegen ihrer Betriebspflicht genau dazu verpflichtet wären. An diesem Befund ändere auch die Begrenzung des Entgelts auf 28,- Euro pro Taxe und Monat nichts, zumal auch dieser sich jährlich auf 336,- Euro belaufende Betrag für die Unternehmer ins Gewicht falle. Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Erfordernis englischer Sprachkenntnisse bei den Taxenfahrern seien nicht überzeugend. Es sei nicht vorstellbar, dass in anderen Ländern der Europäischen Union sämtliche an Flughäfen tätigen Taxenfahrer der englischen Sprache mächtig seien; dementsprechend könnten auch nicht die deutschen Sprache nicht kundigen ausländischen Fluggäste ohne weiteres davon ausgehen, sich mit den am Flughafen Hamburg tätigen Taxenfahrern auf Englisch verständigen zu können. Entsprechendes gelte für die Erwartung, in der Taxe den Fahrpreis bargeldlos zahlen zu können. Dies sei in anderen EU-Ländern keineswegs an jedem Flughafen zwanglos möglich. Außerdem sei es im Hamburger Flughafen ohne weiteres möglich, andere Währungen in Euro-Bargeld umzutauschen. Ebenfalls verfehlt sei die Betrachtung des Verwaltungsgerichts zur Frage der Ungleichbehandlung zwischen Linienverkehr und Taxenverkehr. Die Investitionen am Flughafen kämen nicht nur dem Taxenverkehr zugute, denn die Beigeladene und mittelbar auch die Beklagte hätten selbst ein elementares Interesse an einem funktionsfähigen Taxenverkehr am Flughafen. Auf die unterschiedlichen Kundenkreise der Verkehrsträger komme es für die Rechtmäßigkeit des hier erhobenen Entgelts nicht an. Der Beklagten sei entgegen zu halten, dass der Taxenverkehr nach richtigem Verständnis sehr wohl zum öffentlichen Personennahverkehr gehöre; die Regelung in § 8 Abs. 2 PBefG sei diskriminierend. Vor allem auch außerhalb der Ballungsräume sei das Taxengewerbe das einzige nicht subventionierte Gewerbe, das praktisch rund um die Uhr für die Beförderung von Fahrgästen zur Verfügung stehe.
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Die Klägerin hat mit der Berufungsbegründung einen Berufungsantrag angekündigt, der dem Klagantrag in erster Instanz entsprochen hat. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass dieser Antrag im Hinblick auf die dort genannte „Einhaltung bestimmter zusätzlicher Qualitätsanforderungen, die über den in den Gesetzen genannten hinausgehen“, zu unbestimmt sei, da ein entsprechender Urteilstenor nicht vollstreckbar wäre, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. März 2013 den folgenden Antrag angekündigt:
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Die Beklagte wird unter Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg zur Geschäftsnummer 5 K 2711/06 verpflichtet, auf die Beigeladene dahingehend einzuwirken, dass sie – die Klägerin – den Taxenstand und Taxenspeicher am Flughafen Hamburg weiterhin kostenfrei und ohne Einhaltung folgender von der
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Beigeladenen geforderter Kriterien anfahren darf:
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- Vorhalten mechanischer oder elektronischer Cash-Systeme für EC- und Kreditkarten;
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30
- Vorhandensein ausreichender Kenntnisse der englischen Sprache;
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31
- Verpflichtung, auf Wunsch der Fahrgäste auch beim Tragen der Gepäckstücke von der/bis an die Haustür behilflich zu sein.
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Auf Nachfrage des Berufungsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. Januar 2014 mitgeteilt, dass alle ihre drei Taxenfahrzeuge mit Lesegeräten für die Zahlung mit EC- und Kreditkarten ausgestattet seien. In der Berufungsverhandlung hat der Geschäftsführer der Klägerin diese Mitteilung dahin ergänzt, dass seine Taxenfahrzeuge bereits in den Neunzigerjahren mit solchen Kartenlesegeräten ausgestattet worden seien. Er habe dies als eines der ersten Taxenunternehmen in Hamburg veranlasst.
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In der Berufungsverhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend das Berufungsverfahren in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt, als dass von der Beigeladenen ursprünglich von den Taxifahrern das Tragen von Koffern zur Haustür verlangt worden war. Außerdem haben sie das Berufungsverfahren insoweit für erledigt erklärt, als dass sich in dem Vertrag mit der Beigeladenen die Verpflichtung befindet, dass Taxen mit elektronischem Bezahlsystemen ausgerüstet sein müssen (Nr. 1 und Nr. 3 des im Schriftsatz vom 17.3.2013 angekündigten Berufungsantrages). Des Weiteren hat die Beigeladene in der Berufungsverhandlung verbindlich für die Zukunft erklärt, dass sie in dem Vertrag, den sie mit dem Taxenunternehmen für den Zugang zum Taxenspeicher schließt, zukünftig die Klausel „Zum Vorhandensein ausreichender Kenntnis der englischen Sprache“ nicht mehr als verpflichtend formulieren, sondern in den Vertrag lediglich einen entsprechenden Appell an die Taxenunternehmen aufnehmen werde. Daraufhin haben die Beteiligten das Berufungsverfahren auch insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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die Beklagte unter Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg zu verpflichten, auf die Beigeladene dahingehend einzuwirken, dass sie, die Klägerin, den Taxenstand und Taxenspeicher am Flughafen Hamburg weiterhin kostenfrei anfahren darf.
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Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, es sei zunächst nicht verständlich, weshalb die Klägerin ihr Ziel gerade und allein mit der vorliegenden, gegen die Beklagte gerichteten Klage zu erreichen versuche, anstatt unmittelbar gegen die Beigeladene bzw. gegen die beherrschende xxx bzw. gegen deren Gesellschafter vorzugehen. Sie, die Beklagte, habe aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse gar nicht die Möglichkeit, die von der Klägerin angestrebten Änderungen im Wege der Einwirkung auf die Beigeladene zu erzwingen; dem stehe das Einstimmigkeitsgebot in der Gesellschafterversammlung der xxx und im Konsortialausschuss entgegen. Die hier streitgegenständliche Frage, ob den Taxenfahrzeugen voraussetzungslos und unentgeltlich Zufahrt zum Taxenposten Flughafen bzw. zum Taxenspeicher gewährt werden solle, sei einer Beschlussfassung im Konsortialausschuss zwar durchaus zugänglich, zumindest nach § 13 Abs. 13.3 Bst. f des Konsortialvertrags (betr. „sonstige Angelegenheiten“). Beschlüsse im Konsortialausschuss könnten jedoch nur einstimmig gefasst werden (vgl. § 13 Abs. 13.5 Satz 2, s. o.). In einem Verfahren der hier vorliegenden Art, in dem es um die Einflussnahme der xxx auf Organe der Beigeladenen gehe (Anweisung an die Geschäftsführer der Beigeladenen, die Klägerin in einer bestimmten Weise zu behandeln), könne dies nicht gemäß § 11 Abs. 11.5 Satz 1 des xxx-Gesellschaftsvertrags in der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Vielmehr sei hier § 11 Abs. 11.6 des Gesellschaftsvertrags anzuwenden, dessen Regelung in Bst. d) wiederum für Abstimmungen dieselben Mehrheitserfordernisse wie im Konsortialausschuss festlege. Auch an dieser Stelle bedürfe es also der Einstimmigkeit; fehle es daran, so komme der Gesellschafterbeschluss schlicht nicht zustande.
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Auch in der Sache sei die Klage nicht begründet. Zunächst nehme die Beklagte insoweit Bezug auf ihre Ausführungen im Eilverfahren und im erstinstanzlichen Klagverfahren sowie auf die Ausführungen des Berufungsgerichts in dem Beschluss vom 5. Juli 2007 und die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil. Ergänzend sei auf den Vortrag der Klägerin Folgendes zu entgegnen:
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Die seitens der Klägerin gerügte Flucht ins Privatrecht finde nicht statt. Die von der Klägerin beanstandeten Regelungen könnten genauso getroffen werden, wenn nicht die Beigeladene, sondern die Beklagte selbst die Taxenzone und den Taxenspeicher am Flughafen verwalten würde. Da das betreffende Gelände nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sei, stelle seine Nutzung keinen Gemeingebrauch dar; daher gebe es auch keine Ansprüche, das Gelände kostenfrei zu nutzen. Vielmehr könne der Zugang von bestimmten Anforderungen abhängig gemacht werden, solange diese Anforderungen auf sachgerechten Erwägungen beruhten und nicht diskriminierend oder willkürlich seien. Da die von der Beigeladenen aufgestellten Zugangskriterien für den Taxenspeicher diesen Anforderungen genügten, tue die Beigeladene nichts, was die Beklagte nicht auch selbst tun dürfte.
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Die von der Klägerin geltend gemachte Befürchtung, dass zukünftig nach dem „Vorbild“ des Taxenspeichers am Flughafen weitere entgeltpflichtige Taxenstände außerhalb der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Flächen errichtet werden könnten, sei unbegründet. Es gebe keine derartigen Planungen bei der Beklagten. Außer dem Taxenstand am Flughafen, der sich seit jeher außerhalb der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wege befunden habe, gebe es in Hamburg nur ganz wenige weitere Taxenposten auf lediglich tatsächlich-öffentlichen Verkehrsflächen. Zur Anlage eines solchen Postens komme es, wenn entweder auf den gewidmeten Wegen nicht genügend Platz vorhanden sei oder die Taxen besonders nahe bei dem Punkt stehen sollten, an dem sie gebraucht würden. So existiere ein Posten in der Auffahrt eines Hotels am G.-Weg in Hohenfelde, einige bei Krankenhäusern verschiedener Träger (Universitätsklinikum Eppendorf vor dem neuen Hauptgebäude, Asklepios-Klinik Barmbek vor dem Eingang, Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Boberg auf dem Parkplatz), und der zuvor am Straßenrand befindliche Taxenstand des Bahnhofs Bergedorf sei wegen umfangreicher Bauarbeiten am Bahnhofsgebäude bis auf weiteres auf eine xxx mbH (ein Tochterunternehmen der xxx) verlagert worden. Bei keinem dieser Taxenposten werde der Zugang von einer Entgeltzahlung oder einer sonstigen besonderen Voraussetzung abhängig gemacht. Die übrigen weit über 150 Taxenposten in Hamburg (u. a. am Hauptbahnhof, den Bahnhöfen Dammtor und Altona, beim Messegelände) befänden sich auf gewidmeten Wegen und dürften somit unentgeltlich zur Bereithaltung genutzt werden. Daran werde sich auf absehbare Zeit nichts ändern, denn es wäre schwerlich zu begründen, dass die Voraussetzungen für eine Entwidmung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG (Entbehrlichkeit für den öffentlichen Verkehr oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls) gerade bei stark frequentierten Taxenständen vorlägen.
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Die von der Klägerin gezogenen Vergleiche des Taxengewerbes mit dem öffentlichen Linienverkehr von Bussen und Bahnen seien nicht tragfähig bzw. die von ihr gerügten Ungleichbehandlungen fänden nicht statt. So müsse etwa die xxx GmbH für die Nutzung der Infrastruktur, die sie am Flughafen zur Verfügung gestellt bekomme, und für die Nutzung des Schienenwegs von Ohlsdorf zum Flughafen und die Bedienung des S-Bahnhofs Flughafen Trassen- und Stationsentgelte von jährlich weit über … Euro (täglich ca. … Euro) zahlen. Die Fläche des Überliegeplatzes, auf dem die Busse der xxx AG zwischen Ankunft und nächster Abfahrt pausierten, seien Teil des dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegs und daher nicht mit der Fläche des Taxenspeichers vergleichbar. Außerdem stelle die Beigeladene für die Busfahrer, anders als für die Taxenfahrer im Taxenspeicher, keine Infrastruktureinrichtungen (Toiletten, Monitore mit den Landungszeiten) zur Verfügung und führe sie im Linienbusverkehr keine Qualitätskontrollen durch.
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Die Beigeladene trägt u. a. vor, sie sei nur bei wesentlichen Veränderungen der Rahmenbedingungen dazu berechtigt, das in der Vereinbarung festgelegte Nutzungsentgelt in Höhe von 0,50 Euro pro Anfahrt bzw. von maximal 28,- Euro pro Monat im Rahmen der Billigkeit anzupassen. Sie habe in den Jahren 2012 und 2013 aus den Entgeltvereinbarungen zum Taxenspeicher mit den ca. 1.500 beteiligten Taxenunternehmen Einnahmen in Höhe von … Euro bzw. von … Euro erzielt. Hinzu komme für beide Jahre eine Mieteinnahme in Höhe von je … Euro, die ein im Taxenspeicher tätiger Imbissbetreiber bezahle. Dem stünden jedoch deutlich höhere Kosten durch den Betrieb des Taxenspeichers gegenüber. Diese Kosten hätten sich im Jahr 2012 auf … Euro und im Jahr 2013 auf … Euro belaufen, woraus sich Unterdeckungen in Höhe von … Euro bzw. … Euro ergäben. Die Beigeladene nimmt insoweit Bezug auf Kostenaufstellungen, die sich aufgliedern in Kapiteldienst für Investitionen, Betriebskosten, Verwaltungsgemeinkosten und Mietkosten für die von der Beklagten bereitgestellten Flächen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den sonstigen schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten und auf das Protokoll der Berufungsverhandlung Bezug genommen. | Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit es übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt: Die Klägerin trägt jeweils 3/4 der Gerichtskosten, ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, der außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Beklagte trägt 1/4 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie jeweils 1/8 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Beigeladene trägt 1/4 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie jeweils 1/8 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens für alle Beteiligten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten können die gegen sie gerichtete Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
LG Itzehoe 6. Zivilkammer | Schleswig-Holstein | 0 | 1 | 16.12.2021 | 1 | Randnummer
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Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs eines Pkw.
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Der Kläger kaufte am 01.09.2016 bei der E GmbH in R... einen gebrauchten Audi A 5, 3.0 TDI, Erstzulassung August 2013, zum Preis von 27.100 € brutto (Rechnung eingereicht als Anlage K 1, alle Anlagen: Anlagenband). Die Fahrzeug-Identifizierungsnummer lautet WAUZZZ... . Das Fahrzeug ist nach der Euro-5-Abgasnorm zugelassen.
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Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hatte das Kraftfahrtbundesamt (nachfolgend: KBA) für das streitgegenständliche Fahrzeug keinen Rückruf angeordnet. Die Beklagte bietet für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp ein freiwilliges Software-Update an.
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Mit Schreiben vom 05.02.2021 forderte die Klägerseite die Beklagte zum Schadenersatz auf (Anlage K 24). Mit Schreiben vom 06.02.2021 lehnte die Beklagte etwaige Ansprüche ab.
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Die Klägerseite hat vorgetragen, der Motor trage die interne Bezeichnung der Beklagten EA 897. Vergleichbare Motoren der Beklagten seien schon von Rückrufen des KBA betroffen. In der Motorsteuerung seien Abschalteinrichtungen installiert. Das Fahrzeug verfüge zum einen über eine „Aufheizstrategie“: Die Parameter, die für eine Aktivierung der Aufheizstrategie erforderlich seien, seien so eng gefasst, dass diese Strategie nahezu ausschließlich im Prüfzyklus unter den dortigen Bedingungen wirke. Im realen Fahrbetrieb dagegen werde die Aufheizstrategie nicht verwendet, sodass die Stickoxidwerte des Fahrzeugs erheblich schlechter seien (S. 16 der Klagschrift, Bl. 16 d. A.). Weiter sei in der Motorsteuerung ein „Thermofenster“ enthalten. Außerhalb eines Temperaturrahmens von 20 bis 30 °C werde die Abgasrückführung reduziert und schließlich ganz abgeschaltet (S. 17 der Klagschrift und S. 2 des Schriftsatzes vom 16.06.2021, Bl. 17 bzw. Bl. 128 d. A.). Die Beklagte habe das Vorhandensein des Thermofensters gegenüber dem KBA nicht offengelegt und im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens getäuscht (S. 9 des Schriftsatzes vom 16.06.2021, Bl. 135 d. A.). Der Vorstand der Beklagten habe von der Entwicklung und Verwendung dieser Vorrichtungen gewusst und diese zumindest gebilligt.
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Die Klägerseite hat weiter vorgetragen, dass der Kläger ein Fahrzeug mit einer derartigen Motorsteuerung nicht erworben hätte, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darüber informiert hätte (S. 57 der Klagschrift, Bl. 57 d. A.). Nach dem Vortrag der Klägerseite hätte der Kläger zudem das Fahrzeug nicht zum tatsächlichen Preis von 27.100 € erworben (ebd.).
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Die Klägerseite ist der Auffassung, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe eines merkantilen Minderwerts des Fahrzeugs von 20 % des Kaufpreises (S. 36 des Schriftsatzes vom 16.06.2021, Bl. 162 d. A.). Die schädigende Handlung der Beklagten liege im Inverkehrbringen des Motors zum Zweck des Weiterverkaufs unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung. Der Motor sei mit mehreren nach Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Dementsprechend habe das Kraftfahrtbundesamt Rückrufe zwar nicht für das streitgegenständliche Fahrzeug, aber für vergleichbare Fahrzeuge der Beklagten angeordnet. Der „Makel des Fahrzeugs, vom Abgasskandal betroffen zu sein“, werde sich „prognostisch spürbar negativ auf den erzielbaren Kaufpreis auswirken“ (ebd.). Der Kläger habe einen Schaden erlitten, da er in Unkenntnis der gesetzeswidrigen Motorsteuerung das Fahrzeug erworben und insoweit einen für ihn wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag geschlossen habe. Er habe nicht das erhalten, was ihm aus dem Kaufvertrag zugestanden habe, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug. Das von der Beklagten angebotene Software-Update sei nicht geeignet, den Schaden entfallen zu lassen. Das Verhalten der Beklagten habe auch gegen die guten Sitten verstoßen und die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt.
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Die Klägerseite beantragt daher,
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1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 5420 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 655,69 € freizustellen.
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Die Beklagtenseite beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagtenseite hat vorgetragen, im Fahrzeug sei ein Motor mit der internen Bezeichnung EA 896 Gen. 2 verbaut. Die Beklagtenseite bestreitet, dass die Emissionswerte des Fahrzeugs für den Kläger beim Fahrzeugkauf von Bedeutung waren. Sie bestreitet weiter, dass in der Motorsteuerung eine „Aufheizstrategie“ vorhanden sei. Sie hat vorgetragen, der Temperaturrahmen des „Thermofensters“ sei größer als lediglich von 20 bis 30 °C. Das Vorhandensein des Thermofensters sei dem KBA bekannt gewesen. Dies ergebe sich aus einer vom OLG Stuttgart eingeholten amtlichen Auskunft des KBA (Anlage B 6, Bl. 213 d. A.). Im Typgenehmigungsverfahren im Jahr 2013 habe die Beklagte die Einzelheiten des sogenannten „Thermofensters“ noch nicht offenlegen müssen. Die Beklagte habe das KBA im Typgenehmigungsverfahren folglich nicht getäuscht. Das KBA habe das freiwillig von der Beklagten entwickelte Software-Update im Hinblick auf etwaige Abschalteinrichtungen geprüft und nichts beanstandet. Das Update wirke sich nicht negativ auf den Kraftstoffverbrauch, das Emissionsverhalten etc. aus.
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Die Beklagtenseite ist der Auffassung, das „Thermofenster“ sei keine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Es fehle insgesamt an einer Einwirkung der Beklagten auf den Kläger und dessen Kaufentscheidung und somit an einer kausalen Handlung der Beklagten, die als Täuschung oder sittenwidrige Schädigung anzusehen sein könnte. Jedenfalls fehle es an einem Schaden. Dieser liege insbesondere nicht im Abschluss des Kaufvertrages, da dieser für den Kläger weder ungewollt noch nachteilig sei. Da das KBA für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp keinen Rückruf angeordnet habe, das Fahrzeug über eine wirksame EG-Typgenehmigung verfüge und keine Betriebsuntersagung drohe, sei der Kaufvertrag für den Kläger mit keinerlei Nachteilen verbunden. Es sei überhaupt nicht ersichtlich, welche (unerlaubte) Handlung der Beklagten für den klägerseits behaupteten Minderwert des Fahrzeuges ursächlich gewesen sein solle (S. 13 der Klagschrift, Bl. 100 d. A.). Hilfsweise vertritt die Beklagtenseite die Auffassung, dass der Kläger hier als Schadenersatz nicht sein positives Interesse ersetzt verlangen könne und dass bei einer etwaigen Rückabwicklung des Kaufvertrages jedenfalls die vom Kläger gezogene Nutzungen in Ansatz zu bringen seien.
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15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2021 (Bl. 230 ff. d. A.) Bezug genommen. | I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.420,00 € festgesetzt. | 0 |
Baden-Württemberg | 1 | 1 | 0 | 1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückabwicklung einer Fondsbeteiligung als Schadenersatz wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung und unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten wie Widerruf oder ungerechtfertigter Bereicherung.
2
Der am 08.09.1932 geborene, in Ulm wohnende Kläger ist ein erfahrener Großunternehmer, der bis 2009 ein europaweites Netz von ca. 600 Drogerien mit 23.000 Mitarbeitern aufbaute und dieses bis 2013 auf 670 Drogerien mit 30.000 Mitarbeitern vergrößerte.
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Die Kerngesellschaft des Klägers ist die M-KG mit Sitz in Ulm, die die Finanzgeschäfte der M-Gruppe abwickelt. Geschäftsführer der M-KG war P. Leiter der Abteilung Finanzen und Treasury der M-KG war Z. Dessen Mitarbeiter und zugleich Bevollmächtigter des Klägers war NM.
4
Die Beklagte ist eine große traditionelle Schweizer Privatbank mit Hauptsitz in Basel und einer Zweigniederlassung in Zürich, von wo sie Bankdienstleistungen (Vermögensverwaltung, Anlageberatung, Fondsmanagement) für vermögende Kunden in Deutschland anbietet, und ihre Tätigkeit insoweit auf Deutschland ausgerichtet hat. Leiter des Beklagten-Geschäftsbereichs Private Banking war ES, den Bereich Privatkunden Deutschland leitete H. Vorsitzender der Geschäftsleitung war ST.
5
Rechtsanwalt B war bis Anfang 2010 Partner der Anwaltskanzlei D, anschließend der Anwaltskanzlei BSK in Frankfurt. Zudem betrieb B mit Rechtsanwalt S die Anwaltskanzlei „B+S(…)“ in der Schweiz. Außerdem gehört den Rechtsanwälten B und S die O.
6
Seit November 2005 unterhielten die Parteien eine Geschäftsbeziehung. Seitdem verfügt die M-Gruppe über diverse Konten bei der Beklagten. Zu entsprechenden Details wird auf die Kontenübersicht in Anlage B12 (Bl. 135ff. GA) Bezug genommen.
7
Der Kläger persönlich eröffnete bei der Beklagten mehrere Konten, nämlich durch entsprechende vom Kläger unterzeichnete Eröffnungsanträge vom 09./11.11.2005 (Anlage B10, Bl. 131 GA), am 22.12.2005/03.01.2006 (Anlage B11, Bl. 132 GA), am 29.11./03.12.2007 (Anlage K1, Bl. 40.2ff. GA) und am 29.10.2009 (Anlage B52, Bl. 1435ff. GA).
8
All diese Anträge enthielten eine Formularbestätigung des klägerischen Erhalts der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Beklagten in der Fassung vom 01.01.2005 (im Folgenden: AGB 05.01, Anlage B37, Bl. 598ff. GA = Anlage B38, Bl. 603ff. GA). Deren Ziff. 18 sieht als Gerichtsstand Basel bzw. den Sitz der die Geschäftsbeziehung führenden Zweigniederlassung und die Wahl Schweizer Rechts vor. Gemäß Ziff. 20 werden Änderungen der AGB dem Kunden brieflich o.ä. bekannt gegeben und gelten als genehmigt, wenn der Kunde nicht binnen 1 Monat widerspricht.
9
Die AGB der Beklagten wurden zum 01.01.2011 neu gefasst. Für ihren Inhalt wird im Detail auf die Anlagen B13 (Bl. 138ff. GA = Anlage B39, Bl. 608ff. GA) verwiesen. Die dortige Ziff. 26 (Anlage B13, Bl. 140 GA) lautete:
„Alle Rechtsbeziehungen des Kunden mit der Bank unterstehen materiellen schweizerischem Recht.“
Außerdem bestimmte diese Klausel zum Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche Verfahren Basel bzw. den Ort der die Geschäftsbeziehung führenden Zweigniederlassung der Beklagten.
10
Die Parteien schlossen nie einen schriftlichen Vertrag über eine Kapitalanlageberatung oder Vermögensverwaltung.
11
Am 29.11.2007 unterzeichnete der Kläger zugunsten der Beklagten eine Vollmacht (Anlage K2, Bl. 40.8f. GA). Unterhalb der klägerischen Unterschrift wird auf
„Regelungen zu dieser Vollmacht“
auf der Rückseite dieser Vollmacht verwiesen. Diese Rückseite enthält eine Vereinbarung Schweizer Rechts für
„sämtliche Rechtsbeziehungen aller unterzeichneten Personen mit der Bank“
und eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Basel bzw. des Orts der die Geschäftsbeziehung führenden Zweigniederlassung.
12
Bis März 2010 wurde der Kläger von der Beklagten nicht zum Erwerb von Anlageprodukten bzw. Fondsbeteiligungen beraten und bat auch nicht darum.
13
Im März 2010 besuchten S und H den Kläger in dessen Privathaus in Ulm in Anwesenheit seiner Ehefrau. Dort entschied sich der Kläger für zwei Beteiligungen, nämlich am CF, Zeichnungsschein: Anlage B17, Bl. 151ff. GA) und am BF, Zeichnungsschein: Anlage B18, Bl. 155ff. GA) im Umfang von insgesamt 100 Mio. EUR, die die Beklagte für den Kläger erwarb. Diesem Besuch war ebenfalls im März 2010 ein Besuch des S und B beim Kläger in Ulm vorausgegangen, in dem diese ihm die Beteiligung am CF und BF empfohlen hatten. Einige Monate später veräußerte die Beklagte diese Beteiligungen wieder für den Kläger mit einer Rendite von 10 %, nämlich ca. 10 Mio. EUR.
14
CF und BF sind sog. Dividend Arbitrage Funds, die Erträge durch steueroptimierte Dividendeneinkünfte erzielen. Solche zeichnete der Kläger im März 2010 erstmalig.
15
Am 14.10.2010 kam es zu einem weiteren Besuch der ST, ES und H als Führungsriege der Beklagten im klägerischen Haus in Ulm, wobei es sich eher um ein allgemeines Treffen zur Festigung der Kundenbeziehung der Parteien ohne Besprechung konkreter Bankgeschäfte handelte.
16
In vorliegendem Verfahren geht es um den
„S(…)-Fund“
(im Folgenden: F).
17
Das geplante Eigenkapital dieses F betrug insgesamt 250 Mio. EUR und war in eine Tranche A (für Kunden der Beklagten) und eine Tranche B (für Kunden der O) aufgeteilt. Für sämtliche Einzelheiten des Private Placement Prospekts zum F aus März 2011 wird auf Anlage K12 (Bl. 40.49ff. GA) Bezug genommen. Für den Inhalt des undatierten Entwurfs eines Steuergutachtens, das der B über das F-Modell erstellte, wird auf Anlage B27 (Bl. 179ff. GA) verwiesen. Die Allianz-Versicherung versicherte Schäden aus der Beratung aufgrund dieses Gutachtens ausweislich ihrer Deckungszusage vom 03.03.2011 (Anlage K31, Bl. 434 GA) mit einer Versicherungssumme von 100 Mio. EUR für jeden Verstoß, nicht jedoch die streitgegenständliche Kapitalanlage des Klägers gegen Verlust.
18
Eine entsprechende Vertriebsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Fondsleitung des F sah vor, dass die Beklagte für den Vertrieb der F-Anteile aus den vom Anleger zu zahlenden Kosten eine Retrozessionsgebühr (retrocession fee) von 1,2 % und eine Rücknahmegebühr (redemption fee) von 1,0 % erhalten sollte. Hierüber wurde der Kläger von der Beklagten nicht aufgeklärt, was ES und H gegenüber der Beklagten intern einräumten ausweislich Seiten 23f. (Bl. 2029f. GA) der deutschen Übersetzung des von der Beklagten beauftragten englischsprachigen Privatgutachtens der Anwaltskanzlei FK vom 05.03.2013 zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung der Beklagten gegen die hiesige Klage (im Folgenden: FK-Gutachten, Anlage K107, Bl. 2007ff. GA). Ebenso wenig erwähnte die Beklagte gegenüber dem Kläger zu irgendeiner Zeit Provisionen zugunsten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Vertrieb der F-Anteile.
19
Am 15.11.2010 mailte H an ES (S. 28ff. des klägerischen Schriftsatzes vom 22.08.2013, Bl. 361ff. GA) unter anderem, dass der Kläger in einem Gespräch zwischen dem Kläger, St und S die Zeichnung einer Dividenden Arbitrage in Höhe von 150 Mio. EUR zugesagt habe. Die E-Mail enthielt des Weiteren den Gesprächsleitfaden für ein Telefonat mit dem Kläger am selben Tag mit dem Zweck, ihn als Kunden für den F nicht zu verlieren trotz Nichterhöhung seiner Kreditlinie bei der Beklagten. Danach sollte in diesem Telefonat mit Vorteilen für den Kläger geworben werden, nämlich einer absoluten 10 %igen Rendite in 6 Monaten bei großer Sicherheit.
20
Sodann kam es am 01.12.2010 zu einem persönlichen Gespräch im klägerischen Haus in Ulm mit B und H.
21
Ein weiteres persönliches Gespräch zwischen dem Kläger allein, B und H fand am 14.02.2011 beim Kläger in Ulm bezüglich des F statt aufgrund eines vorherigen Anrufs des ES beim Kläger am 09.02.2011, nachdem B und S zuvor vergeblich die Vereinbarung eines solchen persönlichen Termins für die Vorstellung des F beim Kläger versucht hatten.
22
Mit E-Mail vom 15.03.2011 (Anlage B23, Bl. 171 GA) dankte H dem Kläger für seine Entscheidung zur Investition von 75 Mio. EUR in den F und bestätigte die diesbezügliche Gewährung eines Darlehens der Beklagten für den Kläger über 25 Mio. EUR bei einem klägerischen Eigenkapital von 50 Mio. EUR. Mit dieser E-Mail übersandte H dem Kläger zugleich einen entsprechend vorausgefüllten Zeichnungsscheins mit der Bitte um Unterzeichnung und Rücksendung zwecks Weiterleitung durch die Beklagte an den F.
23
Anschließend überlegte es sich der Kläger jedoch anders und teilte der Beklagten Mitte März 2011 mit, dass er nunmehr ganz von einer Investition in den F absehe.
24
Daraufhin gelang es dem ES und dem B doch noch in einem anschließenden Telefonat mit dem Kläger, Letzteren von dem streitgegenständlichen Investment in den F zu überzeugen, nachdem sich der Kläger insoweit zuvor bereits mehrfach (Beteiligung von zunächst 150 Mio. EUR, später von 75 Mio. EUR, dann Ablehnung der Beteiligung) umentschieden hatte.
25
Mit E-Mail vom 28.03.2011 (Anlage K3, Bl. 40.10 GA) nahm der H gegenüber dem Kläger Bezug auf das Gespräch des Klägers mit B und teilte ihm mit, dass die Beklagte
„Ihr Angebot“
annehme und dem Kläger für sein Investment von 50 Mio. EUR einen Kredit von 25 Mio EUR gewähre. H bat insoweit um Unterzeichnung und Rücksendung des entsprechend vorausgefüllten Zeichnungsscheins, für dessen Einzelheiten auf Anlage K4 (Bl. 40.11ff. GA) verwiesen wird. Dieser Schein benennt den F namentlich und enthält die Aussage, dass dieser Fonds ausschließlich für qualifizierte Anleger bestimmt sei, die sich aufgrund des Verkaufsprospekts über diese Anlage informiert haben. Der Zeichnungsschein sah die Verpflichtung des Klägers zur Zeichnung von 50.000 Aktien des F für 50 Mio. EUR und zur entsprechenden Order
„bei einer Bank seiner Wahl“
mit Valuta 01.03.2011 vor. Zudem enthielt der Zeichnungsschein eine Formularbestätigung des klägerischen Erhalts des Verkaufsprospekts und seiner Kenntnisnahme hiervon und ein Extra-Unterschriftsfeld für die
„Annahme der Zeichnung durch die Gesellschaft“
. Der F erhielt diesen Zeichnungsschein jedoch nie, weil die Beklagte diesen nie an den F weiterleitete. Daher unterzeichnete F diesen Schein auch nie gegen.
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Am 29.03.2011 wurde dieser vom Kläger unterzeichnete Zeichnungsschein per Fax an die Beklagte zurückgesandt.
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Sodann wurden am 30.03.2011 ausweislich des entsprechenden Überweisungsauftrags (Anlage B25, Bl. 175 GA) und entsprechender Kontoauszüge (Anlage B25, Bl. 176f. GA) 25 Mio. EUR vom Konto Nr. 6.00257.4 4000 der M-KG auf das klägerische Privatkonto Nr. 6.00281.6 4000 überwiesen, über das der Kläger uneingeschränkt verfügen konnte.
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Die Beklagte erwarb daraufhin als Beauftragte die 50.000 streitgegenständlichen Anteile am F im eigenen Namen für Rechnung des Klägers als Auftraggebers (sog. Nominee-Geschäft), ohne dass zwischen den Parteien ein Anteilskaufvertrag geschlossen worden ist.
29
Mit an die M-KG adressiertem Schreiben vom 01.04.2011 (Anlage K5, Bl. 40.15 GA) rechnete die Beklagte über den Kauf dieser 50.000 Anteile am F am 30.03.2011 für insgesamt 50.078.580,73 EUR einschließlich Kosten, Kommission und Spesen ab. Diesen Gesamtbetrag belastete die Beklagte dem klägerischen Privatkonto Nr. 6.00281.6 4000 zum 01.04.2011.
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Am 16.06.2011 wurde ein Protokoll über eine von der Beklagten intern veranlasste
„Neubegutachtung Exceptional Business - steueroptimierte Produkte und Transaktionen“
erstellt, für deren Einzelheiten auf Anlage K40 (Bl. 697ff. GA) Bezug genommen wird.
31
Am 08.12.2011 mailte (…)MB (im Folgenden: MB) als Geschäftsführer der PC dem H (Anlage B7, Bl. 124 GA), dass er über die B(…). GmbH zusammen mit dem Mitgeschäftsführer der PC, Herrn CL dem Kläger in finanziellen Fragen beratend und unterstützend zur Seite stehe.
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Am 06.01.2012 wurden 5.000 klägerische Anteile am F zurückgenommen gegen Rückzahlung von 5.606.984,36 EUR an den Kläger.
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Am 17.04.2012 kam es zu einer Besprechung in der M-KG infolge eines Besuchs von ES und H, über die MB ein Gesprächsprotokoll (Anlage K17, Bl. 40.115ff. GA) fertigte. Danach erklärte H nochmals das Geschäftsmodell des F und versicherte, dass Rückerstattungsansprüche der US-Pensionsfonds unzweifelhaft seien, man jetzt gegen das Bundeszentralamt für Steuern (im Folgenden: BfS) vorgehe, das F-Vermögen im Wesentlichen aus diesen Steuererstattungsansprüchen bestehe und bei Unterliegen im Rechtsstreit gegen das BfS eine volle Erstattung durch die Allianz Versicherung erfolge.
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Ende 2012 beendeten die Parteien ihre Geschäftsbeziehung.
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Im Zusammenhang mit dem Anlagemodell des F werden zahlreiche, bislang unbeendete strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Beklagten sowie gegen B geführt, der von Strafverfolgungsmaßnahmen (Durchsuchung) überrascht noch am Durchsuchungstag in die Schweiz floh. Zu diesen Ermittlungsverfahren der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Köln gehören u.a. die vom Gericht beigezogenen Verfahren 113 Js 2191/15 und 113 Js 952/13 (Anlage Bl. 1847 = CD).
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Die aktuelle Hauptforderung setzt sich folgendermaßen zusammen:
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1) Kaufpreis für 50.000 F-Anteile einschließlich Nebenkosten:
50.078.580,73 EUR
2) zuzüglich Kreditzinsen:
335.570,70 EUR
3) abzüglich Zahlung an Kläger für Rücknahme 5.000 Anteile:
./. 5.606.984,36 EUR
DIFFERENZ (Hauptforderung):
44.807.167,07 EUR
38
Am 11./14.01.2013 schlossen der Kläger und sein späterer Prozessbevollmächtigter eine Vergütungsvereinbarung (Anlage Bl. 2174 GA) hinsichtlich der vorgerichtlichen Vertretung des Klägers gegenüber der Beklagten. Mit Anwaltsschreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 31.01.2013 (Anlage K9, Bl. 40.27ff. GA), das der Beklagten am 01.02.2013 zuging, ließ der Kläger die Beklagte daraufhin vergeblich zur Zahlung von 47.129.254,72 EUR bis zum 20.02.2013 und zur umfangreichen Auskunftserteilung auffordern. In diesem Zusammenhang entstanden dem Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten, über deren Höhe die Parteien streiten.
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Unter dem 20.02.2013 antwortete die Beklagte mit Schreiben der von ihr seinerzeit beauftragten Rechtsanwaltskanzlei F (Anlage K10, Bl. 40.39 GA), dass sie diese Ansprüche des Klägers prüfe. Daraufhin erstellte diese Kanzlei jeweils im Auftrag der Beklagten einerseits am 04.03.2013 ein Steuergutachten zum F-Modell (im Folgenden: FS-Gutachten, Anlage K94, Bl. 1520ff. GA), in dem das Totalverlustrisiko mit 85 % beziffert wird, und andererseits am 05.03.2013 das englischsprachige Gutachten zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung gegen hiesige Klage (FK-Gutachten), für dessen Inhalte im Detail auf dessen beglaubigte deutsche Übersetzung in Anlage K107 (Bl. 2007ff. GA) verwiesen wird. Diese Übersetzung befindet sich auch auf den Seiten 1275ff. der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln im Verfahren 113 Js 952/13, nachdem der Klägervertreter diese mit Begleitschreiben vom 07.05.2014 (Bl. 1242ff. in 113 Js 952/13) an die Staatsanwaltschaft Köln übersandt hatte.
40
Nach den Aussagen des ES im Ermittlungsverfahren 113 Js 2191/15 existiert eine interne Liste der Beklagten (Bl. 12429f. in 113 Js 952/13) zur Frage, welcher F-Anleger wie beraten wurde. Danach erhielt der Kläger weder einen Prospekt noch das Formular 70 zur Bestätigung der Kenntnis von Anlagerisiken. Nach Aussage des ES sei die Geschäftsbereichsleitung der Beklagten nach entsprechender Recherche schockiert gewesen, dass „die Kunden völlig unzureichend dokumentiert“ worden seien.
41
Unter dem 08.04.2013 erstellte die Beklagte eine Chronologie für den Beklagtenvertreter zur Fertigung der Klageerwiderung, für deren Einzelheiten auf Anlage K41 (Bl. 707ff. GA) verwiesen wird.
42
Mit Schreiben vom 23.04.2013 (Anlage K24, Bl. 409f. GA) teilte der F dem Klägervertreter mit, dass der Kläger die streitgegenständlichen Anteile nicht direkt vom F erworben habe, sondern offenbar von der Beklagten durch Weiterverkauf.
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Mit Anwaltsschreiben vom 17.06.2013 (Anlage K25, Bl. 411f. GA) ließ der Kläger gegenüber der Beklagten den
„Widerruf eines Vertrages zum Erwerb von 50.000 Anteilen des F (…) aus allen in Betracht kommenden Widerrufsrechten“
erklären, die Beklagte zur Rückzahlung von 50.078.580,73 EUR auffordern und die Rückgewähr der restlichen 45.000 Anteile des Klägers anbieten.
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Unter dem 20.06.2013 erstellte der Klägervertreter ein sog. „Memorandum“ zur Klageerwiderung (Anlage K20, Bl. 305ff. GA), u.a. mit Zitaten aus dem FK-Gutachten und Mail-Korrespondenz der Parteien (Anlage K20, Bl. 309Rff. GA).
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Der Kläger behauptet,
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dass die gesamte Klageerwiderung inhaltlich falsch bzw. sinnverfälschend sei angesichts der im Memorandum des Klägervertreters (Anlage K20, Bl. 305ff. GA) aufgeführten Umstände, insbesondere der internen Unterlagen der Beklagten.
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Im März 2010 hätten S und H dem Kläger ohne die Vorlage schriftlicher Unterlagen bzw. eines Prospekts „etwas ganz besonders Gutes“ angeboten, nämlich ein jahrelang bewährtes Geschäftsmodell mit einer kurzfristigen Rendite von 10 % unter Ausnutzung einer „steuerlichen Gestaltungsmöglichkeit“. Der hohe Ertrag werde durch eine Hebelung aufgrund entsprechender Fremdkapitalaufnahme erzielt. Diese Investition sei zu 100 % sicher und durch die Allianz Versicherung AG abgesichert.
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Am 14.10.2010 habe das erste persönliche Vertriebsgespräch stattgefunden, dem am 14.02.2011 das zweite gefolgt sei. Am 01.12.2010 habe H dem Kläger erklärt, ihm nochmals eine Fundbeteiligung anbieten zu können, nämlich den F. Im Unterschied zum CF bzw. BF müsse die Transaktion diesmal aber über eine nicht näher benannte ausländische Bank abgewickelt werden. Dabei hätten ES und H dem Kläger zugesichert und beteuert, dass dieses Investment nach wie vor zu 100 % sicher und ohne jedes Risiko sei. Die Rendite belaufe sich auf mindestens 12 % und werde bis Oktober 2011 zusammen mit der Einlage an den Kläger zurückgezahlt. Zudem sei die Anlage über die Allianz versichert, was für den Kläger ein entscheidender Faktor für seine Zeichnung gewesen sei. Schon deshalb sei die Beratung der Beklagten nicht anlegergerecht.
49
ES und H hätten dem Kläger den Erwerb von 50.000 Anteilen am F empfohlen, ohne ihm schriftliches Informationsmaterial oder einen Prospekt zur Verfügung gestellt zu haben. Dies folge auch aus dem FK-Gutachten. Den Prospekt habe der Kläger erst im Jahr 2012, also nach der Zeichnung erhalten, zumal der Prospekt erst aus März 2011 stammt. Der Kläger sei dieser Empfehlung im Vertrauen auf die Mitarbeiter der Beklagten gefolgt, zumal er selbst die wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergründe dieser Anlage nicht habe nachvollziehen können. Die Anlageempfehlung der Beklagten sei auch nicht objektgerecht gewesen mangels Aufklärung des Klägers über die Illegalität der beabsichtigten Steuererstattungen im Rahmen des F-Modells und über die Höhe der der Beklagten zugesagten Vergütungen sowie der damit für sie verbundenen Interessenkonflikte.
50
Die Parteien hätten zumindest konkludent einen Anlageberatungsvertrag geschlossen, indem der beratungsbedürftige Kläger die sachkundige Beklagte um erkennbar bedeutsame Auskünfte gebeten habe. ES und H hätten ausweislich des FK-Gutachens selbst zugegeben, bemerkt zu haben, dass der Kläger die streitgegenständliche Beteiligung nicht verstanden habe, und trotzdem nicht beim Kläger nachgefragt. Der Kläger verfüge auch nicht über ein Family Office, das sich um seine Kapitalanlagen kümmere. Aufgabe des Z sei es allein gewesen, die Korrespondenz des Klägers mit der Beklagten entgegenzunehmen und im Bankordner des Klägers abzuheften. Demgegenüber habe Z an keiner persönlichen Besprechung des Klägers mit der Beklagten teilgenommen und den Kläger auch nie vertreten. Ebenso wenig habe der Kläger den Z vor der streitgegenständlichen Zeichnung konsultiert. Vielmehr habe sich der Kläger einzig auf die Beratung der von S und B unterstützten Beklagten verlassen und sei ausschließlich von ES, H und B beraten worden. Dabei sei B gegenüber dem Kläger als Berater der Beklagten aufgetreten. Demgegenüber habe die Beratung des Klägers durch die PC erst nach Zeichnung des F begonnen, weil die PC den Kläger bei der Klärung bereits erworbener Kapitalanlagen habe unterstützen sollen. B habe ausweislich des FK-Gutachtens selbst eingeräumt, dem Kläger gegenüber nicht als dessen Berater, sondern als Vertreter des F aufgetreten zu sein.
51
Wäre der Kläger durch die Beklagte korrekt aufgeklärt worden, hätte er den F nie gezeichnet, da er zu einer Wette über den Ausgang eines Wettlaufs zwischen der Finanzverwaltung und der Steuergestaltungsbranche nie bereit gewesen sei, und zwar unabhängig davon, ob das F-Modell nun illegal sei oder nicht. Das Geschäftsmodell des F sei das sog. „Dividenden-Stripping“, also das „Abstreifen“ der Dividende von der Aktie, und zwar in der Variante der „Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen über ausländische Banken um den Dividendenstichtag“. Der F habe der hemmungslosen Bereicherung der „Funktionsträger“ des F, zu denen neben der Beklagten jedenfalls auch B, S und die O gehört hätten, im Umfang von 230.590.946,27 EUR gedient, also in Höhe von ca. 90 % des beabsichtigten Gesamtanlagekapitals. Dieser Betrag sei nämlich gleich zu Beginn zu Lasten des F an diese „Funktionsträger“ ausgezahlt worden. Die Beklagte habe den Anlegern des F eine hochriskante Wette als unbedenkliche und risikoarme Investition vorgetäuscht, um sie zu einem erheblichen Investment zu bewegen. Der Kläger ist der Auffassung, dass hierin angesichts des erheblichen Wissens- und Erfahrungsvorsprungs der Beklagten gegenüber den Anlegern eine unerlaubte Handlung in Gestalt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) bzw. eines Betruges (§§ 823 II, 831, 31 BGB, 263 StGB) liege, da die Funktionsträger des F ausweislich diverser Indizien zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hätten.
52
Seit Mitte des Jahres 2010 habe es eine strategische Zusammenarbeit der Beklagten mit der BSK und der O gegeben, die bankintern als „Projekt Gipfelsturm“ bezeichnet worden sei und in deren Rahmen B und S der Beklagten Gestaltungsmodelle wie den F zur Verfügung gestellt hätten, die die Beklagte exklusiv bei ihren vermögenden Kunden platziert habe und durch die sie verdeckte Provisionen in Millionenhöhe vereinnahmt habe. B und S seien als BSK langjährige Rechtsberater der Beklagten und hätten das F-Modell konzipiert.
53
Am 29.03.2011 seien im Zuge der Rückübersendung des vom Kläger unterzeichneten Zeichnungsscheins an die Beklagte die Bedingungen wie folgt bestätigt worden:
„Die Rückzahlung ist bis Ende 10.2011 geplant. Wie vereinbart, erhält M(…) einen Kredit in Höhe von 25 Millionen. Laufzeit 30.03.2011 - 28.10.2011 Zinssatz 2,05938 %“.
54
Vorgerichtlich habe der Kläger die AGB der Beklagten zu keinem Zeitpunkt erhalten, auch nicht bei den Kontoeröffnungen. Die Formularbestätigungen des entsprechenden Erhalts seien dem Kläger gar nicht aufgefallen, da er täglich zig Dokumente unterschreibe. Ebenso wenig habe der Kläger jemals ein steuerliches Privatgutachten des Prof. K(…) vom 25.03.2010 beauftragt, erhalten oder zur Kenntnis genommen. Vielmehr sei dieses Gutachten von B und S über Mittelspersonen im Namen des Klägers ohne dessen Vollmacht bzw. Wissen beauftragt worden, um so eine Kenntnis des Klägers vom streitgegenständlichen Anlagemodell vor dessen Zeichnung zu konstruieren.
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Vorgerichtliche Anwaltskosten seien dem Kläger in Höhe von 272.224,40 EUR entstanden. Anzusetzen sei insoweit der gesetzliche Höchstsatz der Geschäftsgebühr von 2,5, weil die umfangreiche Angelegenheit von besonders hoher Bedeutung für den Kläger sei und mit allerhöchsten tatsächlichen und juristischen Schwierigkeiten (Befassung mit nationalem und internationalem Steuerrecht, hochkomplexen Bank- und Börsenabläufen, Schweizer Recht und strafrechtlichen Beratungsaspekten) behaftet sei. Zwar sei - insoweit unstreitig - eine Vergütungsvereinbarung über eine Abrechnung nach Stunden geschlossen worden, jedoch mindestens in Höhe der gesetzlichen Gebühren. Allerdings würden die tatsächlich erbrachten Stunden inzwischen die gesetzlichen Gebühren übersteigen. Der Kläger habe seinen späteren Prozessbevollmächtigten zunächst nur mit der vorgerichtlichen Vertretung beauftragt. Erst nach fruchtlosem Ablauf der bis zum 20.02.2013 gesetzten Frist (Anlage K9, Bl. 40.27ff GA) habe der Kläger seinem späteren Prozessbevollmächtigten dann Klageauftrag erteilt.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die streitgegenständliche Kapitalanlage ein Verbrauchergeschäft darstelle, da jeder Bezug zu Bankgeschäften zwischen der Beklagten und der M-KG fehle und es auf das Volumen der Anlage nicht ankomme. Sämtliche streitgegenständlichen Unterlagen bezögen sich auf den Kläger als Privatperson. Die Beklagte habe den Kläger bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehung als Privatkunden eingestuft. Die Privatkonten des Klägers und seiner Frau seien stets von den Geschäftskonten getrennt gewesen und so in allen Reports bzw. Vermögensübersichten aufgeführt worden. Die einzige Verbindung habe darin bestanden, dass die M-KG die Haftung für private Verbindlichkeiten des Klägers übernommen habe. Dies hätten die Wirtschaftsprüfer der M-KG jedoch sodann beanstandet und entsprechende Beseitigung angemahnt. Allein hierauf beziehe sich die sog. „Entflechtung des Kontoverbunds M(…)“.
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Die Verwertung des FK-Gutachtens sei zulässig, da sie weder Persönlichkeitsrechte der Beklagten noch Schweizer Strafgesetze verletze. Vielmehr überwiege ein erhebliches Beweisführungsinteresse des Klägers. So habe das AG Köln mit Beschluss vom 29.08.2015 (Anlage K103, Bl. 1746ff. GA) dem Klägervertreter auch Akteneinsicht in die Ermittlungsunterlagen gewährt, da das klägerische Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse der Beklagten angesichts des gravierenden Kostenrisikos des Klägers überwiege. Dies gelte umso mehr, als die Beklagte dem Kläger ohnehin gem. den §§ 675, 666 BGB zur Auskunft über die im FK-Gutachten enthaltenen tatsächlichen Umstände verpflichtet sei. Von daher befinde sich der Kläger auch in rechtmäßigem Besitz dieses Gutachtens, weshalb an der Verwertbarkeit im hiesigen Prozess kein Zweifel bestehe.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 44.807.167,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 % aus 50.078.580,73 EUR vom 01.04.2011 bis 06.01.2012 und aus 44.807.167,07 EUR seit dem 07.01.2012 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückübertragung von 45.000 Anteilen des Klägers an dem Sheridan S(…)-Fund an die Beklagte, und
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 272.224,40 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2013 zu zahlen, hilfsweise den Kläger von diesem Anspruch seines Prozessbevollmächtigten freizustellen.
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3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Anteile in Verzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet,
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dass der Kläger auf eine Beratung durch die Beklagte gar nicht angewiesen gewesen sei. Vielmehr sei er durch einen internen Beraterstab aus fachkundigen Mitarbeitern seines Unternehmens, insbesondere durch Z, NM und P beraten worden. Zudem hätten den Kläger S und B extern beraten, die die M-Gruppe insbesondere in steuerrechtlichen Finanzangelegenheiten beraten hätten. B sei allerdings Berater des F gewesen. Noch im Dezember 2011 sei der Kläger zudem durch die PC extern beraten worden. Die Beklagte habe stets nur eine ausführende Rolle im Sinne eines sog. execution only übernehmen sollen, weshalb es an einem Anlageberatungsvertrag zwischen den Parteien fehle. So habe sich der Kläger im Frühjahr 2011 nach den mit dem CF und BF, die mit dem F vergleichbar seien, erzielten Erfolgen von sich aus bei der Beklagten nach weiteren derartigen Fondsprodukten erkundigt, da er wieder in Dividend Arbitrage Funds habe investieren wollen. Daraufhin hätten die Parteien zusammen mit B und S ein mögliches Investment der M-Gruppe in den F erörtert. Die ursprüngliche Investitionssumme von 150 Mio. EUR habe sich später auf 75 Mio. EUR und schließlich auf 50 Mio. EUR reduziert. Dabei sei das jeweilige Beteiligungsangebot wieder vom Kläger nach intensiver Abstimmung mit seinen Beratern gekommen. Ausschlaggebend für die streitgegenständliche Anlageentscheidung des Klägers sei sein unmittelbar zuvor, nämlich am 28.03.2011 mit B geführtes Telefonat gewesen, also gerade keine Beratung durch die Beklagte. Die vom Kläger vorgetragenen Beteuerungen des H am 01.12.2010 seien unglaubhaft, zumal jeder Unternehmer wisse, dass eine Rendite von 12 % stets erhebliche Risiken bergen müsse.
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Die Beklagte habe dem Kläger und seinen Mitarbeitern ein Exemplar des Prospekts übersandt, in dem die Chancen und Risiken des F umfassend geschildert seien einschließlich des Totalverlustrisikos und des Steuererstattungsverfahrens. Deshalb habe der Kläger den Prospekterhalt auch im Zeichnungsschein (Anlage K4, Bl. 40.11ff. GA) bestätigt.
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Der Kläger sei ein ebenso risikobewusster wie -freudiger Unternehmer und Anleger. Er sei als erfahrener und mit komplexen Finanzprodukten vertrauter Investor gegenüber der Beklagten aufgetreten. Dennoch habe ihm auch die Beklagte die Funktionsweise und Risiken des F erklärt, obwohl bereits die Prospektübergabe für eine etwaige Beratung ausreichend gewesen sei. Zudem habe der Kläger als Auftraggeber über Dritte anlässlich und vor seiner Zeichnung des CF und BF das Privatgutachten eines Prof. Koblenzer vom 25.03.2010 (Anlage B70) erstellen lassen und daraus seitdem Wirkweise, Struktur und Risiken von Dividend Arbitrage Investments - wie auch der gleich gelagerte F eines sei - gekannt. Entsprechende Risiken seien dem Kläger zusätzlich aus den Prospekten zu CF und BF bekannt gewesen.
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Die streitgegenständliche Kapitalanlage habe der Kläger als Unternehmer gezeichnet. Die 25 Mio. EUR Eigenkapital würden nämlich von der M-KG stammen, weshalb es sich vorliegend um ein Investment der M-KG handele und der Kläger daher nicht aktivlegitimiert sei. Außerdem sei diese M-KG maßgeblich an der Vorbereitung, Finanzierung und Abwicklung der streitgegenständlichen Anlage beteiligt gewesen. Zudem sei der Kläger im Kontoeröffnungsantrag (Anlage K1, Bl. 40.2ff. GA) als
„Unternehmer“
bezeichnet. Zudem spreche schon allein das Volumen gegen die Annahme eines Verbrauchergeschäfts. Hinzu komme, dass die Parteien die bei der Beklagten geführten Konten der M-Gruppe als „Kontoverbund M(…)“ verstanden hätten. Im April 2011 habe die M-Gruppe dann den dringenden Wunsch nach einer klaren Trennung ihres Vermögens von dem Privatvermögen des Klägers geäußert. Dies sei jedoch bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehung der Parteien Ende des Jahres 2012 nicht mehr gelungen ausweislich des klägerischen Schreibens vom 18.12.2012 (Anlage B36, Bl. 596f. GA).
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Die zugunsten der Beklagten unstreitig vereinbarte Retrozessionsgebühr sei tatsächlich gar nicht an die Beklagte gezahlt worden.
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Die Beklagte habe dem Kläger die AGB zum 01.01.2011 mit Schreiben vom 10.12.2010 (Anlage B43, Bl. 1001ff. GA) bekannt gegeben, weshalb keine Zweifel an deren wirksamer Einbeziehung bestünden. Zudem habe der Kläger bei jeder Kontoeröffnung die AGB 05.01 erhalten und dies mehrfach formularmäßig bestätigt.
71
Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der Kläger auf Unterlagen beziehe, die er unter Verletzung arbeitsvertraglicher und sonstiger Vertraulichkeitspflichten sowie des Bankgeheimnisses, also rechtswidrig erlangt habe. Ein Beweisverwertungsverbot macht die Beklagte deshalb allerdings nicht geltend. Der Kläger habe sich diese vertraulichen internen Unterlagen der Beklagten von ihren Mitarbeitern S(…) und V(…) beschafft, indem er an diese 25.000,00 EUR gezahlt bzw. ihnen eine 1 %ige Beteiligung am Prozesserlös versprochen habe.
72
Am 06.03.2013 ist die ursprüngliche Teilklage des Klägers über eine Zahlung von 1 Mio. EUR beim erkennenden Gericht eingegangen (Anhängigkeit).
73
Am 03.04.2013 ist eine Klageerweiterung auf insgesamt 47.129.245,72 EUR eingegangen und sodann der Beklagten am 09.04.2013 zugestellt worden.
74
Unter dem 21.11.2013 hat das erkennende Gericht angekündigt, im ersten Verhandlungstermin am 02.12.2013 nur zur Zuständigkeit zu verhandeln. Daraufhin ist am 28.11.2013 per Fax eine Teilklagerücknahme auf eine verbleibende Zahlung von 1 Mio. EUR nebst Zinsen beim erkennenden Gericht eingegangen, woraufhin die Beklagte am 29.11.2013 Kostenantrag gestellt hat.
75
Im Dezember 2013 hat die Beklagte sodann eine negative Feststellungsklage (sog. „Torpedoklage“) gegen den Kläger vor dem Bezirksgericht Zürich erhoben auf Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger nichts schuldet im Zusammenhang mit seiner Beteiligung am F.
76
Am 16.01.2014 hat das erkennende Gericht einen Hinweisbeschluss erlassen, für dessen Einzelheiten auf Bl. 954ff. GA verwiesen wird.
77
Am 08.05.2014 hat das Bezirksgericht Zürich die Abweisung der Feststellungsklage als unzulässig beschlossen (Anlage K64, Bl. 1072ff. GA), weil die Beklagte kein Feststellungsinteresse habe im Hinblick auf hiesiges Verfahren. Hiergegen hat die Beklagte Berufung (Anlage B45, Bl. 1152ff. GA) zum Obergericht Zürich eingelegt.
78
Am 26.06.2014 ist ein Beschluss des erkennenden Gerichts ergangen, dass über die Zulässigkeit der Klage gem. § 280 I ZPO vorab entschieden werden solle im schriftlichen Verfahren gem. § 128 II ZPO. Daraufhin ist am 31.07.2014 ein Zwischenurteil des erkennenden Gerichts ergangen (Bl. 1181ff. GA), in dem die Zulässigkeit der Klage bejaht wurde mit der Begründung, dass es international zuständig sei gem. Art. 5 Nr. 1b LugÜ (Gerichtsstand des Erfüllungsorts), da die entgegenstehende Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam sei. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt.
79
Am 22.10.2014 hat das Obergericht Zürich beschlossen (Anlage B51, Bl. 1271ff. GA), den Beschluss des Bezirksgerichts Zürich vom 08.05.2014 aufzuheben und das Verfahren dorthin zurückzuverweisen, da ein Feststellungsinteresse der Beklagten gegeben sei. Allerdings solle das Bezirksgericht seine Zuständigkeit prüfen oder das Verfahren gem. Art. 27 I LuGÜ aussetzen, bis die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts in hiesigem Verfahren feststehe, weil es nach der Kernpunkttheorie des EuGH sowohl in hiesigem Verfahren als auch im Schweizer Verfahren im Kern um die gleiche Frage gehe, nämlich ob dem Kläger gegen die Beklagte
„ein und dieselbe Gesamtforderung (…) zusteht“
. Daraufhin hat das Bezirksgericht Zürich am 05.01.2015 beschlossen (Anlage B58, Bl. 1930ff. GA), den Schweizer Prozess gem. Art 27 I LugÜ bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts auszusetzen, da die Teilklage und die negative Feststellungsklage im Kern dieselbe Gesamtforderung des Klägers beträfen.
80
Aufgrund des Verhandlungstermins am 30.03.2015 hat das OLG Stuttgart mit Urteil vom 27.04.2015 (5 U 120/14, Bl. 1471ff. GA) die Berufung gegen das Zwischenurteil vom 31.07.2014 zurückgewiesen, weil die Klage zulässig sei, da das Landgericht Ulm international zuständig sei gem. Art. 16 LugÜ (Verbrauchergerichtsstand). Denn die Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam, weil sie mangels der Voraussetzungen des Art. 17 LugÜ den Verbrauchergerichtsstand gem. Art. 16 LugÜ nicht durchbrechen könne. Hiergegen hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH (Anlage B54, Bl. 1573f. GA) erhoben und begründet (Anlage B55, Bl. 1672ff. GA).
81
Unmittelbar danach, nämlich am 29.04.2015 ist eine Klageerweiterung auf die nunmehr aktuelle Zahlung von 44.807.167,07 EUR nebst aktuell beantragter vorgerichtlicher Anwaltskosten beim erkennenden Gericht eingegangen und der Beklagten am 13.05.2015 zugestellt worden.
82
In ihrer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung vom 14.09.2015 (Anlage B55, Bl. 1672 GA) hat die Beklagte erstmals gerügt, dass die Teilklage wegen unbestimmten Streitgegenstands unzulässig sei, was von Amts wegen zu prüfen sei. Der BGH hat am 26.07.2016 (XI ZR 223/15) die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zurückgewiesen (Bl. 98 BGH-Akte).
83
Unter dem 12.10.2016 hat die Kammer den Parteien Hinweise zum Widerruf vom 17.06.2013 erteilt, für deren Einzelheiten auf Bl. 1841f. GA Bezug genommen wird.
84
Am 29.11.2016 hat die Beklagte beantragt, die hiesige Klage, soweit sie über die ursprüngliche Teilklage über 1 Mio. EUR hinausgeht, gem. Art. 27 I LugÜ im Hinblick auf die in Zürich anhängige Feststellungsklage auszusetzen.
85
Mit nicht rechtskräftigem Beschluss vom 22.12.2016 (Anlage K106, Bl. 1953ff. GA) hat das Bezirksgericht Zürich die negative Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen, da die hiesige ursprüngliche Teilklage und die dortige negative Feststellungsklage im Kern dieselbe Gesamtforderung des Klägers beträfen, und hat dabei ausdrücklich die in diesem Verfahren ergangene Rechtsprechung des Obergerichts Zürich in Bezug genommen.
86
Im zweiten Verhandlungstermin vor dem erkennenden Gericht am 10.04.2017 hat die Beklagte Schriftsatzfrist beantragt zur Erwiderung auf Hinweise der Kammer zur Verwertbarkeit des bloß vorläufigen FK-Gutachtens in diesem Prozess und zur Unterbrechung der Kausalkette zwischen Anlageberatung und -entscheidung.
87
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Köln (113 Js 952/13 und 113 Js 2191/15) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 02.12.2013 (Bl. 742ff. GA), 30.03.2015 (Bl. 1460ff. GA) und vom 10.04.2017 (Bl. 2163ff. GA) verwiesen.
88
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 15.05.2017 wurde berücksichtigt, soweit er Rechtsausführungen enthält. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 44.807.167,07 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.02.2013 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückübertragung von 45.000 Anteilen des Klägers an dem S(…)-Fund an die Beklagte.
1a. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Anteile in Verzug befindet.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 272.224,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 163.344,16 EUR vom 01.04.2013 bis zum 13.05.2015 und aus 272.224,40 EUR seit dem 14.05.2015 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
5. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Streitwert (§§ 48 I GKG, 3-5 ZPO)
: bis 30 Mio. EUR (Kappungsgrenze) | 1 |
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Finanzgericht Berlin-Brandenburg 6. Senat | Berlin | 0 | 1 | 06.09.2016 | 1 | Randnummer
1
Streitig sind die Folgen einer Pensionszusage, nämlich die Änderung der Pensionszusage vor dem Ausscheiden des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers sowie der Abschluss eines Beratervertrags für die Zeit nach dem Ausscheiden.
Randnummer
2
Die Klägerin wurde 1990 von Herrn B… und zwei Mitgesellschaftern gegründet. Gegenstand des Unternehmens war die Beratung, der Handel, der Vertrieb und die Industrievertretung von technischen Anlagen und Ausrüstungen der Elektroindustrie und artähnlicher Zweige. Mit Gesellschafterbeschluss vom 02. November 2005 wurde der Unternehmensgegenstand geändert in: Beratung, Handel, Vertrieb und Industrievertretung von technischen Anlagen und Ausrüstungen der Elektroindustrie und artähnlicher Zweige sowie der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen sowie die Übernahme der persönlichen Haftung an und die Geschäftsführung von Gesellschaften. Geschäftsführer war seit dem 12. November 1990 Herr B…, der ab dem 27. November 1990 alleiniger Gesellschafter war.
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3
Die Klägerin erteilte dem am 16. Oktober 1943 geborenen Herrn B… am 30. November 1994 eine Pensionszusage; Herr B… hatte zu diesem Zeitpunkt das 51. Lebensjahr vollendet. Herr B… sollte mit Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Pension in Höhe von 30 % des anrechenbaren Gehaltes erhalten (Abschnitt B-1). Bei dem anrechenbaren Gehalt sollte es sich um das 13fache Monatsgehalt handeln, das vor Pensionsbeginn erzielt worden ist. Erfolgsabhängige Einkommensbestandteile wie z. B. Tantiemen oder Sonderzahlungen sollten außer Ansatz bleiben (Abschnitt B-2).
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4
Nach Abschnitt B-1 sollte Herr B… bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder auch erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Pension im Fall des Ausscheidens erhalten können. Pro Monat sollte sich die Rente um 0,4 % mindern bzw. erhöhen. Eine Rente sollte aber frühestens ab Vollendung des 60. Lebensjahres möglich sein.
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5
Im Übrigen sollten die Ansprüche unverfallbar sein (Abschn. C-1). Die Klägerin sollte eine Rückdeckungsversicherung abschließen (Abschn. C-5), die tatsächlich bei der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt abgeschlossen wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Pensionszusage nimmt der Senat auf den Inhalt der Vereinbarung vom 30. November 1994 Bezug.
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6
Nach dem am 23. November 1995 geschlossenen Geschäftsführervertrag sollte Herr B… ein monatliches Grundhalt von DM 13.000,- sowie ein 13. und 14. Monatsgehalt (Weihnachts- und Urlaubsgeld) erhalten, eine Tantieme in Höhe von 20 %, eine Direktversicherung mit einem Jahresbeitrag von DM 3.000,- sowie einen Dienstwagen, den er auch privat nutzen durfte. Der Senat nimmt auf die weiteren Einzelheiten des Geschäftsführervertrags Bezug.
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Am 15. Januar 1998 wurde die Pensionszusage geändert: Herr B… sollte nunmehr unabhängig von der Höhe des anrechenbaren Gehalts eine monatliche Pension von DM 4.000,- erhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Änderung nimmt der Senat auf den Inhalt der Vereinbarung vom 15. Januar 1998 Bezug.
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Seit dem Jahr 1999 waren die Söhne des Herrn B…, C… und D…, weitere Geschäftsführer der Klägerin; die Eintragung erfolgte im Handelsregister am 18. Mai 2000.
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Das monatliche Grundgehalt Herrn B… wurde zum 01. Januar 2001 auf DM 7.000,- reduziert und zum 01. April 2004 auf € 3.600,- festgelegt. Am 11. Mai 2000 erteilte die Klägerin C… und D… Pensionszusagen über jeweils DM 5.500,- monatlich.
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10
Am 01. November 2005 übertrug Herr B… durch privatschriftlichen Vertrag unentgeltlich jeweils einen Geschäftsanteil von € 5.000,- an seine Söhne D… und C… . Dies entsprach jeweils 5/26 der Anteile, zusammen 10/26 (= 38,46 %), so dass Herr B… noch mit 61,54 % beteiligt blieb. Weiter hieß es in dem Protokoll über die Beschlussfassung des Gesellschafters der A… GmbH, auf das der Senat im Übrigen Bezug nimmt:
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11
„Um zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Geschäftsleitung des Unternehmens vollständig den nunmehr geschäftsführenden Gesellschaftern D… und C… zu übertragen, wird B… die vorzeitige Abrufmöglichkeit seiner Pension bei der Schweizer Rentenanstalt, Versicherungs Nr. …, im Jahr 2006 in Anspruch nehmen und als Geschäftsführer ausscheiden. B… sollen aus dieser der Sicherung der Fortführung des Unternehmens dienenden Entscheidung keine Nachteile erwachsen.
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12
Die im Punkt B-1 der Pensionszusage vorgesehene Kürzung der Altersrente um 0,4 % pro Monat des vorzeitigen Bezugs wird aufgehoben.“
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Am 18. September 2006 beschlossen die drei Gesellschafter, dass Herr B… mit Wirkung vom 01. Oktober 2006 die Pensionszusage in Anspruch nimmt, eine monatliche Altersrente von € 2.045,- (= DM 4.000,-) erhält und als Geschäftsführer abberufen wird; der Senat nimmt auf die Vereinbarung Bezug. Die Abberufung wurde am 21. November 2006 im Handelsregister eingetragen. Herr B… stand am 01. Oktober 2006 kurz vor der Vollendung des 63. Lebensjahres. Sein Geschäftsführergehalt betrug im Jahr 2006 bis zum Zeitpunkt der Abberufung € 3.600,- monatlich.
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14
Herr B… erhielt im Jahr 2006 Pensionszahlungen in Höhe von insgesamt € 6.135,- (3 x € 2.045,-) und im Jahr 2007 in Höhe von insgesamt € 24.540,- (12 x € 2.045,-).
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15
Am 29. September 2006 schlossen die durch die Herren C… und D… vertretene Klägerin und Herr B… einen Beratervertrag mit Wirkung ab dem 01. Oktober 2006, auf den der Senat ebenfalls Bezug nimmt. Herr B… sollte die Klägerin auf Grund seiner jahrzehntelangen Erfahrung und Kenntnis des Marktes die Klägerin in allen Fragen der Unternehmensführung beraten, insbesondere bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder und der Betreuung von Schlüsselkunden mitwirken, „also eine Außendienstfunktion als „Key Account-Manager“ ausüben. Herr B… sollte seinen Arbeitsort selbst festlegen, jedoch der Firmenleitung zweimal im Monat ganztägig am Firmensitz zur Verfügung stehen. Die monatlichen Termine sollten gemäß den Belangen der Klägerin rechtzeitig abgestimmt werden (§ 2 des Beratervertrags).
Randnummer
16
Herr B… sollte ein pauschales Honorar von monatlich € 3.800,- zzgl. Umsatzsteuer erhalten, mit dem alle Leistungen abgegolten sein sollten. Jedoch sollten außergewöhnliche Leistungen wie die Erstellung umfangreicher Gutachter besonders honoriert werden, sofern sich die Vertragspartner über die Honorierung der besonderen Leistung und deren Höhe vor der Erstellung der Leistung geeinigt haben (§ 3 des Beratervertrags). Weiterhin sollte Herr B… einen Auslagenersatzanspruch haben (§ 4 des Beratervertrags). Herr B… stimmte einem Wettbewerbsverbot zu und verpflichtete sich, für kein Konkurrenzunternehmen tätig zu werden. Hiervon ausgenommen waren aber die Unternehmen E… und die F… (§ 6 des Beratervertrags). Der Beratervertrag sollte erstmals zum 31. Dezember 2008 kündbar sein, anschließend aber mit einer Frist von drei Monaten zum Quartals- bzw. Jahresende (§ 7 des Beratervertrags).
Randnummer
17
Die Klägerin bildete in den Jahren 2005 bis 2007 Pensionsrückstellungen für die Pensionsverpflichtung gegenüber Herrn B…, deren Höhe zwischen den Beteiligten mittlerweile nicht mehr streitig ist:
Randnummer
18
Bilanzstichtag
Pensionsrückstellung laut Angaben des Beklagten (in €)
Pensionsrückstellung laut Angaben der Klägerin (in €)
31. 12. 2005
178.327,-
nicht genannt
31. 12. 2006
202.479,-
193.224,-
31. 12. 2007
228.449,-
259.095,-
Randnummer
19
Der Beklagte stellte mit Bescheiden vom 22. April 2008 den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2006 auf € 177.704,- und den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2006 auf € 261.865,- fest. Mit Bescheiden vom 26. März 2009 stellte der Beklagte den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2007 auf € 313.946,- und den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2007 auf € 397.885,- fest.
Randnummer
20
Im Rahmen einer Außenprüfung im Jahr 2009 für den Zeitraum 2005 bis 2007 beanstandete der Prüfer die Pensionszusage für Herrn B… . Bereits die Änderung der Pensionszusage am 15. Januar 1998, die eine künftige Pension von monatlich DM 4.000,- vorsah, habe zu einer Erhöhung geführt – insbesondere wegen der Gehaltssenkungen ab 2001 –, die jedoch nicht mehr habe erdient werden können. Richtigerweise hätte die Pension auf Grund des vorzeitigen Ausscheidens des Herrn B… zwei Jahre vor Vollendung des 65. Lebensjahres um 9,6 % gekürzt werden müssen (24 Monate x 0,4 %). Das 13fache Grundgehalt habe im Jahr 2006 € 55.265,- betragen, so dass Herrn B… nach der ursprünglichen Pensionszusage nur ein Anspruch auf Zahlung von 30 %, mithin € 16.580,-, zugestanden habe; dieser Betrag hätte wegen des vorzeitigen Ausscheidens um 9,6 % auf einen Jahresbetrag von € 14.990,- gekürzt werden müssen. Für 2006 hätte sich damit ein Betrag von € 3.748,- (€ 14.990,- x 3/12 [Pensionszahlung ab Oktober bis Dezember 2005]) und für 2007 ein Betrag on € 14.990,- ergeben. Die Differenz zu den gezahlten Beträgen von € 6.135,- (2005) und € 24.450,- (2006) sei damit als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln, so dass sich eine verdeckte Gewinnausschüttung für 2006 in Höhe von € 2.387,- und für 2007 in Höhe von € 9.550,- (= 38,91 %) ergebe.
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Außerdem rechnete der Prüfer den verbleibenden Betrag der Pensionszahlungen in Höhe von € 3.748,- für 2006 und € 14.990,- für 2007 ebenfalls als verdeckte Gewinnausschüttungen dem Einkommen der Klägerin hinzu, weil Herr B… einen Beratervertrag abgeschlossen habe und nicht aus dem Unternehmen ausgeschieden sei.
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Schließlich kürzte der Außenprüfer, der von einem Fachprüfer unterstützt wurde, die Pensionsrückstellungen zum 31. Dezember 2006 um € 42.990,- auf € 159.489,- und zum 31. Dezember 2007 auf € 158.255,- (Gewinnerhöhung € 70.194,- ./. Vorjahresgewinnerhöhung € 42.990,- = € 27.204,-).
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23
Wegen der weiteren Einzelheiten der Feststellungen des Außenprüfers sowie des Fachprüfers nimmt der Senat auf Tz. 9 und 10 des Außenprüfungsberichts vom 04. Juli 2011 sowie auf den Teilbericht des Fachprüfers vom 10. Dezember 2010 Bezug.
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24
Dadurch kam es zu folgenden Mehrergebnissen:
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25
31. 12. 2006
31.12.2007
Pensionsrückstellung
+ 42.990,-
+ 27.204,-
Pensionszahlung - unterlassene Kürzung
+ 2.387,-
+ 9.550,-
Pensionszahlung - Pensionszahlung trotz Beratertätigkeit
+ 3.748,-
+ 14.990,-
Summe
+ 49.125,-
+ 51.744,-
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26
Der Beklagte folgte den Feststellungen und erließ am 25. August 2011 geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2006 auf € 122.311,- (bislang € 177.704,-; Differenz somit € 55.393,-) und zum 31. Dezember 2007 auf € 198.970,- fest (bislang € 313.946,-; Differenz somit € 114.976,-). Außerdem stellte der Beklagte den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2006 auf € 205.393,- (bislang € 261.865; Differenz somit € 56.472,-) und zum 31. Dezember 2007 auf € 281.830,- fest (bislang € 397.885,-; Differenz somit € 116.055,-).
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27
Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein. Der Beklagte änderte während des Einspruchsverfahrens aus hier nicht streitigen Gründen die Verlustfeststellungsbescheide am 01. Februar 2012. Die Verluste wurden zum 31. Dezember 2006 nunmehr auf € 123.370,- (Körperschaftsteuer) und € 206.452,- (Gewerbesteuer) sowie auf den 31. Dezember 2007 auf € 201.140,- (Körperschaftsteuer) und auf € 284.000,- (Gewerbesteuer) festgestellt.
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28
Die Klägerin begründete ihren Einspruch damit, dass die Änderung der Pensionszusage am 15. Januar 1998 zu einer Minderung des Pensionsanspruchs geführt habe. Denn zum damaligen Zeitpunkt habe das Gehalt auf DM 13.000,- betragen, so dass sich ein Pensionsanspruch von DM 4.225,- ergeben hätte. Der Abschluss eines Beratervertrags sei unschädlich. Die fehlerhafte Berechnung der Pensionsrückstellungen beruhe auf dem Sachverständigen und könne der Klägerin nicht zugerechnet werden.
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29
Mit Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 2013 gab der Beklagte dem Einspruch zum Teil statt. Er stellte die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2006 auf € 169.446,- (vor der Außenprüfung: € 177.704,-; Differenz somit € 8.258,-) und zum 31. Dezember 2007 auf € 226.435,- fest (vor der Außenprüfung: € 313.946,-; Differenz somit € 87.511,-). Außerdem stellte der Beklagte den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2006 auf € 252.528,- (vor der Außenprüfung: € 261.865; Differenz somit € 9.337,-) und zum 31. Dezember 2007 auf € 309.295,- fest (vor der Außenprüfung: € 397.885,-; Differenz somit € 88.590,-).
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30
Der Beklagte erkannte nunmehr Pensionsrückstellungen für 2006 in Höhe von € 236.068,- (laut Außenprüfung waren es € 159.489,-) und für 2007 in Höhe von € 234.241,- an (laut Außenprüfung waren es € 158.255,-). Der Rückstellungsbetrag für 2006 sei damit höher als in der Bilanz, so dass sich nunmehr eine Gewinnminderung von € 33.589,- für 2006 ergebe. Im Jahr 2007 komme es nun zu einer geringfügigen Auflösung der Rückstellung in Höhe von € 1.827,-, so dass sich gegenüber der von der Klägerin vorgenommenen Zuführung von € 25.970,- eine Gewinnerhöhung für 2007 um € 27.797,- ergebe.
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31
Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und ging von verdeckten Gewinnausschüttungen aus: So habe die Klägerin die Pensionsrückstellungen fehlerhaft zu hoch bewertet. Die Minderung für 2006 in Höhe von € 33.589,- sei ebenso als verdeckte Gewinnausschüttung zu erfassen wie die Differenz für 2007 in Höhe von € 27.797,-. Die Klägerin müsse sich die fehlerhafte Wertberechnung durch den Sachverständigen zurechnen lassen.
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32
Die unterlassene Rentenkürzung bei Ausscheiden des Gesellschafter-Geschäftsführers B… sei durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Hierfür spreche die zeitliche Nähe zwischen der Aufhebung der Kürzungsregelung am 01. November 2005 und der Übertragung der Anteile am 02. November 2005 sowie dem Ausscheiden aus dem Dienst am 01. Oktober 2006. Der Vortrag der Klägerin, die Aufhebung der Kürzungsregelung sei eine Gegenleistung für das Ausscheiden als Geschäftsführer gewesen, sei nicht glaubhaft. Denn dann müsse das Ausscheiden zum 01. Oktober 2006 bereits am 01. November 2005 festgestanden haben.
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Der Beratervertrag führe ebenfalls zu einer verdeckten Gewinnausschüttung, weil die Beraterhonorare nicht auf die Pensionszahlungen angerechnet worden seien.
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34
Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Neben Ausführungen zur Höhe der mittlerweile unstreitigen Pensionsrückstellungen wendet sich die Klägerin gegen den Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung auf Grund der Aufhebung der Kürzungsklausel am 01. November 2005. Zwar sei Herr B… zu diesem Zeitpunkt beherrschender Gesellschafter gewesen. Die Klägerin sei tatsächlich aber von der GbR I… abhängig gewesen, deren Gesellschafter C… und D… gewesen seien und die die Handelsvertretungen innegehabt habe. Die Klägerin sei ausschließlich für die GbR tätig gewesen und daher davon abhängig gewesen, dass ihr die GbR Aufgaben übertragen habe. Die beiden Söhne C… und D… hätten die Wahl gehabt, entweder ihren Vater zur Aufgabe der Geschäftsführerstellung zu bewegen, um selbst die Geschäftsführung übernehmen zu können, oder den Dienstleistungsvertrag mit der Klägerin zu kündigen und eine eigene Dienstleistungs-GmbH zu gründen. Letzteres hätte zum wirtschaftlichen Ruin der Klägerin geführt. Herr B… habe nur zwei Industrievertretungen gehabt, deren Laufzeiten im Jahr 2009 vertraglich ausgelaufen wären, während die beiden Söhne vier wesentliche Industrievertretungen gehabt hätten.
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35
Angesichts dieser Lage sei es nachvollziehbar gewesen, dass Herr B… dem Druck seiner Söhne nachgegeben und einer vorzeitigen Pensionierung zugestimmt habe. Ebenso nachvollziehbar sei es, dass er seine Zustimmung an eine ungekürzte Pensionszahlung geknüpft habe. Ein fremder Geschäftsführer hätte dem zugestimmt, um einem drohenden Stillstand in der Geschäftsentwicklung entgegen zu wirken. Faktisch sei die Aufhebung der Kürzung ein Entgelt für die vorzeitige Räumung der Geschäftsführerposition. Außerdem fehle der zeitliche Zusammenhang zwischen der Aufhebung der Kürzung vom 01. November 2005 und dem Ausscheiden des Herrn B… am 18. September 2006.
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36
Auch der Beratervertrag sei nicht zu beanstanden; denn er habe völlig andere Aufgaben beinhaltet als der Geschäftsführervertrag. So habe Herr B… als Berater die Aufgaben eines Key-Account-Managers ausführen müssen, also die Großkunden betreuen müssen. Der Beklagte habe keine Tatsachen festgestellt, die für eine faktische Geschäftsführertätigkeit des Herrn B… sprächen. Die Kriterien für eine faktische Geschäftsführung seien nicht erfüllt, nämlich die Bestimmung der Unternehmenspolitik, die Unternehmensorganisation, die Einstellung von Mitarbeitern, die Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, die Verhandlung mit Kreditgebern, die Festlegung der Gehaltshöhe, die Entscheidung über die steuerlichen Angelegenheiten und die Steuerung der Buchhaltung; wenigstens sechs dieser Merkmale müssten erfüllt sein. Im Übrigen beziehe auch der Außendienstmitarbeiter X ein monatliches Gehalt von € 3.500,-.
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37
Eine Anrechnung der Beraterhonorare auf die Pensionszahlungen sei lebensfremd. Auch der BFH habe im Jahr 2013 eine Beratertätigkeit im Anschluss an die Geschäftsführertätigkeit anerkannt (BFH, Urteil vom 23. 10. 2013 I R 60/12). Die Klägerin hat zwei Besuchsberichte des Herrn B… als Nachweis für dessen Tätigkeit beigefügt, auf die der Senat Bezug nimmt.
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38
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte geänderte Bescheide am 29. Juli 2014 erlassen und den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2006 auf € 203.035,- (vor der Außenprüfung: € 177.704,-; Differenz somit € 25.331,- zu Gunsten der Klägerin) und zum 31. Dezember 2007 auf € 287.821,- festgestellt (vor der Außenprüfung: € 313.946,-; Differenz somit € 26.125,-). Außerdem hat der Beklagte den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2006 auf € 286.117,- (vor der Außenprüfung: € 261.865; Differenz somit € 24.252,- zu Gunsten der Klägerin) und zum 31. Dezember 2007 auf € 370.681,- festgestellt (vor der Außenprüfung: € 397.885,-; Differenz somit € 27.204,-).
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39
Die Beteiligten haben daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich der Verlustvorträge zum 31. Dezember 2006 für erledigt erklärt. Mit Beschluss vom 06. September 2016 hat der Senat das Verfahren insoweit abgetrennt und eingestellt.
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40
Die Klägerin beantragt nunmehr,
1. die geänderten Bescheide vom 29. Juli 2014 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2007 sowie über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2007 sowie die Einspruchsentscheidung vom 24. Juni 2013 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2007 auf € 313.743,- und der vortragsfähige Gewerbeverlust zum 31. Dezember 2007 auf € 396.428,- festgestellt wird,
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen,
3. die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen,
4. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären und
5. das Urteil wegen der Kosten des Verfahrens für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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41
Der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
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42
Die Aufhebung der Kürzung sei durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Herr B… habe den Geschäftsführerposten nicht „geräumt“, da er anschließend als Berater tätig gewesen sei. Er könne auch nicht als lästiger Gesellschafter angesehen werden, weil er trotz seines Ausscheidens als Geschäftsführer ohne zeitliche Unterbrechung als Berater tätig geworden sein.
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43
Im Übrigen müsste der Rentenanspruch auf den tatsächlich erdienten unverfallbaren m/n-tel Anteil beschränkt werden, falls das Gericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass das Dienstverhältnis des Herrn B… tatsächlich mit Vollendung des 63. Lebensjahres geendet habe.
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44
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands verweist der Senat auf den Inhalt der Streitakten, insbesondere auf den Außenprüfungsbericht und den Fachbericht der Groß- und Konzernprüfung sowie auf die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen K 1 bis K 25. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
LG Hamburg 1. Kammer für Handelssachen | Hamburg | 0 | 0 | 24.02.2021 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin macht einen Verzugsschaden im Rahmen eines Transportvertrags geltend.
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2
Die Klägerin beauftragte die Beklagte im Februar/März 2018 mit der Beförderung eines Containers von B. nach F./ B. zu fixen Kosten (vgl. den E-Mail-Verkehr in der Anlage K1). Für die Klägerin war ihr Mitarbeiter B., ein ehemaliger Mitarbeiter der Beklagten, tätig. Angaben zum Verwendungszweck des Containerinhalts wurden von der Klägerin nicht gemacht. In ihren E-Mails sowie in ihrer Rechnung vom 29.03.2018 (Anlage K2) verweist die Beklagte darauf, dass sie auf Grundlage der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 (ADSp 2017) arbeitet. Die Beklagte beauftragte die Nebenintervenientin zu 1) ( M.D.L. GmbH, vormals N. Schifffahrtsagentur GmbH, die dem Rechtsstreit nach Streitverkündung durch die Beklagte als Streithelferin auf Beklagtenseite beigetreten ist), die ihrerseits die Nebenintervenientin zu 2) ( H.- L. AG, die dem Rechtsstreit nach Streitverkündung durch die Beklagte als Streithelferin auf Beklagtenseite beigetreten ist) mit dem Seetransport von H. nach F./ B. beauftragte (Anlage StV2). Der Container, dessen Inhalt mit 52 Packages und 14.075 kg sich aus dem Bill of Lading der Nebenintervenientin zu 2) ergibt (Anlage 1 zur Anlage K3), wurde am 23.03.2018 auf das MV „ C.E.“ verladen. In dem E-Mail-Verkehr der Parteien (Anlage K1) wird als ETA (estimated time arrival) ebenso wie in der Rechnung der Beklagten (Anlage K2) als Ankunftsdatum das Datum 09.04.2018 genannt.
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3
Tatsächlich verzögerte sich die Ankunft in F.. Mit E-Mail vom 22.05.2018 wandte sich die Klägerin mit der Bitte um Prüfung des Verbleibs des Containers an die Beklagte. Mit E-Mail vom 25.05.2018 schrieb der Mitarbeiter B. der Klägerin an die Beklagte (E-Mail-Verkehr in der Anlage K11):
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4
„…
Der formhalber halten wir A. GmbH für die entstandene Verzögerung in vollen Umfang haftbar. Ansprüche Dritter treten wir vollumfänglich an Sie ab.
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5
Wir erwarten HEUTE bis 15 Uhr eine schriftliche Stellungnahme der Reederei
warum der Container überhaupt in C. entladen wurde?
warum er dann mehrere Wochen ohne Weiterleitung geblieben ist?
wann mit der Ankunft in F. zu rechnen ist?
warum wurden wir über die Verzögerungen nicht zeitnah informiert?
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6
Wir erwarten, dass diese Angelegenheit nunmehr vorrangig abgearbeitet wird, zumal wir gegenüber unserem Kunden ebenfalls verstärkten Erklärungsbedarf haben.
…“
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7
Der streitgegenständliche Container war zunächst in C. entladen worden und wurde erst am 23.06.2018 in F. angeliefert (vgl. auch das Parteigutachten Anlage K3).
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8
Die Klägerin hält die Beklagte für die Verzögerungen für verantwortlich. Sie behauptet, die MS „ J. A.“ Schifffahrts GmbH & Co. KG (nachfolgend „ J. KG“) betreibe das MV „ J. A.“. Das Schiff werde in der Karibik als Feederschiff eingesetzt. Im Juni 2018 habe die nächste 5-Jahrsbesichtigung des Schiffes erfolgen sollen, die notwendig sei, um die Schiffssicherheitszeugnisse und die Klasse zu erneuern bzw. zu verlängern. Dazu müsse das Schiff ins Dock und aus dem Wasser genommen werden. Zu diesem Zweck sei ein Werftaufenthalt in F./ B. für die Zeit vom 09.-15.06.2018 geplant gewesen. Dies sei im Rahmen des laufenden Feederdienstes erfolgt, so dass eine strikte Einhaltung der Werftzeit erforderlich gewesen sei. Die J. KG habe im Januar und Februar 2018 bei der U. K. GmbH (nachfolgend „ K. GmbH“) Ausrüstungsgegenstände und Ersatzteile gekauft, die für das MV „ J. A.“ bestimmt gewesen seien (vgl. Rechnungen in den Anlagen K5a bis K5h). Die K. GmbH habe es außerdem übernommen, die Ware (neben weiterer Ware) in einen Container zu stauen und in F. an das MV „ J. A.“ zu liefern. Es sei vorgesehen gewesen, dass der Container so rechtzeitig in F. eintreffen solle, dass er zu Beginn des Werftaufenthalts des MV „ J. A.“ am 09.06.2018 vor Ort zur Verfügung gestanden hätte. Die K. GmbH habe die (zur selben Gruppe gehörende) Klägerin mündlich mit der Beförderung des Containers von B. nach F. beauftragt.
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9
Die Klägerin habe die Beklagte mit Mahnung vom 25.05.2018 (Anlage K11, S.4) in Verzug gesetzt, auch wenn es angesichts der gesamten Korrespondenz in der Anlage 11 einer förmlichen Mahnung nicht bedurft habe.
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10
Als der Container am 23.06.2018 in F. abgeliefert worden sei, habe das MV „ J. A.“ die Werft in F. schon wieder verlassen gehabt. Einige Arbeiten seien mit ersatzweise und teurer zugekauften Teilen ausgeführt worden, teilweise hätten die Restarbeiten zu einem späteren Termin erledigt werden müssen. Der eingetretene Schaden belaufe sich auf € 144.315,40. Die J. A. KG habe ihre Ansprüche wegen der verspäteten Ablieferung des Containers gegenüber der K. GmbH mündlich geltend gemacht. Die K. GmbH nehme ihrerseits die Klägerin in Anspruch und verlange Freistellung von dieser Verbindlichkeit. Die Klägerin beruft sich auf die Grundsätze der Drittschadensliquidation.
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11
Soweit eine Regulierung durch die E. Versicherung AG erfolgt sei (vgl. Anlage B1), habe diese übergegangene Rechte vorsorglich an die Klägerin rückabgetreten (Anlage K4).
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Die Klägerin beantragt nach Rücknahme der Klage in Höhe von € 4.879,12
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13
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 144.315,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2018 zu zahlen;
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hilfsweise
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die Beklagte zu verurteilen, die U. K. GmbH, P- Straße., B., von den gegen sie gerichteten Ansprüchen der MS „ J. A.“ Schifffahrts GmbH & Co. KG, R - Straße. H. im B., wegen der verspäteten Ablieferung des Containers UACU 817 048-5 U., verschifft in H. am 23.03.2018 mit dem MV „ C. E.“, in F./ B. am 23.06.2018 freizustellen;
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nochmals hilfsweise
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17
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den Ansprüchen der U. K. GmbH, P- Straße. B., wegen der verspäteten Ablieferung des Containers UACU 817 048-5 U., verschifft in H. am 23.03.2018 mit dem MV „ C. E.“, in F./ B. am 23.06.2018 freizustellen;
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18
schließlich hilfsweise,
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19
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Schaden der Klägerin aus der verspäteten Ablieferung des Containers UACU 817 048-5 U., verschifft in H. am 23.03.2018 mit dem MV „ C. E.“, in F./ B. am 23.06.2018 zu ersetzen.
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Die Beklagte und beide Nebenintervenienten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tragen vor, bei dem angegebenen Ankunftsdatum vom 09.04.2018 handele es sich lediglich um eine Information, keine Willenserklärung. Eine feste Lieferfrist sei nicht vereinbart worden. Zu keinem Zeitpunkt habe die Klägerin zu erkennen gegeben, dass der Container zwingend bis zum 09.06.2018 in F./ B. ankommen müsse und dass bei einer Ankunft nach dem 09.04.2018 ein Vermögensschaden drohe.
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23
Die Beklagte habe sich nicht im Verzug befunden, es fehle bereits an einer verzugsbegründenden Mahnung. In der E-Mail vom 25.05.2018 werde neben einer Haftbarhaltung nur gefordert, den Verbleib des Containers aufzuklären.
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Wegen eines starken Sturms und der anschließend im Umlagehafen C1 eingetretenen Hafenverstopfung sei die Haftung ausgeschlossen, zum Nachweis beruft sich die Beklagte auf das Schreiben der Nebenintervenientin in der Anlage B2.
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Die Klägerin hätte schließlich im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht dafür Sorge tragen müssen, dass der Termin in der Werft um 2 Wochen verschoben worden wäre.
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Etwaige durchsetzbare Ansprüche wegen Lieferfristüberschreitung bestünden auch deshalb nicht, weil die Lieferfristüberschreitung der Beklagten nicht innerhalb einer Frist von 21 Tagen nach Ablieferung von der Empfängerin in Textform angezeigt worden sei, § 438 Abs. 3 HGB.
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Angesichts einer Regulierung der E. Versicherung AG (Anlage B1) bestreitet die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin und erhebt die Einrede der Verjährung; die Klägerin habe mit der Klagschrift nicht offengelegt, dass sie aus (rück-) abgetretenem Recht vorgehe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. | 1. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aufgrund der verspäteten Ablieferung des Containers UACU 817 048-5 U., verschifft in H. am 23.03.2018 mit dem MV „ C. E.“, in F./ B. am 23.06.2018 besteht dem Grunde nach bis zu einer Höhe von € 99.568,24.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. | 0 |
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 2. Senat | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 15.12.2022 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt eine höhere endgültige Festsetzung des Elterngeldes Plus nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) unter Nichtanrechnung ihrer Bereitschaftszeiten als angestellte Klinikärztin und wendet sich gegen eine Erstattung der vorläufigen Leistungen auf das Elterngeld Plus i.H.v. 1215,68 Euro.
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Die Klägerin beantragte für sich im April 2016 nach der Geburt ihres dritten Kindes am 14. März 2016 Elterngeld für den 1. bis 11. Lebensmonat. Mit Bescheid vom 15. April 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 14. März 2016 bis zum 13. Februar 2017 Basiselterngeld i.H.v. 1752,98 Euro für jeden Lebensmonat des Kindes (für die Zeit vom 14. März bis 13. Mai 2016 unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes: 0 Euro für den ersten bzw. 233,72 Euro für den zweiten Lebensmonat). Die Zahlung des Elterngeldes erging unter dem Vorbehalt des Widerrufes, weil der Steuerbescheid für die Klägerin oder eine andere berechtigte Person noch nicht vorliege und noch nicht sicher angegeben werden könne, ob die Einkommensgrenze überschritten werde. Der Ehemann der Klägerin nahm ab dem 12. bis zum 14. Lebensmonat des Kindes Elternzeit und bezog für diesen Zeitraum ebenfalls Elterngeld.
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3
Am 1. Juni 2017 beantragte die Klägerin die Partnerschaftsbonusmonate für den Zeitraum 14. Mai bis 13. September 2017 (15. bis 18. Lebensmonat des Kindes). Sie übe eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 25 Stunden wöchentlich aus. Hierzu legte sie einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag vor, wonach sie in dem genannten Zeitraum mit 62,5 % teilzeitbeschäftigt werde. Dies entspreche zurzeit 25 Stunden in der Woche der regelmäßigen durchschnittlichen Arbeitszeit. Weiter führte der Änderungsvertrag aus, dass die Klägerin sich im Rahmen begründeter dienstlicher oder betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Mehrstunden, Überstunden, Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaftsdiensten verpflichte. Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erfolge nach Dienstplan.
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Die Beklagte prüfte in diesem Zusammenhang die bisherige Bewilligung und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19. Juni 2017 mit, dass sie im Zeitraum 14. März 2016 bis 13. Februar 2017 Elterngeld in Höhe von insgesamt 282,58 Euro zu Unrecht erhalten habe. Im Bemessungszeitraum sei ein falsches Einkommen zugrunde gelegt worden (beispielsweise sei das Einkommen im Januar 2015 inklusive der Nachzahlungen für den Dezember 2014 berücksichtigt worden). Es bestünde die Möglichkeit, die entstandene Überzahlung mit der Gewährung für die Partnerschaftsbonusmonate zu verrechnen.
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Die Klägerin äußerte sich dahingehend, dass das berücksichtigte Einkommen in dem Bescheid vom 18. April 2016 genau dem bescheinigten Lohn entspreche. Sie habe nicht erkennen können, dass die Beklagte ein falsches Einkommen zugrunde gelegt habe.
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Mit Bescheid vom 11. Juli 2017 änderte die Beklagte die Bewilligung für den Zeitraum 14. März 2016 bis 13. Februar 2017 ab und gewährte für jeden Lebensmonat des Kindes noch 1722,04 Euro. Für den Zeitraum 14. Mai bis 13. September 2017 (Partnerschaftsbonusmonate) gewährte sie der Klägerin für jeden Lebensmonat des Kindes vorläufig 272,98 Euro. Bis zur Tilgung des überzahlten Betrages würden die laufenden Leistungen monatlich um 141,29 Euro einbehalten. Für die endgültige Entscheidung bezüglich der gewährten Partnerschaftsmonate seien nach Ablauf des Elterngeldbezugszeitraumes die monatlichen Einkommensnachweise und ein Nachweis über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vom Arbeitgeber einzureichen.
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Am 25. Juli 2017 widersprach die Klägerin dem Bescheid vom 11. Juli 2017 hinsichtlich der Aufhebung und Erstattung. Mit Bescheid vom 15. Mai 2018 half die Beklagte dem Widerspruch ab und erhöhte zudem das Elterngeld Plus für die Partnerschaftsbonusmonate auf 303,92 Euro je Lebensmonat des Kindes. Das Elterngeld werde bis zu einer endgültigen Entscheidung gemäß § 8 Abs. 3 BEEG vorläufig gezahlt.
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Erst auf mehrmalige Anforderung (21. November 2017, 1. Februar und 20. April 2018) zum Nachweis der Einkünfte für die Monate Mai bis September 2017 reichte die Klägerin eine E-Mail der Arbeitgeberin vom 3. Mai 2018 ein, wonach sie im Zeitraum vom 14. Mai bis zum 13. September 2017 eine vertraglich vereinbarte Teilzeitbeschäftigung über 25 Stunden in der Woche ausgeübt und durch Übernahme von Diensten durchschnittlich 29 Stunden pro Woche gearbeitet habe.
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Mit Schreiben vom 3. Juli und 10. August 2018 forderte die Beklagte die Klägerin erneut zum Nachweis der Einkünfte aus der nichtselbständigen Erwerbstätigkeit für den Zeitraum Mai bis September 2017 inklusive aller Nachberechnungen sowie Nachweise über den Bezug von Kinderkrankengeld sowie einer vom Arbeitgeber ausgeführten „Anlage 3a“ zum Umfang der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit auf. Hierauf antwortete der Ehemann der Klägerin, dass bereits alle Unterlagen eingereicht worden seien. Die Sache sei endlich zu entscheiden.
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10
Mit Bescheid vom 30. August 2018 setzte die Beklagte das zustehende Elterngeld der Klägerin für den Zeitraum 14. März 2016 bis 13. Februar 2017 auf 1752,98 Euro für jeden Lebensmonat des Kindes fest (für die Zeit vom 14. März bis 13. Mai 2016 unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes). Für den Zeitraum vom 14. Mai bis zum 13. September 2017 gewährte er kein Elterngeld. Die Voraussetzungen für die Gewährung von vier zusätzlichen Monatsbeträgen Elterngeld Plus hätten nicht vorgelegen. Es sei kein aktueller Nachweis über die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit während der Partnerschaftsbonusmonate eingereicht worden. Das Elterngeld werde nunmehr endgültig festgestellt. Die Klägerin habe einen Betrag i.H.v. 1215,68 Euro zu erstatten.
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Die Klägerin verwies in ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch auf die E-Mail vom 3. Mai 2018, mit der die Arbeitgeberin die tatsächlich geleistete Arbeitszeit bescheinigt habe.
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Die Beklagte forderte die Klägerin daraufhin erneut auf, die Lohnscheine für Mai bis September 2017 inklusive eventueller Nachberechnungen sowie einen Nachweis über die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit zu übersenden. Die Klägerin antwortete, die Beklagte möge auf die Bestätigung vom 3. Mai 2018 vertrauen. Im Krankenhaus gäbe es keine Stundenzettel oder Arbeitszeitnachweise, keine Stechuhr o. ä. Das Kommen und Gehen der Ärzte werde nicht registriert. Daraufhin wandte sich die Beklagte an die Arbeitgeberin der Klägerin und forderte die gewünschten Unterlagen ab. Die Arbeitgeberin übersandte insbesondere ausführliche Stundennachweise. Danach waren im Monat Mai 2017 100 Stunden, im Monat Juni 2017 133 Stunden, im Monat Juli 2017 126 Stunden, im Monat August 2017 136 Stunden und im Monat September 2017 149 Stunden als Arbeitszeit erfasst worden. Hierbei waren auch Stunden erfasst, die als Bereitschaftsdienst gekennzeichnet waren. Ebenso waren in den übersandten Verdienstabrechnungen für die Monate Mai bis September 2017 Entgelte für die Leistung von Bereitschaftsdiensten ausgewiesen.
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Mit Bescheid vom 20. Februar 2019 setzte die Beklagte unter Bezugnahme auf die Bescheide vom 11. Juli 2017 und 15. Mai 2018 das Elterngeld erneut endgültig fest, wobei sie die Höhe gegenüber dem Bescheid vom 30. August 2018 nicht änderte. Unverändert forderte die Beklagte eine Erstattung i.H.v. 1215,68 Euro. Zur Begründung führte sie aus, dass eine endgültige Festsetzung zunächst nach Aktenlage erfolgt sei, weil die erforderlichen Nachweise zur endgültigen Entscheidung nicht vollständig vorgelegt worden seien. Nunmehr seien im Wege der Amtsermittlung die Nachweise von der Arbeitgeberin abgefordert worden. Nach der Prüfung der Arbeitszeitnachweise habe sie feststellen müssen, dass die wöchentlich zulässige Arbeitszeit im Durchschnitt der Lebensmonate des Kindes deutlich überschritten worden sei. Abzustellen sei auf die tatsächlich geleistete Arbeitszeit und nicht darauf, inwiefern die Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben oder in Folgemonaten als Mehrarbeit oder als Überstunden ausbezahlt worden sei.
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Auch dem widersprach die Klägerin. Der Bereitschaftsdienst sei nicht mit einer Arbeitszeit gleichzusetzen. Die vorliegenden Urteile zur Bewertung der Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit beträfen lediglich den Arbeitsentgeltanspruch bzw. die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Diese seien auf das BEEG nicht zu übertragen.
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Das Landesverwaltungsamt wies die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 30. August 2018 und 20. Februar 2019 zurück (Widerspruchsbescheid vom 19. August 2019). Das vorläufig gezahlte Elterngeld Plus sei zurückzufordern. In den einzelnen Lebensmonaten des Kindes habe die Klägerin tatsächlich folgende Stunden gearbeitet:
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14. Mai bis 13. Juni 2017: 132,48 Stunden (zulässig 110-133 Stunden),
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14. Juni bis 13. Juli 2017: 147,36 Stunden (zulässig 107-129 Stunden),
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14. Juli bis 13. August 2017: 170,54 Stunden (zulässig 110-133 Stunden),
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14. August bis 13. September 2017: 156,48 Stunden (zulässig 110-133 Stunden).
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Danach sei die maximal zulässige Arbeitszeit von 30 Wochenstunden im 16., 17. und 18. Lebensmonat überschritten worden. Selbst die Auswertung der in den Arbeitszeitnachweisen als IST-Stunden geführten Arbeitszeit ergebe eine Überschreitung im 17. und 18. Lebensmonat (137 Stunden und 144 Stunden). Deshalb sei die Beklagte gehalten gewesen, die Bewilligung der Partnerschaftsbonusmonate aufzuheben und das hierfür gezahlte Elterngeld zurückzufordern.
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21
Am 6. September 2019 hat die damals noch unvertretene Klägerin beim Sozialgericht Halle (SG) Klage „gegen den Widerspruchsbescheid vom 19. August 2019“ erhoben. Im Rahmen des BEEG könne nicht maßgeblich sein, dass Bereitschaftsdienstzeiten als Arbeitszeit gelten würden. Auch soweit sie hierfür Entgelt bezogen habe, würden diese Zeiten nur als Arbeitszeit gewertet bzw. in eine andere Vergütung als die für tatsächliche Arbeit umgerechnet. Dementsprechend seien die Bereitschaftsdienstzeiten von dem Umfang der aufgezeichneten Stunden abzuziehen. Anhand des Geburtenbuches der Klinik habe sie nachvollzogen, in welchem Umfang sie während des Bereitschaftsdienstes tatsächlich gearbeitet habe. Auf dieser Grundlage ergebe sich im 16., 17. und 18. Lebensmonat eine Erwerbstätigkeit im Umfang von 111, 132 und 132 Stunden.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf eine während des Klageverfahrens eingeholte Auskunft der Arbeitgeberin vom 13. November 2020 verwiesen, wonach die Klägerin während des Bereitschaftsdienstes in der Klinik habe anwesend sein müssen. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes zähle nach dieser Auskunft als Arbeitszeit unabhängig davon, ob ein Mitarbeiter die ganze Zeit gearbeitet oder Ruhephasen gehabt habe. Die Zeiten des Bereitschaftsdienstes würden entweder auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben oder im Folgemonat pauschal vergütet.
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Mit Urteil vom 21. September 2021 hat das SG, dem in der mündlichen Verhandlung formulierten Antrag folgend, „den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2019“ aufgehoben, „soweit eine Erstattung der Partnerschaftsbonusmonate i.H.v. 1215,68 Euro geltend gemacht wird“. Insoweit sei die Festsetzung des Beklagten rechtswidrig. Nicht als Zeiten der Erwerbstätigkeit seien die Zeiten anzusehen, in denen sich die Klägerin im Bereitschaftsdienst ohne Tätigkeit befunden habe. Dies ergebe sich auch aus der hier noch nicht einschlägigen Regelung des § 4b BEEG. Darin habe der Gesetzgeber das Problem des Bereitschaftsdienstes aufgegriffen. Maßgeblich seien daher nur die wirklich geleisteten Arbeitsstunden.
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Gegen das ihr am 29. Oktober 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. November 2021 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Bereitschaftszeiten als Zeit der Erwerbstätigkeit zu werten seien und der hierfür geleistete Lohn zu berücksichtigendes Einkommen darstelle.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Halle von 21. September 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Es könne nicht sein, dass sie dafür bestraft werde, dass sie ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Mit der Berücksichtigung der für die Bereitschaftszeiten erzielten Löhne verstoße das BEEG gegen die Verfassung, insbesondere ihr Recht auf freie Berufsausübung und das allgemeine Benachteiligungsverbot, weil sie als Mutter dreier Kinder die Erwerbstätigkeit und Erziehung vereinbaren müsse. Es könne auch nicht sein, dass ihr Mann ebenfalls Elterngeld zurückzahlen müsse, obwohl er die Stundenobergrenze eingehalten habe. Es stelle sich zudem die Frage, warum das neue Recht nicht auch für Altfälle wie ihren gelte. Hierin liege ein klarer Verstoß gegen die allgemeine Gleichbehandlung. Das Gesetz hätte eine Härtefallregelung enthalten müssen. Sie habe sich dem Bereitschaftsdienst nicht entziehen können. Für das ärztliche Personal in Krankenhäusern seien derartige Dienste üblicher Bestandteil des Arbeitslebens. Sie könnten bei Berücksichtigung der Bereitschaftsdienste nicht von den Möglichkeiten zur Teilzeittätigkeit profitieren. Im Übrigen sei eine reine Bereitschaft zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht mit einer Erwerbstätigkeit gleichzusetzen.
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30
Der Vorsitzende hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass auch der Bescheid vom 20. Februar 2019 Gegenstand des Klageverfahrens und des Urteils sei. Die Beteiligten haben daraufhin übereinstimmend erklärt, er solle auch Gegenstand des Berufungsverfahrens sein.
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31
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 21. September 2021 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein 4. Senat | Schleswig-Holstein | 1 | 0 | 23.06.2016 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin wendet sich gegen Gebührenzuschläge für die in ihrem Schlachtbetrieb im Monat März 2010 bei Schweinen bzw. Schweinefleisch durchgeführten Schlachttier- und Fleischuntersuchungen sowie Trichinenuntersuchungen vor 6.00 Uhr und nach 18.00 Uhr. Im Streitzeitraum sah das Gebührenverzeichnis des Beklagten vom 22. Januar 2008 eine Gebühr von 2,07 Euro für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung einschließlich Hygienekontrollen in EG-Schlachtbetrieben mit öffentlichem Fleischhygieneamt bei Hausschweinen einschließlich der Untersuchung auf Trichinen vor. Die Gebühr erhöhte sich um bis zu 100 %, wenn die Amtshandlung auf Verlangen zwischen 18.00 und 7.00 Uhr, in Großbetrieben zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr, an Sonnabenden nach 15.00 Uhr durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 19. April 2010 verlangte der Beklagte von der Klägerin einen Zuschlag von 1,76 Euro (= 85 % von 2,07 Euro) pro Schwein, d.h. bei 13.353 Schweinen einen Gesamtbetrag von 23.501,28 Euro.
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Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage. Die landesrechtlichen Gebührenvorschriften genügten dem Gesetzesvorbehalt. Tatbestand und Höhe der Gebühr seien in der Gebührenverordnung hinreichend genau bezeichnet. Nicht zu beanstanden sei, dass dort lediglich ein Gebührenrahmen vorgesehen sei und die Festsetzung der konkreten Gebührensätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliege. Einer Bestimmung der Gebührenhöhe durch Gesetz habe es nicht bedurft. Das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts bestehe bei einer Abweichung von gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen einheitlichen Pauschalsätzen. Hier seien unionsrechtlich jedoch nur Mindestgebühren festgelegt, sodass die Möglichkeit einer Erhebung höherer Gebühren nicht von vornherein ausgeschlossen sei.
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Die Gebührenerhebung entspreche auch der Form und der Höhe nach unionsrechtlichen Vorgaben. Die zuständigen Behörden seien befugt, kostendeckende Gebühren in Abweichung von den Mindestgebühren festzusetzen. Den unionsrechtlichen Vorgaben lasse sich weder ein Pauschalierungsverbot noch die Forderung nach einzelbetrieblicher Abrechnung entnehmen. Zwar dürfe die Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs erhoben werden. Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen dürften nur dann in die Gebühr einfließen, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Vorgabe ändere aber nichts daran, dass es sich um eine „Gebühr“ handele, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt werde und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls.
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Der Beklagte habe die zu erhebenden Gebühren anhand einer Vorauskalkulation ermitteln dürfen. Bedenken mit Blick auf die gemeinschaftsrechtliche Beschränkung auf tatsächlich anfallende Kosten bestünden nicht, da der Beklagte am Ende eines Wirtschaftsjahres die verbrauchten Kosten abrechne und gegebenenfalls entstandene Überschüsse bei der anstehenden Vorauskalkulation berücksichtige.
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Der von der Klägerin verfolgte hypothetische Kostenansatz ziele auf die Beurteilung der Erforderlichkeit des Umfanges amtlicher Kontrollen ab. Diesbezüglich komme indes den für die Durchführung der amtlichen Kontrollen zuständigen Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum über das „Wie“ der vorzunehmenden amtlichen Kontrollen zu. Dieser Spielraum sei nur daran zu messen, ob der kalkulierende Normgeber sich von sachlich nicht zu rechtfertigenden Erwägungen habe leiten lassen. Das von der Klägerin eingereichte Parteigutachten beschränke sich ausgehend von der Mindestuntersuchungszeit von 50 Sekunden pro Tier auf eine für angemessen erachtete Untersuchungszeit von 88 Sekunden. Die Mindestuntersuchungszeit gebe indes für eine Kostenüberschreitung nichts her. Durch die nicht näher spezifizierte Beaufschlagung der Mindestuntersuchungszeiten für einen Teil der durchzuführenden Kontrollaufgaben werde der erforderliche Gesamtaufwand nicht vollständig erfasst. Dies betreffe insbesondere die Personalkosten.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin.
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Die Klägerin macht geltend, der Gebührenbescheid könne nicht auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, da der Gebührenrahmen der Gebührenverordnung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße. Die Kalkulation nach dem Prinzip der Kostenüberdeckung/Kostenunterdeckung widerstreite dem Unionsrecht. Die Gebührensätze des Beklagten seien nicht mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar, da eine aufwandsgerechte Untersuchungsgebühr einen Gebührensatz von 1,07 Euro pro Schwein im Betrieb der Klägerin nicht hätte überschreiten dürfen. Die Einrechnung von mittelbaren Kosten in die Gebühr sei unzulässig. Indem der Beklagte der Klägerin keine einzelbetriebliche Abrechnung erteilte habe, habe er gegen das Pauschalierungsverbot verstoßen.
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Nachdem die Klägerin im Berufungsverfahren zunächst eine 6%ige Verzinsung gefordert hat, beantragt sie nunmehr zu erkennen:
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1. Auf das Rechtsmittel der Berufung wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 14. März/30. Oktober 2013 abgeändert und der Gebührenbescheid des Beklagten vom 19. April 2010 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 aufgehoben.
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2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Zustellung der Klageschrift vom 7. Oktober 2010 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, aufgrund der spezifizierenden Gebührenrahmen der Gebührenverordnung sowie der gesetzlichen Vorgaben beruhe der Bescheid auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genüge. Weite Gebührenrahmen seien oftmals unvermeidlich. Das Unionsrecht fordere keine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung und verbiete nicht die Einstellung von Verwaltungsgemeinkosten in die Kalkulation. Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot einer indirekten Gebührenrückerstattung liege nicht vor, weil dieses den bei der Erstellung einer Kalkulation vorgenommenen Überdeckungsausgleich als bloß rechnerischen Vorgang nicht erfasse. Die Vornahme eines solchen Ausgleichs stehe in Einklang mit der Zulässigkeit einer Vorauskalkulation. Ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sei nicht gegeben. Das Parteigutachten der Klägerin setze sich nicht mit der Kalkulation des Beklagten auseinander, sondern beinhalte lediglich eine Zweitkalkulation.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. | Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 30. Oktober 2013 geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 19. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2010 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.501,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2010 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 1 |
AG Schöneberg | Berlin | 1 | 0 | 26.04.2010 | 0 | Randnummer
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Die Verfügungskläger zu 1) und 2) bewohnen die in der S. Straße in B. gelegene 6 Zimmerwohnung nebst Küche, Korridor, Toilette und Toilette mit Bad/Dusche und einem Kellerraum mit einer Größe von 197 qm. Der Verfügungskläger zu 1) mietete die Wohnung ausweislich des schriftlichen Mietvertrages vom 7. April 1970 von dem damaligen Vermieter. Der Verfügungsbeklagte ist Rechtsnachfolger dieses Vermieters. Der Mietzins beträgt derzeit 1.059,62 € brutto kalt zzgl. 160,00 € Heizkosten. Die Versorgung der Wohnung mit Strom und Gas ist nicht Bestandteil des Mietvertrages.
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Die Verfügungsklägerin zu 2) ist die Ehefrau des Verfügungsklägers zu 1) und wohnt in der Liegenschaft seit 1982.
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Die Mietparteien stritten um Mängelbeseitigungsansprüche. Im Zuge dieses Prozesses kündigte der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger zu 1) wegen Eigenbedarfs. Mit dem Teilurteil des Amtsgerichts Schöneberg zum Geschäftszeichen 109 C 134/07 wies das Amtsgericht zunächst die Räumungsklage gestützt auf die Eigenbedarfskündigung des Verfügungsbeklagten zurück. Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten hin, änderte das Landgericht Berlin mit dem Urteil vom 24.11.2009 zum Geschäftszeichen 63 S 125/08 das Teilurteil des Amtsgerichts dahingehend ab, dass der Verfügungskläger zu 1) die Wohnung zu räumen habe. Dem Verfügungskläger zu 1) wurde eine Räumungsfrist bis zum 31.03.2010 gewährt.
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Bei dem BGH ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil anhängig, aber noch nicht beschieden.
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Mit Schreiben vom 2.3.2010 forderte der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger zu 1) auf, mitzuteilen, wann die Räume geräumt übergeben werden. Er wies des Weiteren darauf hin, dass im Falle der nicht freiwilligen Herausgabe die Räumung vollstreckt werde.
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Am 12.03.2010 stellte der Verfügungskläger einen Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist um 9 Monate, da es ihm auf Grund der Lage auf dem Wohnungsmarkt und dem gesundheitlichen Zustand der Verfügungsklägerin zu 2) nicht möglich wäre, eine neue Wohnung in der bewilligten Räumungsfrist zu finden. Über den Verlängerungsantrag ist noch nicht entschieden.
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Ein Räumungstitel gegen die Verfügungsklägerin zu 1) liegt derzeit noch nicht vor. Ein Räumungsverfahren ist anhängig.
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Mit Schreiben vom 22.03.2010 forderte der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger zu 1) auf, dem Verfügungsbeklagten Zutritt zu den Räumlichkeiten zu gewähren, damit diese besichtigt werden können im Hinblick auf die notwendig durchzuführenden Erhaltungsmaßnahmen. Darüber hinaus teilte der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger zu 1) mit, dass am 1. April 2010 alle Versorgungsleitungen zu der Wohnung im Erdgeschoss gekappt werden, damit die Sanierungsarbeiten im Souterrain beginnen können.
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Die Verfügungskläger zu 1) und 2) haben am 25.03.2010 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt mit folgenden Anträgen: dem Antragsgegner aufzugeben, die Versorgung der Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft S. Straße in B., mit Wasser und Heizung über den 31.3.2010 zu gewährleisten und sicherzustellen. Dem Antragsgegner ferner aufzugeben, über den 31.3.2010 hinaus die Zentralheizung des Hauses S. Straße so zu betreiben, dass in der Erdgeschoss gelegenen Wohnung der Antragsteller zwischen 6.00 Uhr und 23.00 Uhr eine Temperatur von 20 Grad C und von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr eine Temperatur von 17 Grad C erreicht werden kann. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Funktion der technischen Einrichtungen zur Stromversorgung des Hauses S. Straße in B. über den 31.3.2010 hinaus zu gewährleisten, so dass die Wohnung der Antragsteller im Erdgeschoss des Hauses mit Strom versorgt werden kann. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Funktion der technischen Einrichtungen zur Gasversorgung des Hauses S. Straße in B. über den 31.3.2010 hinaus zu gewährleisten, so dass die Wohnung der Antragsteller im Erdgeschoss des Hauses mit Gas versorgt werden kann. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die Versorgungsleistungen für Gas zur Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft S. Straße in B. zu unterbrechen oder die Versorgung mit Gas in sonstiger Weise zu beeinträchtigen. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die Versorgungsleistungen für Strom zur Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft S. Straße in B. zu unterbrechen oder die Versorgung mit Strom in sonstiger Weise zu beeinträchtigen. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die Versorgungsleistungen für Wasser zur Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft S. Straße in B. zu unterbrechen, die Versorgung mit Wasser in sonstiger Weise zu beeinträchtigen oder die Entsorgung des Abwassers zu beeinträchtigen. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die Versorgungsleistungen für die Heizung zur Wohnung im Erdgeschoss der Liegenschaft S. Straße in B. zu unterbrechen , die Versorgung mit Heizenergie in sonstiger Weise zu beeinträchtigen. Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine der vorstehenden Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
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Das Amtsgericht hat am 26.03.2010 die einstweilige Verfügung hinsichtlich des Verfügungsklägers zu 1) mit folgendem Inhalt erlassen und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen:
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Dem Antragsgegner wird hinsichtlich des Antragstellers zu 1) aufgegeben, über den 31.03.2010 hinaus bezüglich der von den Antragstellern bewohnten Wohnung im Erdgeschoss des Hauses S. Straße in B.
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I. die Versorgung mit Wasser und Heizung zu gewährleisten und sicher zu stellen, insbesondere
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1. die Zentralheizung so zu betreiben, dass in der Wohnung des Antragstellers zwischen 6 Uhr und 23 Uhr eine Temperatur von +20 Grad C und von23 Uhr bis 6 Uhr eine Temperatur von +17 Grad C erreicht werden;
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2. es zu unterlassen, die Versorgungsleitungen für die Heizung zu unterbrechen oder die Versorgung mit Heizenergie in sonstiger Weise zu beeinträchtigen.
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3. es zu unterlassen, die Versorgungsleitungen für Wasser zu unterbrechen, die Versorgung mit Wasser oder die Entsorgung des Abwassers in sonstiger Weise zu beeinträchtigen;
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II. die Funktion der technischen Einrichtungen zur Stromversorgung des Hauses zu gewährleisten, so dass die Wohnung des Antragstellers mit Strom versorgt werden kann, insbesondere es zu unterlassen, die Versorgungsleitungen zur Wohnung des Antragstellers zu unterbrechen oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen
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III. die Funktion der technischen Einrichtungen zur Gasversorgung des Hauses zu gewährleisten, so dass die Wohnung des Antragstellers mit Gas versorgt werden kann, insbesondere es zu unterlassen, die Versorgungsleitungen zur Wohnung des Antragstellers zu unterbrechen oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen
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IV. dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine der vorstehenden Verpflichtungen und Unterlassungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 €, für den Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht.
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V. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2. wird der Antrag zurückgewiesen.
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VI. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners haben die Antragstellerin zu 2) und der Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1) trägt der Antragsgegner, die der Antragstellerin zu 2) sie selbst.
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Gegen diese einstweilige Verfügung, zugestellt an den Verfügungsbeklagten am 30.3.2010, hat der Verfügungsbeklagte am 1.4.2010 Widerspruch eingelegt.
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Der Verfügungskläger zu 1) meint,
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ein Zurückbehaltungsrecht an den Versorgungsleistungen stünde dem Verfügungsbeklagten nicht zu, da keine Mietrückstände bestünden. Dem Vermieter entstünde hier kein Schaden. Die beabsichtige Kappung stelle eine Verletzung nachvertraglicher Pflichten dar. Im Übrigen sei die Verfügungsklägerin zu 2) an Depressionen erkrankt. Die vermeintliche Räumung und Besitzaufgabe beeinträchtige die Verfügungsklägerin zu 2) dergestalt, dass sie suizidal sei.
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Der Verfügungskläger zu 1) beantragt,
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die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg aufrechtzuerhalten.
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Der Verfügungsbeklagte beantragt,
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27
den Antrag des Verfügungsklägers zu 1) vom 25.3.2010 unter Aufhebung der einstweiligen Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg vom 26.03.2010 zurückzuweisen.
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Der Verfügungsbeklagte meint,
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eine nachvertragliche Pflicht der Versorgung der Wohnung mit Wärme, Strom, Gas und Wasser bestehe nicht; dies würde ausschließlich den Interessen des Mieters dienen. Vorliegend sei die Verzögerung der Räumung durch die Verfügungskläger treuwidrig. Die Kündigung des Mietverhältnisse stamme vom 30.4.2007. Seit dieser Zeit hätten sich die Verfügungskläger um Ersatzwohnraum bemühen müssen. Die Familie des Verfügungsbeklagte warte sei knapp 3 Jahren auf die Eigennutzung der Immobilie, dies unter Berücksichtigung der beengten Lebensverhältnisse der Schwester des Verfügungsbeklagten mit einer 5köpfigen Familie mit einem schwerstbehinderten Kind. Die Erdgeschoss und Souterrainwohnung sollen zur gemeinsamen Nutzung zusammengelegt werden. Ein weiteres Zuwarten sei ihnen nicht zuzumuten. Die unbeschränkte nachvertragliche Verpflichtung zur Gewährleistung der Versorgung führt zu einer Unterstützung der rechtwidrig innegehaltenen Position der Räumungspflichtigen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihren Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. | 1. Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Schöneberg vom 26.3.2010 zum Geschäftszeichen 5 C 49/10 wird aufrechterhalten.
2. Der Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungsbeklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungskläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Thüringer Landessozialgericht 6. Senat | Thüringen | 0 | 1 | 25.05.2010 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab dem 1. September 2001 hat.
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Die am 1950 geborene Klägerin absolvierte nach eigenen Angaben von September 1964 bis Juli 1967 eine Lehre zur Fachverkäuferin Elektrowaren und arbeitete bis Oktober 1970 in diesem Beruf. Danach war sie von Februar 1979 bis Mai 1980 als Mitarbeiter Poststelle, von Juni 1980 bis Mai 1985 als Förderberater Kader, von April 1988 bis Juli 1990 als Mitarbeiter Lohnbüro, von Dezember 1990 bis Juli 1991 als Kassiererin und Verkäuferin tätig. Von Januar 1992 bis Juli 1993, August 1993 bis November 1995, Juni 1997 bis Oktober 1998 und zuletzt Juli bis September 1999 arbeitete sie als Handelsvertreterin beziehungsweise Außendienstmitarbeiterin. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos.
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Im August 2001 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte u.a. ein orthopädisches Gutachten des Dr. M. vom 13. Dezember 2001 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) und ein internistisches Gutachten des Dr. Sch. vom 21. Mai 2002 (leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr möglich) ein und lehnte mit Bescheid vom 11. Juni 2002 die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2003 zurück.
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Nach Klageerhebung hat das Sozialgericht u.a. diverse Befundberichte der behandelnden Ärzte, die Akte des Arbeitsamtes Erfurt, ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 15. Dezember 2004 (Az.: L 6 RJ 544/03), eine Arbeitgeberauskunft vom 8. September 2003 bezüglich der Tätigkeit von Juli bis September 1999 sowie die Anstellungsverträge vom 16. Mai und 24. Dezember 1997 beigezogen und ein orthopädisches Gutachten von Dr. W. vom 16. Mai 2005 eingeholt. Die Sachverständige hat als Diagnose eine retropatellar betonte Arthrose der Kniegelenke mit subjektiven Beschwerden, ein chronisch zervikales und lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom ohne Funktionseinschränkungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte und ohne neurologische Defizite bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, eine chronisch rezidivierende Sehnenscheidenentzündung am linken Handgelenk mit leichter Funktionseinschränkung und ein Hallux valgus beiderseits mit Einschränkung der Beweglichkeit der Großzehengrundgelenke diagnostiziert. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr ohne Zwanghaltungen, insbesondere ohne Überkopfarbeiten, ohne Hebe- und Bückarbeit als Dauerleistung mit maximaler Hebebelastung von fünf Kilogramm als Einzelleistung, ohne Absturzgefahr, nicht auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft verrichten.
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Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2007 abgewiesen.
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Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, sie leide bereits seit ihrer Kindheit an erheblichen Beschwerden im Bereich der Füße und der Wirbelsäule. Die Beschwerden im Bereich der Kniegelenke hätten sich in den letzten Jahren verschlechtert. Hinzu gekommen seien erhebliche Beschwerden im Bereich der Schultergelenke. Sie genieße Berufsschutz als Facharbeiter, insbesondere habe sie zuletzt Facharbeitertätigkeiten verrichtet.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. November 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. September 2001 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Berichterstatterin des Senats hat im Erörterungstermin am 30. Mai 2008 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Die Klägerin hat einen Auszug aus dem Handbuch der Berufe/Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis in das Verfahren eingeführt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte und ein berufskundliches Gutachten der H. J. vom 6. Juni 2004 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) zur Tätigkeit einer Poststellenmitarbeiterin beigezogen. Auf Antrag der Klägerin hat er nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein orthopädisches Gutachten des Dr. W. vom 10. Februar 2009 eingeholt, in dem dieser folgende Diagnosen stellt: fortgeschrittene Retropatellararthrose mit lateralem Hyperpressionssyndrom beidseits, Gonarthrose beidseits, chronische Cervicobrachialgie mit Radikulärsyndrom C 7 und C 8 beidseits bei Osteochondrosis vertebrae, Spondylosis deformans, Einengung des Spinalkanals und der Neuroforamina sowie Bandscheibenprotrusionen im Bereich der HWS, chronisches Pseudoradikulärsyndrom beidseits bei Spondylose, Spondylarthrose und mehrsegmentalen Bandscheibenprotrusionen sowie Bandscheibenvorfall L 4/5, Impingementsyndrom und Kalkeinlagerungen im Bereich der Supraspinatussehne und ACG-Arthrose rechts, Tendopathie beide Handgelenke ohne Funktionsstörungen, Impingementsyndrom und Partialruptur der Supraspinatussehne links, Metatarsalgie bei Knick-Senk-Spreiz-Fuß beidseits mit Arthrose im Großzehengrundgelenk beidseits, Hallux valgus beidseits, Zustand nach Chevron-Metatarsal-Osteotomie links, Krallenzehbildung 2 rechts. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, unter weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten. Die täglich mögliche Wegstrecke gebe die Klägerin mit 2 x 500 Metern an.
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In seinem orthopädischen Gutachten vom 23. November 2009 hat Dr. Sch. die Diagnosen Arthrosis deformans beider Kniescheibengelenke in Verbindung mit einer Petalle subluxans (linksbetont), Arthrose der Wirbelgelenke der unteren LWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, im Wesentlichen noch alterstypische Verschleissveränderung der unteren HWS ohne funktionelles oder neurogenes Defizit, Schultereckgelenkarthrose rechts und Kalksalzeinlagerungen der Rotatorenmanschette rechts mit fraglich endgradiger Bewegungsstörung, Spreizfuß beidseits mit X-Feststellung der Großzehen und initialen Arthrosen der Großzehengrundgelenke, erhebliche Adipositas, überaus ausgeprägte Leidensbereitschaft und Mitteilungsbedürftigkeit erhoben. Die Klägerin könne noch leichte bis punktuell mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden täglich, auch als Poststellenmitarbeiterin, verrichten. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2010 hat sich Dr. Schröter nochmals mit dem Gutachten des Dr. Wünsche auseinander gesetzt.
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Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 8. November 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
ArbG Hamburg 16. Kammer | Hamburg | 0 | 1 | 22.06.2011 | 1 | Randnummer
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Die Parteien streiten – zuletzt nur noch – um die Bezahlung von Überstunden und Urlaubsabgeltung.
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Die Beklagte betreibt in Hamburg eine Kochschule, in der Firmen, Gruppen und Kochinteressierte unter Anleitung kochen und essen. Auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 5. Dezember 2008 (Anlage B 1, Bl. 49 ff. d. A.) ist die Klägerin ab dem 15. Januar 2009 als Counter-Managerin bei der Beklagten angestellt gewesen. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
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"
§ 2 Arbeitsverpflichtung
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I. Die Arbeitnehmerin übt schwerpunktmäßig die folgenden Tätigkeiten aus:
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- Allgemeine Bürotätigkeiten
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- Planung und Vorbereitung von Veranstaltungen und Events
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- Kundenberatung und –betreuung
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- Verkauf von Veranstaltungen
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- Kundenakquise
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- Verwaltung des Veranstaltungskalenders
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- Inhaltliche Pflege der Homepage
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- Erstellung von Rechnungen und Angeboten
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- Vorbereitung von Buchhaltungsdaten
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- Gästebetreuung während der Veranstaltungen in der Kochschule
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- Unterstützung, Beaufsichtigung und Anleitung des Servicepersonals während der Veranstaltungen in der Kochschule
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- Unterstützung des Kochs/der Köche bei ihren Tätigkeiten (ausdrücklich abgesehen von der Kochtätigkeit selbst)
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…
II.
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Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich ohne Pausen. Die Verteilung der Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Regelungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebes.
III.
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Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet, im Rahmen der betrieblichen Erfordernisse Überstunden, sowie Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit zu leisten. Durch die in § 3 geregelten Arbeitsvergütung sind evtl. Überstunden mit abgegolten. …
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§ 3 Arbeitsvergütung
I.
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Die Arbeitnehmerin erhält im ersten Jahr ihrer Tätigkeit ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von € 2.200,-. Am Ende des ersten Jahres wird das Bruttoentgelt erfolgsabhängig neu verhandelt.
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…
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§ 13 Ausschlussklausel
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Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit diesem in Verbindung stehen, sind innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verfallen. …"
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Wegen des vollständigen Textes des Arbeitsvertrages wird auf die Anlage B 3, Bl. 49 ff. d. A. verwiesen.
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Die Kochschule wurde am 28. Februar 2009 eröffnet. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 15. Oktober 2010. Zwischen den Parteien ist streitig, ob während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Überstunden der Klägerin Gegenstand von Besprechungen zwischen den Parteien gewesen sind.
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Mit ihrer am 2. Februar 2011 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Bezahlung von 1013 Überstunden sowie die Abgeltung des Jahresurlaubs 2010.
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Die Klägerin trägt vor:
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Die Kochschule sei an den Werktagen von 10:00 Uhr bis 19:00 Uhr geöffnet gewesen. In dieser Zeit habe sie 9 der arbeitsvertraglich ihr zugewiesenen Tätigkeiten erledigt wie allgemeine Bürotätigkeiten sowie Vor- und Nachbereitung von Veranstaltungen und Events. Wegen der Einzelheiten der tagsüber von der Klägerin erledigten Aufgaben wird auf ihre Darstellung im Schriftsatz vom 21. April 2011 verwiesen.
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Die Kochkurse und Events selber hätten immer erst um 19:00 Uhr begonnen. Im Anschluss an die von ihr tagsüber geleisteten Arbeiten habe sie dann während der Kochkurse die ihr außerdem vertraglich zugewiesenen Aufgaben wie Gästebetreuung, Unterstützung und Anleitung des Servicepersonals sowie Unterstützung des Kochs erledigt. Nur ihre Tätigkeiten von 1 – 9 seien während der regelmäßigen Arbeitszeit ab 10:00 Uhr morgens zu erledigen gewesen. Die anderen Aufgaben hätten außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ausgeführt werden müssen, wie sich aus der Natur der Tätigkeit selbst ergebe. Immer dann, wenn also ein Kochkurs durchgeführt werden sollte, habe sich für sie an die regelmäßige Arbeitszeit die nächste Schicht angeschlossen.
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Überstunden seien auch thematisiert worden. So habe es Meetings gegeben, bei denen darüber gesprochen worden sei, dass Überstunden anfielen. Dies sei etwa dem Meeting-Protokoll vom 8. März 2010 (Anlage K 4, Bl. 130 d. A.) zu entnehmen. Außerdem hätten im Februar 2010 auch Verhandlungen mit der Beklagten über eine Provision stattgefunden, die als "Dankeschön" für zusätzlich geleistete und noch zu leistende Tätigkeiten hätte gezahlt werden sollen. Den Entwurf eines Zusatzvertrages betreffend die Zahlung einer Umsatzprovision (Anlage K 5, Bl. 131 d. A.) habe sie allerdings nicht unterzeichnet.
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Insgesamt habe sie 1013 Überstunden geleistet. Aus der von ihr beigefügten Anlage K 3 (Bl. 74 – 179 d. A.) ergebe sich, für welchen Kalendertag sie welche Zeiten als regelmäßige Arbeitszeiten bzw. als Überstunden berücksichtigt habe. Aus ihrem Bruttomonatsentgelt von € 2.200,00 errechne sich ein Stundenlohn von € 12,69 €. Für 1013 Überstunden ergebe sich der mit der Klage zu 1 geltend gemachte Zahlungsbetrag.
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Außerdem stehe ihr Urlaubsabgeltung zu. Arbeitsvertraglich sei ein Jahresurlaub von 24 Werktagen festgelegt gewesen. Im Jahr 2010 habe sie keinen Tag Urlaub genommen. Es errechne sich als Urlaubsabgeltung der mit der Klage zu 2 eingeklagte Betrag. Diesen habe sie außergerichtlich mit gewerkschaftlichem Schreiben vom 20. Oktober 2010 (Anlage K 2, Bl. 161 d. A.) geltend gemacht.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 12.854,97 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 2.030,77 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. November 2010 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor:
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Es sei unrichtig, dass die Klägerin die behaupteten Überstunden geleistet hätte. Die Kochkurse seien außerordentlich schleppend angelaufen. Im Jahr 2009 habe die Auslastung höchstens 35 Prozent betragen. Deswegen sei es schwierig gewesen, die eingestellten Vollzeitkräfte tatsächlich vollschichtig zu beschäftigen. Vor diesem Hintergrund hätten die Parteien die Verteilung der Arbeitszeit flexibel gestaltet. Der Arbeitsvertrag sehe ausdrücklich keine Kernarbeitszeit vor. Wegen der fehlenden Auslastung seien Überstunden weder erforderlich gewesen, noch angeordnet oder geduldet worden. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass bei dem Meeting vom 8. März 2010 (Anlage K 4) über Überstunden gesprochen worden sei. Unbestritten sei der Geschäftsführer der Beklagten bei dem Meeting nicht anwesend gewesen. Hinsichtlich der Umsatzbeteiligung sei es zwar richtig, dass man darüber nachgedacht habe, jedoch ausschließlich zum Ansporn und zur Motivation für die Mitarbeiter.
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Im Übrigen wäre ein wesentlicher Teil der geltend gemachten Überstundenvergütung aufgrund der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist verfallen.
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Auch die geltend gemachte Urlaubsabgeltung sei wegen der Ausschlussfrist nicht begründet. Das gewerkschaftliche Schreiben der Klägerin vom 20. März 2010 beziehe sich ausdrücklich nicht auf Urlaubsabgeltung, sondern auf ausstehenden Urlaub aus 2010 von 24 Arbeitstagen. Nach der Rechtsauffassung der Beklagten stelle der Urlaubsanspruch jedoch ein aliud zum Urlaubsabgeltungsanspruch dar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf die vorbereitend gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 2.030,77 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. November 2010 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Streitwert beträgt € 14.885,74.
4. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 13/17, die Beklagte zu 4/17.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes.
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Die 1983 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter der 2018 geborenen H. (im Folgenden: H). Vor der Geburt ihrer Tochter war die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin bei der M. International GmbH beschäftigt und daneben seit dem 21.01.2014 als selbständige Rechtsanwältin zugelassen. Die Klägerin erhielt vom 06.05. bis zum 12.08.2018 Mutterschaftsgeld und einen Arbeitgeberzuschuss dazu; sie ist privat krankenversichert.
3
Die Klägerin beantragte am 01.08.2018 bei der Beklagten für die ersten 12 Lebensmonate ihrer Tochter (12.06.2018 bis 11.06.2019) Basiselterngeld. Auf den nachgereichten Erklärungsvordrucken vom 01.09.2018 teilte sie der Beklagten mit, dass die Selbständigkeit fortgeführt werde, sie aber während des Bezugszeitraums nicht persönlich tätig sei. Es würden weiterhin Ausgaben anfallen. Ihr Gewinn belaufe sich im Zeitraum vom 12.06.2018 bis zum 11.06.2019 auf 0,00 EUR. Für den 3. Lebensmonat legte die Klägerin eine Arbeitgeberbescheinigung vor, wonach für den 13.08. bis 09.09.2018 noch 6.592,64 EUR (Urlaubs- und Gleitzeitabbau) ausgezahlt würden.
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Mit Bescheid vom 27.09.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin vorläufig Basiselterngeld. Nach Anrechnung der Mutterschaftsleistungen kam im 1. und 2. Lebensmonat kein Elterngeld zur Auszahlung, für den 3. Lebensmonat wurden 1.442,68 EUR und für den 4. bis 12. Lebensmonat wurden monatlich 1.490,77 EUR bewilligt.
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Mit Schreiben vom 10.03.2019 zeigte die Klägerin der Beklagten die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit bei der M. International GmbH ab dem 12.04.2019 an, nunmehr in Teilzeit (28 Stunden pro Woche). Nach der Arbeitgeberbescheinigung vom 11.04.2019 erhielt die Klägerin für die Zeit vom 12.04. bis 11.06.2019 (11. und 12. Lebensmonat) insgesamt Einkommen iHv 9.987,86 EUR.
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Mit Änderungsbescheid vom 25.04.2019 setzte die Beklagte das Elterngeld vorläufig für den 3. Lebensmonat von H (12.08.2018 bis 11.09.2018) auf 1.028,60 EUR und für den 4. bis 12. Lebensmonat auf monatlich 1.062,89 EUR neu fest. Dabei entstand eine Überzahlung in Höhe von 3.837,12 EUR.
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Hiergegen erhob die Klägerin am 28.04.2019 Widerspruch. Sie war der Auffassung, die Beklagte lege ihre Einkünfte zu Unrecht auf die 12 Lebensmonate ihres Kindes um. Vielmehr seien verschiedene Zeiträume im Bezugszeitraum zu bilden, einerseits mit und andererseits ohne Erwerbseinkommen. So sei sie nur im 3., 11. und 12. Lebensmonat ihres Kindes einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe Einkünfte hieraus erzielt. In den Lebensmonaten 4 bis 10 sei sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe auch kein Einkommen aus einer solchen erzielt. Auch wenn sie ihre Rechtsanwaltszulassung nicht zurückgegeben habe, folge daraus nicht, dass sie in dieser Zeit einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit nachgegangen sei.
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Die Beklagte führte mit Schreiben vom 21.05.2019 eine Anhörung durch und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2019 zurück. Alle Bezugsmonate mit Einkommen aus nichtselbständiger und selbständiger Arbeit seien als eine Einheit zu betrachten, selbst wenn sie nicht zusammenhängend seien. Auch wenn das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit 0,00 EUR betragen habe, sei das Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit im 3., 11. und 12. Lebensmonat auf alle Bezugsmonate gleichmäßig zu verteilen.
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Hiergegen richtet sich die am 15.07.2019 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Die Beklagte habe zu Unrecht wegen der Beibehaltung der Zulassung als Rechtsanwältin für alle Bezugsmonate eine Berechnung nach § 2 Abs 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) vorgenommen. § 2 Abs 3 BEEG sei nur für Lebensmonate anzuwenden, in denen die berechtigte Person Einkommen aus Erwerbstätigkeit habe. Das Bundessozialgericht (BSG 04.09.2013, B 10 EG 18/12 R) habe bereits entschieden, dass die Vorschrift nicht anwendbar sei, wenn nur negative Einkünfte erzielt worden seien. Das Elterngeld müsse daher neu berechnet werden.
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Mit Urteil vom 15.11.2019 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 27.09.2018 und 25.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.06.2019 verurteilt, der Klägerin für H für die Zeit vom 12.08. bis 11.09.2018 (3. Lebensmonat) und 12.04. bis 11.06.2019 (11. und 12. Lebensmonat) Elterngeld iHv monatlich 312,99 EUR sowie für den Zeitraum vom 12.09.2018 bis zum 11.04.2019 (4. bis 10. Lebensmonat) Elterngeld iHv 1.800 EUR zu gewähren. Die hier streitige Höhe des Elterngeldes richte sich nach § 2 BEEG. Abs 3 der Vorschrift regele die Konstellation, dass der Elterngeldberechtigte in einem oder mehreren Lebensmonaten des Kindes im Bezugszeitraum Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit habe. Die Klägerin habe vom 1. bis 10. Lebensmonat von H zwar keine abhängige, aber eine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Ab dem 11. Lebensmonat sei sie auch wieder mit 28 Stunden wöchentlich abhängig beschäftigt gewesen. Allein das Innehaben einer Zulassung als Rechtsanwalt genüge für die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit. § 2 Abs 3 BEEG gelte nur für solche Monate, in denen überhaupt Erwerbseinkommen bezogen werde und es sich hierbei um positive Einkünfte handele. Würden nur negative Einkünfte erzielt, sei die Vorschrift nicht anwendbar. Gemessen daran habe die Einkommensberechnung für die Lebensmonate 3, 11 und 12 nach § 2 Abs 3 BEEG und für die Lebensmonate 4 bis 10 nach § 2 Abs 1 BEEG zu erfolgen. Für die Tätigkeiten sei eine getrennte Betrachtung vorzunehmen. Monate mit nur Negativeinkünften seien nach § 2 Abs 1 BEEG zu behandeln und stünden dann für eine Durchschnittsberechnung nach Abs 3 nicht weiter zur Verfügung. Der horizontale Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten sei ausgeschlossen. Jedes andere Ergebnis wäre grundrechtsrelevant und führte zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung zwischen freiberuflichen Selbständigen und anderen selbständig Tätigen. Erstere wären gezwungen, ihre Zulassung zurückzugeben und später wieder zu beantragen, um in den Genuss höheren Elterngelds zu kommen. Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) sei ein Ruhen der Zulassung nicht vorgesehen.
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Gegen das ihr am 25.11.2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.12.2019 eingelegte Berufung der Beklagten. Das Urteil des SG sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlerhaft und verstoße gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung. Das BSG habe die Anwendbarkeit von § 2 Abs 1 BEEG ausdrücklich auf die Fälle beschränkt, in denen im Bezugszeitraum ausschließlich negative Einkünfte erzielt worden seien (04.09.2013, B 10 EG 18/12 R). Hier habe die Klägerin aber unstreitig im 3., 11. und 12. Lebensmonat positive Einkünfte von insgesamt 16.580,50 EUR erzielt. Auch nach der genannten BSG-Entscheidung sei der Anwendungsbereich von § 2 Abs 3 BEEG daher eröffnet. Auch in den übrigen Monaten habe sie zudem die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin und niedergelassene Rechtsanwältin ausgeübt und hier Einkünfte iHv 0 EUR erzielt. Das SG habe zu Recht ausgeführt, dass das Innehaben einer Zulassung für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit ausreiche. Das gelte jedoch auch für die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin. Nach § 46 Abs 2 Satz 2 BRAO bedürfe der Syndikusrechtsanwalt zur Ausübung der Tätigkeit einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Der Bundesgerichtshof (BGH 18.03.2019, AnwZ (Brfg) 6/18) habe ausdrücklich entschieden, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit der in § 46 BRAO vorausgesetzten Ausübung der Syndikusrechtsanwaltstätigkeit jedenfalls nicht entgegenstehe. Es gelte auch die Kanzleipflicht. Die Klägerin habe selbst angegeben, dass die Kanzlei fortgeführt werde, ohne dass persönliche Tätigkeit und Ausgaben hierfür anfielen. An diesen Angaben müsse sie sich festhalten lassen. Im Widerspruch zu den Angaben vom 10.08. und 01.09.2018 habe die Klägerin unter dem 10.08.2019 angegeben, sie habe ihre Tätigkeit bereits seit 11.06.2018 aufgegeben. Dies sei nachweislich falsch. Mit ihrem Internetauftritt auf Linkedin und j. habe die Klägerin weiter Werbung betrieben. Auch habe die Anwaltszulassung weiterbestanden, es sei auch kein Antrag auf Befreiung von der Kanzleipflicht wegen Kinderbetreuung gestellt worden. Der Klägerin könnten nicht nur die sich aus der Fortführung der Anwaltstätigkeit ergebenden persönlichen Vorteile zustehen, sie müsse sich auch die daraus resultierenden Nachteile entgegenhalten lassen. Dass keine aktive Tätigkeit erfolgt sei, sei unbeachtlich. Damit sei von der durchgehenden Ausübung beider Tätigkeiten auszugehen und die Anrechnung der Einkünfte richte sich einheitlich nach § 2 Abs 3 BEEG. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei nur eine einheitliche Betrachtung aller Einkünfte im Bezugszeitraum möglich. Eine getrennte Betrachtung und Behandlung der Einkünfte aus den verschiedenen Einkunftsarten im Bezugszeitraum sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der eindeutige Wortlaut von § 2 Abs 1 Satz 3 BEEG entgegenstehe. Eine getrennte Betrachtung wäre auch weder mit der Systematik noch dem Grundsatz der Verwaltungsvereinfachung zu vereinbaren. Die Anrechnung der Einkünfte aus der fortbestehenden Tätigkeit als Rechtsanwältin mit null Euro stelle auch keinen unzulässigen vertikalen Verlustausgleich dar mit Einkünften aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit. Positive Einkünfte könnten auch Nulleinkünfte sein. Negativeinkünfte seien den Gewinnermittlungen für den Zeitraum 12.06.2018 bis 11.06.2019 nicht zu entnehmen, die Klägerin habe keine Betriebsausgaben angegeben. Ein horizontaler Verlustausgleich zwischen Einkommen derselben Einkunftsart sei ausdrücklich zugelassen. Entgegen der Auffassung des SG würde es die Klägerin gerade unangemessen bevorzugen, wenn die weitere Ausübung der Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin und Rechtsanwältin im Bezugszeitraum ignoriert werden müsste, obwohl nicht einmal eine Befreiung von der Kanzleipflicht beantragt worden sei.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.11.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Klägerin beantragt,
15
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die gesamte Diskussion, ob die Klägerin wegen Nichtrückgabe der Zulassung so zu behandeln sei, als habe sie im Bezugszeitraum eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, gehe an der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorbei. Die Voraussetzung „Einkommen aus Erwerbstätigkeit“ zur Abgrenzung des § 2 Abs 1 von Abs 3 BEEG werde als Tatbestandsmerkmal definiert. Die Klägerin habe in den Lebensmonaten 4 bis 10 kein Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit erarbeitet und auch keine Einkünfte ausbezahlt bekommen. Die Nichtrückgabe der Zulassung bzw Nichtbefreiung von der Kanzleipflicht stelle keine Ausübung der Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts dar. Die Berufsausübung eines angestellten Rechtsanwalts setze nach § 46 Abs 1 und 2 BRAO eine anwaltliche Tätigkeit für den Arbeitgeber voraus. Diese habe jedoch wegen der Elternzeit wie das gesamte Arbeitsverhältnis geruht. Von der Ausübung der Tätigkeit sei die Zulassung (§ 46a BRAO) ebenso wie das Innehaben einer Kanzlei (§ 27 BRAO) klar getrennt. Genau dies folge auch aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des BGH, dass Zulassung und Tätigkeit streng zu trennen seien und eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin während der Elternzeit gerade nicht ausgeübt werde. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die Klägerin wegen Kinderbetreuung einen Härtefallantrag nach § 29 Abs 1 BRAO hätte stellen müssen zur Befreiung von der Kanzleipflicht nach § 27 Abs 1 BRAO, sei nicht nachvollziehbar und soweit ersichtlich einzigartig. Die von der Beklagten geforderte Rückgabe der Zulassung hätte zur Folge, dass die Klägerin keine Beiträge mehr in das Versorgungswerk hätte abführen können mit der Folge von Rentenlücken und weiteren Kosten für die erneute Zulassung. Es bleibe dabei, dass die Klägerin in den streitigen Bezugsmonaten auch keiner selbständigen Rechtsanwaltstätigkeit mehr nachgegangen sei. Die zitierte Webseite „j…de“ sei ihr bislang völlig unbekannt gewesen. Ihr Profil bei Linkedin habe sie seit 2016 nicht mehr gepflegt bzw aktualisiert. Es werde bestritten, dass die Klägerin aktiv im Internet geworben habe. § 2 Abs 3 BEEG betreffe aufgrund seines klaren Wortlauts nur Monate, in denen die berechtigte Person Einkommen aus der Erwerbstätigkeit habe. Zwar unterfielen auch solche Monate der Vorschrift, in denen Null- oder Negativeinkünfte erzielt würden. Dies gelte aber nicht, wenn ausschließlich innerhalb derselben Einkunftsart Null- oder Negativeinkünfte erzielt worden seien. Unstreitig dürfte inzwischen sein, dass die Klägerin wegen Nichtrückgabe der Zulassung Negativeinkünfte gehabt habe wegen Zahlung der Berufshaftpflichtversicherung, der Kammerbeiträge und der Gebühren für die beA-Karte. Für die Lebensmonate 4 bis 10 komme daher § 2 Abs 1 BEEG zur Anwendung.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.11.2019 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für das Kind H. für die Zeit vom 12.08. bis 11.09.2018 (3. Lebensmonat) 290,32 EUR und 12.04. bis 11.06.2019 (11. und 12. Lebensmonat) Elterngeld iHv monatlich 300 EUR sowie für den Zeitraum vom 12.09.2018 bis zum 11.04.2019 (4. bis 10. Lebensmonat) Elterngeld iHv 1.800 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 5. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 07.06.2023 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Beklagten zu 3).
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Die im Juni 1986 geborene Klägerin (verheiratet, zwei Kinder) begründete am 1. August 2003 ein Berufsausbildungsverhältnis mit der Anwaltssozietät C. & Coll., die in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben wurde. Nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung wurde sie ab 25. Juni 2006 als Fachangestellte übernommen. Das Monatsgehalt der Klägerin betrug bei einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden zuletzt € 1.226,59 brutto. Der Beklagte zu 3) ist inzwischen einziger Gesellschafter und alleiniger Eigentümer der Anwaltskanzlei. Er beschäftigt regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.
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Die Klägerin führte mit dem Beklagten zu 3) am 13., 15. und 16. September 2021 Gespräche. Sie bat um eine Gehaltserhöhung von monatlich € 300,00 netto (bei Steuerklasse 5), weil sie ein höheres Nettoeinkommen benötigte, um einen Kredit für einen beabsichtigten Hauskauf aufnehmen zu können. Einzelheiten sind streitig. Die Klägerin verließ am 16. September 2021 die Kanzleiräume eine Stunde vor dem regulären Arbeitsende und nahm ihre persönlichen Sachen mit. Nachmittags meldete sie sich telefonisch krank. Sie legte dem Beklagten zu 3) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihres Hausarztes Dr. med. W. für die Zeit vom 16. bis zum 30. September 2021 vor. Ab dem 1. Oktober 2021 war sie weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben.
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Mit Schreiben vom 20. September 2021, mit dem Briefkopf der Anwaltskanzlei versehen, kündigte der Beklagte zu 3) das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. März 2022. Die Klägerin ließ die Kündigung mit Anwaltsschreiben vom 27. September 2021 nach § 174 BGB zurückweisen. Daraufhin kündigte der Beklagte zu 3) mit Schreiben vom 13. Oktober 2021 das Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich zum 30. November 2021. Die Klägerin erhob gegen beide Kündigungen rechtzeitig Klage, die sie sowohl gegen die Anwaltssozietät mit unterschiedlichem Gesellschafterkreis (Beklagte zu 1) und 2)) als auch gegen den Beklagten zu 3) richtete.
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Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe den Beklagten zu 3) um eine Gehaltserhöhung gebeten, weil sie ein Haus kaufen wollte. Die Bank sei nur bereit gewesen, ihr mit einem um € 300,00 netto höheren Monatsgehalt einen Baukredit zu gewähren. Der Beklagte zu 3) habe sich in dem Gespräch am 16. September 2021 herablassend über ihre Wünsche geäußert und erklärt, er könne sich nicht vorstellen, dass ihr eine Bank einen Kredit gewähre. Abgesehen davon könne sie ja mehr arbeiten, dann bekomme sie vielleicht auch etwas mehr Geld. Die Art und Weise wie der Beklagte zu 3) mit ihr geredet habe, habe sie sehr verletzt. Durch die Aufregung habe sie starke Magen- und Unterleibsschmerzen bekommen und sich deshalb zu ihrem Hausarzt begeben, der sie krankgeschrieben habe.
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Die Klägerin hat - soweit zweitinstanzlich noch von Interesse - erstinstanzlich beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. September 2021 nicht aufgelöst wurde,
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Tatbestände endet und fortbesteht,
...
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6. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 13. Oktober 2021 nicht aufgelöst wurde.
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Die Beklagten zu 1) bis 3) haben beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten haben erwidert, Arbeitgeber der Klägerin sei der Beklagte zu 3). Die Klägerin habe am Vormittag des 13. September 2021 beim Beklagten zu 3) vorgesprochen und darum gebeten, "wegen des Arbeitsamtes" gekündigt zu werden. Sie benötige ein um € 300,00 netto höheres Monatsgehalt (bei Steuerklasse 5), damit ihr die Bank einen Immobilienkredit von € 800.000,00 gewähre. Sie wolle ihre Arbeitszeit nicht aufstocken und gehe von einem Bruttogehalt von € 2.000,00 für eine Halbtagstätigkeit aus. Der Beklagte zu 3) habe erwidert, er könne ohne Rücksprache mit dem Steuerberater hierzu keine Angaben machen. Am 15. September 2021 habe die Klägerin vom Beklagten zu 3) gefordert, ihr eine Bestätigung für die finanzierende Bank zu schreiben, dass sie monatlich € 300,00 netto mehr erhalte. Den entsprechenden Betrag solle er ihr überweisen, das erhaltene Geld werde sie ihm zurückgeben. Hierzu habe sich der Beklagte zu 3) nicht geäußert. Am 16. September 2021 habe die Klägerin nochmals die Bestätigung zur Vorlage bei der Bank erbeten. Der Beklagte zu 3) habe entgegnet, dass er sich an dem von ihr geplanten Eingehungsbetrug nicht beteiligen werde. Die Klägerin habe nochmals eine Gehaltserhöhung auf € 2.000,00 brutto gefordert. Der Beklagte zu 3) habe dem nicht zugestimmt. Nachdem die Klägerin das Büro verlassen habe, sei sie kurz danach zurückgekehrt und habe den Beklagten zu 3) gefragt, ob er das Arbeitsverhältnis jetzt kündige. Dies habe er verneint. Die Klägerin habe entgegnet, sie komme morgen nicht mehr, habe die Tür geschlossen, ihre persönlichen Sachen genommen und die Kanzlei ca. eine Stunde vor dem regulären Arbeitsende verlassen. Sie habe sich von ihren Kolleginnen verabschiedet und ihnen noch ein schönes Leben gewünscht. Gegen 15:00 Uhr habe sie angerufen und mitgeteilt, sie sei bis zum 30. September 2021 erkrankt. Am Folgetag habe sie eine Arbeitskollegin gebeten, ihr noch ein privates Schreiben (Einladung zum Elternabend) zu schicken sowie im Fristenbuch nachzusehen, ob dort persönliche Termine notiert seien.
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Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 21. September 2022 Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat nach Zeugenvernehmung des Hausarztes Dr. W. mit Urteil vom 21. September 2022 unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 3) durch die Kündigung vom 20. September 2021 nicht fristlos beendet wurde, sondern bis zum 31. März 2022 fortbestand. Die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 30. Oktober 2021 habe das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. November 2021 beendet, weil der Beklagte zu 3) die gesetzliche Kündigungsfrist von sechs Monaten einhalten müsse. Für die außerordentliche Kündigung vom 20. September 2021 bestehe kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Der beweisbelastete Beklagte zu 3) habe für seine bestrittene Behauptung, die Klägerin habe von ihm verlangt, sich an der Begehung eines Betrugs zum Nachteil einer Bank zu beteiligen, keinen Beweis angeboten. Die Klägerin habe am 16. September 2021 weder die Arbeit verweigert noch eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Der Hausarzt der Klägerin habe bei seiner Zeugenvernehmung bekundet, dass sich die Klägerin am 16. September 2021 in seiner Praxis vorgestellt und über Hüftschmerzen sowie über Unterbauchschmerzen mit Ausstrahlung in die Beine geklagt und erklärt habe, sie könne schlecht laufen. Er sei von einem Bandscheibenleiden ausgegangen und habe die Klägerin vom 16. bis 30. September 2021 krankgeschrieben. Da sich die Klägerin im Kleinbetrieb des Beklagten zu 3) nicht gegen die ordentliche Kündigung wehren könne, habe das Arbeitsverhältnis am 31. März 2022 sein Ende gefunden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 21. September 2022 verwiesen.
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Gegen das am 31. Oktober 2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 3) mit einem am 30. November 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 31. Januar 2023 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 begründet.
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Er führt aus, die außerordentliche Kündigung vom 20. September 2021 sei wirksam. Das Arbeitsgericht habe festgestellt, dass die Klägerin auf seinen substantiierten Vortrag lediglich geäußert habe, sie habe ihn nicht zu einem Eingehungsbetrug aufgefordert. Dies sei kein substantiiertes Bestreiten und allenfalls eine rechtliche Würdigung ihres Prozessbevollmächtigten. Dies ändere jedoch an dem unstreitigen Vortrag nichts. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, er sei beweisbelastet geblieben, sei rechtlich nicht vertretbar. Das Arbeitsgericht hätte einen Hinweis erteilen müssen. Vorsorglich biete er zum Beweis des bereits unstreitigen Vortrags seine Parteivernehmung an. Ebenso unzutreffend seien die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur behaupteten Erkrankung der Klägerin. Die Klägerin habe ihren Arbeitsplatz am Vormittag des 16. September 2021 während der Arbeitszeit verlassen, sich von ihren Kolleginnen verabschiedet, ihre persönlichen Dinge mitgenommen und ihm gegenüber geäußert, sie komme nicht mehr. Dies sei unstreitig. Hierin liege eine Arbeitsverweigerung, die die fristlose Kündigung rechtfertige. Es sei rechtlich unerheblich, was die Klägerin Stunden nach dem Vorfall gemacht habe. Sie könne mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihr Fehlverhalten nicht „heilen“, um weiterhin Geld zu bekomme. Das Arbeitsgericht habe den Nachweis einer Erkrankung zutreffend als erschüttert angesehen, auch wenn es hierauf nicht ankomme, weil die Arbeitsverweigerung am Vormittag begangen worden sei. Was der behandelnde Arzt nachmittags bescheinigt habe, sei ohne Relevanz. Der behandelnde Arzt sei im Übrigen auf Antrag der Klägerin vernommen worden, nicht auf seinen Antrag. Wenn das Arbeitsgericht nicht habe feststellen könne, ob eine Erkrankung vorgelegen habe oder nicht, sei die Klägerin beweisbelastet geblieben. Sie habe lediglich Schmerzen im Bereich des Magens und des Unterleibs vortragen lassen. Nach den Bekundungen des Arztes habe sie sich bei ihm mit Schmerzen in beiden Hüften mit Ausstrahlung in die Beine vorgestellt. Dies habe mit den vorgetragenen Magen- und Unterleibsschmerzen absolut nichts zu tun. Vor der Vernehmung des Hausarztes habe er beantragt, diesen nach § 384 ZPO zu belehren, dass er keine Angaben machen brauche, wenn er sich selbst belaste. Diese Belehrung sei unterblieben. Bei sachgerechter Belehrung hätte der Arzt keine Angaben gemacht. Vorsorglich beantrage er diesbezüglich die Zulassung der Revision. Der Zeuge habe der Klägerin offenkundig ein Gefälligkeitsattest ausgestellt. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt behauptet oder vorgetragen, dass sie einen Bandscheibenvorfall erlitten habe, sondern lediglich Magen- und Unterleibsschmerzen. Im Gütetermin sei noch der theatralische Ausspruch „mein Magen“ erfolgt. Das Arbeitsgericht sei an den Vortrag der Parteien gebunden. Offensichtlich habe noch nicht einmal die Klägerin selbst gewusst, warum sie krankgeschrieben worden sei. Es bleibe weiterhin bestritten und werde bezweifelt, dass sie überhaupt bei dem behandelnden Arzt vorstellig geworden sei. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Vorgehensweise des Arztes nicht nachvollzogen werden könne. Die Art der Behandlung habe nicht ansatzweise medizinischen Grundsätzen entsprochen. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es nichts zu behandeln gegeben habe. Die Klägerin habe lediglich Schmerzen vortragen lassen. Das Vorliegen von Schmerzen könne ein Arzt naturgemäß nicht feststellen. Der Zeuge habe bestätigt, dass er nicht in den Menschen hineinschauen könne. Da der Arzt auf Antrag der Klägerin vernommen worden sei, sei sie insoweit beweisbelastet geblieben. Die Arbeitsverweigerung und die getätigten Äußerungen rechtfertigten allein die außerordentliche Kündigung. Das nachgereichte Attest helfe der Klägerin nicht.
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Der Beklagte zu 3) beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21. September 2022, Az. 1 Ca 1305/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Wegen des Inhalts der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. September 2022 Bezug genommen. | 1. Die Berufung des Beklagten zu 3) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21. September 2022, Az. 1 Ca 1305/21, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
SG Marburg 16. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 21.06.2017 | 1 | Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise einer individuellen Beratung wegen Überschreitung der Richtgröße für Heilmittelverordnungen des Jahres 2010.
Der Kläger ist seit April 2009 als Chirurg mit dem Schwerpunkt Gefäßchirurgie in A-Stadt niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Im Rahmen eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens hatte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) mit Bescheid vom 03.12.2012 aufgrund der Überschreitung der Richtgröße Heilmittel im Jahr 2010 gegenüber dem Kläger eine individuelle Beratung festgesetzt. Den entsprechenden Widerspruch des Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2014 aufgrund des Beschlusses vom 18.09.2013 zurückgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger am 07.03.2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben. Die Klage (S 16 KA 121/14) wies das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017, in derselben mündlichen Verhandlung wie der der vorliegenden Sache, zurück.
Die Prüfungsstelle hatte mit dem Kläger einen Termin zur individuellen Beratung am 11.11.2014 um 9:00 Uhr vereinbart. Nachdem der Kläger telefonisch am 30.10.2014 mitgeteilt hatte, dass er diesen Termin aus familiären Gründen unmöglich werde wahrnehmen können, vereinbarte die Prüfungsstelle mit ihm einen neuen Termin, nämlich den 25.11.2014 um 9:00 Uhr. Die individuelle Beratung wurde dann zum genannten Termin von Frau C., einer Mitarbeiterin der Prüfungsstelle mit der Qualifikation als Physiotherapeutin, gegenüber dem Kläger in Anwesenheit seiner Bevollmächtigten durchgeführt. Der Kläger bestätigte die Durchführung auf einem entsprechenden Vordruck der Prüfungsstelle (Bl. 277 der Verwaltungsakte).
Unter dem Datum des 11.12.2014 erhielt der Kläger eine schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung (Bl. 278-279 der Verwaltungsakte). Dieses 21-seitige Dokument gliedert sich in folgende Teile: A. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten allgemeinen Themen, B. Eine Wiedergabe der statistischen Ausgangslage, C. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten speziellen Themen und schließlich eine Zusammenfassung der Empfehlungen der Prüfungsstelle.
Gegen diese schriftliche Zusammenfassung legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 18.11.2015 Widerspruch ein (Bl. 329 der Verwaltungsakte). Zu dessen Begründung ließ er vortragen:
Bei der individuellen Beratung handele es sich nicht um einen reinen Realakt, sondern einen Verwaltungsakt, gegen den ein Widerspruch zulässig sei, was näher ausgeführt wurde.
Der Widerspruch richte sich gegen die inhaltliche Unrichtigkeit der Beratung. Die individuelle Beratung sei durch Frau C. durchgeführt worden. Frau C. sei Physiotherapeutin. Streitgegenständlich im Rahmen der individuellen Beratung sei jedoch insbesondere die Frage der medizinischen Indikation der vom Kläger ausgestellten Verordnung und Verordnungsdauer in Bezug auf die manuelle Lymphdrainage in Verbindung mit der anschließenden Kompressionsbandagierung sowie der Verordnung als Teil der komplexen physikalischen Entstauungstherapie gewesen. Hierbei ging es insbesondere in jedem einzelnen Punkt um die medizinische Indikation der Verordnung. Es werde beanstandet, dass insbesondere angesichts der besonderen Spezialisierung des Klägers im Bereich der Gefäßchirurgie die individuelle Beratung nicht durch einen Fachkollegen, der ebenfalls in diesem Schwerpunkt tätig ist, durchgeführt worden sei, sondern durch eine Physiotherapeutin.
Diese sei allein von ihrer beruflichen Ausbildung überhaupt nicht in der Lage, zur medizinischen Indikation verbindliche Aussagen zu treffen. Es sei gerade nicht Aufgabe des Physiotherapeuten über die medizinische Indikation der entsprechenden Maßnahmen zu entscheiden. Vielmehr sei dies originäre Aufgabe des Arztes. Nur dieser sei in der Lage und aufgrund seiner Qualifikation berechtigt, die medizinische Indikation für die Verordnung von manuellen Lymphdrainagen zu treffen.
Es fehle im vorliegenden Fall deshalb an einer wirksamen individuellen Beratung, die irgendeine Rechtswirkung gegenüber dem Kläger entfalten könne.
Überdies sei die durchgeführte individuelle Beratung im Wesentlichen durch die Wiedergabe der Heilmittelrichtlinien und allgemeine Aussagen zur generellen Verordnungsfähigkeit der hier interessierenden Maßnahmen geprägt gewesen. Sodann sei ein statistischer Vergleich in Bezug auf die hohe Verordnungsdichte und das hohe Verordnungsaufkommen beim Kläger erfolgt. Dies aber könne nicht Inhalt einer individuellen Beratung seien. Die Auffälligkeit im Vergleich zur Vergleichsgruppe sei bereits im Richtgrößenprüfungsverfahren Gegenstand des Verfahrens gewesen. Inhalte der individuellen Beratung könne nur die Überprüfung und medizinische Diskussion im Hinblick auf die individuelle medizinische Indikation der verordneten Maßnahmen beinhalten. Dies aber habe schon deshalb nicht stattfinden können, weil die beratende Person eine Physiotherapeutin war. Konkrete individuelle Beratungsinhalte habe es nicht gegeben.
Schließlich beinhalte auch die auf Seite 20 angegebene Zusammenfassung nur allgemeine Aussagen zur Verordnung. Eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers und seinen Verordnungen hätten gerade nicht stattgefunden.
Auch die Feststellung, dass die MLD-Ganzbehandlung nur in Ausnahmefällen erfolgen sollte und dass in der Regel eine MLD-45 ausreichend sei, schließe die Prüfungsstelle allein aus dem hohen Verordnungsverhalten des Klägers. Die medizinische Indikation, die Notwendigkeit dieser Verordnung sei in keinster Weise angesprochen oder diskutiert worden. Dies aber müsse Inhalt einer individuellen Beratung seien. Anhand von statistischen Auffälligkeiten könne eine solche nicht erfolgen.
Auch die Anmerkung, die Notwendigkeit der Anordnung von Hausbesuchen solle kritisch überprüft werden, gehe völlig an der Sache vorbei. Wenn aus medizinischer Sicht der Hausbesuch medizinisch indiziert sei, weil die Patientin nicht in der Lage sei, die Praxis bzw. Physiotherapiepraxis aufzusuchen, sei zwingend ein Hausbesuch anzuordnen. Dies habe nichts mit einem Rezeptwert oder einer Steigerung des Rezeptwerts oder besonders hohen Ausgaben zu tun. Es sei schließlich und allein danach zu fragen, ob eine medizinische Notwendigkeit bestehe. Sei diese gegeben, müsse zwingend auch ein Hausbesuch verordnet werden. Auch dieser Punkt zeige, dass die Beratung sich rein mit den statistischen Auffälligkeiten befasst und überhaupt nicht die medizinische Indikation in diesen Punkten hinterfragt und diskutiert habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit seinem Beschluss vom 11.05.2016 (vergleiche zur Niederschrift Bl. 334 der Verwaltungsakte) als unzulässig zurück. Im zugehörigen Bescheid vom 15.09.2016 (Bl. 339 der Verwaltungsakte) begründete er seine Entscheidung damit, dass es sich bei der individuellen Beratung nicht um einen Verwaltungsakt handele. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass an eine individuelle Beratung keine überspitzen Anforderungen gestellt werden dürften, so dass auch die inhaltlichen Beanstandungen nicht durchgriffen.
Hiergegen hat der Kläger am 17.10.2016 Klage erhoben.
Er vertritt die Rechtsauffassung, dass es sich bei der individuellen Beratung um einen Verwaltungsakt handelt. Mit der Übertragung der Verantwortung für die Information und Beratung der Vertragsärzte über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der verordneten Leistungen auf die Prüfgremien habe der Gesetzgeber die Vorstellung verbunden, erhebliche Wirtschaftlichkeitspotenziale zu aktivieren und die Versorgungsqualität zu verbessern. Ziel der Beratung sei es, eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Allerdings bestehe bei dem Kläger ein Schwerpunkt in der Gefäßchirurgie, woraus die Verordnung der manuellen Lymphdrainage resultiere. Diese seien auch medizinisch notwendig. Einsparpotenziale würden seitens des Klägers nicht gesehen. Sinngemäß wiederholt er seine Kritik aus dem Verwaltungsverfahren, insbesondere zur Qualifikation der Beraterin.
Der Kläger beantragt,
die schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung nach § 106 Abs. 5 S. 1 SGB V betreffend die Richtgrößenprüfung Heilmittel 2010 in Gestalt des Bescheid des Beschwerdeausschusses der Ärzte- und Krankenkassen in Hessen vom 15.09.2016 (Beschluss vom 11.05.2016) aufzuheben,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, eine ordnungsgemäße individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V in der Fassung vom 19.10.2012, gültig vom 26.10.2012 bis 31.12.2016, unter Bewertung therapeutischer Alternativen (Arzneimittel, Heilmittel, Operationen) durch das Prüfgremium unter Hinzuziehung eines Facharztes für Gefäßchirurgie zu erteilen,
hilfsweise,
eine solche durch einen Arzt zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der Auffassung fest, dass es sich bei der individuellen Beratung um einen Realakt handele.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. | 0 |
Sozialgericht für das Saarland 16. Kammer | Saarland | 1 | 0 | 29.01.2016 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um den Eintritt einer Sanktion beim Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesuchbuchs – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) in der Zeit von Dezember 2014 bis Februar 2015 in Höhe von 30 % der Regelleistung, somit um monatlich 105,90 € und insgesamt somit um 317,70 €.
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Die 1979 geborene Klägerin ist gelernte Bäckereifachverkäuferin. Ihr 1961 geborener Ehemann bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 527,29 €. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Merkzeichen „G“ anerkannt.
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Ab Februar 2013 stand die Klägerin bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 30. Juni 2014 wurden der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31.12.2014 vorläufig Leistungen in Höhe von 561,90 € bewilligt, die sich aus der Regelleistung in Höhe von 353 € sowie Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von 208,90 € zusammensetzten.
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Am 12.08.2014 schloss der Beklagte mit der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung ab. Diese hatte eine Geltungsdauer vom 12.08.2014 bis zum 11. Februar 2015. Es wurde vereinbart, dass die Klägerin in der Zeit vom 12.08.2014 bis zum 11.02.2015 mindestens 6 schriftliche Bewerbungsbemühungen im Abstand von 2 Monaten vorlegt. Wörtlich wurde ausgeführt: ,,Sie unternehmen vom 12.08.2014 bis 11.02.2015 mindestens 6 schriftliche Bewerbungsbemühungen alle 2 Monate um sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse und legen hierüber unaufgefordert folgende Nachweise vor: nur schriftliche Bewerbungen/schriftliche Rückmeldungen der Arbeitgeber (keine telefonischen Bewerbungen). …
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Konkrete Termine zum Nachweis der Eigenbemühungen:
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Zeitraum 12.08.2014 – 11.10.2014:
spätestens am 11.10.2014
Zeitraum 12.10.2014 – 11.12.2014:
spätestens am 11.12.2014
Zeitraum 12.12.2014 – 11. Februar 2014:
spätestens am 11.02.2015….‘‘
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Ferner wurde bzgl. etwaiger Kostentragung wie folgt wörtlich ausgeführt: ,,Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V. m. § 44 SGB III, sofern Sie diese zuvor beantragt haben. Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 SGB IIII durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde. Zur Unterstützung bei der Erstellung Ihrer Bewerbungsunterlagen, zur Hilfestellung bei der Stellensuche im Internet sowie Tagespresse und zur Erstellung Ihrer schriftlichen Bewerbungen wird Ihnen die Möglichkeit gegeben, das Bewerbertreff bei der ash, S.-Straße, N., aufzusuchen. Die anfallenden Kosten bei Inanspruchnahme des Bewerbertreffs werden nach Vorlage der Quittungen/oder Belege durch das Jobcenter N., F-straße übernommen. Flyer ausgehändigt. Die schriftlichen Bewerbungen können beim Jobcenter N., F-straße, vorgelegt werden und werden dann kostenlos versendet.‘‘
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Sonstige Regelungen zur Kostentragung erfolgten nicht. Im Übrigen enthielt die Eingliederungsvereinbarung eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung über den Eintritt von Sanktionen bei Nichterfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung.
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Am 12.08.2014 legte die Klägerin im Hinblick auf die der Eingliederungsvereinbarung vom 12.08.2014 vorausgegangene Eingliederungsvereinbarung vom 13.02.2014, mit der bereits ebenfalls entsprechende Eigenbemühungen verlangt worden waren, sechs Bewerbungen vom 07.08.2014 vor. Dabei handelte es sich um folgende Bewerbungen:
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- TJX Deutschland Ltd. & Co. KG,
- Caritasverband Sch.-B. e. V.,
- Personaldienstleistungen L. GmbH,
- Sachverständigen- und Planungsbüro R. H.,
- T. GmbH & Co. KG.
- Video Total Th. GmbH (Bl. 35 – 40 der Gerichtsakte <GA>).
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Für das erste Zeitintervall 12.08.2014 bis 11.10.2014 der am 12.08.2014 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung sind nach den vorliegenden Unterlagen keine Nachweise über die geforderten Eigenbemühungen vorhanden. Am 15.12.2014 konnte der Eingang von Nachweisen über fünf Eigenbemühungen festgestellt werden, alle datierend vom 11.12.2014 und betreffend die B. A. C. GmbH, die SSG. S. S. GmbH, die A. Gebäudereinigung e.K, die Niederlassung N. des DEKRA-Stellenmarktes sowie den N. Obsthandel. Am 11. Februar 2015 gingen Nachweise über drei Eigenbemühungen für das letzte Zeitintervall der genannten Eingliederungsvereinbarung ein.
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Mit Bescheid vom 14.11.2014 stellte der Beklagte gegenüber der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 28. Februar 2015 eine Minderung des Arbeitslosengeldes in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs fest. Daraus ergebe sich eine Minderung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 105,90 € monatlich. Der vorangegangene Bewilligungsbescheid vom 30. Juni 2014 werde insoweit für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.12.2014 in Höhe der oben genannten Minderung aufgehoben. Zur Begründung führte der Beklagte weiter aus, in der Eingliederungsvereinbarung vom 12.08.2014 sei vereinbart worden, dass die Klägerin ihre selbständigen Bemühungen zur Aufnahme einer Arbeit nachweisen müsse. Als Gegenstand dieser Eigenbemühungen seien zweimonatlich sechs Bewerbungsbemühungen vereinbart worden. Die Klägerin sei trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung nicht nachgekommen, da sie ihre Eigenbemühungen zum 11. Oktober 2014 nicht nachgewiesen habe. Sie habe trotz Aufforderung keine Gründe angegeben, die ihr Verhalten erklären und als wichtige Gründe anerkannt werden könnten.
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Mit Bescheid vom 01.12.2014 erfolgte die weitere vorläufige Leistungsbewilligung nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2015 bis Juni 2015 unter Berücksichtigung der genannten Sanktion in den Monaten Januar und Februar 2015.
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Gegen den Bescheid vom 14.11.2014 legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.11.2014 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, Tatsache sei, dass sie im August 2014 sechs Bewerbungen abgegeben habe und im Oktober 2014 drei Bewerbungen. Die Bewerbungen lägen dem Beklagten vor. Sie bewerbe sich auf alle in Frage kommenden Stellen. Sie könne sich natürlich nur auf Stellen bewerben, von denen sie auch Kenntnis erlange. Seitens des Beklagten seien ihr bisher keine Angebote bzw. nur völlig unbrauchbare Angebote überlassen worden. Der Bescheid werde als rein willkürlich angesehen.
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15
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2014 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin nach der Eingliederungsvereinbarung habe zweimonatlich sechs schriftliche Bewerbungsbemühungen vorlegen und diese spätestens am 11.10.2014, 11.12.2014 und 11.02.2015 habe vorlegen sollen. Das habe die Klägerin jedoch nicht gemacht. Die sechs Bewerbungen aus August seien vor dem 12.08.2014 erstellt worden und könnten deswegen nicht berücksichtigt werden.
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Zur Begründung ihrer am 20.01.2015 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, sie habe für den Zeitraum August bis Dezember 2014 für jeweils einen Monat drei Bewerbungen abgegeben. Ihr Ehemann habe im Oktober 2014 sechs Bewerbungen zu Händen der Sachbearbeiterin Mo. im Briefkasten im Foyer vor der Information eingeworfen. Ebenso habe er im Dezember 2014 sechs Bewerbungen bei dem Beklagten wie geschildert in den Briefkasten geworfen. Sie in der Regel das Porto für die Eigenbemühungen bekommen. Ob sie belehrt worden sei, dass ihr auch Fahrtkosten für den Nachweis von Eigenbemühungen erstattet würden, könne sie nicht mehr sagen. Ihr sei klar gewesen, dass sie am 12.08.2014 für die nächsten zwei Monate sechs neue Bewerbungen schreiben müsse. Sie habe gedacht, dass die Bewerbungen vom 07.08. für den Zeitraum 12.08. bis 11.10.2014 ausreichend sind. Sie könne sich nicht daran erinnern, ob sie vor August 2014 aufgefordert worden sei, Eigenbemühungen nachzuweisen. Alle Bewerbungen die sie damals geschrieben habe seien bei der ash geschrieben worden. Frau Mo. habe auch gesagt, sie solle vier Bewerbungen schreiben und sechs abgeben.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2014 bzgl. Dezember 2014 aufzuheben,
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den Bescheid vom 14.11.2014 in Verbindung mit dem Bescheid vom 01.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2014 bezüglich Januar und Februar 2015 zu ändern
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und den Beklagten zu verurteilen, ihr vom 01.12.2014 bis 28. 02.2015 Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs ohne Sanktion zu gewähren.
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21
Der Beklagte beantragt,
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22
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft er sich auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt er vor, dass ihm nicht bekannt sei, dass es mit dem Briefkasten im Bereich der Information in den Räumen des Beklagten in der Ringstraße in N. Probleme gebe. Auch könne ausgeschlossen werden, dass es zu einem Missverständnis gekommen sei derart, dass die Bewerbungen vom 07.08.2014 für die Zeit vom 12.08.2014 bis 11.10.2014 ausreichend seien, da in der Eingliederungsvereinbarung deutlich stehe, dass sechs Bewerbungen für die Zeit vom 12.08.2014 bis 11.10.2014 erforderlichen seien. Dies sei auch im Beratungsgespräch deutlich geworden. Auch die Aussage, dass die Klägerin vier Bewerbungen schreiben solle und sechs abgeben solle, sei nicht gemacht worden. Es bestehe die Möglichkeit in zwei Monaten mehr als sechs Bewerbungen zu schreiben. Aber als Nachweis der Eigenbemühungen genüge dann die Vorlage von sechs Bewerbungen. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass in der Eingliederungsvereinbarung klar definiert sei, dass Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen unterstützt werden. Zu diesen Kosten würden z.B. Kosten für Versand, Briefumschläge, Bewerbungsfotos, Papier, etc. zählen. Die Übersendung der Eigenbemühungen hätte auch per Post erfolgen können. Deswegen verlange die Eingliederungsvereinbarung auch gerade keine Meldung im Sinne von § 59 SGB II i.V.m. § 309 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung – (SGB III) und Kosten seien nicht zu erstatten.
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24
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E. A. und T. P.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13.11.2015 Bezug genommen. Auf Nachfrage bei dem Bewerbertreff der ash über die von der Klägerin dort in der Zeit vom 12.08.2014 bis 11.02.2015 erstellten Bewerbungen sind die bereits genannten fünf Bewerbungen vom 11. Februar 2014 sowie die Bewerbungen bei Ho. vom 5. Februar 2015 sowie bei der SWV GmbH ebenfalls vom 05.02.2015 vorgelegt worden. Ferner ist mitgeteilt worden, dass die Klägerin in der Zeit vom 12.08.2014 bis 11.10.2014 dort keine Bewerbungen geschrieben hat. Trotz Nachfrage des Gerichts wurden seitens der Klägerin auch keine Nachweise über Bewerbungen, die sie in der Zeit vom 12.08.2014 bis 11.02.2015 erstellt hat, vorgelegt. Auch die Frage des Gerichts nach der Art und Weise der Warmwasserbereitung vom 13.05.2015 wurde nicht beantwortet.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten (1 Band sowie 2 Hefter) der Grundlage der Entscheidungsfindung war, verwiesen. | 1.) Der Bescheid des Beklagten vom 14.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2014 wird bezüglich des Monats Dezember 2014 aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 14.11.2014 in Verbindung mit dem Bescheid vom 01.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2014 wird bzgl. der Monate Januar und Februar 2015 geändert und der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in den Monaten Dezember 2014 bis Februar 2015 weitere 105,90 € monatlich zu zahlen.
2.) Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3.) Die Berufung wird nicht zugelassen. | 1 |
LG Hamburg 24. Zivilkammer | Hamburg | 1 | 0 | 05.03.2010 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin ist die Witwe des im Jahr 2006 verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Herr S.. Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, betreibt seit 2005 das Videoportal www.y....com. Zum 8. November 2007 führte sie unter der Domain http.de.y....com ein entsprechendes Videoportal mit deutschsprachiger Benutzerführung ein, nachdem sie entsprechende Angebote zuvor bereits für einige andere Länder, zum Beispiel Frankreich, eingerichtet hatte. In diesen Videoportalen kann jedermann kostenlos die dort eingestellten Videos ansehen, und jeder registrierte Nutzer (wobei eine Registrierung ebenfalls kostenlos ist) kann auch Videos unmittelbar auf die Plattform laden, wobei vorab keine Kenntnisnahme, Sichtung, Vorauswahl oder Überprüfung seitens der Beklagten erfolgt. In dem Internetangebot unter www.y....com ist die Benutzerführung vollständig in englischer Sprache gehalten. Es können und konnten jedoch auch anderssprachige Videos bzw. Videos mit nicht-englischen Titeln eingestellt werden.
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2
Die Beklagte unternahm schon vor dem Start ihres deutschsprachigen Angebots keine Maßnahmen, um den Zugriff auf ihr Angebot von Deutschland aus zu verhindern, und wies auch nicht darauf hin, dass das Angebot nur für Nutzer aus den Vereinigten Staaten gedacht sei. Auf dem ursprünglichen US-amerikanischen Portal betrieb sie keine auf Deutschland ausgerichtete Werbung, sondern startete erst nach dem Deutschland-„Launch“ mit Vertriebs- und Marketingaktivitäten in Deutschland.
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3
Die Parteien streiten um eine Störerhaftung wegen Prüfpflichtverletzung der Beklagten bezüglich eines Videos (Anlage K 2, Screenshots Anlage K 1 bzw. Anlage zu diesem Urteil), das seit dem 3. Januar 2007 bei www.y....com und nach dem „Launch“ der deutschsprachigen Plattform auch dort abrufbar war. Dieser Videobeitrag wurde von einem unter „ P.“ registrierten Nutzer mit dem deutschsprachigen Titel „Dem Feuer übergeben“ eingestellt. In dem Beitrag ist ein Foto des verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Herr S. zu sehen, das in einer Schale aus Metall liegt. Hinter der Schale ist ein aus Legosteinen gefertigtes Hakenkreuz in schwarzer Farbe vor weißem und rotem Hintergrund aufgestellt. Das Foto wird von einer Person mithilfe eines Papierstreifens angezündet und verbrennt vollständig. Während dieses Vorgangs sind undefinierbare Geräusche zu hören, die teilweise wie ein Kichern klingen.
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Nach den Community-Richtlinien der Beklagten (Anlage B 4) dürfen die Nutzer unter anderem Videos mit bestimmten Inhalten (z.B. Videos, in denen Unfälle oder Leichen gezeigt werden) nicht hochladen und es darf niemand belästigt werden. Die Nutzer versichern gegenüber der Beklagten bei jedem Hochladevorgang, dass der hochgeladene Inhalt keine Rechte Dritter verletze.
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5
Ein Mechanismus der Selbstkontrolle der Beklagten ist das so genannte „Flagging“-System. Dieses System bietet registrierten Nutzern die Möglichkeit, mittels eines „Klicks“ auf eine Beschwerdekategorie einen Videobeitrag als unangemessen zu beanstanden. Bei Betätigung der „Flagging”-Funktion erscheint im ursprünglichen Dienstangebot unter www.y....com folgender Text: „This video is inappropriate – Please select the category that most closely reflects your concern about the video, so that we can review it and determine whether it violates our Community Guidelines or isn’t appropriate for all viewers. (…)“. Unter www.y....com standen im Juli 2007 sechs Kategorien zur Verfügung („Sexual Content“, „Violent or Repulsive Content“, „Hateful or Abusive Content“, „Harmful Dangerous Acts“, „Infringes My Rights“ und „Spam“), wobei der beanstandende Nutzer keine zusätzlichen Angaben eingeben konnte. Dem Nutzer wird nach dem „Flagging“ mitgeteilt, dass man einen Verstoß gegen die Community-Richtlinien prüfen werde.
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Vor der Einführung der deutschsprachigen Seite waren die Mitarbeiter der Beklagten, die die „Flagging“-Meldungen durchsahen, weder auf Besonderheiten des deutschen Marktes geschult, noch wurden deutschsprachige Mitarbeiter hierfür eingesetzt.
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7
Am 16. Juli 2007 wurde eine Mitarbeiterin des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Zeugin D., auf den streitgegenständlichen Videobeitrag aufmerksam und „flaggte“ ihn zwischen dem 16. und 23. Juli 2007 unter Verwendung eines Pseudonyms (nach den Angaben der Klägerin entweder unter Nutzung der Kategorie „shocking or disgusting content“ oder „hateful or abusive content“). Weitere Angaben enthielt dieses „Flagging“ nicht. Auf der Grundlage nur dieses „Flaggings“ sah der damalige Mitarbeiter der Beklagten, der zuverlässige und ordnungsgemäß angeleitete Zeuge L., in dem Video keinen Verstoß gegen die Community-Richtlinien der Beklagten (Anlage B 4), so dass die Meldung nicht zu einer Sperrung des Videos führte, jedoch aufgrund der erfolgten Sichtung als erledigt galt. In anderen Fällen führte die Vornahme eines „Flaggings“ durch die Zeugin D. zu Sperrungen der entsprechenden Videos.
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8
Am 27. August 2007 berichtete ein deutsches Fernsehmagazin kritisch über fremdenfeindliche Inhalte auf Y..... Am 25. Oktober 2007 kam es auf Initiative der Beklagten zu einem ersten Gespräch zwischen der Beklagten und Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland, in dem Möglichkeiten eines gemeinsamen Weges zur Verhinderung von Rechtsverletzungen insbesondere durch fremdenfeindliche und antisemitische Inhalte besprochen werden sollten. Das streitgegenständliche Video wurde bei diesem Treffen nicht angesprochen.
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Am 1. Februar 2008 informierte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland die Klägerin über das Video.
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Nach der Einführung der deutschsprachigen Plattform fand am 12. Februar 2008 ein zweites Gespräch zwischen der Beklagten und Vertretern des Zentralrats der Juden in Deutschland statt. Bei diesem Gespräch wies der Generalsekretär Kramer des Zentralrats der Juden in Deutschland die Vertreter der Beklagten auf das Video hin. Obwohl dem Zentralrat bereits ein Screenshot vorlag und die Klägerin eine am Abend des 12. Februar 2008 gefertigte Kopie zu den Akten gereicht hat (vgl. Anlage B 6), wurde der Beklagten auf Nachfrage eine genaue Internetadresse (URL) nicht mitgeteilt. Die Zeugin K.-R. durchsuchte für die Beklagte das Angebot auf der Plattform, fand das streitgegenständliche Video und meldete es selbst über das „Flagging“-System. Am Folgetag, dem 13. Februar 2008, wurde das Video durch die Beklagte von der Plattform entfernt, und es wurde über die so genannte MD5-Hash Technologie unmöglich gemacht, dass das identische Video erneut auf die Plattform geladen werden kann. Nachfragen der Beklagten, mit denen sie sicherstellen wollte, dass nun das im Gespräch erwähnte Video gesperrt war, wurden vom Zentralrat der Juden in Deutschland nicht beantwortet. Mit Schreiben vom 22. Februar 2008, das der Beklagten am 27. Februar 2008 zuging, mahnte die Klägerin ohne Angabe der URL des (bereits gelöschten) Videos die Beklagte in den USA ab (Anlage K 3). Die URL teilte sie der Beklagten am 27. Februar 2008 mit. Mit Schreiben vom 6. März 2008 lehnte die Firma G. im Auftrag der Beklagten die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung ab (Anlage K 4).
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11
Die Klägerin erwirkte unter dem 7. April 2008 eine einstweilige Verfügung der Kammer (Az. 324 O 197/08); es handelt sich vorliegend um das Hauptsacheverfahren.
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12
Die Klägerin behauptet, zum Zeitpunkt der Abmahnung sei das in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2009 seitens der Beklagten überreichte Impressum nicht abrufbar gewesen. Unter der Rubrik „Kontakt“ habe es lediglich ein vorgegebenes, elektronisches Kontaktformular gegeben, wobei nicht erkennbar gewesen sei, an wen genau die auf diesem Wege übermittelte Nachricht gesendet werden würde. Die frühere Anschrift der Beklagten habe sich nur den Nutzungsbedingungen (Anlage K 13) entnehmen lassen.
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13
Die Klägerin ist der Ansicht, die internationale Zuständigkeit folge aus § 32 ZPO, da jedenfalls seit dem deutschsprachigen Angebot eine bestimmungsgemäße Verbreitung in ganz Deutschland vorliege. Eine bestimmungsgemäße Verbreitung habe aber auch schon vor der Einführung der deutschsprachigen Seite vorgelegen. Für die Beklagte sei vorhersehbar gewesen, dass Nutzer das Angebot weltweit in Anspruch nehmen würden, da es das erste Angebot dieser Art gewesen sei und da (insoweit unstreitig) die Domain der ursprünglichen Seite (wie auch später die der deutschsprachigen Seite) mit „com“ (nicht „us“) endet. Der Umstand, dass die ursprüngliche Seite der Beklagten in englischer Sprache gefasst sei, sei unerheblich, da das Angebot vornehmlich an junge Leute gerichtet sei, die nahezu alle die englische Sprache in einem ausreichenden Maße beherrschten. Für die Nutzung der englischsprachigen Nutzerführung und das Verständnis der Community-Richtlinien, der Nutzungsbestimmungen und des Anmeldeprozesses seien Grundkenntnisse des Englischen völlig ausreichend. Dass Englisch als die im internationalen Rechts- und Wirtschaftsverkehr fast ausschließlich genutzte Weltsprache bei einer weltweit verfügbaren Webseite verwendet werde, sei nicht überraschend. Im Übrigen sei der überwiegende Teil der Videobeiträge auch ohne Kenntnis der Sprache oder der regionalen Besonderheiten verständlich und unterhaltsam.
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Für die bestimmungsgemäße Abrufbarkeit in Deutschland spreche auch der Umstand, dass die Beklagte (insoweit unstreitig) ihre Datenschutzbestimmungen (Anlage K 14) bereits am 19. Juni 2007, also vor dem Deutschland-„Launch“, aktualisiert hat.
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Der Klägerin stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts folge aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB, da das Video von Deutschland aus auf den Server der Beklagten übertragen wurde und im Übrigen der Verletzungserfolg in Deutschland als Wohnort der Klägerin eingetreten sei. Die Veröffentlichung des Videos verletze den grundlegenden Geltungsanspruch des verstorbenen Ehemannes der Klägerin. Das Video dokumentiere eine symbolhafte endgültige Auslöschung des Ehemanns der Klägerin durch Verbrennung seines Fotos, wobei sich Bezüge zur nationalsozialistischen Bücherverbrennung und zur Verbrennung von Leichen der Ermordeten in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern fänden. Dass ein Foto des Ehemannes der Klägerin als ehemals prominenter Vertreter des jüdischen Lebens in Deutschland verwendet wurde, stelle eine äußerst schwere Herabwürdigung dar, wobei darüber hinaus das von der Klägerin wahrgenommene Recht ihres verstorbenen Ehemanns am eigenen Bild gemäß § 22 KUG verletzt worden sei.
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Die Beklagte sei als Störerin auch passiv legitimiert, da sie willentlich und kausal an der Rechtsverletzung mitgewirkt habe, indem sie bewusst Speicherplatz zur Verfügung gestellt und dadurch die Verbreitung des Videos überhaupt erst ermöglicht habe.
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Die Beklagte habe die ihr obliegenden Prüfpflichten verletzt. Es sei sachgerecht und geboten, die Grundsätze des für die Haftung im Zusammenhang mit dem Betrieb von Verkaufsplattformen im Internet entwickelten und später auf Meinungsforen erweiterten so genannten gleitenden Sorgfaltsmaßstabes auf Videoportale zu übertragen. Angesichts des Umstandes, dass Personen aus rechtsradikalen, rechtsextremen oder neonazistischen Kreisen das Portal der Beklagten intensiv nutzten, um ihre Weltsicht zu verbreiten (vgl. auch Medienberichte, Anlage K 6), habe es der Beklagten klar sein müssen, dass Nutzer sich der von ihr bereitgestellten Plattform bedienen, um in ihren Videos gegen prominente Mitbürger jüdischen Glaubens zu hetzen. Vor diesem Hintergrund sei eine Vorabprüfung der übermittelten Videos notwendig gewesen; das von der Beklagten angewendete Verfahren, insbesondere das „Flagging“, sei nicht ausreichend gewesen.
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Eine solche Vorabprüfung sei der Beklagten angesichts ihres wirtschaftlichen Interesses und ihres hohen Börsenwertes auch zumutbar. Die Masse der Beiträge ändere hieran nichts, da sich der Betreiber eines solchen Angebotes nicht seinen Prüfpflichten entziehen könne, indem er es auf ein unkontrollierbares Maß anwachsen lasse. Die Vorabkontrolle sei auch technisch möglich. Die Beklagte verwende so genannte Filter, die die Videos der Nutzer (im Bereich der Videos mit pornographischen Inhalten erfolgreich) automatisiert überprüften und mit deren Hilfe ein Großteil der volksverhetzenden oder antisemitischen Videos ferngehalten werden könne.
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Im Rahmen der Abwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte einem Missbrauch ihres Angebots dadurch Vorschub leiste, dass sie eine weitgehend anonyme Nutzung ermögliche. Angesichts der geringfügigen Daten, die bei der Registrierung abgefragt werden (Email-Adresse und Geburtsdatum), sinke die Hemmschwelle, verbotene oder beleidigende Videos einzustellen.
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Vorliegend sei die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Ehemanns der Klägerin offensichtlich gewesen, es habe keiner gesonderten intensiven rechtlichen Prüfung bedurft.
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Unabhängig von der Verpflichtung der Beklagten zur Vorabkontrolle hafte sie jedenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen der Störerhaftung in Verbindung mit §§ 7, 10 Satz 1 Nr. 2 TMG. Ihrer Verpflichtung als Diensteanbieter, rechtswidrige Inhalte unverzüglich nach Erhalt eines Hinweises auf ihre Existenz zu löschen, sei sie nach dem „Flagging“ im Juli 2007 nicht nachgekommen.
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Bei der von der Beklagten eingerichteten Möglichkeit des „Flaggings“ handele es sich um eine von ihr selbst geschaffene Struktur, weswegen sie die über diese Struktur erteilten Hinweise auch ernst nehmen und diesen sorgfältig nachgehen müsse. Anderenfalls hätte sie die Nutzer explizit darauf hinweisen müssen, dass ein ernsthafter Hinweis auf anderen förmlichen Wegen bei ihr zugehen müsse. Dass die Beklagte das „Flagging“-System selbst so einrichtete, dass ein detaillierter Kommentar nicht abgegeben werde konnte, könne ihr nicht zu Gute kommen.
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Auch für einen amerikanischen Mitarbeiter, der den verstorbenen Herr S. oder seine Funktion nicht kannte, sei die durch das „Flagging“ beanstandete Rechtsverletzung aufgrund des gezeigten Vorganges und des in den USA als Symbol des Nationalsozialismus bekannten Hakenkreuzes erkennbar gewesen. Die Kenntnis des Mitarbeiters sei der Beklagten gemäß § 831 BGB zuzurechnen. Die Zurechnung folge aus dem Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer, wobei der Mitarbeiter Verrichtungsgehilfe sei. Wenn jedoch der Arbeitgeber für einen Verrichtungsgehilfen sogar auf Schadensersatz hafte, sei ihm erst recht auch die Prüfungspflichten auslösende Kenntnis eines Mitarbeiters von einem entsprechenden Sachverhalt zuzurechnen. Die Beklagte könne sich nicht exkulpieren; im Übrigen sei ihr ein eigenes Organisationsverschulden vorzuwerfen sei.
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24
Jedenfalls sei eine Verletzung der Prüfungspflichten darin zu sehen, dass die Beklagte im Rahmen des Deutschland-„Launches“ sämtliche, auch alle bereits geflaggten Videos übernommen habe, ohne insbesondere Beiträge, in denen das Hakenkreuz gezeigt wird, herauszufiltern.
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Die Wiederholungsgefahr sei durch die – späte – Entfernung des Videos nicht entfallen; im übrigen indiziere auch die Weigerung der Beklagten, eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, die Wiederholungsgefahr.
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Schließlich sei die Beklagte gemäß § 823 Abs. 1 bzw. § 823 Abs. 2 i.V.m. § 22 KUG als Schutzgesetz zur Zahlung der geltend gemachten Anwaltskosten für die vorgerichtliche Abmahnung (1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer nach einem Gegenstandswert von EUR 50.000,00) verpflichtet. Der Anspruch ergebe sich auch aus §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom zuständigen Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten, zu unterlassen,
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im Bereich der Bundesrepublik Deutschland den als Screenshot in Auszügen als Anlage K 1 beigefügten Videobeitrag des Users „ P.“ mit dem Titel „Dem Feuer übergeben“ auf der Video-Plattform „ Y....“ zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen;
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2. an die Klägerin 1.641,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, sie habe bereits zum Zeitpunkt der Abmahnung an prominenter Stelle ihrer Internetseite die Kontaktdaten sowie ein Impressum vorgehalten, wie dies später auf der deutschsprachigen Seite der Fall war (vgl. den in der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2009 überreichten Ausdruck).
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Die Beklagte hält die angerufene Kammer unter Bezugnahme auf etliche Gerichtsentscheidungen nicht für zuständig. Erst seit der Existenz der deutschsprachigen Version des Internetangebots erfolge ein möglicher Abruf der Internetseiten auch im Bezirk des Landgerichts Hamburg bestimmungsgemäß. Bis zum Deutschland-„Launch“ am 8. November 2007 habe es sich um ein rein US-amerikanisches Angebot gehandelt, das auf den deutschen Markt nicht ausgerichtet gewesen sei, sondern sich zunächst nur an US-Bürger gerichtet habe. Schon das äußere Erscheinungsbild der Seite spreche gegen eine Intention der Abrufbarkeit in Deutschland. Sämtliche Prozesse und Richtlinien seien auf den US-amerikanischen Markt ausgerichtet gewesen, die englische Sprache, die Bezugnahme auf Vorschriften des US-amerikanischen Rechts (Anlage B 8), die Präsentation von Inhalten mit besonderem Bezug zu den Vereinigten Staaten (vgl. Anlage B 9) usw. Auf der Internetseite www.y....com seien am 3. Juli 2007 die Länder durch Anzeige der jeweiligen Flaggen gekennzeichnet gewesen, auf die sich das Angebot zum damaligen Zeitpunkt erstreckt habe, darunter Frankreich, die Niederlande, Italien und Polen, aber nicht Deutschland. Die Aktualisierung der Datenschutzbestimmungen am 19. Juni 2007 habe sich nicht auf Deutschland bezogen; anlässlich des Deutschland-„Launchs“ seien lediglich die an den US-amerikanischen Markt gerichteten Datenschutzbestimmungen einschließlich ihres Stands übersetzt und die deutschsprachigen Datenschutzbestimmungen erst mit dem Deutschland-„Launch“ einsehbar gemacht worden.
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Aus Fairnessgründen müsse an die Intention der Beklagten angeknüpft werden, da ein Diensteanbieter die Möglichkeit haben müsse, sein eigenes Verhalten objektiv nach Maßgabe der Rechtsordnungen zu steuern, die für das Angebot vorhersehbar einschlägig sind. Vor dem Deutschland-„Launch“ habe die Beklagte nicht mit einer Anwendbarkeit des deutschen Rechts rechnen müssen.
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Es fehle auch an der Sachnähe des Landgerichts Hamburg, denn für eine Aufklärung der Geschehnisse rund um das „Flagging“ wäre eine Prüfung am Firmensitz der Beklagten in den Vereinigten Staaten erforderlich.
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Das deutsche materielle Recht sei nicht anwendbar. Nach dem Tatortprinzip gemäß Art. 40 Abs. 1 EGBGB komme es entscheidend auf das Recht des Handlungsortes, hier also das Recht der Vereinigten Staaten, an, wo – insoweit unstreitig – die Server, der Sitz und das Entscheidungszentrum der Beklagten belegen sind.
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Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch scheitere daran, dass die Beklagte nicht Störerin sei. Sie sei allenfalls technischer Verbreiter, also klassischer Intermediär, der Zugang zu Informationen und zu Märkten von Meinungen vermittele und (interaktive) Kommunikation ermögliche und fördere. Es fehle an der Willentlichkeit und an einer Adäquanz einer etwaigen Mitwirkung der Beklagten an der Rechtsverletzung. Angesichts der Versicherung des jeweils hochladenden Nutzers, dass dem Upload keine Rechte Dritter entgegenstünden, und angesichts des Umstandes, dass die Beklagte keine Kenntnis von den jeweiligen Inhalten nimmt, handele es sich nicht um eine
willentliche
Bereitstellung einzelner, konkreter Beiträge. Allein der Umstand, dass ein für rechtmäßige Zwecke zu dienen bestimmtes und geeignetes Medium im Einzelfall auch durch Dritte für deren rechtswidriges Verhalten genutzt werden könne, reiche nicht aus, um die Adäquanz des Verhaltens des Diensteanbieters zu begründen. Die Beklagte stelle nur eine neutrale Plattform zur Verfügung und sei zu einer Vorabprüfung nicht verpflichtet; für die Inhalte seien allein die einstellenden Nutzer verantwortlich.
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Es gebe auch keine wirksamen Suchbegriffs-Filter. So hätten vorliegend Suchbegriffe wie zum Beispiel „Spiegel“ oder „Judentum“ zu viele Beiträge erfasst und folglich die Rede- und Informationsfreiheit erheblich beeinträchtigt. Selbst wenn es wirksame Suchbegriffs-Filter gäbe, blieben unzählige Inhalte übrig, die manuell nachgeprüft werden müssten, was für die Beklagte nicht zumutbar wäre. Auch bezüglich pornographischer Inhalte existierten keine Filter; deren unverzügliche Entfernung beruhe auf Nutzerhinweisen auf der Basis einer weltweit angeglichenen Wahrnehmung und auf ihrer Erkennbarkeit schon anhand von Standbildern und ohne Kontext.
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Die Beklagte hält unter Bezugnahme auf zahlreiche Gerichtsentscheidungen eine Verpflichtung zur Vorabprüfung sämtlicher Inhalte wie auch eine Verpflichtung zur fortwährenden Prüfung anhand sämtlicher „Flaggings“ nicht für zumutbar. Eine Haftung der Beklagten als Internet Service Provider komme nur in Betracht, wenn sie über einen konkreten rechtsverletzenden Inhalt konkret in Kenntnis gesetzt werde. Für eine Kontrolle und Erkennbarkeit sei regelmäßig erforderlich, dass der Beklagten wenigstens ein Mindestmaß an erläuternden Informationen zur Kenntnis gebracht werde. Angesichts des mangelnden Informationsgehaltes könne das unverbindliche und flüchtige „Flagging“ formelle Beschwerden, die anhand der aus dem Impressum ersichtlichen Daten eingereicht werden konnten, nicht ersetzen.
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Durch das „Flagging“ vom 16. Juli 2007 sei der Beklagten keine positive Kenntnis verschafft worden, so dass hiermit eine Prüfungspflicht für die Zukunft nicht ausgelöst worden sei. Das „Flagging“, das – unstreitig – nicht an die Rechtsabteilung der Beklagten weitergeleitet wird und nicht durch Juristen geprüft wird, sei nicht mehr als ein Hinweis auf „möglicherweise problematische“ Inhalte, ein Hinweis auf nach Ansicht der Nutzer unangemessene (nicht notwendig rechtswidrige) Inhalte. Es löse nur eine Plausibilitätskontrolle aus. Zu berücksichtigen sei, dass Empfänger des „Flagging“ ein allein im Hinblick auf den US-amerikanischen Markt instruierter Mitarbeiter gewesen sei, zu einem Zeitpunkt, als ein US-amerikanisches Unternehmen ein englischsprachiges, US-amerikanisches Angebot für US-amerikanische Nutzer angeboten habe. Das „Flagging“ erfolge aus und in ein Umfeld, in dem eine „Flagging“-Mitteilung nicht als formelle Beschwerde angesehen werden könne. Beim „Flagging“ gebe irgendein Meldender seine persönliche Ansicht wieder, während im Bereich von Persönlichkeitsrechtsverletzungen die Inkenntnissetzung durch den Betroffenen erforderlich sei. Sowohl dem Absender als auch dem Empfänger des „Flagging“ sei der beschränkte Zweck des „Flagging“ bekannt; der Empfänger messe ihm zu Recht nicht den Erklärungswert eines rechtsverbindlichen Hinweises auf eine Rechtsverletzung bei.
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Der Mitarbeiter L. der Beklagten habe weder die Person noch die Funktion des Ehemannes der Klägerin gekannt. Ohnehin sei der Beklagten eine etwaige Kenntnis ihres Mitarbeiters von der Rechtsverletzung weder nach § 166 BGB noch nach § 831 BGB zuzurechnen.
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Freiwillige Vorkehrungen wie vorliegend das „Flagging“ dürften nach US-amerikanischen Recht nicht zur Begründung einer Haftung herangezogen werden.
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Schließlich stehe dem geltend gemachten Zahlungsanspruch entgegen, dass eine Störerhaftung nicht Grundlage für Ersatzansprüche sein könne. Da der Beitrag zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung schon 14 Tage beseitigt war, sei der Hinweis ins Leere gegangen, und es fehle daher auch an einem Fremdgeschäftsführungswillen, der einen Zahlungsanspruch gemäß §§ 683, 677, 670 BGB auslösen könne. Die Abmahnung sei auch nicht mehr im Interesse der Beklagten gewesen, da sie objektiv nicht mehr nützlich gewesen sei und damit nicht mehr dem mutmaßlichen Willen der Beklagten entsprochen habe.
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Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Beklagte hat mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 25. November 2009 weitere Ausführungen gemacht. | I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes – und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
zu unterlassen,
im Bereich der Bundesrepublik Deutschland den in der Anlage zu diesem Urteil als Screenshot in Auszügen beigefügten Videobeitrag des Users „ P.“ mit dem Titel „Dem Feuer übergeben“ auf der Video-Plattform „ Y....“ zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen,
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.641,80 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Juni 2009 zu tragen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer I gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 60.000,00 und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 60.000,00 festgesetzt. | 1 |
AG Frankfurt 44. Einzelrichter | Hessen | 0 | 1 | 18.02.2022 | 0 | Die Parteien streiten um Schadens- und Aufwendungsersatzansprüche wegen unerlaub-ter Verwertung urheberrechtlich geschützter Inhalte in einer Internettauschbörse.
Konkret geht es um die Verwertung eines Computerspiels namens „
…
“, welches am ......2016 erstveröffentlich wurde und zu dem hier von der Klägerseite behaupteten Verletzungszeitpunkt einen durchschnittlichen Verkaufspreis von EUR 19,99 hatte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.04.2017 mahnte die Klägerin den Beklagten ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung sowie zur Leistung von Schadensersatz und Erstattung der ihr entstandenen Anwaltskosten auf. Es wurde ein Vergleichsangebot über die Zahlung von EUR 850,00 zur Abgeltung aller geldwerten Ansprüche abgegeben. Es kam jedoch nicht zu einer Einigung.
Die Klägerin behauptet, sie sei ausschließliche Nutzungsrechtsinhaberin des Computerspiels „
…
“. Die Nutzungs- und Verwertungsrechte habe sie von der Firma A welche das Computerspiel entwickelt habe, erworben. Die Klägerin behauptet weiter, sie habe die Firma B GmbH mit der Überwachung sog. P2P-Netzwerke beauftragt. Die Firma scanne den Internetverkehr und ermittle die Teilnehmer in Tauschbörsen. Hierbei würden u.a. die jeweilige IP-Nummer, der sekundengenaue Zeitpunkt sowie der Hashwert der jeweiligen Datei ermittelt. Die Ermittlungssoftware habe u.a. vier Zeitpunkte im November 2016 ermittelt, zu denen das Computerspiel in einer Internettauschbörse zum Heruntergeladen bereitgehalten wurde. Zur Bezeichnung der behaupteten Verletzungszeitpunkte und -daten einschließlich der jeweils angegebenen Hash-Werte und IP-Adressen wird auf die Seite 3 der Klageschrift Bezug genommen (Bl. 17 d.A.). Die Klägerin behauptet weiter, sie habe beim Landgericht München ein Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG durchgeführt. Auf Grundlage des hiernach ergangenen gerichtlichen Beschlusses habe der Netzbetreiber die Auskunft erteilt, dass die ermittelten IP-Adressen zu den fraglichen Zeitpunkten dem Internetanschluss des Beklagten zugeordnet gewesen seien.
Die Klägerin beantragt,
1. der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Anwaltskosten in Höhe von EUR 281,30 freizustellen;
2. der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen angemessenen Schadensersatz in einer nach dem Ermessen des Gerichts zu bestimmenden Höhe, mindestens jedoch in Höhe von EUR 1.495,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14.04.2017 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er habe über seinen Internetanschluss weder zu den behaupteten Zeitpunkten noch zu einem anderen Zeitpunkt das Computerspiel „
…
“ in einem Peer-to-Peer-Netzwerk öffentlich zugänglich gemacht. Ihm sei das Werk nicht bekannt und es sei auch nicht von Interesse für ihn. Er sei nicht in Filesharingnetzwerken aktiv. Der Beklagte räumt ein, dass er zwar Inhaber des betroffenen Internetanschlusses sei; neben ihm hätten noch seine Familienmitglieder (seine Ehefrau und seine beiden Kinder, geb. 2003 und 2010), die ständig in seinem Haushalt leben, Zugang zu dem Internetanschluss. Zu den behaupteten Verletzungszeitpunkten seien diverse internetfähige Endgeräte genutzt worden (Notebook des Beklagten und seiner Ehefrau, Mobiltelefone des Beklagten, seiner Ehefrau und seines Sohnes, Tablet des Beklagten, PC des Sohnes und PC der Ehefrau des Beklagten). Der Internetanschluss habe zu den behaupteten Zeitpunkten von dem Beklagten, seinen Familienmitgliedern sowie gelegentlichen Besuchern genutzt werden können.
Der Beklagte erhebt zudem die Einrede der Verjährung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. | 1. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Anwaltskosten in Höhe von EUR 169,50 freizustellen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 500,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 14.04.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 63% und der Beklagte zu 37% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. | 1 |
AG Halle (Saale) | Sachsen-Anhalt | 0 | 1 | 04.07.2013 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin macht im Urkundenprozess einen Anspruch aus einem Schuldanerkenntnis geltend.
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2
Die Beklagte unterzeichnete am 3. Januar 2012 eine mit „Schuldanerkenntnis und Teilzahlungsvereinbarung“ überschriebene Vereinbarung mit der durch die Firma V... beauftragten Klägerin, in welcher sie anerkannte, der Firma V... 75,02 € nebst Zinsen sowie Kontoführungskosten in Höhe von 2,95 € und Kosten der Vereinbarung in Höhe von 45,00 € zu schulden. Zugleich schlossen die Parteien eine Ratenzahlungsvereinbarung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vereinbarung Bl. 13 d. A. verwiesen.
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3
Mit Urkunde vom 20. November 2011 trat die Firma V... ihre Forderung gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abtretung Bl. 14 d. A. verwiesen.
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4
Die Beklagte leistete an die Klägerin Teilzahlungen in Höhe von 50,00 €, sodass sich eine Restforderung von 131,95 € (Stand: 20. November 2012) ergibt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Forderungsaufstellung Bl. 15 d. A. verwiesen.
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5
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte zur Zahlung auf Grund ihres konstitutiven Schuldanerkenntnisses verpflichtet sei. Auf das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis käme es nicht an, sodass die Einwendungen der Beklagten unerheblich seien. Die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte unter Druck gesetzt worden sei.
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6
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 131,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. November 2012 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, sie sei Opfer einer „Telefonabzocke“ geworden. Ein Mitarbeiter der Firma V... habe sie angerufen und behauptet, er führe im Auftrag der „Apotheken-Umschau“ eine Umfrage durch. Wenn die Beklagte daran teilnehme, bekäme sie zum Dank eine Probepackung eines Mittels gegen Arthrose. Hierauf habe sich die - an schwerer Arthrose leidende - Beklagte eingelassen, jedoch zu keinem Zeitpunkt bei der Klägerin kostenpflichtige Lieferungen bestellt. Die Klägerin habe ihr dann auch tatsächlich „Hirschberger Gelenk Forte Plus“ übersandt, allerdings mit einer Rechnung über 9,95 €. Zudem sei angekündigt worden, dass der Beklagten nun jeden Monat Packungen zu einem Kaufpreis von etwa 19,00 € übersandt würden. Die Beklagte sei dann von der Klägerin unter Druck gesetzt worden: Wenn sie nicht freiwillig zahle, gehe das vor Gericht, hier habe die Beklagte ohnehin keine Chance. Dies könne die Beklagte nur durch die Unterzeichnung eines Schuldanerkenntnisses abwenden. Aus Angst habe sie das Schuldanerkenntnis unterschrieben. Sie ist der Ansicht, dass das von ihr abgegebene Schuldanerkenntnis der Rückforderung gemäß § 812 BGB unterliege.
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11
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2013 verwiesen. | 1.) Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.) Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis 300,00 € festgesetzt. | 0 |
Verwaltungsgericht des Saarlandes 10. Kammer | Saarland | 1 | 0 | 02.07.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren notwendig war.
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2
Mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... wurde am 13.04.2011 um 09.58 Uhr auf der A 1 bei R., Richtung T., zwischen S. und F. (KM 119,1) ein Verkehrsverstoß dahingehend begangen, dass bei einer Geschwindigkeit von 116 km/h ein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug von nur 26,75 m eingehalten wurde.
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3
Mit Schreiben der Kreisverwaltung B. vom 12.05.2011 wurde der Kläger zu der mit seinem Fahrzeug begangenen Ordnungswidrigkeit angehört. Auf dem Anhörungsbogen benannte der Kläger eine Person, Herrn F. W., R., der nach dem Vortrag des Klägers das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt habe.
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4
Mit Schreiben der Kreisverwaltung B. vom 23.05.2011 wurde die vorgenannte Person zu der Ordnungswidrigkeit angehört.
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5
Mit Schreiben der Kreisverwaltung B. vom gleichen Tag wurde das Einwohnermeldeamt der Gemeinde A-Stadt um Übersendung eines Passfotos des Klägers gebeten, das der Kreisverwaltung B. am 24.05.2011 per E-Mail übersandt wurde.
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Mit weiterem Schreiben der Kreisverwaltung B. vom gleichen Tag wurde das Einwohnermeldeamt der Gemeinde S. um Übersendung eines Passfotos von Herrn F.W., gebeten. Auf seine Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren erklärte dieser, der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein.
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Mit Schreiben der Kreisverwaltung B. vom 09.06.2011 wurde der Polizeiposten A-Stadt der Polizeiinspektion N. um Inaugenscheinnahme des Klägers wegen des Verkehrsverstoßes gebeten, da aufgrund des Passbildabgleichs Zweifel an der Aussage des Herrn F.W. bestünden. Gleichzeitig wurde um Weiterleitung des Verfahrens an die PI S. gebeten für den Fall, dass der Kläger nicht der Fahrzeugführer gewesen sein könne.
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8
Ausweislich eines Vermerks der Polizeiinspektion N. vom 21.06.2011 betreibe der Kläger nach eigenen Angaben einen Kurierdienst mit 60 Fahrzeugen. Der Kläger sei aus vorangegangenen Ermittlungsersuchen persönlich bekannt. Auf dem übersendeten Fahrerfotos zur verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeit könne der Kläger nicht als Fahrer erkannt werden. Man habe daher zwecks weiterer Ermittlungen die Akten an die PI S. weitergeleitet. Ausweislich eines Vermerks der Polizeiinspektion S. vom 14.07.2011 handele es sich bei dem verantwortlichen Fahrzeugführer nicht um Herrn F.W..
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Durch Schreiben der Kreisverwaltung B. vom 11.08.2011 an den Kläger und Herrn F.W., R., wurde diesen mitgeteilt, dass das Ordnungswidrigkeitsverfahren eingestellt worden sei.
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10
Mit Schreiben des Beklagten vom 31.08.2011 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Fahrtenbuchauferlegung für die Dauer von 12 Monaten gemäß § 31 a StVZO wegen des oben genannten Verkehrsverstoßes angehört.
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11
In seinem Schreiben vom 09.09.2011 teilte der Kläger dem Beklagten daraufhin mit, dass wegen der benannten Ordnungswidrigkeit ein verantwortlicher Fahrzeugführer gefunden worden sei, der das Fahrzeug gefahren habe und der auch von ihm angegeben worden sei. Ausweislich seines Fahrplans sei Herr F.W. der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen.
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Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid des Beklagten vom 10.11.2011, zugestellt am 12.11.2011, wurde dem Kläger für die Dauer von sechs Monaten die Führung eines Fahrtenbuchs für das Fahrzeug, mit dem die Ordnungswidrigkeit begangen worden ist, oder ein Ersatzfahrzeug auferlegt. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, dass die Feststellung des Fahrzeugführers nach oben genannter Ordnungswidrigkeit unmöglich gewesen sei. Herr F.W. habe zwar im Rahmen der Anhörung zur Fahrerfeststellung die vom Kläger gemachte Angaben bestätigt, es habe sich jedoch im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen beim Abgleich der Beweisfotos mit den Passfotos gezeigt, dass dieser nicht der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sein könne. Da sich keine weiteren Ansatzpunkte für die Fahrerfeststellung aus der Aktenlage ergeben hätten, habe das Bußgeldverfahren letztlich eingestellt werden müssen, da die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich i. S. d. § 31 a Satz 1 StVZO gewesen sei.
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13
Mit Schreiben vom 23.11.2011, beim Beklagten per Fax am selben Tag eingegangen, legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. Zur Begründung ist ausgeführt, der Verfügung könne bereits deshalb nicht entsprochen werden, weil das Fahrzeug mit dem Kennzeichen ... nicht mehr im Eigentum des Klägers stünde. Der Kläger habe außerdem den verantwortlichen Fahrzeugfahrer ausweislich seines Fahrplans mit Schreiben vom 09.09.2011 mitgeteilt. Ihm sei nichts anders möglich gewesen, wenn dieser ein Fahrtenbuch geführt habe. Außerdem sei innerhalb des ursprünglichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens kein Hinweis an den Kläger erfolgt, dass diesem ein Fahrtenbuch drohe.
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14
Durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25.01.2012 ergangenen Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses beim Landkreis ... wurde der Bescheid aufgehoben und die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt. Zugleich wurde in Ziffer 3 der Entscheidung die Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht für notwendig erklärt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid materiell rechtswidrig sei. Zwar sei mit dem Kraftfahrzeug des Klägers im erforderlichen Umfange gegen Verkehrsvorschriften verstoßen worden. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei jedoch innerhalb der dreimonatigen Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 StVG nicht nicht möglich i. S. d. § 31 a StVZO gewesen. Zwar habe die zuständige Bußgeldbehörde dem Kläger einen Anhörbogen übersandt, den von ihm benannten mutmaßlichen Fahrzeugführer angehört, Passfotos von beiden Personen angefordert und die örtlich zuständige Vollzugspolizei um Amtshilfe gebeten. Die Einschätzung der örtlichen Behörden, der benannte und sich selbst bezichtigende Fahrzeugführer sei nicht der Fahrer gewesen, sei dem Kreisrechtsausschuss jedoch nicht nachvollziehbar. Eine Ähnlichkeit von Herrn F.W., wie ihn sein Passfoto zeige, und der Person auf dem Frontfoto sei durchaus feststellbar. Zwar könne eine falsche Selbstbezichtigung, das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt zu haben, nicht maßgeblich sein und den Tatbestand des § 31 a StVZO nicht entfallen lassen. Für eine falsche Selbstbezichtigung spreche vorliegend indes nichts. Der Einsatzplan des Klägers, der im Übrigen nicht eingesehen worden sei, obwohl dies nahegelegen hätte, und die Ähnlichkeit der sich selbst bezichtigenden Person auf den dem Kreisrechtsausschuss vorliegenden Fotos stünden der Einschätzung entgegen. Die Stellungnahme des Polizeibeamten, der Herrn F.W. in seiner Wohnung aufgesucht habe, sei in ihrem Ergebnis zwar eindeutig, jedoch in keiner Weise begründet, so dass sie für den Kreisrechtsausschuss nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen könne.
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15
Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten ergehe nach § 80 Abs. 2 SVwVfG. Danach seien im Fall eines erfolgreichen Widerspruchs die Kosten eines Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung notwendig gewesen sei. Notwendig sei die Zuziehung eines Rechtsanwaltes entsprechend der Rechtsprechung zu § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO dann, wenn es vom Standpunkt eines verständigen, nicht rechtskundigen Beteiligten für erforderlich habe gehalten werden dürfen. Maßstab sei, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwaltes bedient hätte. Im vorliegenden Fall habe sich der Kläger einer einzelnen gesetzlichen Vorschrift und einem überschaubaren Sachverhalt gegenüber gesehen, deren und dessen Handhabung, systematische Einordnung und Darlegung ein rechtsunkundiger Bürger zwar sicherlich ebenso wenig kenne, wie die Rechtsprechung hierzu, der es jedoch an der Komplexität und Schwierigkeit fehlen lasse, die einen Rechtsbeistand vernünftigerweise gebiete.
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16
Mit am 16.02.2012 eingegangener Klage begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten, festzustellen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Für die Annahme der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten werde rückblickend auf die Situation des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Vollmachtsbeurteilung abgestellt. Dabei sei in der Regel die Sicht eines verständigen, umsichtigen, aber nicht rechtskundigen Person zugrunde zu legen und darauf abzustellen, ob es dem Widerspruchsführer nach seinen persönlichen Verhältnissen und nach den Umständen der vorgefundenen Sach- und Rechtslage zuzumuten gewesen sei, das Vorverfahren ohne Unterstützung eines Rechts-anwalts zu bestreiten. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten werde in der Rechtsprechung in der Regel unter anderem dann bejaht, wenn die behördliche Begründung des Bescheides, mit dem ein Antrag abgelehnt worden sei, so dürftig sei, dass der Antragsteller und spätere Kläger nicht erkennen könne, welche Voraussetzungen einer Stattgabe nicht erfüllt sein sollen und warum die Behörde zu dieser Einschätzung gelangt sei. Ferner werde die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten bejaht, wenn die berufliche Zukunft des Widerspruchsführers tangiert werde. Vorliegend sei die Zuziehung eines Bevollmächtigten geradezu geboten und somit auch von der Beklagten im Widerspruchsbescheid zu erklären gewesen. Er habe innerhalb der Anhörung alleine und ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes mit der Beklagten korrespondiert. Nachdem er alles aus seiner Sicht getan und der Beklagten mitgeteilt habe, der Fahrer sogar gegenüber der Beklagten zugegeben habe, die Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, habe der Beklagte mit Schreiben vom 10.11.2011 einen Bescheid verfügt, der ihn, der ein Fuhrunternehmen betreibe, eine berufseinschneidende Maßnahme auferlege, indem er ein Fahrtenbuch für das in Rede stehende Firmenfahrzeug zu führen habe. Im Übrigen handele es sich bei dem in Rede stehenden Fahrzeug nicht, wie der Widerspruchsbescheid ausführe, um einen Personenwagen, sondern um einen sog. Kastenwagen der Marke .... Aufgrund vorgenannter Umstände und der Tatsache, dass er gegen den Beklagten keine Chance gehabt habe, da dieser sich gegen rationell nachvollziehbare Argumente verwehrt habe, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als einen Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit einzuschalten, da für den „Normalbürger“ vorgenannter Sachverhalt nicht mehr nachvollziehbar gewesen sei. Zudem sei die Verfügung sogar zur sofortigen Vollziehung deklariert worden, was für einen juristischen Laien in den meisten Fällen erklärungsbedürftig sei. Dies sei auch so bei ihm gewesen. Abschließend gelte festzuhalten, nachdem er innerhalb des Vorverfahrens offensichtlich bei der Beklagten kein Gehör erhalten habe und die Verfügung seine berufliche Tätigkeit tangiert und zur sofortigen Vollziehung erklärt worden sei, dass er selbst-verständlich einen Rechtsanwalt habe kontaktieren dürfen, der notwendig i. S. d. § 162 Abs. 2 VwGO gewesen sei.
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17
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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18
den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 3 des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25.01.2012 ergangenen Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses beim Landkreis ... zu verpflichten, die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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19
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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20
die Klage abzuweisen.
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21
Zur Begründung trägt er vor, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren sei nicht notwendig gewesen, da sie vom Standpunkt eines verständigen, nicht rechtskundigen Beteiligten unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers nicht für erforderlich habe gehalten werden dürfen. Der Gesetzgeber habe durch die Regelung in § 80 Abs. 2 SVwVfG zu erkennen gegeben, dass im Vorverfahren eine Bevollmächtigung Dritter nicht üblich und in der Regel nicht notwendig sei, da es im Hinblick auf die Bindung der Verwaltung an die Gesetze und der möglichen späteren gerichtlichen Kontrolle einer Herstellung völliger „Waffengleichheit“ noch nicht bedürfe. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers sei die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren von einer Prüfung des Einzelfalles abhängig zu machen, ob es nämlich dem Widerspruchsführer im konkreten Fall zumutbar sei, das Vorverfahren selbst durchzuführen. Diese Prüfung im Einzelfall führe zunächst zu einer Subjektivierung in dem Sinne, dass die persönlichen Verhältnisse, wie z. B. der Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers gewürdigt würden. Diese Subjektivierung des Beurteilungs-maßstabes werde ihrerseits begrenzt durch den objektiven Maßstab des „vernünftigen Bürgers“. Als maßgebliche weitere Beurteilungskriterien seien zu berücksichtigen die Schwierigkeit und der Umfang der Sache sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Widerspruchsführer. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Widerspruchsverfahrens ein 51-jähriger deutscher Fuhrunternehmer, der weder alters- noch intellektuell oder sprachbedingt in irgendeiner Weise in seiner Fähigkeit beschränkt gewesen sei, einen sehr überschaubaren Sachverhalt selbst darzustellen. Es solle unterstellt werden, dass er nicht über umfassende Rechtskenntnisse verfüge. Wie sich ein „vernünftiger Bürger“ mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand wie der Kläger verhielte, lasse sich erst nach Würdigung anderer Kriterien abschätzen: Insoweit sei zunächst auf die Begründung des Widerspruchsbescheides zu verweisen.
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22
Bei der Entscheidung über die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage handele es sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht um einen überschaubaren Sachverhalt, der bei allem Streit um einzelne Punkte keine ausgeprägten rechtlichen Schwierigkeiten aufweise. Im konkreten Fall sei es überdies nicht um eine rechtliche, sondern – auch aus der in der Tat maßgeblichen ex-ante-Betrachtung nach Erlass des Ausgangsbescheides – allein um eine tatsächliche Frage gegangen, ob der vom Kläger benannte Fahrer die Person gewesen sei, die das Klägerfahrzeug zum Vorfallszeitpunkt gefahren habe. Weder habe es Rechtskenntnisse oder rechtsbehelfsverfahrens-argumentationsstrategischer oder –taktischer Kenntnisse bedurft, „wo“ anzusetzen gewesen sei, da der einzige Streitpunkt, welche Person das Fahrzeug gefahren habe, bereits durch den Ausgangsbescheid vorgegeben worden sei. Zu einer Ansicht und einem Vergleich des vorliegenden Fotos durch alle Mitglieder des Kreisrechtsausschusses wäre es in jedem Fall gekommen. Einem vermeintlich „vernünftigen Bürger“ in Person des Klägers wäre demnach ohne Weiteres die Darlegung des Sachverhaltes und die Hervorhebung des wesentlichen Umstandes (dass nämlich das Fahrzeug von der von ihm benannten Person gefahren worden und diese Person auf dem eingereichten Passfoto im Vergleich mit dem Frontfoto erkennbar gewesen sei) im Widerspruchsverfahren möglich gewesen, ohne dass es hierzu eines Bevollmächtigten bedurft hätte. Ein „vernünftiger Bürger“ in der Person des Klägers hätte ebenso berücksichtigt, dass der Verfahrensgegenstand des Widerspruchsverfahrens von überschaubarer Bedeutung sei. In die Rechtssphäre eines Halters eines Kraftfahrzeuges werde durch die Entscheidung gemäß § 31 a StVZO in keiner Weise wesentlich eingegriffen. Ihm werde weder eine Erlaubnis entzogen, noch werde ihm eine Leistung verweigert oder eine Sanktion auferlegt. Eine Fahrtenbuchauflage beinhalte nicht mehr als die Anordnung einer Lästigkeit. Inwieweit die Führung eines Fahrtenbuchs mit den Worten des Klägers eine „berufseinschneidende Maßnahme“ gewesen sei, sei nicht erkennbar. Aus diesem Grund hätte ein „vernünftiger Bürger“ in der Person des Klägers einen Bevollmächtigten nicht für erforderlich gehalten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und könne die Notwendigkeit der Zuziehung nicht begründen.
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23
Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 12.03.2012, der Beklagte mit Schriftsatz vom 20.06.2012 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
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24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten verwiesen, deren Inhalt zum Gegenstand der Beratung der Kammer gemacht worden war. | 1. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 3 des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25.01.2012 ergangenen Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses beim Landkreis ... verpflichtet, die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 5. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 15.09.2020 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung von Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst.
Randnummer
2
Der im April 1975 geborene Kläger war zunächst vom 01.08.1998 bis zum 31.12.2010 bei dem Beklagten beschäftigt. Nach einer Unterbrechung von eineinhalb Jahren trat er am 01.07.2012 erneut in die Dienste des Beklagten, wobei der damalige Beschäftigungsbeginn anerkannt wurde. Im Arbeitsvertrag vom 23.04.2012 vereinbarten die Parteien eine Tätigkeit als Rettungsassistent in Vollzeit. In der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag vom 23.04.2012 heißt es:
Randnummer
3
"...
Zwischen beiden Vertragspartnern wird im beiderseitigen Einvernehmen freiwillig folgendes Arbeitszeitmodell vereinbart.
Randnummer
4
I
Arbeitsbereitschaft
Randnummer
5
...
Im Rettungsdienstbereich Mecklenburgische Seenplatte e.V. beträgt die tatsächliche Einsatzzeit im Bereich der aktiven Rettung durch den Rettungswagen (RTW), im Bereich der aktiven Rettung durch das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) sowie im Bereich des Krankentransportes (KTW) höchstens 25 % der Arbeitszeit und somit wird die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf 54 Stunden wöchentlich verlängert.
Randnummer
6
1. Daraus ergibt sich bei einem 24 Stundendienst eine anrechenbare Arbeitszeit von 17,8 Stunden.
2. Bei einem 12 Stundendienst eine anrechenbare Arbeitszeit von 8,9 Stunden.
3. Bei einem 8 Stundendienst eine anrechenbare Arbeitszeit von 5,9 Stunden.
Randnummer
7
II
Regelmäßige Arbeitszeit
Randnummer
8
Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von einem Jahr zugrunde zu legen.
Randnummer
9
III
Arbeitszeitkonto
Randnummer
10
Zeitguthaben sowie Zeitschulden werden in einem Jahresarbeitszeitkonto erfasst. Zeitguthaben werden laut Beschäftigungsvereinbarung vergütet und Zeitschulden werden zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahres auf Null gestellt.
..."
Randnummer
11
Später übertrug der Beklagte dem Kläger die Tätigkeit eines Notfallsanitäters. Sein regelmäßiger Einsatzort ist die Rettungswache in W..
Randnummer
12
Mit dem Änderungsvertrag vom 02.02.2015 zum Arbeitsvertrag vom 23.04.2012 vereinbarten die Parteien rückwirkend zum 01.01.2015 folgende Vergütung:
Randnummer
13
"...
§ 4 Arbeitsentgelt/Zulagen/Zuschläge/Gratifikationen
Randnummer
14
1. Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Arbeitsentgelt von
2.393,13 €
(bezogen auf 40 Stunden) und wird in die Entgeltgruppe
W-NFS 40/10
der Entgeltvereinbarung eingestuft.
Randnummer
15
2. Sofern der Arbeitnehmer eine "Freiwillige Arbeitszeitverlängerung" laut § 8 der Beschäftigungsvereinbarung in Form einer 54 Stundenwoche ausübt, erhält er ein monatliches Arbeitsentgelt von
2.603,96 €
(bezogen auf 54 Stunden) und wird in die Entgeltgruppe
W-NFS-54/10
der Entgeltvereinbarung eingestuft.
Randnummer
16
3. Wird keine "Freiwillige Arbeitszeitverlängerung" laut § 8 der Beschäftigungsvereinbarung in Form einer 54 Stunden mehr durchgeführt, erhält der Arbeitnehmer automatisch wieder ein monatliches Arbeitsentgelt von
2.393,13 €
(bezogen auf 40 Stunden) ...
Randnummer
17
§ 9 Beschäftigungsvereinbarung
Randnummer
18
Grundlage des Arbeitsvertrages ist die Beschäftigungs- und Entgeltvereinbarung des ... Kreisverbandes Mecklenburgische Seenplatte e.V. vom 26.09.2008 inklusive Änderungen vom Protokoll vom 08.12.2011, vom 31.01.2013 sowie vom 22.12.2014.
..."
Randnummer
19
Die in Bezug genommene Beschäftigungsvereinbarung ist eine Betriebsvereinbarung, die folgende Regelungen enthält:
Randnummer
20
"...
§ 7 Arbeitszeitregelungen
Randnummer
21
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit bei Vollbeschäftigung beträgt 40 Stunden pro Woche ausschließlich der Pausen. ... Die regelmäßige Arbeitszeit bei Vollbeschäftigten im Bereich des Rettungsdienstes beträgt 48 Stunden pro Woche und 12 Stunden als tägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen.
Randnummer
22
...
§ 8 Arbeitszeitmodelle / Freiwillige Arbeitszeitverlängerung
Randnummer
23
(1) Durch Betriebsvereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber können für jeden Geschäftsbereich unter Berücksichtigung seiner arbeitsspezifischen Abläufe Arbeitszeitmodelle geregelt werden, die mit ihrer Bestätigung die erfassten Arbeitsverhältnisse weiter ausgestalten.
Randnummer
24
(2) Die regelmäßige Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 7 Abs. 1 auf bis zu 54 Stunden bei einer täglichen Arbeitszeit von 24 Stunden innerhalb der genannten Wochenarbeitszeit ist zulässig, wenn
Randnummer
25
a) der Arbeitnehmer freiwillig in einer Nebenabrede ... seine ausdrückliche Bereitschaft zur Arbeitszeitverlängerung im Sinne des Abs. 1 schriftlich erklärt;
b) wenn zu erwarten ist, dass in der Arbeitszeitverlängerung zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen (Arbeitsbereitschaft);
c) die Vereinbarung mit einer Frist von 1 Monat zum Monatsende vom Arbeitnehmer wie vom Arbeitgeber kündbar ist.
Randnummer
26
...
§ 9 Sonderformen der Arbeit / Arbeitszeitkonten
Randnummer
27
(1) In Geschäftsbereichen, in denen die Arbeitserbringung Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Schicht-, Wechselschichtarbeit, Bereitschaftsdienst, Arbeitsbereitschaft oder Rufbereitschaft erfordern, ist ein Arbeitszeitkonto einzurichten, um die realisierte Arbeitszeit im Verhältnis zur geschuldeten Arbeitszeit monatlich zu erfassen. ...
Randnummer
28
(2) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass monatlich die aktuelle Zahl der Minus- oder Plusstunden des Arbeitszeitkontos ausdrücklich ausgewiesen wird.
(3) ...
Randnummer
29
(4) Die nach einem Dienstplan oder auf Anordnung des Arbeitgebers über das geschuldete Arbeitsmaß nach § 7 Abs. 1 im Ausgleichszeitraum hinausgehende Arbeitszeit sind nur dann Überstunden, soweit sie im Zeitraum eines Kalenderjahres (Ausgleichszeitraum) entstanden und bis zum 31.03. des Folgejahres nicht durch Freizeit ausgeglichen werden können. Dann sind die Stunden als Überstunden mit der entsprechenden Vergütung zu vergüten.
Randnummer
30
(5) Wenn an allen Wochentagen und innerhalb der 24 Stunden des Kalendertages regelmäßig auf der Grundlage von Dienstplänen gearbeitet wird, erhält der Mitarbeiter eine Zulage für die Leistung von Schichtarbeit. ...
Randnummer
31
(6) Bereitschaftsdienst leisten die Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt.
Randnummer
32
...
§ 19 Ausschlussfrist
Randnummer
33
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 6 Monaten nach deren Fälligkeit von der Arbeitsvertragspartei gegenüber der anderen Arbeitsvertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.
..."
Randnummer
34
Zum 01.01.2017 vereinbarten die Parteien mit Änderungsvertrag vom 05.01.2017 eine Gehaltserhöhung auf € 2.603,96 brutto in der 40-Stunden-Woche bzw. auf € 2.814,79 brutto in der 54-Stunden-Woche.
Randnummer
35
Der Kläger stimmte einer Arbeitszeitverlängerung auf 54 Stunden zu und leistete regelmäßig 24-Stunden-Schichten im Rettungsdienst. Daneben sind auch Tätigkeiten in Form der 40-Stunden-Woche zu erbringen, beispielsweise Krankentransporte und der Besuch von Weiterbildungen. Der Beklagte führt das Jahresarbeitszeitkonto auf der Grundlage einer 40-Stunden-Woche. Er legt dementsprechend eine Soll-Jahresarbeitszeit von 52 x 40 = 2.080 Stunden zugrunde. Urlaub und Arbeitsunfähigkeit wird ebenfalls ausgehend von einer 40-Stunden-Woche berechnet. Eine 24-Stunden-Schicht im Rettungsdienst geht mit 17,8 Vollzeitstunden in das Arbeitszeitkonto ein. Dieser Faktor ergibt sich bei einer Umrechnung von der 40- auf die 54-Stunden-Woche (40/54 Stunden x 24 = 17,78). Das durchschnittliche monatliche Gehalt des Klägers betrug im Jahr 2015 € 3.364,55 brutto, im Jahr 2016 € 3.562,09 brutto und im Jahr 2017 € 4.086,32 brutto.
Randnummer
36
Mit Schreiben vom 11.10.2018, zugegangen am 12.10.2018, forderte der Kläger den Beklagten auf, je Schicht in den Jahren 2015 (insgesamt 102 Schichten), 2016 (insgesamt 107 Schichten) und 2017 (insgesamt 111 Schichten) weitere 6,2 Stunden mit dem Stundenlohn von € 11,13 in den Jahren 2015/2016 bzw. € 12,03 im Jahr 2017 nachzuberechnen und somit einen Betrag in Höhe von € 22.701,30 brutto zu zahlen.
Randnummer
37
Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass der Beklagte verpflichtet sei, die gesamte 24-Stunden-Schicht mit dem vollen Stundensatz zu vergüten bzw. im Arbeitszeitkonto mit 24 Stunden anzurechnen. Es sei nicht zulässig, nur 17,8 Stunden je 24-Stunden-Schicht zu berücksichtigen. Die arbeitsvertragliche Vergütungsregelung sei unwirksam, da sie aus den Betriebsvereinbarungen "Beschäftigungsvereinbarung" und "Entgeltvereinbarung" abgeleitet sei, die wiederum wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam seien. Die Beschäftigungsvereinbarung regele ebenso wie die Entgeltvereinbarung zu großen Teilen Tarifinhalte. Folglich richte sich der Anspruch nach der ortsüblichen Vergütung. Die Faktorisierung der Arbeitszeit in den 24-Stunden-Schichten sei ohnehin nicht von der Beschäftigungsvereinbarung gedeckt.
Randnummer
38
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
Randnummer
39
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum 2015 bis einschließlich 2017 € 22.701,30 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2018 zu zahlen.
Randnummer
40
Der Beklagte hat beantragt,
Randnummer
41
die Klage abzuweisen.
Randnummer
42
Er habe die vereinbarte Vergütung vollständig gezahlt. Weitergehende Ansprüche gebe es nicht. Der Beklagte habe nicht nur einen Teil, sondern die gesamte Arbeitszeit in der 24-Stunden-Schicht vergütet. Der Kläger werde in den 24 Stunden im Durchschnitt zu weniger als 25 % der Arbeitszeit zur Arbeitsleistung herangezogen. Abgesehen davon seien evtl. Ansprüche aus den Jahren 2015 bis 2017 bereits aufgrund der Ausschlussfrist verfallen.
Randnummer
43
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2019 abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, dass der Kläger die vereinbarte Vergütung vollständig erhalten habe. Die Vereinbarung einer 54-Stunden-Woche sei nach § 7 Abs. 3 ArbZG wirksam. Angesichts des geringen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahme während der 24-Stunden-Schicht, nämlich etwa 25 %, sei eine Berechnung mit 17,8 Stunden zulässig.
Randnummer
44
Am 16.08.2019 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines Betriebsübergangs auf die ... Rettungsdienst … gGmbH über.
Randnummer
45
Mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung fordert der Kläger weiterhin eine höhere Vergütung für die Jahre 2015, 2016 und 2017. Die Kürzung der 24-Stunden-Schichten sei nicht rechtmäßig. Zunächst sei allerdings die Anzahl der 24-Stunden-Schichten zu berichtigen, da der Einsatz im Rettungshubschrauber nicht hierunter falle. Im Jahr 2015 habe der Kläger somit nur 55 Schichten, im Jahr 2016 insgesamt 62 Schichten und im Jahr 2017 insgesamt 64 Schichten à 24 Stunden geleistet. Im Einzelnen habe er nach Verrechnung mit Minusstunden über die Regelarbeitszeit von 40 Stunden hinaus im Jahr 2015 weitere 282,42 Stunden, im Jahr 2016 weitere 449,42 Stunden und im Jahr 2017 weitere 408,83 Stunden gearbeitet. Multipliziert mit dem jeweiligen Stundenlohn ergebe sich eine Gesamtforderung von € 13.063,59 brutto. Die Gesamtarbeitszeit aller 3 Jahre belaufe sich einschließlich Urlaub und Arbeitsunfähigkeiten auf 7.420,67 Stunden. Die Vereinbarung einer 54-Stunden-Woche sei unzulässig. Sie verstoße gegen § 7 Abs. 8 ArbZG. Deshalb seien alle über die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden hinausgehenden Arbeitszeiten mit dem regulären Stundenlohn zu vergüten. Der Kläger habe regelmäßig mehr als 48 Stunden je Woche gearbeitet. Das verstoße gegen das Arbeitszeitgesetz.
Randnummer
46
Der Kläger beantragt,
Randnummer
47
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 24.07.2019 – 11 Ca 458/18 – den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger als weiteres Arbeitsentgelt für den Zeitraum 2015 bis einschließlich 2017 € 13.063,59 brutto, zumindest aber € 12.847,20 brutto, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2018 zu zahlen.
Randnummer
48
Der Beklagte beantragt,
Randnummer
49
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Randnummer
50
Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen. Die Tabelle des Klägers zu seinen Arbeitszeiten sei nicht hinreichend aussagekräftig, da sie unvollständig sei und zu verschiedenen Tagen keine Angaben enthalte. Zudem habe der Kläger Arbeitszeiten an Tagen aufgeführt, an denen er tatsächlich nicht gearbeitet habe.
Randnummer
51
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen. | 1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 24.07.2019 – 11 Ca 458/18 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
ArbG Berlin 28. Kammer | Berlin | 1 | 0 | 09.05.2014 | 0 | Randnummer
1
Es geht im Wesentlichen um auf Gründe im
Verhalten
gestützte –
vorzugsweise
fristlose
–
Kündigung
. - Vorgefallen ist folgendes:
Randnummer
2
I.
Die (heute
1
Geboren im Juni 1971.
Geboren im Juni 1971.
) 42-jährige Klägerin, die mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als schwerbehinderter Mensch (§ 2 Abs. 2 SGB IX.
2
S. Text: „
§ 2 Behinderung.
(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. - (2) Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben“.
S. Text: „
§ 2 Behinderung.
(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. - (2) Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben“.
) anerkannt ist
3
S. Klageschrift S. 3 (Bl. 3 der Gerichtsakte [künftig kurz: „
GA
“]).
S. Klageschrift S. 3 (Bl. 3 der Gerichtsakte [künftig kurz: „
GA
“]).
, trat im Juni 2010 zur „Mitarbeit im Bereich Qualitätsmanagement/Qualitätssicherung“
4
S. Kopie des (ursprünglich befristeten) Anstellungsvertrags vom 14./21.6.2010 als
Anlage K 1
zur Klageschrift (Bl. 6-9 GA).
S. Kopie des (ursprünglich befristeten) Anstellungsvertrags vom 14./21.6.2010 als
Anlage K 1
zur Klageschrift (Bl. 6-9 GA).
(Kopie Arbeitsvertrag:
Urteilsanlage I.
) in die Dienste der Beklagten, die mit rund 200 Arbeitspersonen
5
S. die Angabe der Beklagten im Antrag auf Zustimmung zur Kündigung vom 13.2.2014 an das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin; Kopie als
Anlage B 3
zum Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 (Bl. 103-105 GA) S. 2: „Anzahl der Arbeitsplätze im Gesamtunternehmen (§§ 73, 74 SGB IX)
200
“.
S. die Angabe der Beklagten im Antrag auf Zustimmung zur Kündigung vom 13.2.2014 an das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin; Kopie als
Anlage B 3
zum Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 (Bl. 103-105 GA) S. 2: „Anzahl der Arbeitsplätze im Gesamtunternehmen (§§ 73, 74 SGB IX)
200
“.
(wohl) Kunstherzen entwickelt, herstellt und vertreibt. Teil der Ausstattung des Arbeitsplatzes der Klägerin ist ein Personalcomputer (PC) mit Internetanschluss, dessen Nutzung im Hause der Beklagten eine Bestimmung in einem „Handbuch“
6
S. dazu auch schon Klageerwiderungsschrift vom 1.4.2014 S. 4 (Bl. 47 GA): „Bei der Beklagten ist es grundsätzlich nicht gestattet, die betrieblichen Ressourcen wie z.B. Rechner und Internetzugang zu privaten Zwecken zu nutzen. Das gilt ohne Besonderheiten auch für die Pausen“.
S. dazu auch schon Klageerwiderungsschrift vom 1.4.2014 S. 4 (Bl. 47 GA): „Bei der Beklagten ist es grundsätzlich nicht gestattet, die betrieblichen Ressourcen wie z.B. Rechner und Internetzugang zu privaten Zwecken zu nutzen. Das gilt ohne Besonderheiten auch für die Pausen“.
regelt
7
S. Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 S. 11 [c.] (Bl. 100 GA).
S. Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 S. 11 [c.] (Bl. 100 GA).
. In dieser Regelung, auf die die Klägerin der Beklagten zufolge bei Beginn ihrer Tätigkeit „hingewiesen“ worden ist
8
S. Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.: „Auf diese Regelung wurde die Klägerin bei Beginn ihrer Tätigkeit hingewiesen“.
S. Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.: „Auf diese Regelung wurde die Klägerin bei Beginn ihrer Tätigkeit hingewiesen“.
, heißt es:
Randnummer
3
„
10.3. Telefon, Internet und E-Mail
Randnummer
4
Die B.-GmbH [Firma der Beklagten im Original ausgeschrieben; d.U.] gestattet als einseitige freiwillige, jederzeit ohne besonderen Grund wieder einstellbare Leistung die nur gelegentliche und im Verhältnis zur geschäftlichen Nutzung eindeutig unerhebliche private Nutzung des geschäftlichen Telefon-, Internet- und E-Mail-Anschlusses. Dies beinhaltet z.B. kurze Telefonate, die der Organisation persönlicher Angelegenheiten dienen (Absprache Kinderbetreuung, Werkstatttermine, etc.)“.
Randnummer
5
Bei der Beklagten gilt hinsichtlich der Arbeitszeit sogenannte „Gleitzeit“
9
S. Klageerwiderungsschrift S. 1 (Bl. 44 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 1 (Bl. 44 GA).
. Deren Rahmen erstreckt sich offiziell von 6.00 Uhr bis 23.00 Uhr
10
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
. Allerdings besteht eine Sonderabsprache mit der Klägerin, wonach diese ihren (achtstündigen) Dienst bereits um 4.45 Uhr oder 5.00 Uhr beginnen darf. Hierfür bezog sie zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des Rechtsstreits bilden, bei regelmäßige 40 Wochenarbeitsstunden ein Monatsgehalt von 2.336,28 Euro (brutto).
Randnummer
6
II.
Mit besagten „Ereignissen“ hat es folgende Bewandtnis:
Randnummer
7
1.
Aus Gründen und unter Begleitumständen, die nicht näher erläutert sind
11
S. dazu lediglich unten, S. 4 [vor 3.] (
Urteilsanlage IV.
): „Recherche der IT-Abteilung“ zu „Internetverbindungsdaten einiger Mitarbeiter“ aufgrund „von Mitarbeiterhinweisen“.
S. dazu lediglich unten, S. 4 [vor 3.] (
Urteilsanlage IV.
): „Recherche der IT-Abteilung“ zu „Internetverbindungsdaten einiger Mitarbeiter“ aufgrund „von Mitarbeiterhinweisen“.
, unterzog die Beklagte ab einem gleichfalls nicht konkret festgestellten Zeitpunkt die Verbindungen der Klägerin ins Internet einer Kontrolle. Fest steht, dass sie bei dieser Gelegenheit zwischen dem 30. Januar 2014 und 8. Februar 2014 auf eine Reihe von Internetkontakten stieß, die sie als
private
Verbindungen der Klägerin einstuft (s. Kopie [englischsprachiger] Aufzeichnungen
12
S. Kopien als
Anlagenkonvolute
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 58-61 GA; Bl. 62-63 GA; Bl. 50-53 GA; Bl. 64 GA).
S. Kopien als
Anlagenkonvolute
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 58-61 GA; Bl. 62-63 GA; Bl. 50-53 GA; Bl. 64 GA).
:
Urteilsanlage II.1.-II.11.
) und für die betreffenden Arbeitstage mit folgenden Zeitkontingenten quantifiziert
13
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [2 a.] (Bl. 46 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [2 a.] (Bl. 46 GA).
:
Randnummer
8
29.01.2014:
2 Stunden, 32 Minuten
[
ohne
Beleg; d.U.]
30.01.2014:
2 Stunden, 11 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.1.
]
31.01.2014:
2 Stunden
[s.
Urteilsanlage II.2.
]
03.02.2014:
2 Stunden, 10 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.3.
]
04.02.2014:
2 Stunden, 22 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.4.
]
05.02.2014:
1 Stunde, 34 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.5.
]
06.02.2014:
1 Stunde, 43 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.6.
]
07.02.2014:
1 Stunde, 44 Minuten
[s.
Urteilsanlagen II.7.-10
]
08.02.2014:
1 Stunde, 11 Minuten
[s.
Urteilsanlage II.11.
].
Randnummer
9
2.
Wegen des so beschriebenen Geschehens kam es in der Folgezeit zwischen den Parteien zu wiederholtem dialogischen Austausch. Wie sich dieser Austausch im Einzelnen gestaltete, ist nicht restlos ausgeleuchtet. Fest steht aber, dass die Klägerin ab 10. Februar 2014 arbeitsunfähig
erkrankte
14
S. Klageerwiderungsschrift S. 4 (Bl. 47 GA): „In der Woche darauf war sie krankgeschrieben“.
S. Klageerwiderungsschrift S. 4 (Bl. 47 GA): „In der Woche darauf war sie krankgeschrieben“.
. Fest scheint auch zu stehen, dass die Beklagte sich
ohne
vorherige Konsultation der Klägerin mit Schreiben vom 13. Februar 2014 (Kopie:
Urteilsanlage III.
) an das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales wandte, um dort die Zustimmung zur Kündigung der Klägerin zu beantragen
15
S. Kopie als Anlage zur Klageschrift (Bl. 13-16 GA); nochmals als
Anlage B 3
zum Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 (Bl. 103-106 GA).
S. Kopie als Anlage zur Klageschrift (Bl. 13-16 GA); nochmals als
Anlage B 3
zum Beklagtenschriftsatz vom 30.4.2014 (Bl. 103-106 GA).
. Fest steht schließlich, das Sachwalter der Beklagten sodann am 17. Februar 2014 Kontakt zur Klägerin aufnahmen. Ein von ihnen gefertigtes „Protokoll“
16
S. Kopie als Teil des
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 56 GA).
S. Kopie als Teil des
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 56 GA).
(Kopie:
Urteilsanlage IV.
) stellt Anlass und Verlauf des Geschehens
so
dar:
Randnummer
10
„Protokoll
________________________________________________________________________________________________________
Telefonkonferenz
Sitzungsdatum
17.02.2014 11:45-12:00 Uhr
Protokollführer
W.
17
Es handelt sich bei Herrn
M. W.
um den Personalleiter der Beklagten; d.U.
Es handelt sich bei Herrn
M. W.
um den Personalleiter der Beklagten; d.U.
Teilnehmer
H. H.
(Bereichsleiter QM/RA)
M. W.
(Leiter Personal)
M. N
18
Nachname der Klägerin im Original ausgeschrieben; d.U.
Nachname der Klägerin im Original ausgeschrieben; d.U.
.
Thema
Konfrontation mit Vorwürfen zur intensiven privaten Nutzung des Internets
Eine interne Recherche der IT-Abteilung, welche Aufgrund von Mitarbeiterhinweisen die Internetverbindungsdaten einiger Mitarbeiter überprüfte, ergab im Falle von Frau N
19
Wie Fn. 18.
Wie Fn. 18.
. eine nicht unerhebliche private Nutzung des Internets. Nach Ermittlung der Verbindungsdaten wurde vorsorglich das Integrationsamt bzgl. einer Zustimmung zu einer fristlosen Kündigung kontaktiert und ein entsprechender Antrag gestellt. Frau N. ist seit 10.02.2014 krankgeschrieben. Um zu vermeiden, dass Frau N. zuerst vom Integrationsamt bzgl. der o.g. Vorwürfe kontaktiert wird, wählten wir ein telefonisches Gespräch zur Klärung der Situation.
Frau N. wurde zu Beginn des Gespräches mit den Vorwürfen konfrontiert. Frau N. gab darauf hin zu, regelmäßig in größerem Umfang (1-2 Stunden täglich) das Internet für private Zwecke genutzt zu haben. Es tue ihr sehr leid und sie würde sich freuen die Gelegenheit zu bekommen, das Unternehmen ... von ihr zu überzeugen. Sie möchte für ihren Arbeitsplatz kämpfen und nach Möglichkeit gern eine zweite Chance bekommen. Sie ist bereit, trotz ihrer aktuellen krankheitsbedingten Abwesenheit kurzfristig zu einem Gespräch in das Unternehmen zu kommen.
Es wurde vereinbart, dass Frau N. sich nach ihrem heutigen Arztbesuch telefonisch zur Terminabsprache in der Personalabteilung meldet“.
[Unterschriften der Herren
H.
u.
W.
; d.U.]
Randnummer
11
3.
Tags darauf (18. Februar 2014) kam es zur verabredeten
persönlichen
Begegnung mit den Akteuren der Beklagten.
Ihren
Verlauf schildert ein „Protokoll“ gleichen Datums
20
S. Kopie als (weiterer) Teil des
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 57 GA).
S. Kopie als (weiterer) Teil des
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 57 GA).
(Kopie:
Urteilsanlage V.
) mit diesen Worten:
Randnummer
12
„Protokoll
________________________________________________________________________________________________________
Mitarbeitergespräch
Sitzungsdatum
18.02.2014 10:00-10:30 Uhr
Protokollführer
W.
(Abteilungsleiter HR)
Teilnehmer
H. H.
(Bereichsleiter QM/RA)
U. U.
(Teamleiter QS)
M. N
21
Nachname der Klägerin im Original ausgeschrieben; d.U.
Nachname der Klägerin im Original ausgeschrieben; d.U.
. (MA QS)
Thema: Besprechung der Vorwürfe der intensiven privaten Internetnut
zung
Eine interne Recherche der IT-Abteilung, welche Aufgrund von Mitarbeiterhinweisen die Internetverbindungsdaten einiger Mitarbeiter überprüfte, ergab im Falle von Frau N
22
Wie Fn. 18.
Wie Fn. 18.
. eine nicht unerhebliche private Nutzung des Internets im Umfang von ca. 2 Stunden täglich. Nach Ermittlung der Verbindungsdaten wurde vorsorglich das Integrationsamt bzgl. einer Zustimmung zu einer fristlosen Kündigung kontaktiert und ein entsprechender Antrag gestellt.
Frau N. teilte zu Beginn des Gespräches mit, dass die erhobenen Vorwürfe zutreffen. Es sei ihr sehr unangenehm und sie möchte alles dafür tun, eine zweite Chance zu erhalten. Auf die Frage, wie Sie denn ihr Arbeitspensum mit 75% Arbeitszeit leisten konnte, obwohl sie noch eine erkrankte Kollegin zu vertreten hatte und ob wir bei einer Weiterbeschäftigung mit 25% mehr Leistung rechnen könnten, antwortete Frau N., dass sie sehr schnell arbeiten könne und im Falle einer Weiterbeschäftigung mehr als 50% Leistungssteigerung erzielen könnte. Sie wäre bereit ihr Fehlverhalten, sprich die täglichen 2 Stunden privaten Internetsurfens, auch mit nicht vergüteten Überstunden wieder auszugleichen. Sie kann sich nicht erklären, was sie dazu veranlasst hat, sich derart falsch zu verhalten. Sie erklärt, dass sie insbesondere ,facebook‘ intensiv nutze und sich darauf eine Art ,Abhängigkeit‘ ergeben habe. Für den Fall der Weiterbeschäftigung bitten Frau N. darum, das Internet für sie dauerhaft abzuschalten.
Herr
H.
erläutert, wie sehr das Vertrauen aus seiner Sicht gestört ist, zumal Frau N. im Zeitraum der Internetkontrolle einigermaßen dringlich den Wunsch nach Gehaltsanpassung äußerte. In Verbindung mit dem nun offenbarten Fehlverhalten wirke dies im Nachhinein einigermaßen zynisch.
Es wurde vereinbart, dass die Personalabteilung sich bis Freitag 21.02.2014 bei Frau N. zurückmeldet, ob eine Zusammenarbeit weiterhin vorstellbar sein wird. Bis dahin ist Frau N. entsprechend bezahlt freigestellt.
Berlin 18.02.2014“
[Unterschriften der Herren
H./U./W.
; d.U.].
Randnummer
13
3.
Am 19. Februar 2014 wandte die Klägerin sich nochmals persönlich per E-Mail
23
S. Kopie als
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 57 GA).
S. Kopie als
Anlagenkonvoluts B 2
zur Klageerwiderungsschrift (Bl. 57 GA).
(Kopie:
Urteilsanlage VI.
) mit
diesen
Worten an Herrn W.:
Randnummer
14
„
Betreff: Entschuldigung
… Wie Sie sehen sitze ich heute Morgen am Pc und muss Ihnen einfach mal eine Mail schicken. Da ich nicht so der gute Redner bin möchte ich es heute noch einmal schriftlich verpacken. Mit tut das alles wirklich furchtbar leid und ich kann es kaum in Worte fassen.
In meiner bisherigen Berufszeit musste ich noch nie solch ein unangenehmes Gespräch führen. Ich weiß selber nicht was mich dort geritten hat, wenn ich könnte würde ich das rückgängig machen und heute lieber wieder auf meinem Arbeitsplatz sitzen und Ihnen zeigen was ich kann.
Ich würde Ihnen gerne beweisen das man sich auf mich verlassen kann und ich werde alles dafür tun die geforderten Pumpen/Bauteile so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Denn ich weiß in meiner Arbeit bin ich einfach super. Ich weiß das man jetzt das gegenseitige Vertrauen wieder aufbauen müsste aber dazu muss ich einfach die Chance bekommen. Ich finde jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. So wie es andere in der Firma auch bekommen haben. Ich biete Ihnen an, die Fehlstunden sprich meine Internet Stunden nachzuarbeiten. Auch wenn es an den Samstagen sein sollte würde ich das unentgeltlich tun. Sie sehen der Job ist mir wirklich sehr, sehr wichtig und ich würde wirklich alles tun um mein Fehlverhalten aus zu merzen. Ich stehe nach wie vor hinter unserer Firma und dem Produkt. Ich würde mich auch vor meinem Team und Herrn
L.
für mein Fehlverhalten entschuldigen. Denn auch Sie wissen das ich hilfsbereit und kollegial bin und Sie auch bei Ihren Arbeiten unterstütze. Bitte geben Sie mir die Chance dazu. Man kann sich ja dann in ein paar Monaten noch mal über meine Arbeitsleistungen unterhalten. Sie werden dann aber sehen das ich mein Versprechen mich voll und ganz in meine Arbeit zu knien eingehalten habe.
So das brannte mir jetzt am frühen Morgen noch auf der Seele und so schriftlich kann ich das besser wie in mündliche Worte fassen.
Es gut mir wirklich alles sehr leid und mehr kann ich von meiner Seite aus jetzt leider nicht tun.
Sie können die Mail ja an Herrn
H.
und Herrn
U.
gegebenen falls weiterleiten“.
Randnummer
15
4.
Es half nichts: Nachdem die von der Beklagten eingeschaltete Schutzbehörde mit Bescheiden vom 27
24
S. Kopie als
Anlage
zur Klageschrift (Bl. 17-18 GA).
S. Kopie als
Anlage
zur Klageschrift (Bl. 17-18 GA).
. und 28
25
S. Kopie als
Anlage
zur Klageschrift (Bl. 19-21 GA).
S. Kopie als
Anlage
zur Klageschrift (Bl. 19-21 GA).
. Februar 2014 antragsgemäß ihre Zustimmung zur ultimativen Trennung von der Klägerin erteilt hatte, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom
27. Februar 2014
(Kopie:
Urteilsanlage VII.
), das seine Adressatin (wohl
26
S. Klageschrift S. 2 (Bl. 2 GA): „Am 27.02.2014 ist das Arbeitsverhältnis durch die Beklagte fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt worden“.
S. Klageschrift S. 2 (Bl. 2 GA): „Am 27.02.2014 ist das Arbeitsverhältnis durch die Beklagte fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt worden“.
) am selben Tag erreichte, ohne Angabe von Gründen die
Kündigung
des Arbeitsverhältnisses „fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin“.
Randnummer
16
III.
Damit will es die Klägerin
nicht
bewenden lassen: Sie nimmt die Beklagte mit ihrer am 19. März 2013 bei Gericht eingereichten und eine Woche später (26. März 2013) zugestellten Klage auf
Feststellung
in Anspruch, dass die
Kündigungen
ihr Arbeitsverhältnis
nicht beendet
hätten. Außerdem verlangt sie ein
Zwischen-
und
notfalls Endzeugnis
und wünscht für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen
vorläufige Weiterbeschäftigung
. - Sie hält die Kündigungen bereits deshalb für unwirksam, weil sie wegen des vorgeworfenen Verhaltens „bisher nicht abgemahnt“ worden sei
27
S. Klageschrift S. 3 (Bl. 3 GA).
S. Klageschrift S. 3 (Bl. 3 GA).
. Insofern lässt sie unter anderem darauf verweisen, dass in der Rechtsprechung des
Zweiten Senats
des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Abmahnung vor fristloser Kündigung selbst für den Fall gefordert worden sei, in welchem „ein leitender Angestellter trotz ausdrücklichen Verbots der privaten Internetnutzung sich über mehrere Stunden täglich pornografische Internetseiten angeschaut“ habe
28
S. Klageschrift a.a.O. - mit Hinweis auf
BAG
19.4.2012 – 2 AZR 186/11 [AP § 14 KSchG 1969 Nr. 13 = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27 = DB 2013, 124].
S. Klageschrift a.a.O. - mit Hinweis auf
BAG
19.4.2012 – 2 AZR 186/11 [AP § 14 KSchG 1969 Nr. 13 = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27 = DB 2013, 124].
. Im Übrigen habe sie sich nicht nur einsichtig gezeigt und wegen ihres Verhaltens bei der Beklagten schriftlich entschuldigt, sondern auch angeboten, eventuelle Fehlstunden unentgeltlich nachzuarbeiten
29
S. Klageschrift S. 4 (Bl. 4 GA).
S. Klageschrift S. 4 (Bl. 4 GA).
. Schließlich habe sie angeregt, zum Ausschluss etwaiger Wiederholungen „das Internet auf ihrem Dienstrechner zu sperren“
30
S. Klageschrift S. 4 (Bl. 4 GA).
S. Klageschrift S. 4 (Bl. 4 GA).
. - Nur „der guten Ordnung halber“ legt sie endlich noch Wert auf die Feststellung, dass die in den „Surfprotokollen“ (
Urteilsanlage II.
) angegebenen Nutzungszeiten nicht in jedem Falle diejenigen Zeiten widerspiegelten, in denen sie nicht gearbeitet habe
31
S. Klageschrift a.a.O.
S. Klageschrift a.a.O.
: In einigen Fällen habe sie vielmehr nach dem Öffnen einer Internetseite zur Privatnutzung diese „nur nicht gleich wieder geschlossen, wenn sie ihre Arbeit wieder aufgenommen“ habe
32
S. Klageschrift a.a.O.
S. Klageschrift a.a.O.
. Endlich enthalte der Report Verweise auf Internetseiten, die sie „definitiv nie aufgerufen“ habe
33
S. Klageschrift a.a.O.
S. Klageschrift a.a.O.
.
Randnummer
17
IV.
Die Klägerin beantragt,
Randnummer
18
1. festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Februar 2014 aufgelöst wurde;
Randnummer
19
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 27. Februar 2014 hinaus fortbesteht;
Randnummer
20
3. die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt;
Randnummer
21
4. die Beklagte im Falle ihres Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1. zu verurteilen, sie als Mitarbeiterin im Bereich Qualitätsmanagement/Qualitätssicherung bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen;
Randnummer
22
5. die Beklagte bei Abweisung des Feststellungsantrags zu 1. zu verurteilen, ihr ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.
Randnummer
23
Die Beklagte beantragt,
Randnummer
24
die Klage abzuweisen.
Randnummer
25
V.
Sie hält die Klagebegehren der Sache nach für insgesamt haltlos. Insbesondere seien die
Kündigungen
im Schreiben vom 27. Februar 2014 (
Urteilsanlage VII.
) rechtlich nicht zu beanstanden:
Randnummer
26
1.
Hierzu verweist die Beklagte zunächst darauf, dass sie habe „feststellen“ müssen, dass die Klägerin nicht nur „privat gesurft“, sondern auch Zeiten ihres Kommens und Gehens „großzügig ausgelegt“ habe
34
S. Klageerwiderungsschrift S. 2 (Bl. 45 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 2 (Bl. 45 GA).
. Es habe sich nämlich gezeigt, dass zwischen den Zeitpunkten ihres Kommens und Gehens und den Betriebszeiten ihres Computers „erhebliche Differenzen“ lägen
35
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
. Demgegenüber sei sie „als QS-Mitarbeiterin angewiesen, sich zuerst an- und als letztes abzumelden“
36
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [vor 2.] (Bl. 46 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [vor 2.] (Bl. 46 GA).
. Das werfe insofern Fragen auf, als es diesseits der Zeiten besagter Computeraktivierung „keine Tätigkeiten“
gebe
, die sie auszuführen habe
37
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.: „Die Klägerin ist als QS-Mitarbeiterin angewiesen, sich zuerst an- und als letztes abzumelden. Denn erst dann kann sie die QS-Aufträge lesen, Arbeitsanweisungen laden oder Ergebnisse der QS-Prüfungen in die Datenbanken eintragen. Davor oder danach gibt es keine Tätigkeiten, die sie für die Beklagte auszuführen hat. Die Beklagte fragt sich, was genau die Klägerin in dieser Zeit gemacht hat“.
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.: „Die Klägerin ist als QS-Mitarbeiterin angewiesen, sich zuerst an- und als letztes abzumelden. Denn erst dann kann sie die QS-Aufträge lesen, Arbeitsanweisungen laden oder Ergebnisse der QS-Prüfungen in die Datenbanken eintragen. Davor oder danach gibt es keine Tätigkeiten, die sie für die Beklagte auszuführen hat. Die Beklagte fragt sich, was genau die Klägerin in dieser Zeit gemacht hat“.
.
Randnummer
27
2.
Was das Internet anbelangt, so habe die Klägerin dieses jedenfalls „an mehreren Tagen“ wie geschildert privat genutzt
38
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [2.] (Bl. 46 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 3 [2.] (Bl. 46 GA).
. Selbst wenn man einen Teil der betreffenden Zeiten als Pausengestaltung ansehe, bleibe noch immer „eine erhebliche private Internetnutzung“ zu verzeichnen
39
S. Klageerwiderungsschrift S. 4 [vor 3.] (Bl. 47 GA).
S. Klageerwiderungsschrift S. 4 [vor 3.] (Bl. 47 GA).
. Insofern falle auch auf, dass diese Nutzung sehr oft morgens zu einer Zeit erfolgt sei, in der noch niemand anders vor Ort gewesen sei
40
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
. Jedenfalls habe die Klägerin die besagten Internetkontakte „in den Besprechungen am 17. und 18.02.2014“ auch „umfänglich eingeräumt“
41
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
S. Klageerwiderungsschrift a.a.O.
.
Randnummer
28
VI.
Hierzu erwidert die Klägerin unter anderem folgendes:
Randnummer
29
1.
Soweit es nunmehr auch um die Erfassung ihrer Arbeitszeit gehe, sei ihr eine Weisung, sich zuerst mit ihrem PC anzumelden und als Letztes abzumelden, nicht bekannt
42
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 1 (Bl. 69 GA).
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 1 (Bl. 69 GA).
. Ebenso wenig treffe zu, dass sie ohne Aktivierung ihres Computers keine Arbeitsleistungen erbringen könne
43
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
. Unabhängig davon sei eine angeblich fehlerhafte Erfassung ihrer Arbeitsleistung nicht Gegenstand des Zustimmungsverfahrens beim hiesigen Integrationsamt gewesen und schon deshalb als vermeintlicher Kündigungsgrund im hiesigen Verfahren nicht verwertbar
44
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 2 [vor 2.] (Bl. 70 GA).
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 2 [vor 2.] (Bl. 70 GA).
.
Randnummer
30
2.
Was den
Umfang
ihrer privaten Internetnutzung betrifft, so würden die von der Beklagten zur Sprache gebrachten Angaben (s. oben, S. 3 [II.1.];
Urteilsanlage II.
) mit Nichtwissen bestritten
45
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 3 (Bl. 71 GA).
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 S. 3 (Bl. 71 GA).
. Die in den „Surf-Protokollen“ aufgeführten „Domain‘s“ seien ihr in der „übergroßen Anzahl“ nicht bekannt
46
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
. Das gelte beispielsweise für die zum 7. Februar 2014 mit einer Stunde und 27 Minuten verzeichnete Domain „akamaihd.net“, und für die am selben Tage mit einer Stunde und neun Minuten enthaltene „sensic.net“ ebenso wie für die 53 Minuten „fbcdn.net“, die 30 Minuten „adition.com“, die 18 Minuten „doubleclick.net“, die 17 Minuten „gstatic.com“, die 14 Minuten „adscale.de“, die elf Minuten „ivwbox.de“ und die nochmals elf Minuten „chartbeat.net“
47
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
. Unabhängig davon legt die Klägerin Wert auf die Feststellung, dass sie den ihr vorgeworfenen Vertragsverstoß nicht nur dem Grunde nach eingeräumt, ihr Verhalten bedauert und Vorschläge unterbreitet habe, wie sich Wiederholungen in Zukunft aus-schliessen ließen
48
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O.
. Außerdem lässt sie darauf hinweisen, dass Kollegen etwa wegen fehlerhafter Arbeitszeiterfassung lediglich eine Ermahnung erhalten hätten
49
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O. - mit Hinweisen auf die Herren
Stefan L.
und
Christian H.
[Nachnamen im Original ausgeschrieben; d.U.].
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O. - mit Hinweisen auf die Herren
Stefan L.
und
Christian H.
[Nachnamen im Original ausgeschrieben; d.U.].
. Gleichfalls mit nur einer Abmahnung seien weitere Mitarbeiter bedacht worden, denen vorgeworfen worden sei, sich während ihrer Nachtschichten über betriebliche Computer Filme und Internetseiten mit pornographischen Inhalten angesehen zu haben
50
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O. - mit Hinweisen auf die Herren
P.
und
W.
[Nachnamen im Original ausgeschrieben; d.U.].
S. Schriftsatz vom 10.4.2014 a.a.O. - mit Hinweisen auf die Herren
P.
und
W.
[Nachnamen im Original ausgeschrieben; d.U.].
.
Randnummer
31
VII.
Die Beklagte entgegnet unter anderem, sie habe „die Arbeitsabläufe der Klägerin überprüft“
51
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 1 (Bl. 90 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 1 (Bl. 90 GA).
. Dabei sei aufgefallen, dass die Zeiten zwischen dem Beginn der Arbeitszeit und erstmaligem Anschalten des Rechners „weit auseinander“ lägen
52
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Richtig sei allerdings, dass keine Anweisung bestehe, sich wie geschildert an- und abzumelden
53
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 10 [6 a.] (Bl. 99 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 10 [6 a.] (Bl. 99 GA).
. Richtig sei auch, dass das Integrationsamt zu den diesbezüglichen Vorwürfen „noch nicht“ angehört worden sei
54
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 6 [vor 3.] (Bl. 95 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 6 [vor 3.] (Bl. 95 GA).
. Insofern solle nur „die Haltung der Klägerin verdeutlicht“ werden, die sich – so die Beklagte - „zu verharmlosen“ und „als Opfer und als reumütigen Sünder darzustellen“ suche
55
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Das habe sie „allerdings erst gemacht“, als sie mit den Vorwürfen „näher konfrontiert“ worden sei
56
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Mit „den weiteren Arbeitszeitbetrugsvorwürfen“ gehe sie „ähnlich“ um
57
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
: Sie halte sich „bedeckt, bis sie es nicht mehr leugnen“ könne
58
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. - Des Weiteren legt die Beklagte unter Angabe einer diesbezüglichen Internetadresse Wert auf die Feststellung, dass die Klägerin „gemeinsam mit ihrem Mann eine Labradorzucht seit 2009“ betreibe
59
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 3 [3.] (Bl. 95 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 3 [3.] (Bl. 95 GA).
. Diese Unternehmung verlaufe, wie die Beklagte unter Hinweis auf ein – nicht näher erläutertes - „Gästebuch“ anmerkt
60
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
, „erfreulich“. - Im Übrigen habe die Klägerin „die umfangreichen privaten Surfzeiten“ sowohl im Telefonat vom 17. Februar 2014 als auch im Gespräch am 18. Februar 2014 – wie schon erwähnt - unumwunden zugegeben
61
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 6 [4.] (Bl. 95 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 6 [4.] (Bl. 95 GA).
. Außerdem lässt die Beklagte ihre bisherigen Ausführungen nunmehr um folgende Schilderung ergänzen
62
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 7 [5 a.] (Bl. 96 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 7 [5 a.] (Bl. 96 GA).
:
Randnummer
32
„Die Klägerin hat nicht nur in der dargelegten Woche die Beklagte betrogen. Dies hat sie schon von Anfang an des Beschäftigungsverhältnisses gemacht.
Randnummer
33
Die Klägerin arbeitet mit Frau
S.
in einem Raum zusammen. Frau
S.
, die länger als die Klägerin bei der Beklagten beschäftigt ist, hat ihren Arbeitstag meistens später begonnen, so gegen 6 Uhr. Sie hat einen sehr guten Einblick auf den Monitor der Klägerin. Sie hat in einer Anhörung der Beklagten ausgesagt, dass die Klägerin jeden Tag, an dem beide gleichzeitig tätig waren, in diesem erheblichen Ausmaß (ca. 1-2 Stunden) privat während der Arbeitszeit gesurft hat. Sie hat hierbei u.a. ihre Labradorzucht betrieben. Darüber hinaus konnte sie sehen, wie die Klägerin intensiv auf Facebook gesurft hat. Auch hierüber betrieb die Klägerin während der Arbeitszeit ihre Labradortzucht und pflegte ihre privaten Kontakte. Unabhängig von der umfangreichen privaten Surfzeit hat die Klägerin nach Wahrnehmung von Frau
S.
regelmäßig ihre normale Mittagspause im Umfang von ca. 30 Minuten gemacht“;
Beweis
: Zeugnis Frau
S.
.
Randnummer
34
Alles in allem ergäbe sich hiernach, so die Beklagte weiter, aus den Gesamtzeiten privater Surfzeiten ein „Schaden von vermutlich mehr als 600 Stunden“
63
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Auf diese Weise habe die Klägerin sie jeden Arbeitstag um Arbeitszeit und damit um Entgelt betrogen und obendrein „ihr Gewerbe während der Arbeitszeit ausgeübt“
64
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. - Soweit sie im Gespräch am 18. Februar 2014 eine Leistungssteigerung um 50 v.H. angeboten habe, sei dies „natürlich erst einmal schön“
65
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 8 [c.] (Bl. 97 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 8 [c.] (Bl. 97 GA).
. Insofern frage sich jedoch, warum die Klägerin „nicht bislang schon diese Arbeitsleistung erbracht“ habe
66
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Immerhin müsse sie ohnehin wie jeder andere Arbeitnehmer „das ihr Zumutbare“ leisten, habe dies aber „offensichtlich die ganze Zeit nicht getan“
67
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Ihr Angebot sei also „eher ein Beweis dafür, dass die Arbeitseinstellung der Klägerin mehr als zu wünschen übrig“ lasse
68
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. - Was schließlich die von ihr erwähnten Kollegen betreffe, so seien deren Fälle mit dem ihren nicht vergleichbar: Zwar habe Herr L. an einem Tag versehentlich eine falsche Zeit (60 Minuten) eingetragen
69
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 12 (Bl. 101 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 12 (Bl. 101 GA).
. Doch habe er sich dafür nach Konfrontation mit der Abweichung „auf seine Initiative hin vor dem gesamten Produktionsteam entschuldigt“
70
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Bei Herrn H. seien ihrer Personalabteilung bezüglich der Arbeitszeiten keine Verfehlungen bekannt
71
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Dasselbe gelte für Herrn P. im Bezug auf die „Nutzung von Internetseiten mit pornografischem Inhalt“
72
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. Herrn W. sei zwar durch eine Telefonrechnung aufgefallen, die auf die Nutzung einer Sex-Hotline zurückgegangen sei
73
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 a.a.O.
. „Weitere Beobachtungen“ hätten jedoch „keine weiteren Verfehlungen“ ergeben, sodass man sich bei ihm auch aufgrund seiner 20jährigen Betriebszugehörigkeit auf eine Abmahnung beschränkt habe
74
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 12-13 (Bl. 101-102 GA).
S. Schriftsatz vom 30.4.2014 S. 12-13 (Bl. 101-102 GA).
.
Randnummer
35
VIII.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften verwiesen. | I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 27. Februar 2014 aufgelöst wurde.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 27. Februar 2014 hinaus fortbesteht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Mitarbeiterin im Bereich Qualitätsmanagement / Qualitätssicherung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
VI. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.681,40 EUR festgesetzt. | 1 |
Baden-Württemberg | 0 | 0 | 0 | I.
1
Die Klägerin ist ein vom Bundesamt für Luftfahrt zertifizierter Flug- und Wartungsbetrieb mit Sitz in der Schweiz. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bietet sie u. a. Dienstleistungen im Bereich des Helikopter-Fluggeschäfts an, insbesondere Schulungs- und Trainingsflüge für Privatpersonen und Berufspiloten.
2
Auf ihren entsprechenden Antrag hin bewilligte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 13. Oktober 2009 unter den üblichen Auflagen für zehn im Einzelnen aufgelistete, auf sie, die Klägerin, in der Schweiz zugelassene Helikopter die Befreiung von der Beförderungspflicht und vom Zollflugplatzzwang für Einreisen aus der Schweiz mit Landung auf dem Sonderlandeplatz X. Die Befreiung war bis zum 30. November 2012 befristet. Über eine luftfahrtrechtliche Erlaubnis nach § 2 Abs. 7 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes für nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes eingetragene und zugelassene Luftfahrzeuge, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einfliegen oder auf andere Weise dorthin verbracht werden, um dort zu verkehren, verfügte die Klägerin nicht.
3
In den Jahren 2009 und 2010 wurden die Helikopter im Rahmen diverser mehrtägiger Schulungsveranstaltungen zur Privat- und Berufspilotenausbildung entweder von einem bei der Klägerin angestellten Fluglehrer oder durch Flugschüler im Beisein eines Fluglehrers in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht. Die anschließende Landung erfolgte auf dem Sonderlandeplatz X. Sowohl am Tag des Einflugs aus der Schweiz als auch an ein bis zwei Folgetagen wurden Schulungsflüge durchgeführt, die auf dem Sonderlandeplatz X begannen und endeten, ohne dass dabei das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen wurde. Anschließend wurden die jeweiligen Helikopter wieder vom Flugplatz X aus in die Schweiz ausgeflogen. Die Helikopter waren so ausgestattet, dass sowohl der Pilot als auch der Copilot unabhängig voneinander den Helikopter steuern konnten, wovon bei allen Flügen, je nach Schulungssituation Gebrauch gemacht wurde.
4
Mit Bescheid vom 23. Mai 2011 widerrief das Hauptzollamt die Befreiung vom Zollflugplatzzwang für die zehn Helikopter mit sofortiger Wirkung und teilte der Klägerin mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10. Juni 2011 ATxxx unter anderem Zoll in Höhe von 175.873,36 EUR für die bei der Schulung verwendeten Helikopter mit. Die Zollschuld sei wegen Verstoßes gegen die sich aus dem Verfahren der vorübergehenden Verwendung ergebenden Pflichten nach Art. 204 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (im Folgenden Zollkodex; Amtsblatt EG Nr. L 302/1) entstanden, weil sie, die Klägerin, die Helikopter gewerblich verwendet habe, obwohl sie nicht im Besitz einer entsprechenden luftfahrtrechtlichen Erlaubnis nach § 2 Abs. 7 Satz 1 des Luftverkehrsgesetzes gewesen sei. Den gegen die Mitteilung von Abgaben eingelegten Einspruch wies das Hauptzollamt mit Bescheid vom 2. April 2012 als unbegründet zurück, woraufhin die Klägerin Klage erhob.
5
Zur Begründung ihrer nur Zoll betreffenden Klage lässt die Klägerin vortragen, die Voraussetzungen für die vollständige Befreiung von Einfuhrabgaben bei vorübergehender Verwendung von Beförderungsmitteln lägen vor. Eine gewerbliche Verwendung sei nicht erfolgt, da die Flüge nicht zur Beförderung von Personen gegen Entgelt oder zur industriellen oder gewerblichen Beförderung von Waren gegen oder ohne Entgelt gedient hätten. Die bis Ende 2003 geltende weitergehende Fassung des Art. 555 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (Amtsblatt der EG Nr. L 253/1 in der zum Zeitpunkt des Verbringens maßgeblichen Fassung, im Folgenden Zollkodex-Durchführungsverordnung), nach der die Verwendung im Rahmen der wirtschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmens generell als gewerblich anzusehen gewesen sei, sei nicht anwendbar. Das von den Flugschülern entrichtete Entgelt sei für die Ausbildung, nicht aber für die Beförderung bezahlt worden.
6
Das Hauptzollamt geht dagegen davon aus, dass die Klägerin die Helikopter gewerblich verwendet hat, da bei den durchgeführten Schulungsflügen Personen gegen Entgelt befördert worden seien. Der Begriff der Beförderung sei nicht auf einen erforderlichen Ortswechsel zu reduzieren, sondern vielmehr allgemein zu verstehen, wobei es darauf ankomme, ob das Beförderungsmittel mit Personen besetzt sei. Darauf dass die Zahlungen der Flugschüler nach Darstellungen der Klägerin für die Ausbildung, nicht jedoch für die Beförderung geleistet worden seien, komme es nicht an, denn die Ausbildung beinhalte von den Flugschülern durchzuführende Starts und Landungen und erfordere somit das Befördern der Flugschüler. Aufgrund der gewerblichen Verwendung habe die Klägerin nach Art. 558 Abs. 1 lit. c Zollkodex-Durchführungsverordnung nur Beförderungen durchführen dürfen, die außerhalb des Zollgebiets beginnen oder enden. | 1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 555 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2286/2003 der Kommission vom 18. Dezember 2003 (Amtsblatt der EG Nr. L 343/1) so auszulegen, dass auch entgeltliche Schulungsflüge mit Helikoptern, bei denen sich ein Flugschüler und ein Fluglehrer im Helikopter befinden, als gewerbliche Verwendung eines Beförderungsmittels anzusehen sind?
2. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorabentscheidungsfrage ausgesetzt. | 0 |
||
Verwaltungsgericht des Saarlandes 2. Kammer | Saarland | 0 | 1 | 08.10.2020 | 0 | Randnummer
1
Die ... geborene Klägerin ist für krankheitsbedingte Aufwendungen mit einem Bemessungssatz von 70 % beihilfeberechtigt. Mit ihrer Klage begehrt sie Beihilfe zu den Aufwendungen für die Hin- und Rückbeförderung zur bzw. von der ... Klinik ... in ... .
Randnummer
2
Nach operativen Eingriffen an der Wirbelsäule im ... Klinikum B-Stadt und einer Anschlussheilbehandlung in der ... in ... steht die Klägerin seit Mitte Februar 2018 in der regelmäßigen ambulanten orthopädischen und schmerztherapeutischen Behandlung des Dr. med. ..., Facharzt für Orthopädie, in B-Stadt. Mit ärztlichem Schreiben vom 18.04.2018 bescheinigte Dr. ... der Klägerin, dass sie alle ärztlichen Untersuchungs- und Therapiemaßnahmen nur in Begleitung wahrnehmen könne und nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Randnummer
3
Auch der Hausarzt der Klägerin, Dr. med. ..., Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren in B-Stadt, bescheinigte der Klägerin mit ärztlichem Attest vom 18.04.2018, dass sie aufgrund bestehender schwerer Erkrankungen kein öffentliches Verkehrsmittel benutzen könne und beim Verlassen des eigenen Hauses auf ständige fremde Hilfe angewiesen sei.
Randnummer
4
In der Zeit vom 23.04.2018 bis 09.05.2018 befand sich die Klägerin auf Veranlassung des Dr. ... in stationärer Behandlung in der ... Klinik ... in .... Aus dem Einweisungsschreiben vom 11.04.2018 (Bl. 34 der Verwaltungsakte) geht hervor, dass die Mobilität und Belastbarkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt seien, weshalb sie auf einen Rollator und für längere Wege auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Die Einweisung erfolge zur konservativen orthopädischen und schmerztherapeutischen Behandlung.
Randnummer
5
Für die Hinfahrt zum Krankenhaus am 23.04.2018 und für die Rückfahrt zu ihrer Wohnung am 09.05.2018 verordnete der Hausarzt Dr. ... der Klägerin jeweils eine Krankenbeförderung. Als Beförderungsmittel war jeweils „Taxi/Mietwagen“ angekreuzt (Bl. 37, 38 der Verwaltungsakte).
Randnummer
6
Das von der Klägerin für die Beförderung in Anspruch genommene Taxiunternehmen stellte ihr Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 299,- € (Hinfahrt: 145,- €; Rückfahrt: 154,- €) in Rechnung (Bl. 39, 40 der Verwaltungsakte).
Randnummer
7
Diese Aufwendungen machte die Klägerin mit Beihilfeantrag vom 14.05.2018, eingegangen am 16.05.2018, beim Beklagten geltend. Die ärztlichen Schreiben bzw. Verordnungen waren dem Beihilfeantrag offenbar nicht beigefügt.
Randnummer
8
Mit Beihilfebescheid vom 30.05.2018 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beihilfe zu den geltend gemachten Beförderungskosten ab. Zur Begründung war unter der Hinweis-Nr. 1801 Folgendes ausgeführt:
„Höhere Beförderungskosten als die Kosten regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel sind nur beihilfefähig bei Rettungsfahrten oder wenn eine anderweitige Beförderung (Taxi, Krankenwagen, privater PKW) wegen der Schwere oder Eigenart einer bestimmten Erkrankung oder Behinderung unvermeidbar war. Die medizinische Notwendigkeit ist durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes nachzuweisen (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 BhVO). Im vorliegenden Fall fehlt eine derartige Bescheinigung. Die Aufwendungen konnten daher (vorläufig) nicht berücksichtigt werden.“
Ferner hieß es unter der Hinweis-Nr. 6018:
„Die Aufwendungen konnten nicht als beihilfefähig anerkannt werden, da die schriftliche Verordnung des Arztes für Heilmittel, Heilbehandlungen (z.B. Bäder, Massagen usw.), Verbandmaterial und Hilfsmittel dem Antrag nicht beigefügt war (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 BhVO). Die fehlende Verordnung sowie die dazugehörige Rechnung können innerhalb eines Monats nachgereicht werden.“
Randnummer
9
Mit Schreiben vom 07.06.2018, beim Beklagten eingegangen am 11.06.2018, erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch und fügte ihrem Schreiben die o.g. ärztlichen Bescheinigungen bzw. Verordnungen des Dr. ... und des Dr. ... bei. Ferner bat sie um schriftliche Bestätigung, ob Fahrten zu Untersuchungs- und Therapiemaßnahmen damit abgedeckt seien oder ob jeweils erneute ärztliche Atteste erforderlich seien.
Randnummer
10
Eine Rückantwort des Beklagten erfolgte offensichtlich nicht.
Randnummer
11
In der Folgezeit stellte die Klägerin weitere Beihilfeanträge, mit denen u.a. Aufwendungen für Fahrten mit dem privateigenen PKW zu verschiedenen ärztlichen Behandlungen, denen sich die Klägerin unterziehen musste, geltend gemacht wurden. Nachdem der Beklagte zu diesen Aufwendungen mit Beihilfebescheiden vom 06.07.2018 und 29.08.2018 ebenfalls keine Beihilfe gewährt hatte, erhob die Klägerin auch insoweit Widerspruch.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 24.09.2018 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin u.a. gegen die Beihilfebescheide vom 30.05.2018, 06.07.2018 und 29.08.2018, soweit die Nichtanerkennung von Fahrtkosten (Taxi und privateigener PKW) im Streit war, zurück. Zur Begründung hieß es, Fahrtkosten könnten zwar nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 BhVO gewährt werden, sie seien jedoch nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 5 BhVO bei Nutzung eines privateigenen PKW für eine Behandlung innerhalb des sogenannten Einzugsgebietes von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Der Begriff des Einzugsgebietes bestimme sich nach § 2 Abs. 6 des Saarländischen Umzugskostengesetzes. Hierin sei das Einzugsgebiet als das inländische Gebiet definiert, in dem sich Wohnungen befänden, die auf einer üblicherweise befahrenen Strecke nicht mehr als 40 km von der Gemeindegrenze des Dienstortes entfernt lägen. Demnach werde grundsätzlich keine Beihilfe zu Aufwendungen mit dem privateigenen PKW gewährt, wenn die Strecke, die zurückzulegen sei, 40 km nicht überschreite. Dies müsse auch dann gelten, wenn der Wohnort im angrenzenden Frankreich liege. Sofern die 40 km-Grenze überschritten sei, sei eine Beihilfefähigkeit der Mehrkilometer nur gegeben, wenn eine nächstgelegenere Behandlungsmöglichkeit nicht bestehe. Hinsichtlich der beantragten Fahrtkosten seien die Fahrten zur Universitätsklinik ... und zum Klinikum ... außerhalb der 40 km-Grenze, so dass ggf. übersteigende Kilometer begünstigt sein könnten. Es sei jedoch nicht ersichtlich, ob die Behandlung in diesen Krankenanstalten nicht in einem näher gelegenen Krankenhaus hätte durchgeführt werden können. Die eingereichten Begründungen - keine Möglichkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Erfordernis einer Begleitperson - gereichten nicht zu einer anderen Beurteilung. Hieraus ergebe sich, dass die Aufwendungen für die Benutzung des privateigenen PKW nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 5 Buchstaben b und c BhVO nicht beihilfefähig seien. Die beantragten Taxiaufwendungen seien ebenso nicht beihilfefähig. Die in Rede stehenden Taxikosten seien für die Fahrt zum Arzt für Allgemeinmedizin in B-Stadt geltend gemacht worden. Auch insoweit gelte die Einschränkung, dass Fahrtkosten nur dann beihilfefähig seien, wenn eine Behandlung an einem nächstgelegeneren Ort nicht möglich sei. Ein Hausarzt könne sicherlich auch wohnortnah aufgesucht werden. Hieran ändere auch die Bescheinigung des Hausarztes nichts, dass die Klägerin bereits seit 30 Jahren in Behandlung bei diesem Arzt sei. Auch aus Fürsorgegesichtspunkten könne eine Beihilfefähigkeit hier nicht bejaht werden. Für die aufgrund des Umzuges von B-Stadt nach Frankreich entstehenden Mehrkosten könnte nur dann die Fürsorgepflicht greifen, wenn der Beihilfeberechtigte mit erheblichen Aufwendungen belastet bliebe, denen er sich nicht entziehen könnte und die aus der Alimentation zu tragen ihm unzumutbar wäre. Dabei sei es dem Beihilfeberechtigten auch zuzumuten, einen möglichst nahe an seinem Wohnort ansässigen Behandler aufzusuchen. Hinsichtlich der Fahrtkosten zur podologischen Behandlung gelte das zuvor Gesagte auch, sodass auch insoweit eine Beihilfefähigkeit dieser Fahrtkosten zu verneinen sei. Zu einer anderen Entscheidung könne auch nicht das vorgelegte Attest des Facharztes für Orthopädie gereichen, da auch insoweit auf das oben Gesagte zu verweisen sei. Auch wenn Fahrtkosten im Rahmen der Beihilfefestsetzung zuvor anerkannt worden seien, könne hieraus kein Rechtsanspruch abgeleitet werden.
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Am 26.10.2018 ist die vorliegende Klage bei Gericht eingegangen, mit der sich die Klägerin - wie sie auf gerichtliche Nachfrage ausdrücklich klargestellt hat - nur gegen den Beihilfebescheid des Beklagten vom 30.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2018 wendet, soweit darin Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 299,- € als nicht beihilfefähig ausgewiesen worden sind.
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Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin zunächst darauf hingewiesen, dass sie sich in der Zeit vom 02.07.2018 bis 10.07.2018 erneut in stationärer Behandlung in der ... Klinik ... in ... befunden habe und der Beklagte diesmal die ihr von dem Taxiunternehmen in Rechnung gestellten Fahrtkosten für die Hin- und Rückförderung in Höhe von insgesamt 185,- € (
gemeint: 285,- €; vgl. die vorgelegten Taxiquittungen vom 02.07.2018 und 10.07.2018, Bl. 102, 103 der Gerichtsakte
) mit Beihilfebescheid vom 30.08.2018 als beihilfefähig anerkannt habe (
vgl. den vorgelegten Beihilfebescheid Bl. 99 der Gerichtsakte
). Daher sei ihr auch zu den streitgegenständlichen Fahrtkosten vom 23.04.2018 und 09.05.2018 eine Beihilfe zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BhVO i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 11 BhVO lägen vor. Ausweislich des Attestes ihres Hausarztes Dr. ... vom 18.04.2018 sei es ihr wegen ihrer zahlreichen Krankheitsbilder nicht möglich gewesen, die Mittel des öffentlichen Nahverkehrs in Anspruch zu nehmen. Vor diesem Hintergrund seien die Aufwendungen, die ihr durch den verordneten Taxidienst entstanden seien, beihilfefähig. Der Beklagte könne dem auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, eine Behandlung wäre wohnortnäher möglich gewesen und man hätte nicht auf ein Klinikum, welches sich ca. 70 km von ihrem Wohnort entfernt befinde, zurückgreifen müssen. Bei der ... in ... handele es sich um ein Akutkrankenhaus, welches seit Anfang 2003 über eine Abteilung für Konservative Orthopädie verfüge. Diese Abteilung umfasse 56 Betten und sei ausweislich eines zur Gerichtsakte gereichten Flyers „einmalig im Saarland“. Die Abteilung „Konservative Orthopädie“ sei spezialisiert auf die Diagnose und Behandlung degenerativer und rheumatischer Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen sowie auf die nichtoperative Behandlung von Verletzungen des Bewegungsapparates. Die Klinik behandle alle akuten und chronischen Erkrankungen und Verletzungen des Stütz- und Bewegungsapparates, bei denen eine Operation nicht erfolgversprechend oder aus medizinischen Gründen nicht möglich sei. Zum Therapeutenteam gehörten spezialisierte Fachärzte, Physiotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister. Speziell geschultes Pflegepersonal, Sozialarbeiter und Seelsorger gehörten ebenso zum therapeutischen Team wie klinische Psychologen, die die Patienten bei der Bewältigung von Schmerzen und psychosozialen Belastungen berieten und begleiteten. Als Leistungsspektrum führe die ... Klinik ... an:
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„Schwerpunkte unserer Arbeit sind multimodale Komplexbehandlungen am Bewegungssystem (OPS 8-977), in der Schmerztherapie (OPS 8-918) und in der Rheumatologie (OPS 8-983).
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Dazu setzen wir ein:
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- Manuelle Medizin mit Mobilisation, Manipulation, Weichteiltechniken und Osteopathischen Techniken
- Therapeutische Lokalanästhesie
- Spezielle Schmerztherapie
- Intraartikuläre Injektionen
- CT- und Röntgen-Monitor gesteuerte Infiltrationen
- Facettenthermokoagulation
- Extrakorporelle Stoßwellentherapie ESWT
- Laser
- repetitive Periphere Nervenstimulation rPNS
- Implantation und Auffüllen von Schmerzmittelpumpen
- Implantation von SCS-Sonden und Generatoren zur Spinal Cord Stimulation
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Ergänzt werden diese Methoden durch ganzheitliche Therapie wie:
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- Psychologische Gesprächstherapie
- Akupunktur
- Naturheilverfahren
- Entspannungstechniken
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Von großer Bedeutung in unserem Therapiekonzept ist die aktivierende Physiotherapie mit ihren verschiedenen Verfahren wie:
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- Manuelle Therapie
- Medizinische Trainingstherapie mit modernsten Geräten zum computergestützten Wirbelsäulentraining
- Neurophysiologische Verfahren
- Rückenschule
- Migräne-Therapie"
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Bei der ... Klinik ... handele es sich um eine Spezialklinik, die die besten Therapiemöglichkeiten zur Behandlung ihrer Leiden biete. Wohnortnähere Krankenhäuser, die - ausgerichtet an ihren Erkrankungen - über ein hinreichendes Leistungsspektrum verfügten, seien nicht vorhanden. Die orthopädische Abteilung der ... Klinik ... sei im Saarland „einmalig". Es würden nicht nur Erkrankungen des Bewegungsapparates durch verschiedene Verfahren geheilt bzw. die daraus folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen therapiert, sondern auch die damit oftmals einhergehenden Schmerzen behandelt. Durch die komplexe Gesamtbehandlungsstruktur, die verschiedene Behandlungsstränge miteinander vereine, werde die bestmögliche Regenerierung des Körpers unter orthopädischer Sicht ermöglicht. Bei Betrachtung der in dem ärztlichen Attest des Dr. ... vom 18.04.2018 aufgeführten Erkrankungen sei unschwer festzustellen, dass die ... Klinik ... eine umfassende Behandlung ihrer Leiden gewährleiste. Da es sich um eine Klinik handele, die wohnortnah vergleichbar nicht vorzufinden sei, seien die Fahrtkosten, die sie habe aufbringen müssen, um zur Klinik bzw. zurück in ihre Wohnung zu gelangen, nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 BhVO als beihilfefähig anzuerkennen.
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Nachdem die Kammer in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass der Beklagte irrtümlich von einem Taxitransfer zur Praxis des Hausarztes ausgegangen sei, und eine Klaglosstellung angeregt hat, haben die Vertreter des Beklagten erklärt, in der wohnortnäheren ... Klinik sei eine geeignete Behandlung möglich gewesen, sodass nur die Kosten für die Hin- und Rückfahrt zu dieser Klinik übernommen würden; die Klägerin werde daher im Umfang von 150,- € (davon 70 %) klaglos gestellt.
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Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Die Klägerin beantragt daraufhin,
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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Beihilfebescheides vom 30.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2018 zu verpflichten, ihr zu den verbliebenen Aufwendungen für die Hin- und Rückbeförderung zur bzw. von der ... Klinik in ... in Höhe von 149,- € antragsgemäß Beihilfe zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und sieht von einer weiteren Stellungnahme ab.
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Unter dem 28.11.2019 hat die Klägerin eine fachärztliche Bescheinigung des Dr. ... vom 12.11.2019 zur Gerichtsakte gereicht, die sich inhaltlich auf die stationäre Behandlungsmaßnahme in dem Rehabilitationszentrum ... und damit auf den Gegenstand des Parallelverfahrens ... bezieht. Die Klägerin meint, hierdurch werde bestätigt, dass wohnortnähere Krankenhäuser, die - ausgerichtet an ihren Erkrankungen - über ein hinreichendes Leistungsspektrum an Behandlungen verfügten, nicht vorhanden seien.
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Der Beklagte hat sich hierzu nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten; er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 105,- € (150,- € x 70 %) wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
VG Mainz 3. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 17.11.2015 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Zulassung zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester bei der Beklagten nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014.
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Er erlangte am 28. Juni 2013 an den Kaufmännischen Schulen R. die Allgemeine Hochschulreife mit einem Notendurchschnitt von 2,4.
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Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zulassung zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester zum Sommersemester 2014 sowohl außerhalb als auch innerhalb der festgesetzten Kapazität. Dieser Antrag wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 28. November 2014 abgelehnt. Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch.
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Mit Antrag vom 8. Januar 2014 nahm der Kläger am Auswahlverfahren der Hochschulen bei der Stiftung für Hochschulzulassung teil. Diese teilte ihm mit Bescheid vom 24. März 2014 mit, dass er von keiner der im Bescheid genannten Hochschulen – darunter die Beklagte – ausgewählt worden sei.
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Am 10. April 2014 beantragte der Kläger beim erkennenden Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, ihn vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zum Studium der Zahnmedizin bei der Beklagten im 1. Fachsemester im Sommersemester 2014 zuzulassen (12 L 394/14.MZ). Dieser Antrag wurde durch Beschluss vom 17. Juli 2014 abgelehnt. Der Beschluss ist unanfechtbar.
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Bereits am 20. November 2014 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Er trägt vor: Da seines Wissens in den letzten Jahren kein Hauptsacheverfahren gegen die Beklagte in Bezug auf das Studium der Zahnmedizin durchgeführt worden sei, fehle es an einer Überprüfung des Curriculareigenanteils der Zahnmedizin am Curricularnormwert. Der Curriculareigenanteil für die Zahnmedizin sei für das Sommersemester 2014 mit 6,2843 angegeben worden. Dieser Anteil begegne deshalb Zweifeln, weil nicht nachvollziehbar sei, ob Kleingruppen jeweils durch einen Assistenzarzt oder einen Professor geleitet worden seien, da insoweit die Namen der Lehrpersonen fehlten. Es werde bezweifelt, dass für jeden dieser Kurse ein wissenschaftlicher Assistent oder ein Professor zur Verfügung gestanden habe; es sei vielmehr anzunehmen, dass auch studentische Hilfskräfte eingesetzt würden und ein Professor, ein wissenschaftlicher Assistent oder ein wissenschaftlicher Angestellter für mindestens zwei Gruppen zuständig sei. Darüber hinaus sei zu überprüfen, ob im Bereich der befristeten wissenschaftlichen Angestellten, die für das Studienjahr 2013/2014 mit 44 Stellen angegeben seien, nicht auch solche wissenschaftlichen Angestellten beschäftigt seien, die die Befristungsdauer nach dem WissZeitVG überschritten hätten und demnach mit einem höheren Lehrdeputat anzusetzen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelte für wissenschaftliche Mitarbeiter, die nicht wissenschaftliche Mitarbeiter der medizinischen Fachrichtungen seien, eine Befristungsdauer von 6 Jahren. Soweit dem gegenüber das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die Auffassung vertreten haben, die Befristungen wissenschaftlicher Mitarbeiter seien nicht zu berücksichtigen, steht dies im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Jedenfalls sei es aber erforderlich, die Befristungsdauer nach der Promotion bzw. die Dauer des Promotionsverfahrens zu überprüfen. Eine Befristung für wissenschaftliche Fortbildung über 9 Jahre nach der Promotion hinaus könne nicht als Grund für eine Deputatsreduzierung auf 4 SWS angenommen werden; im Rahmen der Würdigung seiner Grundrechte sei bei wissenschaftlichen Mitarbeitern spätestens nach 9 Jahren nach der Promotion ein volles Lehrdeputat von 8 SWS anzusetzen.
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Der Kläger beantragt,
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Die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. November 2014 zu verpflichten, ihn zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014 zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Aus einer Übersicht der Lehrveranstaltungen, aus der sich Lehrende und Gruppengrößen entnehmen ließen, ergebe sich, dass die gebildeten Kleingruppen jeweils von wissenschaftlichem Personal geleitet worden seien. Dies gelte auch für das streitgegenständliche Fachsemester. Der Einsatz von studentischen Hilfskräften sei schon angesichts des Lehrinhaltes undenkbar. Es bestehe keine Veranlassung für Vorlage der Verträge der befristet beschäftigten Mitarbeiter und Überprüfung der Einhaltung der Höchstbefristungsdauer nach dem WissZeitVG, denn diesem komme ausschließlich arbeitsrechtliche Bedeutung zu. Hingegen begründe es keine Lehrverpflichtung für einzelne Personengruppen und habe auch keine kapazitätsrechtliche Bedeutung. Die Überschreitung der Höchstbefristungsdauer führe insbesondere nicht dazu, dass ein höheres Deputat anzusetzen sei. Überdies widerspreche eine detaillierte Überprüfung der arbeitsrechtlichen Wirksamkeit der Befristungsabreden dem im
§ 9 Abs. 1 KapVO
enthaltenen abstrakten Stellenprinzip. Nach diesem komme es auf konkrete Qualifikation des Stelleninhabers nicht an.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in den Gerichtsakten Bezug genommen. Die bei Gericht geführte Generalakte bezüglich des Studiengangs Zahnmedizin für das Sommersemester 2014 wird ebenso wie die beigezogene Gerichtsakte 12 L 394/14.MZ zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Die Beteiligten streiten (noch) über die Vergütung der Zusatzpauschale Kardiologie II (Gebührenordnungsposition <GOP> 13550 EBM) in den Quartalen 3/2010 und 4/2010.
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Der Kläger ist seit 1986 als kardiologischer Oberarzt und Chefarztvertreter in der Klinik W. in T. tätig und führt nach eigenen Angaben jährlich etwa 1.500 echokardiographische Untersuchungen durch.
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Mit Beschluss des Zulassungsausschusses (ZA) für Ärzte für den Bezirk der KVBW, Regierungsbezirk F.g, vom 21.11.2007/Bescheid vom 05.12.2007 wurde der Kläger für die Zeit vom 22.11.2007 bis zum 31.12.2009 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für folgende kardiographische Leistungen ermächtigt: auf Überweisung von niedergelassenen Vertragsärzten nach den GOP 01310, 01311, 01312, 01600, 01601, 01602, 13250, 13550, 13551, 13552, 34240, 34241, 34242, 34280, 40120, 40122 EBM 2000 plus. Der Beschluss enthielt den Hinweis, dass genehmigungspflichtige Leistungen nur dann abgerechnet werden könnten, wenn die entsprechende Abrechnungsgenehmigung durch die KVBW, Geschäftsbereich Qualitätssicherung vorliege. Dem Kläger wurde mit Beschluss des ZA vom 09.12.2009/Bescheid vom 15.01.2010 für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2011 eine entsprechende Ermächtigung für die Erbringung von vertragsärztlichen Leistungen nach den GOP 01321, 01600, 01601, 01602, 13250, 13545, 13550, 13551, 13552, 13560. 34240, 34241, 34242, 34280, 40120 bis 40144 EBM 2009 erteilt, die ebenfalls den Hinweis auf die Notwendigkeit der Abrechnungsgenehmigung der KVBW für genehmigungspflichtige Leistungen enthielt.
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Die vom Kläger auf der Grundlage dieser Ermächtigungen erbrachten kardiographischen Leistungen wurden von der Beklagten vergütet, und zwar bis zum Quartal 2/2010 einschließlich der Leistungen nach den GOP 13545 (Zusatzpauschale Kardiologie I) und 13550, ohne dass die Beklagte das Fehlen der Abrechnungsgenehmigung für echokardiographische Leistungen beanstandete.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 03.11.2010 (Information zur Gesamt-Abrechnung 3/2010) wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Abrechnung der GOP 13550 in elf Fällen nicht erfolgen könne, da die Leistung einer Sonographiegenehmigung der KV bedürfe. Daraufhin beantragte der Kläger am 22.11.2010 bei der Beklagten eine Genehmigung zur Durchführung echokardiographischer Leistungen. Die Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 03.12.2010 darauf hin, dass Nachweise über die Anzahl der der durchgeführten Ultraschalluntersuchungen des Herzens vorzulegen seien. Die Abrechnungsgenehmigung wurde dem Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 05.05.2011 mit Wirkung ab dem 28.04.2011 erteilt.
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Am 14.12.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Korrektur seiner Gesamtabrechnung für das Quartal 3/2010 und bat um Ersetzung der bei den - im Schreiben vom 03.11.2010 genannten - elf Patienten abgerechneten GOP 13550 in die GOP 13545, da die Beklagte die Leistungen nach der GOP 13550 ersatzlos gestrichen habe. Die Beklagte lehnte die Korrektur der Abrechnung mit Bescheid vom 15.12.2010 ab. Mit Schreiben vom 28.12.2010 wies der Kläger auf die ihm erteilte Ermächtigung vom 15.01.2010 hin, die sich auch auf die GOP 13550 erstrecke. Er bat darum, für die noch offenen Abrechnungen für die Quartale 3/2010 und 4/2010 die GOP 13550 anzuerkennen.
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Mit Honorarbescheid vom 13.01.2011 und dazugehörigem Richtigstellungsbescheid vom selben Tag für das Quartal 3/2010 strich die Beklagte die Gebührenziffer 13550 (Zusatzpauschale Kardiologie II) in 11 Fällen und kürzte die Vergütung um 905,96 EUR. Diese Leistung bedürfe einer Sonographiegenehmigung der KV.
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Dagegen legte der Kläger am 10.02.2011 Widerspruch ein. Er machte geltend, es liege ein rechtskräftiger Beschluss des ZA vom 15.01.2010 vor, welcher auch die Abrechnungsziffer 13550 beinhalten würde. Ersatzweise möge die GOP 13545 angesetzt werden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Genehmigung zur Abrechnung der GOP 13550 könne frühestens ab dem Tag der Antragstellung erteilt werden, wenn alle zum Qualifikationsnachweis erforderlichen Unterlagen (Zeugnisse, Bescheinigungen und Gerätenachweise) der KVBW vollständig vorliegen würden. Soweit für den Nachweis Unterlagen fehlten, könne die Genehmigung erst ab dem Tag erteilt werden, an dem die Antragsunterlagen bei der KVBW komplettiert seien. Der Korrekturwunsch bezüglich der ersatzweise abzurechnenden GOP 13545 sei abgelehnt worden (Bescheid vom 15.12.2010). Auch die GOP 13545 sei genehmigungspflichtig.
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Mit Honorarbescheid vom 15.04.2011 und dazugehörigem Richtigstellungsbescheid vom selben Tag für das Quartal 4/2010 wurde dem Kläger die GOP 13550 wiederum in 26 Fällen gestrichen. Im Honorarbescheid/Richtigstellungsbescheid vom 15.07.2011 für das Quartal 1/2011 wurde dem Kläger die GOP 13550 erneut in 22 Fällen gestrichen. Zur Begründung wurde ebenfalls auf die fehlende Sonographiegenehmigung verwiesen.
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Mit Schreiben vom 12.08.2011, eingegangen bei der Beklagten am 16.08.2011, widersprach der Kläger den Honorarbescheiden für die Quartale 4/2010 und 1/2011. Nach diversen telefonischen Klärungsversuchen habe er Bescheinigungen über die erforderlichen Untersuchungszahlen vorgelegt. Bis zum Quartal 2/2010 seien seine Abrechnungen nicht beanstandet worden. es sei auch keine Aufforderung erfolgt, fehlende Unterlagen einzureichen. Erst mit der Abrechnung 3/2010 sei ihm die Leistung nach der GOP 13550 gestrichen worden. Wäre er rechtzeitig aufgefordert worden, den Nachweis von Untersuchungszahlen vorzulegen, hätte er diese zeitgerecht einreichen können.
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Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 30.08.2011 den Eingang des Widerspruchs am 16.08.2011 und wies darauf hin, dass der Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 verfristet sei. Der Kläger wurde gebeten mitzuteilen, ob Wiedereinsetzungsgründe bestünden, oder ob er seinen Widerspruch zurücknehme. Mit Antwortschreiben vom 22.09.2011 erklärte der Kläger, er nehme den Widerspruch nicht zurück. Weiter führte er aus, wie bereits gegen den Honorarbescheid 3/2010 habe er sowohl telefonisch als auch per Fax diesem Bescheid widersprochen, im Schreiben vom 28.12.2010 auch explizit zum 4. Quartal 2010.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 als unzulässig zurück. Der angegriffene Honorarbescheid sei am 05.05.2011 versandt worden. Die Widerspruchsfrist sei am 08.06.2011 abgelaufen. Der Widerspruch sei demgegenüber erst am 16.08.2011 eingegangen. Gründe zur Wiedereinsetzung seien vom Kläger nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar.
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Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 wurde der Widerspruch hinsichtlich des Honorarbescheides für das Quartal 1/2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Abrechnungsgenehmigung sei gemäß Schreiben der KVBW vom 05.05.2011 erst ab dem 28.04.2011 gültig.
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Bereits am 18.10.2011 hatte der Kläger gegen den Honorarbescheid für das Quartal 3/2010 vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 02.05.21012 erweiterte er die Klage auf die Honorarbescheide für die Quartale 4/2010 und 1/2011. Die Beklagte erklärte sich mit der Klageerweiterung einverstanden.
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Der Kläger begründete seine Klage dahingehend, dass der Widerspruch gegen den Honorarbescheid betreffend das Quartal 4/2010 fristgerecht eingereicht worden sei. Der Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 enthalte keinerlei Hinweise dazu, wann dieser zur Post aufgegeben worden sei. Damit lasse sich nicht feststellen, ob und wann dieser Verwaltungsakt dem Kläger bekannt gegeben worden sei. Eine förmliche Zustellung des Honorarbescheides gegen Postzustellungsurkunde (PZU) sei ebenfalls nicht erfolgt, sonst hätte sich in der Akte ein entsprechender Zustellungsnachweis finden lassen müssen. Da sich aus der Akte nicht entnehmen lasse, dass der Honorarbescheid für das Quartal 4/2010, wie im Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 behauptet, am 05.05.2011 abgesandt worden sei, könne der Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid nicht verfristet gewesen sein. Im Übrigen habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass er für die Quartale 3/2010 bis 1/2011 eine wirksame Genehmigung zur Erbringung der streitgegenständlichen korrigierten Leistungen gehabt habe. Die Ermächtigung zur Erbringung solcher echokardiographischer Leistungen sei ihm bereits Ende 2007 erteilt worden. Mit Bescheid vom 28.11.2007 sei er in das Hilfsregister der Beklagten eingetragen worden. Die Beklagte habe im Anschluss daran jahrelang anstandslos die entsprechenden Leistungen des Klägers vergütet. Bei Inkrafttreten der Ultraschallvereinbarung am 01.04.2009 habe der Kläger Bestandsschutz für die Erbringung derartiger Leistungen aufgrund der Ermächtigung des Zulassungsausschusses vom 05.12.2007 besessen. Daher seien ihm auch weitere echokardiographische Leistungen für die Quartale 2/2009 bis 4/2009 von der Beklagten anstandslos vergütet worden. Der Kläger sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Erbringung und Vergütung von Leistungen der GOP 13545 und 13550 auch weiterhin erfüllt seien. Die Ermächtigung des Klägers sei ohne jegliche Beanstandung der Beklagten bis zum 31.12.2011 verlängert worden. Die Rechtslage für die Vergütung habe sich seit dem 01.04.2009 nicht mehr verändert. Über eine mögliche Veränderung der Rechtslage sei der Kläger zudem niemals von der Beklagten aufgeklärt worden, wozu die Beklagte nach § 5 ihrer Satzung verpflichtet sei. Zudem habe der Kläger mit Schreiben vom 22.11.2010 weitere Unterlagen vorgelegt und gleichzeitig auch noch eine förmliche Genehmigung für die Abrechnung der GOP 13550 beantragt. Trotz mehrfacher Nachfrage - sowohl telefonisch als auch schriftsätzlich - habe er jedoch keine Antwort auf seine Nachfragen erhalten. Nur deshalb seien die - aus Sicht der Beklagten - notwendigen weiteren Unterlagen erst im April 2011 eingereicht worden.
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Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, der Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 sei eindeutig verfristet. Der Honorarbescheid sei am 05.05.2011 versandt worden. Nach interner Festlegung würden die Honorarbescheide jeweils zu einem festen Zeitpunkt verschickt. Die Honorarbescheide für das Quartal 4/2010 seien einheitlich am 05.05.2011 zur Post aufgegeben worden. Hierzu werde auf einen Auszug aus einem Computerprogramm der Beklagten verwiesen. Konkrete Zugangsnachweise könnten angesichts der Menge der zu versendenden Honorarbescheide nicht vorgelegt werden. Dem Schreiben des Klägers vom 12.08.2011 sei erstmals ein Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 zu entnehmen. In dem Zeitraum seit dem 05.05.2011 sei kein weiteres Schreiben des Klägers bei der Beklagten eingegangen, das als Widerspruch hätte qualifiziert werden können. Hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Berichtigung für die Quartale 3/2010 und 1/2011 sei maßgeblich, dass der Kläger auf Seite 2 des Ermächtigungsbescheides des ZA vom 05.12.2007 darauf hingewiesen worden sei, dass genehmigungspflichtige Leistungen nur dann abrechnungsfähig seien, wenn eine entsprechende Genehmigung der Beklagten vorliege. Entsprechendes gelte für die Folgeermächtigung ab dem 01.01.2010. Erst am 16.11.2010 habe der Kläger die Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung echokardiographischer Leistungen beantragt. Mit Schreiben vom 03.12.2010 sei der Kläger des Weiteren aufgefordert worden, Fallzahlen für die beantragten Untersuchungsgebiete vorzulegen, da seine Weiterbildungszeugnisse keine Untersuchungszahlen enthielten. Außerdem sei er darauf hingewiesen worden, dass eine Genehmigung für das Belastungsecho nur nach erfolgreicher Teilnahme an einem Kolloquium erteilt werden könne. Insofern sei der Vortrag des Klägers widerlegt, dass sich die Beklagte auf seinen Antrag vom 16.11.2010 nicht gemeldet hätte. Dem sei der Kläger erst am 28.04.2011 nachgekommen, so dass die beantragte Genehmigung erst mit Bescheid vom 05.05.2011 hätte erteilt werden können.
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Mit Urteil vom 26.11.2013 änderte das SG die Honorarbescheide der Beklagten für die Quartale 3/2010 und 4/2010 jeweils in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19.09.2011 und 30.03.2012 und verurteilte die Beklagte, dem Kläger weiteres Honorar für die GOP 13550 für das Quartal 3/2010 in Höhe von 905,96 EUR und für das Quartal 4/2010 für 21 Fälle zu bewilligen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 15.04.2011 betreffend das Quartal 3/2010
(gemeint 4/2010)
zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Widerspruch vom 12.08.2011 sei nicht verfristet, da die Beklagte den Tag der Aufgabe zur Post nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen habe. Nach § 37 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Enthalte die Akte der Behörde keinen Vermerk über den Tag der Aufgabe des Schriftstücks zur Post, trete grundsätzlich keine Zugangsfiktion ein (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - in juris Rn. 17; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 37 Rn. 12; Krasney in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd. II, § 37 SGB X Rn. 6). § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X enthalte eine gesetzliche Fiktion des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes, nicht aber eine Fiktion, dass und wann der Verwaltungsakt zur Post gegeben worden sei (Sächsisches LSG, Urteil vom 18.03.2010 - L 3 AS 180/09 - in juris Rn. 25). In der Verwaltungsakte der Beklagten befinde sich nur eine Kopie des Bescheides vom 15.04.2011. Auf dieser Zweitschrift sei nicht vermerkt worden, ob und gegebenenfalls wann der Bescheid zur Post gegeben worden sei. Auch der von der Beklagten vorgelegte Aufgabevermerk außerhalb der Verwaltungsakte reiche im konkreten Fall nicht aus, um nachzuweisen, wann genau der Bescheid zur Post aufgegeben worden sei. Auch unter Berücksichtigung der elektronischen Übersicht sei nicht genau erkennbar, wann der streitgegenständliche Bescheid vom 15.04.2010 tatsächlich zur Post aufgegeben worden sei. In dem angeführten Auszug werde lediglich die allgemeine Behauptung aufgestellt, dass alle Honorarbescheide des Quartales 4/2010 am 05.05.2011 zur Post aufgegeben worden seien. Ob hiervon auch der streitgegenständliche Honorarbescheid erfasst sei, bleibe völlig offen. Es gebe keinerlei Hinweise, dass die Aufgabe zur Post für den konkreten Bescheid vom 15.04.2010 durch die Beklagte intern nachgeprüft und nachvollzogen worden sei. Zwar sei es angesichts der Menge der jeweils zu einem festen Stichtag zu versendenden Honorarbescheide schwieriger, den einzelnen Nachweis der Aufgabe zur Post zu führen. Die Entscheidung, durch eine Sammelversendung eventuell bestehende Effizienzpotentiale zu nutzen, führe aber nicht dazu, die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 SGB X weniger streng zu prüfen. Es sei Aufgabe der Beklagten, eine hinreichende Dokumentation der Aufgabe zur Post für jeden einzelnen Bescheid sicherzustellen. Dieser Nachweis sei für den Bescheid für das Quartal 4/2010 nicht geführt worden. Ohne Nachweis, wann der Bescheid zur Post aufgegeben worden sei, laufe die Monatsfrist des § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht (LSG Rheinland-Pfalz, Teilurteil vom 30.09.2010 - L 1 AL 122/09 - in juris Rn. 23). Die Beklagte sei nicht berechtigt, das vertragsärztliche Honorar des Klägers für die Quartale 3/2010 und 4/2010 sachlich-rechnerisch gemäß § 106 a Abs. 2 Satz 1 SGB V zu berichtigen. Nach der Vereinbarung von Qualifikationsvoraussetzungen gemäß § 135 Abs. 2 SGB V zur Durchführung von Untersuchungen in der Ultraschalldiagnostik (Ultraschall-Vereinbarung <UV>) vom 10.02.1993 in der Fassung vom 31.10.2008 sei die Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Ultraschalldiagnostik im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durch die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte erst nach Erteilung der Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung zulässig. Die Genehmigung sei zu erteilen, wenn der Arzt nachgewiesen habe, dass er die in der Vereinbarung genannten Voraussetzungen der fachlichen Befähigung (Abschnitt B) und der apparativen Ausstattung (Abschnitt C und Anlage I) erfülle. Die Unterlagen seien vor Erteilung der Genehmigung zu überprüfen und die Ausführung und Abrechnung von Leistungen der Ultraschalldiagnostik erst nach Erteilung der Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung zulässig. Es sei nicht zu beanstanden, dass dem Kläger erst mit Bescheid vom 05.05.2011 - nach Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen - die entsprechende Genehmigung erteilt worden sei. Da die Voraussetzungen zur Abrechnung der streitgegenständlichen GOP in den Quartalen 3/2010 und 4/2010 nicht gegeben gewesen seien, habe dies die Nichtvergütung bzw. sachlich-rechnerische Richtigstellung zur Folge gehabt. Jedoch stehe der sachlich-rechnerischen Richtigstellung hier ausnahmsweise das Institut des Vertrauensschutzes entgegen. Nach der ständiger Rechtsprechung des BSG dürfe eine sachlich-rechnerische Richtigstellung aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgen, wenn die KV über einen längeren Zeitraum eine systematisch fachfremde oder eine ohne ausreichende fachliche Qualifikation ausgeübte Tätigkeit wissentlich geduldet und der Vertragsarzt im Vertrauen auf die weitere Vergütung weiterhin entsprechende Leistungen erbracht habe (BSG, Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 34/95 -, in juris). Die Beklagte habe kardiographische Leistungen, die seit dem 01.04.2009 einer gesonderten Genehmigung nach § 135 Abs. 2 SGB V bedurft hätten, in den Quartalen 3/2009 bis 2/2010 in insgesamt über 60 Fällen ohne Beanstandungen abgerechnet. Erstmals im Zuge der Erstellung des Honorarbescheides für das Quartal 3/2010 habe die Beklagte den Kläger am 03.11.2010 auf die fehlende Genehmigung hingewiesen. Dies begründe zugunsten des Klägers Vertrauensschutz. Denn die Bescheide für die Quartale 3/2009 bis 2/2010 hätten nach Wortlaut, Inhalt und Bedeutung berechtigterweise bei dem Kläger den Eindruck aufkommen lassen, dass die Abrechnung kardiographischer Leistungen auch in der Zukunft akzeptiert werde. Der Beklagten sei es auch aus den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die fehlende Abrechnungsgenehmigung zu berufen. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn sie den Kläger über ein Jahr hinweg nicht auf die fehlende Abrechnungsgenehmigung hin weise und gleichzeitig die GOP vergüte, dann aber nach Ablauf eines weiteren Quartales - ohne vorher Auskünfte/Hinweise zu erteilen - die Abrechnung verweigere (SG Marburg, Urteil vom 30.01.2013 -S 12 KA 386/11 -, in juris, Rn. 30). Für das Quartal 1/2011 könne sich der Kläger nicht mehr auf Vertrauen berufen. Spätestens mit dem Schreiben der Beklagten vom 03.11.2010 und mit dem darin enthaltenen Hinweis auf die fehlende Abrechnungsgenehmigung sei das Vertrauen auf eine weitere Vergütung für die Folgequartale beseitigt. Die Klage sei daher für das Quartal 1/2011 abzuweisen gewesen.
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Die Beklagte hat gegen das ihr am 16.12.2013 zugestellte Urteil am 14.01.2014 Berufung eingelegt. Sie führt zur Begründung hinsichtlich des Honoraranspruchs des Klägers für das Quartal 4/2010 aus, der Widerspruch des Klägers sei insoweit zu Recht als unzulässig verworfen worden. Die Anforderungen des SG an die Zustellung von massenhaft zuzustellenden Honorarbescheiden seien weit überspannt, wenn der Beklagten aufgegeben werde, für jeden einzelnen Bescheid eine hinreichende Dokumentation über die Aufgabe zur Post sicherzustellen. Die Vorlage einer Übersicht, aus der das Datum der Aufgabe der Honorarbescheide zu Post ersichtlich sei, sei vielmehr ausreichend. Die Honorarbescheide für das Quartal 4/2010 seien am Donnerstag, den 05.05.2011, bei der Post aufgegeben und somit generell mit gleichem Datum verschickt worden. Sofern einzelne Honorarbescheide nachträglich nochmals verschickt würden, werde dies gesondert erfasst. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Sein Honorarbescheid sei wie alle anderen verschickt worden und müsse auch bei ihm angekommen sein, da er ansonsten keinen Widerspruch gegen diesen Honorarbescheid hätte einlegen können. Dass der Honorarbescheid mehrere Monate unterwegs gewesen sei, sei völlig unrealistisch und auch vom Kläger nicht vorgetragen worden. Der Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal 4/2010 hätte spätestens am 08.06.2011 bei der Beklagten eingehen müssen, sei jedoch erst am 16.08.2011 und damit eindeutig verfristet eingegangen. Das SG gehe von falschen Tatsachen aus, wenn es annehme, die Beklagte hätte jahrelang ohne Beanstandung die Abrechnung der streitigen GOP geduldet. Der Kläger habe die GOP 13550 erstmals im Quartal 1/2010 abgerechnet; die Abrechnung sei frühestens im April 2010 bei der Beklagten eingegangen. Mit Bescheid vom 03.11.2010, also nach höchstens sieben Monaten sei der Kläger über die Genehmigungspflicht dieser GOP informiert worden. Im Abrechnung-Massengeschäft würden fehlerhafte Ansätze von Gebührenziffern nicht immer quartalsgleich auffallen. Die irrtümliche Duldung der Abrechnung der GOP 13550 über zwei Quartale habe beim Kläger daher keinen Vertrauenstatbestand nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 34/95 -, in juris) schaffen können. Die Beklagte habe die Abrechnung der streitigen GOP weder wissentlich über einen längeren Zeitraum geduldet noch durch aktives Tun, beispielsweise durch einen bestandskräftigen Genehmigungsbescheid, beim Kläger den Eindruck hervorgerufen, er sei zur Abrechnung der GOP 13550 berechtigt. Es komme auch nicht darauf an, dass der Kläger die Genehmigungsvoraussetzungen für eine Abrechnungsgenehmigung hinsichtlich der GOP 13550 jederzeit hätte erfüllen können. Diese Abrechnungsgenehmigung sei ihm erst mit Bescheid vom 05.05.2011 nach Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen erteilt worden. Aus dem Tenor des Ermächtigungsbescheides gehe die Notwendigkeit der Abrechnungsgenehmigung durch die KVBW für die Abrechnung genehmigungspflichtiger Leistungen hervor.
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Die Beklagte beantragt - sachdienlich gefasst -,
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das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.11.2013 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Insbesondere habe das SG richtig darauf hingewiesen, dass der Kläger in den Quartalen 3/2008-2/2009 in knapp 50 Fällen die GOP 13545 unbeanstandet abgerechnet habe. Es komme für den Vertrauensschutz deshalb nicht darauf an, dass die GOP 13550 erstmals mit dem Quartal 1/2010 abgerechnet worden sei. Die Beklagte habe mithin über Jahre hinweg genehmigungspflichtige Leistungen des Klägers vergütet ohne zu beanstanden, dass hierfür eine weitere Genehmigung erforderlich sein solle. Auch nach Inkrafttreten der Ultraschall-Vereinbarung sei in den Quartalen 3/2009 und 4/2009 die GOP 13545 und in den Quartalen 1/2010 und 2/2010 die GOP 13550 in 14 bzw. 10 Fällen noch anstandslos von der Beklagten abgerechnet worden. Es sei rechtlich geboten, den Vertrauenstatbestand, den die Beklagte gesetzt habe, einheitlich für die GOP 13545 und 13550 zu betrachten. Zu Recht habe das SG daher angenommen, dass der Vertrauensschutz, den die Beklagte durch die Vergütung der abgerechneten Nummern gesetzt habe, über das Quartal 2/2010 hinaus auch auf die Quartale 3/2010 und 4/2010 wirke. Das Schreiben der Beklagten vom 03.11.2010 sei ihm nicht zugegangen. Letztlich hätte der Kläger die zur Qualitätssicherung erforderlichen Anforderungen, die er aufgrund jahrelanger intensiver kardiographischer Tätigkeit weit überschritten habe, jederzeit nachweisen können. Es habe zu keiner Zeit Grund für Zweifel gegeben, dass der Kläger die Bedingungen der UV nicht erfüllen könne. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abrechnungsgenehmigung der GOP, zu denen der Kläger ermächtigt gewesen sei, hätten zu jeder Zeit objektiv vorgelegen.
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Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 02.03.2016 sowie vom 04.03.2016 mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.11.2013 geändert. Die Klage wird im vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig auf 3.047,32 EUR und für das erstinstanzliche Verfahren endgültig auf 4.859,24 EUR festgesetzt. | 0 |
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Landesarbeitsgericht Hamburg 8. Kammer | Hamburg | 1 | 1 | 08.01.2018 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über die Höhe der Anpassung von Versorgungsbezügen zum 01.07.2015 und 01.07.2016.
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Die klagende Partei war bis zum 31.01.2014 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit dem 01.02.2014 bezieht sie von der Beklagten eine betriebliche Rente.
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Im Jahr 1985 richtete der V-Konzern, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, durch Abschluss eines Tarifvertrags mit der zuständigen Gewerkschaft (Anl. K1, Bl. 15-21 d.A.) eine betriebliche Altersversorgung ein, die als “Verordnung vom 1. April 1985“ (“VO 85“) bezeichnet wird und das bis dahin auf der Grundlage einer Gesamtbetriebsvereinbarung bestehende „Betriebliche Versorgungswerk“ ablöste. Die tarifliche Versorgungsregelung gilt grundsätzlich für Arbeitnehmer, die nach dem 01.04.1985 Arbeitnehmer eines dem V-Konzern angehörigen Unternehmens geworden sind (§ 1 Ziff. 2 VO 85). Gewährt wird u.a. eine Altersrente, auf welche die klagende Partei unstreitig einen Anspruch hat.
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§ 3 Ziffer 3 VO 85 lautet wie folgt:
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„Auf die Versorgungsleistungen besteht ein Rechtsanspruch.
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Die V.-Unternehmen behalten sich vor, durch Beschlüsse im Vorstand und Aufsichtsrat die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Zusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, dass den V.-Unternehmen die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Beachtung der Belange des Versorgungsberechtigten nicht mehr zugemutet werden kann.“
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In § 6 der VO 85 in die Anpassung der Renten wie folgt geregelt:
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„1. Die Renten werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.
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2. Die Anpassung der Renten erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
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3. Die Renten werden angepasst, wenn der Versicherungsfall vor dem 01.12. des Vorjahres eingetreten ist.
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4. Hält der Vorstand die Veränderung der Renten nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll. Der Beschluss ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.“
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§ 49 AVG ist mit Wirkung zum 01.01.1992 durch §§ 65 und 68 SGB VI neu gefasst worden.
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Zum 01.07.2015 wurden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,0972 % erhöht. Die Beklagte nahm keine Anpassung der Versorgungsbezüge im Umfang dieser gesetzlichen Rentenerhöhung vor, sondern fasste nach der vor dem 01.07.2015 eingeleiteten Anhörung der örtlichen Betriebsräte, des Gesamt- und des Konzernbetriebsrats – und gegen deren ausdrücklichen Wunsch – durch ihren Vorstand und Aufsichtsrat den Beschluss, die Rentenanpassung zum 01.07.2015 in Höhe von 0,5 % vorzunehmen. Dies wurde der klagenden Partei mit Schreiben vom 16.10.2015 mitgeteilt (Anl. K 3, Bl. 23 d.A.). Dem entsprechend wurde die Rente der klagenden Partei, die sich bis zum 30.06.2015 auf € 1.046,21 brutto belief, zum 01.07.2015 auf € 1.057,08 brutto erhöht.
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Zum 01.07.2016 wurden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,2451 % erhöht. Mit Schreiben aus dem August 2016 (Anl. K 4, Bl. 24f d.A.) teilte die Beklagte der klagenden Partei mit, dass die Versorgungsleistungen zum 01.07.2016 wiederum um 0,5 % auf € 1.062,37 brutto erhöht wurden. Die entsprechenden Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat erfolgten am 20. bzw. 22.06.2016. Die Betriebsräte waren wiederum zuvor mit der Bitte um Stellungnahme angehört worden.
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Die klagende Partei hat mit ihrer Klage eine Erhöhung der ihrer gewährten Rente um € 21,94 brutto pro Monat seit dem 01.07.2015 sowie um € 51,18 ab dem 01.07.2016 verlangt. Dabei handelt es sich – mit Ausnahme einer Differenz von € 0,05 pro Monat – um die der Höhe nach unstreitigen Differenzbeträge, die sich errechnen, wenn die Beklagte die Rentenanpassung im Umfang von 2,0972 % bzw. 4,2451 % auf die Rente vorgenommen hätte.
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Die klagende Partei ist der Ansicht, die Beklagte schulde die volle Anpassung der Versorgungsbezüge gemäß § 6 Ziff. 1 VO 85. Die Beklagte könne sich nicht auf § 6 Ziff. 4 VO 85 stützen. Die Regelung sei unwirksam, weil sowohl unklar als auch unverhältnismäßig. Sie verstoße auch gegen § 87 I Nrn. 8 und 10 BetrVG. Auf die Ausübung des bestehenden Mitbestimmungsrechtes werde in seiner Substanz verzichtet. Die Anpassungsentscheidung sei im Übrigen zu spät erfolgt, nämlich erst nach dem Anpassungstermin. Jedenfalls sei sie unbillig.
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Die klagende Partei hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei beginnend mit dem 01.03.2017 über den Betrag von € 1.062,37 hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 51,18 brutto zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei einen Betrag in Höhe von € 541,80 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf € 11,70 seit dem 01.07.2015, auf € 11,70 seit dem 01.08.2015, auf € 11,70 seit dem 01.09.2015, auf € 11,70 seit dem 01.10.2015, auf € 11,70 seit dem 01.11.2015, auf € 11,70 seit dem 01.12.2015, auf € 11,70 seit dem 01.01.2016, auf € 11,70 seit dem 01.02.2016, auf € 11,70 seit dem 01.03.2016, auf € 11,70 seit dem 01.04.2016, auf € 11,70 seit dem 01.05.2016, auf € 11,70 seit dem 01.06.2016, auf € 51,18 seit dem 01.07.2016, auf € 51,18 seit dem 01.08.2016, auf € 51,18 seit dem 01.09.2016, auf € 51,18 seit dem 01.10.2016, auf € 51,18 seit dem 01.11.2016, auf € 51,18 seit dem 01.12.2016 und auf € 51,18 seit dem 01.01.2017 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, über die bereits erfolgte Erhöhung der Versorgungsbezüge hinaus bestehe kein Anspruch der klagenden Partei. Sie habe von einer Anpassung gemäß § 6 Ziff. 1 VO 85 abweichen und die Anpassung auf 0,5 % festlegen dürfen. Die klagende Partei verkenne die Systematik der Anpassungsregelungen des § 6 BVW und damit auch die Systematik der inhaltsgleichen Regelungen des § 6 der VO 85. Die Tarifvertragsparteien hätten sich bei der Regelung des § 6 der VO 85 an § 6 AusfBestg BVW orientiert und diesen ohne inhaltliche Änderungen übernommen. Die Auslegung beider Regelungen und auch der Vorgängerregelung des § 6 AusfBestg BVW (§ 11 BVW a.F.) ergäben, dass keine automatische Erhöhung der Versorgungsbezüge in Höhe der Steigerung der gesetzlichen Renten eintrete, sondern eine Prüfung und Entscheidung des Vorstands zur Anpassung der Versorgungsbezüge erforderlich sei. Halte dieser die Anpassung der Bezüge entsprechend der Erhöhung der gesetzlichen Renten für vertretbar, könne er die Anpassungsentscheidung allein treffen. Halte er sie für nicht vertretbar, so habe er zusätzlich den Betriebsrat anzuhören und einen Aufsichtsratsbeschluss herbeizuführen, sofern er eine andere Anpassungsentscheidung treffen wolle. Das folge v.a. aus einer historischen Auslegung von § 6 AusfBestg BVW. Die Regelung in § 6 Ziff. 4 VO 85 sei weder unklar noch aus sonstigen Gründen unwirksam. Die vorgenommenen Entscheidungen der Beklagten seien ermessensfehlerfrei ergangen und entsprächen der Billigkeit. Zu verweisen sei unter anderem auf folgende Aspekte, die für eine reduzierte Rentenanpassung sprächen: ein schwieriges ökonomisches Umfeld durch langanhaltende Niedrigzinsen, demografische Trends und kulturelle Umbrüche (z.B. Digitalisierung, Langlebigkeitsrisiko); ein abschwächendes Wachstum im Versicherungsmarkt in 2015; steigende Anforderungen zur Regulierung (Kapitalisierungsanforderungen durch Solvency II, Umsetzung Lebensversicherungsreformgesetz); steigende Kundenanforderungen (hohe Preissensitivität, sinkende Loyalität). Diese Rahmenbedingungen hätten den Konzern zu einer neuen Strategie veranlasst (S.-Konzept), in deren Umsetzung u.a. Personalkosten eingespart werden sollen und aufgrund dessen die aktiven Mitarbeiter einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Konzerns leisten müssten. Entsprechend sei es angemessen, dass auch die Rentner einen Beitrag leisteten. Außerdem erhielten Rentner anderer Versorgungssysteme im Konzern aufgrund des niedrigen Anstiegs des Verbraucherpreisindexes (auf Basis des § 16 BetrAVG) eine deutlich niedrigere Anpassung als nach dem Anstieg der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Versorgungsniveau der Rentner des BVW und Betriebsvereinbarung „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ sei zudem bereits überdurchschnittlich hoch. Die Beschlüsse der Beklagten seien ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere seien die Formalien gewahrt. Der Gesamtbetriebsrat sowie die Betriebsräte im Konzern seien ordnungsgemäß durch Anhörung beteiligt worden. So sei insbesondere der Betriebsrat der Beklagten mit Schreiben vor beiden Anpassungsentscheidungen angehört worden. Der Vorstand und der Aufsichtsrat hätten nach Abwägung der beteiligten Interessen jeweils beschlossen, Anpassungen nur in Höhe von jeweils 0,5% vorzunehmen. Hierbei seien auch die Stellungnahmen der Betriebsräte mit eingeflossen. Auch sei der Beschluss für das Jahr 2015 nicht verspätet erfolgt, da kein fester Stichtag vorgesehen sei, bis wann ein Beschluss nach § 6 Ziff. 4 vorliegen müsse.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 16.02.2017 mit Ausnahme eines Differenzbetrags von € 0,06 pro Monat seit dem 01.07.2017 stattgegeben und die Klage im Umfang des Differenzbetrags abgewiesen. Auf die Entscheidungsgrunde (Bl. 169 – 173 d.A.) wird Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 23.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2.03.2017 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 23.05.2017 – an diesem Tag begründet.
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Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. In den Jahren 2015 und 2016 habe die Beklagte zu Recht von der Ausnahmeregelung in § 6 VO 85 Gebrauch gemacht. Grundlage der Beschlussfassung von Vorstand und Aufsichtsrat seien die widrigen Rahmenbedingungen und der Druck am Markt gewesen, welche wegen der konkreten Auswirkungen erhebliche Spar- und Personalreduzierungsprogramme mit sich gebracht hätten, so insbesondere das sog.
„S.-Konzept“
mit weiteren begleitenden Maßnahmen, was sich bei der Beklagten in der Umsetzung befände. Die geringeren Rentenanpassungen seien Teil eines umfassenden Einsparkonzeptes, um sicherzustellen, dass der Konzern auch in Zukunft am Markt mit Gewinnen bestehen könne. Das schwierige Marktumfeld werde maßgeblich durch die niedrigen Zinsen (Leitzins von 0% bzw. 0,05 %) und die niedrige Inflation (0,3 % im Juni 2015) bestimmt. Auch der Verbraucherpreisindex habe sich von Juni 2014 bis Juni 2015 nur von 106,7 auf 107 erhöht. Seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise werde es für Versicherer immer schwieriger, das Geld der Kunden lukrativ anzulegen. Das unverändert niedrige Zinsniveau stelle eine erhebliche Belastung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns und damit auch der Beklagten dar. Die Beklagte sei im Zeitpunkt der Anpassungsprüfungen zum 01.07.2015 davon ausgegangen, dass sich das Wachstum im Versicherungsmarkt 2015 abschwächen werde und gehe im Euroraum weiter von einer nur schwachen konjunkturellen Entwicklung aus. Größere Risiken ergäben sich zudem aus der demographischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung. Zudem seien signifikant gestiegene Kundenanforderungen zu verzeichnen, v.a. die angestiegene Preissensitivität bei sinkender Loyalität. Weitere Risikopotentiale seien aus den vertrieblichen Herausforderungen im Branchenumfeld entstanden, die letztlich die Folge der Finanzmarktkrise seien. Wettbewerber würden Kostensenkungs- und Automatisierungsprogramme forcieren und variable Produktmodelle ohne feste Garantien. Ferner sei die Komplexität der Lebensversicherung durch das Mitte 2014 in Kraft getretene Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) weiter gesteigert worden. Dadurch sei der für Lebensversicherungsprodukte erforderliche finanzielle Aufwand deutlich erhöht worden. Die Umsetzung des LVRG habe zu erheblichen Produktänderungen im gesamten Konzern und zu einer Veränderung der Provisionsregelungen geführt. Der Aufwand der Versicherungsunternehmen für die Vergütung der Vermittler habe sich spürbar erhöht, was der Gesetzgeber auch so bezweckt habe. Des Weiteren verschlechtere Solvency II die Rahmenbedingungen. Die Versicherer müssten hiernach über so viel Kapital verfügen, dass sie selbst Negativergebnisse verkraften könnten, die statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahren aufträten. Es müsse ein nicht unerheblicher Rückgang der Eigenmittel verkraftbar sein, um die Leistungen an die Versicherungsnehmer auch bei Eintritt sehr unwahrscheinlicher Risiken sicher zu stellen. Somit hätten zum 01.01.2016 mit der Umsetzung von Solvency II in nationales Recht die Notwendigkeit bestanden, eine risiko- bzw. marktwertorientierte Bewertung ihrer Kapitalanlagen und Leistungsverpflichtungen vorzunehmen. Zudem seien weitgehende Anforderungen an die Geschäftsorganisation der Versicherungsunternehmen gestellt und die Berichtspflichten von Versicherern erweitert worden. All diese Umsetzungen hätten einen finanziellen Aufwand durch den Konzern und damit auch durch die Beklagte gekostet. Das negative Marktumfeld habe konkrete negative Folgen gehabt. So habe der Konzern u.a. eine sog. Zinszusatzreserve bilden müssen. Es sei eine Reserve von etwa 2 Milliarden Euro aufgebaut worden. Allein 2016 habe dieser Posten um ca. 620 Millionen Euro aufgefüllt werden müssen, und es sei mit steigenden Entwicklungen zu rechnen. Die Möglichkeit der Gewinnerzielung durch Kapitalanlagen falle aufgrund der Niedrigzinsphase praktisch weg. Als Folge des Marktdrucks sei es konzernweit zu einem Einstellungsstopp und einem massiven Personalabbau gekommen. 2016 hätten im Konzern etwa 1.135 Personen den Konzern bei einem Personalbestand von etwa 13.000 verlassen (ca. 35 Austritte entfielen auf die Beklagte). Im Zuge des S.-Konzepts seien konzernweit 442 Aufhebungsverträge, Altersteilzeitvereinbarungen und Vereinbarungen zum sog. „Überbrückungsmodell“ erfolgt (etwa 50 bei der Beklagten). Der angestellte Außendienst werde reduziert, das Provisionsmodell massiv angepasst. Im Konzern gebe es weitere Sparprogramme zur Kostenreduzierung (Raumverknappung, Betriebsübergänge, Spesenreduzierung, Reduzierung der Altersversorgung für Neueintritte auf Führungsebene). Die Reduzierung der Rentenerhöhung habe allein im Zeitraum 01.07.2015 bis 01.07.2016 zu Einsparungen in Höhe von etwa 2,7 Mio. Euro sowie eine Reduzierung der Rückstellungen um 43,6 Millionen Euro geführt. Von den Einsparungen entfielen in diesem Zeitraum € 193.380 auf die Beklagte sowie etwa € 336.588 von Juli bis Dezember 2016. Aufgrund dieser Maßnahmen sei es noch gelungen, für die Unternehmen des Konzerns einen Gewinn zu erwirtschaften. Vor allem der Personalabbau von ca. 8,5 % der kompletten Belegschaft in Deutschland allein im Jahr 2016 zeige, wie sehr auf den Marktdruck habe reagiert werden müssen. Näheres ergebe sich auch aus dem S.-Konzept. Vorüberlegungen hierzu ab dem 23.02.2015 erfolgt. Am 25.05.2015 sei es soweit abgeschlossen gewesen, dass es gegenüber der Belegschaft der Beklagten habe kommuniziert werden können. Das Konzept beinhalte eine Neuausrichtung zur Sicherung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit und es hätten die nötigen Schritte eingeleitet werden sollen, solange noch die Möglichkeit dazu bestanden habe, die Zukunft aktiv zu gestalten. Im September 2015 hätten die Verhandlungen mit den Betriebsräten über die Umsetzung des Konzepts aufgenommen werden können. Mittlerweile befände sich das Konzept in der Umsetzungsphase. In finanzieller Hinsicht ziele das Konzept auf die konzernweite Einsparung von Kosten in Höhe von 160 bis 190 Mio. Euro pro Jahr ab. Ein Teil der Planungen habe in dem Übergang des gesamten Personals der Beklagten und der A. V. AG auf die neue A. D. AG bestanden, was mit Standortverlagerungen und -zusammenschlüssen einhergegangen sei. In diesem Zusammenhang stünde auch der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen im Raum. Die aktive Belegschaft leiste einen erheblichen Beitrag für die zukunftsfähige Ausrichtung des Konzerns mit u.a. folgenden Maßnahmen: Personalabbau i.V.m. einem Einstellungs- und Beförderungsstopp sowie einem Verbot von Entfristungen befristeter Arbeitsverträge, was eine Verdichtung der Arbeit bedeute; Betriebsübergänge auf die A. D. AG; Reduzierung des angestellten Außendienstes; Kürzung der Budgets für Sach-, Reise-, Bewirtungs- und Fortbildungskosten; Kürzung des Budgets für Leistungszusagen in der betrieblichen Altersversorgung bei Neueintritten auf der Stufe der Vorstände und leitenden Angestellten um die Hälfte des bisherigen Volumens; keine Gehaltserhöhung für außertarifliche Angestellte in 2016 (bis auf individuelle Sonderfälle). Demgegenüber wögen die Interessen der klagenden Partei nur gering. Auch die Betriebsrentner hätten ihren Beitrag zur zukunftsfähigen Ausrichtung des Konzerns und der Beklagten leisten müssen. Der von ihnen eingeforderte Beitrag sei im Verhältnis zu dem Beitrag der aktiven Belegschaft nur sehr gering. Das Versorgungsniveau bei den Versorgungsempfängern der VO 85 sei schon jetzt überdurchschnittlich hoch. Kaufkraftschwund und die Inflationsentwicklung seien bei der Anpassungsentscheidung im Jahr 2015 ausreichend berücksichtigt worden. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich die klagende Partei nicht berufen, denn die Aussetzung der Rentenanpassung sei in § 6 Ziff. 4 VO 85 angelegt. Von Beginn an sei hier ein Vorbehalt geregelt gewesen. Wie bereits erstinstanzlich dargelegt, habe der Vorstand der Beklagten in Folge der Entscheidung des Vorstands der A. D. AG beschlossen, die Ausnahmeregelung in § 6 Ziff. 4 VO 85 anzuwenden und dem Aufsichtsrat jeweils zur gemeinsamen Beschlussfassung vorzuschlagen, die zum 01.07.2015 zu gewährende Rentenanpassung der Gesamtversorgungsbezüge bzw. der Renten nur in Höhe von 0,5 % zu gewähren, da eine darüber hinausgehende Erhöhung für nicht vertretbar gehalten worden sei. Man habe sich bei Festlegung der Anpassungshöhe an der Inflationsrate orientiert, die am 15.07.2015 bei 0,28 % gelegen habe. Dabei habe man die Inflationsrate im Zeitpunkt der Entscheidung auf 0,5 % geschätzt. Die Betriebsräte seien, wie ebenfalls erstinstanzlich dargelegt, vor der Beschlussfassung ausreichend angehört und mit der Bitte um Stellungnahme angeschrieben worden und hätten auch Stellung genommen. Im zweiten Schritt hätten Vorstand und Aufsichtsrat auf Basis des Vorschlags des Vorstands gemeinsam die Reduzierung der vertraglichen Anpassung auf 0,5 % zum 01.07.2015 beschlossen. Der Beitrag des Vorstands zur gemeinsamen Beschlussfassung sei am 26.08.2015, der inhaltlich entsprechende Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten am 09.10.2015 erfolgt. Auf die Erforderlichkeit einer Interessenabwägung sei in den jeweiligen Beschlussvorlagen ausdrücklich hingewiesen worden. Beide Gremien hätten alle Argumente abgewogen und in ihre Entscheidung einfließen lassen, auch die Stellungnahmen der Betriebsräte seien einbezogen worden. Zudem seien Erwägungen zur ungekürzten Anpassung und weniger einschneidenden Kürzungen enthalten gewesen. Für das Jahr 2016 sei ebenfalls beschlossen worden, eine Erhöhung nur um 0,5 % vorzunehmen. Der Vorstand habe seine Entscheidung nach Anhörung des Betriebsrats getroffen und die Erhöhung dem Aufsichtsrat um 0,5 % vorgeschlagen. Sodann hätten Vorstand und Aufsichtsrat im zweiten Schritt gemeinsam die Reduzierung der vertraglichen Anpassung auf 0,5 % zum 01.07.2016 beschlossen und auch dabei wiederum alle Umstände abgewogen. Die Beklagte habe von § 6 Ziff. 4 VO 85 Gebrauch machen dürfen. Eine Beschränkung auf wirtschaftliche Notlagen oder Veränderungen der wirtschaftlichen Unternehmensdaten sei nicht geregelt und auch nicht jahrzehntelanges Verständnis der Betriebsparteien. Der Wortlaut der Vorschrift sei eindeutig, in welchem die Begrifflichkeit einer wirtschaftlichen Notlage oder schwerwiegender Veränderung von Wirtschaftsdaten nicht den geringsten Niederschlag gefunden habe. Der Anpassung habe ein Wert zugrunde gelegen, der die Inflationsrate überstiegen habe. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe schon deshalb nicht, weil eine tarifvertragliche Regelung vorliege. Die Regelung in § 6 Ziff. 4 VO 85 sei auch im Übrigen wirksam. Sie sei hinreichend bestimmt, was ihre Auslegung ergebe. Auslegungsbedürftig sei der Begriff
„vertretbar“
. Dieser sei so zu verstehen, dass eine jährliche gemeinsame Ermessensentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat zu ergehen habe, diese wiederum sei durch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Das bedeute, dass eine von § 6 Ziff. 1 VO 85 negativ abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge einen sachlichen Grund voraussetze, der die Abweichung nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beklagten und der betroffenen Betriebsrentner rechtfertige. Dieses Auslegungsergebnis finde seine Bestätigung zudem in dem Umstand, dass die Regelung in § 6 VO 85 angelehnt sei an die Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks, welches ausweislich § 6 Ziff. 1 Grundbestimmungen bereits seit 1961 existiere und damit seit einer Zeit, zu der das Recht der betrieblichen Altersversorgung im Wesentlichen aus Richterrecht bestanden habe. Das vorgenannte Verständnis entspreche der Terminologie, auf die die Rechtsprechung noch heute zurückgreife. Eine Unwirksamkeit nach §§ 305 ff BGB scheide aus, da eine Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff BGB bei Tarifverträgen nicht stattfinde. Auf der Grundlage von § 6 Ziff. 4 VO 85 habe die Beklagte eine formell und materiell rechtmäßige Entscheidung über die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge im Jahr 2015 und 2016 nach billigem Ermessen getroffen, bei der vor allem das Interesse der Beklagten an einer gedeihlichen Fortentwicklung des Unternehmens einerseits und das Interesse der klagenden Partei an einem Teuerungsausgleich anderseits angemessen in Ausgleich gebracht worden seien. Der Betriebsrat sei zur teilweisen Aussetzung der Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge jeweils hinreichend angehört worden. Vorstand und Aufsichtsrat hätten einen formell wirksamen Beschluss gefasst, in dessen Rahmen alle relevanten Umstände und Interessen abgewogen worden seien. Dieser Beschluss habe die automatische Anpassung nach § 6 Ziff. 1 VO 85 ersetzt und wirke zurück auf den Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert worden seien (§ 6 Ziff. 2 VO 85). Die klagende Partei sei von der Anpassungsentscheidung in Kenntnis gesetzt worden. Die materiellen Voraussetzungen von § 6 Ziff. 4 VO 85 seien erfüllt. Ein Eingriff in laufende Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge sei grundsätzlich zulässig und zu messen an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, wobei die Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe von der Schwere des Eingriffs abhängen würden. Vorliegend sei jedoch nicht einmal ein Eingriff in laufende Leistungen gegeben, da der Vorbehalt von Beginn an in § 6 Ziff. 4 der VO 85 geregelt und somit Teil der Leistungszusage gewesen sei. Die klagende Partei habe daher damit rechnen müssen, dass die Beklagte zu einem Prüfungstermin im Rahmen des billigen Ermessens von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde. Eine solche Entscheidung bewege sich jedenfalls dann im Rahmen der Billigkeit und sei zulässig, wenn nach der Rechtsprechung sogar ein bereits der Natur nach intensiverer Eingriff zulässig wäre. Referenzpunkt sei ein Eingriff in laufende Leistungen. Ein insoweit erforderlicher sachlicher Grund sei vorliegend gegeben. Dieser müsse nicht zwingend ein wirtschaftlicher Grund im Sinne einer aktuellen wirtschaftlichen Zwangslage sein, sondern könne auch in einem Konzept zur zukunftsfähigen Ausrichtung eines Unternehmens liegen. Eine Anlehnung an die Vorschrift des § 16 BetrAVG sei in § 6 VO 85 nicht geregelt, vielmehr liege eine von § 16 BetrAVG abweichende tarifliche Regelung (§ 17 Abs. 3 BetrAVG) vor. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis von § 6 Ziff. 1 und Ziff. 4 der VO 85. Es fände sich in der gesamten Regelung des § 6 VO 85 keinerlei Formulierung, die darauf schließen ließe, dass allein das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe eine von § 6 Ziff. 1 VO 85 abweichende Anpassung ermögliche. Erforderlich, aber auch ausreichend sei es, wenn die sachlichen Gründe willkürfrei, nachvollziehbar und anerkennenswert seien. Es genüge, wenn der Arbeitgeber die Beweggründe für diese bloß wirtschaftlich motivierten Maßnahmen nachvollziehbar darlege. Das sei hier der Fall, da ein Gesamtkonzept zur zukunftsfähigen Ausrichtung der Beklagten anlässlich des hohen Markt- und Konkurrenzdrucks existiere und bei der Beklagten auch umgesetzt worden sei. Das Programm für die zukunftsfähige Ausrichtung eines Unternehmens könne einen sachlichen Grund für die teilweise ausgesetzte Anpassung der Renten bilden. Bei der Beurteilung der dem Eingriff zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten und der finanziellen Auswirkungen der ergriffenen Maßnahme stehe dem Arbeitgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Gesamtkonzepts stehe ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der die Entscheidung decke, zur Realisierung eines Zukunftskonzepts neben der aktiven Belegschaft auch die Betriebsrentner angemessen einzubeziehen. Das bereits dargestellte Gesamtkonzept des A.-Konzerns erstrecke sich auf die Beklagte, wobei der wesentliche Baustein das S.-Konzept sei. In diesen Rahmen füge sich die Anpassungsentscheidung der Beklagten ein. Das sei nicht willkürlich. Billiges Ermessen sei gewahrt, da die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt seien und die Interessen der Beklagten die der klagenden Partei überwögen. Die anvisierten Einsparungen von 160 bis 190 Mio. Euro jährlich sowie des Einsparpotentials bei vorliegender Anpassung der Betriebsrenten führten dazu, dass die von der Beklagten vorgenommene Anpassung als ein taugliches Mittel zur zukunftsweisenden Neuaufstellung, die mit dem S.-Konzept bezweckt sei, anzuerkennen sei. Zur Realisierung der Neuausrichtung müssten auch die Betriebsrentner ihren Beitrag leisten. Die Interessen der klagenden Partei würden nur gering wiegen, insbesondere da ein Teuerungsausgleich erfolgt bzw. übertroffen worden sei. Außerdem sei das Versorgungsniveau der klagenden Partei schon jetzt überdurchschnittlich hoch. Eine weitere Anpassung von 2,1 Prozent mit Wirkung zum 01.07.2015 wäre weitaus höher, als eine Anpassung für Versorgungsempfänger in anderen Versorgungswerken bei der Beklagten sowie im Konzern. Auch dieses ungleiche Verhältnis zu anderen Versorgungsempfängern trage zur sachlichen Begründung der Entscheidung bei. Auf ein schutzwürdiges Vertrauen könne sich die klagende Partei nicht berufen, denn die Aussetzung der Rentenanpassung sei in § 6 Ziff. 4 VO 85 angelegt. Insgesamt sei die wirtschaftliche Bestandssicherung der Beklagten gegenüber dem Interesse der klagenden Partei stärker zu bewerten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 16.02.2017 (12 Ca 307/16) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die klagende Partei beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorgetragenen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften sowie den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. | 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 16.02.2017 (12 Ca 307/16) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
VG Berlin 5. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 19.11.2018 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zu seiner in Deutschland lebenden Frau.
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Er ist nach eigenen Angaben 68 Jahre alt und somalischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Kenia. Er hat sieben gemeinsame Kinder mit der deutschen Staatsangehörigen F.., die – 2000 eingereist – 2013 eingebürgert wurde. Am 23. April 2015 beantragte der Kläger – zeitgleich mit fünf seiner Kinder – bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Nairobi (nachfolgend: die Botschaft) ein Visum zur Einreise nach Deutschland. Er gab dabei Geburtsdaten an, denen zufolge diese Kinder noch sämtlich minderjährig seien. Zugleich legte er eine Teilnahmebestätigung über eine bei dem Goethe-Institut Nairobi am 19. September 2015 absolvierte Sprachprüfung des Niveaus A 1 vor, bei der er 27 von 100 Punkten erreicht hatte. Im Verwaltungsverfahren holte der Kläger ein Abstammungsgutachten hinsichtlich der fünf von dem Visumsantrag umfassten Kinder ein. Das Gutachten gelangte zu der Feststellung, dass alle fünf Kinder von dem Kläger und von Frau F.. abstammten. Ein von der Beklagten bei der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg aufgrund von Röntgenaufnahmen eingeholtes Lebensaltergutachten stellte fest, dass ein wahrscheinliches Lebensalter von mindestens 17 Jahren anzunehmen sei.
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Die Botschaft lehnte den Visumsantrag des Klägers durch Bescheid vom 26. September 2017 ab. Ein Nachweis über eine wirksame Eheschließung habe nicht erbracht werden können. Auf die dagegen am 10. April 2018 eingelegte Remonstration hob die Beklagte durch Remonstrationsbescheid vom 8. Juli 2018 den angegriffenen Bescheid auf, ersetzte ihn durch den Remonstrationsbescheid, lehnte indes den Antrag auf Erteilung eines Visums erneut ab. Zur Begründung führte sie an, der Kläger lasse die erforderlichen Sprachkenntnisse vermissen. Nachweise über den von dem Nachzugstatbestand vorausgesetzten Spracherwerb seien nicht erbracht. Eine Ausnahme könne auch nicht mit Blick auf das Lebensalter des Klägers greifen. Dies folge insbesondere nicht aus einer Parallelbetrachtung zu den Einbürgerungsverfahren des Staatsangehörigkeitsrechtes.
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Mit seiner am 20. August 2018 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er müsse das Spracherfordernis nicht erfüllen. Es sei nicht möglich und ihm auch nicht zumutbar, weitere Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen. Maßgeblich sei eine verfassungskonforme Reduzierung des Spracherfordernisses. Er habe sich seit dem Jahr 2015 bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen. Er habe dafür zwei Deutschkurse bei dem Goethe-Institut Nairobi besucht und die Prüfung zum Sprachniveau A 1 absolviert. Weiteres Bemühen sei ihm mit Blick auf seinen Bildungsstand – er sei nur rudimentär alphabetisiert – nicht zumutbar. Auch sei er für den Erwerb weiterer Sprachkenntnisse zu alt. Es handele sich nicht um eine Scheinehe. Die räumliche Trennung sei erforderlich gewesen, weil die Ehefrau – bevor sie deutsche Staatsangehörige geworden sei – die erforderliche Lebensunterhaltssicherung hinsichtlich des Klägers und der gemeinsamen Kinder nicht habe erreichen können. Auch hätten die Eheleute bereits 15 Jahre lang zusammengelebt. Selbstverständlich besuche die Ehefrau ihn und die gemeinsamen Kinder jedenfalls im Abstand von zwei Jahren für jeweils vier bis zwölf Wochen. Bereits jetzt sei ein Besuch in Nairobi im Dezember 2018 für drei Monate geplant. Mit seiner Ehefrau telefoniere er täglich. Jeden Abend seien dort alle Nöte und Probleme besprochen worden. Im Wunsch nach einer gemeinsamen Lebensführung hätten die Eheleute nie aufgegeben. Es sei wissenschaftlich nachweisbar, dass das Alter einer Person ihre Fähigkeit zum Erwerb einer Zweitsprache beeinflusse. Er sei aber bereit, weitere Anstrengungen zum Spracherwerb zu unternehmen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 2018 zu verpflichten, dem Kläger ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es verbleibe dabei, dass der Nachweis über eine wirksame Eheschließung nicht erbracht worden sei. Von einer Elternschaft allein könne nicht auf die Ehe zurückgeschlossen werden. Es stehe nicht fest, dass der Kläger die Herstellung einer schutzwürdigen ehelichen Lebensgemeinschaft ernsthaft beabsichtige. Er habe, durch die Botschaft befragt, keinerlei Angaben zum Leben seiner vermeintlichen Ehefrau in Deutschland machen können. Die Angaben zu den Geburtsdaten seien unterschiedlich. In den vergangenen 20 Jahren seien sich die Eheleute nur zweimal begegnet. Aussagen zu sonstigen Kontakten fehlten. Auch der maßgebliche Sprachnachweis liege nicht vor. Warum es für den Kläger unmöglich sei, die deutsche Sprache zu lernen, sei nicht ersichtlich. Der Kläger habe nicht mehr als einen einmaligen Sprachkurs von höchstens zwölf Wochen Dauer nachgewiesen. Weitere Anstrengungen zum Erwerb der deutschen Sprache seien nicht belegt. Einer Maßgeblichkeit seiner fehlenden Alphabetisierung stehe entgegen, dass der Kläger im Modul Sprechen noch schlechter abgeschnitten habe als im Modul Lesen, wo er insgesamt 40 % der erreichbaren Punkte erzielt habe. Eine besondere Härte sei nicht ersichtlich.
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Die Beigeladene hat einen Antrag nicht gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
Finanzgericht Berlin-Brandenburg 7. Senat | Berlin | 0 | 1 | 14.02.2013 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin, eine Fluggesellschaft, wendet sich gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre 1999 bis 2001, um hinsichtlich der von ihr auf internationalen Flugstrecken erbrachten Bordverpflegungsleistungen nicht mit Umsatzsteuer belastet zu werden.
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Die Klägerin ist ein in C… geschäftsansässiges, im Handelsregister beim Amtsgericht unter der Handelsregisternummer HRA … eingetragenes Luftverkehrsunternehmen in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft – KG –. Auf ihren Linien- und Charterflügen, die in den Streitjahren 1999 bis 2001 fast ausnahmslos keine rein innerdeutschen Destinationen betrafen, sondern vom Bundesgebiet aus in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union und sonstige sogenannte [sog.] Drittstaaten führten, stellte die Klägerin ihren Fluggästen Speisen und Getränke zur Verfügung, die mit dem Ticketpreis abgegolten waren. Darüber hinaus vertrieb sie gegen besonderes Entgelt weitere Speisen und Getränke, speziell Süßigkeiten und alkoholische Getränke (sog. Restaurationsumsätze). Nur letztere, also die Umsätze aus gegen gesonderte Entgelte abgegebenen Speisen und Getränke, sind zwischen den Beteiligten streitig.
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Im Rahmen ihrer für die Streitjahre 1999 und 2000 am 1. November 2001 eingereichten, geänderten Umsatzsteuererklärungen behandelte sie diese Restaurationsumsätze in entsprechender Anwendung von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) Umsatzsteuergesetz in der für die Streitjahre 1999 bis 2001 geltenden Fassung – UStG 1999-2001 – als steuerfreie Umsätze mit Vorsteuerabzug. Der Beklagte veranlagte sie mit Umsatzsteuerbescheiden 1999 und 2000 beide vom 30. November 2001 zunächst erklärungsgemäß. Die mit den vorangegangenen Umsatzsteuerfestsetzungen 1999 und 2000 verbundenen Vorbehalte der Nachprüfung ließ er aber bestehen.
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Auch ihrer laut Angaben des Beklagten am 1. April 2003 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2001 legte die Klägerin zugrunde, dass die bezeichneten Restaurationsumsätze umsatzsteuerfrei bleiben müssten. Ihre Umsatzsteueranmeldung 2001 soll einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichgestanden haben.
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Am 10. Dezember 2003 begann bei der Klägerin eine unter anderem [u.a.] auf die Umsatzsteuer der Jahre 1998 bis 2001 bezogene Außenprüfung. In ihrem zusammen fassen-den Prüfungsbericht vom 2. Dezember 2005 machten sich die Prüferinnen zur Tz. 28 (Bordverpflegung) einen auf den 5. Dezember 2005 datierten Teilbericht des B…-Amtes über die Mitwirkung an der bei der Klägerin erfolgten Außenprüfung zu eigen, demnach für die entgeltliche Abgabe von Speisen und Getränken an die Flugpassagiere der Klägerin nicht die auf entsprechende Leistungen an Bord von Wasserfahrzeugen beschränkte Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 herangezogen werde könne, mithin die entgeltlichen (Flug-)Restaurationsleistungen der Klägerin zu steuerpflichtigen Umsätzen in Höhe von … DM (1999), … DM (2000) und … DM (2001) führten und folglich eine hierauf entfallende Umsatzsteuer in Höhe von … DM (1999), … DM (2000) und … DM (2001) zu erheben sei (Tz. 7 des Teilberichts).
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Darauf bezogen änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen 1999 bis 2001 auf der Grundlage von § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO –, indem er die Bemessungsgrundlage der steuerpflichtigen Umsätze der Klägerin erhöhte und die Umsatzsteuer mit Umsatzsteuerbescheiden 1999 bis 2001 alle vom 6. September 2006 entsprechend heraufsetzte. Dies bewirkte zusammen mit der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1999 bis 2001 in anderen, hier nicht streitgegenständlich gewordenen Punkten zu Lasten der Klägerin Umsatzsteuernachzahlungen für das Streitjahr 1999 in Höhe von … €, für das Streitjahr 2000 in Höhe von … € und für das Streitjahr 2001 in Höhe von … €.
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Gegen die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen 1999-2001 erhob die Klägerin am 23. Oktober 2006 Einspruch. Sie hielt betreffend die von ihr erbrachten Bordverpflegungs-leistungen eine entsprechende Anwendung von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 für geboten. Ohne erkennbaren Unterschied zwischen Beförderungsleistungen im Rahmen des internationalen See- und Luftverkehrs stehe gleichermaßen eine grenzüberschreitende Personenbeförderung in Rede, die sich lediglich hinsichtlich der Wahl des Transportmittels unterscheide. Unter diesen Umständen würde eine (Umsatz-)Besteuerung des Restaurationsbereichs nur an Bord von Flugzeugen, nicht aber auch auf Wasserfahrzeugen zu einer nicht zu rechtfertigenden Wettbewerbsverzerrung zu Lasten deutscher Luftverkehrsunternehmen führen. Die Gleichförmigkeit beider Verkehrsbeförderungsleistungen lege daher eine analoge Anwendung von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 auf den Bereich des Luftverkehrs nahe.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 1. April 2009 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 bestimme eine Umsatzsteuerbefreiung ausdrücklich nur für Restaurationsleistungen an Bord von Wasserfahrzeugen im Rahmen der Seeschifffahrt zwischen einem inländischen und einem ausländischen Seehafen oder zwischen zwei ausländischen Seehäfen. Der damit vor allem begünstigte Fährverkehr lasse sich vom Wortlaut des § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 her nicht mit dem Luftverkehr gleichstellen; Flugzeuge spreche bezeichneter Steuerbefreiungstatbestand an keiner Stelle auch nur andeutungsweise an. Ebenso wenig könne von einer versehentlichen, verdeckten Regelungslücke ausgegangen werden. So erkläre sich § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 damit, dass den durch diese Regelung befürchteten Wettbewerbsnachteilen im Bereich des internationalen Schiffsverkehrs begegnet werden sollte. Dem gegenüber sei nichts dafür erkennbar, dass diese Regelung aufgrund entsprechender gesetzgeberischer Erwägungen auch auf den Geschäftsbereich des internationalen Flugverkehrs bezogen gewesen sein sollte. Auch das allgemeine Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –) lege keine Erstreckung von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 auf Bordverpflegungsleistungen in Flugzeugen nahe. Schifffahrts- und Fluggesellschaften bedienten verschiedene Märkte und böten Dienstleistungen an, die in keinem unmittelbaren Wettbewerb miteinander stünden. So seien auch in anderer Beziehung Schiff- und Luftfahrtgesellschaften nicht gleichgestellt: gelte für die Personenbeförderung mit Schiffen ein ermäßigter Steuersatz, blieben Flugleistungen gemäß § 26 Abs. 3 UStG 1999-2001 unbesteuert. Schließlich zeichne auch das Gemeinschaftsrecht zumal im Verhältnis zwischen Schifffahrts- und Luftverkehrsgesellschaften keine einheitliche nationale Steuerbefreiungsregelung für Restaurations-leistungen vor.
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Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 15. April 2009 erhobene Klage. Zu deren Begründung nimmt sie auf ihr Vorbringen im Vorverfahren Bezug. Ergänzend hebt sie hervor, die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – (Urteil vom 2. Mai 1996 – C-231/94 [Rs. Faaborg/Gelting] – Amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH – EuGHE – 1996, 2395, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1998, 282, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1996, 1005), dass Restaurationsleistungen anstelle von Lieferungen zu Dienstleistungen zu zählen seien, habe bewirkt, dass der Ort der Ausführung der Leistung nach § 3a Abs. 1 UStG durch den Sitz des leistenden Unternehmens bestimmt werde und deshalb auch Umsätze, die außerhalb deutscher Hoheitsgewässer erbracht würden, der deutschen Umsatzbesteuerung unterfielen. Da in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union Restaurationsumsätze an Bord von Schiffen umsatzsteuerfrei gestellt seien, habe mit dem Steuerbefreiungstatbestand von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 etwaigen Wettbewerbsnachteilen für inländische Unternehmer entgegen gewirkt werden sollen. Wenn auch § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 nur die Seeschifffahrt anspreche, erlitten doch auch Fluggesellschaften dieselben Wettbewerbsnachteile hinsichtlich ihrer auf grenzüberschreitenden Flügen erbrachten Bordrestauration. Ein einleuchtender Grund für die unterschiedliche Behandlung sog. „Moving Meals“ an Bord von Seeschiffen einerseits („Swimming Meals“) und an Bord von Flugzeugen andererseits („Flying Meals“) lasse sich nicht finden. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber einen Regelungsbedarf hinsichtlich der Restaurationsumsätze an Bord von Flugzeugen schlichtweg übersehen habe, zumal Umfang und Bedeutung des Bordverkaufs bei Airlines früher im Vorfeld des Aufkommens sog. Billigfluggesellschaften („Low Cost Carrier“) noch nicht recht absehbar gewesen sei; so habe die Bordverpflegung seinerzeit lediglich eine unentgeltliche Nebenleistung zur Beförderungsleistung der Fluggesellschaften gebildet und sei damit betreffend den internationalen Verkehr auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 UStG 1999-2001 unbesteuert geblieben.
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Ohnehin müsse die von ihr auf ihren internationalen Flugstrecken erbrachte Bordverpflegung losgelöst von der Frage der entsprechenden Heranziehung von § 4 Nr. 6 Buchstabe e) UStG 1999-2001 auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 UStG 1999-2001 unbesteuert bleiben. Ihre Restaurationsleistungen dienten im Gefolge ihres Kerngeschäfts der Fluggastbeförderung dessen ergänzender Abrundung und bildeten deshalb unselbständige Nebenleistungen. Dem entsprechend seien in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – ein im Rahmen eines Hochseeangeltörns erbrachter Verpflegungsservice (Urteil vom 2. März 2011 – XI R 25/09 – Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 233, 348, BStBl II 2011, 737, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst – DStRE – 2011, 956, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2011, 692) ebenso wie Bewirtungsleistungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Kabinenschiffreise (Urteil vom 1. August 1996 – V R 58/94 – BFHE 181, 208, BStBl II 1997, 160, UR 1997, 95) als derartige unselbständige Nebenleistungen eingestuft worden.
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In diesem Sinne habe ihr streitgegenständliches Bordverpflegungsangebot auch ansonsten in jeder Beziehung nur unbedeutenden Nebenleistungscharakter gehabt. So seien nur standardisiert vorbereitete Speisen, hauptsächlich Süßigkeiten, und zuvor abgefüllte alkoholische Getränke abgegeben worden. Vor allem auch in wirtschaftlicher Beziehung habe es sich um ein untergeordnetes Leistungsangebot gehandelt, da ihre Restaurationsumsätze nur einen bescheidenen Bruchteil derjenigen Einnahmen gebildet hätten, die sie im Rahmen ihres eigentlichen Flugbeförderungsgeschäfts über ihre Flugtickets erzielt habe.
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Sähe man dagegen in der streitgegenständlichen Bordverpflegung keine unselbständige Nebenleistung zur Fluggastbeförderung, würde in der ohne besonderes Dienstleistungselement an Bord erfolgten Abgabe von Speisen und Getränken im Lichte der neueren EuGH-Rechtsprechung (Urteile vom 10. März 2011 – C-497/, 499/, 501/ und 502/09 [Manfred Bog u.a.] – DStR 2011, 515, UR 2011, 272) die (bloße) Lieferung von Nahrungsmitteln gelegen haben.
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Umsatzsteuerbar wäre laut § 3e Abs. 1 UStG 1999-2001 dann lediglich die Bordverpflegungsabgabe auf Flügen in das übrige Unionsgebiet. Insofern würde ihr aber für ihren Süßwarenverkauf, der sich im Streitjahr 1999 entsprechend seinem Anteil von … vom Hundert [v.H.] im Verhältnis zur Abgabe von Getränken auf … €, im Streitjahr 2000 mit einen Anteil von … v.H. auf … € und im Streitjahr 2001 mit einen Anteil von … v.H. auf … € belaufen habe, auch der ermäßigte Steuersatz für die Lieferung von Speisen in Höhe von 7 v.H. nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999-2001 zustehen müssen. Lediglich ihre entsprechenden Einnahmen aus dem Verkauf alkoholischer Getränke, im Einzelnen in Höhe von … € (1999), … € (2000) und … € (2001), könnten insoweit dem regelmäßigen Steuersatz von (seinerzeit) 16 v.H. unterworfen werden.
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Von der Umsatzsatzbesteuerung ausgenommen müsste dagegen ihr Bordverpflegungsangebot auf Destinationen außerhalb des Gemeinschaftsgebiets in sog. Drittstaaten bleiben. Dies gebe § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG vor. Insofern seien die streitgegenständlichen Speisen und Getränke jeweils erst nach Verlassen des bundesdeutschen Luftraums ausgegeben worden.
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Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer der Streitjahre 1999 bis 2001 abweichend von den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 1999 bis 2001 alle vom 6. September 2006 sämtlich in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. April 2009 nur nach um den Betrag von … DM (1999), … DM (2000) und … DM (2001) verminderten steuerpflichtigen Umsätzen zum Regelsteuersatz festzusetzen, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären, hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
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Er stützt seine Rechtsverteidigung zunächst wiederholend und vertiefend auf die Begründung der angegriffenen Einspruchsentscheidung, an der er festhält. Er hebt ergänzend hervor, dass sich § 26 Abs. 3 UStG 1999-2001 unmittelbar nur auf die mit dem eigentlichen Beförderungsgeschäft verbundenen Umsätze beziehe, nicht aber auch zugleich auf mit dem Beförderungsvorgang verbundene Nebenleistungen; eine sie betreffende (Steuerfreistellungs-)Entscheidung müsse einem separaten Billigkeitsverfahren vorbehalten bleiben. Unter diesen Umständen führten die auf die innerstaatlichen Flugstreckenanteile entfallenden Restaurationsleistungen im Lichte von § 3b Abs. 1 Satz 2 UStG 1999-2001 zu steuerpflichtigen Umsätzen, sollten sie überhaupt als unselbständige Nebenleistung zur Flugbeförderung angesehen werden können. Letzteres sei in Wahrheit zu verneinen. Bildeten in der BFH-Rechtsprechung Verpflegungsleistungen im Rahmen von Kinovorführungen (Beschluss vom 7. Januar 2011 – V B 55/10 –, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2011, 660), Theater- und Variete-Aufführungen oder auch im Zusammenhang mit Seminar-/Fortbildungsveranstaltungen (Urteil vom 7. Oktober 2010 – V R 12/10 – BFHE 231, 349, BStBl II 2011, 303, UR 2011, 154) keine unselbständigen Nebenleistungen, könne anderes auch nicht für Restaurationsleistungen an Bord von Flugzeugen gelten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten ausgetauschten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die von dem Beklagten vorgelegten Steuerakten (1 Band Umsatzsteuerakten; 2 Bände Gesellschaftsverträge mit Ergänzungen, Handelsregisterauszüge; 1 Band Betriebsprüfungsberichte) zur St.-Nr. … sowie eine weitere Heftung (Arbeitsbogen Bundeszentralamt für Steuern) zur AB-Nr. … Bezug genommen. | Die Umsatzsteuer der Streitjahre 1999 bis 2001 wird abweichend von den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 1999 bis 2001 alle vom 6. September 2006 sämtlich in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. April 2009 nach um … DM in 1999, … DM in 2000 und … DM in 2001 geminderten Umsätzen zum Regelsteuersatz sowie nach um … DM in 1999, … DM in 2000 und um … DM in 2001 erhöhten Umsätzen zum ermäßigten Steuersatz festgesetzt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 28 % und dem Beklagten zu 72 % auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der der Klägerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten abwenden, wenn nicht diese zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger, eigenen Angaben zufolge ein afghanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise Abschiebungsschutz.
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Am 22.03.2016 stellte er seinen Asylantrag und gab an, er sei am … 1998 in Quetta geboren, afghanischer Staatsangehöriger, Volkszugehöriger der Hazara und Schiite. Er spreche Dari und Urdu.
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Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 09.12.2016 (in Urdu) machte er folgende Angaben: Aus Pakistan sei er in den Iran gereist, dann in die Türkei, nach Griechenland, Mazedonien, Serbien und über die Balkan-Route nach Deutschland. Dem Schlepper habe er 5.000 US-Dollar bezahlt. Im Iran habe er von Dezember 2010 bis November 2012 gearbeitet und Geld erspart. Sein Heimatland habe er am 01.11.2015 verlassen und sei am 27.11.2015 in Deutschland eingereist. Er machte Angaben zu seinen Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen. Ferner gab er an: Sie, die Schiiten, seien in Pakistan nicht gewollt, auch würden sie umgebracht. Wegen ihres Aussehens würden sie sofort als Hazara erkannt. Alle Hazara seien Schiiten. Seine Eltern hätten Angst um sein Leben gehabt, weshalb sie ihn in den Iran geschickt hätten. Seine Eltern seien vor 20 Jahren von Afghanistan nach Pakistan geflüchtet, nachdem sein Onkel von den Paschtunen, vermutlich den Taliban, umgebracht worden sei. Am 10.01.2013 habe es eine Explosion in einem Snooker Club auf der Alamdar Straße gegeben. Dabei sei auch er verletzt worden. Im Krankenhaus sei er erst wieder aufgewacht. Viele Narben trage er noch im Gesicht davon. Danach habe er in Pakistan in seiner Familie gearbeitet. Wirtschaftlich sei es nicht gut gegangen, weswegen sich seine Familie entschlossen habe, ihn nach Europa zu schicken, damit er hier ein sicheres Leben führen und auch die Familie finanziell unterstützen könne. Es sei die Entscheidung seiner Eltern gewesen, nach Deutschland zu kommen, auch habe er im Iran nicht gut verdient. (Auf Frage, ob ihm außer der Explosion in Pakistan passiert sei:) Nein. Auf Vorhalt, ob er aus wirtschaftlichen Gründen hier sei, antwortete er mit ja.
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Mit Bescheid vom 16.12.2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (1.). Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (2.). Subsidiärer Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (3.). Des Weiteren wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen (4.). Ferner wurde der Kläger aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Pakistan angedroht (4.). Der Bescheid wurde dem Kläger am 22.12.2016 zugestellt.
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Am 22.12.2016 hat der Kläger Klage erhoben; in der mündlichen Verhandlung hat er beantragt,
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1. den Bescheid der Beklagten vom 16.12.2016 aufzuheben
2. und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG zuzuerkennen;
3. hilfsweise, ihm subsidiären Schutz gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 AsylG zuzuerkennen;
4. weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Rechtsstreit wurde der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger zu den Gründen seines Asylantrages angehört worden. Auf die darüber gefertigte Niederschrift wird verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Akten des Bundesamtes (1 Heft) sowie auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. | 0 |
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Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger auch für die Zeit vom 11.02.2009 bis 29.03.2009 Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) hat.
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Der 1986 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.2005 bis 30.01.2008 eine Berufsausbildung als Elektroniker - Automatisierungstechnik bei der Firma R. B. GmbH. Vom 31.01.2008 bis 30.01.2009 war er bei dieser befristet beschäftigt. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung erhielt er eine Urlaubsabgeltung, ohne die der noch zustehende Urlaub im Anschluss an das Arbeitsverhältnis bis zum 10.02.2009 gedauert hätte.
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Am 30.10.2008 meldete sich der Kläger bei der Beklagten telefonisch arbeitsuchend, woraufhin ihm der Alg-Antrag übersandt und mitgeteilt wurde, dass Alg erst ab dem Tag der persönlichen Arbeitslosmeldung gezahlt werden könne (SC-Vermerk vom 30.10.2008).
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Am 17.12.2008 sprach der Kläger bei der Beklagten persönlich vor. Im Beratungsvermerk über diese Vorsprache ist u.a. festgehalten: „Gem. AP wünscht Kunde Anstellung im Ausbildungsberuf im Umkreis von 25 km. .... Kunde berichtet von gesundheitlichen Problemen mit Knie, Wechseltätigkeit ist notwendig, im Knien kann Kunde nach Sportunfall gar nicht mehr arbeiten. Ob eine Vermittlung durch vorliegende gesundheitliche Probleme möglich ist, wird durch ÄG geklärt. Kunde ist mit Beauftragung ÄG einverstanden. ..... Kunde hat heute keinen Ausweis dabei, Identifikation zur Alo-meldung nicht möglich. Kunden auf Notwendigkeit der persönlichen Vorsprache hingewiesen.“
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Mit Bescheid vom 26.03.2009 lehnte die Beklagte „den Antrag auf Alg vom 31.01.2009“ ab mit der Begründung, der Kläger habe sich nicht persönlich arbeitslos gemeldet. Hiergegen legte der Kläger am 30.03.2009 persönlich bei der Rechtsbehelfsstelle der Agentur für Arbeit Reutlingen Widerspruch ein mit der Begründung, er habe sich am 30.10.2008 telefonisch arbeitsuchend gemeldet. Daraufhin habe am 17.12.2008 ein erstes Vermittlungsgespräch stattgefunden, bei dem seine berufliche Situation erörtert worden sei. Es sei auch über seine gesundheitlichen Einschränkungen gesprochen und vereinbart worden, dass ein ärztliches Gutachten erstellt werde. Die ihm ausgehändigten Vordrucke des Ärztlichen Dienstes (Gesundheitsfragebogen, Entbindungserklärungen) habe er ausgefüllt innerhalb weniger Tage wieder bei der Agentur für Arbeit eingereicht. Seitdem habe er nichts mehr gehört und auch keinen Termin für eine ärztliche Untersuchung erhalten. Ausweislich der Verwaltungsakten gingen die Unterlagen für den ärztlichen Dienst am 19.01.2009 bei der Beklagten ein.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, der Anspruch auf Alg nach § 118 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) setze u.a. voraus, dass sich der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet habe. Der Kläger habe zwar erstmals am 17.12.2008 persönlich bei der Agentur für Arbeit vorgesprochen, sich hierbei jedoch nicht ausweisen können. Eine persönliche Arbeitslosmeldung habe daher nicht aufgenommen werden können. Mit dieser persönlichen Meldung habe deshalb auch die Voraussetzung der persönlichen Arbeitslosmeldung nicht erfüllt werden können. Der Kläger sei sowohl bei diesem Gespräch als auch am 20.01.2009 vom Service-Center auf das Erfordernis einer persönlichen Meldung bei der zuständigen Agentur für Arbeit hingewiesen worden.
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Gegen den am 09.04.2009 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 11.05.2009 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, eine persönliche Arbeitslosmeldung sei am 17.12.2008 erfolgt, hierbei habe ein ausführliches Erstgespräch stattgefunden, außerdem sei eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen worden. Voraussetzung für die Arbeitslosmeldung sei die persönliche Anwesenheit des Arbeitslosen in der zuständigen Agentur. Dies bedeute, dass eine Arbeitslosmeldung schon dann vorliege, wenn der Arbeitslose in der Arbeitsagentur erscheine und jedenfalls sinngemäß zum Ausdruck bringe, er sei arbeitslos. Dies sei vorliegend der Fall. Die Prüfung der Identität und des Wohnsitzes sei vorliegend bereits geklärt gewesen.
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Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger sei ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Identifikation zur Arbeitslosmeldung hingewiesen worden. Der Termin am 17.12.2008 habe zur Nachholung der persönlichen Arbeitssuchendmeldung nach § 37 b SGB III stattgefunden, die im Falle des Klägers zunächst lediglich telefonisch erfolgt sei. Die hierbei gleichzeitig erfolgte Erhebung des klägerischen Berufsprofils und der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung hätten vorsorglich erfolgen können.
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Mit Urteil vom 18.10.2010 hat das SG den Bescheid vom 26.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Alg ab dem 11.02.2009 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger habe sich bereits am 17.12.2008 arbeitslos gemeldet. Die Arbeitslosmeldung stelle eine Tatsachenerklärung dar, mit welcher der Agentur für Arbeit gegenüber die Tatsache des Eintritts der Arbeitslosigkeit angezeigt werde. Sie diene vornehmlich dazu, die Agentur für Arbeit tatsächlich in die Lage zu versetzen, mit ihren Vermittlungsbemühungen zu beginnen, um die Arbeitslosigkeit und damit die Leistungspflicht möglichst rasch zu beenden. Formelle Voraussetzung sei die persönliche Anwesenheit des Arbeitslosen in der zuständigen Agentur; inhaltlich habe sich die Meldung nur auf den Eintritt des Leistungsfalles (Arbeitslosigkeit) zu beziehen. Dies bedeute, dass eine Arbeitslosmeldung schon dann vorliege, wenn der Arbeitslose in der Agentur für Arbeit erscheine und jedenfalls sinngemäß zum Ausdruck bringe, er sei arbeitslos. Vorliegend lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass nicht der Kläger selbst, sondern ein Dritter am 17.12.2008 persönlich vorgesprochen habe. Sofern die Beklagte den Bezug von Alg von der Vorlage eines Personendokumentes abhängig machen wollte wäre sie verpflichtet gewesen, den Kläger hierzu nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) aufzufordern und auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung nach § 66 SGB I hinzuweisen.
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Gegen das ihr am 04.01.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.01.2011 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Personenidentifikation gehöre zur materiell-rechtlichen Arbeitslosmeldung nach § 122 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Dies ergebe sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach sich der Arbeitslose „....
persönlich
.....arbeitslos zu melden .... „ habe. Die „Persönlichkeit“ sei vom Betroffenen nachzuweisen, da es sich bei der Arbeitslosmeldung um eine Anspruchsvoraussetzung handele, deren Vorliegen dem Anspruchsteller obliege. Solange dieser Nachweis nicht erbracht sei, könne keine materiell-rechtlich wirksame Arbeitslosmeldung vorliegen. Dieser Nachweis könne durch Vorlage des Personalausweises geführt werden, der zur Identifikation und dem Nachweis einer natürlichen Person diene. Neben dem Ausschluss einer vertretungsweisen Arbeitslosmeldung sowie der Verhinderung von Leistungsmissbrauch diene die eindeutige Identitätsprüfung auch der Prüfung der Zuständigkeit der Agentur zu dem Zweck, den Betroffenen unverzüglich an die zuständige Arbeitsagentur zu verweisen, falls die erst angegangene Arbeitsagentur örtlich unzuständig sein sollte. Es sei auch durchaus nicht unstreitig, dass der Kläger selbst am 17.12.2008 vorgesprochen habe, da sich die vorsprechende Person nicht legitimiert habe. Ob der Kläger an diesem Tag selbst vorgesprochen habe, bleibe daher offen. Schließlich sei auch eine Versagungsentscheidung nach den § 60 ff. SGB I nicht vorrangig.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Mit Bescheid vom 01.04.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg vom 30.03.2009 bis 28.03.2010. Mit Bescheid vom 17.09.2009 wurde die Bewilligungsentscheidung ab 14.09.2009 aufgehoben, da der Kläger ab dem 14.09.2009 das Berufskolleg besuchte. Nachdem sich der Kläger am 13.07.2010 erneut arbeitslos gemeldet hatte bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 26.07.2010 Alg für die Zeit vom 13.07.2010 bis 26.01.2011. Nach Aufnahme eines Studiums durch den Kläger am 04.10.2010 hob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung ab dem 04.10.2010 auf.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
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Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. | 0 |
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VG Berlin 1. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 06.05.2010 | 1 | Randnummer
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Der Kläger wendet sich gegen die Sicherstellung seines Fahrrades.
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Der Kläger ist Eigentümer eines sog. „Fixie-Fahrrades.“ Diese Bezeichnung ist angelehnt an den englischen Begriff „fixed-gear-bike.“ Hierbei handelt es sich um ein Eingangrad mit einer starren Hinterradnabe ohne Gangschaltung oder Freilauf. Bei diesem ursprünglich aus dem Bahnradsport stammenden Fahrrad sind die Pedale und Räder in ständiger Verbindung. Über eine Hand- oder Rücktrittbremse verfügt das Bahnrad des Klägers nicht. Die Geschwindigkeit lässt sich ausschließlich über die Trittfrequenz regulieren. Das Bahnrad des Klägers hat darüber hinaus keine Klingel und Beleuchtungseinrichtung. Auch Rückstrahler, seitliche Reflektoren und Pedalreflektoren fehlen.
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Am 22. Juli 2009 wurde der Kläger durch die Polizei im Bereich der Petersburger Straße in Friedrichshain im öffentlichen Straßenverkehr mit seinem Bahnrad angetroffen und ihm die Weiterfahrt untersagt. Darüber hinaus drohten ihm die Polizeibeamten die „Beschlagnahme“ und die „Einziehung“ des Fahrrades im Wiederholungsfall an.
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Am 22. Oktober 2009 wurde der Kläger erneut durch die Polizei im Bereich der Gertraudenbrücke in Berlin-Mitte im öffentlichen Straßenverkehr mit seinem Bahnrad angetroffen. Das Fahrrad wurde durch die Polizei „beschlagnahmt“, da es nicht verkehrssicher sei. Am 26. Oktober 2009 forderte der Kläger die Herausgabe des Fahrrades unter Hinweis auf eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2010 wies der Polizeipräsident in Berlin den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dass die Benutzung des Bahnrades im öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und im Falle der Rückgabe an den Kläger erneut damit zu rechnen sei, dass dieser das Bahnrad auf öffentlichem Straßenland benutzen werde.
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Mit seiner am 25. November 2009 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren der Herausgabe des Fahrrades weiter. Die Art der Maßnahme sei rechtswidrig, da sie als „Beschlagnahme“ bezeichnet worden sei, jedoch nicht einem Ordnungswidrigkeitenverfahren gedient habe. Die Sicherstellung sei eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, da dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zwei Fälle bekannt seien, in denen auch nach zweimaliger Wegnahme durch die Polizei derartige Fahrräder wieder herausgegeben worden seien. Eine Gefahr habe der Kläger nicht verursacht. In ganz Berlin sei kein Unfall mit einem derartigen Fahrrad bekannt. Das Amtsgericht Bonn habe festgestellt, dass ein Starrlauf am Fahrrad als eine Bremse zu klassifizieren sei (AG Bonn 337 Js 1152/09). Die starre Nabe sei vergleichbar mit einer Rücktrittbremse, zumal da ein geübter Fahrer das Hinterrad auch mit einer starren Nabe zum Blockieren bringen könne. Die starre Nabe sei insofern sicherer als eine normale Bremse, als dass diese keinem Verschleiß unterliege. Auch werde der Fahrer zu einer vorausschauenden und vorsichtigen Fahrweise angeregt, da der Bremsvorgang mittels der starren Nabe besonders viel Kraftaufwand erfordere. Der Kläger benutze das Rad auch auf der Rennbahn für den Bahnradsport. Darüber hinaus sei ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, das Rad gemäß den Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) nachzurüsten. Das Nachrüsten sei möglich. Der Kläger werde hierfür insgesamt ca. 200,00 € aufbringen müssen, wobei er einfach zu montierende Bremsen verwenden könne, welche ohne eine Bohrung oder anderweitigen Eingriff in die Substanz des Fahrrades schnell montiert werden könnten. Am 22. Oktober 2009 habe er das Rad nur benutzt, da sein zweites – verkehrssicheres Fahrrad – defekt gewesen sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beschlagnahmeanordnung vom 22. Oktober 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2009 aufzuheben und das Fahrrad (Diamant-Rahmen, blau, Aufkleber: „Surly“, Rahmennummer 9306223) an den Kläger herauszugeben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, dass im Rahmen der Verkehrsüberwachung vermehrt derartige Bahnräder im öffentlichen Straßenverkehr festgestellt worden seien. Da der Kläger bereits wiederholt mit dem Fahrrad als Teilnehmer im öffentlichen Straßenverkehr angetroffen wurde, sei davon auszugehen, dass er im Falle der Herausgabe des Rades dieses erneut benutzen werde. Die Sicherstellung des Fahrrades sei nach § 38 Nr. 1 ASOG erfolgt. Ein milderes Mittel – die Nachrüstung des Rades – scheide aus, da der Kläger dies selbst abgelehnt habe. Das Urteil des Amtsgerichts Bonn sei nicht mit den Verhältnissen einer Großstadt wie Berlin vereinbar. Zwar gäbe es keine belastbaren Zahlen über tatsächlich durch Bahnräder verursachte Unfälle im Straßenverkehr, doch könne dies nicht über die bestehende Gefahrenlage hinwegtäuschen. Eine uneinheitliche Verwaltungspraxis gäbe es nicht. Es werde vielmehr die Strategie verfolgt, „Ersttäter“ zu verwarnen und erst bei einem erneuten Antreffen der betreffenden Person mit einem Bahnrad im Straßenverkehr dieses sicherzustellen. Die von dem Kläger vorgeschlagene Nachrüstung des Bahnrades mittels einfach zu montierender Bremsen sei kein milderes und gleich wirksames Mittel, die Gefahr zu beseitigen. Diese Bremsen könnten auch einfach wieder demontiert werden. Den Beteuerungen des Klägers, sich künftig an die Regeln der StVZO zu halten, sei aufgrund seines bisher gezeigten Verhaltens kein Glauben zu schenken.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorganges verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet. | 0 |
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat | Thüringen | 0 | 1 | 29.04.2021 | 0 | Randnummer
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines als Arbeitsunfall anerkannten Unfallereignisses vom 17. März 2017 eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne im Schultergelenk rechts anzuerkennen ist.
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Am 17. März 2017 rutschte der 1966 geborene Kläger auf der Holztreppe im Bürogebäude eines Jugendwaldheims ab und versuchte sich mit dem rechten Arm am Geländer abzufangen. Anschließend verspürte er Schmerzen im Bereich der rechten Schulter. Aufgrund anhaltender Schmerzen suchte der Kläger am 24. März 2017 einen Durchgangsarzt auf. Dieser diagnostizierte eine Distorsion der rechten Schulter und veranlasste die Durchführung eines MRT. Der MRT-Befund vom 28. März 2017 erbrachte den Nachweis eines kleinen Einrisses der Supraspinatussehne, diskrete Zeichen eines Impingementsyndroms und den Nachweis einer ACG-Arthrose mit geringer Pelottierung des Musculus supraspinatus. Vom 18. bis 21. April 2017 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Krankenhaus Sondershausen. Eine Arthroskopie der rechten Schulter erfolgte. Laut Operationsbericht vom 18. April 2017 war eine Rekonstruktion der rupturierten Rotatorenmanschette noch möglich. Ausweislich des pathologischen Befundes vom 19. April 2017 ergaben sich Anteile der Supraspinatussehne mit Läsionen unterschiedlichen Alters, überwiegend mit älteren Veränderungen mit Vernarbung und kleinherdig frischer Nekrose. Der Beratungsarzt der Beklagten M verneinte in einer Stellungnahme vom 29. Juni 2017 einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Schädigung im Bereich der Rotatorenmanschette. Es sprächen erhebliche Gesichtspunkte gegen eine Traumagenese. Die Schadensanlagen seien überragend.
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Durch Bescheid vom 24. Juli 2017 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 17. März 2017 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Zerrung des rechten Schultergelenks und unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis 21. April 2017 an. Ausdrücklich nicht als Folge des Unfallereignisses anerkannt wurde ein Riss der Rotatorenmanschette im rechten Schultergelenk. Aufgrund der gesichert vorliegenden erheblichen Schadensanlagen, insbesondere einer Einengung des Subacromialraumes und der Arthrose des Schultereckgelenkes, sei eine unfallbedingte Schädigung der Rotatorenmanschette zu verneinen. Ein hiergegen durch den Kläger am 1. August 2017 eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2017 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Nordhausen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Orthopäden und Unfallchirurgen M1 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser legt in seinem Gutachten vom 22. Mai 2018 dar, dass die Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne am rechten Schultergelenk auf das Unfallereignis vom 17. März 2017 zurückzuführen sei. Der Sturz und das Festhalten mit der Hand stellten einen klassischen Hergang zur Belastung der Rotatorenmanschette dar. Die eingetretene Verzögerung im Hinblick auf die Erstvorstellung beim Durchgangsarzt sei plausibel zu erklären. Der MRT-Befund vom 28. März 2017 zeige eine frische Signalanhebung im Bereich einer Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne. Eine vorbestehende Texturstörung der Sehne oder eine Atrophie der Muskulatur seien nicht festzustellen. Der pathologische Befund belege sowohl frische als auch ältere Texturstörungen. In Würdigung sämtlicher Faktoren sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem Zusammenhang auszugehen. Dieser Einschätzung ist der Beratungsarzt der Beklagten M in einer Stellungnahme vom 16. Juli 2018 entgegengetreten. Es existierten erhebliche, gegen eine Traumagenese sprechende Faktoren, wie erste ärztliche Konsultation erst nach sechs Tagen, fehlende Pseudolähmung des rechten Armes und ein Impingementsyndrom des rechten Schultergelenks in Verbindung mit einer Arthrose desselben. Notwendig sei eine Auswertung des MRT-Befundes vom 28. März 2017 durch einen Radiologen. Daraufhin legte die Beklagte eine fachradiologische Stellungnahem ihres Beratungsarztes R vom 26. Oktober 2018 vor. Darin führt dieser aus, dass sich ein Überwiegen frischer traumatisch bedingter Schäden nicht mit ausreichender Sicherheit belegen lasse.
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Anschließend beauftragte das Sozialgericht den Radiologen B mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dieser führte in seinem Gutachten vom 13. Februar 2019 aus, dass zusammenfassend aus radiologischer Sicht keine klare Aussage zur Genese der vorliegenden Veränderungen im Bereich der Rotatorenmanschette rechts gemacht werden könne. Gegen eine Traumagenese der Komplettruptur des anterolateralen Anteils der Supraspinatussehne spreche eine Beteiligung gleichzeitig aller wesentlichen Muskeln der Rotatorenmanschette. Diese sei für ein Trauma ungewöhnlich, jedoch häufig bei degenerativen Veränderungen anzutreffen. Dazu komme der fehlende Erguss im Gelenk als Reaktion auf einen akuten Riss der Sehne und keine Blut- bzw. Flüssigkeitsansammlungen in oder um die gerissene Sehne. Ferner sei die Zerklüftung der knöchernen Oberfläche an der Komplettrupturstelle ein eindeutiger Hinweis auf chronische Umbauprozesse. Für eine traumatische Genese der beschriebenen Veränderungen sprächen die festgestellten ödematösen Veränderungen an der Subscapularissehne. Diese seien in ihrer Ausprägung ungewöhnlich für eine Degeneration. Der Befund sei zwar nicht beweisend für eine Traumagenese der Supraspinatussehnenruptur, sei jedoch ein Hinweis darauf, dass überhaupt ein Trauma an der Schulter stattgefunden habe. Auf der Basis der vorgelegten bildgebenden Befunde könne die Frage nach der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht beantwortet werden. Dies müsse der orthopädisch-unfallchirurgischen Bewertung vorbehalten bleiben.
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Mit Urteil vom 5. September 2019 hat das Sozialgericht Nordhausen die Klage abgewiesen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 17. März 2017 und den anschließend festgestellten Gesundheitsstörungen sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Es fehle eine sofortige Arbeitsniederlegung und eine sogenannte Pseudoparalyse des rechten Armes. Gegen eine traumatische Verursachung sprächen auch die degenerativen Veränderungen im Bereich des rechen Schultergelenks. Das nach den Ausführungen des radiologischen Sachverständigen B durchaus Hinweise existierten, dass überhaupt ein Trauma an der Schulter stattgefunden habe, reiche für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht aus. Deshalb sei auch den Ausführungen von M1 nicht zu folgen.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Durch das Unfallereignis vom 17. März 2017 sei eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne am Schultergelenk rechts hervorgerufen worden. Das Sozialgericht habe sich nur unzureichend mit den Ausführungen des Sachverständigen M1 auseinandergesetzt, wonach die nur wenige Tage verzögert erfolgte ärztliche Vorstellung plausibel zu erklären sei und erhebliche Einschränkungen im rechten Schultergelenk festzustellen gewesen seien. Die Schmerzen des Klägers würden nicht hinreichend gewürdigt. Das Sozialgericht beziehe sich überwiegend auf die Ausführungen des radiologischen Sachverständigen B. Hierbei werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass dieser die abschließende Bewertung des Sachverhalts einer orthopädisch-unfallchirurgischen Begutachtung vorbehalten habe. Die erforderliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigen M1 zur Frage des Umfangs vorhandener Schadensanlagen lasse das Sozialgericht vermissen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. September 2019 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2017 abzuändern und als weitere Folge des Unfallereignisses vom 17. März 2017 eine Zusammenhangstrennung der Supraspinatussehne im Schultergelenk rechts festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat ein Gutachten des Handchirurgen St vom 6. Oktober 2020 eingeholt. Dieser verneint in seinem Gutachten nach ausführlicher Abwägung aller Umstände einen Zusammenhang zwischen der Ruptur der Rotatorenmanschette rechts und dem Unfallereignis vom 17. März 2017. Ein Treppensturz mit der Hand am Geländer sei ein geeigneter Hergang, um eine Schädigung der Rotatorenmanschette unfallbedingt zu verursachen und daher ein gewichtiger Aspekt, der für einen solchen spreche. Gegen einen Unfallzusammenhang spreche, dass der Kläger erst sechs Tage später einen Arzt aufgesucht habe und aus dem primären ärztlichen Untersuchungsbefund sich keine Pseudoparalyse herleiten lasse. Nach dem Durchgangsarztbericht vom 24. März 2017 seien die Vorwärtshebung mit 80 Grad und die Abduktion und die Retroversion mit 40 Grad möglich gewesen. Hinsichtlich des radiologischen Untersuchungsbefundes spreche für einen Unfallzusammenhang die Feststellung ödematöser Veränderungen an der Subscapularissehne und die fehlende Verfettung in der Muskulatur der Supraspinatussehne. Hingegen sprächen die fehlenden ausgedehnten Einblutungen um die rupturierte Supraspinatussehne, die fehlenden Begleitverletzungen und die Arthrose des Schultereckgelenks einschließlich der festgestellten Multizentrizität der Texturstörungen an verschiedenen Sehnen gegen einen Unfallzusammenhang. Der Operationsbericht belege eine Enge des Subacromialraumes, welcher ein disponierender Faktor für Schädigungen der Rotatorenmanschette darstelle. Nach dem Operationsbericht sei allerdings auch eine Rekonstruktion der rupturierten Rotatorenmanschette noch möglich gewesen. Dies sei nur der Fall, wenn die Schädigung noch nicht lange, etliche Jahre zurückliege. In der Gesamtheit sprächen die im Operationsbericht erwähnten Veränderungen eher für eine Texturstörung an der Supraspinatussehne, als für eine unfallbedingte Schädigung. Der histologische Untersuchungsbefund spreche gegen einen Unfallzusammenhang, da überwiegend ältere Veränderungen und Vernarbungen beschrieben würden. In der Gesamtschau würden daher die Gründe gegen einen Unfallzusammenhang überwiegen.
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Der Kläger ist der Einschätzung des Sachverständigen St entgegengetreten. Es sprächen mehr Gründe für als gegen einen Unfallzusammenhang. Auch St nehme eine Abwägung vor und findet zahlreiche Aspekte, die für einen Unfallzusammenhang sprechen würden. Das verspätete Aufsuchen des Durchgangsarztes könne dem Kläger nicht angelastet werden. Der Kläger habe zwar seine berufliche Tätigkeit über sechs Tage fortgesetzt. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass nach dem Unfallereignis ein Wochenende bevorgestanden und der Kläger dies zur Ruhigstellung des Armes genutzt habe. Im Rahmen seiner beruflichen Aufgaben sei der Kläger auch in der Lage gewesen, den Arm weitgehend zu schonen. M1 habe in seinem Gutachten ein Korrelat zur sogenannten Pseudoparalyse des Armes beschrieben. Die sich aus dem radiologischen Befund vom 28. März 2017 und dem Operationsbericht ergebenden Anhaltspunkte für einen Unfallzusammenhang würden nicht hinreichend gewichtet. Es seien erhebliche Faktoren für einen Unfallzusammenhang gegeben.
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Die Beklagte sieht sich durch die Ausführungen des Sachverständigen St in ihrer Einschätzung bestätigt.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 2, 4 SGG) erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. September 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche nach dem Erwerb eines Wohnmobils geltend, die im Wesentlichen auf die Rückabwicklung des Kaufvertrags über dieses Fahrzeug gerichtet sind.
2
Der in W. wohnhafte Kläger erwarb am 02.10.2020 bei einem privaten Verkäufer in W. das streitgegenständliche Fahrzeug, ein Wohnmobil-Gebrauchtfahrzeug S. T 66, das als Basisfahrzeug einen F. D. 2,3l Multijet mit Erstzulassung am 16.08.2019 und Zulassung nach der Euronorm 6 verwendet, zu einem Kaufpreis von 47.500,00 EUR (Kaufvertrag, vorgelegt als Anlage K 1 zur Klageschrift, Anlagenband Kläger, Bl. 202 f.). Der Kilometerstand des Fahrzeugs lag bei Übergabe an den Kläger bei 17.060 Kilometern. Die Beklagte ist die Herstellerin des Basisfahrzeugs.
3
Der in dem Fahrzeug verbaute Motor, ein 2,3 l Multi-Jet, 96 kW, Baunummer F1AGL411 D, verfügt über ein Motorsteuerungsgerät, das ein Thermofenster, also eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasbehandlung, enthält.
4
Die Typengenehmigung für das Basisfahrzeug wurde von der zuständigen italienischen Behörde (MIT) erteilt, die für den Aufbau des Wohnmobilherstellers durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA, Mehrstufengenehmigung). Ein Entzug oder Widerruf der Typengenehmigung erfolgte weder durch die italienische Behörde noch durch das Kraftfahrtbundesamt. Grundlage für die Erteilung der Typengenehmigung war ein standardisierter Test nach dem maßgeblichen „NEFZ“, der ca. 20 Minuten andauert.
5
Mit Schreiben vom 11.05.2022 (Anlage K 10 zur Klageschrift, Anlagenband Kläger, Bl. 170 ff.) forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zur Rückabwicklung des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug binnen einer Frist von 14 Tagen auf. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
6
Am 22.05.2023 belief sich der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 28.493 Kilometer.
7
Der Kläger behauptet
, das von ihm erworbene Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. „Timers“. Es sei eine zeitbasierte Abschalteinrichtung vorhanden, die die Abgasreinigung nach 22 Minuten, also nach dem zeitlichen Ablauf der für die Zulassung maßgeblichen Fahrsimulation auf dem Rollenprüfstand, reduziere oder abschalte. Zudem würden weitere Parameter dazu dienen, nicht nur die Prüfstandsituation zu erkennen, sondern anhand dieser Erkennung die Abgasbehandlung unzulässig zu beeinflussen. So werde die AGR-Rate bzw. die NSK-Regeneration nach einer gewissen Motorlaufzeit verringert/deaktiviert. Zudem sei das im Fahrzeug vorhandene „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung. Es greife bei den im NEFZ geltenden Temperaturen von 20 °C bis 30 °C und halte dort die Abgaswerte ein, während bei Temperaturen außerhalb dieses Bereichs und somit regelmäßig im normalen Straßenbetrieb eine Reduzierung bis hin zur Abschaltung der Abgasrückführung stattfinde.
8
Der Kläger ist der Ansicht, aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtungen sei die Zulassung für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht rechtswirksam erteilt worden, zumindest drohe ihm Entzug bzw. die Stilllegung des Fahrzeugs. Die italienische Typengenehmigung könne wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit keine Tatbestandswirkung entfalten, zumal diese - so behauptet der Kläger - auf der Grundlage von falschen Angaben der Beklagten erstellt worden sei. Das Kraftfahrtbundesamt könne die italienische Typengenehmigung nachträglich mit Nebenbestimmungen versehen oder gänzlich widerrufen.
9
Der Schaden des Klägers liege im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags, den er in Kenntnis dieser Umstände nicht geschlossen hätte. Eine Nutzungsentschädigung sei aus einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 Kilometern zu berechnen.
10
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger den zuvor unter Ziffer 1 der Klage geltend gemachten Rückzahlungsanspruch in Höhe von 1.919,37 EUR in Anbetracht des veränderten Kilometerstands des Fahrzeugs teilweise für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Erklärung nicht angeschlossen.
11
Der Kläger beantragt zuletzt
,
1.
12
die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Kaufpreis in Höhe von 47.500,00 EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.919,37 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges S. T 66, Fahrzeug-Ident.-Nr. ZFA….
2.
13
festzustellen, dass in Höhe des Betrages von 881,20 EUR Erledigung des Klageantrags Ziffer 1 eingetreten ist;
3.
14
festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
4..
15
die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.002,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt
,
17
die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte ist der Ansicht,
der Durchsetzbarkeit etwaiger Ansprüche des Klägers stehe bereits die von ihr mit ihrer Klageerwiderung erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Der Kläger habe bereits bei Kauf des streitgegenständlichen Wohnmobils im Jahr 2020 Kenntnis davon haben müssen, dass auch sein Basisfahrzeug von der „Abgasthematik“ betroffen sein könnte.
19
Die Beklagte behauptet, das Thermofenster stelle eine zulässige, technisch notwendige Einrichtung zum Schutz des Motors dar und reduziere die Abgasaufbereitung nicht in relevanter Weise. Eine unzulässige zeitbasierte Abschalteinrichtung sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verbaut. Das Fahrzeug halte die relevanten Abgasnormen ein, zumal maßgeblich hierfür nicht die Ergebnisse im Realbetrieb, sondern ausschließlich die Ergebnisse auf dem Prüfstand seien. Es komme im streitgegenständlichen Fahrzeug keine Funktion zum Einsatz, durch die der Prüfstand erkannt und der Stickoxidausstoß manipulativ lediglich für die Zwecke der Typengenehmigung gezielt reduziert wird. Der Vortrag des Klägers zu den behaupteten Manipulationen sei nicht hinreichend substantiiert, „ins Blaue hinein“.
20
Weiterhin ist die Beklagte der Ansicht, das Basisfahrzeug des Klägers sei bereits aufgrund der fortbestehenden und in ihrem Bestand nicht gefährdeten EG-Typengenehmigung in jeder Hinsicht rechtskonform und für den bestimmungsgemäßen Gebrauch - die Nutzung zur Personenbeförderung auf Straßen - geeignet. Ein Anspruch des Klägers sei bereits aufgrund der durch die EG-Typengenehmigung verbindlich festgestellten Rechtskonformität des streitgegenständlichen Basisfahrzeuges ausgeschlossen.
21
Die Beklagte ist der Ansicht, es fehle jedenfalls an einem Schaden des Klägers. Die zuständige italienische Genehmigungsbehörde MIT hat - unstreitig - für das Basisfahrzeug keine Maßnahmen oder Auflagen angeordnet; insbesondere keinen Rückruf. Ein solcher drohe auch nicht. Unter diesem Gesichtspunkt könne der Beklagten auch kein schuldhaftes Verhalten angelastet werden. Hätte sich die Beklagte vor Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei der italienischen Behörde erkundigt, hätte diese ihr die Zulässigkeit der vorhandenen Einrichtungen im streitgegenständlichen Basisfahrzeug bestätigt.
22
Für die weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt und insbesondere das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 22.05.2023 (Bl. 182 ff. d.A.) Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 46.461,83 EUR festgesetzt. | 0 |
||
LG Darmstadt 13. Zivilkammer | Hessen | 0 | 1 | 13.09.2019 | 0 | Die Parteien streiten sich um Ansprüche im Zusammenhang mit dem Widerruf eines Darlehensvertrages.
Am 23.04.2016 schloss der Kläger den gegenständlichen Darlehensvertrag mit der Nummer … bei der Beklagten ab. Vermittelt wurde das Darlehen über das A GmbH & Co. KG. Das Darlehen diente der Finanzierung eines Gebrauchtwagens [Fahrzeugtyp], Erstzulassungsdatum, 08.09.2014 mit der Fahrgestellnummer […] und einem KM-Stand beim Kauf von 32.145 Km.
Der Kaufpreis des Neuwagens betrug insgesamt € 17.200,00. Hinsichtlich des Darlehens wurden ein Bruttodarlehensbetrag in Höhe von € 20.281,44 vereinbart. Die Nettodarlehenssumme beträgt € 18.391,24. Die Kreditkosten betragen € 1.930,20 und die Kosten für die Differenzkaskoversicherung (GAP) € 1.191,24. Der vereinbarte Zahlungsplan umfasste 48 Monatsraten zu je € 422,53 und eine Abschlusszahlung in Höhe von € 1.139,91. Die Ratenzahlung erfolgte regelmäßig. Der Kilometerstand bei Kauf wies mit Datum des Vertragsabschlusses insgesamt 32.145 km und weist aktuell insgesamt ca. 72.000 km auf.
Mit Schreiben vom 25.09.2018 erklärte der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten den Widerruf seiner auf den Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung und forderte die Beklagte auf, das Darlehen entsprechend abzurechnen. Die Übergabe des Fahrzeugs wurde der Beklagten ausdrücklich angeboten.
Die Beklagte wies mit Schreiben vom 27.09.2018 den Widerruf zurück.
Der Kläger ist der Ansicht,
die Widerrufsinformation sowie die in dem Darlehensvertrag stehenden Angaben würden den vom Gesetzgeber gestellten Anforderungen nicht genügen, so dass er aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Angaben den Darlehensfreund habe noch wirksam widerrufen können.
So sei die Angabe des Tageszinssatzes fehlerhaft bzw. irreführend.
Auch liege eine fehlerhafte fehlerhafte Widerrufsinformation in der Ergänzung zur Anmeldeerklärung zum KSB/KSB Plus vor, da diese irreführend sei. Es erweckte den Anschein, als handele es sich bei dem Kreditsicherungsversicherung um einen verbundenen Vertrag gemäß § 358 BGB. Tatsächlich handele es sich aber lediglich um einen Vertrag im Sinne des § 360 BGB. Insoweit könne sich die Beklagte auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen, da sie von der Muster abgewichen sei.
Ebenfalls sei nicht angegeben worden, welcher Darlehensvermittler tätig geworden sei und welche Provisionen bzw. Zahlungen erhalten habe.
Auch sei die Art des Darlehens nicht ausreichend angegeben worden.
Zudem würden die Angaben zur Vertragslaufzeit, Betrag, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlung fehlen, da der Kläger die erste Seite des Vertrags nicht übergeben bekommen habe.
Weiterhin sei auch die Angabe der Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung fehlerhaft erfolgt.
Darüber hinaus fehle es an der Angabe der zuständigen Aufsichtsbehörde.
Weiterhin vieles im Hinblick auf die Auszahlungsbedingungen an der Angabe, an wen das Darlehen ausgezahlt werde.
Darüber hinaus verstoße die Klausel zur Aufrechnungsmöglichkeit gegen gesetzliche Wertung, so dass die Widerrufsbelehrung, so dass der Kläger auch dadurch von den Widerruf
abgehalten werden könne.
Letztlich fehle es an der notwendigen Klarheit und Verständlichkeit des Darlehensvertrags.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 13.943,49 nebst 5,0 %-Punkte Zinsen p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs [Fahrzeugtyp] mit der Fahrgestellnummer […] von dem Kläger an die Beklagte,
festzustellen, dass der Beklagten gegen den Kläger ab dem 25.09.2018 keine Ansprüche aus dem Darlehen Nr. … über einen Gesamtbetrag von ursprünglich € 20.281,44 zustehen,
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs [Fahrzeugtyp] mit der Fahrgestellnummer […] in Verzug befindet,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.348,27 nebst 5,0 % Punkte über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise beantragt sie,
festzustellen, dass die Klagepartei im Falle eines wirksamen Widerrufs verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des KFZ [Fahrzeugtyp] mit der Fahrgestellnummer […] zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und Funktionsweise nicht notwendig war.
Der Kläger beantragt,
die Hilfswiderklage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Widerrufsfrist bereits vor dem Widerruf des Klägers abgelaufen sei. Ohnehin enthalte der Darlehensvertrag alle Pflichtangaben; sie tritt den einzelnen Rügen des Klägers entgegen.
Darüber hinaus stehe dem Kläger keinesfalls ein Widerrufsrecht zu, weil er dieses verwirkt habe, sich mithin sein Verhalten als rechtsmissbräuchlich darstelle.
Letztlich habe sie auch ein Anspruch auf Nutzungsersatz. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 6. Senat | Berlin | 0 | 1 | 19.01.2016 | 1 | Randnummer
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Die am 26. Mai 1977 geborene Klägerin ist ukrainische Staatsangehörige. Ihren Antrag vom September 2013 auf Erteilung eines Visums zum Zweck der Eheschließung mit dem Beigeladenen zu 2., einem 1976 geborenen deutschen Staatsangehörigen, in Deutschland, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, es sei nicht anzunehmen, dass die Klägerin und der Beigeladene zu 2. eine schutzwürdige eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet beabsichtigten. Dies sei schon wegen der fehlenden gemeinsamen Sprachbasis zweifelhaft. Nach Aktenlage müssten sich die Verlobten für die gemeinsame Kommunikation Sprachmittlern aus dem Bekanntenkreis oder computergestützten Übersetzungsprogrammen bedienen. Hinzu komme, dass sich in den mit den Verlobten durchgeführten zeitgleichen Befragungen nicht unerhebliche Abweichungen, Wissenslücken und Ungereimtheiten ergeben hätten.
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2
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 18. März 2015 verpflichtet, der Klägerin ein Visum zum Zwecke der Eheschließung zu erteilen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin könne das Visum nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beanspruchen. Eine Eheschließung stehe unmittelbar bevor. Zwar seien sowohl die Anmeldung der Eheschließung als auch die Befreiung von der Pflicht zur Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses wegen Zeitablaufs inzwischen ungültig geworden, doch könne dies kurzfristig nachgeholt werden. Es wäre daher unverhältnismäßig, von Verlobten zu erwarten, während des laufenden Gerichtsverfahrens fortwährend neue Termine zur Eheschließung zu beantragen. Von der Absicht, eine schützenswerte eheliche Gemeinschaft im Bundesgebiet zu führen, sei auszugehen. Die Beklagte und die für den Nachzug zuständige Ausländerbehörde, die Beigeladene zu 1., hätten zwar aufgrund der in der Befragung der Verlobten aufgetretenen Widersprüche nachvollziehbare Zweifel daran gehabt, dass die Ehe (auch) zu anderen Zwecken, als dem der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin geschlossen werden solle. Allerdings habe die Befragung des Beigeladenen zu 2. in der mündlichen Verhandlung diese Zweifel im Wesentlichen ausgeräumt. Er habe eine Vielzahl von Textnachrichten vorgelegt, welche eine regelmäßige einfache Kommunikation in deutscher Sprache belegten. Das Erfordernis der Verwendung eines Übersetzungsprogramms bestehe jedenfalls insoweit nicht mehr. Auch die wesentlichen Widersprüche der getrennten Befragung der Verlobten vom 19. Dezember 2013 hätten in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden können bzw. fielen nicht ins Gewicht. Dass der Beklagten eingeräumte Ermessen sei „auf Null“ reduziert.
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3
Im vom Senat zugelassenen Berufungsverfahren trägt die Beklagte schriftsätzlich vor, nach wie vor es fehle an der Absicht, eine schutzwürdige Ehe zu schließen. Da schon tatbestandlich kein begründeter Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorliege, sei für eine Ermessensausübung kein Raum. Das daher nur hilfsweise ausgeübte Ermessen erfolge zu Ungunsten der Klägerin. Die verbleibenden Restzweifel rechtfertigten die Ablehnung. Zudem sei im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen, ob die Eheschließung ausschließlich in Deutschland erfolgen könne bzw. ob und gegebenenfalls, unter welchen Bedingungen sie auch im Ausland möglich wäre. Hier sei nichts ersichtlich dafür, dass die Ehe zwingend im Bundesgebiet geschlossen werden müsste.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
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7
die Berufung zurückzuweisen.
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8
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2015 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Finanzgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 1 | 20.01.2012 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um die Steuerfreiheit mehrerer Fahrzeuglieferungen.
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2
Die Klägerin betreibt einen Handel mit hochwertigen Kraftfahrzeugen. Im Streitjahr erfolgten durch sie ausweislich der vorliegenden Rechnungen u.a. fünf Fahrzeuglieferungen, welche von ihr als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen nach Österreich, Spanien und Italien behandelt wurden, deren Steuerfreiheit der Beklagte (das Finanzamt, FA) jedoch nicht anerkannte.
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Mit Datum vom 01.02.2006 und 20.02.2006 stellte die Klägerin der A-Automobile (nachfolgend: A), in XX (Österreich) jeweils die Lieferung eines Ferrari F430F1 zum Preis von 159.000 € in Rechnung. Die Rechnungen enthielten keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferungen. Ihnen beigefügt war je ein mit „Anlage zur Rechnung“ überschriebenes Dokument, auf dem die Übergabe am 01. bzw. 20.02.2006 in XXX vom Abnehmer C bestätigt sowie von diesem versichert worden war, das Fahrzeug nach Österreich zu befördern.
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Auf einem weiteren Dokument, das zusammen mit den vorgenannten in der Buchführung der Klägerin aufbewahrt wurde, hatte Herr C unter der Überschrift „Verbringungsnachweiß“ mit seiner Unterschrift bestätigt, dass ein umsatzsteuerfreies innergemeinschaftliches Warengeschäft getätigt worden sei, und sich zugleich verpflichtet, die näher bezeichnete Ware nach Österreich zu verbringen und dort der Mehrwertsteuer zuzuführen. Auf allen Dokumenten ist die Adresse der A in XX angegeben.
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Des Weiteren liegen zu den beiden genannten Lieferungen Auskünfte des Bundeszentralamtes für Steuern im Bestätigungsverfahren gemäß § 18e Nr. 1 UStG, Übernahmeprotokolle, die Kopie eines Gewerberegisterauszugs vom 08.08.2005 sowie Kopien des Deutschen Bundespersonalausweises von Herrn C vor. Unter den Ausweiskopien hatte dieser jeweils mit seiner Unterschrift bestätigt, als Bevollmächtigter der A zu handeln und am 01. bzw. 20.02.2006 einen Betrag von 159.000 € in bar an die Klägerin bezahlt zu haben. Wegen des übrigen Inhalts aller genannten Dokumente wird auf Bl. 9 bis 27 der Klageakten verwiesen.
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In einer schriftlichen Äußerung im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Steuerstrafverfahrens machte Herr C u.a. auch Angaben zu den beiden Fahrzeuglieferungen der Klägerin an ihn. Bei Abholung habe er Verbringungsbescheinigungen für die gekauften Fahrzeuge unterschrieben. Tatsächlich nach Österreich verbracht habe er diese nicht, was Herrn B jedoch nicht bekannt gewesen sei. Die von ihm zur Überführung an den Fahrzeugen angebrachten roten Kennzeichen seien von der Fa. D gewesen. Die Anbringung der Kennzeichen hätten sowohl Herr B senior als auch Herr B junior gesehen. Auf deren Frage nach der Herkunft der Kennzeichen habe er geantwortet, diese seien von einem befreundeten Fahrzeughändler. Wegen der übrigen von Herrn C gemachten Angaben wird auf Bl. 50 bis 55 der Klageakten verwiesen.
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7
Mit Datum vom 21.04.2006 stellte die Klägerin der E. (nachfolgend: E), in X (Spanien) die Lieferung eines Mercedes-Benz ML 280 CDI zum Preis von 51.000 € in Rechnung. Nach einer durch das Gericht eingeholten Auskunft aus der zentralen Datenbank von Mercedes-Benz handelte sich um ein Neufahrzeug, das am 09.05.2006 erstmalig zugelassen wurde.
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Die Rechnung enthielt keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferung. Ihr beigefügt war ein mit „Anlage zur Rechnung“ überschriebenes Dokument, auf dem die Übergabe am 21.04.2006 in XXX mit einem Stempel der E und einer Unterschrift bestätigt sowie versichert worden war, das Fahrzeug nach Spanien zu befördern. Auf dem verwendeten Stempel der E ist als Adresse X in Spanien angegeben.
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9
Auf einem weiteren Dokument, das zusammen mit den vorgenannten in der Buchführung der Klägerin aufbewahrt wurde, war mit o.g. Stempel der E und Unterschrift bestätigt worden, dass ein umsatzsteuerfreies innergemeinschaftliches Warengeschäft getätigt, die näher bezeichnete Ware nach Spanien verbracht und dort der Mehrwertsteuer zugeführt werde. Während auf allen übrigen Dokumenten die Adresse der E in X angegeben ist, stimmt die Adresse auf der Vollmacht mit der Adresse auf dem Stempel der E in XX überein.
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Des Weiteren liegt zu der Lieferung eine Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern im Bestätigungsverfahren gemäß § 18e Nr. 1 UStG, ein CMR-Frachtbrief, eine Kopie der Gründungsurkunde der E, ein Auftrag der E an die Spedition F sowie eine mit o.g. Stempel der E und Unterschrift bestätigte Vollmacht für die Spedition zur Abholung und Überführung des Fahrzeugs nach Spanien vor. Auf einer Kopie des spanischen Personalausweises des Geschäftsführers, Herrn G, ist dessen Unterschrift zu erkennen. Auf dem vorliegenden CMR-Frachtbrief ist als Absender die Klägerin und als Empfänger „G in X“ genannt. In dem Feld 3 mit dem Auslieferungsort wird mit einer eingekreisten „2“ auf das Feld 2 mit der Angabe des Empfängers verwiesen. Demgegenüber ist in dem Auftrag der E an die Spedition F ausdrücklich „TÜV Rheinland XXX“ mit seiner Adresse als Lieferungsort benannt. Wegen des übrigen Inhalts aller genannten Dokumente wird auf Bl. 119 bis 131 der Klageakten verwiesen.
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In einer Antwort auf ein Auskunftsersuchen des Bundeszentralamts für Steuern teilten die spanischen Behörden mit Datum vom 25.08.2008 mit, die E sei am 26.04.1995 gegründet worden und habe sich ab November 2005 ausschließlich dem Handel mit Gebrauchtwagen gewidmet, die sie in anderen EU-Mitgliedstaaten angekauft habe. Ihr Profil gleiche daher einem sogenannten „missing trader“. 2006 habe die E innergemeinschaftliche Erwerbe über 1.277.666,99 € angemeldet, davon ganz überwiegend solche aus Deutschland, jedoch keinen bezüglich der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer DE 226536853. Diese war der Klägerin zugeteilt. Umsatzsteuererklärungen habe die E keine eingereicht.
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Das laut Rechnung der Klägerin an die E gelieferte Fahrzeug sei am 09.05.2006 auf die spanische Fa. H und in der Folge am 10.05. und 23.05.2006 auf andere spanische Unternehmen zugelassen worden. Alle drei hätten über spanische Umsatzsteuer-Identifikationsnummern verfügt. Geschäftsführer der E sei Herr G, der aber erklärt habe, dass die Gesellschaft zwar auf seinen Namen laufe, er jedoch im Zusammenhang mit ihr keinerlei Einkünfte habe und ihr derzeitiger „Manager“ Herr I sei. Die gegenüber den Finanzbehörden angegebene Adresse der E sei die Wohnanschrift von Herrn G, an der eine Geschäftsausstattung für den Handel mit Fahrzeugen nicht vorhanden sei. Wegen weiterer Einzelheit wird auf Bl. 283 bis 289 der Klageakten verwiesen.
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Mit Datum vom 27.07.2006 stellte die Klägerin der J (nachfolgend: J), in Rom die Lieferung eines Porsche 997 S 4 Cabrio zum Preis von 101.000 € in Rechnung.
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Die Rechnung enthielt keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferung. Ihr beigefügt war ein mit „Anlage zur Rechnung“ überschriebenes Dokument, auf dem die Übergabe am 27.07.2006 in XXX mit einem Stempel der J und einem handschriftlichen Namenszug „K“ bestätigt sowie versichert worden war, das Fahrzeug nach Italien zu befördern.
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Auf einem weiteren Dokument, das zusammen mit den vorgenannten in der Buchführung der Klägerin aufbewahrt wurde, war unter der Überschrift „Verbringungsnachweiß“ mit Stempel der J und Unterschrift bestätigt worden, dass ein umsatzsteuerfreies innergemeinschaftliches Warengeschäft getätigt, die näher bezeichnete Ware nach Italien verbracht und dort der Mehrwertsteuer zugeführt werde. Auf allen Dokumenten ist die Adresse der J in Rom angegeben.
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16
Des Weiteren liegen zu der genannten Lieferung eine Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern im Bestätigungsverfahren gemäß § 18e Nr. 1 UStG, ein CMR-Frachtbrief, eine mit Stempel der J und Unterschrift bestätigte Vollmacht für die Spedition L vom 03.08.2006 zur Überführung des Fahrzeugs nach Italien und ein Kontoauszug der Klägerin vom 27.07.2006 vor, auf welchem u.a. der Zahlungseingang von 101.000,00 € und als Auftraggeber der Überweisung „K“ verzeichnet ist. Auf dem vorliegenden CMR-Frachtbrief ist als Absender die Klägerin, als Empfänger die J mit ihrer Anschrift in Rom und als Auslieferungsort Treviso eingetragen. Demgegenüber wurde die L durch die Vollmacht ausdrücklich ermächtigt, das Fahrzeug nach „Rom/Italien“ zu überführen. Wegen des übrigen Inhalts aller genannten Dokumente wird auf Bl. 132 bis 139 der Klageakten verwiesen.
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17
Im Rahmen des innergemeinschaftlichen Informationsaustauschs baten die italienischen Behörden beim Bundeszentralamt für Steuern mit Datum vom 21.07.2008 wegen der streitgegenständliche Fahrzeuglieferung um Einzelheiten über Lieferung, Rechnungstellung und Bezahlung. Als Grund für die Anfrage wurde angegeben, dass die Klägerin lt. MIAS eine innergemeinschaftliche Lieferung an die J getätigt, diese den Erwerb ihrerseits aber nicht erklärt habe. Die J finde keine Belege für die Lieferung. Die italienischen Behörden vermuteten deshalb, dass das Fahrzeug an eine andere Person oder einen anderen Händler in Italien geliefert worden sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 290 bis 296 der Klageakten verwiesen.
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18
Schließlich stellte die Klägerin mit Datum vom 14.09.2006 der M GmbH (nachfolgend: M), in XXX (Österreich) die Lieferung eines Ferrari F430F1 Coupe zum Preis von 169.900 € in Rechnung.
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19
Die Rechnung enthielt keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der Lieferung. Ihr beigefügt war ein mit „Anlage zur Rechnung“ überschriebenes Dokument, auf dem die Übergabe bzw. Abholung am 15.09.2006 in Neu-Isenburg mit einem Stempel der M und Unterschrift bestätigt sowie versichert wurde, das Fahrzeug nach Österreich zu befördern.
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20
Auf einem weiteren Dokument, das zusammen mit den vorgenannten in der Buchführung der Klägerin aufbewahrt wurde, war unter der Überschrift „Verbringungsnachweiß“ mit Stempel und Unterschrift bestätigt worden, dass ein umsatzsteuerfreies innergemeinschaftliches Warengeschäft getätigt, die näher bezeichnete Ware nach Österreich verbracht und dort der Mehrwertsteuer zugeführt werde. Auf allen Dokumenten ist die Adresse der M angegeben.
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21
Des Weiteren liegen zu der genannten Lieferung eine Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern im Bestätigungsverfahren gemäß § 18e Nr. 1 UStG, ein Übernahmeprotokoll, ein Auszug aus dem Firmenbuch von Österreich vom 27.12.2004 und ein Kontoauszug der Klägerin vom 15.09.2006 vor, auf welchem u.a. der Zahlungseingang von 170.000,00 € und die M als Auftraggeber in der Überweisung verzeichnet ist. Auf einer Kopie des italienischen Personalausweises des Geschäftsführers der M, Herrn N, ist dessen Unterschrift zu erkennen. Auf dem vorliegenden CMR-Frachtbrief ist als Absender die Klägerin, als Empfänger die M, als Auslieferungsort XXXX und als Frachtführer ebenfalls die Klägerin genannt. Wegen des übrigen Inhalts aller genannten Dokumente wird auf Bl. 228 bis 244 der Klageakten verwiesen.
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22
Im Rahmen eines Auskunftsersuchens des Bundeszentralamtes für Steuern teilten die österreichischen Behörden mit, dass sie die M als Gesellschaft ohne wirtschaftliche Tätigkeit identifiziert hätten. Sie habe ihren Sitz bei ihrem Steuerberater, tätige vor allem innergemeinschaftliche Erwerbe aus Deutschland und innergemeinschaftliche Lieferungen nach Italien. Im Jahr 2006 seien innergemeinschaftliche Erwerbe für 21,7 Mio. € erfolgt. Bis auf eine kleine angemietete Lagerhalle zur Zwischenlagerung, Empfangnahme und Auslieferung von Fahrzeugen sowie einem „Büro“ in einer abgelegenen Wohnung verfüge die M nicht über die für einen Händler exklusiver Fahrzeuge übliche Infrastruktur. Der Geschäftsführer Herr N spreche kein Deutsch und lasse sich von einem gewissen Herrn O vertreten. Zahlreiche Ausgangsrechnungen seien vor den entsprechenden Eingangsrechnungen datiert gewesen. Fahrzeuge seien unterpreisig verkauft worden und erst wenn die Kunden der M bezahlt hätten, seien auch deren Lieferanten bezahlt worden. Einer der Hauptabnehmer in Italien sei als sogenannter „missing trader“ identifiziert worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Bl. 297 bis 304 der Klageakten verwiesen.
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23
Am 05.03.2008 hat die Klägerin beim Hessischen Finanzgericht Klage erhoben. Zu deren Begründung führt sie aus, bezüglich der Lieferungen an die A seien die Voraussetzungen für den Vertrauensschutz erfüllt.
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24
Aus der deutschen Staatsangehörigkeit von Herrn C könne weder geschlossen werden, dass er zum Zeitpunkt der Lieferungen nicht auch über einen österreichischen Wohnsitz verfügt habe, noch, dass er keine Geschäfte durch ein in Österreich ansässiges Unternehmen tätigen könne, wie er es bei Übernahme der Fahrzeuge schriftlich bestätigt habe. Wegen der räumlichen Nähe zwischen Österreich und Deutschland, der sprachlichen Übereinstimmung sowie des attraktiven unternehmerischen Umfelds stelle die gewerbliche Tätigkeit eines deutschen Unternehmers in Österreich keinen Umstand dar, der im Geschäftsverkehr Misstrauen hervorrufen müsse.
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25
Dass die von Herrn C verwendeten roten Kennzeichen von der Zulassungsstelle an die Fa. D ausgegeben worden seien, sei der Klägerin nicht bekannt gewesen, da ein Gespräch zur Herkunft der Kennzeichen nicht stattgefunden habe. Überhaupt hätten weder der Geschäftsführer der Klägerin noch Herr B senior die roten Kennzeichen gesehen bzw. darüber mit Herrn C gesprochen. Es werde unterstellt, dass dessen diesbezügliche Angaben gegenüber der Steuerfahndungsstelle auch mit der Absicht gemacht worden seien, die Klägerin zu belasten und ihr die Steuerlast aufzuerlegen, um selbst nicht gemäß § 6a Abs. 4 Satz 2 UStG in Anspruch genommen zu werden. Selbst wenn aber einer der Herren B – wie tatsächlich nicht geschehen – von der Verwendung der roten Kennzeichen Kenntnis erlangt und darüber mit Herrn C gesprochen hätte, wäre hierdurch keine weitere Nachforschungspflicht der Klägerin begründet worden. Zumindest bis zur Änderung der Fahrzeug-Zulassungsverordnung ab dem 01.03.2007 sei der Verleih von roten Kennzeichen üblich und erlaubt gewesen, weshalb sich durch diesen Umstand weder ein Verdacht noch eine Recherchepflicht hätten aufdrängen müssen.
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26
Soweit das FA den Belegnachweis für nicht erbracht ansehe, wenn auf einem CMR-Frachtbrief im Feld 24 der Abnehmer nicht unterschrieben habe, so stehe dem die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entgegen.
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27
Dass der Geschäftsführer der E, Herr G gegenüber den spanischen Behörden behauptet habe, sein Name sei für die Geschäfte verwendet worden, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr deute die Identität der Unterschrift auf der vorliegenden Kopie eines spanischen Personalausweises mit den Unterschriften auf diversen Dokumenten im Zusammenhang mit der Lieferung darauf hin, dass er immer selbst und persönlich als Geschäftsführer der Abnehmerin gehandelt habe.
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28
Darauf, dass als Bestimmungsort für die Lieferung an die J einmal Rom und ein anderes Mal Treviso angegeben worden sei, komme es im Ergebnis nicht an. Dem sei auch in dem BMF-Schreiben vom 05.05.2010, Az. IV D 3-S 7141/08/10001 (2010/0334195) unter Tz. 28 Rechnung getragen worden. Danach sei es nicht zu beanstanden, wenn der Bestimmungsort nicht den Angaben des Abnehmers entspreche, wenn es sich bei dem tatsächlichen Bestimmungsort um einen Ort im übrigen Gemeinschaftsgebiet handele.
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29
Wenn das FA bezüglich der Lieferung an die J bemängele, dass sich nicht zweifelsfrei feststellen lasse, wer verschiedene Dokumente mit dem Namenszug „K“ unterschrieben habe, weil eine Ausweiskopie des Geschäftsführers zum Vergleich der Unterschriften nicht vorgelegt worden sei, so übersteige dies die Anforderungen des BFH und sogar die des einschlägigen BMF-Schreibens. Gründe für Zweifel an der Identität des Abnehmers hätten für die Klägerin auch deshalb nicht bestanden, weil ausweislich des vorgelegten Kontoauszugs als Zahlungsanweisender „K“ angegeben sei.
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30
Die Lieferung an die M sei ursprünglich als Abholung durch die Abnehmerin geplant gewesen. Kurzfristig habe man jedoch umdisponiert und eine Beförderung durch die Klägerin vorgenommen. Mögliche Unterschiede bei einem Vergleich der vorliegenden Unterschriften seien im Ergebnis nicht hinreichend, um die Identität von Passinhaber und Unterzeichner in Abrede zu stellen.
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31
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 18.11.2011 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer von ./. 589.477,00 € um 88.262,00 € auf ./. 677.739,00 € herabgesetzt wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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32
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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33
Hierzu trägt es als Begründung vor, der Buch- und Belegnachweis sei für die Lieferungen nicht erbracht worden und schon in Folge dessen fehle es an einer Voraussetzung für die Geltendmachung des Gutglaubensschutzes.
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34
Bezogen auf die Lieferungen an die A fehle es an der Angabe des konkreten Bestimmungsortes. Bei der Beförderung durch den Abnehmer habe dieser die Beförderung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu bestätigen und dabei gemäß § 17c Abs. 2 Nr. 9 UStDV den konkreten Bestimmungsort zu benennen. Demgegenüber sei vorliegend lediglich bestätigt worden, das Fahrzeug „ins Ausland (Österreich)“ zu verbringen, ohne dass der genaue Bestimmungsort mit Anschrift benannt worden sei. Die weiter unten auf den Dokumenten angebrachte Adresse sei nicht geeignet, die fehlende Angabe zu ersetzen.
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35
Außerdem hätte der Geschäftsführer der Klägerin die Unrichtigkeit der vorgebrachten Nachweise des vorgeblichen Abnehmers bei Beachtung der erforderlichen Sorgalt eines ordentlichen Kaufmann erkennen müssen und können. Zweifel an der tatsächlichen Verbringung nach Österreich hätten jedem verständigen Dritten aufgrund der nachforschungswürdigen Tatsachen kommen müssen, dass erstens Herr C, der Geschäftsführer der vorgeblichen Abnehmerin, deutscher Staatsbürger sei, er zweitens bei Abholung der Pkw angegeben habe, rote Kennzeichen von dritten „befreundeten Händlerkollegen“ zu verwenden und drittens die verwendeten Kennzeichen von der Zulassungsstelle X an die Karosseriebaufirma D ausgegeben worden seien, was leichter Hand erforschbar gewesen wäre. Aus den Bestimmungen der StVZO zum Umgang mit roten Kennzeichen folge, dass diese nicht verleihbar seien, weshalb die ausweichende Antwort von Herrn C einen verständigen Dritten hätten stutzig werden lassen und zu weiteren Nachforschungen Anlass geben müssen.
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36
Bezüglich der Lieferung an die E stünden die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit wegen der Auskünfte der spanischen Finanzbehörden nicht zweifelsfrei fest. Das FA habe nämlich erhebliche Zweifel daran, dass die E wirtschaftlich tätig und damit tatsächliche Abnehmerin der in Rede stehenden Lieferung gewesen sei. Zudem erscheine es zweifelhaft, dass ein Transport an den Firmensitz der E erfolgt sei, da es sich hierbei um die private Wohnanschrift des vermeintlichen Geschäftsführers gehandelt habe. Ein Gutglaubensschutz komme ebenso wenig in Betracht, weil die Klägerin ihren Nachweispflichten bislang nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei.
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37
Auch hinsichtlich der Lieferung an die J sei die Steuerfreiheit zu versagen, da die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür nicht zweifelsfrei vorlägen.
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Soweit seitens der Klägerin für die Lieferung an die M vorgetragen worden sei, deren Geschäftsführer habe das Fahrzeug in XXXX übernommen, entgegen ursprünglicher Planungen sei es dann durch die Klägerin nach Österreich transportiert worden, wo es wiederum der Geschäftsführer der M in Empfang genommen habe, so widerspreche dies jeglicher Lebenserfahrung. Da die Unterschrift auf der vorliegenden Passkopie von anderen im Zusammenhang im der Lieferung angeblich vom Geschäftsführer der M geleisteten Unterschriften abweiche, bestünden erhebliche Zweifel daran, ob die Lieferung überhaupt der M zugerechnet werden könne.
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39
Im Verlauf des Termins zur mündlichen Verhandlung am 20.01.2012 hat die Klägerin dem Gericht für jede der streitgegenständlichen Lieferungen eine berichtigte Rechnung mit Datum vom 16.01.2012 vorgelegt. Die Rechnungen waren ergänzt worden um den Zusatz: „Die Lieferung ist steuerbefreit nach § 4 Nr. 1b UStG.“ sowie den Vermerk „Korrigierte Rechnung“.
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Des Weiteren hat die Klägern die Kopie eines Kontoauszugs überreicht, aus dem der Zahlungseingang von 50.983,50 € am 21.04.2006 auf einem ihrer Konten hervorgeht. Als Auftraggeber der Überweisung ist „E“ angegeben.
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41
In dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat sich der Geschäftsführer der Klägerin im Zusammenhang mit der Lieferung an die M zu den Umständen des Transports des gelieferten Fahrzeugs nach XXX eingelassen. Wegen Einzelheiten hierzu wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 316 bis 319 der Klageakten) verwiesen.
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42
Ergänzend wird auf die vorgelegten Steuerakten (1 Band Umsatzsteuerakten und 1 Sonderband für Betriebsprüfungsberichte) verwiesen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Mit Beschluss vom 09.09.2011 hat der 6. Senat des Hessischen Finanzgerichts den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. | Der Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 18.11.2011 wird dahingehend geändert, dass die festgesetzte Steuer von ./. 589.477 € um 74.331,04 € auf ./. 663.808,04 € herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu 16 v.H. und der Beklagte zu 84 v.H. zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. | 0 |
LG Rostock 3. Zivilkammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 25.11.2014 | 1 | Randnummer
1
Die Klägerin verlangt die Zahlung von Nutzungsentschädigung wegen der Inanspruchnahme einer Teilfläche eines im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstückes durch den Beklagten.
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2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Flurstückes …., bei dem es sich im Wesentlichen um die Verkehrsfläche „A.“ in W. handelt.
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3
Der Beklagte ist Eigentümer des mit einem Haus bebauten Flurstückes ... An dem Haus befindet sich ein Verandaanbau, der auf dem klägerischen Flurstück steht und eine Fläche von ungefähr 25,5 m² einnimmt. In dem Verandaanbau wird gegenwärtig ein Ladengeschäft betrieben. Der Beklagte nutzt zudem auf klägerischem Grundstück eine Fläche von 1,435 m² als unbebauten Zuweg zu einer Tüsche.
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4
Haupthaus und Verandaanbau wurden um 1900 errichtet. Die Errichtung war seinerzeit von dem Rechtsvorgänger der Klägerin genehmigt worden. Bei dem Verandaanbau handelte es sich zunächst um einen Holzbau. Im Jahr 1914 erfolgte ein Umbau des Verandaanbaus und dessen Neuerrichtung, was wiederum von dem Rechtsvorgänger der Klägerin genehmigt worden war. Im Jahr 1993/94 erfolgte eine umfangreiche Schwammsanierung, in deren Verlauf der Verandaanbau komplett abgebrochen und auf Streifenfundamenten neu errichtet wurde. Auf die diesbezüglichen Bauunterlagen, nämlich die Baubeschreibung Anlage K14, GA I/140, die Bauzeichnung vom 14.01.1993 Anlage K15, GA I/144, und das Schreiben des Bauamtes der Klägerin vom 16.09.1993 Anlage K16, GA I/145, wird Bezug genommen.
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5
Die Rechtsvorgänger des Beklagten bezahlten ab 1941 bis Anfang der 1990er Jahre eine jährliche Anerkennungsgebühr, deren weitere Annahme die Klägerin jedoch von sich aus ablehnte, weil sie diese Zahlung für unrechtmäßig hielt.
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Mit Schreiben vom 29.01.2010 (Anlage K7 GA I/25) vertrat die Klägerin gegenüber dem Beklagten unter Berufung auf eine Rechtsprechung des OLG Rostock die Auffassung, der Nutzung des klägerischen Grundstückes liege ein Leihverhältnis zugrunde, welches die Klägerin mit sofortiger Wirkung kündigte, verbunden mit der Aufforderung an den Beklagten, Nutzungsentschädigung zu zahlen.
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Die Klägerin macht nach Klageerweiterung mittlerweile Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 03.02.2010 bis 30.11.2014 in Höhe von insgesamt 9.843,12 € geltend. Sie berechnet die Nutzungsentschädigung mit 170,10 € pro Monat. Für die Einzelheiten ihrer Berechnung wird auf die Ausführungen in der Klageschrift und in dem Klageerweiterungsschriftsatz vom 23.10.2014 verwiesen.
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Die Klägerin trägt vor,
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9
der Verandaanbau sei nicht als Überbau nach § 912 BGB zu behandeln, denn er stehe nicht mit dem Haupthaus auf einem einheitlichen Fundament. Zudem sei die Trennlinie zwischen Haupthaus und Verandaanbau mit der Grundstücksgrenze identisch. Es sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass die Tüschenfläche zur Erschließung des Grundstückes des Beklagten notwendig sei.
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Die Klägerin beantragt,
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11
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe 9.843,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 3.214,89 € seit dem 08.10.2011, auf weitere 680,40 € seit dem 02.06.2012, auf weitere 1.020,60 € seit dem 04.09.2012, auf weitere 1.014,93 € ab Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift vom 30.11.2012 und auf weitere 3.912,30 € ab Zustellung des Schriftsatzes vom 23.10.2014 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor,
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der Verandaanbau sei als Überbau nach § 912 BGB auch dann zu behandeln, wenn er nicht zeitgleich mit dem Haupthaus errichtet worden sei. Im Zuge der Schwammsanierung im Jahr 1993 sei von der Klägerin im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens eine innere räumliche Verbindung des Verandaanbaus mit dem Haupthaus zum Zweck der Einrichtung eines Ladengeschäftes genehmigt worden. Bei Entfernung des Verandaanbaus stünde das Haupthaus im Erdgeschoss ohne Außenmauern da. Die Vorfläche zur Tüsche sei für die Erschließung des Grundstückes des Beklagten notwendig, weshalb er diese Fläche aufgrund eines Wegerechtes als Zuweg nutzen könne.
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16
Für die weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze verwiesen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 0 | 1
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Sturz aus einem Fenster des vom Beklagten betriebenen Gasthauses geltend.
2
Der Beklagte betreibt seit dem Jahre 1998 als Konzessionsinhaber das Gasthaus L. mit Zimmervermietung in der … Str. in … . Seit dem 01.01.2006 ist er auch Eigentümer dieses Anwesens.
3
Am 22.01.2005 nahmen die Klägerin und ihr Lebensgefährte W. F. im Gasthaus des Beklagten an einem gemeinsamen Abendessen mit Geschäftsfreunden teil und besuchten dort anschließend eine öffentliche Musikveranstaltung. Dabei konsumierte die Klägerin Alkohol. Einer ihrer Geschäftsfreunde hatte ihr und ihrem Lebensgefährten zuvor ein Zimmer im Gasthaus des Beklagten reserviert. Am 23.01.2006 gegen 01:30 Uhr entschlossen sich die Klägerin und ihr Lebensgefährte im Hinblick auf die Uhrzeit und den genossenen Alkohol, dass ihnen zugewiesene Zimmer im ersten Obergeschoss aufzusuchen. Sie legten sich hin, ohne zuvor das Bad aufzusuchen. Die Klägerin begab sich in der Folgezeit in das zu dem Zimmer gehörige Bad und stürzte aus dem dort befindlichen geöffneten Badezimmerfenster ca. 5 m auf die darunter befindliche Steinterrasse. Wegen der Einzelheiten der Unfallörtlichkeit wird auf die in den Akten der Staatsanwaltschaft … - Zweigstelle … - Az. 83 Js 2080/05 - befindlichen Lichtbilder (Beiakten, AS 99-105) Bezug genommen. Ob das Fenster zu diesem Zeitpunkt bereits geöffnet war, oder erst von der Klägerin vor ihrem Sturz geöffnet wurde, ließ sich nicht mehr feststellen. Bei ihrer späteren Einlieferung in das Städtische Klinikum P. wies die Klägerin eine Blutalkoholkonzentration von 1,8 ‰ auf.
4
Die am ... 1968 geborene Klägerin erlitt schwere Kopfverletzungen, ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit einer Einblutung zwischen Gehirn und Schädeldecke, einen Bruch des rechten Ringfingers, schwere Prellungen am ganzen Körper. Bei ihr wurde eine Notoperation durchgeführt. Bis zum 30.01.2005 befand sie sich im Koma. In der Zeit vom 13.04.-18.05.2005 wurden Rehabilitierungsmaßnahmen in der S. Klinik in G. durchgeführt. Wegen der Einzelheiten der dort diagnostizierten sturzbedingten Verletzungen und deren Folgen wird auf Seite 4 der Klageschrift vom 23.06.2006 (AS 7) Bezug genommen.
5
Der bereits im Jahre 1982 durch den Vater des Beklagten veranlasste Umbau des Balkons zum Badezimmer und der Einbau des Fensters in dem zu dem der Klägerin und ihrem Lebensgefährten zugewiesenen Gasthauszimmer zugehörigen Badezimmer entsprechen nicht den Vorschriften der Landesbauordnung Baden-Württemberg (LBO). § 4 LBO AVO (Umwehrungen) schreibt zum Schutz vor Abstürzen eine Mindesthöhe von Umwehrungen von 90 cm vor. Diese Mindesthöhe darf auf 80 cm verringert werden, sofern die Tiefe der Umwehrung – wie hier – mindestens 20 cm beträgt. Eine geringere Brüstungshöhe als die vorgeschriebene Mindesthöhe ist auch nicht ausnahmsweise zulässig. Die in der Folgezeit angestellten polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass die Höhe der Fensterbrüstung im Badezimmer 77,5 cm betrug bei einer Brüstungstiefe von 23 cm und damit die vorgeschriebene Mindesthöhe um 2,5 cm unterschritten war. Nach dem durch den Vater des Beklagten veranlassten Umbau wurden in diesem Bereich keine Veränderungen mehr durchgeführt. Am 30.06.1998 stellte der Beklagte Antrag auf Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit Beherbergungsbetrieb. Am 08.10.1998 wurde ihm eine entsprechende Erlaubnis (AHB, 1/3) ohne Auflagen erteilt.
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Die Klägerin hält unter Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens aufgrund ihrer Alkoholisierung ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 9.000,00 EUR für angemessen. Sie hat ihren bisher entstandenen materiellen Schaden auf 4.265,17 EUR beziffert. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 8 der Klageschrift vom 23.06.2006 (AS 15) Bezug genommen.
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Die Klägerin behauptet,
8
sie und ihr Lebensgefährte hätten erstmals als sie sich schlafen legen wollten den Schlüssel für das von ihnen anschließend benutzte Gästezimmer erhalten, weil sich das ihnen zuvor zugewiesene Zimmer sich als belegt herausgestellt habe. Sie sei gegen 04:00 Uhr aus dem Fenster des Badezimmers gestürzt. Die Unterschreitung der Mindesthöhe der Balkonbrüstung habe ihren Fenstersturz verursacht. Die Klägerin meint, wegen der Nichteinhaltung baurechtlicher Vorschriften greife ein Anscheinsbeweis zu ihren Gunsten, dass der Sturz darauf zurückzuführen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 9.000,00 EUR zu zahlen.
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2. Den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 4.265,00 EUR Schadensersatz zu bezahlen.
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3. Festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren in Zukunft noch entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet,
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bei der gebotenen Rückrechnung auf das Trinkende um ca. 01:30 Uhr ergebe sich eine Blutalkoholkonzentration von ca. 2,0 ‰ zu dem nicht mehr näher bekannten Zeitpunkt des Fenstersturzes. Die Abweichung von 2-2,5 cm von dem vorgeschriebenen Maß sei nicht unfallursächlich geworden. Der Unfall sei allein auf die alkoholische Beeinflussung und die Schlaftrunkenheit der Klägerin zurückzuführen.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22.12.2006 (AS 73-77) verwiesen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe - Zweigstelle Pforzheim - Az. 83 Js 2080/05 - lagen zu Informationszwecken vor. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 0 |
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VG Meiningen 2. Kammer | Thüringen | 1 | 0 | 17.03.2015 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin wendet sich gegen die wirtschaftliche Betätigung der W... mbH (Beigeladene zu 1) im Bereich der Verwaltung privater Wohn- und Gewerbeobjekte. Die Beklagte hält diese zu 100 %.
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Die Klägerin ist ein Immobilienunternehmen mit Sitz in S..., das im Bereich der Objektverwaltung von Wohn- und Gewerbeeinheiten sowie im Bereich von Hausmeisterdienstleistungen tätig ist. Die Klägerin war bis in das Jahr 2010 ein Unternehmen der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft S... und wurde an die jetzigen Gesellschafter verkauft, laut Klägerin nachdem von Seiten der zuständigen Kommunalaufsicht in ihrer Tätigkeit ein Verstoß gegen die Vorschriften der ThürKO über die erwerbswirtschaftliche Betätigung von Gemeinden gesehen worden war.
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Aufgrund einer Anzeige vom 13.07.2011 durch Private wegen Verstoßes gegen die Thüringer Kommunalordnung bei der für die Klägerin zuständigen Kommunalaufsicht (Beigeladene zu 2) wurde dort bekannt, dass sich die Beigeladene zu 1 außerhalb ihres Gemeindegebietes als Wohnungsverwalter von privaten, nicht kommunalen Wohneinheiten (hier in der Stadt S...) betätigte. Die Beklagte wurde von der Kommunalaufsicht zur Stellungnahme aufgefordert.
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Die Beklagte stellte daraufhin am 04.08.2011 beim Beigeladenen zu 2 einen Antrag auf Genehmigung zum Tätigwerden außerhalb des Gemeindegebietes. Mit Bescheid des Beigeladenen zu 2 vom 10.01.2012 wurde die beantragte Genehmigung nach
§ 71 Abs. 4 Satz 1 ThürKO
der Beklagten für das Gebiet der Gemeinde St... erteilt, für das Gebiet der Stadt S... aber abgelehnt. Hiergegen legte die Beklagte Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden wurde. Der Beigeladene zu 2 wies die Beklagte lediglich darauf hin, dass ein Widerspruch gegen eine Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde nicht statthaft sei und erteilte eine neue Rechtsbehelfsbelehrung. Eine Klage wurde nicht erhoben.
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Am 05.02.2013 wandte sich die Klägerin über ihre Rechtsanwälte an die Beigeladene zu 2 und beantragte Akteneinsicht wegen der gerügten Betätigung der Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 1 außerhalb ihres Gemeindegebietes und im Bereich der privaten Wohnraumverwaltung. Von Seiten des Beigeladenen zu 2 wurde daraufhin mitgeteilt, es gebe derzeit kein Verfahren, was die Beigeladene zu 1 betreffe, weshalb auch keine Akteneinsicht möglich sei. Die Vorgaben aus
§ 71 ff. ThürKO
seien aber diesseits bekannt und würden beachtet. Für ein Einschreiten der Rechtsaufsichtsbehörde werde derzeit keine Veranlassung gesehen.
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Am 28.03.2013 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Meiningen erheben lassen. Sie beantragt:
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Die Beklagte wird verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass die Verwaltung von Wohnungen und Gewerbeobjekten von der Beigeladenen zu 1 unterlassen wird, soweit es sich nicht um Objekte im Eigentum der Beklagten oder der Beigeladenen zu 1 handelt.
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Die Beigeladene zu 1 betätige sich als kommunales Unternehmen in unzulässiger Weise in und außerhalb ihres Gemeindegebietes wirtschaftlich. Die Beigeladene zu 1 verwalte seit 2011 in erheblichem Umfang private Objekte, auch in S..., die sie im Zusammenhang mit dem Wechsel eines Mitarbeiters von der Klägerin zur Beigeladenen zu 1 übernommen habe.
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Als privatwirtschaftliches Konkurrenzunternehmen sei die Klägerin für die erhobene Unterlassungsklage auch klagebefugt: Die Vorschriften der
§§ 71 ff. ThürKO
dienten nämlich auch dem Drittschutz privater Konkurrenten. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung (Drucksache 1/2149 vom 15.04.1993, S. 95). Der Schutz der Privatwirtschaft vor wirtschaftlicher Betätigung der Gemeinden sei dort ausdrücklich erwähnt. Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 verstoße gegen
§ 71 Abs. 1 Ziffer 1 und Ziffer 4 ThürKO
. Ein öffentlicher Zweck könne im Hinblick auf die Verwaltung privater Objekte nicht gesehen werden. Wohnungsverwaltung privater Objekte gehöre auch ersichtlich nicht zur kommunalen Daseinsvorsorge. Diese Tätigkeit könne auch genauso gut durch private Unternehmen erfüllt werden. Die Verwaltungstätigkeit der Beigeladenen zu 1 müsse daher auf die eigenen Objekte der Beklagten beschränkt bleiben. Die reine Gewinnerwirtschaftung sei im Übrigen kein legitimer öffentlicher Zweck.
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Die Beklagte beantragt,
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11
die Klage abzuweisen.
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Gegenstand der von ihr zu 100 % gehaltenen Gesellschaft, der Beigeladenen zu 1, sei vorrangig die Gewährleistung einer sozial verantwortbaren Wohnungsversorgung von breiten Schichten der Bevölkerung. Die Gesellschaft errichte, betreue, bewirtschafte und verwalte Bauten in allen Rechts- und Nutzungsformen, auch Eigenheime und Eigentumswohnungen. Sie könne außerdem alle im Bereich der Wohnungswirtschaft, des Städtebaus und der Infrastruktur anfallenden Aufgaben übernehmen, Grundstücke erwerben, belasten oder veräußern, Erbbaurechte ausgeben sowie Wohnungen aller Eigentumsformen vermitteln. Sie könne Gemeinschaftsanlagen, Folgeeinrichtungen, Läden und Gewerbebauten, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen und Dienstleistungen bereitstellen. Die Gesellschaft sei berechtigt, andere Unternehmen zu erwerben oder sich an solchen zu beteiligen. Darüber hinaus dürfe die Gesellschaft auch sonstige Geschäfte betreiben, sofern diese dem Gesellschaftszweck - mittelbar oder unmittelbar - dienlich seien, so die Satzung der W... mbH S....
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Die Beigeladene zu 1 verwalte nicht in erheblichem Umfang private Wohnungen. Die Verwalterverträge für verschiedene Objekte in S... seien bereits beendet, liefen aus bzw. würden nicht mehr verlängert. Dies sei auf dem Hintergrund des Bescheides der Kommunalaufsicht vom 10.01.2012 so beschlossen worden. Von den im Jahr 2011 insgesamt erzielten Umsatzerlösen der Beigeladenen zu 1 in Höhe von 1.174.000, - Euro seien lediglich 30.000,- Euro Umsatzerlöse, also 2,5 %, aus der Verwaltung von Eigentum Dritter erzielt worden. Wegen der auslaufenden Verträge würde sich dieser Anteil in den Folgejahren weiter verringern.
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Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 verstoße nicht gegen
§ 71 ThürKO
. Der Gemeinde stehe bei der Einschätzung, welchen öffentlichen Zweck sie verfolge, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die kommunalpolitischen Organe der Beklagten könnten in eigener Verantwortung entscheiden, worin die Förderung des gemeinsamen Wohls ihrer Einwohner liege. Dies sei von den Bedürfnissen der Einwohner, den örtlichen Verhältnissen und den finanziellen Möglichkeiten der Kommune abhängig. Die Bestimmung des öffentlichen Zwecks sei damit letztlich eine Frage sachgerechter Kommunalpolitik, die in starkem Maße von Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt werde. Diese Einschätzung der Beklagten sei auch in die Festlegung des Unternehmensgegenstandes in der Satzung eingeflossen. Auch die wirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen sei als Form der Erfüllung öffentlicher Aufgaben von der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG geschützt.
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Im vorliegenden Fall gehe es bei der angegriffenen Verwaltertätigkeit um eine "Gewinnmitnahme" bei ausschließlicher Verfolgung des öffentlichen Zwecks des Unternehmens. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben habe die Beigeladene zu 1 ausreichend technische und personelle Ausstattung zur Verfügung zu halten. Ein geringfügiger Kapazitätsüberhang beim beschäftigten Personal erfordere diese Annextätigkeit zur Auslastung der Ressourcen: Die Beigeladene zu 1 habe einen Nachfolger für den Aufgabenbereich des Geschäftsführers einzuarbeiten und wolle auch einen Ausbildungsplatz anbieten. Dies erfordere eine gewinnorientierte Annexbetätigung zur Ausnutzung des vorhandenen, für die Gemeinwohlaufgaben benötigten Personals. Diese Personalkapazitäten seien auch nicht auf Dauer geplant.
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Es handele sich auch um eine nicht erheblich ins Gewicht fallende Randnutzung. Durch diese Tätigkeit würden nicht gezielt neue Geschäftsfelder aufgebaut, eine Vollversorgung in diesem Bereich sei nicht anvisiert. Die Beigeladene zu 1 bewerbe die im Streit stehende Verwaltertätigkeit hinsichtlich Sondereigentum/Wohnungseigentum auch nicht. Für solche Annextätigkeiten solle nach Auffassung mancher selbst das Regionalprinzip nicht gelten. Auf eine die Ansicht der Beklagten stützende Entscheidung des OVG Münster vom 13.08.2013 (15 B 1137/03) werde verwiesen. Im Rahmen des Gesellschaftsrechts sei die Zulässigkeit von Hilfs- und Nebengeschäften außerhalb des Unternehmensgegenstandes anerkannt, wenn es darum ginge, ansonsten brach liegende Ressourcen der Gesellschaft auszulasten, so lange die Nebentätigkeit der Haupttätigkeit untergeordnet bleibe. Aus
§ 53 ThürKO
folge zudem die Verpflichtung für die Gemeinden, ihren Haushalt sparsam und wirtschaftlich zu führen, was dagegen spreche, die wirtschaftliche Auslastung brach liegender Ressourcen zu verbieten. Es sei insoweit die Frage aufzuwerfen, ob die Subsidiaritätsklausel aus
§ 71 Abs. 1 Ziffer 4 ThürKO
überhaupt mit der Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetzes vereinbar sei.
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Zudem stelle sich die Frage nach dem Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses für die Klage, da die Klägerin bereits seit der Übernahme der Verwaltungstätigkeit für die Wohnungseigentümergemeinschaft "A...", H..., durch die Beigeladene zu 1 nach Kündigung des zuvor bestehenden Verwaltungsvertrages mit der Klägerin durch die Wohnungseigentümergemeinschaft zum 31.12.2010 von der Betätigung der Beigeladenen zu 1 gewusst habe. Außerdem stelle sich die Frage nach dem Drittschutz der kommunalrechtlichen Vorschriften zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden in der ThürKO. Für Thüringen lägen hierzu noch keine gerichtlich gestützten Aussagen vor. Die Zulässigkeit der Klage werde daher in Zweifel gezogen.
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Von Klägerseite wurde im Folgenden darauf hingewiesen, dass zwischen zulässiger Kapazitätsauslastung des kommunalen Unternehmens und unzulässiger Gewinnmaximierungsabsicht unterschieden werden müsse. Diese Abgrenzung sei gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar. Der Aufbau neuer Kapazitäten sei jedenfalls kein Fall zulässiger Randnutzung. Dies sei aber vorliegend geschehen, als der ehemalige Mitarbeiter der Klägerin zum Zweck der Tätigkeitsfelderweiterung eingestellt worden sei. Dessen bisherige Kundenkontakte hätten im Bereich der Verwaltung privater Immobilien eine gewinnmaximierende Tätigkeitserweiterung in Aussicht gestellt und zur Folge gehabt. Auch sei eine Tätigkeitsfelderweiterung zum Zweck der Einstellung einer Auszubildenden keine zulässige Begründung für die Annextätigkeit. Damit würde man aufgrund kapazitätserweiternder Neueinstellungen jede Tätigkeitsfelderweiterung rechtfertigen können. Dies wäre ersichtlich ein Umgehungstatbestand. Was das Kriterium der Subsidiaritätsklausel angehe, dass die Tätigkeit nicht ebenso gut und wirtschaftlich von Privaten ausgeübt werden könne, so dürfe der Verzicht auf marktgerechte Preise unter kommunaler Subventionierung nicht hierunter gefasst werden. Ersichtlich sei das hier gemäß
§ 71 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 ThürKO
durchzuführende Markterkundungsverfahren nicht von der Beklagten durchgeführt worden.
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Mit Schreiben vom 02.04.2014 legte die Klägerin gegen den Bescheid der Beigeladenen zu 2 an die Beklagte vom 10.01.2012 Widerspruch ein.
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Mit Beschluss vom 09.04.2014 wurde die W... mbH S... (...; Beigeladene zu 1) zum Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 06.05.2014 erfolgte die Beiladung der Kommunalaufsichtsbehörde zum Verfahren (Beigeladener zu 2).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2015, die Gerichtakte sowie die von der Beklagten und der Beigeladenen zu 2 vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. | I. Die Beklagte wird verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Beigeladene zu 1 die Verwaltung von Wohnungen und Gewerbeobjekten unterlässt, soweit es sich nicht um Objekte im Eigentum der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 handelt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen. | 0 |
Hessisches Finanzgericht 9. Der Senat | Hessen | 0 | 1 | 10.08.2020 | 1 | Die Beteiligten streiten über die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus einem Goldhandel als (negative) Progressionseinkünfte im Sinne des § 32b des Einkommensteuergesetzes - EStG – einer nach englischem Recht gegründeten Limited Liability Partnership – LLP –, an der der Kläger maßgeblich beteiligt war.
Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung 2012 – soweit vorliegend von Interesse – einen steuerpflichtigen Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils an der A-GmbH i.H.v. xxxxxxxxxx € (Bl. 8 Einkommensteuerakten). Weiterhin wurde bei den übrigen ausländischen Einkünften (nach DBA steuerfreie Einkünfte/Progressionsvorbehalt, Bl. 16, 17 Einkommensteuerakten) ein nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelter Verlust aus seiner Beteiligung an der B LLP (im Folgenden: LLP) i.H.v. xxxxxxxxxx € geltend gemacht.
Mit Vertrag vom 04.10.2012 wurde die LLP gegründet. An der Gesellschaft waren der Kläger und die ebenfalls am 04.10.2012 gegründete C Limited (Ltd.) beteiligt. Alleiniger Gesellschafter der Ltd. war der Kläger. Ltd. und LLP wurden im britischen Handelsregister eingetragen. Als Geschäftsführer der Ltd. wurde Herr D bestellt.
Ob die LLP tatsächlich über eigene Büroräume in Großbritannien verfügte, wie vom Kläger vorgetragen, wird vom beklagen Finanzamt angezweifelt.
Im Gesellschaftsvertrag (Limited Liability Partnership Agreement), der vom Kläger in der englischen Originalversion vorgelegt wurde, ist - in deutscher Übersetzung - nach zutreffender übereinstimmender Darstellung des Klägers in der Klagebegründung sowie des Finanzamtes in der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2019 u.a. Folgendes bestimmt:
Rz. 4.1 Jeder Gesellschafter hat bei der Gründung der Gesellschaft eine Einlage von 1,- € geleistet.
Rz. 4.3 Der Gesellschafter E hat noch xxxxxxxxxx,- € einzulegen, die seinem Kapitalkonto gutgeschrieben werden.
Rz. 4.4 Die Haftung der Gesellschafter ist begrenzt (keine Haftung über den Betrag der Einlage hinaus).
Rz. 5.1 Die Gewinnverteilung erfolgt im Verhältnis der Anteile. Die Anteile werden laut 4.8.1 des Vertrages in Höhe des Betrages bzw. Wertes der Einlage erworben. Der Managing Partner entscheidet über die Gewinn-/Verlustzuteilung nach Zeichnung des Geschäftsabschlusses durch die Gesellschafter, wobei ein eventueller Verlustanteil die jeweiligen Einlagen eines Gesellschafters nicht überschreiten darf. Von den zuzuteilenden Gewinnen sind eventuell vorherige Entnahmen abzuziehen. Übersteigen die Entnahmen den Gewinnanteil, hat der Gesellschafter den Differenzbetrag zurückzuzahlen.
Rz. 9.2 Die Geschäftsführung der LLP obliegt ausschließlich der Ltd. und dort Herrn D.
Nach Darstellung des Klägers hat die LLP physisches Gold im damaligen Wert von GBP xxxxxxxxxx durch Eigenmittel angeschafft.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 04.11.2016 (Bl. 16 Einkommensteuerakten) wurde die Einkommensteuer auf xxxxxxxx,- € festgesetzt. Der erklärte Verlust aus der Beteiligung wurde nicht berücksichtigt, was in einer Anlage zum Bescheid (Bl. 44 Einkommensteuerakten) erläutert wurde.
Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen damaligen Bevollmächtigten, Einspruch eingelegt, der durch Einspruchsentscheidung vom 03.01.2019 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Hiergegen wurde Klage erhoben.
Außergerichtlich – und sodann ausführlicher im gerichtlichen Verfahren – hat sich der Kläger wie folgt eingelassen.
Die LLP habe eine originär gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeübt. Eine private Vermögensverwaltung liege nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der vom Bundesfinanzhof – BFH – zur vorliegenden Problematik entwickelten Kriterien, die als bloße Regelbeispiele auch einer weitergehenden Bewertung zugänglich seien, habe eine gewerbliche Tätigkeit vorgelegen; hierbei seien insbesondere auch die Besonderheiten des Goldhandels zu berücksichtigen.
Die Absicht, einen Goldhandel zu betreiben, sei insoweit ein maßgebliches subjektives Abgrenzungskriterium.
Geplant gewesen seien von der LLP, die für die Zwecke des Goldhandels gegründet worden sei, sowohl der Verkauf über entsprechende zertifizierte Händler als auch die Registrierung als zugelassener regulierter Händler, Berater und Wertpapieremittenten im Bereich Edelmetalle, insbesondere Gold (vgl. Businessplan Tz. 4 Business Lines). Auch aufgrund der einhergehenden positiven steuerlichen Effekte sei dieser Zweck nicht fraglich gewesen. Nach umfangreichen Vorarbeiten, insbesondere die Entwicklung des Businessplans sowie die Auswahl eines Compliance Partners sei im Herbst 2013 der entsprechende Antrag bei der englischen Bankenaufsicht (Financial Conduct Authority, FCA) eingereicht und der Zulassungsvorgang gestartet worden. Die Erlangung einer für den Goldhandel erforderlichen FCA-Lizenz habe sich als schwierig und zeitaufwändig herausgestellt. Während des Antragsverfahrens habe sich der Geschäftsführer D jedoch schon um potentielle Kunden bemüht. Der massive Kursabsturz des Goldes in der ersten Jahreshälfte 2013 habe den Beginn der Handelstätigkeit erheblich erschwert. Erst in der ersten Jahreshälfte 2014 habe man von der britischen Aufsichtsbehörde FCA die Mitteilung erhalten, dass die bisher eingereichten Unterlagen für die Zulassung als gewerblicher Goldhändler nicht ausreichend seien. Für das Weiterbetreiben der Zulassung sei sodann ein spezialisierter Dienstleister eingeschaltet worden. Mit Wirkung vom 24.09.2015 sei die LLP von der britischen Aufsichtsbehörde als gewerblicher Goldhändler zugelassen worden. Am 30.05.2017 sei der LLP die FCA-Lizenz wegen einer nicht beglichenen Rechnung in Höhe von GBP xxx dann wieder entzogen worden. Hintergrund hierfür sei gewesen, dass die Rechnung der Aufsichtsbehörde wegen eines Umzugs der Gesellschaft nicht habe zugestellt und somit nicht habe beglichen können. Die Zulassung sei daraufhin entzogen worden. Die Angelegenheit sei dann nicht weiterverfolgt worden. Vor allem der Entwicklung des Goldpreises geschuldet, hätten zunächst keine umfangreichen Goldgeschäfte mit dem eigenen Bestand stattgefunden. Aufgrund dieser Umstände könne nicht zweifelhaft sein, dass ein gewerblicher Goldhandel beabsichtigt gewesen sei. Allein die Aufwendungen für die Erlangung der FCA-Lizenz, Anmietung von Räumen, Kosten für Depotverwahrung des Goldes, Honorare und Aufwendungen für Berater und Geschäftsführer etc. hätten rund xxxxxxx € betragen.
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes sei vorliegend primär auf die Wiederholungsabsicht des geplanten Goldhandels abzustellen, die – wie dargestellt – vorhanden gewesen sei, und nicht zwingend auf die tatsächliche Wiederholung, an der es – aufgrund oben dargestellter Umstände – gefehlt habe.
Der Kläger habe seinen Gewinn auch nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln dürfen.
Die für die LLP in Großbritannien geltende Buchführungspflicht schließe das Wahlrecht zur Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG in Deutschland nicht aus, da ausländische Gewinnermittlungsvorschriften bereits dem Grunde nach keine Bindungswirkung für die steuerliche Gewinnermittlung in Deutschland entfalten können.
Abgesehen davon entsprächen britische Abschlüsse auch nicht den deutschen Gewinnermittlungsvorschriften, weshalb die tatsächliche Abschlusserstellung der LLP in Großbritannien keine Sperrwirkung entfalten könne. Der Kläger nimmt insoweit Bezug auf Drüen, IStR 2019, 833.
Wegen Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid über Einkommensteuer für 2012 vom 04.11.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2019 dahingehend zu ändern, dass nach dem DBA Großbritannien 2010 steuerfrei und im Inland dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von – xxxxxxxxxx EUR berücksichtigt werden,
2. hilfsweise den Bescheid über Einkommensteuer 2012 vom 04.11.2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.01.2019 dahingehend zu ändern, dass nach dem DBA Großbritannien 2010 steuerfrei und im Inland dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr.3 EStG unterliegende Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf Grundlage einer bilanziellen Gewinnermittlung berücksichtigt werden,
3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
4. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt hält auch im gerichtlichen Verfahren an seiner außergerichtlichen Rechtsansicht fest.
Bei den vom Kläger erzielten Einkünften handele es sich nicht um gewerbliche Einkünfte. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und unter Berücksichtigung der vom BFH zur Problematik ergangenen Rechtsprechung handele es sich um private Vermögensverwaltung. Es fehle insbesondere an der Erheblichkeit des Goldumschlags (kurzfristiger und häufiger Umschlag) und am Einsatz von Fremdmitteln. Beide Punkte, die – wenn sie vorlägen - eine hohe Indizwirkung für Gewerblichkeit hätten, werden selbst vom Kläger nicht behauptet. Die getätigten Optionsgeschäfte um den Jahreswechsel 2013 und 2014 seien mit einem Goldhandel nicht zu vergleichen.
Auch die konkrete Ausgestaltung des Geschäftsbetriebs spreche für eine private Vermögensverwaltung. Trotz der vorgelegten Unterlagen über die Anmietung von Räumlichkeiten sei nicht nachgewiesen, dass die Geschäftsführung tatsächlich von London aus erfolgt sei. Es habe sich offensichtlich nicht um ein Büro gehandelt, das für einen Edelmetallhandel erforderlichen Personal besetzt gewesen sei. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, warum es überhaupt eines Büros in London bedurft habe.
Auch die Einbringung von Spezialkenntnissen sei nicht hinreichend nachgewiesen. Der Einsatz des Herrn D bei der Beantragung einer
FCA-Lizenz sei nicht erfolgreich gewesen. Die Tatsache, dass die Lizenz erst mit Wirkung vom 24.09.2015 erteilt worden sei, spreche dafür, dass nicht ernsthaft eine zeitnahe Goldhändlerstellung betrieben worden sei. Auch sei die Lizenz bereits zum 30.05.2017 wieder entzogen worden.
Soweit der Kläger primär auf seine Absicht abstelle einen Goldhandel zu betreiben, könne dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Gold sei als sicheres Anlagegut bei Privatanlegern geschätzt. Allein aus der Höhe des Anlagebetrags könne daher nicht auf einen beabsichtigten Handel geschlossen werde. Diese Absicht müsse sich als innere Tatsache auch nach außen manifestieren. Daran fehle es vorliegend.
Schließlich sei die LLP in Großbritannien buchführungspflichtig gewesen. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 10.12.2014, I R 3/13, und vom 25.06.2014, I R 24/13) sei die LLP nicht befugt gewesen, ihre Einkünfte nach § 4 Abs.3 EStG zu ermitteln. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 2. Senat | Hessen | 0 | 1 | 30.06.2009 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von der Klägerin vom 1. Februar 1982 bis zum 10. November 1989 im Beitrittsgebiet ausgeübte Beschäftigung beim Energiekombinat J-Stadt als Zugehörigkeitszeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz nach dem Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz-und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG) festzustellen ist.
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2
Die 1950 in D-Stadt geborene Klägerin absolvierte zunächst eine Ausbildung als Mechanikerin und Facharbeiterin für Datenverarbeitung. Ab 1968 war sie am Institut für Datenverarbeitung R. in D-Stadt tätig. Von 1970 bis 1974 absolvierte sie ein Studium an der Ingenieurshochschule in D-Stadt, das sie im Februar 1974 erfolgreich mit der Prüfung zum Hochschulingenieur für Datenverarbeitung abschloss. Vom 1. März 1974 bis zum 31. Januar 1982 war die Klägerin dann als Programmiererin bzw. Organisatorin im Rechenzentrum der Fa. C. in J-Stadt tätig. Vom 1. Februar 1982 bis zum 10. November 1989 arbeitete sie – in gleicher Funktion – beim Energiekombinat J-Stadt. Am 11. November 1989 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über.
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3
Am 25. Oktober 2001 stellte die Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf Kontenklärung.
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4
Mit Bescheid vom 10. Juni 2002 stellte die A-Stiftung – Versorgungsträger – bestimmte Daten zugunsten der Klägerin fest. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Text des Bescheides, Bl. 24 bis 29 der Gerichtsakte, verwiesen.
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5
Am 8. Juli 2002 beantragte die Klägerin dann die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz.
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6
Auf die Anfrage der Deutschen Rentenversicherung hin, ob eine Gleichstellung nach § 3 Zusatzversorgungssystem-Gleichstellungsgesetz (ZVsG) beantragt worden sei oder nach § 6 Abs. 1 S. 3 ZVsG vorliege, teilte die A-Stiftung – Versorgungsträger -der Beklagten mit Schreiben vom 25. Juli 2002 mit, die Klägerin sei pensionsberechtigt, habe aber keine Leistungen erhalten.
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7
Mit Bescheid vom 14. Januar 2003 lehnte die Beklagte den Antrag vom 8. Juli 2002 ab, da eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG nicht entstanden sei. Weder habe eine positive Versorgungszusage vorgelegen noch habe die Klägerin am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 18. Januar 2003 Widerspruch und trug vor, sie erfülle alle Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz.
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8
Mit Bescheid vom 23. Februar 2003 stellte die Deutsche Rentenversicherung Zeiten bis zum 31. Dezember 1996 nach § 149 Abs. 6 SGB VI bindend fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 9. März 2003 Widerspruch ein, wobei sie auch einwandte, es fehlten die gemäß AAÜG anzurechnenden Zeiten aus der Zusatzversorgung für die technische Intelligenz. Nachdem die Deutsche Rentenversicherung die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass sie hinsichtlich der Zeiten nach dem AAÜG keine eigene Sachentscheidung treffen könne, wurde das Widerspruchsverfahren bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung durch die Beklagte übereinstimmend zum Ruhen gebracht.
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9
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2004 wies die Beklagte dann den Widerspruch vom 18. Januar 2003 zurück. Zur Begründung ihrer Entscheidung verwies sie nochmals darauf, die Klägerin sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen noch habe sie – mangels Ausübung einer Beschäftigung im Beitrittsgebiet im Juni 1990 -einen Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt.
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10
Die Klägerin hat am 30. September 2004 beim Sozialgericht Frankfurt Klage erhoben und vorgetragen, für ihre Beschäftigungszeit vom 1. Februar 1982 bis zum 10. November 1989 sei ihre Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz nach dem AAÜG festzustellen, denn sie erfülle die hierfür erforderlichen Bedingungen. Dass sie schon vor dem 30. Juli 1990 in die Bundesrepublik übergesiedelt sei, stehe ihrem Anspruch nicht entgegen. Mit Urteil vom 14. September 2007 hat das Sozialgericht Frankfurt die Klage abgewiesen und ausgeführt, eine Feststellung von Daten nach § 8 AAÜG zugunsten der Klägerin komme nicht in Betracht, da das AAÜG auf die Klägerin nicht anwendbar sei. Die direkte Anwendung setze das – zumindest ursprüngliche Bestehen einer Versorgungszusage oder eines entsprechenden Einbeziehungsaktes voraus. Beides sei bei der Klägerin nicht vorhanden. Der Anwendungsbereich des AAÜG sei auch nach Maßgabe der die Vorschrift des § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG erweiternden Auslegung des Bundessozialgericht nicht eröffnet. Denn danach müssten am Stichtag 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine nach den Regelungen des jeweiligen Versorgungssystems zwingende Einbeziehung noch vorgelegen haben. Dies sei bei der Klägerin, die in diesem Zeitpunkt das Beitrittsgebiet bereits verlassen habe, nicht mehr der Fall gewesen. Es sei auch nicht verfassungsrechtlich geboten, die Klägerin in den Anwendungsbereich des AAÜG einzubeziehen.
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11
Die Klägerin hat gegen das ihr am 26. Oktober 2007 zugestellte Urteil am 13. November 2007 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
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12
Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des AAÜG sei verfassungsrechtlich geboten. Dadurch, dass auch bei Personen, die das Beitrittsgebiet vor dem 30. Juni 1990 verlassen hätten, auf diesen Stichtag abgestellt werde, würden Art. 14 und Art. 20 GG verletzt.
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13
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 14. September 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 21. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. Februar 1982 bis zum 10. November 1989 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz nach dem AAÜG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend.
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Mit Schriftsätzen vom 30.11.2007 (Beklagte) und 26. Dezember 2007 (Klägerin) haben die Beteiligten erklärt, sie seien mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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Hinsichtlich des weiteren Sach-und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Behördenvorgänge der Beklagten. Sämtliche dieser Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. | I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 5. Senat | Hessen | 0 | 1 | 07.11.1996 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Verfahren nach § 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X).
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2
Der 1938 geborene Kläger hat als Staatsbürger der Republik Kroatien seinen Wohnsitz in diesem Staat. Er beantragte erstmals am 11. Juli 1988 beim Versorgungsamt in Fulda die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung, er sei als Kind während des 2. Weltkrieges in seiner Heimat schwer geschädigt worden. 1943 sei er mit seiner Familie aus dem Ort T. geflohen und dabei auf eine Bombe oder Mine getreten. Er sei im Bauchraum und an beiden Händen schwer verletzt worden. Wegen dieser Schädigung erhalte er in seiner Heimat Rente als ziviles Kriegsopfer. Zur weiteren Begründung fügte er medizinische Unterlagen und u.a. auch einen Zahlungsbeleg über seine Rente als ziviles Kriegsopfer bei. Nach weiteren Ermittlungen erkannte das Versorgungsamt Fulda mit Bescheid vom 21. Mai 1991 die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nach dem BVG an und gewährte ihm Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) – unter Einbeziehung des besonderen beruflichen Betroffenseins – von insgesamt 60 v.H. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, daß die Leistung als sog. „Kannleistung” gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG bewilligt werde.
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Diesen Bescheid nahm das Versorgungsamt Fulda ohne vorherige Anhörung des Klägers durch Bescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung ab 1. Februar 1993 zurück. Zur Begründung führte es aus, der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig gewesen, weil der Kläger aus derselben Ursache einen Invalidenrentenanspruch gegenüber seinem Heimatstaat habe. Nach § 7 Abs. 2 BVG aber sei eine solche Doppelversorgung ausdrücklich ausgeschlossen. Da diese gesetzliche Bestimmung bei Erteilung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides nicht beachtet worden sei, müsse dieser Bescheid als rechtswidrig angesehen und zurückgenommen werden. Eine Rücknahme setze zwar voraus, daß das Interesse des Bürgers an der Aufrechterhaltung des Vorteils nicht höher zu bewerten sei, als das öffentliche Interesse des Staates und der Allgemeinheit an der Beseitigung der Rechtswidrigkeit. Die Rücknahme dieses rechtswidrigen Bescheides sei aber aus öffentlichem Interesse geboten. Zugunsten der Interessen des Klägers sei berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen der rechtswidrigen Bescheide zwar allein in den Verantwortungsbereich der deutschen Verwaltung falle, dies führe jedoch nicht zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers. Im Rahmen der gebotenen Ermessensprüfung sei auch die persönliche Situation des Klägers gewürdigt worden; die niedrige Höhe der Versorgung des Heimatstaates könne nicht zu einer Ermessensausübung zu seinen Gunsten führen, weil auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse durch deutsche Verwaltungsentscheidungen kein Einfluß genommen werden könnte. Der Kläger erhob am 31. März 1993 Widerspruch und machte geltend, daß er infolge der Kriegsverwundung nie in der Lage gewesen sei, einen vollständigen Beruf auszuüben und deshalb außerordentlich bedürftig sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1993 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte u.a. aus, es sei auch geprüft worden, ob im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens ganz oder teilweise von der Entziehung der laufenden Leistungen abgesehen werden könne. Es sei zwar bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer geschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Diese Umstände jedoch würden bei Empfängern von Sozialleistungen vielfach zutreffen und könnten bei allem Verständnis für die Lage des Klägers nicht dazu führen, daß lebenslang fortgesetzt werde, was nach dem Gesetz nicht hätte sein dürfen. Gegen diesen ihm auf diplomatischem Wege durch Vermittlung der Deutschen Botschaft am 5. August 1993 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 22. September 1993 Klage erhoben, die zunächst bei der Deutschen Botschaft in Z. und am 14. Oktober 1993 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangen ist. Er hat die Ansicht geäußert, die Entziehung der Versorgungsleistungen sei rechtswidrig und habe daher nicht erfolgen dürfen.
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Mit Urteil vom 28. Oktober 1994 hat das Sozialgericht den angegriffenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es unter anderem ausgeführt, eine Aufhebung der Leistungsbewilligung hätte nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X erfolgen können. Es könne insoweit dahingestellt bleiben, ob der ursprüngliche Verwaltungsakt überhaupt rechtswidrig gewesen sei und ob der Aufhebungsbescheid allein schon deshalb rechtswidrig sei, weil vor Erlaß dieses in die Rechte des Klägers eingreifenden Verwaltungsaktes keine Anhörung erfolgt sei. Jedenfalls habe der Beklagte von der ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht zur Ausübung sachgerechten Ermessens keinen Gebrauch gemacht. Der Beklagte habe in seinen Entscheidungen nicht auf den individuellen Einzelfall des Klägers abgestellt. Hinsichtlich des Rücknahmebescheids sei dies schon deshalb offenkundig, weil der Kläger vor dessen Erlaß nicht angehört worden sei und das beklagte Land folglich mangels aktueller Kenntnis der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Klägers eine individuelle Würdigung gar nicht habe vornehmen können. Gleiches gelte für die Ausführung zur Ermessensausübung in der Begründung des Widerspruchsbescheids. Die dort gebrauchten Formulierungen deuteten darauf hin, daß das beklagte Land bei seiner Entscheidung gerade nicht die individuellen Verhältnisse des vorliegenden Falles im Auge gehabt, sondern nur solche Aspekte berücksichtigt habe, die für sämtliche Fälle der Gewährung von Versorgungsleistungen an Zivilkriegsopfer im Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) zutreffen würden. Das Fehlen jeglicher Einzelfallbezogenheit in den Ausführungen zum Ermessen werde aber besonders deutlich durch die Verwaltungspraxis des beklagten Landes in allen den vorliegenden vergleichbaren Fällen. Es sei gerichtsbekannt, daß das beklagte Land nach Bekanntwerden des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Mai 1992 zahlreiche Verwaltungsverfahren eingeleitet habe, wobei das beklagte Land in ca. 300 Fällen praktisch wortgleiche Rücknahme- und Widerspruchsbescheide erlassen habe. Dieser Schluß lasse sich aufgrund des dem Gericht bekannten Akteninhalts von ca. 100 vergleichbaren Streitsachen ziehen. Aus der Tatsache, daß der Beklagte keine Anhörung durchgeführt habe, lasse sich auch schließen, daß er nicht die Absicht gehabt habe, eine individuelle Einzelfallentscheidung zu treffen. Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid seien deshalb wegen der nicht ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens aufzuheben gewesen.
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5
Gegen das ihm am 6. Januar 1995 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat der Beklagte die am 16. Januar 1995 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, bei Rücknahmeentscheidungen nach § 45 SGB X sei im sozialen Entschädigungsrecht wenigstens im Regelfall überhaupt kein Ermessen auszuüben. Dies habe der 9/9 a-Senat des BSG in ständiger Rechtsprechung festgestellt. Soweit sich das erstinstanzliche Gericht für seine Ansicht, es sei Ermessen auszuüben, auf Rechtsprechung anderer Senate des BSG beziehe, sei diese im sozialen Entschädigungsrecht nicht einschlägig. Im hier anhängigen Rechtsstreit liege jedoch ein klassischer Regelfall vor. Es hätte deshalb kein Ermessen ausgeübt werden müssen. Soweit das Sozialgericht meine, die Verwaltung habe überhaupt kein Ermessen ausgeübt, könne dem nicht gefolgt werden. Dies ergebe sich aus den Texten des angefochtenen Bescheids und des Widerspruchsbescheids. Es seien sowohl die Höhe der ausländischen Zivilopferrente als auch das Lebensalter, die Schädigung und das relativ geringe Gesamteinkommen in die Überlegungen einbezogen worden. Ermittlungen der aktuellen Einkommensverhältnisse seien nicht mehr erforderlich gewesen, da zugunsten des Klägers seine schwierigen persönlichen Verhältnisse als bekannt vorausgesetzt und unterstellt worden seien. Auch soweit das Sozialgericht bemängele, daß der Beklagte die Auswirkungen des derzeitigen Bürgerkriegs im Gebiet des früheren Jugoslawien nicht geprüft und entsprechend berücksichtigt habe, könne ihm nicht gefolgt werden. Im vorliegenden Streitfall gehe es um die Spätauswirkungen des 2. Weltkrieges. Für die Folgen des Bürgerkrieges, der ein halbes Jahrhundert später entbrannt sei, könne die Bundesrepublik Deutschland nicht verantwortlich gemacht werden. Bei der Ermessensausübung hätte dieser Umstand auf jeden Fall nicht zu einem Verzicht auf die Rücknahme führen können.
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6
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28. Oktober 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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7
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
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8
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, der Rücknahmebescheid sei falsch, weil der Beklagte das Recht nicht ordnungsgemäß angewandt habe.
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9
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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10
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte (Archiv-Nr. …) Bezug genommen, die dem Senat vorlagen und zum Gegenstand der Beratungen gemacht worden sind. | I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
VG Hamburg 2. Kammer | Hamburg | 0 | 1 | 07.06.2022 | 1 | Randnummer
1
Die im Jahr … geborene Klägerin wendet sich gegen eine Prüfungsentscheidung der Beklagten, mit welcher diese das endgültige Nichtbestehen einer Modulabschlussklausur und eines Moduls festgestellt hat.
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2
Die Klägerin nahm im Oktober 2014 ihr Medizinstudium im Modellstudiengang bei der Beklagten auf. Der Modellstudiengang ist in Module aufgeteilt, von denen verschiedene Module äquivalent sind zu Prüfungen des Ersten Abschnitts der ärztlichen Prüfung. Zu diesen Modulen gehört auch das hier streitige Modul D.1 mit dem Modulnamen „Entwicklung des Lebens“. Für dieses Modul sind folgende Prüfungen vorgesehen: 3 modulbegleitende Klausuren von jeweils 10-12 Minuten, bei denen jeweils 2 Punkte erreicht werden können und eine Modulabschlussklausur von 141 Minuten, bei der 94 Punkte zu erreichen sind. Das Modul ist bestanden, wenn 60 % der maximalen Gesamtpunktzahl erreicht worden ist, wobei nicht bestandene Prüfungsleistungen zweimal wiederholt werden dürfen.
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3
Die Klägerin trat die drei modulbegleitenden Klausuren im Erstversuch an und erzielte hierbei in zwei Klausuren einen von 2 Punkten und in einer Klausur 0 Punkte. Diese drei Klausuren können wiederholt werden. Die Modulabschlussklausur im Modul D.1, bei der es sich um eine Multiple-Choice-Klausur, d.h. eine Antwort-Wahl-Klausur handelt, bestand sie im Erstversuch am 1. Oktober 2015 mit 28 von 94 Punkten nicht. Auch den Zweitversuch dieser Klausur im Modul D.1 bestand die Klägerin am 14. Juli 2016 mit 41 von 94 Punkten nicht. Diese Prüfungsentscheidungen griff sie nicht an.
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4
Am 18. September 2018 nahm sie in ihrem Drittversuch an der Modulabschlussprüfung im Modul D.1 mit 19 weiteren Prüflingen teil. Die Klausur, bei der die Klägerin 48 von 94 Punkten erreichte, wurde erneut mit nicht bestanden bewertet. Die Bewertung der Modulabschlussklausur im Modul D.1 wurde der Klägerin über das Studienportal online bekannt gegeben.
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5
Die Klägerin nahm am 27. September 2018 Akteneinsicht und bat am 30. September 2018 um einen Termin für einen Härtefallantrag, um einen weiteren Prüfungsversuch zu erhalten. Der Antrag wurde mündlich abgelehnt, da er für diese Modulprüfung nicht vorgesehen sei.
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6
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Sie führte aus, sie habe sich aufgrund von Lernschwierigkeiten im Frühjahr dieses Jahres professionelle Hilfe geholt und sich von einem Lerncoach unterstützen lassen. Sie sei gut vorbereitet gewesen für die zweite Wiederholungsprüfung der D.1-Modulabschlussklausur. Im Hörsaal sei sie von der Aufsichtsperson in einem sehr lauten schroffen und unfreundlichen Ton darauf hingewiesen worden, dass sie den Rucksack abgeben müsse. Dieses Verhalten habe sie sehr beunruhigt. Darüber hinaus sei es 30 Minuten vor Ende der Klausur den Studierenden gestattet worden, die Klausur vorzeitig abzugeben. Auch dies habe sie irritiert, da es zu Unruhe geführt habe. Ein störungsfreier Prüfungsablauf sei nicht gewährleistet gewesen. Die Klägerin fügte ihrem Widerspruch eine psychotherapeutische Stellungnahme der Diplom-Psychologen … und … vom 8. Oktober 2018 bei. Danach befinde sich die Klägerin seit dem 6. März 2018 in psychotherapeutischer Behandlung. Im bisherigen Verlauf habe sich ein depressives Syndrom gezeigt.
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Am 6. Februar 2019 tagte der Prüfungsausschuss, der mit dem Vorsitzenden und 7 weiteren Mitgliedern besetzt war, und half dem Widerspruch der Klägerin nicht ab. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses teilte der Klägerin mit Schreiben vom 18. März 2019 mit, dass der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel nicht berücksichtigt werden könne, da sie ihn erst nach der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erhoben habe. Es bestehe aufgrund des Grundsatzes der Chancengleichheit eine Rügeobliegenheit dahingehend, eine Rüge unverzüglich, jedenfalls aber vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses zu erheben. Der Widerspruch werde an den Widerspruchsausschuss abgegeben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 18. Oktober 2019 gegen die Prüfungsentscheidung der Modulabschlussklausur D.1 vom 18. September 2018 im Modellstudiengang Medizin zurück. Die Entscheidung wurde allein vom Vorsitzenden des Widerspruchsausschusses getroffen. Die Beklagte führte sämtliche Prüfungsleistungen der Klägerin in einer Modulübersicht auf und kennzeichnete – erstmalig ausdrücklich – das gesamte Modul D.1 als „endgültig nicht bestanden“. Sie erläuterte, die Modulklausur D.1 sei (unabhängig von den weiteren Prüfungsleistungen) als nicht bestanden gewertet worden, da die Klägerin nicht 60 % der Maximalpunktzahl (56,4 P. von 94 P.) erreicht habe. Die Klägerin habe zwar eine psychotherapeutische Stellungnahme vorgelegt, sei aber nicht wirksam von der Klausur zurückgetreten. Sie hätte hierfür unverzüglich einen wichtigen Grund schriftlich anzeigen und glaubhaft machen müssen. Dies sei nicht geschehen. Auch die gerügten Prüfungsmängel seien nicht erheblich, da die Klägerin ihre Rügepflicht verletzt habe. Sie hätte nicht das Ergebnis abwarten und dann eine Störung rügen dürfen.
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Mit der am 24. Juni 2019 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Nach der Klageerhebung hat die Klägerin auch den Drittversuch der Modulabschlussklausur im Modul C.1 nicht bestanden und hat sich zum 21. Juli 2021 exmatrikuliert. Hinsichtlich der Bewertung ihrer Leistungen im Modul C.1 hat sie nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 25. März 2022 Klage erhoben (Az. 2 K 1430/22). Über diese Klage ist noch nicht entschieden worden.
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Die Klägerin beruft sich zur Begründung des hier vorliegenden Klageverfahrens bezüglich des Moduls D.1 zum einen auf Mängel, die einen Neubewertungsanspruch begründen sollen. So sei bei der von ihr absolvierten Prüfung, die in Form des Antwort-Wahl-Verfahrens durchgeführt worden sei, keine relative Bestehensgrenze ermittelt worden. Die Beklagte habe lediglich die absolute Bestehensgrenze von 60 % der maximalen Punktzahl herangezogen. Dies sei unzulässig. Eine relative Bestehensgrenze bei Anwendung eines Antwort-Wahl-Verfahrens sei nur dann nicht erforderlich, wenn der Prüfer die Bestehensgrenze frei festlegen könne bzw. die Arbeit nach dem individuellen Bewertungsschema des jeweiligen Prüfers bewertet werden dürfe. Das sei hier nicht der Fall. Darüber hinaus rügt die Klägerin, dass von den von ihr falsch beantworteten Fragen insgesamt 6 missverständlich seien bzw. fachlich zutreffend beantwortet worden seien. Der Widerspruchsbescheid müsse auch aufgehoben werden, da der Prüfungsausschuss bei der Abhilfeentscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sein soll. Auch hätte der Vorsitzende des Widerspruchsausschusses nicht allein über den Widerspruch entscheiden dürfen.
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Zum andern macht die Klägerin geltend, ihr stehe hilfsweise ein Anspruch auf Wiederholung der Prüfungsleistung zu. Denn es sei nicht erkennbar, ob die Klausur im Antwort-Wahl-Verfahren gemäß § 6a Abs. 3 der maßgeblichen Prüfungsordnung von mindestens 2 Prüfern vorbereitet worden sei. Ein weiterer Rechtsfehler ergebe sich aus den erheblichen störenden Einwirkungen während der Erbringung der Prüfungsleistung. Diese habe die Klägerin auch rechtzeitig am 5. Oktober 2018 gerügt. Dies sei nicht verspätet. Schließlich sei die Prüfungsordnung unwirksam. Die Vorgaben zu den Wiederholungsmöglichkeiten und die Bestehensgrenzen seien rechtswidrig. Zwar könnten studienbegleitende Teilleistungen und Modulabschlussprüfungen ausweislich § 8 Abs. 2 der Prüfungsordnung zweimal wiederholt werden. Diese Regelung werde in § 8 Abs. 4 der Prüfungsordnung allerdings eingeschränkt. Diese Einschränkung verstoße gegen die Vorgabe in
§ 65 Abs. 1 und 2 des Hamburgischen Hochschulgesetzes (HmbHG)
, wonach studienbegleitende Prüfungen im Falle des Nichtbestehens mindestens zweimal wiederholt werden könnten. Wenn man die Modulabschlussklausur nur knapp bestehe, müsse man in den drei ergänzenden Klausuren die volle Punktzahl erreichen, um das gesamte Modul zu bestehen. Da bestandene Leistungen nicht wiederholt werden könnten, sei ein Prüfling auch nicht in der Lage, eine nur knapp bestandene Modulabschlussklausur zu wiederholen, um das gesamte Modul zu bestehen.
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13
Die Klägerin beantragt,
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14
unter Aufhebung des Bescheids vom 18. September 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 2019 die Beklagte zu verpflichten, über die Bewertung der Modulklausur D.1 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
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15
hilfsweise ihr unter Aufhebung der o.g. Bescheide einen neuen Prüfungsversuch in der Modulklausur D.1 zu gewähren.
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16
Die Beklagte beantragt,
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17
Die Klage abzuweisen.
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18
Die Klägerin habe das gesamte Modul nicht bestanden. Bei jeder Teilleistung sei zunächst zu prüfen, ob 60 % der hier zu erlangenden Punkte erreicht worden seien. Ob das gesamte Modul bestanden sei, richte sich nach der Gesamtzahl der erreichten Punkte. Hier seien die von der Klägerin in den ergänzenden Klausuren erzielten 2 Punkte zu den in der Modulabschlussklausur erzielten 48 Punkten gezählt worden. Die Klägerin habe somit insgesamt 50 Punkte erreicht. Selbst wenn sie die ergänzenden Klausuren wiederholen würde, könnte sie höchstens 4 zusätzliche Punkte erreichen. Auch mit den hypothetischen 4 Punkten, d.h. insgesamt 54 Punkten, würde die Klägerin die Bestehensgrenze von 60 Gesamtpunkten verfehlen.
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin habe keinen rechtzeitigen Rücktritt von der Prüfung erklärt. Auch die behaupteten Störungen während der Klausur hätte sie schon am 18. September 2018, jedenfalls vor Bekanntgabe der Benotung mitteilen müssen. Es sei nach § 6a Abs. 4 der Prüfungsordnung zulässig, bei einer Teilnehmerzahl von weniger als 50 Personen auch bei einer im Antwort-Wahl-Verfahren geschriebenen Klausur keine relative Bestehensgrenze vorzusehen. Diese habe keine verlässliche Basis. Die Klausur vom 18. September 2018 zum Nachprüfungstermin hätten nur 20 Teilnehmer und Teilnehmerinnen geschrieben. Bei den jeweils ersten Prüfungsterminen im Juli eines jeden Jahres hätten in den Jahren 2015-2018 im Durchschnitt etwa 358,5 Studierende teilgenommen, davon 353,25 im Erstversuch. In der Nachprüfungswoche seien es durchschnittlich 21,75 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, davon 5,25 im Erstversuch. Die Klausur sei durch mindestens zwei Prüfer vorbereitet worden, nämlich durch die Klausurenkonferenz, die am 26. Juni 2018 getagt habe. Der Prüfungsausschuss sei bei der Sitzung vom 6. Februar 2019 beschlussfähig gewesen. Insbesondere sei der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die gesamte Sitzungszeit über anwesend gewesen neben weiteren Mitgliedern des Prüfungsausschusses. Der Vorsitzende des Widerspruchsausschusses habe eine Ermessensentscheidung treffen dürfen, ob er allein über den Widerspruch entscheide. Diese sei nicht zu beanstanden. Die Regelungen in der maßgeblichen Prüfungsordnung zu den Wiederholungsmöglichkeiten verstießen nicht gegen
§ 65 HmbHG
. Die Vorgabe, dass eine Klausur nur wiederholt werden dürfe, wenn nicht 60 % der geforderten Punkte erreicht worden seien, diene dazu, die Wiederholung von bereits bestandenen Klausuren auszuschließen. Auch die Bestehensgrenze seien nicht zu beanstanden. Die Module hätten unterschiedliche Teilleistungen, die verschieden gewichtet seien. In jedem Fall müssten 60 % der Gesamtpunkte eines jeden Moduls erreicht werden.
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20
Das Gericht hat die Sachakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte zum Aktenzeichen 2 K 1430/22 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
VG Berlin 4. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 13.12.2017 | 1 | Randnummer
1
Der Kläger ist Briefmarkenhändler. Er wendet sich gegen die im Zusammenhang mit der bei Euro-Einführung erfolgten Außerverkehrsetzung der alten Postwertzeichen.
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2
Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Wirtschafts- und Währungsunion stellte die Bundesregierung Überlegungen an, auf deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen (im Folgenden: DM-Briefmarken) zum 1. Januar 2002 auf Euro umzustellen. Die Zweckmäßigkeit einer unmittelbaren Koppelung an die Einführung von Euro-Banknoten und –Münzen ab 1. Januar 2002 stand bei diesen Überlegungen im Vordergrund (zweiter Bericht des Arbeitsstabes Europäische Wirtschafts- und Währungsunion des Bundesministeriums der Finanzen und der Bundesministerien – AS WWU – vom 27. März 1998, BT-Drs. 13/10251, S. 19). Im dritten Fortschrittsbericht AS WWU vom 21. April 1999 (BT Drs. 14/882, S. 25) heißt es hierzu:
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3
„Nach den Überlegungen der Bundesregierung werden auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen zum 1. Januar 2002 auf Euro (Cent) umgestellt. Ab diesem Zeitpunkt wird das BMF nur noch Postwertzeichen herausgeben, die auf Cent lauten. Auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen werden ab dem 1. Juli 2002 ungültig. Eine entsprechende Erklärung des BMF dazu wird vorbereitet. Die Deutsche Post AG, die gemäß § 54 Postgesetz bis zum 31.12.2002 ausschließlich die vom BMF herauszugebenden Postwertzeichen verwendet, ist mit einer Weiterverwendung von Postwertzeichen, die auf Deutsche Pfennig lauten, bis zum 30. Juni 2002 einverstanden.
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4
Die Deutsche Post AG beabsichtigt, die bis zum 30. Juni 2002 gültigen Postwertzeichen, die auf Deutsche Pfennig lauten, ab dem 1. Juli 2002 gegen auf Cent lautende Postwertzeichen umzutauschen. […]“
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5
Am 27. Januar 2000 gab das Bundesministerium der Finanzen (BMF) eine Pressemitteilung u.a. mit folgendem Inhalt heraus:
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6
„Auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen werden ab dem 01.07.2002 ungültig, können also noch bis zum 30.06.2002 verwendet werden. Die Deutsche Post AG wird diese Postwertzeichen ab 01.07.2002 gegen solche mit Euro (Cent)- Aufdruck umtauschen.“
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7
Im fünften und letzten Fortschrittsbericht AS WWU vom 11. Juli 2001 (BT-Drs. 14/6722, S. 42) ist zu Postwertzeichen ausgeführt:
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„ […] Alle neuen Briefmarken des Jahres 2001 erscheinen mit beiden Währungsbezeichnungen. Zum 1. Januar 2002 werden dann auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen generell auf Euro (Cent) umgestellt. Ab diesem Zeitpunkt wird das Bundesministerium der Finanzen (BMF) nur noch auf Cent lautende Postwertzeichen herausgeben. Auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen werden ab dem 1. Juli 2002 ungültig, können also noch bis zum 30. Juni 2002 verwendet werden.
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9
Die Deutsche Post AG, die gemäß § 54 Postgesetz bis zum 31. Dezember 2002 ausschließlich die vom BMF herausgegebenen Postwertzeichen verwendet, wird auf Deutsche Pfennig lautende Postwertzeichen ab dem 1. Juli 2002 gegen solche mit Cent umtauschen. […]“
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10
In einer Pressemitteilung vom 30. Mai 2002 gab das BMF u.a. bekannt:
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11
„Bezugnehmend auf die Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. Januar 2000 wird aus aktuellem Anlass nochmals darauf hingewiesen, dass Postwertzeichen, die nur auf Deutsche Pfennig lauten,
ab dem 01. Juli 2002 ungültig werden
. Diese Postwertzeichen können noch bis zum 30. Juni 2002 verwendet werden. Die Deutsche Post AG bietet ab dem 1. Juli 2002 einen Umtausch gegen Postwertzeichen mit Euro (Cent)-Aufdruck an.“
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Eine weitere Pressemitteilung ähnlichen Inhalts erging am 24. Juni 2002. Ob dem eine entsprechende schriftliche und unterzeichnete Verfügung zugrunde lag, ist nicht mehr aufklärbar. Dem Kläger, der nach eigenem Bekunden schon vor der Euro-Einführung Bedenken gegen die Zulässigkeit der Ungültigkeitserklärung hatte, waren die Pressemitteilungen des BMF bekannt. Von einer Klageerhebung sah er zunächst ab, da ein anderer Briefmarkenhändler direkt nach der Umstellung der Postwertzeichen gegen die Deutsche Post AG geklagt und in der ersten Instanz obsiegt hatte. Jene Streitsache endete im Jahre 2005 ohne Erfolg (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – XI ZR 395.04 –, juris). Der Kläger suchte sodann mit einer im Jahre 2008 erhobenen Klage gegen die Deutsche Post AG zunächst zu erstreiten, dass diese Briefe/Päckchen und Postkarten für ihn transportiere, wenn er diese Sendungen mit DM-Briefmarken im Gegenwert der gültigen Beförderungstarife frankiere. In jenem Verfahren trug er vor, dass zwar im Vorfeld der Euro-Einführung alle Beteiligten davon ausgegangen seien, dass das BMF die DM-Briefmarken für ungültig erklären werde, jedoch habe sich niemand mit der rechtlichen Befugnis hierzu beschäftigt. Als deren Fehlen erkannt worden sei, habe der Bundesfinanzminister der Deutschen Post AG geholfen, in Pressemitteilungen darauf hinzuweisen, dass die alten Briefmarken mit der Einführung des Euro ungültig würden. Die Pressemitteilungen hätten dem Zweck gedient, – wahrheitswidrig – den Eindruck zu erwecken, der Bundesfinanzminister habe die DM-Briefmarken tatsächlich für ungültig erklärt. Diese Klage blieb ohne Erfolg (LG Bonn, Urteil vom 7. September 2009 – 10 O 439/08 –; OLG Köln, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 17 U 109/09 –). In einem im Jahre 2010 vor der erkennenden Kammer anhängig gemachten Verwaltungsstreitverfahren suchte er sodann, Auskünfte des BMF zum Ablauf der Ungültigkeitserklärung der DM-Briefmarken zu erstreiten. Die Kammer wies die Klage mit der Begründung ab, die Behörde habe dem Auskunftsbegehren des Klägers entsprochen. Daran ändere der Umstand nichts, dass die Behördenvorgänge aus der Sicht des Klägers defizitär seien (Urteil der Kammer vom 2. Februar 2012 – VG 4 K 611.10 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2016 – OVG 11 N 40.12 –).
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Mit der am 8. September 2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt im Wesentlichen vor: Die Klage auf Feststellung, dass seine DM-Briefmarken in Abwesenheit eines die DM-Briefmarken für ungültig erklärenden Verwaltungsakts noch gültig seien, sei zulässig. Denn es gehe um das an Postwertzeichen anknüpfende Rechtsverhältnis, aus dem dem Erwerber von DM-Briefmarken in Ermangelung einer Ungültigkeitserklärung ein Recht auf Beförderung der hiermit frankierten Sendung zustehe. Sein Rechtsschutzinteresse ergebe sich aus dem Bedürfnis nach grundsätzlicher Feststellung, nachdem die Existenz einer Ungültigkeitserklärung im Zivilrechtsstreit gegen die Deutsche Post AG nur stillschweigend vorausgesetzt worden sei. Erst durch das Verfahren VG 4 K 611.10 / OVG 11 N 40.12 habe festgestanden, dass Verwaltungsakte, die zur Ungültigkeitserklärung notwendig gewesen wären, nicht existierten. Es gehe ihm nicht in erster Linie um wirtschaftliche Interessen, vielmehr müsse ein Verwaltungsakt, der es einem Konzern ermögliche, sich zu Lasten eines sehr großen Teils der Bevölkerung um mehrere Milliarden Euro zu bereichern, rechtlich überprüfbar sein. Sein Vertragspartner sei die Deutsche Post AG, folglich wolle er vom BMF kein Handeln erreichen. Vielmehr gehe es ihm darum, über die vorliegende Feststellungsklage die Behauptung der Deutschen Post AG, es habe eine wirksame Ungültigkeitserklärung gegeben, zu entkräften und ihr gegenüber seine Ansprüche durchzusetzen.
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Die Klage sei begründet, weil ein Verwaltungsakt, mit dem die DM-Briefmarken für ungültig erklärt wurden, tatsächlich nicht existiere. Die Pressemitteilungen seien hierfür kein Beleg. Immerhin gebe es in jedem Jahr Hunderte von Pressemitteilungen von Bundesministerien, die keine Verwaltungsakte seien. Der Verwaltungsvorgang gebe für dessen Existenz nichts her. Immerhin habe auch die Deutsche Post AG in einem Schreiben vom 6. Mai 2002 das Fehlen einer förmlichen Ungültigkeitserklärung gerügt. Trotz weitläufiger Verschriftlichung der Verwaltungsabläufe finde sich in den Verwaltungsakten kein Hinweis darauf, wer die fragliche Entscheidung getroffen habe. Die Beklagte könne nicht einwenden, dass der Vorgang nach so langer Zeit nicht mehr lückenlos dokumentiert werden könne. Denn die Beklagte habe die Richtlinie zum Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien zu beachten.
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Jedenfalls entfalte die Ungültigkeitserklärung wegen fehlerhafter Bekanntgabe keine Rechtswirkungen. Pressemitteilungen seien hierfür nicht ausreichend gewesen. Es handele sich um keine „ortsübliche Bekanntmachung“ im Sinne von § 41 Abs. 4 VwVfG. Die Art der Veröffentlichung sei nicht geeignet gewesen, Millionen von Bürgern zu erreichen, die im Besitz von DM-Briefmarken gewesen seien. Die Behörde habe auch nicht angegeben, wo der Verwaltungsakt habe eingesehen werden können. Auch sei entgegen § 37 Abs. 3 VwVfG nicht erkennbar, wer den Verwaltungsakt – und wann – erlassen habe. Dass es sich um eine Veröffentlichung des BMF handele, genüge nicht. Die zweite Presseerklärung, die als einzige einschließlich Entwurf dokumentiert sei, verweise lediglich auf die erste Presseerklärung.
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Zumindest sei eine Ungültigkeitserklärung, die sich auf „alle in Deutsche Pfennig lautenden Postwertzeichen“ erstrecke, teilweise nichtig. Denn § 43 Abs. 1 PostG bestimme, dass das BMF die Befugnis habe, Postwertzeichen mit dem Aufdruck „Deutschland“ auszugeben und d i e s e für ungültig zu erklären. Indes habe auf den bis 1995 ausgegebenen Postwertzeichen „Deutsche Bundespost“ gestanden. Überdies verstoße eine Ungültigkeitserklärung der DM-Briefmarken gegen Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97, wonach sich niemand aufgrund der Einführung des Euro durch Verweigerung rechtlicher Verpflichtungen bereichern dürfe. Der Wegfall eines Leistungsanspruchs bei der Deutschen Post AG habe letztlich zu einer Bereicherung des Bundes geführt, der hinter der Deutschen Post AG gestanden habe. Dies stelle einen Verstoß gegen die guten Sitten dar. Seit 1969 seien Postwertzeichen unbegrenzt gültig gewesen. Ein entsprechendes Vertrauen der Käufer sei durch die Ungültigkeitserklärung enttäuscht worden. Außerdem habe es keinen zwingenden Anlass gegeben, die alten Postwertzeichen für ungültig zu erklären. Insbesondere hätten auch schon vor 2002 Postbeamte vor 1969 herausgegebene – und somit ungültige – Marken erkennen müssen.
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Der Kläger beantragt
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festzustellen, dass seine D-Mark-Briefmarken noch gültig sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, eine nicht fristgebundene Feststellungsklage in Bezug auf einen Verwaltungsakt, der bei Klageerhebung bereits mehr als 15 Jahr in der Vergangenheit liege, verstoße gegen Treu und Glauben. Denn der Kläger habe nach eigener Darstellung die Ungültigkeitserklärung von Anfang an für rechtswidrig gehalten und gleichwohl mit dem Beginn – anderweitiger – gerichtlicher Verfolgung seiner diesbezüglichen Interessen bis 2008 zugewartet. Die gesamte Öffentlichkeit gehe seit eineinhalb Jahrzehnten davon aus, dass es mit der Ungültigkeitserklärung der alten Postwertzeichen sein Bewenden haben solle. Ein „Wiederaufrollen“ würde unverhältnismäßige Schwierigkeiten bei der Umsetzung mit sich bringen und das Vertrauen in die Rechtssicherheit staatlichen Handelns erschüttern. Der Kläger sei auch nicht schutzbedürftig, da auch er die Möglichkeit des Umtauschs der für ungültig erklärten Postwertzeichen gehabt habe. Wenn er hiervon in der Erwartung einer günstigen Preisentwicklung abgesehen habe, müsse er sich eine etwaige Enttäuschung dieser Erwartung selbst zuschreiben.
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Sie, die Beklagte, sei sich des Erfordernisses einer Verwaltungsentscheidung über die Ungültigkeit von Postwertzeichen ausweislich des Verwaltungsvorgangs bewusst gewesen. Diese Entscheidung sei durch den zuständigen Referenten hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen geprüft und sodann die Entscheidung getroffen worden, die mittels besagter drei Pressemitteilungen bekanntgegeben worden sei. Die Pressemitteilung lasse unmittelbar erkennen, welche Behörde eine Entscheidung mit welchem Regelungsinhalt getroffen habe. Die Bekanntgabe sei mit den Pressemitteilungen im Jahre 2002 wiederholt worden. Eine direkte Mitteilung an die Betroffenen sei angesichts des Personenkreises offensichtlich nicht möglich gewesen, weshalb die Pressemitteilung als Bekanntgabeform gewählt worden sei.
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Eine Ungültigkeitserklärung sei keineswegs vor dem Hintergrund der seit 1969 vorgenommenen Ausgabe unbegrenzt gültiger Postwertzeichen ausgeschlossen gewesen. Denn mit dem Verzicht auf ein Ablaufdatum sei nicht der endgültige Verzicht auf eine entsprechende spätere Regelung verbunden gewesen. So habe es sich etwa bei der Ungültigkeitserklärung der Postwertzeichen mit dem Aufdruck „Deutsche Bundespost Berlin“ im Jahre 1990 verhalten. Eine während des Bestehens der Deutschen Bundespost entstandene Verwaltungspraxis, Ungültigkeitserklärungen von Postwertzeichen im Amtsblatt des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation zu veröffentlichen, entfalte keine Bindungswirkung für die Zeit nach Privatisierung der Post und Wegfall des entsprechenden Ministeriums. Der Verwaltungsvorgang sei nicht lückenlos, da die „Ungültigkeitserklärung der DM-Briefmarken“ kein eigenständiger Vorgang sondern Teil eines Gesamtvorganges „Währungsunion und –umstellung“ gewesen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrage leistet. | 0 |
VG Gießen 8. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 19.06.2013 | 1 | Randnummer
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Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Kosten eines Feuerwehreinsatzes. In den Abendstunden des 01.07.2010 wollte der Kläger auf dem zu seiner Wohnung im Hause A-Straße in A-Stadt gehörenden Balkon grillen. Hierzu benutzte der Kläger eine kleine, sehr niedrige Grillschale, die er im vorderen Bereich des Balkons aufstellte. Die Grillkohle wurde mittels Grillanzünder und einem portablen Anzündkamin auf dem Grill entzündet. Der Grillkohlensack befand sich in unmittelbarer Nähe zum Grill. Circa 5 Minuten nach Umfüllen der Glut aus dem Kamin auf dem Grill gab der Kläger weitere Grillkohle direkt aus dem Grillkohlesack auf die Glut. Der Grillkohlesack wurde anschließend in einen Stauraum innerhalb der Wohnräumlichkeiten im Dachgeschoss verbracht. Kurze Zeit nach Verräumung der Grillkohle nahm der Kläger Knackgeräusche aus dem betreffenden Stauraum wahr. Er ging diesen Geräuschen nach und fand den Grillkohlesack klimmend und rauchend vor. Auch Teile der darüber befindlichen Dachisolierung hatten sich bereits entzündet. Der Kläger löschte die Brandstelle und alarmierte zur Sicherheit die Feuerwehr. Diese rückte unter dem Einsatzstichwort F2, Brand in Gebäuden, und mit dem Hinweis „Dachstuhlbrand“ mit vier Einsatzfahrzeugen und 18 Einsatzkräften aus. Die Feuerwehr kontrollierte nach Öffnung der Deckenverkleidung die Brandstelle mittels Wärmebildkamera, wobei weitere Brandherde nicht festgestellt wurden. Der Einsatz wurde um 21.24 Uhr beendet.
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Mit Bescheid vom 03.09.2010 setzte die Beklagte für diesen Feuerwehreinsatz Kosten in Höhe von 1.122,-- € gegenüber dem Kläger fest und forderte diesen auf, den Betrag innerhalb eines Monats durch Zahlung auf eines der Konten der Stadtkasse zu begleichen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe den Brand grob fahrlässig verursacht.
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Mit Schreiben vom 29.09.2010 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Er führte aus, der Kohlesack habe einen Funken gefangen, der nach Einlagerung des Kohlesacks zu einem Feuer geführt habe, welches er, der Kläger, jedoch selbständig habe löschen können. Grobe Fahrlässigkeit liege nicht vor. Einen Betrag von 450,-- € werde er, der Kläger, für die Dienste der Feuerwehr aber überweisen.
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4
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und setzte die Kosten für das Widerspruchsverfahren auf 150,-- € fest. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, indem er Holzkohle direkt aus der Vorratstüte auf die Glut nachgeschüttet habe, wodurch ein erheblicher Funkenflug entstanden sei. Dann habe der Kläger den Holzkohlevorrat in einen nicht einsehbaren Stauraum verbracht, so dass dieser außerhalb jeglicher Kontrolle gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid, der den Bevollmächtigten des Klägers am 04.05.2012 zugestellt wurde, Bezug genommen.
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5
Der Kläger hat am 04.06.2012 Klage erhoben. Er trägt vor, ein Vorwurf der grob fahrlässigen Handhabung sei ihm nicht zu machen. Insbesondere begründe der Umstand, dass er, der Kläger, Kohle aus dem Kohlesack direkt in die Glut nachgefüllt habe, nicht den Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit. Beim Verbrennen von Holzkohle entstehe naturgemäß immer Funkenflug, so dass bereits durch die bloße Verbrennung ein Funke unbemerkt in den Sack habe gelangen können. Beim Kohlenachfüllen entstehe per se nicht vermeidbarer Funkenflug. Dass er, der Kläger, den Kohlesack nach dem Kohlenachfüllen verschlossen und weit weg vom Grill deponiert habe, zeige hingegen, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße eingehalten habe. Denn durch das entfernte Lagern habe er gerade verhindern wollen, dass sich das leicht brennbare Material in direktem und räumlich nahem Verhältnis zum Grill befinde. Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vortrages wird auf den Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 02.10.2012 verwiesen.
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Der Kläger beantragt,
den Kostenbescheid der Beklagten vom 03.09.2010 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27.04.2012 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, indem er unmittelbar aus der Papiertüte heraus die Holzkohle nachgeschüttet und dann die Tüte mit dem restlichen Inhalt in einen nicht einsehbaren Abstellraum mit einer Holz- und Kunststoffverkleidung verbracht habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 07.08.2012 Bezug genommen.
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9
Mit Beschluss vom 06.12.2012 hat das Gericht den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Behördenakte der Beklagten (1 Hefter) ist zum Verfahren beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. | 0 |
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein 4. Senat | Schleswig-Holstein | 0 | 0 | 22.05.2017 | 1 | Randnummer
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des Normenkontrollverfahrens die Feststellung der Unwirksamkeit von
§ 2 Abs. 1 der Landesverordnung über jagdbare Tierarten und über die Jagdzeiten
vom 11. März 2014, soweit dadurch die Jagdzeit für Feldhasen eingeschränkt wurde.
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Mit der Landesverordnung über jagdbare Tierarten und über die Jagdzeiten (im Folgenden: JagdzeitenVO) vom 11. März 2014 (GVOBl S-H S. 58) wurde die bis dahin geltende Landesverordnung über jagdbare Tierarten und über die Jagdzeiten vom 18. Oktober 2005 (GVOBl S-H S. 508), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Januar 2010 (GVOBl S-H S. 12), außer Kraft gesetzt. Die nunmehr geltende Landesverordnung bestimmt in ihrem § 1 - über § 2 Abs. 1 BJagdG hinaus -, dass die dort unter Ziffer 1 bis 8 aufgeführten Tierarten dem Jagdrecht unterliegen. In ihrem § 2 Abs. 1 bestimmt sie für die nach Bundes- und Landesrecht jagdbaren Wildarten - abweichend von der Bundesverordnung über die Jagdzeiten vom 2. April 1977 (BGBl. I S. 531), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25. April 2002 (BGBl. I S. 1487), - näher bestimmte Jagdzeiten. So wird die Jagdzeit für Feldhasen nunmehr einschränkend auf den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember festgesetzt. Davor durfte die Jagd auf Feldhasen in der Zeit vom 1. Oktober bis 15. Januar ausgeübt werden, vgl. § 1 Abs. 1 der Bundesverordnung über die Jagdzeiten vom 2. April 1977 (BGBl. I 531), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 25. April 2002 (BGBl. I S. 1487). Die Jagdzeitenverordnung des Landes Schleswig-Holstein ist gemäß § 3 Abs. 1 1. Halbsatz am Tage nach ihrer Verkündung, mithin am 28. März 2014 in Kraft getreten.
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Am 27. März 2015 hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO gestellt.
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4
Der Antragsteller macht zum Sachverhalt geltend, er sei Pächter des gemeinschaftlichen Jagdbezirks … in … . In dem ca. 425 ha großen Jagdbezirk seien gute Hasenbesätze vorhanden. Die Bejagung der Feldhasen sei in den ersten beiden Januarwochen nicht mehr möglich, obwohl in dieser Zeit gute Voraussetzungen für die Jagd auf Feldhasen bestünden. Eine Hege und Erhaltung eines gesunden Wildbestandes sei nicht mehr möglich. Der Antragsteller habe ca. 40 Hasen pro Jahr geschossen und eine schonende Bejagung betrieben. Er habe sein Jagdausübungsrecht immer verantwortungsvoll gehandhabt.
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In rechtlicher Hinsicht macht der Antragsteller geltend, sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen des Normenkontrollantrages seien erfüllt. Insbesondere sei auch die Antragsbefugnis des Antragstellers gegeben, weil er im Sinne von § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO als natürliche Person geltend machen könne, durch die Landesverordnung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheide, sei dies – wie bei der Klagebefugnis – zu verneinen. Dem Antragsteller werde durch § 2 Abs. 1 der streitgegenständlichen Landesverordnung die Möglichkeit genommen, die Jagd auf Feldhasen im Januar auszuüben. Hierdurch werde in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen. Auf dieses Grundrecht dürfe sich nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 12.08.2002 – 1 KN 27/03 –, Natur und Recht 2005, 269) sogar der Jagdgast berufen. Dies müsse erst recht für den Jagdpächter gelten. Darüber hinaus werde in das eigentumsrechtlich fundierte Jagdausübungsrecht eingegriffen.
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Der Antrag sei auch begründet, da § 2 Abs. 1 JagdzeitenVO gegen höherrangiges Recht, nämlich gegen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG sowie gegen das in Art. 20
Abs. 3 GG enthaltene Rechtstaatsprinzip verstoße.
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Art. 14 Abs. 1 GG schütze den Bestand des Eigentums und dessen Nutzung. Ein als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums ausgestalteter Eingriff sei nur dann zulässig, wenn er durch hinreichende Gründe des öffentlichen Interesses und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sei. Gerade mit Blick auf die Jagdausübung sei von besonderer Bedeutung, dass die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprächen, so schwerwiegend sein müssten, dass sie “Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gesichert wird“ (BVerfGE 83, 201/212, unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, 263/294 f.; 58, 300/351). Überkommene und typische Grundformen und Grundstrukturen, die das Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne sichern, dürften nicht auf dem Altar der legislativen Ausgestaltungsbefugnis geopfert werden. Der Gesetzgeber habe insbesondere die grundgesetzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten. Aus diesem Grunde habe der Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Aufgabe, ein Normengeflecht zu schaffen, das dem Eigentum – und damit auch dem eigentumsrechtlich verorteten Jagd- und Jagdausübungsrecht – Konturen einzieht und zugleich Grenzen aufzeigt. Dabei sei zu beachten, dass sowohl das Eigentum sowie auch dessen Ausübung nicht lediglich durch Gesetz oder sonstigen Rechtsakt verliehene Rechtspositionen seien. Eine „Verfassung nach Gesetz“ sei daher ausgeschlossen, ebenso wie das „Eigentum nach Gesetz“ und damit auch ein „Jagdrecht nach Gesetz“ bzw. ein „Jagdausübungsrecht nach Gesetz“.
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8
Dem Antragsteller stehe als Pächter des Jagdbezirks das Jagdausübungsrecht zu. Durch die Verpachtung erhalte ein Pächter ein vom Eigentümer abgeleitetes, indes selbständiges Jagdausübungsrecht, welches auch nur einheitlich verpachtet werden könne (§ 11 Abs. 1 S. 1 BJagdG). Auch das Jagdausübungsrecht stelle „Eigentum“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG dar, und zwar unabhängig davon, ob es vom Eigentümer einer Eigenjagd verpachtet wird oder von einer Jagdgenossenschaft (BGH, DVBl. 1982 S. 1090 / 1091; BVerwG, DVBl. 1983 S. 898 f.). Die durch das Jagdausübungsrecht geschützte Jagdausübung umfasse nach § 1 Abs. 4 BJagdG das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild bzw. Wildtieren. Im Hinblick auf das Jagdausübungsrecht sei von besonderer Bedeutung, dass sich in der verfassungsrechtlich geschützten Privatnützigkeit des Eigentums der unmittelbare Nutzen des Jagdausübungsrechts manifestiere. Zwar sei dieses Recht ein pflichtengebundenes Recht, welches die Pflicht zur Hege einschließe. Auf der anderen Seite sei es aber dadurch gekennzeichnet, dass es dem einzelnen Rechtsinhaber „von Nutzen“ sein solle. Dies schließe auch das Recht ein, im eigenen Interesse einen jagdlichen Ertrag zu erwirtschaften, mithin gehegtes Wild auch in angemessener Weise „ernten“ zu können.
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Die Festlegung von Jagd- und insbesondere Schonzeiten stelle eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Jagdausübungsrechts dar. Deren Verkürzung oder gar vollständiger Ausschluss - das heißt das Leerlaufen der Nutzungsmöglichkeit in der Schonzeit – bedürfe einer besonderen Rechtfertigung. Der Eingriff in das jagdliche Eigentum dürfe nicht willkürlich sein. Er müsse sachlich gerechtfertigt sein, etwa durch Gründe des Artenschutzes oder im Falle einer Bestandsbedrohung. Allgemeine Erwägungen der Zweckmäßigkeit, mithin dessen, was “vernünftig“ oder “sinnvoll“ ist, genügten schon nach den Vorgaben durch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht. Darüber hinaus würden sie vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben ebenfalls nicht genügen. Auch müsse der Eingriff namentlich der Verpflichtung zur Hege Rechnung tragen. Der Verordnungsgeber müsse für jede einzelne Tierart begründen können, warum die Anordnung einer Schonzeit bzw. die Verkürzung von Jagdzeiten durch hinreichend gewichtige Schutzzwecke, durch die Erforderlichkeit, Geeignetheit und Zumutbarkeit der jeweils angeordneten Jagd- und Schonzeiten sachlich gerechtfertigt sei. Der Verordnungsgeber müsse zur Rechtfertigung des Eingriffes hinreichende sachliche, nachvollziehbare und legitime Gründe – etwa solche wildbiologischer Art – ins Feld führen können. Er dürfe seine Entscheidung auch nur auf vertretbare und methodisch gültige, zudem wissenschaftlich akzeptierte und praktisch belegbare Prognosen stützen; bloße Mutmaßungen reichten hierfür nicht aus. Allein die Erwägung, dass der Jagdausübungsberechtigte für die Jagd bestimmte, nicht allein aus seinem privaten Recht zur Jagd ableitbare Gründe des Gemeinwohls vorweisen müsse, sei mit der Eigentumsgarantie der Verfassung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Auch eine nur formalistische Begründung hätte mithin vor dem Grundgesetz keinen Bestand. Dasselbe gelte für eine Verkürzung von Jagdzeiten lediglich aus ideologischen Gründen. Auch allgemeine Erwägungen der Zweckmäßigkeit könnten eine Einschränkung von Jagdzeiten nicht rechtfertigen. Dabei werde bei ganzjährigen Schonzeiten regelmäßig der Artenschutz im Vordergrund stehen, während bei einer temporären Schonzeit im Regelfall das Interesse an einer ausgewogenen Wildpopulation im Vordergrund stehen werde; letztlich werde damit das Hegeziel eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten Wildbestandes verfolgt, welches in § 1 Abs. 2 Satz 1 BJagdG enthalten sei. Demgegenüber könne das weitere im Bundesjagdgesetz enthaltene Ziel der Beeinträchtigung einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere durch Wildschäden, zu verhindern, durch derartige Maßnahmen naturgemäß nicht erreicht werden.
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10
Die Verkürzung der Jagdzeiten sei unverhältnismäßig und verstoße gegen das Rechtstaatsprinzip. Das Jagdausübungsrecht des Antragstellers werde erheblich eingeschränkt. Er könne keine effektive Wildschadensabwehr mehr betreiben. Dies stelle einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff in das das Jagdausübungsrecht umschließende Eigentumsrecht dar. Zudem würden die von der Ermächtigungsgrundlage vorgegebenen Maßgaben missachtet. Das Programm der Verordnungsermächtigung sei in
§ 17a LJagdG
enthalten. Die Landesverordnung sei aufgrund der
§§ 17a
und
38 LJagdG
erlassen worden und müsse sich infolgedessen an den vorgegebenen gesetzlichen Rahmen halten. Sie müsse nicht nur den in § 1 Abs. 2 BJagdG festgelegten Zielen und Grundsätzen der Hege gerecht werden, sondern auch die Erfordernisse des Naturschutzes und des Tierschutzes beachten. Der in § 1 Abs. 2 BJagdG normierte Aspekt der Hege fordere eine angemessene, mithin nicht zu hohe Populationsdichte. Diese sei aber nicht sicherzustellen, wenn eine effiziente Bejagung nicht durchgeführt werden dürfe. Ein zu hoher Wildbestand stehe im Gegensatz zur Erhaltung eines gesunden Wildbestandes, da zu viel Wild in einem bestimmten Gebiet die Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten und dem Entstehen von Wildschaden Vorschub leiste.
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Es fehle ferner an einer hinreichenden sachlichen Begründung. Dies verletze das Rechtstaatsprinzip. In der Begründung werde weder auf die Eigentumsrelevanz der Regelung eingegangen noch würden wildbiologische Aspekte aufgeführt. Wie auch bereits das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht entschieden habe, komme die Verkürzung von Jagdzeiten nicht aus jedwedem Grund in Betracht; hierfür seien „besondere Gründe“ erforderlich (unter Hinweis auf OVG Schleswig Az.: 1 KN 27/03 und OVG Schleswig, Urt. v. 12.08.2004 – 1 KN 24/03 –). Die Behauptung des Verordnungsgebers, die Ausübung der Jagd würde die Tiere scheu machen, sei apodiktisch und unzutreffend; beim Feldhasen bleibe vollkommen außer Ansatz, dass für diesen die Beunruhigung im Feld vor allem durch Wanderer, Fahrradfahrer, Jogger und andere Freizeitsportler hervorgerufen werde und zudem auch landwirtschaftliche Aktivitäten für eine Beunruhigung des Feldhasen sorgten. Demgegenüber falle die Bejagung nicht ins Gewicht. Die Absicht, Jagdzeiten zu synchronisieren, blende wildbiologische Vorgaben aus. Für eine artgerechte Festlegung von Jagd- und Schonzeiten bedürfe es jeweils der Berücksichtigung artspezifischer Aspekte. Dies werde negiert, wenn Jagdzeiten gewissermaßen über einen Leisten geschlagen und letztlich lediglich mit dem Argument gerechtfertigt würden, dass Gemeinschaftsjagden auf diese Weise konzentriert werden könnten. Die Einschränkung der Jagdzeit auf den Feldhasen mit letztlich nichtssagender Begründung verstoße deshalb auch gegen das Rechtstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG.
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Der Eingriff in das das Jagdausübungsrecht umfassende Grundrecht auf Eigentum sei unverhältnismäßig. Der Verordnungsgeber setze sich zu der in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage vorgegebenen Vorgabe in deutlichen Widerspruch, wonach er für die Verhinderung von Wildschäden Sorge zu tragen habe. Dieses gesetzgeberische Ziel könne mit der angegriffenen Regelung gerade nicht erreicht werden. Es sei mithin ungeeignet und verfassungsrechtlich unzulässig. Die Regelung sei auch nicht erforderlich. Die Beibehaltung der bisherigen auch unter wildbiologischen Aspekten sachgerechten Jagdzeit auf den Feldhasen wäre das mildere Mittel gewesen, um den gleichen jagdlichen Erfolg – die Erfüllung der Abschusszahlen – erreichen zu können.
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Die Regelung sei auch unzumutbar und damit unverhältnismäßig im engeren Sinne. Das Jagdausübungsrecht des Antragstellers werde ohne tragfähigen Sachgrund unmöglich gemacht. Das eigentumsrechtlich zu verortende Jagdausübungsrecht habe der Verordnungsgeber nicht mit dem ihm gebührenden Gewicht in die geschuldete Abwägung eingestellt. Auch habe der Verordnungsgeber außer Acht gelassen, dass das Eigentum vorrangig den Eigentümer verpflichte und zwar dahingehend, dass dieser das Eigentum in einer zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Art und Weise nutze. Das Grundgesetz vertraue mithin darauf, dass der Eigentümer sein Eigentum verantwortungsvoll wahrnehme – zugleich aber auch wirkungsvoll und durchaus zum eigenen Nutzen wahrnehmen können müsse. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe missachte der Verordnungsgeber. Zudem beachte der Verordnungsgeber die in
§ 17a LJagdG
niedergelegte Vorgabe nicht, wonach bei der Festsetzung von Bundesrecht abweichenden Jagdzeiten die Erfordernisse des Naturschutzes zu berücksichtigen seien. Die Regelung nehme dem Antragsteller letztlich die Möglichkeit, eine auch am Naturschutzgedanken ausgerichtete Bejagung durchzuführen. Die eigentumsrechtlich verdichteten Belange des Antragstellers seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Aspekt der Synchronisation bilde keinen rechtstaatlich tragfähigen Grund für den dadurch bewirkten Eingriff in das Jagdausübungsrecht.
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Auch wenn der Zeitraum von zwei Wochen, um den die Jagdzeit für den Feldhasen durch die Verordnung verkürzt wurde, überschaubar sei, verbleibe es bei den geltend gemachten Bedenken. Die zweiwöchige Verkürzung sei nicht erforderlich, um die Hasen während der Paarungs- und Setzzeit zu schützen und deshalb durch Aspekt des Tierschutzes nicht gerechtfertigt. Hasen seien generell durch eine hohe Fruchtbarkeitsrate gekennzeichnet. Das Weibchen könne mehrmals im Jahr Nachwuchs zur Welt bringen. Im Übrigen seien die Hasenbesätze in Schleswig-Holstein an der Westküste überaus gut, so dass auch insoweit eine Verkürzung der Jagdzeit sachlich nicht gerechtfertigt sei.
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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners schulde der Verordnungsgeber nicht lediglich die Verordnung als solche, sondern auch eine hinreichend sachliche Begründung. Die Begründungspflicht sei im Rechtstaatsprinzip zu verorten und ziele neben der Verwirklichung von Transparenz sowie der effektiven Selbstkontrolle auch auf die Verbesserung bzw. Ermöglichung individuellen Rechtschutzes. Die Begründung gebe erst Aufschluss darüber, welche Motive den Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung geleitet haben. Dies ermögliche häufig erst eine Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsverordnung rechtlichen Bedenken begegne. Auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners sei die Verkürzung der Jagdzeit hinsichtlich des Feldhasen nicht von spezifischen, auf diese Wildtierart bezogenen Erwägungen getragen. Bereits dies begründe einen Verstoß gegen das Rechtstaatsprinzip.
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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners könne ein Eingriff und dessen Unverhältnismäßigkeit auch nicht mit dem Argument in Abrede gestellt werden, dass dem Antragsteller noch eine Vielzahl jagdlich nutzbarer Wildarten verbleibe, so dass von einer wesentlichen Einschränkung des Jagdausübungsrechts nicht gesprochen werden könne. Dies lasse außer Acht, dass durch die Verordnung die Jagd auf eine Vielzahl von Wildarten eingeschränkt oder gar ganz ausgeschlossen werde. Die Kumulation der verschiedenen, durch die Landesverordnung bewirkten Grundrechtseinschränkungen begründe deren Unvereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie. Die in der Landesverordnung geregelten Einschränkungen des Jagdausübungsrechtes müssten in ihrer Gesamtheit gesehen und verfassungsrechtlich beurteilt werden. In ihrer Gesamtheit würde die Eigentumsgarantie des Antragstellers in der Sphäre des Jagdrechts und des Jagdausübungsrechtes in unzumutbarer und unverhältnismäßiger Weise ausgedünnt. Es verbleibe nichts mehr an Eigentum, was diesen Namen noch verdiene. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei geklärt, dass mehrere für sich betrachtet möglicherweise angemessene oder zumutbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen könnten, die das Maß der rechtstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreite. Da die Landesverordnung zu den bislang schon vorhandenen Einschränkungen der Jagd zahlreiche weitere Beschränkungen hinzugefügt habe, nämlich in Form weitreichender Verkürzung von Jagdzeiten bzw. dem Ausschluss der Bejagbarkeit zahlreicher Wildtierarten werde eine Belastungsgrenze erreicht, die in ihrer Gesamtheit die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren überschreite.
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17
Schließlich sei noch darauf hinzuweisen, dass Jäger aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage seien, einen Althasen von einem Junghasen zu unterscheiden. Daher könne auch das Argument der Verwechslungsgefahr die Verkürzung der Jagdzeit nicht rechtfertigen.
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18
Aus den gleichen Gründen, die mit Blick auf die Eigentumsgarantie dargelegt worden seien, sei die beanstandete Regelung der Landesverordnung auch wegen Verstoßes gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) unwirksam.
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19
Der Antragsteller beantragt,
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20
§ 2 Abs. 1 der Landesverordnung mit Blick auf die Verkürzung der Jagdzeit auf den Feldhasen wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG i.V.m.
§§ 1
Abs. 4,
11 LJagdG
und gegen Art. 20 Abs. 3 GG für unwirksam zu erklären, als er als Jagdzeit lediglich den Zeitraum vom 01. Oktober bis zum 31. Dezember bestimmt.
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21
Der Antragsgegner beantragt,
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22
den Antrag abzulehnen.
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23
Der Antrag sei unbegründet. Die angefochtene Regelung sei von der Ermächtigungsgrundlage in
§ 17a LJagdG
gedeckt. Diese berechtige die oberste Jagdbehörde, nach den in § 1 Abs. 2 BJagdG bestimmten Zielen und Grundsätzen der Hege und unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Naturschutzes und des Tierschutzes die Jagdzeiten für Wild, auch abweichend von Bundesrecht, durch Verordnung zu bestimmen. Mit der Regelung soll gewährleistet werden, dass bei der Ausübung der Jagd Erfordernisse des Artenschutzes und damit des Naturschutzes berücksichtigt werden. Mit der von der Antragsschrift kritisierten Verkürzung der Jagdzeit für Feldhasen werde das Ziel verfolgt, diese vor Störungen während der Paarungs- und Setzzeit zu schützen. Es würden insofern Erfordernisse des Tierschutzes berücksichtigt. Feldhasen würden sich je nach Witterung oft schon im Dezember paaren. Bei einer Tragzeit von 43 Tagen könnten im Januar schon die ersten Junghasen vorkommen. Die Verkürzung der Jagdzeit solle zum einen das Paarungsgeschehen vor Störungen schützen; zum anderen sollten aber auch Junghasen davor bewahrt werden, als Folge eines irrtümlichen Abschusses ihrer Muttertiere zu verhungern. Deshalb ließen auch die meisten anderen Bundesländer die Jagdzeit für Hasen am 31. Dezember enden. Nur in den Bundesländern Mecklenburg Vorpommern, Bremen, Sachsen und Sachsen Anhalt gelte noch die in der Bundesjagdzeitenverordnung geregelte Jagdzeit. Entgegen der Auffassung des Antragstellers trete die beanstandete Regelung auch nicht mit den in § 1 Abs. 2 BJagdG bestimmten Zielen und Grundsätzen der Hege in Widerspruch. Zunächst sei dies bereits aufgrund der Geringfügigkeit der Verkürzung um lediglich 15 Tage unwahrscheinlich. Zudem seien die Hasenbesätze in Schleswig-Holstein – und hier insbesondere in Dithmarschen und Nordfriesland – zwar noch zufriedenstellend, aber weit davon entfernt, überhöht zu sein. Auch in Schleswig-Holstein seien die Hasenbestände rückläufig. Deshalb bestehe keinerlei Veranlassung, jagdlich einzugreifen. Sollte sich dies in Zukunft einmal ändern, könne einer zu hohen Hasenpopulation zunächst über Anordnungen nach § 27 BJagdG entgegengetreten werden; notfalls wäre dann auch die Jagdzeit für Hasen seitens des Verordnungsgebers zu überdenken.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers habe der Verordnungsgeber sowohl die grundgesetzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch das Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG beachtet und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Dem Antragsteller verbleibe – auch bei einer Gesamtschau aller bei den Jagdzeiten vorgenommenen Änderungen – noch eine Vielzahl jagdlich nutzbarer Wildarten, sodass nicht die Rede davon sein könne, dass die Privatnützlichkeit seines Jagdausübungsrechts als Eigentumsbestandteil aufgehoben oder auch nur wesentlich eingeschränkt worden wäre. Nach wie vor könne er hinsichtlich einer Vielzahl von Wildarten das Jagdausübungsrecht eigenverantwortlich, das heißt zu seinem eigenem Nutzen und Ertrag nutzen.
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Ein wesentlich intensiverer Eingriff wäre die Streichung einzelner Wildtierarten aus dem Katalog jagdbarer Arten (§ 2 BJagdG). Hierauf habe die oberste Jagdbehörde verzichtet.
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Anders als zum Beispiel bei Gesetzentwürfen der Landesregierung gebe es bei Ministerverordnungen keine amtlichen Begründungen, wobei selbst aus der Begründung von Regierungsentwürfen von Gesetzen nur die Auffassung der Landesregierung zur Zeit der Weiterleitung des Entwurfes an das Parlament ersichtlich sei, nicht aber die späteren Erwägungen des Gesetzgebers. Die Begründungen, die Verordnungsentwürfen bei Einleitung der Verbandsanhörung beigegeben würden, sollten lediglich die Verbände über die wesentlichen Überlegungen des Fachressorts informieren. Mitgeteilt würden nur der Stand der Überlegungen zum Zeitpunkt der Verbandsanhörung. Die tragenden Erwägungen, die den Regelungen einer Verordnung in der später in Kraft tretenden Fassung zugrunde liegen, ergäben sich aus dem gesamten Verwaltungsvorgang, in dem das Verordnungsverfahren dokumentiert sei, insbesondere aus dem nach Abschluss der Verbandsanhörung entstandenen Vorgang. Hinsichtlich der Motive des Verordnungsgebers für die Verkürzung der Jagdzeiten könne auf die Ausführungen in Band II des Verwaltungsvorganges Bl. 237 verwiesen werden. Dort seien bei der Auswertung der Verbandsanhörung die wesentlichen Argumente für die Verkürzung der Jagdzeit dargestellt. Diese bezögen sich ausdrücklich auf Hasen und seien damit wildartspezifisch.
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Im Übrigen sei die Regelung auch erforderlich und verhältnismäßig. Für Hasen gebe es, anders als für mehrere Schalenwildarten, keine behördliche Abschussplanung, die vom Jagdausübungsberechtigten zu erfüllen wäre. Es liege allein im Ermessen des Jagdausübungsberechtigten, welche Strecke er bei Hasen anstrebe. Zwar werde als Folge der Kürzung der Jagdzeit um 15 Tage das Zeitfenster (etwas) verkleinert, in dem die Jagd auf Hasen ausgeübt werden könne. Es verblieben aber 3 Monate, in denen ungehindert Hasen bejagt werden könnten. Der Verordnungsgeber lege den Jagdausübungsberechtigten auch nicht nahe, die Jagd auf Hasen in Form von Gemeinschaftsjagden möglichst im November und Dezember durchzuführen. Diese Empfehlung habe sich nur auf Schalenwild, das in hohen Beständen vorhanden sei und möglichst effizient sowie in hoher Stückzahl erlegt werden sollte, bezogen, um die Bestände nicht weiter ansteigen zu lassen. Die Situation der Hasenpopulation sei aber eine andere. Diese bedürfe keiner umfangreichen Bejagung. Auf der anderen Seite stünden Belange des Tierschutzes. Während der Paarungszeit und in den Monaten der Aufzucht der Jungtiere sollten Hasen vor jagdbedingten Beeinträchtigungen geschützt werden. Auch seien Junghasen davor zu schützen, als Folge eines irrtümlichen Abschusses ihrer Muttertiere umzukommen. Diese Belange seien durch Art. 20 a GG geschützt. Bei Abwägung der genannten Belange überwögen die Allgemeinwohlinteressen des Tierschutzes gegenüber den betroffenen Rechtspositionen des Antragstellers.
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Bei dieser Sachlage sei auch eine Verletzung des Antragstellers in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht gegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und den Verwaltungsvorgang (Bd. I und II) Bezug genommen. | Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Antragsteller wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Antragsgegner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 1. Senat | Berlin | 0 | 1 | 14.12.2022 | 0 | Randnummer
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Streitig ist die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 15. bis zum 24. August 2020.
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Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses krankenversichert. Sie erkrankte am 2. Juli 2020 arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 7. August 2020 informierte die Beklagte die Klägerin über die Modalitäten der Krankengeldzahlung einschließlich der Folgen eines verspäteten Nachweises der Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin wurde unter anderem darüber unterrichtet, an welche Adresse im Falle des Postversandes die Krankschreibung zu richten sei.
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Bis zum 12. August 2020 erhielt sie Entgeltfortzahlung und ab dem 13. August 2020 Krankengeld von der Beklagten i.H.v. 82,09 € brutto/71,97 € netto kalendertäglich. Sie reichte durchgehende ärztliche Feststellungen über die Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten ein, unter anderem vom 31. Juli 2020 mit einer ärztlich festgestellten Dauer bis zum 14. August 2020 (Eingang bei der Beklagten am 6. August 2020) sowie vom 14. August 2020 mit einer ärztlich festgestellten Dauer bis zum 28. August 2020. Die Krankschreibungen versendete sie per Post jeweils an die Adresse der Geschäftsstelle der Beklagten in der Axel-Springer-Straße in Berlin. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 ging bei der Beklagten am 25. August 2020 ein.
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Mit Bescheid vom 26. August 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Krankengeldanspruch ruhe aufgrund der verspäteten Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 25. August 2020 für die Zeit vom 15. bis zum 24. August 2020.
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Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und teilte mit, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 am selben Tag durch Einwurf in einen Postbriefkasten an die Beklagte abgesandt zu haben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei eine Verpflichtung des Versicherten. Dieser trage auch das Risiko des Nichteingangs oder des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Der Hinweis auf den rechtzeitigen Versand per Post könne daher zu keiner anderen Entscheidung führen.
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Hiergegen hat die Klägerin Klage zu dem Sozialgericht Berlin erhoben. Sie hat geltend gemacht, die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei von ihr nicht zu vertreten. Da sie erkrankungsbedingt schlecht habe laufen können, habe sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils am Tag der Ausstellung zum Postbriefkasten gebracht und damit rechtzeitig abgesandt. Sie selbst habe keinen Einfluss auf die Postlaufzeiten.
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Die Beklagte hat unter anderem angegeben, für die an die Axel-Springer-Straße adressierte Post sei ein Routingverfahren in Richtung des zentralen Scan- und Dienstleistungszentrums der Beklagten eingerichtet. Die Deutsche Post AG leite aufgrund dieses Routingverfahrens die Post automatisch nach dort um. Eine Zustellung der Poststücke an den Standort der Beklagten in der Axel-Springer-Straße durch die Post erfolge nicht. Die Beklagte unterhalte zwei Dienstleistungszentren, eines davon befinde sich in Wuppertal. Hierhin sei auch in dem vorliegenden Fall die Post zugestellt worden. Die angelieferte Post werde zunächst zur Überprüfung auf Gefahrgüter geröntgt, anschließend gewogen und geöffnet sowie ausgepackt. Danach werde die Post gesichtet und nach Fachbereichen sortiert. Es werde unterschieden, ob ein Schriftstück einem Scanprozess zugeführt werden könne oder nicht. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gehörten zu der Post, die gescannt werden könne. Die ausgepackten und sortierten Dokumente würden anschließend an die Arbeitsvorbereitung übergeben. Nach einer zweiten Sichtung und Aufbereitung (z.B. Entfernung von Klammern) würden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen priorisiert, d.h. taggleich gescannt. Eine betriebsinterne Postlaufzeit gebe es nicht. Der Posteingang werde stets dort registriert, wo die Auslieferung der Post durch die Deutsche Post AG erfolge. Im Übrigen sei der Klägerin die Axel-Springer-Straße nicht als zu nutzende Anschrift mitgeteilt worden. Vielmehr sei sie mit Informationsschreiben vom 7. August 2020 gebeten worden, Post direkt an die für sie zuständige Adresse in Wuppertal zu senden.
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9
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 31. August 2021 abgewiesen. Zwar habe die Klägerin im Grundsatz im streitigen Zeitraum Anspruch auf Krankengeld, da sie arbeitsunfähig gewesen sei. Allerdings habe der Anspruch geruht, da die Klägerin die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit nicht innerhalb einer Woche bei der Beklagten gemeldet habe. Die hier maßgebliche ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 sei erst am 25. August 2020 bei der Beklagten eingegangen. Damit trete die Rechtsfolge des Ruhens des Krankengeldanspruchs ein. Bei der Meldung handele es sich um eine dem Versicherten zurechenbare formfreie empfangsbedürftige Tatsachenmitteilung. Sie könne mündlich, telefonisch, schriftlich oder auch in elektronischer Form erfolgen. Demnach treffe die Klägerin die Obliegenheit der rechtzeitigen Meldung der – fortlaufenden – Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten. Die Übermittlungsdauer bei der Sendung durch die Post falle in ihren Organisationsbereich und sei mithin ihr zuzurechnen. Ungeachtet dessen, ob die Klägerin auf die rechtzeitige Übermittlung durch die Post vertraut habe, habe es ihr oblegen, für einen rechtzeitigen Meldezugang, gegebenenfalls vorab telefonisch, Sorge zu tragen. Ein Ausnahmefall, in welchem der verspätete Zugang der Meldung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit der Beklagten zuzurechnen wäre, sei hier nach den Angaben der Klägerin bei rechtzeitiger Absendung der Post nicht anzunehmen.
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10
Gegen diesen ihr am 3. September 2021 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 17. September 2021 beim Sozialgericht und am 24. September 2021 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene „Widerspruch“ der Klägerin. Sie habe pünktlich am Tag der Krankschreibung ihren Krankenschein nach dem Arztbesuch in den Postbriefkasten geworfen. Sie finde es nicht in Ordnung, nur ihr den Fehler zuzusprechen. Für sie stehe hier eine Aussage gegen die andere Aussage. Es werde daher um nochmalige Überprüfung des Falles gebeten. Sie beantrage, den „Bescheid vom 31. August 2021“ aufzuheben.
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11
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 15. August 2020 bis 24. August 2020 i.H.v. 82,09 € brutto/71,97 € netto kalendertäglich zu zahlen.
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13
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend gibt sie an, das Routingverfahren mit der Deutschen Post AG sei bereits vor etwa zehn Jahren eingeführt worden.
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Durch Beschluss vom 8. Juni 2022 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Berichterstatterin zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. | Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht 5. Kammer | Hessen | 0 | 1 | 14.07.2011 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche.
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Der ehemalige, im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbene Kläger und Ehemann der jetzigen Klägerin, war bei der Beklagten als Gießereiarbeiter vom 08. November 1989 bis zum 30. September 2008 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand Kraft arbeitsvertragliche Bezugnahme der Manteltarifvertrag der Hessische Elektro- und Metallindustrie für das Land Hessen Anwendung. § 29 MTV sieht vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis – ausgenommen Ansprüche auf Zuschläge aller Art sowie auf Mehrarbeitsvergütung - innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber der anderen Partei geltend zu machen sind. Lehnt die Gegenseite die Erfüllung des rechtzeitig erhobenen Anspruchs ab, so ist der Anspruch innerhalb von drei Monaten seit der Ablehnung geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 05. Mai 2009 gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Urlaubsabgeltung aus den Jahren 2006 bis 2008 erhoben. Wegen des Weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 61 – Bl. 64 d. A.) ergänzend Bezug genommen.
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Durch Urteil vom 12. November 2010 hat das Arbeitsgericht Marburg der Zahlungsklage zum überwiegenden Teil stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger € 9.357,94 brutto abzüglich € 4.000,00 brutto nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Anwendbarkeit von tariflichen Ausschlussfristen hat das Arbeitsgericht – kurz zusammengefasst – Folgendes ausgeführt: Nach der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der sich daran anschließenden neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse davon ausgegangen werden, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche nicht durch die tarifliche Ausschlussfrist des § 29 des Manteltarifvertrages für die Hessische Elektro- und Metallindustrie verfallen seien. Richtigerweise müsse von der Unabdingbarkeit der gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche unter Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG ausgegangen werden. Der gesetzliche Urlaubsanspruch könne weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG zum 31. März des Folgejahres noch durch tarifliche Ausschlussfristen verfallen, da nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG durch Tarifvertrag nicht von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 BUrlG abgewichen werden dürfe. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 66 – 70 d. A.) verwiesen.
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Am 21. November 2010 ist der ehemalige Kläger verstorben. Gesetzliche Erben sind seine Ehefrau sowie die beiden Kinder. Sie haben außergerichtlich eine Vereinbarung geschlossen, wonach die Urlaubsabgeltungsforderungen in vollem Umfang der Ehefrau des ehemaligen Klägers zustehen sollen. Gegen das am 16. Dezember 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Januar 2011 Berufung eingelegt und sie mit dem am 14. Februar 2011 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihren Klageabweisungsantrag weiter. Insbesondere vertritt sie die Rechtsansicht, dass Urlaubsabgeltungsansprüche einer tariflichen Ausschlussfrist unterlägen und dementsprechend im Streitfall untergegangen seien. Wegen des weiteren Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 10. Februar 2011 (Bl. 83 – 100 d. A.) sowie auf den Schriftsatz vom 17. Mai 2011 (Bl. 149 – 151 d. A.) Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 12.11.2010 – 2 Ca 178/10 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerseite beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie meint, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Unanwendbarkeit von tariflichen Ausschlussfristen führe. Die Urlaubsabgeltungsansprüche seien gewissermaßen „resistent“ gegen alles. Wegen des weiteren Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf den Schriftsatz vom 18. April 2011 (Bl. 143 – 148 d. A.) Bezug genommen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14. Juli 2011 verwiesen. | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 12. November 2010 – 2 Ca 178/10 – teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Klägerseite hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 18. Senat | Berlin | 0 | 1 | 28.09.2010 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung durch Gewährung einer Trennungskostenbeihilfe.
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Der 1984 geborene Kläger nahm nach vorheriger Arbeitslosigkeit am 2. Juni 2008 eine Beschäftigung als Monteur in Süddeutschland auf. Wegen der Einzelheiten wird auf den Arbeitsvertrag des Klägers mit der i vom 15. Mai 2008 Bezug genommen. Die Beklagte lehnte den am 30. Mai 2008 gestellten Antrag auf Trennungskostenbeihilfe ab mit der Begründung, dass nach § 8 des Arbeitsvertrages gleichartige Leistungen bereits von der Arbeitgeberin erbracht würden (Bescheid vom 17. Oktober 2008).
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Mit einer e-Mail vom 18. Oktober 2008 ging ein Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 17. Oktober 2008 bei der Beklagten ein, der nicht handschriftlich vom Kläger unterzeichnet war. Nachdem die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch zwingend schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen sei, und dem Kläger Gelegenheit gegeben hatte, den Widerspruch bis spätestens 20. November 2008 „in der erforderlichen Form“ nachzuholen (Schreiben vom 22. und 23. Oktober 2008) oder die Urheberschaft schriftlich zu bestätigen, verwarf sie den Widerspruch nach Ablauf der gesetzten Frist als unzulässig (Widerspruchsbescheid vom 24. November 2008).
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Die am 21. November 2008 eingegangene Mitteilung des Klägers, mit der er die in dem Hinweisschreiben vom 23. Oktober 2008 erbetenen Unterlagen einreichte, sah die Beklagte als Überprüfungsantrag iSv § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) an, den sie mit Bescheid vom 5. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2009 ablehnte.
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Die am 2. Dezember 2008 erhobene und auf Gewährung von Trennungskostenbeihilfe gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Neuruppin abgewiesen (Urteil vom 18. Februar 2010). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2008 zutreffend als unzulässig verworfen, weil der Widerspruch innerhalb der Widerspruchsfrist nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden sei.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seine im Berufungsverfahren eingereichten Schreiben wird Bezug genommen.
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Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich der Antrag,
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das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 18. Februar 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seinen Antrag auf Trennungskostenbeihilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen habe der Kläger auch in der Sache keinen Anspruch auf Trennungskostenbeihilfe, da diese zur Aufnahme der Beschäftigung nicht notwendig gewesen sei und der Kläger zudem von der Arbeitgeberin entsprechende Beihilfen erhalten habe.
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Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Ablagen Bezug genommen.
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Der Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 18. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Greifswald 3. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 31.01.2014 | 1 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten um eine Vorausleistung auf einen Ausbaubeitrag.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks in der Gemarkung Z.. Im Ortsteil Z. wird ein Bodenordnungsverfahren durchgeführt, das noch nicht abgeschlossen ist. Das Grundstück des Klägers soll nach den Planungen der Bodenordnungsbehörde die Flurstücke G1, G2 und G3 umfassen. Dieses Grundstück liegt an der Straße „K.“ im Ortsteil Z. an, die die Gemeinde A-Stadt im Jahre 2009 in einem ersten Bauabschnitt ausbaute. Am 12. August 2009 beschloss die Gemeindevertretung eine entsprechende Abschnittsbildung.
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Mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 (Nummer 20110001) setzte die Amtsvorsteherin des Amtes Am Peenestrom gegen den Kläger eine Vorausleistung in Höhe von 1.251,07 Euro fest. Die Stadt Wolgast ist seit dem 1. Januar 2012 Rechtsnachfolgerin der Gemeinde A-Stadt. Auf den Widerspruch des Klägers hob der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2012 den Bescheid vom 20. Oktober 2012 auf, soweit darin eine Vorausleistung in Höhe von mehr als 1.220,06 Euro festgesetzt worden war und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Am selben Tag erging ein entsprechend geänderter Vorausleistungsbescheid.
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Am 14. November 2012 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Ausbaubeitragsrecht sei nicht eröffnet, da die Maßnahme als Bestandteil des Bodenordnungsverfahrens A-Stadt im Auftrag der Teilnehmergemeinschaft durchgeführt worden sei. Zudem beruhe die veranlagte Fläche auf den Vorstellungen der Flurneuordnungsbehörde, die von ihm nicht geteilt würden. Jedenfalls seien die Flächen nicht bevorteilt. Eine Zufahrt auf die und eine Abfahrt von den landwirtschaftlichen Flächen mit landwirtschaftlichem Gerät würde zu einer Beschädigung des Straßenkörpers führen und sei nicht erlaubt. Deshalb seien am Straßenrand große Steine positioniert worden, um ein Überfahren zu verhindern.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Amtsvorsteherin des Amtes Am Peenestrom vom 20. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und des Änderungsbescheides vom 16. Oktober 2012 aufzuheben.
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7
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide. Der Zuschnitt des künftigen Grundstücks im geänderten Vorausleistungsbescheid entspreche dem Verfahrensstand auf dem Ausschlusstermin der Flurneuordnungsbehörde. Für den Vorteil des Grundstücks sei es unerheblich, ob es vom ausgebauten Abschnitt der Anlage erreichbar sei. Maßgeblich sei dafür die Gesamtanlage. In einem weiteren Bauabschnitt werde eine Grundstückszufahrt geschaffen werden. Die Steine seien durch eine Anwohnerin im Einvernehmen mit dem Ortsteilvertreter verlegt worden, um die Seitenbereiche der Straße vor Überfahren zu schützen. Nötigenfalls werde der Beklagte die Entfernung der Steine veranlassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. | 1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. | 0 |
Hessisches Landesarbeitsgericht | Hessen | 1 | 0 | 17.10.2008 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Auskünfte nach den Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes zu erteilen und im Falle nicht fristgerechter Auskunftserteilung eine Entschädigung zu leisten.
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Die Klägerin ist die A.. Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte auf der Grundlage des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) auf Auskunft und bedingte Entschädigungszahlung hinsichtlich der gewerblichen Arbeitnehmer und der Angestellten für den Zeitraum Juli bis September 2006 in Anspruch.
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3
Die Beklagte betreibt einen Betrieb, in welchem geothermische Bohrungen zur Gewinnung von Erdwärme durchgeführt werden. Bei diesem Verfahren wird durch Sonden, die mittels Bohrungen ins Erdreich eingebracht werden, Erdwärme als Energiequelle erschlossen und zu Heizungs-, Kühlungs- und Lüftungszwecken sowie zur Warmwasserbereitung nutzbar gemacht. Die Beklagte plant und führt die Erdbohrungen selbst durch und verlegt die Sonden nebst den erforderlichen Anschlussarbeiten und der abschließenden Verpressung der Bohrungen. Arbeitszeitlich entfielen bis zum Anschluss an das Heizsystem, welcher nicht von der Beklagten ausgeführt wird, 10 % der Tätigkeiten auf die Baustelleneinrichtung, 25 % auf Bohrarbeiten, 10 % auf das Vorbereiten und Verbinden der Sondenrohre zum Einbau, 20 % auf den Einbau der Sondenrohre mit Verpressarbeiten und Druckprüfungen, 5 % auf Anschlussarbeiten im horizontalen Bereich - Verlängern der Sondenrohre im bauseitig oder vom Subunternehmer hergestellten Rohrgraben mit Druckprüfung - und 30 % auf die Montage der Verteileranlage und Anschlussarbeiten an die jeweilige Wärmepumpe mit Befüllung der Sondenrohre zum Transport der Umweltwärme (Kältemittel) und Durchführung der Druckprüfungen. Die erstmalige Inbetriebnahme der Bohrgeräte bedarf der Genehmigung der Bergbehörde. Die ordnungsgemäße Erhaltung des Bohrgeräts ist der Behörde gegenüber turnusgemäß durch einen Sachverständigen mitzuteilen (vgl. die Prüfberichte Anlage B1 - B5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 30.04.2007, Bl. 17 - Bl. 21 d. A. in
10 Sa 1304/07
). Die Bohrungen erreichen eine Tiefe zwischen 80 m und mindestens 100 m , wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob auch Bohrungen bis zur Tiefe von 160 m anfallen. Die Erdsonde selbst ist ein Kunststoffschlauch, welcher ein Glykol-Wasser-Gemisch enthält.
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4
Am 23. Februar 2000 fand vor Gründung der Beklagten ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten statt, desen Inhalt streitig ist. Auf die Anfrage einer Fa. B. vom 10. April 2000 (vgl. B. 76 - 79 d.A. in
10 Sa 1305/07
) teilte die C. mit Schreiben vom 20. April 2000 mit, dass diese Firma nach den derzeitigen Angaben nicht verpflichtet sei, Urlaubskassenbeiträge zu zahlen (vgl. Bl. 75 d.A. in
10 Sa 1305/07
). Mit Schreiben vom 12. August 2003 teilte die Firma D. der Klägerin mit, dass sie Erdsondenbohrungen für Wärmepumpenanlagen plane und ausführe, ohne dazu eigene gewerbliche Arbeitnehmer zu beschäftigen (vgl. Bl. 72 d.A. in
10 Sa 1305/07
). Mit Schreiben vom 25. August 2003 teilte die Klägerin dieser Firma mit, dass sie mit der Tätigkeit der Planung und Ausführung von Erdsondenbohrungen für Wärmepumpenanlagen nicht am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes teilnehme und verpflichtet sei mitzuteilen, wenn sich der Tätigkeitsschwerpunkt auf die Ausführung baugewerblicher Arbeiten im Tarifsinn verlagere (vgl. Bl. 27 d.A. in
10 Sa 1304/07
).
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5
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte auskunftspflichtig sei, da sie im Klagezeitraum in ihrem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend Bohrtätigkeiten verrichtet habe.
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6
Die Klägerin hat beantragt,
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7
die Beklagtenseite zu verurteilen,
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8
1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,
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9
1.1 wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des 6. Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Juli bis September 2006 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in den jeweils genannten Monaten angefallen sind,
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10
1.2 wie viele Angestellte, die eine nach den Vorschriften des 6. Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten - ausgenommen sind geringfügig Beschäftigte im Sinne des § 8 des 4. Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) - in den Monaten Juli bis September 2006 in dem Betrieb der Beklagten seither beschäftigt wurden und welche Zusatzversorgungsbeiträge in den genannten Monaten angefallen sind,
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11
2. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an den Kläger folgende Entschädigung zu zahlen:
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12
zu Nr. 1.1 23.310,00 EUR
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13
zu Nr. 1.2 465,00 EUR
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14
Gesamtbetrag: 23.775,00 EUR.
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15
Die Beklagte hat beantragt,
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16
die Klage abzuweisen.
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17
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass sie nicht auskunftspflichtig sei, da sie dem Geltungsbereich des VTV nicht unterfalle. Bei geothermischen Bohrungen zur Gewinnung von Erdwärme handele es sich um Bohrarbeiten, welche nicht baugewerblicher Art seien. Die Beklagte hat behauptet, der größte Anteil der Arbeitszeit der von ihr beschäftigten Arbeitnehmer entfalle nicht auf die Bohrtätigkeiten, sondern auf die Planung und die Sondeneinbringung. Es würden Tiefbohrungen bis 160 m durchgeführt, wobei Bohrungen über 100 m, die inzwischen die Regel seien, genehmigt werden müssten.
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Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat die Klage mit Urteil vom 03. Juli 2007 - 2 Ca 2776/06 - abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, dass es für den betrieblichen Geltungsbereich des VTV im Allgemeinen ausreiche, wenn eine Beispielstätigkeit aus dem Katalog des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV überwiegend ausgeübt werde, so dass es auf eine weitere Darlegung des Zusammenhangs mit Bauarbeiten im Sinn von § 1 Abs. 2 Abschn. I - III VTV nicht mehr ankomme. Das gelte auch für Bohrarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV. Weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Geltungsbereichs sei jedoch, dass die entsprechende Arbeit "gewerblich" geleistet werde. Der Gewerbebegriff umfasse alle erlaubten selbständigen Tätigkeiten, die auf nachhaltige Gewinnerzielung gerichtet seien und fortgesetzt ausgeübt würden. Ausgeschlossen seien die Urproduktion, die freien Berufe und der öffentliche Dienst. Urproduktion sei die Gewinnung von Roh- und Naturerzeugnissen. Die Erdwärme stelle ein Naturerzeugnis dar und sei vergleichbar mit anderen Bodenschätzen. Die von der Beklagten durchgeführten Bohrarbeiten verfolgten allein den Zweck, die vorhandene Erdwärme nutzbar zu machen, so dass die betriebliche Tätigkeit der Beklagten der Urproduktion zuzurechnen sei.
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Dieses Urteil ist der Klägerin am 02. August 2007 zugestellt worden. Die Berufung der Klägerin ist am 31. August 2007 und die Berufungsbegründung nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. November 2007 am 02. November 2007 bei Gericht eingegangen.
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Die Klägerin wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, dass die Durchführung von Erdsondenbohrungen und die Herstellung einer Erdwärmeanlage nicht der Urproduktion unterfalle, da die Beklagte kein rohes Naturerzeugnis gewinne und keine Erwärme fördere, sondern eine Anlage für ein bestimmtes Bauvorhaben schaffe. Die Wärme werde erst dann "gefördert", wenn der Heizungsbauer den Hochdruckanschluss in Gang gesetzt habe. Die Beklagte stelle eine Anlage her, mit welcher nach dem Heizungseinbau Erdwärme genutzt werden könne. Außer Bohrarbeiten (§ 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 VTV) würden auch Isolierarbeiten (Nr. 9) ausgeführt und Rohrleitungsbau (Nr. 25) verrichtet, da die Rohre mit Bentonit vergossen und die Sondenrohre auch horizontal verlegt würden. Urproduktion läge nicht vor, da die Erdwärme im Zusammenhang mit der Grundstücksnutzung freigesetzt werde, § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG. Die Beklagte unterhalte keinen Betrieb des Heizungsbauergewerbes, da sie den Hochdruckanschluss nicht ausführen dürfe und im Übrigen die Rückausnahme von § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 12 VTV vorläge. Einen Vertrauenstatbestand, dass die Beklagte nicht in Anspruch genommen werde, habe die Klägerin durch die Schreiben an Dritte nicht geschaffen. Das Gespräch am 23. Februar 2000 habe eine andere GmbH betroffen und es sei zugesichert worden, dass die Beklagte sich nach Gründung erneut melden werde, was nicht geschehen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 03.07.2007, Az. 2 Ca 2776/06, abzuändern und die Beklagte kostenpflichtig nach Maßgabe der vom Kläger erstinstanzlich zuletzt gestellten Anträge zur tariflichen Auskunftserteilung bei bedingter Entschädigungszahlung zu verurteilen.
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23
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist der Ansicht, die Nutzbarmachung von Erdwärme für Dritte unterfalle nicht dem Geltungsbereich des VTV, da es sich um Urproduktion handele. Sie - die Beklagte - gewinne den Rohstoff, den der Bauherr sodann im Sinne einer Verarbeitung nutze. Vom Begriff der Urproduktion würden auch entsprechende Vorbereitungstätigkeiten erfasst. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG regele lediglich die Anwendbarkeit dieses Gesetzes, was nichts daran ändere, dass die Tätigkeit als solche Urproduktion bleibe. Bei Bohrungen über 100 m Tiefe bestünde eine Anzeigepflicht gem. § 127 BBergG. Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin handele treuwidrig, da dem Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer vor der Unternehmensgründung am 23. Februar 2000 erklärt worden sei, dass für den Tätigkeitsbereich der Geothermie eine Teilnahmeverpflichtung nicht bestünde. Auch verstoße die Beklagte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da sie den Firmen D. und B. mitgeteilt habe, dass die Planung und Ausführung von Erdsondenbohrungen für Wärmepumpenanlagen nicht zur Teilnahme am Sozialkassenverfahren führe. Im Übrigen - so die Ansicht der Beklagten - unterfalle sie als Heizungsbauer der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2Abschn. VII Nr. 12 VTV. Die Rückausnahme liege nicht vor, da lediglich 25 % der Arbeitszeit auf Bohrtätigkeit entfalle und arbeitszeitlich überwiegend die Sonde verlegt und Anschlussarbeiten verrichtet würden. Dämm- und Isolierarbeiten würden nicht ausgeführt. Auch Rohrleitungsbau werde nicht verrichtet, da die Erdwärmesonden selbst keine Rohrleitungen, sondern spezielle Kunststoffschläuche seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der Berufungsschriftsätze Bezug genommen. | Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 03.07.2007 - 2 Ca 2776/07 abgeändert und die Beklagte verurteilt,
1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,
1.1 wieviele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Juli bis September 2006 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden, welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in d. jeweils genannten Monat(en) angefallen sind,
1.2 wieviele Angestellte, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten - ausgenommen sind geringfügig Beschäftigte im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) - in den Monaten Juli bis September 2006 in dem Betrieb der Beklagtenseite beschäftigt wurden und welche Zusatzversorgungsbeiträge in d. genannten Monat(en) angefallen sind,
2. für den Fall, dass diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an den Kläger folgende Entschädigung zu zahlen:
zu Nr. 1.1 23.310,00 EUR
zu Nr. 1.2 465,00 EUR
Gesamtbetrag: 23.775,00 EUR.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen. | 0 |
SG Speyer 16. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 26.09.2017 | 0 | Randnummer
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Die Klägerin begehrt die Versorgung mit ambulanten Liposuktionsbehandlungen.
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Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an Lipödemen im Stadium II an beiden Armen und Beinen.
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3
Am 17.06.2016 beantragte sie die Kostenübernahme für Liposuktionsbehandlungen an Armen und Beinen. Sie legte hierzu einen Arztbrief der L... C... Dr. H... vom 09.06.2016 vor, in dem für die Klägerin insgesamt vier ambulant durchzuführenden Liposuktionsbehandlungen an Unterschenkeln, Oberschenkelvorderseite, Oberschenkelrückenseite und Armen beantragt wurden. Beigefügt waren Kostenvoranschläge für alle vier ambulanten Operationen zu Gesamtkosten in Höhe von 23.980 Euro.
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4
Mit Bescheid vom 20.06.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine stationär durchzuführende Liposuktion in einer Privatklinik zugesandt habe. Die Liposuktion sei eine Behandlungsmethode, bei der der Nutzen und die Wirtschaftlichkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abschließend belegt seien, Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) bewerte regelmäßig neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu denen auch die Liposuktion gehöre. Derzeit liege keine Empfehlung des G-BA zur Liposuktion vor, da die Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt seien. Somit handele es sich um eine Leistung, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse vorhanden sei. Zudem handele es sich bei der L... C... Dr. H... um eine Privatklinik, die nicht nach § 108 SGB V zugelassen sei. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte könne daher nicht erfolgen.
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5
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 zurück.
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6
Die Klägerin hat am 15.04.2017 Klage erhoben.
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Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine mehrschrittige Liposuktion der Arme und Beine als Sachleistung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich zunächst auf den Widerspruchsbescheid. Auf den Hinweis des Gerichts, dass in Folge der Ablehnung lediglich einer stationären Liposuktionsbehandlung mit dem Bescheid vom 20.06.2016 eine Genehmigungsfiktion hinsichtlich der beantragten ambulanten Liposuktionsbehandlungen eingetreten sein könnte, trägt sie ergänzend vor, dass der Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 zwar allgemeine Ausführungen zur stationären und ambulanten Liposuktionsbehandlung enthalte. Jedoch heiße es auf Seite 4 des Bescheides: „Sie beantragten am 17.06.2016 die Kostenübernahme einer ambulanten Liposuktion in der L... C... Dr. H... in M.“ Auch der MDK habe in seinem Gutachten vom 22.11.2016 auf Seite 2 geschrieben, dass „die Liposuktionen ambulant in der L...C... Dr. H... durchgeführt werden sollen. Somit sei seitens der Beklagten eine ambulante Liposuktion abgelehnt worden. Auch wenn die Beklagte über den Antrag auf eine ambulante Liposuktion noch nicht entschieden haben sollte, so wäre keine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eingetreten, da es sich bei der Liposuktion um keine Leistung handele, die die Versicherte für erforderlich hätte halten dürfe.
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12
Zur weiteren Darstellung des Tatbestands, insbesondere zum weiteren Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit ambulanten Liposuktionsbehandlungen an den Armen und Beinen zu versorgen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. | 1 |
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 2. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 13.08.2019 | 0 | Randnummer
1
Der Kläger verlangt von der beklagten Arbeitgeberin die Zahlung einer Vertretungszulage.
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Der Kläger ist bei der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (Beklagte) unter Berücksichtigung der Vorbeschäftigungszeiten bei der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) seit 1991 als Gewerkschaftssekretär beschäftigt. 2007 wurde der Kläger förmlich zum stellvertretenden Geschäftsführer des Bezirks A-Stadt nach § 86 in Verbindung mit § 29 Absatz 2 der Satzung der Beklagten bestellt. Die Mitarbeit in der Geschäftsführung umfasst 0,2 Stellenanteile des vollbeschäftigten Klägers. Im Übrigen ist er nach wie vor als Gewerkschaftssekretär tätig.
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Der heute noch maßgebliche Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1991 enthält eine Bezugnahmeklausel auf die bei der Beklagten jeweils geltenden allgemeinen Arbeitsbedingungen, die Vergütungsregelungen und die Betriebsvereinbarungen (wegen der Einzelheiten wird auf die überreichte Kopie des Arbeitsvertrages verwiesen, hier Blatt 4 f). Auf das Arbeitsverhältnis findet damit jedenfalls auch aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel unter anderem die Gesamtbetriebsvereinbarung Entgelt, zuletzt abgeschlossen zwischen dem Bundesvorstand der Beklagten und dem dort gebildeten Gesamtbetriebsrat aus April 2012 (auf die überreichte Kopie wird Bezug genommen, hier Blatt 7 ff – im Folgenden mit GBV Entgeltsystem abgekürzt bezeichnet) Anwendung.
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4
§ 6 GBV Entgeltsystem regelt eine Zulage, die unter bestimmten Bedingungen zu zahlen ist, wenn ein Beschäftigter vertretungsweise eine höherbewertete Tätigkeit ausübt. Die Regelung lautet wörtlich wie folgt:
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5
"Muss ein/e Beschäftigte/r wegen Krankheit oder sonstiger Abwesenheit eines Mitarbeiters / einer Mitarbeiterin ununterbrochen für länger als sechs Wochen stellvertretend eine gegenüber der eigenen Eingruppierung höher bewertete Tätigkeit ausüben, so erhält er / sie für die Dauer der Ausübung rückwirkend vom ersten Tag an eine Zulage in Höhe der Differenz zu der Gehaltsgruppe, die diesen Tätigkeitsmerkmalen entspricht."
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6
Die Bezirksgeschäftsführerin und Kollegin des Klägers war von Mitte April 2018 bis ungefähr Mitte Dezember 2018 von ihrer Pflicht zur Arbeitsleistung befreit. Als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer war es die Aufgabe des Klägers, die Geschäftsführungsaufgaben der Bezirksgeschäftsführerin während ihrer Ausfallzeit mit zu übernehmen.
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7
Als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer ist der Kläger in die Entgeltgruppe 8.1 GBV Entgeltsystem eingruppiert. Die Bezirksgeschäftsführerin ist im Entgeltsystem eine Entgeltgruppe über dem Kläger eingruppiert (Entgeltgruppe 9.1 GBV Entgeltsystem). Die Vergütungsdifferenz zwischen beiden Dienstposten hat im Streitzeitraum 408 Euro brutto monatlich betragen. Auch die Geschäftsführerin geht neben ihrer Mitarbeit in der Geschäftsführung noch ihrer Aufgabe als Gewerkschaftssekretärin nach. Der Stellenanteil für die Geschäftsführungstätigkeit ist bei ihr mit 0,5 Stellenanteilen bemessen.
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8
Für die klägerische Stelle des stellvertretenden Bezirksgeschäftsführers gibt es als Anlage zur GBV Entgeltsystem eine allgemeine Stellenbeschreibung (Anlage B 1, hier Blatt 47 ff, es wird Bezug genommen). Nach dieser Stellenbeschreibung übernimmt der Stelleninhaber "für die Dauer seiner Bestellung teilweise Führungsaufgaben". In der folgenden Aufstellung sind bezirkliche
Koordinierungsaufgaben
und
Gremienarbeit
nebst
Gremienberatung
genannt. Weitere Stichworte sind
Arbeits- und Ablauforganisation
im Bezirk,
Unterstützung der Bezirksgeschäftsführerin
, sowie
Führungs- und Leitungsaufgaben
. Unter dem Punkt
Anforderungen an die Verantwortung
heißt es zur
Personalverantwortung
wörtlich "
keine"
.
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9
Für die Zeit der Abwesenheit oder Nichterreichbarkeit der Geschäftsführerin ist der Kläger der Ansprechpartner der Geschäftsführung, der auch befugt ist, alle unaufschiebbaren Entscheidungen und Maßnahmen ohne Rücksprache mit der Geschäftsführerin zu treffen bzw. anzuordnen. Soweit es um die nicht zeitkritischen Führungsaufgaben aus dem gesamten Zuständigkeitsbereich der Bezirks-Geschäftsführung geht, haben sich der Kläger und die Geschäftsführerin diese wie in einem Geschäftsverteilungsplan aufgeteilt. Der Kläger ist danach für diverse Themenfelder ständig und originär zuständig, beispielsweise für die Betreuung des ehrenamtlichen Lohnsteuerservice, die Seniorenarbeit und die Betreuung der Erwerbslosenarbeit.
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10
Die Frage, ob einem stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer bei längerer Ausfallzeit der Bezirksgeschäftsführerin die Vertretungszulage nach § 6 GBV Entgeltsystem zusteht, ist im Bereich der Beklagten bereits vor Jahren einmal aufgeworfen worden. Unter anderem hat sich die
kleine Kommission
in ihrer Sitzung vom 29. Januar 2008 mit dieser Frage beschäftigt und dazu den folgenden Beschluss gefasst (Anlage B 2, hier Blatt 51 ff, es wird Bezug genommen):
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11
"Die tatsächliche Wahrnehmung der Geschäftsführung durch den / die stellvertretende/n Geschäftsführer/in im Vertretungsfall (Krankheit, Urlaub etc.) begründet keinen Anspruch auf Vertretungszulage nach § 6 GBV Entgeltsystem, sondern ist durch die Eingruppierung abgedeckt."
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12
Bei der
kleinen Kommission
handelt es sich um ein informelles Gremium bestehend aus Mitgliedern der Geschäftsführung der Beklagten und des bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrats. Das Gremium hat unter anderem die Aufgabe, die Einführung und Anwendung der GBV Entgeltsystem zu begleiten, Konflikte zu erkennen und Lösungsvorschläge dafür zu erarbeiten. Insoweit steht zwischen den Parteien nicht in Streit, dass im gesamten Eingruppierungssystem der Beklagten nach der GBV Entgeltsystem die Zulagengewährung bei Ausfall und Vertretung eines Beschäftigten nur bei der Position des stellvertretenden Bezirksgeschäftsführers problematisch kann. Denn bei keiner anderen im Entgeltsystem ausgewiesenen Position gehört die Stellvertretung für eine andere Position zu den dauerhaft übertragenen Arbeitsaufgaben.
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13
Der Kläger hat für die Ausfallzeit der Geschäftsführerin außergerichtlich die Zahlung der Vertretungszulage nach § 6 GBV Entgeltsystem verlangt, was die Beklagte abgelehnt hat. Mit der am 4. September 2018 beim Arbeitsgericht eingegangen Klage verlangt der Kläger die Zahlung der Vertretungszulage gemäß § 6 GBV Entgeltsystem für den Zeitraum von Mitte April bis einschließlich August 2018 (4,5 Monate).
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14
Das Arbeitsgericht Schwerin hat die Klage mit Urteil vom 30. Januar 2018 als unbegründet abgewiesen und den Streitwert auf 1.836 Euro festgesetzt (Aktenzeichen 4 Ca 1222/18). – Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
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15
Das Arbeitsgericht hat argumentiert, der Anspruch auf die Vertretungszulage nach § 6 GBV Entgeltsystem sei nicht begründet, da dem Kläger während der Ausfallzeit der Geschäftsführerin keine
andere
Tätigkeit zugewiesen worden sei. Vielmehr habe es zu seinen Aufgaben auf dem ihm übertragenen Dienstposten als stellvertretender Geschäftsführer gehört, die Geschäftsführerin bei Abwesenheit zu vertreten. Insoweit hat das Arbeitsgericht angenommen, § 6 GBV Entgeltsystem und § 14 TVöD (bzw. früher § 24 BAT / BAT-O) seien sowohl vom Regelungsgehalt als auch von der Zwecksetzung vergleichbar, so dass die zum öffentlichen Dienst ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sinngemäß auch auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. – Dieses Ergebnis werde auch durch die systematische Auslegung der GBV Entgeltsystem betätigt. Denn die Vertretungsaufgabe des Klägers sei bereits bei der Eingruppierung des Klägers als stellvertretender Geschäftsführer des Bezirks berücksichtigt. Daher bestehe kein Anlass, ihn bei tatsächlicher Wahrnehmung der Vertretungsaufgabe durch Zahlung der Vertretungszulage abermals besser zu stellen.
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Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unverändert weiter.
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Der Kläger kritisiert, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er während der Ausfallzeit der Geschäftsführerin nach wie vor seinen regulären Dienstposten als stellvertretender Geschäftsführer innegehabt habe. Vielmehr sei er in die Führungsposition der Geschäftsführerin (0,5 Stellenanteil) eingerückt und sei zusätzlich noch dadurch belastet gewesen, dass ihm kein stellvertretender Geschäftsführer zur Bewältigung der Aufgaben der Geschäftsführung zur Seite stand. Er habe für die Zeit der Abwesenheit der Geschäftsführerin diese umfassend zu vertreten gehabt. Dies habe zu einer überobligatorischen Leistung und damit zu einer Sonderbelastung geführt. Diese überobligatorische Leistung sei von der Beklagten zu vergüten. Die Vergütung der Sonderbelastung bei einem Vertretungsfall sei der Sinn der Zulage aus § 6 GBV Entgeltsystem. Dies habe das Arbeitsgericht fehlerhaft verkannt. Es könne dahinstehen, ob man § 14 TVöD schlagwortartig mit
vorübergehender Höhergruppierung
zutreffend kennzeichnen könne. Diese Kennzeichnung gelte jedenfalls für die Zulage aus § 6 GBV Entgeltsystem nicht, denn mit dieser solle die Sonderbelastung, die durch die vorübergehende zusätzliche Übernahme einer höherbewerteten Aufgabe entsteht, ausgeglichen werden.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 30.01.2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.836 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2018 zu zahlen.
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20
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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22
Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil unter Vertiefung ihrer rechtlichen Ausführungen.
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Die Beklagte meint, der Kläger habe während der Ausfallzeit der Geschäftsführerin nach wie vor seinen Dienstposten als stellvertretender Geschäftsführer ausgeübt. Die Beklagte führt insoweit aus, dass bei der Tätigkeit des stellvertretenden Bezirksgeschäftsführers der Vertretungsfall bereits im Rahmen der Eingruppierung berücksichtigt sei. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass § 6 GBV Entgeltsystem nach seiner Zwecksetzung aber auch nach seinem Regelungsgehalt mit § 14 TVöD vergleichbar sei. Insofern sei es richtig, die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
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Von der Vergleichbarkeit von § 6 GBV Entgeltsystem und § 14 TVöD sei auch die sogenannte kleine Kommission bei ihrem Beschluss in der Sitzung vom 29. Januar 2008 ausgegangen. Da sich die kleine Kommission aus Mitgliedern des GBR und der Geschäftsführung zusammensetze handele es sich bei dem Beschluss um eine Protokollnotiz zur GBV durch die Normsetzer, der daher ebenfalls Normqualität zukomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. | 1. Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 27. Senat | Berlin | 0 | 1 | 18.07.2013 | 0 | Randnummer
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Die Beteiligten streiten noch für den Zeitraum vom 01. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 über die Gewährung von Pflegesachleistungen der Pflegestufe II nach § 36 des XI. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI).
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Der 1938 geborene Kläger bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau, die selbst seit März 2010 Leistungen aus der Pflegeversicherung in Form von Pflegesachleistungen der Pflegestufe I erhält und von der Diakonie S versorgt wird, eine 2 ½ Zimmer-Wohnung.
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De Kläger, der u. a. an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer Polyneuropathie, einem diabetischen Fuß links mit chronischer Infektion, Wirbelsäulenbeschwerden und Abnutzungserscheinungen der Skelettmuskulatur und zwischenzeitlich an einer Urin- und Stuhlinkontinenz sowie einem Zustand nach Amputation des rechten Fußes und Teilen des rechten Unterschenkels im Oktober 2012 leidet, beantragte am 19. Februar 2010 die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung und machte geltend, die Diakonie möge auch ihn pflegerisch versorgen.
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Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten der Pflegefachkraft M H des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 31. März 2010 ein, die nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 25. März 2010 einen Hilfebedarf von wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege von 11 Minuten (8 Minuten im Bereich der Körperpflege sowie von 3 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 43 Minuten feststellte.
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Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07. April 2010 den Antrag ab. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit), weil der insoweit erforderliche Hilfebedarf von wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten, wobei mehr als 45 Minuten auf die Grundpflege entfallen müssten, nicht erreicht werde.
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Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 13. April 2010 ließ die Beklagte den Kläger erneut durch den MDK begutachten. Die mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Pflegefachkraft B N gelangte nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 02. November 2010 in ihrem Gutachten vom 03. November 2010 zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 10 Minuten für Hilfeleistungen im Bereich der Körperpflege und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 45 Minuten betrage. Dem folgend wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2010 zurück.
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Der Kläger hat daraufhin am 16. November 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sein Begehren auf Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II weiterverfolgt hat.
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Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und sodann den Arzt K mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige K gelangte nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 17. Mai 2011 in seinem Gutachten von demselben Tag zu der Einschätzung, dass ein grundpflegerischer Bedarf im Falle des Klägers nicht bestünde, da dieser die entsprechenden Verrichtungen noch selbstständig verrichten könne. Lediglich im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung sei von einem Hilfebedarf von wöchentlich im Tagesdurchschnitt 30 Minuten auszugehen.
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Mit Urteil vom 23. Mai 2012 hat das Sozialgericht Berlin unter Bezugnahme auf die Feststellungen und Einschätzungen des Sachverständigen Dr. K die Klage abgewiesen.
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Gegen das ihm am 05. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. Juni 2012 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
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Bereits zuvor am 31. Mai 2012 hat der Kläger erneut einen Antrag auf die Gewährung von Pflegeleistungen gestellt. Die daraufhin durch die Beklagte mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Pflegefachkraft H P des MDK gelangte nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 04. Juli 2012 in ihrem Gutachten vom 05. Juli 2012 - bestätigt durch das Gutachten vom 1. September 2012 - zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 52 Minuten (40 Minuten im Bereich der Körperpflege und 12 Minuten im Bereich der Mobilität) sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten seit Mai 2012 betrage.
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Mit Bescheid vom 20. Juli 2012 bewilligte die Beklagte daraufhin seit dem 01. Juli 2012 Leistungen der Pflegestufe I.
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Auf den weiteren Antrag des Klägers vom 03. Januar 2013 ließ die Beklagte den Kläger erneut durch den MDK begutachten. Die mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Pflegefachkraft M N gelangte nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 01. Februar 2013 in ihrem Gutachten vom 02. Februar 2013 unter Berücksichtigung insbesondere der Amputation des rechten Fußes und Teile des rechten Unterschenkels im Oktober 2012 zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 121 Minuten (82 Minuten im Bereich der Körperpflege, 11 Minuten im Bereich der Ernährung und 28 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 90 Minuten seit Januar 2013 betrage.
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Dem Gutachten folgend bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 05. Februar 2013 ab dem 01. Januar 2013 Pflegesachleistungen nach der Pflegestufe II. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II würden erreicht, da der wöchentlich im Tagesdurchschnitt erforderliche Pflegebedarf mindestens drei Stunden betrage, wobei mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege entfallen würden.
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Die seitens des Senats beauftragte Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B gelangte nach körperlicher Untersuchung des Klägers in der häuslichen Umgebung vom 01. März 2013 in ihrem Gutachten vom 04. März 2013 zu der Einschätzung, dass der Hilfebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Grundpflege 123 Minuten (70 Minuten im Bereich der Körperpflege, 3 Minuten im Bereich der Ernährung und 50 Minuten im Bereich der Mobilität) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten betrage. Die zeitlichen Vorgaben für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II würden seit Oktober 2012 erreicht.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II bereits seit dem Monat der Antragstellung im Februar 2010 gegeben waren.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2010 und der Bescheide vom 20. Juli 2012 und vom 05. Februar 2013 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit ab dem 01. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 Pflegesachleistungen der Pflegestufe II zu gewähren.
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19
Die Beklagte beantragt,
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20
die Berufung zurückzuweisen.
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21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Hamburg 2. Kammer | Hamburg | 1 | 1 | 06.12.2017 | 0 | Randnummer
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Die klagende Partei verlangt eine höhere Anpassung ihrer Betriebsrente für die Jahre 2015 und 2016.
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2
Die klagende Partei war vom 1. März 1979 bis einschließlich 5. Januar 2005 bei einem Unternehmen des B.-Konzerns tätig, dessen Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Die Beklagte ist als Versicherungsunternehmen in den deutschen A.-Konzern eingebunden. Die klagende Partei bezieht seit dem 1. August 2006 eine betriebliche Altersversorgung, die jeweils am Ersten eines Monats im Voraus für den laufenden Monat gezahlt wird.
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3
Die betriebliche Altersversorgung der klagenden Partei ist durch die Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes (im Folgenden „BVW“) in Form von Betriebsvereinbarungen in der Fassung vom 19. April 2002 geregelt. Die Beklagte leistet an die klagende Partei danach Gesamtversorgungsbezüge, die sich unter Berücksichtigung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus Leistungen einer Versorgungskasse (im Folgenden: „V1-Rente“) und einer sog. Pensionsergänzung (im Folgenden „V2-Rente“) zusammensetzen. Das BVW gliedert sich in Grundbestimmungen, Ausführungsbestimmungen und Übergangsbestimmungen.
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4
Nach der Betriebsvereinbarung sind den anspruchsberechtigten Betriebsangehörigen
„Gesamtversorgungsbezüge“
zu gewähren, deren Höhe unter Zugrundelegung des pensionsfähigen Arbeitsentgelts (§ 2 der Ausführungsbestimmungen, im Folgenden: AusfBest BVW) und der anrechnungsfähigen Dienstzeit (§ 3 AusfBestBVW) zu errechnen ist (vgl. § 4 AusfBest BVW). Die Gesamtversorgungsbezüge setzen sich zusammen aus der Sozialversicherungsrente, einer weiteren Betriebsrente aus einer Versorgungskasse der B. VVaG (im Folgenden: V1-Altersrente) und einer Pensionsergänzungszahlung (siehe § 5 AusfBestBVW). Um die Höhe der Pensionsergänzungszahlung zu ermitteln, ist zunächst die Summe der gesetzlichen Rente und der V1 Altersrente zu bilden. Diese Summe ist von den ermittelten Gesamtversorgungsbezügen in Abzug zu bringen. Der sich ergebende Differenzbetrag ist als Pensionsergänzung an die Betriebsrentner zu zahlen. Für die Einzelheiten wird auf die Regelung unter § 5 AusfBestBVW verwiesen. Auf den Abrechnungen für die Betriebsrentner werden die Leistungen der Versorgungskasse als „V1-Altersrente“ und die Pensionsergänzungszahlungen als „V2-Rente“ bezeichnet.
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5
Zur Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge ist in § 6 der AusfBest BVW Folgendes geregelt:
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6
„§ 6 Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse
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1. Die Gesamtversorgungsbezüge werden jeweils entsprechend der gemäß § 49 AVG vorgegebenen Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt. (…)
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2. Die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgt zum gleichen Zeitpunkt, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.
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3. Hält der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar, so schlägt er nach Anhören der Betriebsräte/des Gesamtbetriebsrates dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vor, was nach seiner Auffassung geschehen soll.
Der Beschluß ersetzt die Anpassung gemäß Ziffer 1.
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4. Eine Erhöhung der Pensionsergänzungszahlung kann im Einzelfall nicht durchgeführt werden, soweit und solange die nach § 5 der Ausführungsbestimmungen anzurechnenden Bezüge und die nach § 4 der Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge, erreichen oder überschreiten.
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Betriebsangehörige, die eine Pensionsergänzung zu den Leistungen der Versorgungskasse zunächst nicht bekommen haben, weil ihre anzurechnenden Bezüge die vorgesehenen Gesamtversorgungsbezüge erreichen oder überschreiten, erhalten gegebenenfalls bei Veränderung nach der Ziffer 1 oder 3 später eine Pensionsergänzung allein durch das in der Ziffer 1 oder 3 dargestellte Verfahren.“
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Zum 01. Juli 2015 erhöhten sich die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 2,09717 %.
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Mit einem per E-Mail vom 15. Juni 2015 übermittelten Anhörungsschreiben teilte die Beklagte dem Gesamtbetriebsrat und den örtlichen Betriebsräte mit, dass
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„der Vorstand eine Erhöhung von 2,1 % zum 01.07 2015, die im Gesamtkonzern zu einer zusätzlichen Belastung von 0,4 Mio. € jährlich führen und die deutlich über dem Inflationsausgleich seit Juli 2014 von 0,5 % liegen würde, für nicht vertretbar“
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halte und daher beabsichtige,
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„
den Aufsichtsräten der GEV/GEL/GBV eine Anpassung der Gesamtversorgung bzw. der Renten aus dem BVW und der VO 85 um jeweils 0,5 % zur gemeinsamen Beschlussfassung vorzuschlagen.“
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Für den Inhalt des Schreibens im Einzelnen wird auf die Anlage B 6, Bl. 174 ff. d. A., verwiesen. Der Gesamtbetriebsrat und die örtlichen Betriebsräte, u.a. der Betriebsrat Hamburg, gaben in der Folge Stellungnahmen ab, mit denen sie der Erhöhung um lediglich 0,5 % nicht zustimmten und eine Erhöhung der Versorgungsbezüge um 2,1 % geltend machten. Auf die Stellungnahmen in der Anlage B 7, Bl. 177 ff. d.A. wird verwiesen.
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Mit Beschluss vom 26. August 2015 entschied der Vorstand, die Anpassung der Betriebsrenten auf 0,5 % zu reduzieren. Ein inhaltlich entsprechender Beschluss wurde vom Aufsichtsrat am 9. Oktober 2015 gefasst. Da eine Erhöhung der Gesamtversorgung um 0,5 % statt um 2,09717 % im Ergebnis in vielen Fällen faktisch zu einer „Nullrunde“ in Bezug auf die Pensionsergänzung geführt hätte, entschlossen sich die zuständigen Gremien der Beklagten dazu, die Pensionsergänzungszahlung um 0,5 % zu erhöhen, wenn dies zu einem günstigeren Ergebnis für den Betriebsrentner als die Erhöhung der Gesamtversorgung um 0,5 % führte. In der Praxis hatte der Günstigkeitsvergleich regelmäßig zur Folge, dass die um 0,5 % erhöhte Pensionsergänzung ab dem 1. Juli 2015 an die Betriebsrentner gezahlt wurde.
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Mit Schreiben vom 16. Oktober 2015 (Anlage K 4, Bl. 31 f. d. A.) informierte die Beklagte die klagende Partei über die Anpassung ihrer Versorgungsbezüge ab dem 1. Juli 2015. Sie führte aus, dass die V1-Altersrente in unveränderter Höhe weitergezahlt werde, da aus dem Geschäftsjahr 2014 keine Überschussanteile zuzuschreiben seien. Hinsichtlich der gesetzlichen Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG teilte sie mit, dass der Prüfungsstichtag für die Rentenanpassung unternehmenseinheitlich für alle Versorgungszusagen auf den 1. Juli 2015 festgelegt werde.
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Weiterhin führte die Beklagte aus:
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„Die Vorstände und Aufsichtsräte der A. Versicherungen haben beschlossen, die Gesamtversorgungsbezüge bzw. Renten unter Anwendung der in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerks normierten Regelung zum 01.07.2015 für diesen Stichtag um 0,5 % zu erhöhen.“
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Dementsprechend wurden die Versorgungsbezüge der klagenden Partei, die sich bis zum 30. Juni 2015 auf 3.084,58 € brutto (2.110,23 € brutto V2-Rente und 974,35 € brutto V1-Rente) beliefen, zum 1. Juli 2015 auf 3.095,13 € brutto (2.120,78 € brutto V2-Rente und 974,35 € brutto V1-Rente) erhöht.
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23
Zum 1. Juli 2016 wurde die Rente der gesetzlichen Rentenversicherung um 4,24512 % gesteigert. Die Beklagte fasste nach Anhörung der örtlichen Betriebsräte, des Gesamt-und des Konzernbetriebsrats – gegen deren ausdrücklichen Wunsch – durch ihren Vorstand und durch den Aufsichtsrat am 17. Mai 2016 den Beschluss, die Anpassungen der BVW-Leistungen zum 1. Juli 2016 nur in Höhe von 0,5 % vorzunehmen, da eine darüberhinausgehende Erhöhung nicht vertretbar sei.
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24
Zum 1. Juli 2016 wurden die Versorgungsbezüge der klagenden Partei auf 3.110,70 € brutto (2.131,38 € brutto V2-Rente und 979,32 € brutto V1-Rente) pro Monat erhöht.
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25
Die klagende Partei verlangt mit ihrer Klage eine Anpassung um weitere 54,14 € brutto pro Monat seit dem 01. Juli 2015, sowie um 172,26 € ab dem 1. Juli 2016. Dabei handelt es sich um den der Höhe nach unstreitigen Differenzbetrag, der sich errechnet, wenn die Beklagte die Rentenanpassung im Umfang von 2,0972 % bzw. 4,24512 % auf die Gesamtversorgungsbezüge vorgenommen hätte.
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26
Die klagende Partei hat vorgetragen, die Beklagte schulde die volle Anpassung der Versorgungsbezüge gemäß § 6 Abs. 1 BVW. Sie könne sich nicht auf § 6 Abs. 3 BVW stützen. Die Regelung sei unwirksam, weil sowohl unklar als auch unverhältnismäßig. Sie verstoße auch gegen § 87 Abs. 1 Nrn. 8 und 10 BetrVG. Auf die Ausübung des bestehenden Mitbestimmungsrechtes werde in seiner Substanz verzichtet. Die Anpassungsentscheidung sei im Übrigen zu spät erfolgt, nämlich erst nach dem Anpassungstermin. Jedenfalls sei sie unbillig.
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27
Die klagende Partei hat beantragt,
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28
1. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Partei beginnend mit dem 01.11.2016 über den Betrag von 3.110,70 € brutto (der sich aus 979,32 € brutto und 2.131,38 € brutto zusammensetzt) hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von 172,26 € brutto zu zahlen,
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29
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 649,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 54,14 € seit dem 01.07.2015, 01.08.2015, 01.09.2015, 01.10.2015, 01.11.2015, 01.12.2015, 01.01.2016, 01.02.2016, 01.03.2016, 01.04.2016, 01.05.2016 und 01.06.2016 zu zahlen,
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30
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 689,04 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 172,26 € seit dem 01.07.2016, 01.08.2016, 01.09.2016 und 01.10.2016 zu zahlen.
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31
Die Beklagte hat beantragt,
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32
die Klage abzuweisen.
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33
Die Beklagte hat vorgetragen, über die bereits erfolgte Erhöhung der Versorgungsbezüge um jeweils 0,5 % hinaus bestehe kein Anspruch der klagenden Partei.
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34
Sie habe die Anpassung nach § 6 Ziff. 1 AusfBestg BVW durch Beschluss der Geschäftsführung gemäß § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW abändern und die Anpassung auf 0,5 % festlegen können. Die Regelung in § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW sei weder unklar noch aus sonstigen Gründen unwirksam. Die Regelung sei nicht zu unbestimmt, da die Auslegung des Wortes
„vertretbar“
ergebe, dass die jährliche gemeinsame Ermessensentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat nach den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu erfolgen habe. Demnach bedürfe es eines sachlichen Grundes für die Abweichung von der in § 6 Ziff. 1 AusfBestg BVW geregelten Rentenanpassung. Die vorgenommene Entscheidung der Beklagten sei ermessensfehlerfrei ergangen. Insoweit sprächen folgende Aspekte für eine reduzierte Rentenanpassung:
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35
•
ein schwieriges ökonomisches Umfeld durch langanhaltende Niedrigzinsen, demografische Trends und kulturelle Umbrüche (z.B. Digitalisierung, Langlebigkeitsrisiko);
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36
•
ein abschwächendes Wachstum im Versicherungsmarkt in 2015;
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37
•
steigende Anforderungen zur Regulierung (Kapitalisierungsanforderungen durch Solvency II, Umsetzung Lebensversicherungsreformgesetz);
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38
•
steigende Kundenanforderungen (hohe Preissensitivität, sinkende Loyalität).
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39
Diese Rahmenbedingungen hätten den Konzern zu einer neuen Strategie veranlasst (S.-Konzept), in deren Umsetzung u.a. Personalkosten eingespart werden sollten. Weil die aktiven Mitarbeiter einen erheblichen Beitrag zur Stärkung des Konzerns leisten müssten, sei es angemessen, dass auch die Rentner einen Beitrag leisteten. Betriebsrentner anderer Versorgungssysteme im Konzern erhielten aufgrund des niedrigen Anstiegs des Verbraucherpreisindexes (auf Basis des § 16 BetrAVG) eine deutlich niedrigere Anpassung als nach dem Anstieg der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Versorgungsniveau der Betriebsrentner nach der Betriebsvereinbarung „Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“ sei bereits überdurchschnittlich hoch.
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40
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG sei durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung
„Bestimmungen des Betrieblichen Versorgungswerkes“
sowohl gewahrt als auch verbraucht.
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41
Die Beschlüsse der Beklagten seien ordnungsgemäß erfolgt. Der Vorstand und der Aufsichtsrat hätten den Beschluss, die Anpassung nur in Höhe von 0,5% vorzunehmen, nach Abwägung der beteiligten Interessen getroffen. Hierbei seien auch die Stellungnahmen der Betriebsräte berücksichtigt worden. Der Beschluss für das Jahr 2015 sei nicht verfristet, da § 6 Ziff. 2 AusfBestg BVW keinen Stichtag für die Beschlussfassung vorsehe.
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42
Mit Urteil vom 16. Dezember 2016 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat im Wesentlichen ausgeführt:
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43
Der Zahlungsanspruch der klagenden Partei folge aus § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen des BVW. Die nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen vorzunehmende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge der klagenden Partei in Höhe der Erhöhung der gesetzlichen Rente sei nicht gemäß § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen durch einen hiervon abweichenden gemeinsamen Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat ersetzt worden. Dem Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat komme im Hinblick auf die vorzunehmende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge der klagenden Partei im Streitfall keine Bedeutung zu, da die Regelung in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen des BVW unwirksam sei. § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen des BVW sei nicht hinreichend bestimmt und verstoße damit gegen das Gebot der Normenklarheit, weil sie vorsieht, dass eine von § 6 Ziffer 1 abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge auf Vorschlag des Vorstands möglich ist, wenn der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge nach Ziffer 1 nicht für vertretbar hält. Unklar sei hier sowohl, wann eine fehlende Vertretbarkeit der nach Ziffer 1 erfolgenden Anpassung gegeben sei, als auch die Frage, ob es für die Eröffnung der in Ziffer 3 geregelten abweichenden Festsetzung der Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge tatsächlich – entsprechend dem Wortlaut der Regelung – auf die subjektive Einschätzung des Vorstands ankommen solle. Der Regelung sei danach nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, wann der Anwendungsbereich von § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen eröffnet sei und eine Abweichung von der in § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Anpassungsautomatik, wonach die Gesamtversorgungsbezüge jeweils entsprechend der Entwicklung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden, erfolgen könne. Dies sei insbesondere mit Blick darauf, dass § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen letztlich einen Änderungsvorbehalt zugunsten der Beklagten im Hinblick auf die in § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen vorgesehene regelmäßige Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge regele, unter Berücksichtigung der in § 308 Nr. 4 BGB gesetzlich verankerten Mindestanforderungen für einen - in Allgemeinen Geschäftsbedingungen - geregelten Änderungsvorbehalt unzureichend. § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen sei zum anderen aber auch auf der Rechtsfolgenseite nicht hinreichend bestimmt, da nicht ersichtlich sei, in welcher Weise und in welcher Größenordnung bzw. in welchem Umfang eine von § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfolgen könne. Vielmehr lasse der Wortlaut von § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen die Frage nach dem „Wie“ der abweichenden Regelung inhaltlich völlig offen, wenn darin lediglich allgemein die Rede davon ist, dass der Vorstand dem Aufsichtsrat - nach Anhören der Betriebsräte - zur gemeinsamen Beschlussfassung vorschlägt, „was nach seiner Auffassung geschehen soll“. Damit sei dieser Passus in § 6 Ziffer 3 denkbar weit gefasst und seinem Wortlaut nach nicht nur auf eine von § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen abweichende Anpassung der Höhe nach beschränkt, sondern daneben auch offen für jede andere vom Vorstand vor dem Hintergrund der fehlenden Vertretbarkeit einer nach § 6 Ziffer 1 erfolgenden Anpassung als sinnvoll erachtete Maßnahme.
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44
§ 6 Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen könne auch nicht im Wege der gebotenen gesetzeskonformen Auslegung dahin ausgelegt werden, dass die Regelung einen hinreichend bestimmten Regelungsgehalt aufweist. Das gelte zum einen im Hinblick auf den Begriff der fehlenden Vertretbarkeit („nicht für vertretbar (…) hält“). Zwar mache die Überschrift des § 6 der Ausführungsbestimmungen deutlich, dass die in § 6 geregelte Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Tragen kommen solle. Allerdings bleibe auch unter Berücksichtigung der Überschrift von § 6 der Ausführungsbestimmungen weiterhin unklar, wann die danach erforderliche Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben sei. So sei weder bestimmbar, wessen wirtschaftliche Verhältnisse (des Unternehmens? des Konzerns? der allgemeinen Wirtschaftslage?) in diesem Zusammenhang maßgeblich sein sollen noch lasse sich § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen unter Rückgriff auf die Überschrift von § 6 entnehmen, in welcher Weise und in welchem Umfang sich die – nicht näher bestimmten - wirtschaftlichen Verhältnisse (in welchem Zeitraum?) geändert haben müssen, damit von einer fehlenden Vertretbarkeit im Sinne des § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen ausgegangen werden könne.
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45
Auch der Rückgriff auf § 315 Abs. 1 BGB und des danach anzusetzenden Prüfungsmaßstab des billigen Ermessens führe nicht zu einer weiteren inhaltlichen Eingrenzung der Frage, wann eine Anpassung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen im Sinne von § 6 Ziffer 3 nicht vertretbar ist. Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht stehe dem Vorstand der Beklagten nicht bereits auf der Tatbestandsseite der Regelung und damit bei der Frage, ob eine von § 6 Ziffer 1 abweichende Anpassung der Gesamtversorgung überhaupt möglich ist, sondern vielmehr erst und allenfalls auf der Rechtsfolgenseite, d.h. konkret bei der Frage zu, in welcher Weise die Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge vorzunehmen ist, wenn die Regelanpassung nicht vertretbar ist bzw. von einer fehlenden Vertretbarkeit ausgegangen werden darf. Selbst wenn man insoweit unterstellte, dass auch auf die vom Vorstand vorzunehmende Einschätzung, dass die Regelanpassung der Gesamtversorgungsbezüge nicht vertretbar ist, § 315 BGB und damit der ihn ihm vorgesehene Maßstab des billigen Ermessen jedenfalls entsprechend anzuwenden ist, führe dies im Ergebnis zu keiner ausreichenden hinreichenden Eingrenzung des Begriffs der Vertretbarkeit. Die in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen enthaltene Formulierung „für unvertretbar hält“ sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht dann als hinreichend bestimmt zu bewerten, wenn man die Formulierung – wie es die Beklagte tut - dahin auslege, dass die jährliche gemeinsame Ermessenentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat durch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt seien, was bedeute, dass eine von § 6 Ziffer 1 zu Lasten der Versorgungsempfänger abweichende Anpassung einen sachlichen Grund voraussetze. Die gebotene Auslegung von § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen führe auch im Hinblick auf die auf der Rechtsfolgenseite enthaltene Formulierung, wonach der Vorstand dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vorschlägt, „was nach seiner Auffassung geschehen soll“, nicht zu einer hinreichenden inhaltlichen Eingrenzung. Auch aus dem Gesamtzusammenhang oder der Systematik der Regelungen ließen sich keine weitere Konkretisierung dessen, welche Maßnahmen der Vorstand dem Aufsichtsrat zur gemeinsamen Beschlussfassung vorschlagen dürfe, entnehmen. Insbesondere lasse sich aus der Überschrift des § 6 der Ausführungsbestimmungen („Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse“) nicht ableiten, dass es sich bei dem Vorstand vorzuschlagenden Maßnahmen lediglich um eine im Vergleich zur Anpassung nach § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen geringfügigere Anpassung der Höhe nach handeln kann. Vielmehr spreche im Gegenteil die sich aus den Bestimmungen des BVW im Einzelnen ergebende und durchaus komfortable Gesamtversorgungszusage sogar eher dafür, dass die Betriebsparteien bei Abschluss der Betriebsvereinbarung das praktische Bedürfnis gesehen haben, der in § 6 Ziffer 1 der Ausführungsbestimmungen geregelten Anpassungsautomatik in Höhe der Erhöhung der gesetzlichen Rente ein im Ausnahmefall zum Tragen kommendes inhaltlich durchaus weitreichendes Korrektiv in Gestalt eines umfassenden Änderungsvorbehalts entgegenzusetzen.
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46
Die Unwirksamkeit der Regelung in § 6 Ziffer 3 der Ausführungsbestimmungen führe nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung.
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47
Der Anspruch auf Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge in Höhe der Entwicklung der gesetzlichen Rente unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rente habe zur Folge, dass der klagenden Partei beginnend ab dem Monat Juli 2015 bis einschließlich Juni 2016 gegen die Beklagte ein Anspruch auf eine weitere Zahlung in Höhe von € 54,14 brutto und ab dem 1. Juli 2016 ein Anspruch auf eine weitere Zahlung in Höhe von € 172,26 brutto zustehe.
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48
Der Anspruch auf Zinsen folge aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Anspruch auf Zahlung der Versorgungsbezüge sei zum letzten Tag des jeweiligen Monats fällig, so dass sich die Beklagte mit der Zahlung mit Ablauf des jeweils Monatsletzten in Verzug befunden habe.
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49
Das Urteil ist der Beklagten am 27. Dezember 2016 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 27. Januar 2017 Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27. April 2017 mit an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
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50
Die Beklagte
hält das Urteil des Arbeitsgerichts für unzutreffend. Sie trägt vor, ihre Entscheidung zur Rentenanpassung im Jahr 2015 sei von § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW gedeckt. Die geringeren Rentenanpassungen seien Teil eines umfassenden Einsparkonzeptes, um sicherzustellen, dass der A.-Konzern auch in Zukunft am Markt mit Gewinnen bestehen könne. Es gebe ein schwieriges Marktumfeld, das durch niedrige Zinsen (Leitzins von 0% bzw. 0,05 %) und eine niedrige Inflation (0,3 % im Juni 2015) bestimmt werde. Der Verbraucherpreisindex habe sich von Juni 2014 bis Juni 2015 nur von 106,7 auf 107 erhöht. Wegen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise werde es für Versicherer immer schwieriger, das Geld der Kunden lukrativ anzulegen. Das unverändert niedrige Zinsniveau stelle eine erhebliche Belastung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns und damit auch der Beklagten dar. Die Beklagte sei im Zeitpunkt der Anpassungsprüfung zum 1. Juli 2015 davon ausgegangen, dass sich das Wachstum im Versicherungsmarkt 2015 abschwächen werde und gehe weiter von einer nur schwachen konjunkturellen Entwicklung im Euroraum aus. Risiken ergäben sich zudem aus der demographischen Entwicklung und der steigenden Lebenserwartung. verzeichnen. Zudem seien signifikant gestiegene Kundenanforderungen zu verzeichnen. Hier sei vor allem auf die angestiegene Preissensitivität bei sinkender Loyalität zu verweisen. Weitere Risikopotentiale seien aus den vertrieblichen Herausforderungen im Branchenumfeld entstanden, die letztlich die Folge der Finanzmarktkrise seien. Wettbewerber würden Kostensenkungs- und Automatisierungsprogramme sowie variable Produktmodelle ohne feste Garantien forcieren. Die Komplexität der Lebensversicherung sei durch das Mitte 2014 in Kraft getretene Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) weiter gesteigert worden. Der für Lebensversicherungsprodukte erforderliche finanzielle Aufwand sei deutlich erhöht worden. Die Umsetzung des LVRG habe zu erheblichen Produktänderungen im gesamten Konzern und zu einer Veränderung der Provisionsregelungen geführt. Der Aufwand der Versicherungsunternehmen für die Vergütung der Vermittler habe sich spürbar erhöht.
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51
Des Weiteren verschlechtere Solvency II die Rahmenbedingungen. Die Versicherer müssten hiernach über so viel Kapital verfügen, dass sie selbst Negativergebnisse verkraften könnten, die statistisch gesehen nur einmal in 200 Jahren aufträten. Somit hätte zum 1. Januar 2016 mit der Umsetzung von Solvency II in nationales Recht die Notwendigkeit für die Beklagte bestanden, eine risiko- bzw. marktwertorientierte Bewertung ihrer Kapitalanlagen und Leistungsverpflichtungen vorzunehmen. Ferner würden weitgehende Anforderungen an die Geschäftsorganisation der Versicherungsunternehmen gestellt. Die Berichtspflichten von Versicherern seien erweitert worden. Dieses umzusetzen, hätte einen finanziellen Aufwand für den Konzern und damit auch für die Beklagte bedeutet.
Randnummer
52
Das negative Marktumfeld habe konkrete negative Folgen gehabt. So habe der Konzern eine sog. Zinszusatzreserve von etwa 2 Milliarden Euro bilden müssen. Allein 2016 habe dieser Posten um ca. 620 Millionen Euro aufgefüllt werden müssen. Mit einem weiteren Ansteigen sei zu rechnen.
Randnummer
53
Als Folge des Marktdrucks sei es konzernweit zu einem Einstellungsstopp und einem massiven Personalabbau gekommen. Bei einem Personalbestand von ca. 13.000 Mitarbeitern hätten 2016 etwa 1.135 Personen den Konzern verlassen. Der angestellte Außendienst werde reduziert, das Provisionsmodell massiv angepasst. Im Konzern gebe es weitere Sparprogramme zur Kostenreduzierung (Raumverknappung, Betriebsübergänge, Spesenreduzierungsprogramme, Reduzierung der Altersversorgung auf Führungsebene für Neueintritte).
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54
Die Reduzierung der Rentenerhöhung habe allein im Zeitraum 1. Juli 2015 bis 1. Juli 2016 zu Einsparungen in Höhe von etwa 2,7 Millionen Euro sowie einer Reduzierung der Rückstellungen um 43,6 Millionen Euro geführt. Aufgrund dieser Maßnahmen sei es noch gelungen, für die Unternehmen des Konzerns einen Gewinn zu erwirtschaften. Vor allem der Personalabbau von ca. 8,5 % der kompletten Belegschaft in Deutschland allein im Jahr 2016 zeige, wie sehr auf den Marktdruck habe reagiert werden müssen. Näheres ergebe sich auch aus dem S.-Konzept. Im September 2015 hätten die Verhandlungen mit den Betriebsräten über die Umsetzung des Konzepts begonnen. Mittlerweile befände sich das Konzept in der Umsetzungsphase. In finanzieller Hinsicht ziele das Konzept auf die konzernweite Einsparung von Kosten in Höhe von 160 bis 190 Millionen Euro pro Jahr ab. Ein Teil der Planungen habe in dem Übergang des gesamten Personals der Beklagten und der A. V. AG auf die neue A. D. AG bestanden, was mit Standortverlagerungen und Standortzusammenschlüssen einhergegangen sei. In diesem Zusammenhang stehe auch der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen im Raum. Die aktive Belegschaft leiste einen erheblichen Beitrag für die zukunftsfähige Ausrichtung des Konzerns mit u.a. folgenden Maßnahmen: Personalabbau i.V.m. einem Einstellungs- und Beförderungsstopp sowie einem Verbot von Entfristungen befristeter Arbeitsverträge, was eine Verdichtung der Arbeitsbelastung bedeute; Betriebsübergänge auf die A. D. AG; Reduzierung des angestellten Außendienstes; Kürzung der Budgets für Sach-, Reise-, Bewirtungs- und Fortbildungskosten; Kürzung des Budgets für Leistungszusagen in der betrieblichen Altersversorgung bei Neueintritten auf der Stufe der Vorstände und leitenden Angestellten um die Hälfte des bisherigen Volumens; keine Gehaltserhöhung für außertarifliche Angestellte in 2016 (bis auf individuelle Sonderfälle).
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55
Demgegenüber wögen die Interessen der klagenden Partei nur gering. Auch die Betriebsrentner hätten ihren Beitrag zur zukunftsfähigen Ausrichtung des Konzerns und der Beklagten leisten müssen. Der von ihnen eingeforderte Beitrag sei im Verhältnis zu dem Beitrag der aktiven Belegschaft gering. Das Versorgungsniveau bei den Versorgungsempfängern im BVW sei schon jetzt überdurchschnittlich hoch. Kaufkraftschwund und die Inflationsentwicklung seien bei der Anpassungsentscheidung im Jahr 2015 ausreichend berücksichtigt worden. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich die klagende Partei nicht berufen, denn die Aussetzung der Rentenanpassung sei in § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW ausdrücklich vorgesehen.
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56
Die Beklagte habe von § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW auch Gebrauch machen dürfen. Eine Beschränkung auf wirtschaftliche Notlagen oder Veränderungen der wirtschaftlichen Unternehmensdaten sei nicht geregelt und auch nicht jahrzehntelanges Verständnis der Betriebsparteien gewesen.
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57
Die Regelung in § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW sei hinreichend bestimmt. Der Begriff
„vertretbar“
sei so zu verstehen, dass die jährliche gemeinsame Ermessensentscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW durch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes eingeschränkt sei. Eine von § 6 Ziff. 1 AusfBestg BVW negativ abweichende Anpassung der Gesamtversorgungsbezüge erfordere einen sachlichen Grund, der die Abweichung rechtfertige. Hier liege mit dem Konzept zur zukunftsfähigen Ausrichtung des Unternehmens ein solcher sachlicher Grund vor. Zudem werde durch die geringere Anpassung der Versorgungsbezüge verhindert, dass sich das ohnehin überdurchschnittlich hohe Versorgungsniveau der Berechtigten des BVW noch weiter vom Versorgungsniveau der Berechtigten andere Versorgungswerke bei der Beklagten und im A.-Konzern entferne.
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Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der geänderten Anpassungsentscheidung nach § 6 Ziff. 1 AusfBestg. BVW sei nicht gegeben. Der Betriebsrat habe keine Regelungskompetenz für Betriebsrentner. Zudem sei keine Veränderung der Verteilungsgrundsätze erfolgt. Arbeitgeber und Betriebsrat hätten sich in der Betriebsvereinbarung darauf geeinigt, ob und wie die Leistungen erfolgen sollten, ohne dass der Betriebsrat bei eine Änderung der Verteilungsgrundsätze infolge der Anpassungsentscheidung noch einmal hätte beteiligt werden sollen. Diese Absprache sei Teil der mitbestimmten Regelung.
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Die Beklagte beantragt,
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60
das Urteil des
Arbeitsgerichts Hamburg vom 16. Dezember 2016, Az.: 21 Ca 54/16
, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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61
Die klagende Partei beantragt,
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62
die Berufung zurückzuweisen
.
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63
Die klagende Partei
verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Sie trägt vor, die Regelung in § 6 Ziff. 3 Ausfbestg BVW sei unwirksam, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Ferner habe der Betriebsrat unzulässig auf sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verzichtet. Die nach dem 12. Juli 2015 gefassten Beschlüsse hätten den nach § 6 Ziff. 1 Ausfbestg BVW bereits entstandenen Anspruch nicht rückwirkend entfallen lassen können. Nach § 6 Ziff. 3 AusfBestg BVW dürfe nur dann von § 6 Ziff. 1 abgewichen werden, wenn veränderte wirtschaftliche Verhältnisse vorlägen, also die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers eine Anpassung nicht zulasse und der Fortbestand der Gesellschaft gefährdet sei. Das sei vorliegend nicht der Fall. Hinzuweisen sei auch auf einen Bericht des Handelsblatts vom 18. Juni 2016, wonach der A.-Konzern im Jahr 2015 so viel verdient habe wie seit acht Jahren nicht mehr. Auch die Steigerung der Dividende im Jahr 2015 stehe im Widerspruch zu der Entscheidung, dass die Erfüllung der Anpassungsansprüche der Betriebsrentner nicht vertretbar sei.
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64
Hinsichtlich des ergänzenden Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 27. April 2017 (Bl. 373 ff. d.A.), auf die Berufungsbeantwortung vom 31. Mai 2017 (Bl. 478 ff. d.A.) und den Schriftsatz der Beklagten vom 17. November 2017 (Bl. 564 ff. d.A.) verwiesen. Wegen des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Beweisantritte und ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Sitzungsprotokolle Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 und 3 ArbGG). | Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des
Arbeitsgerichts Hamburg vom 16.12.2016 - Gz.: 21 Ca 54/16
- teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Partei beginnend mit dem 1.11.2016 über den Betrag von € 3.110,70 brutto (der sich aus € 979,32 brutto und € 2.131,38 brutto zusammensetzt) hinaus jeweils zum 01. eines Monats einen Betrag in Höhe von € 172,26 brutto zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Partei einen Betrag von € 649,68 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von jeweils € 54,14 brutto seit dem 2.7.2015, 2.8.2015, 2.9.2015, 2.10.2015, 2.11.2015, 2.12.2015, 2.1.2016, 2.2.2016, 2.3.2016, 2.4.2016, 2.5.2016 und 2.6.2016 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Partei einen Betrag in Höhe von € 689,04 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von jeweils € 172,26 brutto seit dem 2.7.2016, 2.8.2016, 2.9.2016 und 2.10.2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen. | 1 |
VG Neustadt (Weinstraße) 1. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 20.07.2011 | 1 | Randnummer
1
Die Kläger wenden sich mit der vorliegenden Klage gegen die rückwirkende Erhöhung der Grundsteuer B und begehren die Erstattung von Kosten der Zwangsvollstreckung aus einem Grundsteueränderungsbescheid der Beklagten.
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Die Kläger sind seit 1. Januar 2002 Eigentümer des Anwesens ... im Gemeindegebiet der Beklagten.
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Mit Bescheid vom 21. Juni 2001 setzte das zuständige Finanzamt den Grundsteuermessbetrag für das Anwesen der Kläger, auf der Basis einer Besteuerung als Zweifamilienhaus und unter Zurechnung des Steuerobjekts zu den Klägern, ab dem 1. Januar 2002 auf 15,21 € fest. Auf der Grundlage dieses Messbescheids setzte die Beklagte für die Jahre 2002 bis 2004 eine jährliche Grundsteuer in Höhe von 48,22 € und für das Jahr 2005 – aufgrund eines erhöhten Steuerhebesatzes – in Höhe von 48,67 € fest.
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Das Finanzamt wandte sich im September 2009 an die Kläger und bat im Zusammenhang mit der geplanten neuen Einheitsbewertung des Grundbesitzes auf den 1. Januar 2005 um diverse Erklärungen der Kläger. Zu diesem Zweck wurden den Klägern sechs Vordrucke bzw. Ausstattungsbögen zugeleitet.
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Mit dem in Bestandskraft erwachsenen Bescheid vom 5. Februar 2010 setzte das Finanzamt den Grundsteuermessbetrag mit Wirkung vom 1. Januar 2005 neu auf 59,02 € fest und legte hierbei als Steuerobjekt ein Einfamilienhaus sowie als Steuerschuldner die Kläger zugrunde.
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Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Änderungsbescheid vom 24. Februar 2010 setzte die Beklagte die Grundsteuer unter Hinweis auf die geänderte Bemessungsgrundlage rückwirkend ab dem 1. Januar 2005 auf jeweils 188,86 € fest.
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Die Kläger legten gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen vortrugen, dass sie keine belastenden Änderungen für die Vergangenheit akzeptierten. Nach §§ 22 Abs. 4 Nr. 2 Bewertungsgesetz (BewG) und 21 des Grundsteuergesetzes (GrStG) könne der Fortschreibungszeitpunkt nicht rückwirkend festgelegt und die Steuer nicht rückwirkend erhöht werden. Der Wohnwert des Grundstücks sei entwertet, weil ihr Haus im Jahr 2009 zwangsgeräumt und tagelang versiegelt gewesen sei.
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Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und erwiderte, dass der Grundsteuermessbescheid vom 5. Februar 2010 für die Festsetzung der Grundsteuer gemäß §§ 184 Abs. 1, 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) verbindlich sei. Dies gelte auch für die sachliche und persönliche Steuerpflicht. Der Messbescheid könne gemäß § 22 Abs. 4 Nr. 1 BewG auf den Fortschreibungszeitpunkt, dies sei der Beginn des Kalenderjahres nach Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, abstellen. Die von ihr zugrunde gelegten steuerlichen Hebesätze seien unter Berücksichtigung des
§ 99 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeordnung
(GemO) sowie ihrer jeweiligen Haushaltssatzung angewandt worden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2011 hat der Kreisrechtsausschuss Kaiserslautern den Widerspruch der Kläger zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Grundsteuermessbescheid vom 5. Februar 2010 einen Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO darstelle. Diesem Messbescheid komme gemäß den §§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 184 Abs. 1 Satz 4 und 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung zu. Die Beklagte sei daher nach einer Änderung des ursprünglichen Messbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet, auch die früheren Steuerbescheide zu ändern. Die Steuerforderungen seien nicht verjährt. Denn infolge der Bindung der Steuerfestsetzung an den geänderten Steuermessbescheid ende die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO). Der von den Klägern angeführte § 22 Abs. 4 Nr. 2 BewG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, vielmehr sei § 22 Abs. 4 Nr. 1 BewG heranzuziehen. Die Steuer sei gemäß den §§ 13 und 25 GrStG korrekt berechnet worden.
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Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids (2. Februar 2011) haben die Kläger am 2. März 2011 Klage erhoben.
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Sie tragen vor, dass der Grundsteuerbescheid nicht nachvollziehbar sei. Die dortigen Festsetzungen und Berechnungen seien nicht schlüssig und stünden im Widerspruch zu diversen Personenkontoauszügen. Sie – die Kläger – gingen davon aus, dass der angefochtene Bescheid nur das Jahr 2010 betreffe. Erst in der Begründung dieses Bescheids werde erkennbar, dass auch für die Jahre 2005 bis 2009 neue Festsetzungen erfolgen sollten. Die Beklagte habe aber bereits ab 2002 die Hauptveranlagung durchgeführt. Diese bleibe gemäß den §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 1 GrStG bis zur nächsten Hauptveranlagung maßgeblich. Eine Neuveranlagung sei zudem durch § 22 Abs. 4 Nr. 1 BewG ausgeschlossen. § 175 AO eröffne keine Veranlagung für zurückliegende Zeiträume, denn diese Norm sei nach
§ 3 des Kommunalabgabengesetzes
(KAG) nicht anwendbar. Anlass für die Änderung des Einheitswertes sei zudem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Diese dürfe nach § 176 AO nicht zu Ungunsten der Steuerschuldner berücksichtigt werden. Änderungen der steuerlichen Folgebescheide seien daher nur für die Zukunft zulässig. Insoweit greife ein Rückwirkungsverbot nach den §§ 48 und 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Ihr Haus sei zudem laut Angaben eines Prüfingenieurs baufällig, weshalb ein Betretungsverbot ergangen und eine Zwangsräumung erfolgt sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass dennoch Grundsteuer zu zahlen sei.
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Die Kläger beantragen schriftlich,
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I. den Bescheid der Verbandsgemeindeverwaltung Otterbach vom 24.02.2010 zu Buchungsnr. 16886-11395 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2011 aufzuheben,
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II. die Beklagte zu verurteilen, den Klägern die Kosten der Zwangsvollstreckung aus dem unter I. genannten Bescheid zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie erwidert, dass die Änderung des Grundsteuermessbescheids rückwirkend zum 1. Januar 2005 eine Änderungspflicht hinsichtlich der steuerlichen Festsetzungsbescheide begründe. Dies ergebe sich aus den §§ 182 Abs. 1, 184 Abs. 1 Satz 4, 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Die Änderung der Steuerfestsetzungen sei durch den streitgegenständlichen Bescheid innerhalb der Festsetzungsfrist des § 171 Abs. 10 AO erfolgt. Die vorstehenden Normen seien gemäß den §§ 1 Abs. 2 Nr. 4 und 3 Abs. 2 AO im Grundsteuerrecht anwendbar. Eine Aufhebung der früheren Steuerbescheide sei nicht nötig gewesen, weil § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eine Anpassung der Steuerfestsetzung an den geänderten Messbescheid erlaube, ohne dass eine Aufhebung der vorausgegangenen Steuerbescheide erforderlich sei. Die von den Klägern monierten Diskrepanzen zwischen dem Bescheid vom 24. Februar 2010 und Personenkontoauszügen, beruhten auf der früheren (niedrigeren) Festsetzung der Grundsteuer sowie auf dem Umstand, dass im Personenkonto auch Abgaben und Zahlungen berücksichtigt würden, die hier nicht streitgegenständlich seien. Die übrigen Einwendungen der Kläger beträfen den Messbescheid und seien im vorliegenden Verfahren nicht beachtlich.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie des Kreisrechtsausschusses Kaiserslautern verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. | 0 |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 3. Senat | Berlin | 0 | 1 | 11.03.2010 | 0 | Randnummer
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Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
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Die 1943 geborene Klägerin nahm im Mai 1959 eine Ausbildung zur Modellnäherin auf und arbeitete in diesem Beruf bis November 1966, anschließend war sie Hausfrau. Von September 1972 bis März 1976, unterbrochen durch eine weitere Zeit als Hausfrau von August 1973 bis März 1975, arbeitete die Klägerin als Datentypistin im Finanzamt. Von April 1976 bis März 1978 absolvierte sie erfolgreich eine Fachschulausbildung zur medizinisch-technischen-radiologischen Assistentin (MTRA). Anschließend war die Klägerin bis Januar 1997 als MTRA im Krankenhaus B im Bereich Röntgendiagnostik beschäftigt.
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Vom 12. Juni 1989 bis zum 13. Mai 1990 war sie wegen eines Wurzelirritationssyndroms bei medialer Bandscheibenprotrusion L 5 arbeitsunfähig. In dieser Zeit wurde vom 15. Juni 1989 bis zum 18. Juli 1989 eine stationäre Behandlung im Krankenhaus M, Neurologische Abteilung, sowie vom 08. August 1989 bis zum 05. September 1989 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik D durchgeführt. Aufgrund einer Empfehlung des behandelnden Arztes für Neurologie B (Attest vom 15. Mai 1990) erfolgte zum Juni 1990 die Umsetzung der Klägerin auf einen anderen Arbeitsplatz in der Computertomographie (CT)-Abteilung mit überwiegend sitzender Tätigkeit. Ab dem 14. Januar 1997 war sie arbeitsunfähig wegen eines chronischen Zervikalsyndroms bei Protrusion C 6/7. Seit dem 01. August 1997 bezieht die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
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Auf die am 07. April 1994 bei der Beklagten eingegangene Anzeige des Arbeitgebers über eine BK (Wirbelsäulen-Erkrankung) veranlasste die Beklagte eine erste Untersuchung durch die Arbeitsmedizinerin Prof. Dr. S. Die Gutachterin vertrat die Auffassung, die glaubhaften beruflichen Belastungen kämen nicht als Ursache der vorliegenden Wirbelsäulenerkrankung in Betracht. Der derzeitige Arbeitsplatz trage den Wirbelsäulenveränderungen und –beschwerden Rechnung, zumal ein Wechsel der Haltungsarten möglich sei (Erster Untersuchungsbefund vom 15. Juni 1994). Daraufhin lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. August 1994 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass der Wirbelsäulenerkrankung mit der Begründung ab, nach Art, Form und Krankheitsverlauf sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die festgestellten Wirbelsäulenschäden (u. a. Bandscheibenvorfall L 5/S 1 und sogenanntes Facettensyndrom mit rezidivierender Beschwerdesymptomatik) ursächlich durch die berufliche Tätigkeit entstanden oder richtunggebend verschlimmert worden seien. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) bzw. der Halswirbelsäule (HWS) i. S. d. Nrn. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV liege nicht vor.
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Mit Schreiben vom 10. April 2000, welches die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X auffasste, bat die Klägerin um Einleitung eines Anerkennungsverfahrens bezogen auf die BK Nr. 2108. Sie legte Befunde über CTen der LWS vom 04. September 1995 und 14. Mai 1997 sowie den Bericht der orthopädischen Poliklinik der Freien Universität B vom 08. Dezember 1995 über die am 05. Dezember 1995 erfolgte Vorstellung (Diagnosen: chronisches Lumbalsyndrom mit Facettenproblematik rechts, Verdacht auf claudicatio spinalis bei somatisierter Depression) vor. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Arbeitsmediziner Dr. D am 31. Mai 2001 einen ersten Untersuchungsbefund, in dem er eine berufliche Verursachung der Wirbelsäulenbeschwerden verneinte. Die vorliegenden Befunde würden keine Rückschlüsse auf eine bandscheibenbedingte Funktionsstörung zulassen.
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Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 13. Mai 2002, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2002, die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 25. August 1994 ab. Der Bescheid habe sich als rechtmäßig erwiesen. Auch bei der Untersuchung durch Dr. D habe ein belastungskonformes Krankheitsbild nicht nachgewiesen werden können. Weder seien bandscheibenbedingte Veränderungen i. S. einer Primärschädigung zu objektivieren, noch hätten die erhobenen Befunde Rückschlüsse auf eine bandscheibenbedingte Funktionsstörung zugelassen. Neurologische Defizite oder eine radikuläre Symptomatik seien nicht nachweisbar gewesen. Gegen eine berufliche Mitverursachung spreche zudem, dass die Wirbelsäulenbeschwerden progredient verliefen und trotz fehlender wirbelsäulenbelastender Tätigkeit ab Mai 1990 zu weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätten.
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Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klägerin die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr. 2108 begehrt. Vor 1989 sei sie bis auf gelegentliche belastungsabhängige Beschwerden rückengesund gewesen. Am 15. Januar 1989 sei dann ein plötzlicher Schmerz im Bereich der LWS aufgetreten, der sich zu einem Dauerschmerz manifestiert habe. Sie leide unter ständig zunehmenden Beschwerden, die in das rechte Bein (Dermatom L 5/S 1) ausstrahlten und sich beim Stehen und Gehen verstärkten. Trotz Versetzung in die CT-Abteilung sei es immer wieder zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen LWS-Beschwerden gekommen, die u. a. zu Heilverfahren in den Jahren 1993 und 1996 geführt hätten. Bis 1989 habe sie in der Röntgendiagnostik einschließlich der Intensivstation und im OP-Bereich der Röntgenabteilung gearbeitet. Regelmäßige Bereitschaftsdienste hätten zur Tätigkeit gehört. Die Patienten seien auf Tragen oder in fahrbaren Stühlen gebracht worden, es habe nur ausnahmsweise höhenverstellbare Betten oder Röntgentische gegeben. Die Tragen seien zunächst noch mit einem Stoffliegeteil versehen gewesen, der es erforderlich gemacht habe, die Patienten über eine erhöhte Kante über den Röntgentisch zu heben. Zudem habe der Höhenunterschied zwischen Betten bzw. Tragen und dem Röntgentisch ca. 20 bis 30 cm bestanden. Komatöse und frisch operierte Patienten seien regelmäßig zu zweit auf den Röntgentisch gehoben worden. Während des Bereitschaftsdienstes habe man dies jedoch auch allein machen müssen. Patienten der Intensivstation, die nicht transportiert werden konnten, habe man im Bett geröntgt. Dazu habe man eine Bleischürze anlegen müssen und sich mit diesem Gewicht versehen über das Bett zum Anheben des Patienten und Unterlegen bzw. Hervorziehen der Röntgenkassette beugen müssen. Patienten, die im Stuhlwagen gebracht worden seien, hätten in gebeugter und zudem verdrehter Körperhaltung aus diesem auf den Röntgentisch gehoben werden müssen. Zudem hätten Stapel von Bleikassetten vom Untersuchungsraum zur Dunkelkammer getragen werden müssen. Ab Mai/Juni 1990 habe sie keine rückenbelastenden Tätigkeiten mehr ausgeführt.
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Das SG hat eine Aufstellung der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von 1989 bis 1996 der Techniker Krankenkasse (TKK) und das für den MDK Berlin e. V. erstellte Gutachten der Ärztin für Sozialmedizin Dr. O vom 21. März 1997 angefordert. Weiter hat es die Behandlungsakte des Krankenhauses M (incl. Entlassungsbericht vom 02. August 1989 und Bericht der Reha-Klinik D vom 22. September 1989), die Betriebsarztakte des Krankenhauses M die Verwaltungsakte des Rentenversicherungsträgers (incl. Entlassungsbericht der W-Klinik B S vom 24. Mai 1996, Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 26. August 1997, des Nervenarztes Dr. L vom 16. Juli 1999 und des Facharztes für Orthopädie Dr. R vom 05. Oktober 1999, Befunde über eine Magnetresonanztomographie (MRT) der HWS und Brustwirbelsäule (BWS) vom 06. Mai 1997 sowie über die Röntgenuntersuchung der HWS und LWS vom 16. September 1999) und die Verwaltungsakte des Versorgungsamtes Berlin betreffend das Schwerbehindertenverfahren der Klägerin beigezogen und die darin enthaltenen medizinischen Unterlagen in den Rechtsstreit eingeführt. Außerdem hat das SG Befundberichte von den die Klägerin behandelnden Ärzten, des Dr. B vom 19. Oktober 2004, des Neurologen B vom 29. Oktober 2004 (nebst Befund einer MRT der LWS vom 05. Juni 2001 und eines EMG/NLG-Befundes der Neurologin Dr. C vom 10. Juli 2001), des Orthopäden Dr. W vom 11. November 2004 und des Allgemeinmediziners Dr. K vom 21. Februar 2005, eingeholt.
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Sodann hat es den Orthopäden Dr. W mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 18. November 2005 ist dieser nach einer Untersuchung der Klägerin vom 17. November 2005 zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestünden folgende Gesundheitsstörungen: „chronische Dorsolumbalgien bei Spondylarthrose der Etage L 4/5 und Protrusio der Etage L 5/S 1 mit möglichen rezidivierenden sensiblen Wurzelirritationen“.
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Eine primäre, im Vordergrund stehende Bandscheibenerkrankung liege nicht vor. Eine Bandscheibenvorwölbung stelle noch keinen außerordentlichen, pathologischen Befund dar, zumal durch neue bildgebende Diagnostiken wie MRT-Untersuchungen sogar Bandscheibenvorfälle bei nicht belasteten Kollektiven und beschwerdefreien Rückenpatienten nachgewiesen werden könnten. Im Vordergrund stehend und in erster Linie von der Altersnorm abweichend fänden sich Facettengelenksarthrosen, insbesondere der Etagen L 4/5 beidseits, die nach den CT-, MRT- und Röntgenaufnahmen zwischen 1989 und 1999 eindeutig zugenommen hätten. Dagegen hätten in dieser Zeit die Bandscheibenveränderungen weder auf der Etage L 4/5 noch auf der Etage L 5/S 1 erkennbar zugenommen. Die zunehmende Facettengelenksarthrose sei nicht das Ergebnis einer primären Bandscheibenerkrankung, sondern eines schicksalhaften Geschehens. Die Bandscheibenveränderungen seien von vornherein als geringgradig einzustufen und könnten somit nicht Ausgangspunkt einer beruflich bedingten primären Discopathie gewesen sein. Auch hätte eine berufsbedingte, primäre Bandscheibenschädigung nach jahrelangen Überlastungen zu entsprechenden Begleitreaktionen an den angrenzenden Wirbelkörperdeckplatten (Osteochondrosen) führen oder zumindest in den Jahren danach nachweisbar sein müssen. Bis 1999 (10 Jahre nach Beendigung der angelasteten beruflichen Tätigkeit) seien derartige spezifische Veränderungen jedoch nicht erkennbar. Es fehle somit das pathomorphologische Korrelat, welches einer übermäßigen beruflichen Belastung zugeordnet werden könne. Zudem fehle es nach den vorliegenden Untersuchungsprotokollen an einem eindeutigen Nachweis für das klinische Beschwerdebild einer bandscheibenbedingten Erkrankung.
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Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die zur Gerichtsakte gereichten Stellungnahmen der Referentin Gesundheitsdienst G vom technischen Aufsichtsdienst (TAD) vom 19. März 2004 und 14. September 2004 ausgeführt, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 lägen nicht vor. In ihrer Stellungnahme vom 19. März 2004 hat Frau G dargelegt, der Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) seien die Angaben der Versicherten aus einem persönlich mit ihr geführten Gespräch, von Frau K von der Personalabteilung des Krankenhauses M und von der bis 2001 leitenden MTRA des Krankenhauses M Frau G, sowie die Erkenntnisse über vergleichbare Arbeitsplätze und aus früheren Besichtigungen der Abteilung zu Grunde gelegt worden. Hinsichtlich der allein die Wirbelsäule belastenden Tätigkeiten von April 1978 bis Mai 1989 würden die Angaben der Versicherten von denen des Arbeitgebers, d. h. der leitenden MTRA, abweichen. Da die Angaben der Klägerin zum Knochenarbeitsplatz nicht den Erfahrungen an Vergleichsarbeitsplätzen entsprochen hätten, seien hierfür die Angaben der Vorgesetzten zu Grunde gelegt worden, mit dem Ergebnis, dass der Schichtdosiswert zu keinem Zeitpunkt über 3,5 x 10
3
Nh liege. Sofern man die Angaben der Klägerin zu Grunde lege (70 % der Schichten für den Knochenarbeitsplatz = 154 Schichten, 30 % der Schichten für die anderen Arbeitsplätze = 66 Schichten) ergebe sich zwar eine Gesamtdosis von 7 x 10
6
Nh, diese unterschreite jedoch deutlich den für Frauen maßgeblichen Richtwert von 17 x 10
6
Nh. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 14. September 2004 hat Frau G darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung nach den Angaben der Klägerin immer die Maximalbelastungen zu Grunde gelegt worden seien.
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Das SG hat die Klage durch Urteil vom 23. Juni 2006 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 25. August 1994 nach § 44 SGB X und auf Anerkennung des LWS-Leidens als BK Nr. 2108 sowie Gewährung von Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Es seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 nicht erfüllt. So hätten die Berechnungen des TAD auch unter Zugrundlegung der Angaben der Klägerin ergeben, dass der Richtwert für eine als gefährdend zu bewertende Gesamtbelastungsdosis für Frauen von 17 x 10
6
Nh während der allein als hinreichend belastend in Frage kommenden Tätigkeit von 1978 bis 1989 um mehr als die Hälfte unterschritten werde. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen unter Berücksichtigung des MDD sei in einem solchen Fall grundsätzlich keine weitere Prüfung zur Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 erfüllt seien, erforderlich (vgl. Bundessozialgericht <BSG> Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 13/02 R –). Abgesehen davon seien vorliegend die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht erfüllt. Wie sich aus den Darlegungen des Sachverständigen Dr. W ergebe, sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit das Vorliegen einer primär bandscheibenbedingten Erkrankung nachgewiesen. Bis 2001 seien immer nur Bandscheibenprotrusionen und kein Prolaps radiologisch nachzuweisen gewesen. Auch der Neurologe Dr. K habe in seinem für den Rentenversicherungsträger erstellten Gutachten vom 26. August 1997 ausgeführt, dass sich die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule der Klägerin eher als Arthrosen und Spondylosen denn als Bandscheibenveränderungen darstellten. Selbst bei Annahme der arbeitstechnischen Voraussetzungen wie auch einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS lasse sich ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und dem LWS-Leiden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begründen. Es fehle an einem belastungskonformen Schadensbild im Bereich der LWS. Zudem bestünden erhebliche Schäden an der HWS, die ausweislich des MRT-Befundes vom 06. Mai 1997 mindestens ebenso stark ausgeprägt seien wie diejenigen im Bereich der LWS. Darüber hinaus sei zeitnah zur Aufgabe der potentiell gefährdenden beruflichen Tätigkeit im Jahr 1989 zunächst nur eine Protrusion bei L 5/S 1 bei ansonsten unauffälligen Strukturen insbesondere der darüber liegenden Segmente radiologisch nachzuweisen gewesen, während es dann ausweislich der CT-Befunde vom 14. Mai 1997, der Röntgenbefunde aus 1999 und den MRT-Befunden vom 06. Mai 2001 zu einem Fortschreiten der Veränderungen gekommen sei und zuletzt Bandscheibenschäden auch bei L 3/4 und L4/5 sowie nunmehr bei L 5/S 1 tatsächlich auch ein kleiner Prolaps nachgewiesen seien. Es müsse daher von einem erheblichen Fortschreiten gerade auch der Bandscheibenveränderungen nach der Aufgabe der potentiell gefährdenden Tätigkeit im Jahr 1989 ausgegangen werden.
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Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, die arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen vor und verweist hierzu auf ihre eigenen Berechnungen. Hierbei seien auch die zusätzlichen Nachtdienste sowie das Tragen einer Bleischürze und von Bleikassetten zu berücksichtigen. Beim Facettensyndrom handele es sich zudem um eine bandscheibenbedingte Erkrankung, da aufgrund einer Bandscheibenverschmälerung die Knochen in den Facettengelenken aufeinander rieben, was zu überschüssigem Knochenwachstum i. S. einer Arthrose führe. Unter Berücksichtigung der seit 1989 bei ihr auftretenden chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen von Seiten der LWS sei eine BK Nr. 2108 anzuerkennen. Die ab 1991 aufgetretenen HWS-Beschwerden seien Folge der veränderten Statik durch die lumbalen Bandscheibenschäden. Zudem hätten sich eine Polyneuropathie an den Füßen sowie eine somatoforme Schmerzstörung entwickelt, die jedoch nach Aufgabe der Tätigkeit besser geworden seien. Das seit 2003 von ihr regelmäßig durchgeführte Kiesertraining habe zu einer Stabilisierung der Situation geführt. Konkurrierende außerberufliche Ursachen lägen bei ihr nicht vor.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 25. August 1994 das Vorliegen einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV bei ihr anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Berufung für unbegründet, es seien weder die arbeitstechnischen noch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 erfüllt. Es fehle an einem adäquaten klinischen Erkrankungsbild und den zu fordernden belastungsadaptiven Veränderungen in Form von osteochondrotischen Veränderungen und Begleitspondylosen. Auch nach dem neuen Merkblatt zur BK Nr. 2108 (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales <BMAS> vom 01. September 2006, BArbBl. 10/2006 S. 30 ff <in Zukunft nur noch: Merkblatt BK Nr. 2108>) ergebe sich keine günstigere Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen. So seien insbesondere das Ziehen und Schieben in Verbindung mit Heben und Tragen von Patienten in dem vorliegend angewandten MDD-Pflege bereits berücksichtigt worden. Nach wie vor werde das alleinige Ziehen und Schieben ohne damit zusammenhängendes Heben und Tragen von Lasten nicht von der BK erfasst, wie sich aus dem Wortlaut der BK sowie der Kommentierung hierzu ergebe.
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Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die zur Akte gereichten weiteren Stellungnahmen der TAD-Referentin Gesundheitsdienst G vom 18. Mai 2007, 01. August 2007 und 30. November 2007, der von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) erstellten MDD-Pflege/Vorläufige Dosisberechnung vom 10. Mai 2001 und eines Berichtes über die vom Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit der BGW durchgeführten Untersuchung „Dortmunder Lumbalbelastungsstudie 3 (DOLLY 3)“ (veröffentlich im Zentralblatt Arbeitsmedizin 56 (2006) 228 – 251 unter dem Titel „Belastung der Lendenwirbelsäule von Pflegepersonen bei Patiententransfers – Kennwerte zur Nutzung in Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren“) ausgeführt, die Klägerin weiche mit ihren jetzigen Angaben zur Anzahl der Patiententransfers von ihren früheren Angaben zur beruflichen Belastungssituation ab. Diese stimmten auch nicht mit den Aussagen des Arbeitgebers überein und fänden keine Stütze in den Erfahrungswerten zur Belastungssituation an MTRA-Arbeitsplätzen.
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20
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Prof. Dr. B mit der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, Dr. R mit der Erstellung eines radiologischen Zusatzgutachtens und Dr. K mit der Erstellung eines neurologischen Zusatzgutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 08. August 2008 ist Prof. Dr. B-A nach Untersuchung und Befragung der Klägerin am 09. Mai 2008 und unter Auswertung des neurologischen Gutachtens von Dr. K vom 19. Mai 2008 und des radiologischen Gutachtens von Dr. R vom 02. Juni 2008 zu folgenden Diagnosen gelangt:
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21
1.
Fortgeschrittene Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad II (Erstdiagnose: 21. Januar 1989) und Grad III (Erstdiagnose: 26. Juli 1999).
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22
2.
Bandscheibenprotrusion L 5/S 1 (Erstdiagnose: 17. März 1989) sowie Bandscheibenprotrusion L 3/L 4 und L 4/L5 (Erstdiagnose: 09. Mai 2008).
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23
3.
Beginnende Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad I C 5/C 6 und C 6/C 7 (Erstdiagnose: 28. Dezember 1995).
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24
4.
Bandscheibenprotrusion C 6/C 7 rechts (Erstdiagnose: 28. Dezember 1995).
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25
5.
Beginnende sensorische Polyneuropathie (Erstdiagnose: 19. Mai 2008).
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26
Erstmals in den Röntgenbildern der LWS vom 25. Januar 1989 habe sich ein altersuntypischer Bandscheibenschaden in Form einer fortgeschrittenen Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad II im Segment L 5/S 1 nachweisen lassen. Im Folgenden sei es zu einer Verschlimmerung der fortgeschrittenen Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung gekommen, die nach den Röntgenbildern der LWS vom 26. Juli 1999 nunmehr als drittgradig einzustufen sei. Hinweise für eine Begleitspondylose wie auch für außerberuflich bedingte prädiskotische Deformitäten seien in den bildgebenden Verfahren nicht nachgewiesen. Die mehrfach beschriebene Skoliose im Segment L 5/S 1 sei mit einem Winkel von max. 5
°
nach Cobb sehr gering ausgeprägt und nicht durchgehend nachweisbar. Bei der Klägerin liege damit nach den auch hier anzuwendenden „Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe – Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (I), Trauma und Berufskrankheit, Springer Medizin Verlag, Heft 3/2005 S. 211ff “ (in Zukunft nur noch: Konsensempfehlungen) die Fallkonstellation
B3
vor, die wie folgt gekennzeichnet sei:
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1.
Vorliegen der beruflichen Voraussetzungen zur Entwicklung einer BK Nr. 2108 oder 2110
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28
2.
Bandscheibenbedingte Erkrankung in Form einer Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall im Segment L5/S1 und/oder L4/5
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29
3.
Keine wesentlichen außerberuflich bedingten konkurrierenden Ursachenfaktoren
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30
4.
Keine Begleitspondylose.
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31
Bei dieser Fallkonstellation habe innerhalb der Konsensusarbeitsgruppe kein Konsens in Bezug auf die Empfehlung einer Anerkennung oder Ablehnung erreicht werden können. Der Forderung einiger Sachverständiger, dass eine BK Nr. 2108 nur anerkannt werden könne, wenn eine Begleitspondylose vorliege, könne er nicht zustimmen. Diese so genannten belastungsadaptiven Veränderungen seien in der Fachliteratur umstritten, eine einheitliche Rechtsprechung existiere nicht. Insgesamt empfehle er daher die Anerkennung einer BK Nr. 2108, denn es liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt, denn nach seiner Berechnung an Hand der bei seiner Untersuchung von der Klägerin beschriebenen Tätigkeiten und des unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BSG modifizierten MDD-Verfahrens ergebe sich eine Belastungsgesamtdosis von 11,78 x 10
6
Nh. Außerberuflich bedingte konkurrierende Faktoren wie etwa eine relevante Skoliose fehlten und das Ausmaß der Degeneration im Bereich der LWS sei stärker ausgeprägt als das Ausmaß der Degeneration im Bereich der HWS und der BWS. Die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit im Mai 1989 sei aus arbeitsmedizinischer Sicht notwendig gewesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schätze er auf 20 v. H. ein im Hinblick auf die bei der jetzigen Begutachtung festgestellten Funktionsstörungen in Form einer verminderten Fähigkeit zur Rotation, Seitneigung und Zentralflexion der LWS.
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Die Beklagte hat Kritik an dem Gutachten geübt und ausgeführt, im Zeitpunkt des Endes der wirbelsäulenbelastenden beruflichen Tätigkeit im Juni 1989 habe eine primäre bandscheibenbedingte Erkrankung nicht gesichert werden können. Nach den Konsensempfehlungen sei der Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) eine unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Hinzukommen müsse eine korrelierende klinische Symptomatik. Weder der Sachverständige Dr. B noch der Neurologe Dr. K hätten eine klinische Symptomatik im Sinne eines motorischen Wurzelsyndroms sowie neurologischer Ausfälle, die in Art und Ausprägung dem von der Chondrose betroffenen Segment sicher hätten zugeordnet werden können, feststellen können. Gegen eine berufliche Verursachung sprächen das Fehlen einer Begleitspondylose sowie das Fortschreiten der Chondrose und das Auftreten weiterer Bandscheibenveränderungen trotz fehlender beruflicher Belastung in der Zeit von 1989 bis 2008. Ebenso wenig könne dem Sachverständigen Dr. B-A hinsichtlich der Höhe der MdE gefolgt werden. Die von ihm beschriebenen Bewegungseinschränkungen seien noch keine deutliche Funktionseinschränkung mit mittelgradigen Beschwerden.
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33
Der Senat hat auf Anregung der Beklagten eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom Sachverständigen Dr. W unter Berücksichtigung der Konsensempfehlungen, des aktuellen Standes der Wissenschaft und der Befunde aus dem Sachverständigengutachten des Dr. B sowie den Zusatzgutachten von Dr. Kund Dr. R eingeholt. Dr. W hat unter dem 15. Dezember 2008 ausgeführt, auch wenn die Chondrose radiologisch 1989 als altersuntypisch eingestuft werden könne, müsse berücksichtigt werden, dass in der parallel erstellten Tomographieaufnahme sich keine altersuntypischen Bandscheibenveränderungen zeigten. Gleichzeitig hätten sich jedoch Facettengelenksarthrosen entwickelt, die im Laufe der Jahre progredient unter beruflicher Entlastung gewesen seien. Folglich könne die Chondrose nicht isoliert bildmorphologisch bewertet werden. Zeitnah zur angeschuldigten beruflichen Belastung und auch noch in den Jahren später habe durch die bildgebenden Verfahren nicht nachgewiesen werden können, dass im Bereich der unteren LWS primär die Bandscheibe und dadurch sekundär die Bandscheibenfächer geschädigt worden seien. Auch in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion gebe es nach wie vor keinen Konsens über die Bedeutung der Begleitspondylose. Insoweit werde auf die Darstellung in dem ständig aktualisierten Kursbuch der ärztlichen Begutachtung von Ludolph et al hingewiesen.
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34
Hierzu hat der Sachverständige Prof. Dr. B in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05. März 2009 ausgeführt, nach dem radiologischen Zusatzgutachten sei erstmals in der CT der LWS vom 17. März 1989 eine geringgradige Facettenarthrose L5/S1 bestätigt worden. Der praktisch zeitgleiche Nachweis einer altersuntypischen Bandscheibenschädigung im Segment L5/S1 und einer geringgradigen Spondylarthrose L5/S1 spreche nicht gegen eine BK Nr. 2108. Der von Dr. W aufgestellten Forderung, dass für eine Anerkennung als BK ein nach kaudal zunehmender Bandscheiben zu fordern sei, könne er nicht folgen. Eine von oben nach unten quasi kontinuierlich zunehmende Degeneration der LWS lasse sich aus den Verhandlungsergebnissen der Konsensusarbeitsgruppe nicht ableiten.
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35
Die Klägerin sieht sich in ihrer Auffassung durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B bestätigt.
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36
Auf Anforderung des Senats hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme der TAD- Referentin Gesundheitsdienst G vom 03. März 2010 vorgelegt, in der unter Zugrundelegung des nach der Rechtsprechung des BSG modifizierten MDD eine Gesamtbelastungsdosis
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37
a) von 8,2 x 10
6
Nh ausgehend von ihren Ermittlungen und unter Berücksichtigung der bisherigen Angaben der Klägerin,
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38
b) von 13,7 x 10
6
Nh ausgehend von den Angaben der Klägerin vom 09. Mai 2008 bei der Begutachtung durch Prof. Dr. B-A(Tabellen 1 bis 4 des Gutachtens) errechnet worden ist.
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39
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass bei a) zu Gunsten der Klägerin deren sämtliche Angaben bei der Befragung durch den TAD und im Laufe des Verfahrens zugrunde gelegt worden seien, obwohl diese jeglichen Erfahrungen mit der Arbeitssituation in der Röntgendiagnostik in Westberliner Krankenhäusern vor der Wende, dem 1996/1997 erstellten Belastungskataster für die bei ihr geführten Krankenhäuser und den Angaben des Arbeitgebers widersprächen. Trotz Vornahme einer „Worst-case“-Berechnung werde der nach der Rechtsprechung des BSG geänderte untere Orientierungswert nicht erreicht. Bei der Variante b) seien die Angaben der Klägerin gegenüber Prof. Dr. B-A gemäß der Tabellen 1 bis 4 des Gutachtens zugrunde gelegt worden, mit denen die Klägerin von ihren früheren Angaben (70% der Schichten am Knochenarbeitsplatz) wiederum abgewichen sei und die ebenfalls nicht durch die Angaben des Arbeitgebers und die Erfahrungswerte zu bestätigen seien.
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40
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte (3 Bände) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 6. Senat | Hessen | 0 | 0 | 22.06.2010 | 0 | Randnummer
1
Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung von Elterngeld für den 12. Lebensmonat des Kindes streitig. Streitig ist dabei insbesondere, ob der Bezug von Mutterschaftsgeld lediglich am ersten Tag des dritten Lebensmonats zu einem Verbrauch des Anspruchs auf Elterngeld für den gesamten Monat führt.
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2
Der Kläger und seine Ehefrau, Frau EA., sind Eltern des 2007 geborenen Kindes LA.. Sie stellten am 26. Februar 2007 Antrag auf Elterngeld und legten für den Kläger einen Bezugszeitraum vom 1. bis 12. Lebensmonat des Kindes fest. Aus einem Schreiben der Krankenkasse vom 15. Februar 2007 ergibt sich, dass der Ehefrau des Klägers ab dem 31. Dezember 2006 Mutterschaftsgeld in Höhe von 13,00 € kalendertäglich gewährt wurde. Der Bezug des Mutterschaftsgeldes endete mit dem 8. April 2007. Durch Bescheid vom 6. März 2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Elterngeld für die Zeit vom 8. Februar 2007 bis 7. Januar 2008 in Höhe von 580,16 € monatlich. Der Beklagte wies darauf hin, die Mutterschutzfrist der Ehefrau des Klägers beziehe sich auf 3 Lebensmonate, so dass nach § 4 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) drei Lebensmonate als von der Mutter verbraucht gelten würden. Da sich der Anspruch für beide Eltern auf insgesamt 14 Lebensmonate erstrecke, sei der Anspruchszeitraum um einen Monat auf insgesamt 11 Lebensmonate verkürzt worden.
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3
Der Kläger erhob Widerspruch am 21. März 2007 und machte geltend, ihm stehe Elterngeld für 12 Monate zu. Mutterschaftsgeld sei in der Zeit vom 31. Dezember 2006 bis 8. April 2007 bezogen worden, weil der Geburtstermin mit dem 11. Februar 2007 errechnet worden sei. Er verstehe nicht, warum sein Anspruch auf Elterngeld von der Dauer des Mutterschutzes abhängen solle. Durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, nach § 4 Abs. 1 S. 1 (gemeint Abs. 3 S. 1) BEEG könne ein Elternteil höchstens für 12 Lebensmonate Elterngeld beziehen. Nach S. 2 dieser Vorschrift (gemeint Abs. 3 S. 2) würden Lebensmonate des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 oder 3 BEEG anzurechnende Leistungen zustehen würden, als Monate gelten, für die die berechtigte Person Elterngeld beziehe. Hier habe die Ehefrau des Klägers Mutterschaftsgeld, das eine Leistung im Sinne des § 3 Abs. 1 BEEG sei, bis zum 8. April 2007 erhalten. Am 8. April 2007 beginne der dritte Lebensmonat des Kindes LA. mit der Folge, dass gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 (gemeint Abs. 3 S. 2) BEEG die Lebensmonate eins (8. Februar bis 7. März 2007), zwei (8. März bis 7. April 2007) und drei (8. April bis 7. Mai 2007) als Monate gelten würden, für die die Ehefrau als für das Mutterschaftsgeld berechtigte Person Elterngeld beziehe, auch wenn dies nicht ausdrücklich beantragt worden sei. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts dadurch, dass im dritten Lebensmonat der Tochter nur am ersten Tag Anspruch auf Mutterschaftsgeld bestanden habe. Im Ergebnis seien drei Monate als Elterngeldbezug verbraucht.
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4
Mit der am 10. April 2007 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und trug vor, der von dem Frauenarzt seiner Ehefrau errechnete Geburtstermin sei der 11. Februar 2007 gewesen. Für einen Zeitraum von acht Wochen nach diesem errechneten Termin werde das Mutterschaftsgeld gezahlt. Tatsächlich sei das Kind drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt gekommen. Dies könne nach dem Sinn des BEEG nicht dazu führen, dass der Bezug des Mutterschaftsgeldes während der Regeldauer von acht Wochen zu einer Vernichtung des Anspruchs von Leistungen nach dem BEEG für einen vollen Monat führe, wenn das Mutterschaftsgeld nur für einen einzigen Tag des dritten Monats nach der Geburt des Kindes bezogen worden sei. Im Übrigen spreche § 3 Abs. 1 BEEG ausdrücklich von einer Anrechnung des Mutterschaftsgeldes auf das Elterngeld. Insoweit komme allenfalls eine anteilige Anrechnung für einen Tag in Betracht.
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Demgegenüber verwies der Beklagte auf seine Ausführungen im angefochtenen Bescheid und trug ergänzend vor, für den Kläger und seine Ehefrau bestehe ein Gesamtkontingent von 14 Lebensmonaten Elterngeld. Aus diesem Gesamtkontingent seien drei Lebensmonate der Ehefrau zuzuordnen, da diese in der Zeit vom 8. Februar 2007 bis 8. April 2007 Mutterschaftsgeld bezogen habe. Bereits aufgrund des Bezuges von Mutterschaftsgeld von nur einem Tag, hier der 8. April 2007, sei auch der dritte Lebensmonat des Kindes der Mutter zuzuordnen, so dass sich das Kontingent des Klägers von 12 auf 11 Lebensmonate reduziert habe.
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Durch Urteil vom 21. Januar 2008 hat das Sozialgericht Marburg die Klage mit der Begründung abgewiesen, § 4 Abs. 1 BEEG gebe zunächst vor, dass Elterngeld für maximal 14 Lebensmonate von den Eltern bezogen werden könne, wobei § 4 Abs. 3 BEEG regele, dass ein Elternteil höchstens für 12 Monate Elterngeld beziehen könne. In § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG sei geregelt, dass Lebensmonate des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 3 BEEG anzurechnende Leistungen zustünden, als Monate, für die die berechtigte Person Elterngeld beziehe, gelten würden. Hier habe die Ehefrau des Klägers bis zum 8. April 2007 Mutterschaftsgeld bezogen, so dass sich aus der Anwendung des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG die Konsequenz ergebe, dass der Bezug von Mutterschaftsgeld für den 8. April 2007 in Höhe von 13,00 € zu einem Anspruchsverlust auf Seiten des Klägers bezogen auf den 12. Lebensmonat des Kindes LA. führe. Damit treffe den Kläger ein finanzieller Verlust von 567,16 € (580,16 € - 13,00 €), was jedoch Ergebnis der Gesetzeslage sei. Es könne unter Berücksichtigung der von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit erlassenen Richtlinien zum BEEG vom 18. Dezember 2006 (Hinweis auf Ziff. 4.3.3 der Richtlinien) auch nicht von einem Versehen des Gesetzgebers oder einer Gesetzeslücke ausgegangen werden.
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7
Gegen dieses dem Kläger am 15. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. März 2008 vor dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Er trägt vor, Sinn des Bundeselterngeldgesetzes sei es, junge Familien, in denen beiderseits abwechselnd die Eltern die Kindesbetreuung übernähmen, für einen Zeitraum von 14 Monaten finanziell zu entlasten, wenn jeweils der betreuende Elternteil auf eigene Einkünfte in diesem Zeitraum verzichten müsse. Hiermit sei die Auffassung des Sozialgerichts nicht vereinbar, dass die Zahlung von Mutterschaftsgeld für einen einzigen Tag in dem dritten Monat nach der Geburt des Kindes diesen Monat komplett für die Zahlung von Elterngeld verbrauche. Mutterschaftsgeld werde ausgehend von dem prognostizierten Geburtstermin gewährt. Es sei zu berücksichtigen, dass die von den Gynäkologen prognostizierten Geburtsdaten in der Regel nicht mit den tatsächlichen Niederkunftsdaten übereinstimmen würden. Werde ein Kind vor dem errechneten Geburtstermin geboren, so führe die Gesetzesauslegung des Sozialgerichts dazu, dass für den 14. Monat Elterngeld nicht gewährt werden dürfe. § 3 Abs. 1 S. 4 BEEG enthalte eine Bestimmung dazu, dass bei den in der Vorschrift genannten Sozialleistungen, die nur für einen Teil des Lebensmonats des Kindes zustehen würden, auch nur auf den entsprechenden Teil des Elterngeldes anzurechnen seien. Dies entspreche dem Grundsatz, dass für denselben Zeitraum in der Zielrichtung vergleichbare Sozialleistungen nicht doppelt gewährt werden sollten. Diese Bestimmung sei deshalb auf die Auslegung des verunglückten Wortlauts des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG anzuwenden. Bei entsprechender Auslegung stehe ihm nach Zahlung des Mutterschaftsgeldes für einen Tag im 12. Lebensmonat des Kindes Elterngeld für die folgenden 30 Tage zu.
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Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Januar 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 6. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 zu verurteilen, ihm Elterngeld für weitere 30 Tage zu zahlen.
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9
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Er verweist darauf, aufgrund der eindeutigen Rechtslage komme eine andere Beurteilung nicht in Betracht.
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11
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen. | I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Januar 2008 aufgehoben und der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 6. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 verurteilt, dem Kläger Elterngeld für weitere 30 Tage in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen. | 0 |
Baden-Württemberg | 0 | 1 | 1 | 1
Der Antragsteller ist Richter am Oberlandesgericht bei dem Oberlandesgericht K.. Mit seinem Antrag wendet er sich gegen die Anordnung und die Durchführung einer Sonderprüfung des Respiziats ...a des Oberlandesgerichts K. - Zivilsenate in F..
2
Das Präsidium teilte den Antragsteller am 01.07.2007 dem ... Zivilsenat in F. zu. Am 01.04.2011 wechselte der Antragsteller in den ... Zivilsenat.
3
Anlässlich eines Telefongesprächs am 08.06.2011 zwischen dem Vorsitzenden des ... Zivilsenats, Dr. ..., mit dem Präsidialrichter des Oberlandesgericht K. Dr. ..., teilte dieser Dr. ... mit, dass sich in dem Verfahrensbestand, den der Antragsteller bei seinem Wechsel des Senats im vormaligen Dezernat hinterlassen hatte, „eine große Zahl völlig unzureichend geförderter Verfahren“ befinde. Es sei zum Teil über mehrere Monate versäumt worden, die Verfahren zu fördern. Die Präsidentin des Oberlandesgericht K. ordnete am 08.06.2011 eine Dezernatssonderprüfung über die Verfahren in dem nun von Richter am Landgericht Dr. ... geführten Dezernat an.
4
Die Anordnung lautet wie folgt:
5
„Sämtliche am 01.04.2011 nach dem Wechsel des BE ROLG ... im ... Zivilsenat verbliebenen Akten sollen zum Oberlandesgericht nach K. verschafft werden.“
6
Gegen die Sonderprüfung legte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29.05.2012 Widerspruch, eingegangen beim Oberlandesgericht K. am 01.06.2012, ein und trug zur Begründung zunächst vor, von dieser Sonderprüfung habe er erst am 18.10.2011 dadurch Kenntnis erhalten, dass ihm die Präsidentin des OLG K. eine nicht unterschriebene Verfügung nebst Vermerk vom 12.10.2011 übergeben habe.
7
In dem Vermerk ist ausgeführt:
8
„Nach einem Hinweis des Vorsitzenden des ... Zivilsenats des Oberlandesgerichts K. auf eine hohe Zahl unzureichend bearbeiteter Verfahren in dem Respiziat ...d (ROLG ...) hat die Präsidentin des Oberlandesgerichts K. mit Verfügung vom 08.06.2011 eine Sonderprüfung angeordnet, die inzwischen stattgefunden hat. Dabei wurde festgestellt, dass ROLG ... in der Zeit seiner Zugehörigkeit zum ... Zivilsenat ihm dort zugeschriebenen Verfahren in großer Zahl zum Teil über Jahre und teilweise trotz erkennbarer oder mitgeteilter Eilbedürftigkeit nicht oder jedenfalls nur völlig unzureichend bearbeitet hat. Die Einzelergebnisse wurden von Vizepräsident des Oberlandesgerichts ... für 48 gravierende Fälle dokumentiert (Anlage K 1 - As 27).
9
Die Anordnung und Durchführung der Sonderprüfung seien - so der Antragsteller weiter - geeignet, ihn in seiner richterlichen Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Die Sonderprüfung sei heimlich, das heißt ohne Kenntnis des Antragstellers, durchgeführt worden. Eine solche Verfahrensweise sei geeignet, die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers zu verletzen. Für die Sonderprüfung habe es zu keinem Zeitpunkt einen sachlichen Anlass gegeben.
10
Mit Schreiben vom 08.06.2012 der Präsidentin des Oberlandesgerichts erhielt der Antragsteller Gelegenheit, den Widerspruch ergänzend zu begründen. In diesem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass es einen handfesten Anlass gegeben habe, die Sonderprüfung durchzuführen. Auch sei der Antragsteller bei Anordnung und Durchführung der Sonderprüfung nicht Mitglied des betroffenen Senates gewesen.
11
Mit Schreiben vom 26.06.2012 führte der Antragsteller ergänzend aus, es sei nicht mitgeteilt worden, was der handfeste sachliche Anlass für die Sonderprüfung im vorliegenden Fall gewesen sein solle. Dies ergebe sich weder aus dem Inhalt des Vermerks der Präsidentin des Oberlandesgerichts vom 12.10.2011 noch aus dem Inhalt der Akten.
12
Mit Bescheid vom 27.07.2012 hat die Präsidentin des Oberlandesgericht den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Sonderprüfung sei erforderlich gewesen, weil befürchtet habe werden müssen, dass sich in dem vom Antragsteller zurückgelassenen Verfahrensbestand eine große Zahl völlig unzureichend geförderter Verfahren befunden habe. Ein solcher Verfahrensbestand hätte u.a. die sachgerechte Bearbeitung der fraglichen Verfahren in angemessener Zeit durch den Dezernatsnachfolger und zur Erprobung an das Oberlandesgericht abgeordneten Richter am Landgericht Dr. ... in Frage stellen können. Deshalb sei die Präsidentin des Oberlandesgerichts im Rahmen der Dienstaufsicht, aber auch in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Präsidiums des Oberlandesgerichts gehalten gewesen, dem Hinweis des Senatsvorsitzenden nachzugehen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Die Sonderprüfung habe keine Verfahren betroffen, die zum Zeitpunkt der Maßnahme in die Zuständigkeit des Antragstellers gefallen seien. Jedenfalls beruhe die angegriffene Maßnahme aber nicht auf einer solchen Verletzung. Der Antragsteller habe nicht mitgeteilt, was er im Fall einer Gehörsgewährung vorgetragen und inwieweit dieser Vortrag die letztlich getroffene Entscheidung hätte beeinflussen können.
13
Gegen diesen Bescheid, der dem Verfahrensbevollmächtigten am 02.08.2012 förmlich zugestellt worden ist, hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 31.08.2012, beim Landgericht K. - Dienstgericht für Richter - am 03.09.2012 eingegangen, ein Prüfungsverfahren beantragt. Zur Begründung wurde erneut vorgetragen, die Sonderprüfung sei heimlich erfolgt. Es sei nicht nur das rechtliche Gehör des Antragstellers vor der Anordnung der Sonderprüfung verletzt worden, sondern eine heimliche Sonderprüfung sei auch deshalb rechtswidrig, weil sie im hohen Maße geeignet sei, den betroffenen Richter einzuschüchtern. Wer von heimlichen Maßnahmen der Dienstaufsicht betroffen sei, müsse befürchten, dass die Dienstvorgesetzte generell bereit sei, hinter dem Rücken des Richters folgenreiche Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Richter sich nicht dem Willen der Präsidentin anpasse. Es habe außerdem keinen sachlichen Anlass für die Durchführung der Sonderprüfung gegeben. Auch dies mache die Maßnahme rechtswidrig. Die Behauptung, Anlass für die Sonderprüfung seien Informationen gewesen, von denen die Präsidentin des Oberlandesgerichts durch einen Anruf des Vorsitzenden des ... Zivilsenats am 08.06.2011 beim Präsidialrichter Dr. ... Kenntnis erlangt habe, sei nach dem Informationsstand des Antragstellers vorsätzlich falsch. Es habe zwar am 08.06.2011 ein Gespräch zwischen Herrn Dr. ... und dem Präsidialrichter Dr. ... stattgefunden. In diesem Gespräch habe Herr Dr. ... jedoch nach dem Kenntnisstand des Antragstellers keine Informationen gegeben, die Anlass für eine Sonderprüfung hätten sein können. Durch die Sonderprüfung habe die Präsidentin des Oberlandesgerichts erreichen wollen, dass der Antragsteller seine Arbeitsweise ändere und weniger sorgfältig arbeite, als er dies in Anwendung des Rechts für erforderlich halte. Ziel der Präsidentin des Oberlandesgericht sei eine Verbesserung von „Erledigungszahlen um jeden Preis“.
14
Der Antragsteller beantragt,
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festzustellen, dass die Anordnung und die Durchführung der Sonderprüfung betreffend die richterliche Tätigkeit des Antragstellers im ... Zivilsenat des Oberlandesgerichts K. und der Widerspruchsbescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichts K. vom 27.07.2012 unzulässig sind.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
18
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Sonderprüfung sei erforderlich gewesen, da befürchtet habe werden müssen, dass sich in diesem Bestand eine große Zahl völlig unzureichend geförderten Verfahren befunden habe. Die Präsidentin sei über einen Anruf des Vorsitzenden des ... Zivilsenats am 08.06.2011 informiert worden. Das Präsidium sei als zentrales Organ der richterlichen Selbstverwaltung gehalten, einseitige Überlastungsspitzen in einzelnen Richterdezernaten nach Möglichkeit zu verhindern und hierauf ggfs. mit Mitteln der Geschäftsverteilung zu reagieren, soweit eine Verfahrenserledigung in angemessener Dauer nicht möglich sei. Diese Aufgabe könne das Präsidium allerdings nur wahrnehmen, wenn ihm die Belastungssituation der einzelnen Richterdezernate mit Neuzugängen und anhängigen Verfahren bekannt sei. Dem Präsidium stehe deshalb gegenüber der Gerichtsverwaltung das Recht zu, zeitnah, wahrheitsgemäß und vollständig über alle Tatsachen unterrichtet zu werden, die für die sachgerechte Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben erforderlich seien. Die Gerichtsverwaltung sei verpflichtet, bekannt gewordene Umstände aufzuklären, die ein Einschreiten des Präsidiums erforderlich machen können.
19
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Die streitige Prüfung habe allein das Respiziat ...a des Oberlandesgerichts K., Zivilsenate in F. betroffen, dem der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht mehr angehört habe. Die behauptete Rechtsverletzung beruhe jedenfalls nicht auf der behaupteten Gehörsverletzung.
20
Unzutreffend sei die Unterstellung des Antragstellers, die Präsidentin des Oberlandesgerichts habe mit der Sonderprüfung eine Einschüchterung des Antragstellers beabsichtigt. Die Sonderprüfung habe Anlass gegeben, die Erledigungsleistung des Antragstellers in den Blick zu nehmen, was letztlich zu einer dienstaufsichtlichen Maßnahme geführt habe. Zweck der Sonderprüfung sei es nicht gewesen, den Antragsteller zu einer weniger sorgfältigen Arbeitsweise anzuhalten. Von einem Richter werde im Rahmen seines Dienstverhältnisses eine bestimmte oder bestimmbare Arbeitsleistung geschuldet. Es stehe nicht in seinem Belieben, ob, wann und wie er sich mit den in seine Bearbeitungszuständigkeit fallenden Verfahren beschäftige.
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Der Antragsteller entgegnete, die Präsidentin des Oberlandesgericht sei jederzeit vollständig über das Respiziat des Klägers, über alle relevanten Zahlen, über das unvermeidbare zeitweise „Liegenbleiben“ von Verfahren und über die Ursachen von Verfahrensverzögerungen informiert gewesen. Diese Kenntnis folge aus umfangreichen, detaillierten Statistiken, die von der Verwaltung des Oberlandesgerichts geführt werden, sowie aus einem ständigen Kontakt der Präsidentin mit dem damaligen Vorsitzenden des ... Senats, Herrn ... und aus einem ausführlichen Gespräch mit dem Antragsteller am 30.04.2010.
22
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf deren Schriftsätze samt Anlagen und im Übrigen auf den Inhalt der vorgelegten Akten des Oberlandesgerichts K. Bezug genommen. | Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. | 0 |
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VG Schwerin 7. Kammer | Mecklenburg-Vorpommern | 0 | 1 | 10.08.2021 | 1 | Randnummer
1
ie Klägerin wendet sich gegen die Beitragsfestsetzung für 2017 durch den Beklagten.
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Der Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Seine Aufgabe besteht darin, seinen Mitgliedern und deren Hinterbliebenen eine Versorgung nach Maßgabe seiner Satzung zu gewähren. Dafür entrichten die Mitglieder Versorgungsabgaben. Die Höhe der Versorgungsabgabe ist in § 24 der Satzung des Beklagten vom 08.12.1994, zuletzt geändert durch Satzung vom 14.12.2016, geregelt. Der § 24 Absatz 1 lautet:
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„Die allgemeine Versorgungsabgabe entspricht 10/10 des jeweils geltenden Höchstbetrages in der gesetzlichen Rentenversicherung für Angestellte im Sinne der §§ 157 bis 160 SGB VI in der jeweils geltenden Fassung.
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Das Mitglied kann in den ersten drei Jahren nach Eintritt in das Versorgungswerk auf Antrag von der Verpflichtung zur allgemein Versorgungsabgabe auf 7,5/10 des jeweils geltenden Höchstbetrages zur gesetzlichen Rentenversicherung von der Beitragspflicht befreit werden.
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Die Erklärung über die Befreiung wird von dem Monat an wirksam, der auf den Zugang der Mittelung des Mitglieds folgt.
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Der bei Ablauf der Dreijahresfrist zuletzt erklärte Beitragssatz gilt als künftige Versorgungsabgabe. Eine Änderung des Beitragssatzes ist danach nicht mehr zulässig.“
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Weiter heißt es in § 24 Absatz 3 Satz 1 bis 4 der Satzung:
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„Für Mitglieder, deren Bruttoarbeitseinkommen oder Bruttoarbeitsentgelt aus Rechtsanwaltstätigkeit die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung für Angestellte nicht erreicht, tritt für die Bestimmung des Betrages an die Stelle der Beitragsbemessungsgrenze nach § 159 SGB VI das jeweils nachgewiesene Bruttoarbeitseinkommen oder Bruttoarbeitsentgelt.
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Das Bruttoarbeitseinkommen oder Bruttoarbeitsentgelt des Mitgliedes sind sämtliche Einkünfte, die es aufgrund der Verwertung seiner Arbeitskraft als Rechtsanwalt bezieht. Dazu zählen insbesondere auch Tätigkeiten als Repetitor, Dozent, Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Zwangsverwalter und Betreuer sowie Einkommen aus juristischen Veröffentlichungen. Des Weiteren werden Einkünfte aus Gewinnanteile als Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft oder einer Gesellschaft sozietätsfähiger Berufe im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) dem Einkommen hinzugerechnet.“
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§ 24 Absatz 4 der Satzung lautet:
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„Der Einkommensnachweis wird erbracht: 1. durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheides des vorletzten Kalenderjahres; solange dieser nicht vorliegt, durch eine Bescheinigung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder durch sonstigen geeigneten Nachweis, 2. bei unselbstständig Erwerbstätigen durch Vorlage einer vom Arbeitgeber ausgestellten Entgeltbescheinigung. Soweit kein Einkommensteuerbescheid vorgelegt wird, muss der Einkommensnachweis nach Ziff. 1 die Höhe der Einnahmen aus selbstständiger anwaltlicher Tätigkeit und die berücksichtigungsfähigen Betriebsausgaben des vorletzten Kalenderjahres enthalten. Bis zur Vorlage des Einkommensteuerbescheides werden die Versorgungsabgaben vorläufig festgesetzt. Kommt das Mitglied seiner Pflicht nach Ziff. 1 trotz Aufforderung durch das Versorgungswerk nicht nach, erfolgt die Festsetzung der Versorgungsabgabe gemäß Abs. 1. Das Versorgungswerk weist das Mitglied zuvor auf diese Rechtsfolge hin. Ein Einkommensteuerbescheid auf der Grundlage einer Einkommensschätzung der Einkünfte aus Rechtsanwaltstätigkeit gilt nicht als Einkommensnachweis im Sinne der Ziff. 1.“
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Die Klägerin ist Rechtsanwältin und seit 2004 Mitglied des Beklagten. Sie beantragte die Zahlung einer Versorgungsabgabe von 7,5/10, die der Beklagte in der Folge festsetzte.
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Seit dem 01.01.2014 arbeitet die Klägerin in unabhängiger Bürogemeinschaft mit zwei Rechtsanwaltskollegen zusammen, wobei die neu eingehenden Mandate nach Rechtsgebieten aufgeteilt sind. In diesem Zusammenhang mietete die Klägerin Kanzleiräume an. Sie verauslagt alle Kosten im Zusammenhang mit der Miete und zudem insbesondere die Kosten für Telefon und für die Büroangestellte. Alle Rechtsanwälte nutzen eigene Räumlichkeiten und darüber hinaus gleichwertig die Gemeinschaftseinrichtungen. Dafür zahlen die Rechtsanwaltskollegen pauschale Büroanteile von monatlich 400 Euro und 550 Euro.
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Auf Anforderung des Beklagten übersandte die Klägerin diesem am 05.10.2017 den Einkommensteuerbescheid für 2015. Dieser wies Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 35.013 Euro sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus bebauten Grundstücken und Grundstücksgemeinschaften aus. In der Gewinnermittlung setzte die Klägerin die Mietzahlungen für die gesamten Kanzleiräumlichkeiten als Kosten im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit an.
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Mit Bescheid vom 12.10.2017 setzte der Beklagte den Beitrag der Klägerin für das Beitragsjahr 2017 auf monatlich 409,21 Euro fest. Dabei legte er ein Einkommen von
35.013 Euro zu Grunde.
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Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 18.10.2017 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sich ihr Einkommen in 2015 aus einer anwaltlichen Tätigkeit und aus Einkünften aus Vermietung zusammensetze. Sie verwies auf den Kontennachweis 2015. Danach sei ein Gewinn aus der Untervermietung von 14.536,90 Euro in Abzug zu bringen. Sodann sei nur noch ein Einkommen von 21.242,99 Euro zu berücksichtigen. Unter dem 14.12.2017 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass eine Zuordnung der 14.536,90 Euro zu nichtanwaltlichen Einnahmen aus dem Kontennachweis nicht hervorgehe. Für einen Nachweis seien weitere Unterlagen erforderlich, insbesondere die vollständige Gewinnermittlung und die Einkommensteuererklärung. Daraufhin übersandte die Klägerin dem Beklagten eine Bescheinigung ihres Steuerberaters vom 29.01.2018, wonach sie 2015 Erlöse aus anwaltlicher Tätigkeit von 41.843 Euro erzielte. Hinzu kämen Nebenerlöse aus der Untervermietung und Kostenumlagen von 15.134 Euro. In einem Telefonat mit dem Beklagten am 08.03.2018 machte der Steuerberater weitere Angaben.
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In seiner Sitzung am 27.03.2018 entschied der Vorstand des Beklagten, den Widerspruch der Klägerin zurückzuweisen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2018, der Klägerin am 17.04.2018 zugegangen, wies der Beklagte ihren Widerspruch zurück. Die Mieteinnahmen seien den Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit zuzuordnen. Etwas Anderes sei dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid 2015 nicht zu entnehmen. Der Steuerberater der Klägerin habe erklärt, dass sich weitere Einnahmen für die Kanzlei aus der Untervermietung von Büroräumen ergeben würden. Damit stünden die Einnahmen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit. Es sei davon auszugehen, dass die für die untervermieteten Räume angefallenen Betriebskosten als Ausgaben erfasst worden seien. Dann müssten auch die Einnahmen berücksichtigt werden.
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Hiergegen hat die Klägerin am 17.05.2018 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem behördlichen Verfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass die Beitragsbemessung eine berufsspezifische Tätigkeit voraussetze. Das Einkommen aus anwaltlicher Tätigkeit müsse die Kriterien Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung oder Rechtsvermittlung abdecken. Indem der Beklagte auch Einkommen aus nichtanwaltlicher Tätigkeit berücksichtige, verstoße er gegen seine Satzung.
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19
Auch die Betreuertätigkeit eines Rechtsanwalts stelle keine anwaltliche Tätigkeit dar. Der Beklagte verkenne, dass es nicht auf die Zuordnung der Einkünfte zur Anwaltskanzlei ankomme, sondern schlicht auf die Einkünfte, die tatsächlich aufgrund einer anwaltlichen Tätigkeit eingegangen seien. Berufsfremde, nicht berufsbildtypische Einkünfte seien nicht berücksichtigungsfähig. Der Beklagte habe in § 24 Absatz 3 Satz 2 seiner Satzung - anders als andere Bundesländer - den engen Einkommensbegriff normiert. Hierunter fielen Einnahmen aus Untervermietung nicht. Was unter anwaltlicher Tätigkeit zu verstehen sei, ergebe sich aus §§ 1 Absatz 1, 46 Absatz 3 BRAO. Ohne gesonderte Bestimmung seien Betreuertätigkeiten, Dozententätigkeiten o. ä. davon nicht erfasst. Insoweit habe der Beklagte kürzlich seine Satzung dahingehend erweitert. In der Konsequenz bedeute dies, dass eine Untervermietung nicht erfasst sei. Diese sei auch nicht notwendigerweise der Anwaltskanzlei zuzuordnen. Es handele sich nicht um die Gewinnermittlung einer Anwaltskanzlei, sondern um die der Klägerin als Einzelperson. Wäre sie noch freiberuflich Sängerin, so wären auch diese Kosten erfasst.
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20
Entsprechend der Satzung des Beklagten habe sie den Nachweis ihres Einkommens auch durch Bescheinigung ihres Steuerberaters führen können. Wären dem Beklagten die berufsfremden Tätigkeiten nicht bekannt gewesen, hätte er diese nicht mit einbezogen.
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21
Auf die steuerliche Einordnung komme es nicht an. Die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes sei nicht übertragbar, weil der dortige Sachverhalt nicht vergleichbar sei. Die dort maßgebliche Satzung habe ausdrücklich auf den steuerrechtlichen Einkommensbegriff Bezug genommen. Dies sei hier anders. Zudem müssten in speziellen Fällen auch Ausnahmen vom steuerrechtlichen Einkommensbegriff erfolgen. Ungeachtet dessen bestreitet die Klägerin das Vorliegen der steuerrechtlichen Einordnung. Ihr Steuerberater habe bewusst zwei Einkunftsarten unterschieden und in der Bilanz gesondert ausgewiesen: solche aus anwaltlicher Tätigkeit und solche aus Vermietung und Verpachtung. Einkommen aus freier Tätigkeit werde lediglich der Einfachheit halber in der Gewinnermittlung erfasst. Es sei leicht, die berufsfremden Einkünfte herauszurechnen.
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22
Auf § 21 Absatz 3 EStG habe ihr Steuerberater abgestellt. Dies ergebe sich bereits aus der Norm. Die Mieteinnahme stünde in keinem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin. Der Beklagte verwechsele insoweit die anwaltliche Sphäre mit der anwaltlichen Tätigkeit. § 18 EStG sei nicht anwendbar, weil es sich nicht um eine berufsbildtypische Ausübung eines Katalogberufs handele. Dies sei nur bei Tätigkeiten der Fall, die sich zu einem selbständigen Berufsbild verfestigt hätten (BFH, Urt. v. 15.06.2010 - VIII R 10/09 -). Dies treffe auf die Untervermietung nicht zu, zumal der BFH nicht einmal Betreuertätigkeiten eines Rechtsanwalts als erfasst ansehe. Berufstypisch sei eine Tätigkeit nur dann, wenn sie in besonderer Weise charakterisierend und dem Katalogberuf vorbehalten sei. Dies erfordere ein kumulatives Vorliegen.
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23
Betriebskosten für das untervermietete Kanzleiarchiv seien nicht entstanden. Die Rechtsanwaltskollegin sei wegen ihrer Amtszeit in der Kanzlei nicht anwesend. Daher sei ein Pauschalmietzins „warm“ vereinbart worden. Dass sie die Mietzahlungen für die gesamten Kanzleiräume als Kosten angesetzt habe, sei nicht zu beanstanden, weil sie auch ohne die Untervermietung entstanden wären.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
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den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid des Beklagten vom 12.10.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2018 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Er wiederholt und vertieft seine bisherigen Ausführungen. Ergänzend trägt er vor, dass für die Beitragsberechnung maßgeblich auf den Einkommensteuerbescheid 2015 abzustellen sei. Die Berücksichtigung des steuerrechtlichen Ansatzes sei in der Rechtsprechung anerkannt, wie die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (77-VI-07) zeige. Die Entscheidungserheblichkeit des Einkommensteuerbescheides diene der Klarheit, Rechtssicherung und der Schaffung eines gleichen Maßstabs für alle Mitglieder.
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Die hier streitigen Einkünfte aus der Untervermietung stellten bei isolierter Betrachtung steuerrechtlich zunächst Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dar. Diese seien
jedoch gemäß § 21 Absatz 3 in Verbindung mit § 18 EStG der anwaltlichen Tätigkeit der Klägerin zuzuordnen. Das EStG stelle nicht maßgeblich darauf ab, ob die Untervermietung primär aus anwaltlicher Tätigkeit stamme. Ungeachtet dessen könne dies vorliegend gleichwohl angenommen werden. Denn eine Bürogemeinschaft, wie sie die Klägerin mit ihrer Kollegin führe, könne gemäß § 59a Absatz 1 Satz 1 BRAO nur mit sozietätsfähigen Berufen eingegangen werden. Dies begründe jedenfalls einen mittelbaren Bezug zur berufsspezifischen Ausübung. Denn die Tätigkeit als Rechtsanwältin kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Einnahmen aus der Untervermietung entfielen. Überdies sei es für eine Bürogemeinschaft erforderlich, dass die Klägerin der Kollegin die Grundvoraussetzungen für einen Kanzleisitz verschaffe, das heißt die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten innerhalb der eigenen Kanzlei. Dies sei durch die Untervermietung erfolgt. Die Untermieterin werde auf dem Briefbogen der Klägerin mit aufgeführt, was auch Werbezwecken diene. Auch im Kanzleinamen selbst sei diese aufgeführt. Auch daraus ergebe sich der Sachzusammenhang des § 21 Absatz 3 EStG.
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30
Auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 12.12.2001 und 15.06.2010 komme es nicht an. Dort habe es gerade an der Zuordnung nach § 21 Absatz 3 EStG gefehlt, weswegen maßgeblich auf eine berufsbildtypische Rechtsanwaltstätigkeit abgestellt worden sei. Im Übrigen sehe seine Satzung vor, die Zwangsverwaltertätigkeit in die Beitragsberechnung miteinzubeziehen. Auch sei es eine Besonderheit der Bayerischen Ärzteversorgung, in speziellen Fällen Ausnahmen vom steuerrechtlichen Einkommensbegriff zu machen. Solche sehe seine Satzung nicht vor.
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31
Anders als die Klägerin meine, habe auch ihr Steuerberater § 21 Absatz 3 EStG herangezogen und die Einkünfte aus der Untervermietung den freiberuflichen Einnahmen zugeordnet. Dies ergebe sich aus der Gewinnermittlung. Unter der Position 2010 sei der Oberbegriff „Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit“ genannt. Der Begriff „Umsatzerlöse aus Vermietung und Verpachtung“ finde sich dort nicht. Die Klägerin habe die gesamten Räumlichkeiten für die Kanzlei angemietet. Damit seien sie der anwaltlichen Sphäre zuzuordnen, weswegen ihr Steuerberater die hier relevanten Einkünfte in der Gewinnermittlung der Rechtsanwaltskanzlei aufgeführt habe.
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32
Die Einnahme-Überschussrechnung für 2015 habe die Klägerin nur partiell vorgelegt. Träfe die Ansicht der Klägerin zu, müssten nicht nur die Einnahmen aus der Untervermietung heraus gerechnet werden, sondern auch die anteiligen Aufwendungen, insbesondere die von ihr entrichtete Miete für die untervermieteten Kanzleiräumlichkeiten. Soweit die Klägerin erklärt, für die untervermieteten Räume seien keine Betriebskosten entstanden, werde dies mit Nichtwissen bestritten. Denn seitens der Klägerin seien auch Kostenumlagen vereinnahmt worden, die implizierten, dass Kosten angefallen seien. Eine umfassende Überprüfung könne jedoch erst mit Vorlage der Einnahme-Überschussrechnung erfolgen, die die Klägerin bislang nicht vollständig vorgelegt habe. Obgleich die Mietzahlungen der Klägerin auch ohne Untervermietung zu zahlen gewesen seien, müsse berücksichtigt werden, dass die Mietaufwendungen für die untervermieten Räumlichkeiten durch die Mieteinnahmen kompensiert würden. Die Nichtberücksichtigung der Untervermietung überzeuge aber auch deshalb nicht, weil die freiberuflichen Rechtsanwaltskollegen als Untervermieter die Mietaufwendungen ebenfalls als Aufwendungen aus Rechtsanwaltstätigkeit in Abzug bringen dürften.
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Der Klägerin sei zugestanden, dass etwaige Einkünfte als Sängerin möglicherweise als freiberufliche Einkünfte zu qualifizieren wären. Dies würde aber voraussetzen, dass hierfür eine separate Einnahme Überschussrechnung erstellt werde. Das Finanzamt verlange, dass jede selbstständige Tätigkeit mit eigener Bezeichnung und eigenem Ergebnis auszuweisen sei. Die Kosten als Sängerin seien daher nicht in der Einnahme-Überschussrechnung der Kanzlei zu erfassen sein.
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Für den Nachweis ihres Einkommens reiche eine einfache Bescheinigung ihres Steuerberaters nicht aus. Die Satzung sehe insoweit die Vorlage des Einkommensteuerbescheides des vorletzten Kalenderjahres vor. Nur soweit dieser nicht vorliege, sei eine Bescheinigung des Steuerberaters oder ein sonstiger Nachweis zulässig. Letztere stellten nur jedoch vorläufige Nachweise dar.
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Mit Beschluss vom 19.04.2021 ist der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden. Mit Schriftsätzen vom 11.06.2018 (Beklagter) und 18.03.2021 (Klägerin) haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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36
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. | Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. | 0 |
ArbG Frankfurt 2. Kammer | Hessen | 0 | 0 | 27.08.2008 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um Unterlassungsansprüche des Verfügungsklägers (im Folgenden nur Kläger) gegen die verfügungsbeklagte Gewerkschaft (im Folgenden nur Beklagte) wegen unlauteren Behinderungswettbewerbs und deliktsrechtlicher Handlungen.
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2
Der Kläger ist ein Arbeitgeberverband der Zeitarbeitsbranche. Er ging aus der im Jahr 2005 erfolgten Verschmelzung der ... und der ... hervor.
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3
Satzungszweck des Klägers ist die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Bereich von Personaldienstleistungen. Wegen weiterer Einzelheiten der Satzung wird auf den Auszug Blatt 17 bis 24 der Akten Bezug genommen. Der Kläger schließt als Vereinigung von Arbeitgebern Verbandstarifverträge. Sein Tarifpartner sind die ... Mit der ... hat er mehrere Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche abgeschlossen, die seine Mitgliedsunternehmen den jeweils von ihnen abgeschlossenen Arbeitsverträgen zugrunde legen.
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4
Der ... und der ... weitere Arbeitgeberverbände der Zeitarbeitsbranche, haben Tarifverträge mit einer aus DGB-Gewerkschaften gebildeten Tarifgemeinschaft abgeschlossen. Dieser Tarifgemeinschaft gehört auch die Beklagte an.
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5
Mit jeweils gleichlautenden Schreiben vom 18. März 2008 wandte sich die Beklagte an in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen ansässige Mitgliedsunternehmen des Klägers (Bl. 28 d. A.). Überschrieben ist das Schreiben mit "Fairness-Abkommen Leiharbeit mit der ...".
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6
Es lautet:
"Sehr geehrte Damen und Herren, ... die ... will "Gute Arbeit ... mehr vom Leben" für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch für Leiharbeitnehmer in der Zeitarbeitsbranche.
Wir möchten Ihnen heute anbieten, mit uns ein Fairness-Abkommen für die Zeitarbeit abzuschließen, um die Arbeitsbedingungen in der Branche zu regulieren.
Unser Fairness-Abkommen enthält drei Verabredungen:
1.
Die Einhaltung der ... Tarifverträge.
2.
Die Bereitschaft, auf Verlangen des Betriebsrates oder der ... so genannte dreiseitige Vereinbarungen zwischen der ... und/oder Betriebsrat, dem Verleihbetrieb und dem Entleihbetrieb zu schließen, die Leiharbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmerinnen und Stammbeschäftigte im jeweiligen Entleihbetrieb gleichstellt.
3.
Leiharbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmerinnen es zu ermöglichen, einen eigenen Betriebsrat zu wählen.
Die ... Bezirksleitung Frankfurt hat mit den Arbeitgeberverbänden ... und ... Kontakt aufgenommen, um auch auf dieser Ebene eine flächendeckende Regelung zu erreichen.
Das Fairness-Abkommen wird in den Betrieben der Verleih- und Entleihunternehmen umgesetzt. In Zukunft werden wir nur noch mit den Unternehmen zusammenarbeiten, die das Fairness-Abkommen abgeschlossen haben. Dazu setzen wir eine Erklärungsfrist bis 1. Mai 2008."
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7
Den Schreiben war ein zur Unterzeichnung durch die Mitglieder des Klägers vorformuliertes "Fairness-Abkommen" mit den vorgenannten Regelungsgegenständen beigefügt.
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8
Am 9. April 2008 veröffentlichte die Beklagte im Internet unter ... Pressemitteilung Nr. ... Wegen der Einzelheiten und des genauen Inhalts dieser Pressemitteilung wird auf Blatt 29 der Akten Bezug genommen.
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9
Mit Schreiben vom selben Tag wandte sich die Beklagte erneut an Mitgliedsunternehmen des Klägers. Dieses Schreiben ist überschrieben mit: "Fairness-Abkommen Leiharbeit mit der ... Unser Schreiben vom 18. März 2008 – Anmahnung einer Antwort".
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Es lautet:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Schreiben vom 18. März 2008 haben wir Ihnen unser Fairness-Abkommen Leiharbeit vorgestellt und Sie aufgefordert, mit uns eine solche Vereinbarung zu treffen. Bis heute haben Sie sich nicht geäußert. Wir möchten Sie hiermit letztmalig auffordern, sich zu erklären.
Unser Fairness-Abkommen enthält drei Verabredungen:
1.
Die Einhaltung der ...-Tarifverträge.
2.
Die Bereitschaft, auf Verlangen des Betriebsrates oder der ... so genannte dreiseitige Vereinbarungen zwischen der ... und/oder Betriebsrat, dem Verleihbetrieb und dem Entleihbetrieb zu schließen, die Leiharbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmerinnen und Stammbeschäftigte im jeweiligen Entleihbetrieb besser stellt als im Flächentarifvertrag geregelt ist.
3.
Leiharbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmerinnen es zu ermöglichen, einen eigenen Betriebsrat zu wählen.
Sollten Sie sich nicht bis zum Freitag, 18. April 2008 bei uns gemeldet haben, werden wir Sie künftig als "unfaires" Leiharbeitsunternehmen einordnen und behandeln."
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Am 11. April 2008 veröffentliche die Beklagte eine gemeinsame Pressemitteilung der ... und ... zum Abschluss eines Fairnessabkommens. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 31, 32 der Akten Bezug genommen.
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12
Mit Schreiben vom 15. April 2008 wandte sich die Firma ... wegen begehrter Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung an die ... (vgl. Bl. 33 bis 35 d. A.).
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13
Des Weiteren hat die Beklagte auf ihrer Internetplattform ... einen Artikel mit dem Titel ... . Dort heißt es unter Bezugnahme auf die vom Kläger mit der ... abgeschlossenen Tarifverträge: "Diese Dumping-Tarife sind Vergelts-Gott-Tarife da sie nicht geeignet sind, dem Arbeitnehmer ein sozial gesichertes Einkommen zu bieten." Dem Artikel folgt die Veröffentlichung einer Liste der Mitglieder des Klägers "damit sich Arbeitnehmer und Betriebsräte in den Entleihunternehmen über die Verbandszugehörigkeit informieren können, bevor sie sich bei einem Zeitarbeitsunternehmen bewerben bzw. einer Zusammenarbeit zustimmen" (vgl. Bl. 36 bis 38 d. A.).
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14
Mit Schreiben vom 30. April 2008, gerichtet an den Vorstand der Beklagten, mahnte der Kläger die Beklagte ab. Wegen der Einzelheiten und des genauen Inhalts dieses Schreibens der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird auf Blatt 39 bis 46 der Akten Bezug genommen.
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15
Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2008, der am Folgetag beim Landgericht Frankfurt am Main einging, leitete der Kläger das Verfahren ein.
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16
Er hat beantragt,
1.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt im geschäftlichen Verkehr Unternehmen der Zeitarbeitsbranche (Personaldienstleister) aufzufordern, ein Abkommen für die Zeitarbeit abzuschließen, das folgende Verpflichtungen enthält:
1.
Die Einhaltung der ...-Tarifverträge.
2.
Die Bereitschaft, auf Verlangen des Betriebsrates oder der ... so genannte dreiseitige Vereinbarungen zwischen der ... und/oder Betriebsrat, dem Verleihbetrieb und dem Entleihbetrieb zu schließen, die Leiharbeitnehmer bzw. Lehrarbeitnehmerinnen und Stammbeschäftigte im jeweiligen Entleihbetrieb gleichstellt.
3.
Leiharbeitnehmer bzw. Leiharbeitnehmerinnen es zu ermöglichen, einen eigenen Betriebsrat zu wählen,
und im Zusammenhang mit dieser Aufforderung anzudrohen, dass im Falle des Nichtabschlusses in Zukunft nur noch mit solchen Unternehmen zusammengearbeitet wird, die das Abkommen abgeschlossen haben, und die aufgeforderten Unternehmen, die das Abkommen nicht abgeschlossen haben, künftig als "unfaires" Leiharbeitsunternehmen einzuordnen und zu behandeln.
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17
Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 21. Mai 2008 die beantragte einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung, ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs an die Beklagte und ohne Begründung erlassen (vgl. Bl. 60 bis 64 d. A.). Der Beschluss wurde dem Kläger am 26. Mai 2008 zugestellt (vgl. Bl. 64 d. A.). Die Zustellung an die Beklagte erfolgt am 29. Mai 2008 (vgl. Bl. 172 d. A.).
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18
Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2008, der am Folgetag beim Landgericht Frankfurt am Main einging, erhob die Beklagte Widerspruch (vgl. Bl. 70 ff d. A.). Den darin enthaltene Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (vgl. Bl. 71 d. A.) hat das Landgericht mit Beschluss vom 3. Juni 2008 zurückgewiesen (vgl. Bl. 161 d. A.). Auf die im Widerspruchsschriftsatz außerdem erhobene Rechtswegrüge der Beklagten hat das Landgericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und mit Beschluss vom 25. Juni 2008 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Arbeitsgericht Frankfurt am Main verwiesen (vgl. Bl. 219 bis 223 d. A.).
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Der Kläger behauptet, die Kampagne der Beklagten habe bereits dazu geführt, dass zahlreiche Vertragsunternehmen seiner Mitglieder Aufträge entzogen hätten und dass seine Mitgliedsunternehmen die Mitgliedschaft gekündigt hätten. Er behauptet, bereits in der Vergangenheit habe die Beklagte erheblichen Druck auf die von ihr beherrschten Betriebsräte ausgeübt mit der Androhung, ihre gemäß § 99 BetrVG erforderliche Zustimmung für den Fall zu verweigern, dass ein solches Zeitarbeitsunternehmen beauftragt werde, das den Arbeitsverträgen mit seinen Mitarbeitern die vom Kläger abgeschlossenen Tarifverträge zugrunde lege.
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Er ist der Auffassung, durch die gezielt gegen ihn gerichtete Kampagne "Gute Arbeit – Gutes Geld" betreibe die Beklagte zu Gunsten der beiden im Wettbewerb mit ihm stehenden Arbeitgeberverbände ... und ... unlauteren Behinderungswettbewerb und greife darüber hinaus widerrechtlich in seine geschäftliche Tätigkeit und seinen Bestand als Arbeitgeber in deliktsrechtlich relevanter Weise ein. Hierdurch verstoße die Beklagte gegen §§ 3, 4 Nr. 10, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG, 823 Abs. 1, 2, 826 iVm 1004 Abs. 1 a BGB analog iVm 240, 22, 23 StGB.
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21
Er beantragt,
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
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22
Die Beklagte beantragt,
1.
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main – 2 06 O 253/08 – vom 21. Mai 2008 wird aufgehoben;
hilfsweise,
2.
der Antragsteller hat binnen einer vom Gericht zu bestimmenden Frist Klage zur Hauptsache zu erheben.
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23
Sie ist der Auffassung, es gehe um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes und um Fragen der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG sowie um Fragen ihres grundrechtliche garantierten Betätigungsrechts. Sie habe von ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit, die Mittel des Arbeitskampfes im Einzelnen kampftaktisch zu wählen, Gebrauch gemacht. Bei den an die Mitgliedsunternehmen des Klägers gerichteten Schreiben, handele es sich um nichts anderes, als um eine an mögliche Tarifpartner gerichtete Aufforderung zum Abschluss eines Tarifvertrages mit ihr. Es gehe ihr nicht darum, Mitgliedsunternehmen des Klägers zu Gunsten der mit ihr kooperierenden Verbände abzuwerben. Die von ihr gewählten Maßnahmen, seien deutlich milder, als z. B. Streik- oder Boykottmaßnahmen. Ihr Handeln unterfalle nicht dem UWG. Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich aus §§ 823 ff BGB iVm 1004 BGB analog nicht, denn es fehle an einem rechtswidrigen Handeln.
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24
Im Übrigen sei mit der einstweiligen Verfügung einem so genannten Globalantrag stattgegeben worden, weil nicht nach Mitgliedern und Nichtmitgliedern des Klägers unterschieden werde.
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25
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 27. August 2008 (Bl. 259 d. A.) Bezug genommen. | Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main – 2-06 O 253/08 – vom 21. Mai 2008 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungskläger zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 80.000,00 festgesetzt. | 0 |
LG Hamburg 6. Zivilkammer | Hamburg | 1 | 0 | 11.05.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Warenkreditversicherung.
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2
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Warenkreditversicherung zur Versicherungsnummer 4...6. Versicherungsbeginn war der 01.01.2010. Für den Vertrag gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Warenkreditversicherung-M AVB (Warenkredit-M 2007 (Fassung 2008); Anlage JK 1; nachfolgend "AVB"). § 5 AVB lautet (auszugsweise) wie folgt:
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"Wie wird der versicherte Ausfall berechnet?
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4
Grundlage für die Berechnung Ihrer Entschädigungsleistung sind Ihre offenen versicherten Forderungen zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles. Der versicherte Ausfall wird wie folgt berechnet:
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1. ...
2. Darüber hinausgehende aufrechenbare Forderungen, Zahlungen und sonstige Erlöse werden wie folgt berücksichtigt:
2.1 Beträge, die nach Beendigung des Versicherungsschutzes gemäß § 2 Nr. 4 AVB eingehen, werden, unabhängig von abweichenden Tilgungsbestimmungen, grundsätzlich auf die jeweils älteste offene Forderung angerechnet."
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Im Rahmen des Vertrages gewährte die Beklagte der Klägerin am 13.07.2010 Versicherungsschutz für Forderungen gegen einen Kunden der Klägerin, die J.-M... B.V, in Höhe von 50.000,00 € (vgl. Anlage JK 2). Die Versicherungsquote betrug vereinbarungsgemäß 80 %. Wegen der Nichtzahlung der J.-M... B.V. auf Forderungen der Klägerin vom 31.08.2010, 11.09.2010 und 13.09.2010 über insgesamt 51.491,39 € trat der Versicherungsfall ein, der von der Klägerin der Beklagten ordnungsgemäß angezeigt wurde. Mit Schreiben vom 22.09.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Versicherungssumme für die J.-M... B.V. aufgehoben wurde (vgl. Anlage JK 3). Weitere Leistungen gegenüber der J.-M... B.V. vom 07.10.2010, 15.10.2010, 20.10.2010, 23.10.2010, 17.11.2010 über insgesamt 78.711,46 € erbrachte die Klägerin nur gegen Vorauskasse bzw. Barzahlung. Mit Schreiben vom 17.03.2011 (Anlage JK 4) lehnte die Beklagte eine Leistungspflicht unter Hinweis auf § 5 Nr. 2.1 AVB und die im Zeitraum vom 07.10.2010 bis 17.11.2010 seitens des Kunden geleisteten Zahlungen ab.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass § 5 Nr. 2.1 AVB im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Zudem sei § 5 Nr. 2.1 AVB unwirksam, da die Regelung zu weitgehend sei und den Versicherungsnehmer unangemessen benachteilige.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 40.000,00 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.07.2011 zzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.373,00 € zu zahlen.
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10
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. | 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 40.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2011 sowie weitere 1.373,00 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. | 1 |
AG Kassel Zivilabteilung | Hessen | 1 | 0 | 04.05.2017 | 0 | Die Klägerin begehrt die Zahlung von Hausgeld.
Die Beklagte schloss - damals noch unter dem Nachnamen CC - mit notariellen Urkunden vom 23.12.2004 (UR Nr. 3859/2004 des Notars AA in M, Bl. I/72 ff.) und vom 19.04.2005 (UR Nr. 1710B/2005 des Notars BB in N, Bl. I/94 ff.) einen Kaufvertrag über die Wohnung Nr. 5 in der Wohnungseigentumsgemeinschaft DD ab. Die Hausverwaltung führt die Beklagte derzeit als Wohnungseigentümerin. Aufgrund der Beschlüsse der Eigentümerversammlung entstanden folgende noch offene Abrechnungsspitzen: für das Wirtschaftsjahr 2014 noch 370,56 € und für das Wirtschaftsjahr 2014 noch 1.950,58 €. Weiter entstanden für das Jahr 2015 Rückstände aus laufenden Hausgeldzahlungsverpflichtungen in Höhe von 1.713,00 € und für das Jahr 2016 bis einschließlich Juni ebensolche in Höhe von 804,00 € und für Juli bis September 2016 weitere 402,00 €. Alle vorstehenden Beträge macht die Klägerin nebst Zinsen und zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,50 € geltend.
Die Klägerin meint, die Beklagte sei für diese Rückstände als Wohnungseigentümerin im Grundbuch haftbar. Eine Anfechtung des Kaufvertrages bestreitet sie, jedenfalls den Zugang der Anfechtungserklärung.
Die Klägerin beantragt sinngemäß unter Rücknahme von ursprünglich geltend gemachten Mahnkosten in Höhe von 15,00 €,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, den Kaufvertrag über die Wohnung Nr. 5 mit Anwaltsschreiben vom 03.11.2008 (Anlage B5, Bl. I/262 ff. d.A.) wegen arglistiger Täuschung angefochten zu haben, da ihr eine sogenannte "Schrottimmobilie" verkauft worden sei. Aufgrund dieser Anfechtung sie sie nicht mehr als Eigentümerin der Wohnung und Mitglied der Eigentümergemeinschaft anzusehen und hafte deswegen von Anfang an nicht für Hausgelder und Abrechnungsspitzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. | Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.255,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 4.853,23 € seit dem 01.07.2016 und aus weiteren 402,00 € seit dem 26.10.2016 sowie weitere 492,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.07.2016 zu bezahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. | 1 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 6. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 25.09.2018 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und einer weiteren ordentlichen Kündigung.
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Die 1954 geborene Klägerin ist seit 15. September 1994 beim Beklagten, einem Zusammenschluss von acht deutschen Wissenschaftsakademien in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins mit regelmäßig mehr als zehn vollzeitbeschäftigten Mitarbeitern mit Ausnahme der Auszubildenden, als Verwaltungsangestellte in Teilzeit mit 19,5 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006 (zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs idF des Änderungstarifvertrages Nr. 8 vom 28. März 2015) Anwendung. Die Klägerin bezieht zuletzt ein Bruttomonatsgehalt iHv. 1.710,41 Euro nach Entgeltgruppe 9 TV-L.
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Mit Schreiben vom 12. Juni 2003 beantragte die Klägerin eine Aufstockung ihrer Arbeitszeit auf 38,5 Wochenstunden. Der Beklagte teilte ihr mit Schreiben vom 08. Juli 2003 mit, ihrem Antrag könne momentan nicht entsprochen werden, man komme aber - sobald dies möglich sei - ohne weitere Aufforderung auf ihn zurück. Nach anderweitiger Besetzung verschiedener Stellen in der Verwaltung in den Jahren 2006, 2007, 2008, 2009, 2013 und 2014 hat die Klägerin zu Beginn des Jahres 2016 vor dem Arbeitsgericht Mainz - 1 Ca 11/16 - gegen den Beklagten Klage ua. auf Schadensersatz wegen Nichtaufstockung ihrer Arbeitszeit auf 38,5 Wochenstunden erhoben. Zur Begründung hat sie unter anderem geltend gemacht, vom Beklagten nicht über verschiedene zu besetzende Stellen informiert worden zu sein. Das Arbeitsgericht hat die Klage erstinstanzlich mit Urteil vom 08. Juni 2016, welches dem Beklagtenvertreter am 24. Oktober 2016 zugestellt worden ist, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin mit Urteil vom 23. Mai 2017 -
8 Sa 483/16
- zurückgewiesen.
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Der Beklagte, in dessen Betrieb eine Mitarbeitervertretung nicht gewählt ist, kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 04. November 2016 (Bl. 10 f. d. A.) außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2017. Zur Begründung hat er angeführt, die Klägerin habe sich angesichts des klageabweisenden Urteils vom 08. Juni 2016 durch das Arbeitsgericht eines versuchten Prozessbetruges schuldig gemacht, da sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren unwahr habe vortragen lassen, der Beklagte habe sie nicht über zu besetzende Stellen informiert und bei der Besetzung geeigneter freier Arbeitsplätze nicht bevorzugt berücksichtigt.
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5
Mit Schreiben vom 09. Februar 2017 (Bl. 74 f. d. A.) kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut zum 30. September 2017 und begründete dies damit, die Klägerin habe in ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 18. Januar 2017 im Verfahren
8 Sa 483/16
zur Begründung ihrer Schadensersatzforderung wissentlich wahrheitswidrig behauptet, in der Zeit von 2003 bis 2008 mit dem Zeugen Z. den komplexen Aufgabenbereich Haushalt und Finanzen aufgebaut, betreut und verwaltet zu haben und dass dieser täglich nur stundenweise im Einsatz gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Die Klägerin hat am 14. November 2016 im Hinblick auf die Kündigung vom 04. November 2016 vorliegende Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Mainz erhoben und für den Fall des Obsiegens ihre Weiterbeschäftigung verlangt. Mit am 20. Februar 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat sie sich auch gegen die zweite Kündigung im Klagewege zur Wehr gesetzt. Der Beklagte hat erstinstanzlich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht beantragt. Er verfolgt den erstinstanzlich zurückgewiesenen Auflösungsantrag im Berufungsverfahren nicht weiter.
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7
Die Klägerin hat erstinstanzlich - soweit vorliegend von Belang - im Wesentlichen vorgetragen, die vom Beklagten genannten Behauptungen aus dem vorangegangenen Rechtsstreit seien nicht geeignet, einen Kündigungsgrund darzustellen. Der Beklagte habe nicht angegeben, wann sie - insbesondere im Sinne einer ordnungsgemäßen, rechtsrelevanten Stellenausschreibung - über die streitigen Stellenbesetzungen informiert worden sein solle, was weiterhin bestritten bleibe. Es sei auch nicht Aufgabe ihres nunmehrigen Prozessbevollmächtigten, rechtsrelevanten Vortrag aus dem Vorgängerprozess herauszusuchen. Im Übrigen herrsche Meinungsfreiheit, was die Einschätzung ihrer Relevanz für die Abteilung angehe. Die Wiederholungskündigung sei ebenfalls unwirksam und sozialwidrig. Es sei kein Kündigungsgrund und kein versuchter Prozessbetrug, sondern nur eine Wertung, wenn sie die Auffassung vertreten habe, einen Aufgabenbereich zusammen mit dem Zeugen Z. aufgebaut zu haben. Im Übrigen sei sie ordentlich unkündbar, eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist scheide aus. Der Beklagtenvortrag sei ausweislich der klägerischen Berufungsbegründungsschrift im Vorprozess vom 18. Januar 2017 (Bl. 134 ff. d. A.) konstruiert.
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8
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose, noch ordentliche Kündigung vom 04. November 2016 beendet worden ist,
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2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 09. Februar 2017 beendet worden ist,
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Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Klageanträgen zu 1) und 2):
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3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Verwaltungsangestellte in der Geschäftsstelle Mainz bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.
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Der Beklagte hat zuletzt beantragt,
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1. die Klage insgesamt abzuweisen.
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Hilfsweise für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 14. November 2016, noch durch die Kündigung vom 09. Februar 2017 beendet worden ist:
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2. Das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung an die Klägerin, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum 04. November 2016, hilfsweise zum 30. Juni 2017 aufzulösen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Auflösungsantrag abzuweisen.
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Der Beklagte hat erstinstanzlich - soweit vorliegend von Belang - im Wesentlichen geltend gemacht, die außerordentliche, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung vom 04. November 2016 sei berechtigt, weil die die Klägerin im Verfahren 1 Ca 11/16 vor dem Arbeitsgericht wahrheitswidrig und wider besseres Wissen behauptet habe, nicht über freiwerdende Stellen im Zusammenhang mit deren Besetzung informiert worden zu sein, obgleich dies aus im Einzelnen dargestellten Gründen der Fall gewesen sei. Es werde Bezug genommen auf den schriftsätzlichen Vortrag im vorangegangenen Rechtsstreit. Dass die Klägerin letztlich mit ihrem versuchten Prozessbetrug über zwei Instanzen gescheitert sei, ändere an dessen Umstand nichts. Die zweite Kündigung sei keine Wiederholungskündigung. Die Klägerin sei am - 2003 bereits abgeschlossenen - Aufbau der Abteilung Haushalt und Finanzen nicht beteiligt gewesen und habe wahrheitswidrig behauptet, der Zeuge Z. habe nur stundenweise gearbeitet, obwohl dieser an jedem Werktag von 8.00 bis 12.30 Uhr an seinem Arbeitsplatz gewesen sei und an mehreren Tagen auch bis 17.00 Uhr und - im Einzelnen geschildert - die Abteilung geführt habe und von der Klägerin als Sachbearbeiterin unterstützt worden sei und nicht umgekehrt. Der Berufungsbegründungsschriftsatz enthalte insoweit zahlreiche unwahre Tatsachenbehauptungen. Die Klägerin habe sich noch in der Berufungsverhandlung geweigert, eine vergleichsweise Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch nur in Erwägung zu ziehen. Das Arbeitsverhältnis könne auch ordentlich gekündigt werden, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Überleitung vom BAT zum TVöD zum 01. November 2006 noch keine 15 Jahre im öffentlichen Dienst oder beim Beklagten beschäftigt gewesen sei. § 34 Abs. 2 TVöD/ TV-L spreche nur von einer Kündigung „aus wichtigem Grund“, wie geschehen und sage nichts darüber aus, ob nur eine fristlose außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden dürfe. Sein unbedingter Beendigungswillen sei jedenfalls kundgetan, weshalb die ordentliche Kündigung in eine außerordentliche mit Auslauffrist umzudeuten sei.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29. November 2017 stattgegeben und den Auflösungsantrag des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es die Kündigungen betreffend im Wesentlichen angeführt, die fristlose Kündigung vom 04. November 2016 sei bereits wegen Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam, die nicht erst mit Zustellung der erstinstanzlichen Urteilsgründe im Verfahren 1 Ca 11/16 zu laufen begonnen habe, sondern in dem Zeitpunkt, in dem dem Beklagten die Schriftsätze und damit der Sachvortrag der Klägerin in diesem Verfahren bekannt geworden sei. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung 04. November 2016 sei wie die ordentliche Kündigung vom 09. Februar 2017 wegen der tarifvertraglichen ordentlichen Unkündbarkeit der Klägerin nach § 34 Abs. 2 TV-L unwirksam. Die Umdeutung der letztgenannten Kündigung in eine außerordentliche mit Auslauffrist komme nicht in Betracht, da das Ersatzgeschäft nach § 140 BGB nicht weiterreichen dürfe als das unwirksame Rechtsgeschäft. Nach Obsiegen der Klägerin mit den Kündigungsschutzanträgen sei der Beklagte zu deren Weiterbeschäftigung verpflichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 326 ff. d. A. verwiesen.
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Der Beklagte hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 27. Februar 2018 zugestellte Urteil mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 20. März 2018 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit am 06. Juni 2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.
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Der Beklagte trägt zweitinstanzlich nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 06. Juni 2018 hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf Bl. 363 ff. d. A. ergänzend Bezug genommen wird, im Wesentlichen vor,
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das Arbeitsgericht nehme zu Unrecht an, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bereits in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, als ihm die erstinstanzlichen Schriftsätze bekannt geworden seien. Wenn die Klägerin ihre Behauptungen im weiteren Verlauf des Verfahrens 1 Ca 11/16 nicht nur zu relativieren versucht, sondern eindeutig nicht mehr an ihnen festgehalten hätte, wäre eine fristlose Kündigung zu diesem Zeitpunkt bereits hinfällig gewesen. Es könne ihm daher nicht vorgeworfen werden, dass er in seiner Engelsgeduld die schriftlichen Urteilsgründe abgewartet habe, da erst zu diesem Zeitpunkt habe davon ausgegangen werden dürfen, dass die Klägerin an ihren Behauptungen festhalte. Das Arbeitsgericht gehe nur bedingt richtig davon aus, dass die ordentlichen Kündigungen unwirksam seien, da nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein sinnloses Arbeitsverhältnis - wie vorliegend - nicht aufrecht erhalten werden müsse. Das müsse auch für verhaltens- und personenbedingte Gründe gelten.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 29. November 2017 - 1 Ca 1690/16 - wird abgeändert.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das vom Beklagten angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 29. Juni 2018, auf die Bezug genommen wird (Bl. 378 ff. d. A.), zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags im Wesentlichen wie folgt,
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die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginne bereits mit dem Zeitpunkt, zu welchem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen im Sinne möglichst vollständiger und positiver Kenntnis des Kündigungssachverhaltes Kenntnis erlange. Nach dieser Vorgabe habe der Beklagte von der angeblichen Falschbehauptung der Klägerin bereits mit dem Schriftsatzvortrag im Verfahren 1 Ca 11/16 Kenntnis gehabt, da die Urteilsgründe auf diesem basierten, sofern - wie vorliegend - kein ergänzender mündlicher Vortrag erfolgt sei. Zudem habe das Arbeitsgericht in den Urteilsgründen schon keine falsche Behauptung oder einen Prozessbetrug verbindlich festgestellt. Sie habe auch nicht versucht, ihre Behauptungen im Vorprozess zu relativieren. Die Ausschlussfrist beginne auch mit einer Falschbehauptung und nicht mit einem „Festhalten“ daran. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur nicht möglichen Umdeutung der unwirksamen ordentlichen Kündigung in eine fristlose entsprächen den Vorgaben der Rechtsprechung. Im Übrigen sei ihr Arbeitsplatz nicht weggefallen und sie könne - auch angesichts des ungetrübten Verhältnisses zu den Kollegen - auch organisatorisch reibungslos in den Betrieb integriert werden.
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31
Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. | I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 29. November 2017 - 1 Ca 1690/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 4. Senat | Hessen | 0 | 1 | 30.10.2013 | 0 | Randnummer
1
Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Abänderung des EHV-Anspruchssatzes wegen der fehlerhaften Berücksichtigung von Zuschlägen für Mehrzeiten und die Festsetzung eines Rückforderungsbetrages für die Zeit vom 1. Mai 2008 bis 31. Dezember 2009 in Höhe von 2.999,34 € netto.
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2
Die 1943 geborene Klägerin war als Fachärztin für Psychiatrie vom 1. Juli 1986 bis 31. Januar 2005 zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten zugelassen. Zum 31. Januar 2005 verzichtete sie auf ihre vertragsärztliche Zulassung.
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3
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 30. September 2008 die Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung (EHV) ab 1. Mai 2008 mit einem Anspruchssatz in Höhe von 5,9794 %. Im Bescheid führte sie aus, die Klägerin habe vorzeitig auf ihre Vertragsarztzulassung verzichtet. Nach § 4 der Grundsätze der EHV (GEHV) werde der Anspruchssatz für jedes volle Jahr zwischen Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit in Hessen und dem Eintritt in die EHV um 0,5 % gekürzt. Der ermittelte Anspruchssatz von 6,0705 % reduziere sich somit um 1,5 % auf den genannten Anspruchssatz. Der Bescheid enthielt folgenden Hinweis:
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4
„Wir behalten uns einen Widerruf dieses Bescheides vor, soweit sich ergibt, dass bei Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen wurde, der sich als unrichtig erweist.“
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5
Dem Bescheid war ein Berechnungsbogen beigefügt, dem u. a. folgende Angaben zu entnehmen sind:
Verhältnis der erreichten Punktzahl zur Punktzahl der Normalstaffel:
43,3626 %
Anspruchsprozente:
11,10 %
Davon 43,3626 % =
4,8132 %
Zuschlag für Mehrjahre (0,12 %/Jahr) 10,4779 Jahre x 0,12 =
1,2573 %
Errechneter Anspruchssatz:
6,0705 %
Kürzungen vorz. Verzicht 3 x 0,5 1,5 % =
0,0911 %
Tatsächlicher Anspruchssatz
5,9794 %
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Der Bescheid vom 30. September 2008 wurde bestandskräftig.
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7
Die Beklagte zahlte für die Quartale II/08 bis IV/09 an die Klägerin auf der Basis von Quartalsbescheiden EHV-Honorar aus. Den bestandkräftigen Bescheiden sind folgende Abrechnungswerte zu entnehmen.
Quartal
Durchschnittshonoraranforderung in €
EHV-Anspruchssatz in %
Auszahlungsquote in % (Nachhaltigkeitsfaktor)
EHV-Honorar in € *
II/08
45.161,78
3,9862
83,7073
1.506,93
III/08
41.871,88
5,9794
84,0176
2.103,54
IV/08
46.013,37
5,9794
83,6371
2.301,13
I/09
48.178,21
5,9794
82,6214
2.380,13
II/09
45.331,31
5,9794
82,4628
2.235,19
III/09
44.371,46
5,9794
82,4432
2.187,34
IV/09
45.684,17
5,9794
82,6382
2.257,38
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8
* vor Abzug Verwaltungskosten
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9
Die Beklagte änderte mit Bescheid vom 2. August 2010 den Anspruchssatz rückwirkend auf 4,7410% ab und forderte für den Zeitraum vom 1. Mai 2008 bis 31. Dezember 2009 wegen einer Überzahlung von insgesamt 3.100,80 € abzgl. 101,46 € Verwaltungskosten und Umlagen einen Betrag in Höhe von 2.999,34 € zurück. Die monatliche Abschlagzahlung setzte sie ab Juli 2010 auf 440,00 € fest. Zur Begründung führte sie aus, bei der Überprüfung der Unterlagen habe sie festgestellt, dass bei der Ermittlung des Anspruchssatzes § 4 (1) Unterabsatz 2, letzter Satz GEHV nicht berücksichtigt worden sei. Hiernach würden Zuschläge für Mehrzeiten gegenüber der Normalstaffel nach § 3 Abs. 1c Buchstabe bb) der GEHV i. d. F. vom 1. Juli 2006 nicht gewährt werden. Es habe daher eine Neuberechnung des Anspruches vorgenommen werden müssen.
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10
Hiergegen legte die Klägerin am 9. August 2010 Widerspruch ein. Sie trug vor, ohne Kenntnis der Satzung sei die Begründung nicht nachvollziehbar. Im Übrigen könne die Korrektur im Zweifel nur für die Zukunft gelten, nicht rückwirkend. Es sei offenkundig, dass sie in keiner Weise zu der fehlerhaften Rechtsanwendung auf Seiten der Beklagten beigetragen habe. Das unterstellte Quartalshonorar in Höhe von 1.770,00 € sei ebenfalls nicht nachvollziehbar.
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11
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, zutreffende Rechtsgrundlage für die Berichtigung des Anspruchssatzes und die Rückforderung seien die Vorschriften über die sachlich-rechnerische Richtigstellung im Vertragsarztrecht gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 Satz 1 GKV-Ä. Sie habe die Honoraranforderungen ihrer Vertragsärzte quartalsmäßig zu prüfen, ohne dass sie aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen die Rechtmäßigkeit der Honoraranforderungen umfassend überprüfen könne. Hinzu komme, dass Fehler der Richtigkeit häufig erst später aufgrund besonderer Umstände aufgedeckt werden könnten. Die Honorarausschüttung habe insoweit einen vorläufigen Charakter (Hinweis auf BSG, Urteil vom 31. Oktober 2001 - B 6 KA 16/00 R –). Diese Überlegungen würden dem Grundsatz nach auch für die erweiterte Honorarverteilung gelten. Zwar träten dort keine Fehler auf, die im Zusammenhang mit dem Leistungsspektrum und Leistungsumfang eines individuellen Vertragsarztes entstehen könnten, die übrigen Besonderheiten der Honorarverteilung, insbesondere soweit sie im Zusammenhang mit der Ungewissheit über die Höhe der Gesamtvergütung der Ermittlung der Durchschnittshonorare stünden, würden weiter gelten und rechtfertigen auch hier die Abweichung von den allgemeinen Regelungen der §§ 45 ff. SGB X (Hinweis auf:
LSG Hessen, Urteil vom 15. März 2006 – L 4 KA 8/05
–). Einzige Voraussetzung sei die Unrichtigkeit der Honorarforderung. Im Bescheid vom 30. September 2008 sei ein Zuschlag für Mehrjahre in Höhe von 1,2573 % enthalten gewesen. Diese Sonderregelung habe die Unterstützung von Ärzten vorgesehen, die wegen geringer Umsätze die Punktzahl der Normalstaffel nicht erreicht haben. Bei der Ermittlung des Anspruchssatzes der Klägerin sei jedoch übersehen worden, dass die Regelung nicht anwendbar sei, da sie vorzeitig freiwillig auf die Zulassung verzichtet habe. Die Klägerin hätte daher von Anfang an lediglich mit einem Anspruchssatz in Höhe von 4,7410 % an der EHV teilnehmen dürfen. Hieraus ergebe sich auch der Berichtigungsbetrag. Aufgrund des § 45 BMV-Ä sei sie auch berechtigt, die Rückforderung festzusetzen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. Dezember 2001 – B 6 KA 3/01 R –). Gründe des Vertrauensschutzes stünden nicht entgegen. Die Vertrauensschutzregelungen des § 45 SGB X seien bei einer individuell fehlerhaften Rechtsanwendung anwendbar. Die Klägerin könne sich aber nicht auf ein Vertrauen berufen, weil sie die Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 30. September 2008 zumindest infolge von grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Grobe Fahrlässigkeit liege dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Bei Überprüfung des Bescheides und des dazugehörigen Berechnungsbogens anhand der seinerzeit gültigen Fassung der Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung hätte sie aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 3 unschwer erkennen können, dass sie aufgrund ihres vorzeitigen freiwilligen Zulassungsverzichts keinen Anspruch auf einen Mehrjahreszuschlag gehabt habe. Insoweit habe sie gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 i. V. m. Absatz 4 SGB X den Bescheid auch für die Vergangenheit zurücknehmen dürfen. Das im Bescheid genannte Quartalshonorar von ca. 1.770,00 € sei auf der Basis eines Jahresdurchschnitts der Quartalsansätze aller hessischen Vertragsärzte in Höhe von 37.300,00 € ermittelt worden. Bei einem Anspruchssatz von 4,741 % ergebe dies ca. 1.770,00 €.
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12
Hiergegen hat die Klägerin am 19. April 2011 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben.
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Sie hat vorgetragen, es sei ein Rückgriff auf die allgemeinen Vertrauensschutzgrundsätze des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X erforderlich. Ihr Vertrauen sei schützenswert gewesen. Die Fehlerhaftigkeit des Bescheides sei ihr nicht infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben. Der Bescheid sei nicht offensichtlich fehlerhaft gewesen und auch die fehlerhafte Berechnung des Anspruchssatzes sei für sie nicht erkennbar gewesen. Die Berechnung sei als solche schon schwer nachzuvollziehen und die Fehlerhaftigkeit könne ihr nicht angelastet werden. Als juristischer Laie habe sie die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkennen können, da die Rechtslage für sie nur schwer nachzuvollziehen sei. Auch habe sie nach einem Zeitraum von fast zwei Jahren von der Rechtmäßigkeit ausgehen dürfen.
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14
Die Beklagte hat ergänzend zum Widerspruchsbescheid vorgetragen, der Zuschlag für Mehrjahre habe bereits nach den Grundsätzen der erweiterten Honorarverteilung i. d. F. vom 1. Juli 2006 nicht bewilligt werden dürfen. Soweit das Sozialgericht Marburg mit Urteil vom 24. Februar 2010 – S 12 KA 289/08– das Fehlen eines Übergangsrechts beanstandet habe, so betreffe dies nur den Personenkreis, der im Zeitraum 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2006 seinen freiwilligen Verzicht erklärt habe und bis spätestens 30. Juni 2009 in die EHV einbezogen worden sei. Die Klägerin habe aber nicht maximal drei Jahre vor dem EHV-Bezug auf die Zulassung verzichtet.
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Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5. Oktober 2011 den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2011 sei rechtswidrig. Die Beklagte habe mit diesen Bescheiden zwei Verwaltungsakte im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 10. Buch, Verwaltungsverfahren – SGB X – erlassen. Sie habe zum einen die Regelung getroffen, dass rückwirkend der Anspruchssatz von 5,9794 % auf 4,7410 % zu reduzieren sei. Sie habe des Weiteren die Regelung getroffen, dass auf der Grundlage der rückwirkenden Änderung des Anspruchssatzes die eingetretene Überzahlung in Höhe von 2.999,34 € zurückzufordern sei. Soweit bereits die der Rückforderung vorausgehende Änderung des Anspruchssatzes rechtswidrig sei, sei auch die nachfolgende Rückforderung ohne Rechtsgrundlage ergangen. Die Änderung des Anspruchssatzes sei aber bereits rechtswidrig, weil die Beklagte von einer fehlerhaften Rechtsgrundlage ausgegangen sei und fehlerhaft das Vorliegen von Vertrauensschutzgründen verneint und infolge hiervon kein Ermessen ausgeübt habe.
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Gegen das ihr am 24. Oktober 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24. November 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
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Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, Rechtsgrundlage für die nachträgliche Änderung des Bescheides vom 30. September 2008 seien § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä bzw. § 34 Abs.4 Satz 1 EKV-Ä. Nach der Rechtsprechung des HLSG handele es sich bei der Teilnahme an der EHV ihrem Rechtscharakter nach um Honorarverteilung. Dafür spreche auch, dass Honorarbescheide und EHV-Bescheide hinsichtlich ihres Zustandekommens vollkommen vergleichbar seien, sie würden quartalsweise berechnet, ergingen auf einer komplexen Berechnungsgrundlage und erfolgten unter dem gleichen Zeitdruck. Sie seien daher in gleicher Weise besonders fehleranfällig, was durch die vergleichsweise einfache Berichtigungsmöglichkeit nach den bundesmantelvertraglichen Regelungen kompensiert würde. Die danach erfolgte sachlich-rechnerische Berichtigung berechtige sie – die Beklagte – nicht zur Ermessensausübung. Der statusbegründende Teil des Ausgangsbescheides werde nicht durch den streitgegenständlichen Bescheid berührt. Anders als die Entscheidung über die Teilnahme an der EHV sei die Festsetzung des konkreten Anspruchsgrundsatzes nicht statusbegründend. Die Korrektur des Anspruchssatzes stelle der Sache nach eine sachlich-rechnerische Berichtigung dar. Schon der konkrete Anspruchssatz ermittle sich aufgrund einer Addition verschiedener Faktoren und erfolge damit durch Berechnung. Vor allem sei die Festsetzung des Anspruchssatzes Grundlage einer jeden konkreten Honorarberechnung und damit Teil einer solchen. Die auch im Rahmen der Honorarberichtigung anzuwendenden Vertrauensschutztatbestände des § 45 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 SGB X führten nicht zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids; hierdurch dürfe die Berichtigung nicht übermäßig erschwert werden, § 45 Abs. 2 SGB X sei daher nur entsprechend anwendbar, ausreichend sei, wenn sich die Kenntnis der Klägerin auf die Vorläufigkeit des Bescheides bezogen habe, nicht erforderlich sei die Kenntnis der Rechtswidrigkeit. Die Kenntnis von der Vorläufigkeit sei gegeben, jeder aktive und ehemalige Vertragsarzt wisse um die Schwierigkeiten der Berechnung von Honoraransprüchen. Das Vertrauen der Klägerin sei im Übrigen auch nicht schutzwürdig gewesen, die Beklagte habe im aufgehobenen Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich den „Widerruf“ vorbehalte, soweit sich ergebe, dass bei Erlass das Recht unrichtig angewandt worden sei. Darüber hinaus ergebe sich bereits aus § 7 Abs. 2 lit c S. 1 GEHV, dass einmal festgestellte Anspruchssätze nicht unumstößlich seien, etwa im Fall des Versorgungsausgleichs. Zum anderen sei sie – die Beklagte – im Rahmen der allgemeinen wie auch der erweiterten Honorarverteilung gehalten, fehlerhaft geleistete Beträge zurückzufordern. Danach war auch die Rückzahlungsaufforderung rechtmäßig. Selbst wenn die Änderung des Anspruchssatzes nicht im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Berichtigung rechtmäßig gewesen sein sollte, sei der Änderungsbescheid jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft rechtmäßig. Der Klägerin sei keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf ihre Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vorzuwerfen. Gleichwohl habe die Klägerin nicht auf den Bestand des Bescheides vertrauen dürfen, weil im Vertragsarztrecht allgemein nur ein eingeschränkter Vertrauensschutz bestehe, Änderungen des Anspruchssatzes seien immer möglich, z. B. im Fall einer Scheidung. Zudem sei die Klägerin auf die Möglichkeit einer Korrektur hingewiesen worden. Die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft sei auch innerhalb der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X erfolgt.
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Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 5. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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20
Die Klägerin trägt vor, der Anspruchssatz werde im Rahmen der Zulassung zur erweiterten Honorarverteilung festgelegt und sei, auch wenn er zunächst in einem nicht wenig komplizierten Verfahren zu berechnen sei, nach seiner Bestimmung nicht mehr vom erwirtschafteten Durchschnittshonorar der aktiven Vertragsärzte abhängig. Der Fehler, der durch den streitgegenständlichen Verwaltungsakt korrigiert werden solle, resultiere nicht aus einer mit der Unsicherheit der Gesamtvergütung und der Ermittlung des Durchschnittshonorars in Zusammenhang stehenden Ungewissheit. Der Anspruchssatz regle gerade den Umfang, in dem der Vertragsarzt an der EHV teilnehme und bilde damit eine mit der Zulassung nicht trennbare Einheit. Die Senkung des Anspruchssatzes bedeute unmittelbar einen Einschnitt in den statusrechtlichen Regelungsgehalt der Zulassung selbst. Dementsprechend sei § 45 SGB X uneingeschränkt anwendbar. Die Beklagte hätte demnach Ermessen ausüben müssen. Weiterhin greife der Vertrauensschutz des § 45 Abs. 2 SGB X ein. Ihr Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes sei aufgrund der fortgesetzten Zahlungen nach dem ursprünglich festgesetzten Anspruchssatz schützenswert. Der Hinweis auf die Vorläufigkeit sei für die Bescheide der Beklagten derartig üblich, dass sich die Warnwirkung abgenutzt habe. Allenfalls habe sie mit einer alsbaldigen Richtigstellung rechnen müssen.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 5. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits auch im Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 8.141,06 € festgesetzt. | 0 |
Hessisches Landessozialgericht 3. Senat | Hessen | 0 | 1 | 25.03.2014 | 0 | Randnummer
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Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
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Der Kläger ist Jagdpächter und Inhaber eines Jagdscheines. Der Zeuge C., Pächter eines Jagdreviers in D-Stadt, beabsichtigte, mit Hilfe seines Jagdaufsehers, dem Zeugen E., am 27. Oktober 2007 eine Gesellschaftsjagd zu veranstalten, an der insgesamt etwa 100 Schützen teilnehmen sollten. Der Kläger erklärte sich bereit, hierbei als sog. Ansteller mitzuwirken. Aufgabe der Ansteller ist es, die Schützen an die Stände zu führen, sie einzuweisen, die Schussbereiche festzulegen, mitzuteilen, auf welches Wild geschossen wird und wann die Schützen abgeholt werden. Nach Ende der Jagd haben die Ansteller die Schützen von den Ständen abzuholen und sie zu fragen, was geschossen wurde. Der Kläger wurde zu der Jagd am 27. Oktober 2007 eingeladenund als Ansteller in eine Liste eingetragen. Etwa eine Woche vor dem Jagdtermin trafen sich der Zeuge E., der die Jagdleitung übernommen hatte, mit dem Kläger und den weiteren Anstellern, um die Stände einzuteilen, die Jagdbereiche zu begehen und den Jagdablauf zu besprechen. Der Zeuge E. übertrug Befugnisse als Jagdleiter auf die Ansteller, unter anderem Weisungsbefugnisse gegenüber den Schützen sowie die Zuständigkeit, nach Ende der Jagd angeschossenem Wild nachzugehen und es zu erlegen. Dem Kläger wurde auch erlaubt, wie andere Jagdgäste im Revier zu schießen.
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Am 27. Oktober 2007 fand die Gesellschaftsjagd statt. Nach Ende des eigentlichen Schießens, gegen 13.00 Uhr, fuhr der Kläger die von ihm zu sichernden Stände an, um die Schützen abzuholen. Dabei erkannte er, dass ein angeschossenes Wildschwein etwa 30 Meter entfernt zwischen den Bäumen davonlief. Der Kläger, der sein Gewehr bei sich trug, lief sofort gemeinsam mit einem anderen Schützen dem Wildschwein hinterher, um es zu erlegen. Hierbei trat er mit dem linken Fuß in eine Bodenvertiefung und zog sich eine Tibiakopffraktur links zu. Das Wildschwein wurde sodann von einem anderen Jagdteilnehmer erlegt.
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Mit Bescheid vom 18. Dezember 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Sie legte hierin dar, dass der Kläger nach telefonischer Auskunft seiner Ehefrau vom 5. November 2007 selbst als Schütze bei der Jagd teilgenommen habe. Die kurzfristige Gefälligkeitshandlung des Einweisens der Schützen an die vorgesehenen Stände sei keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuches Siebtes Buch– Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Der Kläger sei aus jagdfreundschaftlicher Bindung zum Veranstalter der Gesellschaftsjagd tätig geworden. Die gesamte Teilnahme an der Jagdgesellschaft sei seine private Liebhaberei der Jagdausübung. Diese stehe nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht unter Versicherungsschutz.
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Hiergegen legte der Kläger am 16. Januar 2008 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass er die Verletzung bei der Ausübung seiner Pflichten, die ihm vom Jagdaufseher übertragen worden seien, erlitten habe. Angesichts der Größe der Gesellschaftsjagd sei es erforderlich gewesen, dass der Jagdaufseher seine Kompetenzen auf Jagdhelfer übertragen habe. Nach Ende der Jagd dürfe ausschließlich der Jagdpächter/Jagdaufseher, im vorliegenden Fall der Ansteller, angeschossenem Wild nachgehen. Damit sei seine Jagdteilnahme nicht der privaten Liebhaberei, der Jagdausübung, zuzurechnen. Auf eine eigene Teilnahme an der Jagd habe der Kläger im Ergebnis aus zeitlichen Gründen vollständig verzichtet, obwohl er nach Durchführung seiner Aufgaben an der Gesellschaftsjagd hätte teilnehmen können. Insbesondere bei einer „nicht jagdgasttypischen Tätigkeit“ könne Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII bestehen. Die Tätigkeit, die der Kläger ausgeführt habe, habe dem Unternehmen des Jagdpächters gedient. Sie könne auch von fest eingestellten Arbeitnehmern verrichtet werden und sei gleichsam arbeitnehmerähnlich, da im Vorfeld Weisungen erteilt und Verantwortungsbereiche übertragen worden seien. Von einer Gefälligkeitshandlung könne daher nicht die Rede sein.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, dass die Nachsuche ebenfalls zur Jagdausübung gehöre (§§ 1 Abs. 4, 22a Abs. 1 Bundesjagdgesetz - BJagdG -) und der nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unversicherte Jagdgast seine Eigenschaft als Jagdgast nicht dadurch verliere, dass er bei der Jagdausübung freiwillig im Auftrag des Jagdberechtigten (Jagdunternehmers) diesem obliegende Verrichtungen ausübe.
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Hiergegen hat der Kläger am 4. Juni 2008 Klage beim Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) erhoben.
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Zur Begründung der Klage hat er ergänzend dargelegt, dass im Gegensatz zu ihm, als erfahrenen Jäger, die Teilnehmer der Jagd nicht erkannt hätten, dass das Wildschwein angeschossen worden sei. Er habe als stellvertretender Jagdleiter im Sinne von § 4 Abs. 5 der Unfallverhütungsvorschriften Jagd gehandelt.
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Das Sozialgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. März 2011 die Zeugen C. und E. vernommen und den Kläger befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24. März 2011 Bezug genommen. Sodann hat das Sozialgericht in diesem Termin die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Tätigkeit als Ansteller eine Gefälligkeit sei, die unter Jägern auf Gegenseitigkeit beruhe und selbstverständlich übernommen werde, sodass eine Wie-Beschäftigung nicht vorliege. Zudem habe sich der Kläger verletzt, als er einem Wildschwein hinterhergelaufen sei, um es zu erlegen. Dieser Vorgang gehöre zum Kern der Jagd nach § 1 Abs. 4 BJagdG und sei damit nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen.
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Gegen das ihm am 26. Mai 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Juni 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.
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Zur Begründung führt er aus, dass die Tätigkeit des Anstellers auf anderen Gesellschaftsjagden auch in Form entgeltlicher Wahrnehmung durch professionelle Jäger wahrgenommen werde. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. November 2004 sei die Tätigkeit als Ansteller für einen Jagdgast untypisch, und auch im Falle einer Jagdausübung durch einen Jagdgast habe eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu erfolgen. Der Unfall, über den das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zu entscheiden gehabt habe, habe sich ebenfalls bei der Verrichtung der Aufgaben des Anstellers, nämlich beim Verbringen der Schützen an ihre Position, ereignet. Zu der Stelle, von der aus der Kläger dem angeschossenen Wildschwein nachgegangen sei, sei er nur gelangt, weil er die ihm zugewiesenen Schützen habe abholen wollen, also ausschließlich in seiner Eigenschaft als Ansteller, nicht als Jagdgast. Somit habe er auch nur in seiner Eigenschaft als Ansteller das Tier verfolgt. Ein plötzlicher fiktiver Wechsel des Klägers von seiner Eigenschaft als Ansteller zu einem Jagdgast, der einem angeschossenen Tier folge, sei nicht zulässig. Auch im Zeitpunkt der Nachsuche/Verfolgung habe sich an seiner eigentlichen Tätigkeit als Ansteller, über die sich seine gesamte Tätigkeit an diesem Tag ausschließlich definiert habe, nichts geändert. Auch ein gegen Entgelt tätiger Ansteller hätte – so der Vortrag des Klägers – zu diesem Zeitpunkt genauso reagieren müssen wie er. Während die Jagdteilnehmer der Jagd nachgegangen seien, habe der Kläger an einer Straße gewartet und sich nicht an der Jagd beteiligt. Auch ein Waldarbeiter könne im Übrigen die Tätigkeit als Ansteller ausüben.
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Der Kläger beantragt,
das Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2008 aufzuheben und festzustellen, dass sein Sturz vom 27. Oktober 2007 ein Arbeitsunfall gewesen ist.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keinen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof 3. Senat | Hessen | 1 | 0 | 12.06.2003 | 1 | Randnummer
1
Die Antragsteller wenden sich gegen den am 08.06.2000 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 804 "Am Martinszehnten".
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2
Die Antragstellerin zu 1. ist Inhaberin eines landwirtschaftlichen Betriebes, der nach ihren Angaben mit 15 ha im Plangebiet mindestens ein Nebenerwerbsbetrieb sei. Sie ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke im Satzungsgebiet des Bebauungsplans Nr. 804 in der Gemarkung Frankfurt-Kalbach, z.B. Flur ..., Flurstücke ... und ... sowie des Flurstücks ..., wo sich die Hofstelle mit Hof- und Wirtschaftsgebäuden befindet.
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Der Antragsteller zu 2. ist der Ehemann der Antragstellerin zu 1. und als Landwirt mit insgesamt 115 ha Betriebsfläche Pächter ihres landwirtschaftlichen Betriebes. Er bewirtschaftet noch weitere Pachtflächen im Plangebiet und anderweitige sonstige Flächen. Seine Hauptbetriebsstelle befindet sich in Eschborn.
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Die Antragstellerin zu 3. ist Inhaberin eines landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebes mit 18 ha und Eigentümerin mehrerer landwirtschaftlicher Flächen im Plangebiet, z.B. Flur ..., Flurstücke ... und .... Ihre Hofstelle befindet sich knapp außerhalb des Plangebiets in der Flur ... auf dem Flurstück ....
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Der Antragsteller zu 4. ist der Ehemann der Antragstellerin zu 3. und als Nebenerwerbslandwirt Pächter ihres landwirtschaftlichen Betriebes sowie weiterer Grundstücke im Plangebiet. Im Hauptberuf ist er Bäcker in Frankfurt am Main-Kalbach.
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Die Antragstellerin zu 1. und die Mutter und Voreigentümerin der Antragstellerin zu 3., Frau W., hatten sich gegen die Gewerbeflächen vorsehende Satzung der Antragsgegnerin über die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs "Am Martinszehnten" vom 22.04.1997 gewandt und waren in dem Normenkontrollverfahren beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof
3 N 4219/97
unterlegen. Das Urteil des Senats vom 31.05.2000 ist aufgrund des die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2001 - 4 BN 60.00 - rechtskräftig. Dasselbe gilt für die Urteile des Senats vom 31.05.2000 -
3 N 618/98
und
3 N 1250/99
- nach den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.02.2001 - 4 BN 55.00 und 4 BN 56.00 - in den Normenkontrollverfahren gegen die im Süden von Frankfurt am Main - Kalbach für Wohnungen und Universitätsbauten vorgesehene städtebauliche Entwicklungsmaßnahme "Riedberg".
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7
Das Plangebiet "Am Martinszehnten" liegt deckungsgleich mit dem Entwicklungsgebiet nördlich des Ortsteils Kalbach und nördlich der Nordumgehung Kalbach der Landesstraße L 3019 zwischen den beiden Autobahnen A 5 und A 661, die weiter nördlich am Bad Homberger Kreuz aufeinander treffen. Zwischen dem nordwestlichen Rand des Plangebiets und der Bundesautobahn A 5 verlaufen drei Hochspannungstrassen. Derzeit wird das Plangebiet bis auf die im Norden im Bau befindlichen zwei Großmarkthallen des Frischezentrums im Wesentlichen landwirtschaftlich als Acker- und Wiesenflächen genutzt. Im Nordosten entsteht an der Autobahn A 661 anstelle des früheren Autobahnanschlusses "Bonames" der mit bestandskräftigem Planfeststellungsbeschluss vom 17.04.1996 vorgesehene neue Autobahnanschluss "Nieder-Eschbach".
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8
Zur Durchführung der Entwicklungsmaßnahme "Am Martinszehnten" beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin am 10.10.1996 die Aufstellung des streitbefangenen Bebauungsplans Nr. 804. Die Bürgerbeteiligung erfolgte am 07.09.1999, die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange vom 08.12.1999 bis 14.01.2000, die öffentliche Auslegung des Entwurfs des Bebauungsplans in demselben Zeitraum.
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9
Mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 14.02.2000 trugen u.a. die Antragstellerin zu 1. und die Mutter und Voreigentümerin der Antragstellerin zu 3. Anregungen zum streitbefangenen Bebauungsplan Nr. 804 vor. Die Antragstellerin zu 1. wandte sich gegen die Lage ihrer Hofstelle in einer vorgesehenen öffentlichen Grünfläche. Im Übrigen bezogen sich beide Anregungen darauf, dass die Erschließungsstraße im Südwesten des Plangebiets mit dem Anschluss an die Nordumgehung Kalbach (L 3019) zu nah an den Wohngrundstücken verlaufe, die alte Wegeerschließung mit 3 m Breite ausreiche und eine andere Straßenführung jedenfalls möglich und geboten sei. Der neue Autobahnanschluss "Nieder-Eschbach" sei nicht erforderlich. Behalte man die bisherige Anschlussstelle "Bonames" bei, bedeute dies für den autobahnbezogenen Zu- und Abgangsverkehr nur einen Umweg von 2.000 m. Darüber hinaus sei es nicht erforderlich, 53 ha Gewerbe- und Industriegebietsflächen planerisch festzusetzen. Die Dimensionierung des Plangebiets sei zu groß. Es fehlten Belege für eine entsprechende Nachfrage. Ein entsprechender Bedarf sei weder wegen der Abwanderung von Unternehmen noch wegen der Arbeitsnachfrage gering qualifizierter Personen gegeben. Angesichts des ökonomischen Strukturwandels in Deutschland fielen Arbeitsplätze gering qualifizierter Personen ohnehin zunehmend weg. Ein tatsächlicher Bedarf in Frankfurt am Main sei für Büroraum gegeben, nicht aber für Gewerbeflächen. Die Wirtschaftlichkeit sei für die Bauleitplanung nicht gegeben, da gegen die Entwicklungssatzung (seinerzeit) noch Normenkontrollverfahren anhängig waren und man eine Gebietsentwicklung in Eigenregie der Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer durch städtebaulichen Vertrag ins Auge gefasst hatte. Im Rahmen der genannten Anregungen wurde darüber hinaus auf die Umwidmungssperre des § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB hingewiesen, wonach landwirtschaftliche Flächen nur ausnahmsweise durch Bauleitplanung in Anspruch genommen werden dürften.
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Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin wies die vorstehend genannten Anregungen zurück und beschloss den Bebauungsplan Nr. 804 "Am Martinszehnten" am 08.06.2000 als Satzung. Die Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses erfolgte am 29.08.2000 im städtischen Amtsblatt 2000, S. 672. Der Bebauungsplan setzt im Südwesten von Nordwesten des Plangebiets nach Südosten verlaufend öffentliche Grünfläche - Parkanlage - fest, nach Nordosten anschließend Gewerbegebietsflächen und im Anschluss daran im Norden des Plangebiets Industriegebiet. Als Anschluss an die Nordumgehung Kalbach (L 3019) ist zwischen den beiden Hofstellen der Antragstellerinnen zu 1. und 3. eine Erschließungsstraße ins Plangebiet hinein festgesetzt.
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Dem streitbefangenen Bebauungsplan vorausgegangen war die mit Genehmigung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 17.12.1999 erfolgte 38. Änderung des Flächennutzungsplans des (damaligen) Umlandverbandes Frankfurt für den Bereich der Stadt Frankfurt am Main, Stadtteil Kalbach, Gebiet "Am Martinszehnten". Im Rahmen dieser Änderung wurde der überwiegende Teil der Flächen von Flächen für die Landwirtschaft in gewerbliche Bauflächen umgewidmet, die übrigen, für die interne Haupterschließung benötigten Flächen in Flächen für den Straßenverkehr.
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Der Regionale Raumordnungsplan Südhessen (RROPS) vom 26.04.1995 (StAnz. 1995, S. 1877) stellt den größeren, nordöstlichen Teil des Plangebietes als Gewerbefläche-Zuwachs und den kleineren, südwestlichen Bereich als Siedlungsfläche-Zuwachs dar. Im Zuge der Fortschreibung des RROPS wurde seitens der Antragsgegnerin die Kennzeichnung der gesamten Fläche des Entwicklungsbereichs "Am Martinszehnten" als Gewerbefläche-Zuwachs angemeldet und am 10.12.1999 von der Regionalversammlung so beschlossen.
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Wegen der Inanspruchnahme eines Streuobstbereichs und Feldgehölzen als Sonderbiotop stellte das Regierungspräsidium Darmstadt unter dem 20.01.2000 eine naturschutzrechtliche Befreiung in Aussicht mit Ausnahme einer Streuobstwiese auf dem Flurstück 76 in der Flur 6, die erhalten werden soll.
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Das Regierungspräsidium Darmstadt erließ unter dem 20.12.2002 einen Besitzeinweisungsbeschluss zur Inanspruchnahme der Flurstücke ... und ... der Antragstellerin zu 3. in der Flur ... der Gemarkung Kalbach. Den dagegen gerichteten Antrag der Antragsteller zu 3. und 4. auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht Darmstadt - Kammer für Baulandsachen - mit Beschluss vom 14.02.2003 - 9 O (B) 2/03 - zurück. Die dagegen eingelegte Beschwerde ist beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Senat für Baulandsachen - unter dem Aktenzeichen 1 W (Baul) 1/03 - noch anhängig.
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Für den Bereich östlich der Autobahn A 5 betreibt die Antragsgegnerin derzeit das Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan Nr. 840 "Kalbach, Lärmschutzwall östlich der Autobahn A 5" (vgl. Bl. 160 GA).
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Zuvor stellten die Antragsteller am 18.02.2002 den vorliegenden Normenkontrollantrag. Sie machen geltend, die Anträge seien zulässig und begründet. Der streitbefangene Bebauungsplan sei nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Es gebe keinen hinreichenden Bedarf an Gewerbeflächen. Die Verwirklichung des Bebauungsplans werde zu einer Existenzgefährdung der beiden landwirtschaftlichen Betriebe führen. Der Bebauungsplan setze die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung im Plangebiet in vollem Umfang voraus. Die Antragsteller stützen sich auf die vorgebrachten Anregungen im Planaufstellungsverfahren und rügen, das Abwägungsgebot sei verletzt. Dies gelte auch für landwirtschaftliche Einzelbelange. Gleichheitswidrig und entgegen § 189 BauGB strebe die Antragsgegnerin an, betroffene Haupterwerbsbetriebe vorrangig mit Ersatzland zu bedienen und Nebenerwerbsbetriebe grundsätzlich auf Entschädigungsansprüche zu verweisen. Insgesamt habe man sich nicht genügend um Ersatzflächen bemüht. Im Rahmen der drohenden Existenzvernichtung hätten andere Einkunftsarten der Antragsteller außer Betracht zu bleiben.
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Ein Abwägungsfehler sei es, die landwirtschaftliche Hofstelle der Antragstellerin zu 1. mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden als öffentliche Grünfläche zu überplanen. Die Führung der Erschließungsstraße als nördlicher Abzweig von der Umgehungsstraße Kalbach verlaufe zu nah an den Höfen der Antragstellerinnen zu 1. und 3. Dies führe zu einer untragbaren Lärmbelastung und zu ungesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen. Soweit die schalltechnische Untersuchung der F. GmbH vom 14.07.1999 auf diesem Straßenabschnitt von 3.000 KFZ täglich ausgehe, berücksichtige dies nicht ausreichend die kräftige Steigerung des LKW-Verkehrs. Derzeit sei eine Bebauungsplanänderung vorgesehen, um im Nordwesten des Plangebiets das Frankfurter Frischezentrum, die frühere Großmarkthalle, anzusiedeln. Die geplante Führung der Erschließungsstraße führe auch zu erheblichen Verkehrsgefahren im Bereich der beiden Höfe.
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Darüber hinaus seien klimatologische Gesichtspunkte und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht ausreichend berücksichtigt worden. Nach dem ökologischen Gutachten der Planungsgruppe Natur und Umwelt verbleibe nach dem sog. Frankfurter Modell bei der Naturkompensation ein enorm hohes Restdefizit von über 7,5 Mio. Punkten (vgl. S. 15 ff. der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 804). Dabei sei man dem Vorschlag des Gutachtens nicht gefolgt, das Areal zwischen der westlichen Plangrenze und der BAB A 5 als Ausgleichsfläche zu nutzen. Damit hätte die Kompensation auch auf eingriffsnahen Flächen durchgeführt werden können, während dies jetzt auf weiter entfernt liegenden Flächen in der Praunheimer Gemarkung vorgesehen sei.
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Darüber hinaus rügen die Antragsteller, die Finanzierbarkeit des Bebauungsplankonzeptes sei nicht gegeben. Soweit sich die Antragsgegnerin auf die Kosten- und Finanzierungsübersicht im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme "Am Martinszehnten" bezogen habe, sei dem entgegenzuhalten, dass der mit 45,00 DM/qm geschätzte entwicklungsunbeeinflusste Grundstückswert deutlich zu niedrig angesetzt worden sei. Der Anfangswert liege um das 3-fache höher, da nicht vom landwirtschaftlichen Verkehrswert, sondern von Bauerwartungsland auszugehen gewesen sei. Dies ergebe sich aus mehreren Stellungnahmen des im Auftrag der Antragstellerin zu 3. tätig gewordenen Sachverständigen Brett. Schon allein deswegen liege eine finanzielle Differenz von etwa 50 Mio. Euro vor und immer noch von etwa 13. Mio Euro, wenn man nur die öffentlichen Flächen für die Erschließung und Daseinsvorsorge einbeziehe. Mithin sei im Zeitpunkt des Satzungserlasses die Finanzierung der Plandurchführung "Am Martinszehnten" nicht gegeben gewesen.
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Die Antragsteller rügen weiter, die Antragsgegnerin habe ihr Lärmschutzkonzept zur Bewältigung der künftigen Gewerbelärm-Immissionen im Bebauungsplan nicht wirksam umgesetzt. Flächenbezogene Schallleistungspegel, bezogen auf einen bestimmten Wert pro qm, seien nicht festgesetzt worden. Soweit dies unter A. Nr. 1.2 der Textfestsetzungen mit drei unterschiedlichen Pegeln für die Nachtzeit im Industriegebiet versucht worden sei, sei dies fehlgeschlagen. Dies beruhe auch darauf, dass die drei Teilbereiche des Industriegebiets, die in einem mit der Textfestsetzung verbundenen Übersichtsplan verzeichnet worden seien, sich in der maßgeblichen Plankarte des streitbefangenen Bebauungsplans nicht wiederfänden. Der Übersichtsplan sei für eine parzellenscharfe Abgrenzung der Gliederung unzureichend. Soweit die Antragsgegnerin die Konfliktbewältigung beim Lärmschutz auf eine optimierte Gebäudeanordnung im Genehmigungsverfahren verlagern wolle, sei dies unzulässig und mangels entsprechender Festsetzungen im Bebauungsplan wirkungslos.
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Die Antragsteller beantragen,
im Wege der Normenkontrolle festzustellen, dass die Satzung der Antragsgegnerin über den Bebauungsplan Nr. 804 "Am Martinszehnten" nichtig ist.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
die Normenkontrollanträge abzulehnen.
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Sie hält den angefochtenen Bebauungsplan für rechtswirksam. Abwägungsfehler lägen nicht vor. Die Kostenüberlegungen der Antragsteller seien unbeachtlich, da Grundstückspreise in der Entwicklungsmaßnahme nicht in die bauleitplanerische Abwägung einzustellen seien. Zur Abwägung gehörten lediglich die Kosten für die festgesetzten öffentlichen Einrichtungen. Über die Kosten der Entwicklungsmaßnahme sei rechtskräftig bereits im Normenkontrollverfahren über die Entwicklungssatzung entschieden worden. Dasselbe gelte für die Abwägung der städtebaulichen Belange, wobei der Bebauungsplan gemäß § 166 Abs. 1 BauGB gesetzeskonform zur Durchführung der Entwicklungsmaßnahme erstellt worden sei.
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Der Ausgleich für die vorgesehenen Eingriffe in Natur und Landschaft sei fachgerecht erfolgt, sorgfältig geprüft und ordnungsgemäß abgewogen worden. Die Ausgleichsflächen in der Gemarkung Praunheim stünden in städtischem Eigentum und seien für die Ausgleichsmaßnahmen sofort verfügbar. Bereits während des Bebauungsplanverfahrens seien diese Flächen durch interne Verfügungen als Ausgleichsflächen reserviert worden. Außerhalb der in der Gemarkung Berkersheim auf 2 ha veranschlagten Kompensation für Eingriffe in Sonderbiotope sei dem Bebauungsplan Nr. 804 eine Fläche für Ausgleichsmaßnahmen mit insgesamt 25,38 ha zugeordnet und im März 2003 bis etwa 34 ha durch Baulasten öffentlich-rechtlich gesichert worden. Es sei nicht richtig, aus der Punktebilanz zu schließen, 75 % der Eingriffe seien nicht ausgeglichen. Ein solches Defizit gebe es nicht. Bei der Abwägung habe man sich nicht ausschließlich auf das Rechenwerk des ökologischen Gutachtens, sondern auf eine eigene Eingriffs- und Ausgleichsbewertung gestützt. Unter Berücksichtigung des Abwägungssystems des § 1 Abs. 6 BauGB sei der Ausgleich abwägungsfehlerfrei und vollständig gelungen.
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Auch das Verkehrskonzept sei ordnungsgemäß geplant und abgewogen worden. Dies gelte insbesondere für den Straßenanschluss an die Nordumgehung Kalbach. Soweit die Straße nahe an die beiden Hofstellen der Antragsteller herangelegt worden sei, sei dies aus Gründen der Erschließung angemessen. Die Zufahrt zum Autobahnanschluss "Nieder-Eschbach" werde ausschließlich im östlichen Teil an die Straße "Am Martinszehnten" angebunden. Durchgangsverkehr sei aus dem Plangebiet ferngehalten. Der mit dem Frischezentrum verbundene Folgeverkehr habe im maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch nicht berücksichtigt werden können.
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Dem Senat liegen zwei Ordner und 6 Hefter Aufstellungsunterlagen der Antragsgegnerin für den streitbefangenen Bebauungsplan Nr. 804 vor. Die Antragsteller haben den Bericht über "Voruntersuchungen für städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen gemäß § 165 Abs. 4 BauGB für das Gebiet Am Martinszehnten" (Stand: 19.02.1996) eingereicht. Diese Unterlagen sind sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird ebenso wie auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten ergänzend Bezug genommen. | Auf den Antrag der Antragstellerin zu 3. wird der am 8. Juni 2000 beschlossene Bebauungsplan Nr. 804 "Am Martinszehnten" der Antragsgegnerin für unwirksam erklärt.
Die Anträge der Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. und 4. werden abgelehnt.
Die Gerichtskosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 1., die Antragsteller zu 2. und 4. sowie die Antragsgegnerin zu je 1/4.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 3. und 1/4 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten. Die Antragstellerin zu 1. und die Antragsteller zu 2. und 4. tragen je 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin sowie jeweils ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
VG Wiesbaden 2. Kammer | Hessen | 1 | 0 | 28.04.2021 | 0 | Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung ausgezahlter Dienstbezüge.
Der Kläger wurde mit Wirkung vom 04.09.2017 in das Beamtenverhältnis auf Widerruf des Landes Hessen zum Kriminalkommissar-Anwärter berufen. Ab diesem Zeitpunkt wurden dem Kläger Anwärterbezüge (Anwärtergrundbetrag) nach
§ 58 Abs. 1 und 2 des Hessischen Besoldungsgesetzes (HBesG)
gewährt.
Von seiner Dienststelle wurde der Kläger ausweislich der von ihm am 04.09.2017 unterzeichneten Belehrungsmappe für Studierende der hessischen Polizei belehrt, dass nach
§ 58 Abs. 3 HBesG
für Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, die Gewährung von Anwärterbezügen von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden kann.
In der Belehrungsmappe ist unter der Überschrift „Auflagen für die Gewährung der Anwärterbezüge“ folgendes geregelt:
„
Anwärterbezüge werden nach Maßgabe des Hessischen Besoldungsgesetzes (
§ 63 HBesG
) ausgezahlt.
[…]
Auflagen:
Sie dürfen im Anschluss an Ihre Ausbildung nicht vor Ablauf einer Mindestdienstzeit von fünf Jahren aus einem von Ihnen zu vertretenden Grunde aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden (§ 29 Abs. 1BBesG)
“
Ferner sind
§ 63 HBesG
vollständig sowie die
§§ 58
-
62 HBesG
auszugsweise abgedruckt.
Aufgrund einer Entlassungsverfügung der Polizeiakademie Hessen vom 13.05.2019 wurde der Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Wirkung zum 15.05.2019 gemäß
§ 29 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Hessisches Beamtengesetz (HBG)
sowie § 23 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf des Landes Hessen entlassen. Hintergrund der Entlassung waren zwei disziplinarrechtliche Vorgänge, die einen Vorfall vom 02.09.2018 und einen weiteren Vorfall vom 28.04.2019 betrafen. Wegen des erstgenannten Vorfalls wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Hünfeld vom 05.06.2019 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt.
Mit Verfügung der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung vom 15.02.2019 wurde der Kläger über das Nichtbestehen einer Prüfung im Studienabschnitt 3 informiert. In diesem Zusammenhang wurde er auch darauf hingewiesen, dass für Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten auf Widerruf, die die Modulprüfungen auch nach Wiederholung nicht bestanden haben, das Beamtenverhältnis mit Ablauf des Tages endet, an dem Ihnen das Prüfungsergebnis bekannt gegeben wird. Aufgrund einer weiteren Verfügung Hochschule vom 21.05.2019 wurden dem Kläger das wiederholte Nichtbestehen einer Prüfung im Studienabschnitt 3 und die gesetzliche Rechtsfolge der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis mit Ablauf des Tages der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 23.07.2019 informierte der Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Rückforderung der gezahlten Anwärterbezüge infolge der Entlassung zum 15.05.2019, die vom Kläger zu vertreten sei, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
Hiervon machte der Kläger mit Schreiben vom 16.08.2019 Gebrauch und wies darauf hin, dass er nach der Entlassungsverfügung vom 13.05.02019 auch mit Mitteilung vom 21.05.2019 wegen wiederholten Nichtbestehens aus dem Dienst entlassen worden sei. Die Rückzahlungsverpflichtung hänge damit vom Zufall ab, da diese bei einer zeitlich früheren Entlassung wegen wiederholten Nichtbestehens nicht ausgelöst worden wäre. Außerdem sei er wirtschaftlich zur Rückzahlung nicht in der Lage. Durch die ausgeurteilte Geldstrafe des Amtsgerichts Hünfeld sei er ferner ausreichend bestraft.
Mit Bescheid vom 06.11.2019 forderte der Beklagte nach
§ 12 Abs. 2 HBesG
die für die Zeit vom 04.09.2017 bis zum 15.05.2019 an den Kläger ausgezahlten Anwärterbezüge in Höhe von insgesamt 16.707,15 € brutto zurück. Zur Begründung führte er an, dass die nach
§ 58 Abs. 1 und 2 HBesG
während des Vorbereitungsdienstes gewährten Anwärterbezüge nach
§ 58 Abs. 3 HBesG
von der Erfüllung von Auflagen abhängig seien. Eine Rückzahlungspflicht trete unter anderem dann ein, wenn der Anwärter die Ausbildung vorzeitig aus einem von ihm zu vertretenden Grund beende. Der Kläger sei wegen erheblicher Zweifel an seiner charakterlichen Eignung aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden und mit Verfügung der Polizeiakademie vom 13.05.2019 mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst entlassen worden. Diese Entlassung sei vom Kläger zu vertreten. Die Rückzahlungspflicht beschränke sich auf den Teil der Anwärterbezüge, der den Betrag von 383,47 € monatlich übersteigt. Für die detaillierte Berechnung des Rückforderungsbetrags in Höhe von insgesamt brutto 16.707,15 € wird auf die Anlage zum Anhörungsschreiben vom 23.07.2019 Bezug genommen. Die Rückzahlungspflicht ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach
§ 12 Abs. 2 HBesG
. Die Entlassungsverfügung der Polizeiakademie vom 13.05.2019 entfalte ihre Wirkung zum 15.05.2019. Im Rahmen der Rückforderung von Anwärterbezügen nach der Entlassung aus dem Dienst finde keine inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung der bestandskräftig gewordenen Entlassungsverfügung statt. Infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung vom 13.05.2019 komme dem Widerspruch des Klägers keine aufschiebende Wirkung zu, sodass die Entlassungsverfügung ihre Wirksamkeit mit deren Bekanntgabe entfaltet habe. Bei wiederholtem Nichtbestehen einer Prüfung ende das Beamtenverhältnis mit dem Tag der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, § 22 Abs. 4 BeamtStG i.V.m.
§ 14 Abs. 5 S. 1 HPolLV
. Die Entlassung habe daher frühestens zum 21.05.2015 infolge der Mitteilung der Hochschule für Polizei und Verwaltung wirksam werden können. Zu diesem Zeitpunkt sei dem Kläger die Entlassungsverfügung vom 13.05.2019 bereits bekannt gegeben und wirksam geworden. Die Entlassung wegen des wiederholten Nichtbestehens liege zeitlich eindeutig nach der Entlassung wegen charakterlicher Nichteignung und bleibe hinsichtlich der Frage der Rückforderung irrelevant. Auch seien Anknüpfungspunkte der dienstaufsichtsrechtlichen Entlassungsverfügung der Polizeiakademie vom 13.05.2019 Vorfälle im September 2018 und April 2019. Der Anknüpfungspunkt für die Entlassung kraft Gesetzes wegen wiederholten Nichtbestehens sei allerdings zeitlich nachfolgend mit der erstmaligen Mitteilung über das Nichtbestehen des Studienabschnitts 3 geschaffen worden. Die Verfügungen spiegelten also den Verlauf der tatsächlichen Ereignisse wider und die Rückforderung hänge daher nicht vom Zufall ab. Die zeitliche Nähe der Vorfälle zueinander ließe den Schluss zu, dass der Kläger das Ausscheiden kraft Gesetzes zur Vermeidung der Rückzahlungsverpflichtung provoziert habe. Der Einwand der Entreicherung greife nicht durch, da die Anwärterbezüge unter dem ausdrücklichen Rückforderungsvorbehalt gezahlt worden seien. Die Rückforderung weise auch keinen Strafcharakter auf. Vielmehr handele es sich um die Konsequenz aus der Erklärung des Klägers, als Beamter im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn zu verbleiben und die Erwartung sowie die aufgebrauchten Ausbildungskosten nicht zu enttäuschen. Diese Verpflichtung könne durch die Begleichung der Geldstrafe nicht erfüllt werden. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung stundete der Beklagte die Gesamtforderung bis zum 31.08.2020 unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs. Außerdem wurde dem Kläger unter Beachtung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der zu erbringenden Geldstrafe eine Ratenzahlung von monatlich 100 € ab dem 01.09.2020 gewährt. Wegen der weiteren Einzelheiten auf den Rückforderungsbescheid vom 06.11.2019 verwiesen.
Mit Schreiben vom 18.11.2019 legte der Kläger Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid ein, zunächst ohne diesen zu begründen. Mit Schreiben vom 06.03.2020 begründete er sodann seinen Widerspruch unter Bezugnahme auf das Stellungnahmeschreiben aus dem Anhörungsverfahren vom 16.08.2019.
Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.04.2020 zurück. Zur Begründung wiederholte er sein Vorbringen aus dem Rückforderungsbescheid vom 06.11.2019. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 14.04.2020 Bezug genommen.
Am 14.05.2020 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Er trägt vor, dass die Anwärterbezüge nicht hätten zurückgefordert werden können, wenn die Entlassung wegen wiederholten Nichtbestehens vor der disziplinarrechtlichen Entlassung erfolgt wäre. Es sei vom Zufall abhängig gewesen, dass die Verfügung zur Entlassung wegen der disziplinarrechtlichen Vorgänge der Polizeiakademie Hessen vor der Verfügung zur Entlassung wegen wiederholten Nichtbestehens der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung beim Kläger eintraf. Bei einer schnelleren Korrektur der Prüfungen hätte der Kläger früher vom Nichtbestehen erfahren und wäre dementsprechend auch früher ausgeschieden; eine Verfügung wegen der disziplinarrechtlichen Vorgänge wäre ins Leere gegangen. In diesem Fall hätte der Kläger die Anwärterbezüge nicht zurückzahlen müssen. Dies stelle einen Wertungswiderspruch dar, den es zu vermeiden gelte.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 06.11.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.04.2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Darlegungen im Rückforderungsbescheid vom 06.11.2019 und im Widerspruchsbescheid vom 14.04.2020 und wiederholt diese. Ergänzend führt er aus, dass nicht die eigentlichen Anwärterbezüge, sondern die Anwärtersonderzuschläge zurückgefordert würden. Rechtsgrundlage hierfür sei
§ 60 HBesG
.
Der Beklagte hat sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin mit Schriftsatz vom 25.05.2020, der Kläger mit Schriftsatz vom 27.11.2020 erklärt.
Am 28.04.2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Es wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Gerichtsakte, die Behördenakte des Beklagten und die Belehrungsmappen der Polizeiakademie Hessen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. | Der Bescheid des Beklagten vom 06.11.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14.04.2020 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. | 0 |
LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer | Berlin | 0 | 1 | 09.06.2016 | 0 | Randnummer
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Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.
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2
Die Klägerin ist seit dem 01.11.2009 bei dem Beklagten, der Inhaber einer Apotheke ist, als Diplom-Pharma-Ingenieurin (FH) beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 01.11.2009 (Bl. 13 ff. d. A.) und der Änderungsvertrag vom 28.02.2010 (Bl. 16 d. A.) zu Grunde. Zuletzt bezog die Klägerin eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.600,00 €.
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Die Klägerin ist seit Mitte 2013 fortlaufend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 23.09.2015 (Bl. 17 f. d. A.) machte sie gegenüber dem Beklagten die Abgeltung von 25 Urlaubstagen aus dem Jahr 2013 sowie 36 Urlaubstagen aus dem Jahr 2014 geltend.
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Mit der am 30.09.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin diesen Anspruch weiter verfolgt. Sie hat vorgetragen, sie habe aufgrund ihrer Erkrankung Resturlaub aus 2013 im Umfang von 25 Tagen sowie aus 2014 im Umfang von 36 Tagen nicht nehmen können.
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5
Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7.320,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2015 zu zahlen.
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7
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin könne mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Urlaubsabgeltung verlangen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.11.2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung habe. Abgesehen davon sei der Urlaubsanspruch für 2013 bereits am 31.03.2015 erloschen.
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Gegen dieses der Klägerin am 27.11.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, dem 28.12.2015 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29.02.2016 am 29.02.2016 begründete Berufung. Die Klägerin trägt vor, das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Klägerin keine Urlaubsabgeltung zustehe. Da sie auf unabsehbare Zeit krankgeschrieben sei und ihren Urlaub nicht in natura habe nehmen können, sei er analog § 7 BUrlG abzugelten. Dass angenommen worden sei, dass einerseits nicht genommener Urlaub nach 15 Monaten erlösche, andererseits der Klägerin aber verwehrt werde, die nicht genommenen Urlaubstage abgelten zu lassen, mache deutlich, dass das Urteil fehlerhaft sei.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Potsdam vom 25.11.2015 zum Az.: 8 Ca 1540/15 den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7.320,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2015 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte trägt vor, dass die Voraussetzungen für eine Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorlägen. Zudem würden der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses allenfalls ein Abgeltungsanspruch für die letzten 15 Monate zustehen. Schließlich sei der Klageanspruch von der Klägerin der Höhe nach falsch berechnet worden. | I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 25.11.2015 – 8 Ca 1540/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz 10. Kammer | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 27.09.2012 | 0 | Randnummer
1
Die Klägerin verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung, der Beklagten zu untersagen, die Stelle als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt mit der Mitbewerberin Z. Y. bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu besetzen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 17.04.2012 beim Arbeitsgericht eingegangen; das Hauptsacheverfahren will die Klägerin mit Klageschrift vom 26.09.2012, einen Tag vor dem Berufungstermin, beim Arbeitsgericht eingeleitet haben.
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2
Die 1967 geborene Klägerin ist von Beruf staatlich anerkannte Sozialarbeiterin. Sie ist seit Januar 2005 bei dem beklagten Jobcenter, einer gemeinsamen Einrichtung im Sinne des § 44b SGB II, zunächst als Fallmanagerin und nunmehr als Sachbearbeiterin im Bereich Bildung und Teilhabe vollzeitbeschäftigt. Die Klägerin ist seit April 2011 Vorsitzende des Personalrats und deshalb mit 50 % ihrer Arbeitszeit freigestellt. Sie wird nach Entgeltgruppe E 9 TVöD vergütet.
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Nach § 18e Abs. 1 SGB II, der am 01.01.2011 in Kraft getreten ist, sind bei jeder gemeinsamen Einrichtung Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA) zu bestellen. Die Beklagte hat die BCA-Stelle, die als 0,5-Planstelle konzipiert worden ist, erstmals am 22.02.2011 intern ausgeschrieben. Die Klägerin bewarb sich auf diese erste Ausschreibung vergeblich. Sie leitete die einstweiligen Verfügungsverfahren 3 Ga 16/11 (
10 SaGa 11/11
) und 3 Ga 1/12 ein. Die Beklagte hat das erste Auswahlverfahren abgebrochen und die BCA-Stelle am 09.12.2011 neu ausgeschrieben. Die Klägerin bewarb sich erneut. Die Stelle soll nun mit der Mitbewerberin Z. Y. besetzt werden. Die Gleichstellungsbeauftragte hat dieser Entscheidung zugestimmt, der Personalrat hat in seiner Sitzung vom 11.04.2012 beschlossen, die Zustimmung zu verweigern. Das Ablehnungsschreiben des Personalrats vom 12.04.2012 (BI. 70-72 d.A.) ist unter dem Namen der Klägerin verfasst und trägt auch ihre Unterschrift. Auf Nachfrage teilte die Klägerin erst im Berufungstermin am 27.09.2012 mit, sie habe zwar an der Personalratssitzung vom 11.04.2012 teilgenommen, jedoch nicht an der Beratung und Beschlussfassung zum Gegenstand, der sie betraf. Die Beklagte bestreitet dies mit Nichtwissen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe das Auswahlverfahren fehlerhaft durchgeführt. Eine vollständige Dokumentation des Auswahlverfahrens sei nicht erfolgt. Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes seien jedoch verpflichtet, ein Anforderungsprofil festzulegen sowie die Leistungsbewertungen und die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Die Beklagte habe keine Vorstellungsgespräche durchgeführt. Hierzu sei der öffentliche Arbeitgeber auch bei Bewerbungen aus dem eigenen Haus verpflichtet. Im Übrigen hätte die Auswahlkommission auch mit einem Mitglied der Schwerbehindertenvertretung besetzt werden müssen. Die Beklagte habe gegen den Grundsatz der Bestenauslese verstoßen. Sie sei aufgrund ihrer Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle geradezu prädestiniert. Schließlich verstoße die Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung gegen das Benachteiligungsverbot des § 8 BPersVG.
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Die Verfügungsklägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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der Verfügungsbeklagten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu untersagen, die Stelle als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA) mit der Bewerberin Z. Y. zu besetzen,
der Verfügungsbeklagten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung anzudrohen, dass ein vom Gericht festzulegendes Ordnungsgeld verhängt werden kann.
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Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat die Anträge mit Urteil vom 25.04.2012 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Verfügungsgrund, denn die Klägerin könne ihre Rechte als Mitbewerberin im Hauptsacheverfahren sichern und ggf. bis zur eigenen Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren durchsetzen. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 04.11.2010 - 2 C 16/09 - Juris) könne im Beamten- und Richterbereich eine Stellenbesetzung auf die Klage eines unterlegenen Bewerbers rückgängig gemacht werden. Dies müsse auch im Bereich des Arbeitsrechts gelten.
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Das genannte Urteil ist der Klägerin am 27.04.2012 zugestellt worden. Sie hat mit am 14.05.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der antragsgemäß um zwei Wochen bis zum 11.07.2012 verlängerten Begründungsfrist am 11.07.2012 begründet.
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Sie ist der Ansicht, ein Verfügungsgrund liege vor. Ihr Bewerbungsverfahrensanspruch sei ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung gefährdet, weil sie - nachdem die Beklagte eine Mitbewerberin ausgewählt habe - damit rechnen müsse, dass die Stelle mit dieser besetzt werde und damit ihr Anspruch untergehe. Die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung des BVerwG vom 04.11.2010 (2 C 16/09) betreffe einen Sonderfall, der hier nicht vorliege. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei die Dringlichkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens noch gegeben, obwohl sie eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um zwei Wochen beantragt habe.
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Die Verfügungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 25.04.2012 , 3 Ga 8/12, abzuändern und
der Verfügungsbeklagten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu untersagen, die Stelle als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA) mit der Bewerberin Z. Y. zu besetzen,
der Verfügungsbeklagten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung anzudrohen, dass ein vom Gericht festzulegendes Ordnungsgeld verhängt werden kann.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, es fehle bereits ein Verfügungsgrund, weil die Klägerin eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und mit der Begründung bis zum letzten Tag der Frist zugewartet habe.
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Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. | Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 24. April 2012, Az.: 3 Ga 8/12, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz 13. Senat | Rheinland-Pfalz | 0 | 1 | 30.11.2020 | 1 | Randnummer
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Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren zuletzt noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten.
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Der am 1. Januar 1993 oder 1994 geborene Kläger ist schiitischen Glaubens und dem Volk der Tadschiken zugehörig. Er lebte mit seiner Familie zuletzt in der Provinz L…. Am 10. März 2015 verließ er Afghanistan und reiste am 10. Juni 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 18. Juni 2015 einen Asylantrag stellte.
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3
Zur Begründung seines Antrags führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass er in Afghanistan von den Taliban bedroht worden sei. Die Taliban hätten einmal eine Frau in das Geschäft der Familie geschickt, die vor dem Kläger ihren Schleier abgenommen habe. Deswegen hätten die Taliban gedroht, ihn zu steinigen.
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4
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. Mai 2017 den Antrag des Klägers auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht vorliegen. Gleichzeitig forderte sie den Kläger unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf. Die ablehnende Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative etwa in der Stadt Herat oder Mazar e-Sharif zur Verfügung gestanden habe. Der Bescheid wurde am 8. Mai 2017 zur Post aufgegeben.
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Mit Telefax vom 23. Mai 2017 hat die „Rechtsanwaltskanzlei W...“ für den Kläger Klage gegen den Bescheid erhoben. Zur Begründung der Klage ist ausgeführt worden, der Kläger habe glaubhaft angegeben, dass er von den Taliban zwangsrekrutiert habe werden sollen. Auch sei Afghanistan kein sicheres Land, in das eine Abschiebung vorgenommen werden könne.
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Der Kläger hat erstinstanzlich schriftsätzlich begehrt:
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1. Ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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2. Ihm die Asylanerkennung auszusprechen.
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3. Hilfsweise festzustellen, dass subsidiärer Schutzstatus gegeben ist.
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4. Festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
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Die Beklagte hat erstinstanzlich schriftsätzlich begehrt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat sich auf die Gründe des angegriffenen Bescheides bezogen.
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Die Klageschrift ist mit dem Namen der Rechtsanwältin B... K... unterschrieben. Herr Assessor jur. M... W... ist kein zugelassener Rechtsanwalt. Auf Rückfrage hat Rechtsanwältin K... mitgeteilt, dass ihre Unterschrift auf der Klagebegründung gefälscht worden sei.
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Die Ladung für die mündliche Verhandlung am 24. Mai 2019 ist an die „Rechtsanwaltskanzlei W...“ gesandt worden. Herr Assessor jur. W... ist unter Fristsetzung aufgefordert worden, seine Prozessvollmacht vorzulegen. Eine persönliche Ladung an den Kläger ist nicht erfolgt, ihm ist jedoch seitens des Gerichts das Ladungsschreiben an die „Rechtsanwaltskanzlei W...“ zur Kenntnis übersandt worden mit dem Hinweis, „vor dem Hintergrund der unklaren Prozessbevollmächtigung“ bestünden Zweifel hinsichtlich der ordnungsgemäßen Erhebung der Klage und diese dürfte deshalb nach vorläufiger Einschätzung unzulässig sein. Weiterhin ist er gebeten worden mitzuteilen, ob er auf eine mündliche Verhandlung verzichte. Der Kläger hat hierauf nicht reagiert.
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In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht in Abwesenheit des Klägers zunächst Rechtsassessor W... aufgrund eines fehlenden Nachweises seiner Prozessvollmacht als Prozessbevollmächtigten zurückgewiesen und sodann die mündliche Verhandlung fortgesetzt und geschlossen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. Mai 2019 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da sie nicht ordnungsgemäß erhoben worden sei. Gemäß § 81 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – sei eine Klage schriftlich zu erheben, was voraussetze, dass sie vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werde. Unzulässig sei dagegen insbesondere die Unterzeichnung mit einem fremden Namen. Vorliegend habe Rechtsassessor W... die Klage nicht nur „in fremdem Namen“ unterzeichnet, sondern die Unterschrift von Rechtsanwältin K... sogar gefälscht, wie diese dem Gericht gegenüber ausgeführt habe, sodass es an einer wirksamen Klageerhebung fehle. Der Assessor habe darüber hinaus trotz Aufforderung weder seine Vollmacht noch seine Prozessführungsbefugnis beigebracht und sei gemäß § 67 Abs. 3 S. 1 VwGO zurückgewiesen worden. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der mangels wirksamer Klageerhebung abgelaufenen Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG – sei schon aufgrund von § 60 Abs. 3 VwGO kein Raum. Davon abgesehen sei eine Wiedereinsetzung auch weder beantragt worden noch sei die versäumte Rechtshandlung von dem Kläger nachgeholt worden, obwohl dieser auf die Unzulässigkeit seiner Klage hingewiesen worden sei.
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Der Senat hat auf entsprechenden Antrag des im Berufungsverfahren zunächst aufgetretenen Prozessbevollmächtigten die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Abs. 3 Nr. 4 VwGO zugelassen und ausgeführt, dass der Kläger in dem vorliegenden – atypischen – Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen sei. Das gelte jedenfalls, nachdem der einzig in Betracht kommende Prozessbevollmächtigte, Herr Assessor jur. W..., von dem Gericht zurückgewiesen worden sei, der Kläger aber ausweislich der Gerichtsakte weder persönlich zur mündlichen Verhandlung geladen noch darauf hingewiesen worden sei, dass eine Zurückweisung seines Prozessbevollmächtigten drohen könnte. § 138 VwGO vermute die Ursächlichkeit des genannten Fehlers für das Urteil, so dass es nicht auf die Frage ankomme, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache zutreffend sei.
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19
Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger zunächst aus, die Klage sei zulässig. In der Sache sei er in Afghanistan von den Taliban bedroht worden. Grund sei gewesen, dass die Taliban eine Frau in das Geschäft seiner Familie geschickt hätten, welche vor ihm den Schleier abgenommen habe, und deswegen sei ihm gedroht worden, ihn zu steinigen. Er habe vier Jahre die Schule besucht und dann im Laden seines Vaters gearbeitet. Dieser Laden sei häufiger von Taliban aufgesucht worden und diese hätten den Vater des Klägers aufgefordert, ihn, seinen Sohn, mit diesen kämpfen zu lassen. Kurz danach habe sich der oben beschriebene Vorfall ereignet und daraufhin habe er sein Heimatland verlassen. Sein ehemaliger Heimatort sei von den Taliban kontrolliert worden. In der Region, in der er gelebt habe, sei es zu Steinigungen gekommen, die sogar im Fernsehen gezeigt worden seien und nach seiner Kenntnis sei mindestens eine Todesstrafe vollstreckt worden. Bei Rückkehr in sein Heimatland könne er mit der Todesstrafe bestraft werden. Die Taliban seien in der Provinz, in der er gelebt habe, tatsächlich aktiv.
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20
Mit Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten trägt der Kläger vor, es seien einige Angaben aus der Anhörung beim Bundesamt zu korrigieren bzw. zu konkretisieren. Diese neuen Angaben betreffen insbesondere die Höhe der Reisekosten und die Umstände der Begleichung derselben, das Alter der Brüder des Klägers, die Lebenssituation seiner Geschwister, seine Ehefrau und seine Kinder sowie seine Schulbildung und berufliche Tätigkeit. Weiterhin trägt der Kläger vor, es sei zu konkretisieren, dass die Taliban ihn, den Kläger und seinen Vater, zunächst zwecks Zwangsrekrutierung angesprochen hätten. Aufgrund der Aufforderung der Taliban habe er das Land verlassen sollen. Der Vater habe die Ausreise geplant und habe ihn zunächst zu seinem Onkel schicken wollen. In dieser Zeit sei er sehr vorsichtig gewesen, hätte jedoch im Laden des Vaters aushelfen müssen, während dieser alles vorbereitet habe. Da der Vater die Taliban habe hinhalten wollen, um die Flucht zu organisieren, habe er sich zunächst normal verhalten, um keinen Verdacht zu erregen, sei aber vorsichtig gewesen.
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21
Der Zwischenfall mit der Frau im Laden habe jedoch dazu geführt, dass keine Zeit mehr gewesen sei, die Ausreise zu planen. Er habe nicht angegeben, dass die Frau eine Agentin der Taliban gewesen sei. Vielmehr sei der Vorfall im Laden zufällig gewesen sei. Die Frau habe sich ihm nähern wollen und ihm Avancen gemacht. Da er abgelehnt habe und die Frau gebeten habe, dies zu unterlassen, habe die Frau angefangen zu schreien und den Laden verlassen. Dies habe Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sodass auch die Taliban hiervon erfahren hätten. Seine früheren Angaben, die Taliban hätten die Frau geschickt, beruhten wohl auf einem Missverständnis mit dem Dolmetscher. Nachdem den Taliban zu Ohren gekommen sei, dass er, der Kläger, eine Frau belästigt haben solle und diese zudem vermutet hätten, dass er mit den Amerikanern sympathisiere, habe sich das Interesse der Taliban an ihm schlagartig gesteigert. Ihm drohe daher die Ermordung durch die Taliban. Der Vorfall habe 15 bis 20 Tage vor der Ausreise stattgefunden. Er habe sich lediglich eine Nacht bei seinem Onkel aufgehalten und sei anschließend nach Kabul geflüchtet, wo er sich bis zu seiner Ausreise ca. zwei Wochen versteckt habe. Sein Vater habe daher sehr schnell den Schleuser bezahlen und die Flucht organisieren müssen.
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Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass er aufgrund seiner finanziellen Verpflichtungen und der derzeitigen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssituation durch die Corona-Pandemie bei einer Rückkehr nach Afghanistan verelenden würde. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien weltweit spürbar und insbesondere in Ländern wie Afghanistan, die über keinen Staatshaushalt verfügten, der es ermögliche, die Wirtschaft massiv zu unterstützen, mehr als nur Besorgnis erregend. Der Lockdown und die Reduzierung der Wirtschaftsleistung führten zu massiven sozialen Spannungen und zu einem drastischen Anstieg der Lebenshaltungskosten. Diese Folgen träfen auf eine pandemiebedingte Reduzierung von Zahlungen der Geberländer an internationale Hilfsorganisationen und der UN, die für die Notversorgung mit Lebensmitteln zuständig seien und schon ohne finanzielle Restriktionen mit einem immer größer werdenden Heer an Vertrieben und Hungernden zu kämpfen hätten.
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Er könne sich in Afghanistan auf keine finanzielle oder sonstige Unterstützung von Familienangehörigen oder Bekannten verlassen. Sein Vater habe sich für die Ausreise hoch verschuldet. Zudem habe die Familie ihr Heimatdorf verlassen und den Lebensmittelladen und damit ihre Existenzgrundlage aufgeben müssen. Die Schwestern könnten nicht zum Lebensunterhalt beitragen. Seine Brüder seien noch jünger und könnten daher nicht die Verantwortung für ihre Eltern und ihn übernehmen. Zudem halte sich der 17-jährige Bruder im Iran auf und könne die Familie und ihn nicht unterstützen. Er, der Kläger, schicke regelmäßig Geld nach Afghanistan, um seine Ehefrau und Kinder sowie seine Familie finanziell zu unterstützen. Andernfalls wäre ein Überleben nicht möglich. Sein Vater müsse die Wohnungsmiete zahlen und die Erkrankungen der Eltern führten zu erhöhten Behandlungskosten. Er, der Kläger, könnte seine Familie nicht aus Afghanistan heraus versorgen. Arbeiten als Tagelöhner seien aufgrund der derzeitigen Pandemie kaum zu finden. Des Weiteren habe er keine Berufserfahrung in Afghanistan. Er habe nur in L… gelebt und seinem Vater im Lebensmittelladen geholfen. Insofern habe er keine Berufserfahrung sammeln und berufliche Kontakte knüpfen können. Ohne jegliche Unterstützung werde ihm und seiner Familie rasch Verelendung bis hin zum Hungertod drohen.
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Nachdem der Kläger in der Berufungsbegründung auch den Antrag angekündigt hat, ihm die Asylanerkennung zuzusprechen, beantragt er in der mündlichen Verhandlung nur noch,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 24. Mai 2019 und entsprechender Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 6. Mai 2017 die Beklagte zu verpflichten,
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ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
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hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
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weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist im Berufungsverfahren auf den Bescheid und führt aus, der Kläger habe eine Verfolgung durch die Taliban bisher nicht glaubhaft darlegen können. Sein Vorbringen hierzu in der persönlichen Anhörung sei detailarm und vage geblieben und erschöpfe sich in weiten Teilen in Mutmaßungen. Darüber hinaus habe der Kläger – wie im Bescheid dargelegt – nicht glaubhaft machen können, dass es sich bei ihm um eine Person handele, an der die Taliban ein besonderes persönliches Interesse haben könnten. Eine Bedrohung durch die Taliban aufgrund unterlassener Zusammenarbeit betreffe nicht nur den Kläger im Speziellen, sondern eine Vielzahl von Personen, sodass von keiner landesweiten Verfolgung durch die Taliban auszugehen wäre. Der Kläger könnte daher bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Afghanistan internen Schutz in Kabul, dem Ort, an dem sich nach seinen eigenen Angaben auch seine Eltern aufhalten, finden.
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Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG insbesondere aufgrund der aktuellen Lage hinsichtlich der Corona-Pandemie zu. Eine gegenüber dem Bescheid veränderte Bewertung rechtfertige auch die COVID-19-Pandemie nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die von den Beteiligten zu den Akten gereichten Schriftsätze und Unterlagen, die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zu den Verhältnissen in Afghanistan (vgl. die Senats-Unterlagenliste Stand 2. September 2020 und Ergänzung hierzu zum Stand 20. November 2020 – berichtigt mit gerichtlicher Verfügung vom 26. November 2020 –, sowie die in der mündlichen Verhandlung in Kopie überreichten Unterlagen UNOCHA, Strategic Situation Report COVID-19 No. 85 vom 26. November 2020 und BAMF, Briefing Notes vom 23. November 2020) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. November 2020. Die genannten Unterlagen lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. | Soweit die Berufung hinsichtlich des Asylbegehrens zurückgenommen wurde, wird das Berufungsverfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 24. Mai 2019 zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. | 0 |